Chemnitz - Evangelium

 

 VOM EVANGELIO.

 

WENN NUN IN DER BUßE EIN ARMES HERZ SICH DAMIT BEKÜMMERT, DASS ES NICHT MÖGE UNTER GOTTES ZORN UND VERDAMMNIS VERLOREN WERDEN, WO SOLLS DASSELBIGE SUCHEN, WOHIN SOLL MAN ES WEISEN, WAS SOLL MAN IHM VORHALTEN? 

Man soll es nicht ohne Trost in solchen Schrecken und Angst bleiben lassen. Es soll aber solchen Trost nicht im Gesetz und seinen Werken suchen, sondern ein solch Herz soll man auf die Lehre des Evangelii weisen und dieselbige ihm vorhalten. Jes. 40. 61. Luk. 4. Röm. 4. 

 

WAS IST DAS EVANGELIUM? 

Die Propheten haben der Predigt des Neuen Testaments einen sonderlichen Namen gegeben, welcher aus der griechischen Sprache im gemeinen Gebrauch geblieben ist, dass mans heißt Evangelium, das ist, eine gute, fröhliche, tröstliche Botschaft; und wird das Wörtlein Evangelium etwa insgemein gebraucht also, dass es begreife die ganze Summa der Lehre, die dem Volke des Neuen Testaments soll vorgetragen werden. Mark. 1. 16. Luk. 9. Act. 20. Röm. 1, etc., gleichwie auch durchs Gesetz oft die Lehre des göttlichen Worts verstanden wird, Jes. 2. Ps. 19. Röm. 8. Und in dem Verstande ist die generalis definitio recht, dass das Evangelium sei eine Predigt der Buße und Vergebung der Sünden; denn in diese Hauptstücke fasset Christus die ganze Lehre Luk. 24 und Act. 20. Item, weil die Predigt der Gnaden und Vergebung der Sünden nicht soll vorgetragen werden den stolzen Pharisäern oder den sicheren Epicuräern, sondern den Bußfertigen, und weil der Trost des Evangelii muss dazu kommen, wenn die Buße nicht soll eine Verzweiflung sein, sondern eine Reue zur Seligkeit, 2 Kor. 7; item, weil die, so dem Evangelio nicht glauben, nichts Anderes denn die Verdammnis zu gewarten haben, Mark. 16. Joh. 3. 2 Thess. 1, auf die Meinung ist gesagt, dass das Evangelium sei eine Predigt der Buße und Vergebung der Sünden, weil auch das Evangelium etliche Stücke der Lehre von der Buße, so aus dem Gesetze geprediget wird, nützlich erkläret. Wenn man aber in specie et proprie (Anm.: insonderheit und eigentlich) vom Evangelium redet, wie das Gesetz und Evangelium unterschieden werden, dass ein jedes sein eigen Amt und Werk habe, nämlich dass das Gesetz sei ministerium der Sünde, des Zorns, des Todes und Verdammnis, Röm. 3. 4. 2 Kor. 3, das Evangelium aber sei ministerium (Anm.: Amt) der Gerechtigkeit, der Gnade, des Lebens und der Seligkeit, 2 Kor. 3, Act. 13 und 14, – so ist eigentlich das Evangelium eine Predigt oder Lehre von des Herrn Christi seiner Person und von seinem Amt, nämlich wie der erstlich in dem wunderbarlichen Rat der göttlichen Majestät zu unserm Mittler, Erlöser, Versöhner und Seligmacher verordnet sei. Zum andern, wie er, da die Zeit erfüllet war, sei Mensch worden, habe das Werk der Erlösung und Versöhnung durch seinen Gehorsam, Leiden und Sterben vollkömmlich verrichtet, dadurch Gerechtigkeit und ewiges Leben erworben. Zum dritten begreift das Evangelium in sich nicht allein die Historie von Christo, sondern vornehmlich die gnädige, tröstliche Verheißung, in welcher Gott verkündiget und zusaget, dass er allen armen Sündern, die da Buße tun, wolle gnädig sein, ihnen ihre Sünde vergeben, sie los sprechen von dem wohlverdienten Urteil der Verdammnis, sie annehmen für seine Kinder und machen zu Erben des ewigen Lebens und der ewigen Seligkeit, lauter aus Gnaden ohne alle ihre Verdienst, allein um des Gehorsams, Leidens und Verdienstes Christi willen, wo sie allein durch und mit wahrem Glauben ihre Zuflucht dazu haben, es annehmen und ihr Vertrauen darauf setzen. 

