Chemnitz - Freier Wille

 

VOM FREIEN WILLEN, DAS IST, 

VON DES MENSCHEN KRÄFTEN UND VERMÖGEN.

 

VERMAG DENN DER MENSCH VON IHM SELBST DIES, WAS ZU DER BUßE GEHÖRET, ANZUFANGEN UND ZU ERRICHTEN? 

Nein; denn rechte, wahre Buße ist eine Gabe Gottes, 2 Tim. 2. Act. 11, und Petrus spricht Act. 5, dass Christus durch Gottes rechte Hand erhöhet sei zum Fürsten und Heiland, zu geben Buße und Vergebung der Sünden. 

 

HAT DENN DER MENSCH KEINEN FREIEN WILLEN? 

Freier Wille heißt, was der Mensch kann und vermag mit seinem Verstande, Herz und Willen, etwas zu verstehen, nachzudenken, sich darauf begeben, dasselbige entweder zu erlangen oder zu fliehen, zu tun oder zu lassen. Was nun belanget die Sünde, da ist der Mensch allzu frei von der Gerechtigkeit, Röm. 6, hänget mit Verstande, Herz, Willen und allem Vermögen dem Bösen nach, Gen. 8, wiewohl es eine elende Freiheit ist, die der Sünde Knecht ist, Joh. 8. Darnach was belanget weltliche und äußerliche Sachen, Zucht und Ehrbarkeit, kann und vermag der Mensch etwas mit seinen natürlichen Kräften; denn die Kinder dieser Welt sind klüger denn die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht, Luk. 16, die tun von Natur des Gesetzes Werk, Röm. 2, können unsträflich leben nach dem Gesetz, Phil. 3, wiewohl dieselbige Freiheit schwach ist und mancherlei Weise gehindert wird. Was aber belanget geistliche Sachen und Händel, als, was zur ganzen Bekehrung des Menschen gehöret, Buße, Glauben, neuen Gehorsam und was dem anhängig ist, anzufangen, zuwege zu bringen, zu tun und verrichten, rechtschaffen und also, wie Gottes Wort dasselbige fordert, da hat der natürliche Mensch von ihm selbst aus der ersten Geburt, wie er ist ohne Erneuerung des H. Geistes, gar keine Kräfte und Vermögen zu, ja ist demselbigen entgegen und zuwider. Denn die Schrift nimmt dem natürlichen Menschen erstlich alle solche Kräfte und Vermögen, 1 Kor. 2. 2 Kor. 3. Röm. 8. Joh. 15, spricht, er sei Finsternis, Eph. 5. Joh. 1. Act. 26, und in Sünden tot, Eph. 2. Kol. 2. Zum andern schreibet sie ihm zu ein steinern, böses Herz, das Gottes Wort widerstrebet und ist eine Feindschaft wider Gott, Jerem. 15. Hes. 36. Röm. 2 und 8. 

 

IST ODER KANN DENN RECHTE BUßE SEIN, WO KEINE BEWEGUNG ODER ÄNDERUNG IST IM VERSTANDE, HERZEN UND WILLEN DES MENSCHEN? 

Nein; denn Buße tun heißt und ist, wenn der Mensch seine Sünde erkennet, die Drohungen Gottes Zorns zu Gemüt und Herzen führet, sich vor Gottes Zorn fürchtet, lässt ihm seine Sünde leid sein, wendet sich davon ab, hat Angst und Bekümmernis des Herzens, dass er nicht möge verdammt werden etc.; und wo solche Bewegung und Änderung im Menschen nicht ist, da ist gewiss auch keine rechtschaffene Buße.

 

SO TUT UND SCHAFFET JA DES MENSCHEN SINN, HERZ UND WILLE DENNOCH ETWAS IN DER BUßE? 

Die Frage ist nicht davon, ob solche Bewegung und Änderung in der Bekehrung des Menschen sind und sein sollen; denn da ist kein Zweifel an; sondern davon ist die Frage, woher der Mensch solche Bewegung und Änderung habe und bekomme, woher Sinn, Herz und Wille des Menschen das haben und bekommen, dass sie solches, was zur Buße gehöret, anfangen, tun und schaffen können. Hie saget die Schrift deutlich und klar, dass der Mensch nicht von ihm selbst, aus seiner Natur, durch seine eigenen Kräfte und Vermögen solches könne, sondern dass es Gottes Gabe sei, Act. 5. 11., 2 Tim. 2, die solche Bewegung und Änderung im Menschen wirket, dass er also, wie gesaget, Buße tun könne; denn Gott ist’s, der den Menschen bekehret, der von ihm nimmt das steinerne Herz und gibt ihm ein fleischern Herz, Hes. 11 und 36. Darum spricht Jeremias Kap. 31: „Bekehre du mich, so werde ich bekehret; denn du, Herr, bist mein Gott. Da ich bekehret ward, tat ich Buße.“ 

 

KANN DENN DER MENSCH SOLCHER BEKEHRUNG GOTTES NICHT WIDERSTREBEN, SIE HINDERN UND VON SICH STOßEN? 

Ja leider allzu wohl, allzu viel und oft. Es sollen aber die Leute berichtet werden, dass sie greulich daran sündigen; denn sie widerstreben in dem dem Heiligen Geist, hindern und zerstören ihm seine Wirkung. Denn wenn Gott solche Bewegung und Änderung im Menschen wirket, wenn er solche Kräfte und Vermögen gibt und schaffet, so ist sein Wille, Meinung und Befehl, dass wir solche seine Gaben nicht vergeblich empfangen oder müßig in uns sein lassen sollen, 1 Kor. 15, 2 Kor. 6, sondern sollen das empfangene Pfund wohl brauchen und fleißig uns darin üben, Matth. 25, sollen den alten Adam solches in uns nicht hindern und zerstören lassen. Röm. 6. 8. Gal. 5. 

 

SO MAG DER MENSCH SO LANGE SITZEN UND WARTEN, BIS GOTT IHN BEKEHRE, DARF DIE GESETZESPREDIGT WEDER HÖREN, NOCH BETRACHTEN? 

Nein, das ist der rechte Weg nicht. Denn Gott will den Menschen bekehren nicht ohne Mittel, sondern hat zur Buße ein sonderlich Mittel und Werkzeug verordnet, dadurch er dieselbige im Menschen wirken will, nämlich die Gesetzespredigt; denn die ist ministerium mortis et condemnationis (Anm.: das Amt des Todes und der Verdammnis), 2 Kor. 3, das ist, ein Amt, Mittel und Werkzeug, dadurch Gott uns führen will in Erkenntnis unserer Sünde, seines Zorns und der Verdammnis, dass wir uns davor fürchten und Buße tun. Darum soll man die Leute weisen und halten zum Gehör und Betrachtung des Gesetzes und sie berichten, warum sie solche Strafpredigten Gottes lieb haben sollen, weil Gott dadurch Buße wirken will. Dass aber die Gesetzespredigt im Herzen etwas schaffe und ausrichte, das ist Gottes Gabe und Wirkung. 

 

- Fortsetzung -