 

IST DAS EVANGELIUM EINE NEUE LEHRE, WELCHE ALLERERST ZUR ZEIT CHRISTI UND DER APOSTEL HAT ANGEFANGEN? 

Nein; denn gleichwie ein Glaube ist unser und der Altväter, 2 Kor. 5, also ist auch ein Evangelium, Röm. 1. Joh. 8. 1 Pet. 1. Act. 10, und ist die Lehre bald nach dem Fall von Gott geoffenbaret und hernach allezeit wiederholet und geprediget worden in der ganzen Zeit des Alten Testaments; und ist alleine der Unterschied, dass im Alten Testament wars eine Verheißung, dass Christus kommen würde und die Erlösung verrichten, im Neuen Testament aber ists ein Evangelium oder Verkündigung, dass er gekommen sei und das Werk der Erlösung verrichtet habe, Röm. 1. Aber wie wir durch den Glauben an den, der da gekommen ist, also sind sie durch den Glauben an den, der da kommen sollte, gerecht und selig worden. Röm. 4. Act. 10. 15. Offenb. 13. 

 

WIRD DENN DURCH DAS EVANGELIUM DAS GESETZ GAR AUFGEHOBEN UND AUFGELÖSET? 

„Das sei ferne“, spricht Paulus Röm. 3, sondern es wird vielmehr dadurch bestätiget und aufgerichtet; und Christus spricht Matth. 5: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich kommen sei, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen.“

 

ES IST ABER JA STRACKS WIDER EINANDER: DAS GESETZ SAGT, GOTT ZÜRNE ÜBER DIE SÜNDE; DAS EVANGELIUM ABER SAGT, GOTT WOLLE DEN SÜNDERN GNÄDIG SEIN. DAS GESETZ SAGT, GOTT WOLLE DIE SÜNDE STRAFEN UND DIE SÜNDER VERDAMMEN; DAS EVANGELIUM SAGT, GOTT WOLLE DIE SÜNDE VERGEBEN UND DIE SÜNDER SELIG MACHEN. DAS GESETZ SAGT, GOTT WOLLE BARMHERZIG SEIN, LEBEN UND SELIGKEIT GEBEN, WENN DAS GESETZ VOLLKÖMMLICH ERFÜLLET WIRD; DAS EVANGELIUM ABER SAGT, GOTT WOLLE GNÄDIG SEIN, LEBEN UND SELIGKEIT GEBEN OHNE ALLE UNSERE WERKE, VERDIENST UND WÜRDIGKEIT. DA SIND JA GESETZ UND EVANGELIUM ALSO WIDER EINANDER, DASS IMMER EINS DAS ANDERE AUFHEBE UND AUFLÖSE. 

Dies muss wohl und fleißig erkläret werden; denn darauf stehet der ganze Grund des gesunden Verstandes des Evangelii. Und müssen die Leute mit Fleiß verwarnet werden vor solchen leichtfertigen Gedanken, dass sie wähnen, es habe die Meinung, im Gesetz stelle sich Gott wohl zornig wider die Sünde, aber im Evangelium habe er sich eines Andern bedacht, habe sein Gemüt, Meinung und Willen geändert, dass es nun heißen soll: was das Gesetz von der Sünde urteilet, das gilt nun nicht mehr; im Evangelium ist Gott der Sünde nicht feind, hat sie lieb, hat Lust und Gefallen daran, will den Gottlosen um ihrer Sünde willen das ewige Leben geben. Diese Gedanken sind falsch und unrecht; denn das Gesetz ist Gottes ewiger, unwandelbarer Wille, welchen das Evangelium nicht aufhebet oder auflöset, sondern bestätiget und aufrichtet. Also stehet das fest: wo der Gerechtigkeit Gottes, vom Gesetz erfordert, nicht genug geschieht, dass das Gesetz erfüllet werde, so kann und will er keinem Sünder gnädig sein. Matth. 5. Röm. 8. 10. Gal. 4.

 

WEIL ABER UNS DAS UNMÖGLICH IST, WIE KÖNNEN WIR DENN SELIG WERDEN? 

Unserthalben müssten wir ewig verdammt und verloren sein und bleiben; denn Gott kann sein Gesetz nicht fallen lassen, und wir könnens nicht erfüllen. Da hat Gott in seinem Rat auf Mittel und Wege gedacht, dass uns möchte geholfen werden, nämlich dass er seinen Sohn wollte in unser Fleisch senden, nicht dass er das Gesetz sollte auflösen, also dass Gott der Sünden nicht mehr achtete, keine Erfüllung und Genugtuung des Gesetzes fordern wollte; sondern dass er unter das Gesetz getan die Genugtuung, so Gottes Gesetz fordert und nicht fallen lassen kann, uns aber unmöglich ist, an unserer Statt und für uns vollkömmlich leisten und bezahlen sollte und also verdienen und erwerben, dass um seiner Erfüllung, Genugtuung und Bezahlung willen Gott den Sündern gnädig sein möchte, weil dem Gesetz und seiner Gerechtigkeit genug geschehen. Also hebet das Evangelium das Gesetz nicht auf, sondern weiset, wie Christus dasselbige für uns reichlich und vollkommen erfüllet habe. Röm. 8. 2 Kor. 5. Jes. 53. Gal. 4. 

 

WAS HILFTS ABER MICH, DASS EIN ANDERER DAS GESETZ ERFÜLLET HAT, WEIL DAS GESETZ MICH MAHNET, UND WIE KANN EINES BEZAHLUNG FÜR ALLE GELTEN? 

Christus ist unter das Gesetz getan, zur Sünde und zum Fluch gemacht nicht für seine Person, sondern für uns, Gal. 3 und 4. 2 Kor. 4; und dasselbige ist im Rat Gottes aus gnädigem Wohlgefallen zu unserer Erlösung also verordnet, Eph. 1, dass einer für alle sollte sterben, 2 Kor. 5; denn Gott hat alle unsere Sünde auf ihn geworfen, Jes. 53. Und weil die Person nicht allein Mensch, sondern Gott und Mensch ist, so ist die Erlösung so reichlich, dass sie eine Versöhnung ist für der ganzen Welt Sünde, 1 Joh 1. 2. Und weil sie in unserm Fleisch in der Person Christi verrichtet, so kommt sie uns allen zum Trost. Röm. 8. 

 

WIE SAGT DENN DIE SCHRIFT, DASS ES LAUTER GNADE SEI, OHN ALLE VERDIENST, SO ES CHRISTUS SO TEUER HAT MÜSSEN ERWERBEN, VERDIENEN UND ERKAUFEN? 

So viel uns belanget, heißt und ist es eitel lauter Gnade, ohn alle unser Werk, Verdienst, Genugtuung und Bezahlung. Aber was Christus, den Erlöser, anlanget, da heißt und ist es eine Erlösung, eine Bezahlung, eine Erwerbung oder Verdienst. Röm. 3. 1 Kor. 6. 1 Petr. 1. 1 Tim. 2. Act. 20. 

 

WAS FORDERT DAS GESETZ FÜR EINE GENUGTUUNG, DIE CHRISTUS HAT MÜSSEN FÜR UNS LEISTEN? 

Erstlich fordert es einen ganz heiligen, reinen, vollkommenen Gehorsam; den hat Christus für uns geleistet. Röm. 5. Hebr. 10. Zum andern fordert es, dass für die Sünde mit Leiden der Strafe, des Zorns und des Fluchs, so mit der Sünde verwirket, bezahlet werde und genug geschehe. Und das hat Christus mit seinem Leiden und Sterben für uns verrichtet, 2 Kor. 5. Gal. 3. Jes. 53 etc. Also und damit hat uns Christus erworben, dass wir durch seine Erlösung aus Gnaden, ohne unser Verdienst gerecht werden. Röm. 3. 

 

WORIN STEHET DENN DER UNTERSCHIED DES GESETZES UND DES EVANGELII? 

Erstlich: das Gesetz ist etlichermaßen von Natur bekannt, Röm. 2; das Evangelium aber ist ein Geheimnis, aller Vernunft verborgen, welches Gott allein durch sein Wort geoffenbaret hat. Matth. 16. 1 Kor. 2. Eph. 1. Röm. 16. Zum andern: das Gesetz ist ein Amt, das die Sünde offenbaret, beschuldiget und anklaget und von wegen der Sünde alle Menschen zum Tode verdammet. Das Evangelium aber ist ein Amt, das in Christo weiset die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und durch dieselbige das ewige Leben gibt allen, die daran glauben. 2 Kor. 3. Röm. 1. Zum dritten: das Gesetz redet auch von einer Gerechtigkeit und Seligkeit, aber weiset auf uns, dass wir in unserer Natur, Tun und Werken dieselbige Gerechtigkeit vollkömmlich haben sollen, wo wir dadurch leben wollen. Weil uns aber das unmöglich ist, so weiset uns das Evangelium auf Christum, dass er durch seinen Gehorsam, Leiden und Sterben uns erworben habe die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche uns aus Gnaden, ohne unser Verdienst, allein um Christi willen durch den Glauben zugerechnet und geschenket wird. Röm. 10. Gal. 3.

 

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