Chemnitz - Lässliche Sünden

 

VOM UNTERSCHIED PECCATI MORTALIS ET VENIALIS, 

DAS MAN IN GEMEINEM GEBRAUCH HEIßT 

TODSÜNDE UND TÄGLICHE SÜNDE.

 

SO IST UND BLEIBET NOCH SÜNDE AUCH IN DEN HEILIGEN IN DIESEM LEBEN? 

Ja; denn wenn sie gleich vom Heiligen Geist regieret werden, so klagen sie doch, dass in ihrem Fleisch nichts Gutes wohne, sondern dass auch im Guten ihnen die Sünde anhange, Röm. 7, und das Fleisch wider den Geist streite, Gal. 5. Und wenn sie gleich heilig sind, Gott dienen und ihnen nichts Böses bewusst sind, so bekennen sie sich doch für Sünder, 1 Kor. 4. Ps. 32. 130. 143. Ja wer solches nicht bekennet, sondern spricht, er habe keine Sünde, der verführet sich selbst, 1 Joh. 1. Darum müssen alle Heiligen in diesem Leben bitten: Vater, vergib uns unsere Schuld. 

 

KANN DENN DAVID ZUGLEICH EIN EHEBRECHER SEIN UND GLEICHWOHL GERECHT, GOTT ANGENEHM UND GEFÄLLIG SEIN UND BLEIBEN? 

In keinem Wege; denn die Schrift macht einen Unterscheid, dass etliche Sünden in den Heiligen seien, um welcher willen sie nicht verdammt werden, sondern bei denselbigen behalten sie den Glauben, H. Geist, Gottes Gnade, Vergebung der Sünde, Röm. 8. Joh. 1. Ps. 32. Es sind aber etliche Sünden, wenn darein auch die fallen, so mit Gott versöhnet sind, so verlieren sie dadurch den Glauben, Heiligen Geist, Gottes Gnade, das ewige Leben, fallen wieder in Gottes Zorn und in den ewigen Tod, wo sie nicht Buße tun und wiederum durch den Glauben mit Gott versöhnet werden, Röm. 8. 1 Kor. 16. Gal. 5. Eph. 4 und 5. Kol. 1. Joh. 3. 1 Tim. 1. 2 Petr. 1. Und aus dem Grunde ist genommen der Unterscheid peccati mortalis et venialis, welches der gemeine Mann nennet Todsünde und tägliche Sünde, und Paulus heißt es Sünden, die wider das Gewissen herrschen und Sünden, die wohl im Fleisch wohnen, aber nicht herrschen. Röm. 6 und 7. 1 Tim. 1. 

 

WOZU DIENET ES DENN, DASS MAN SOLCHEN UNTERSCHEID MIT FLEIß TREIBEN SOLL? 

Dazu, dass die Christen vor Todsünden sich lernen hüten, oder, wo sie darin stecken, nicht darin verharren und fortfahren; item, wie sie gegen der Sünde, so noch im Fleisch wohnet, sich verhalten sollen, dass sie ihnen nicht verdammlich sei; denn daraus kömmt allerlei Sicherheit und Unbußfertigkeit unter den Christen, wenn dieser Unterscheid nicht fleißig getrieben oder nicht recht gebraucht wird. Derhalben sollen in examinibus (Anm.: in den Prüfungen) die Pastores gewöhnet werden, dass sie nicht allein 7 Todsünden zählen, sondern dass sie in jeglichem Gebot Gottes anzeigen können, quae sint peccata mortalia, quae venialia. (Anm.: welche Sünden Todsünden, welche erlässliche seien) Quid sit peccatum mortale, quid veniale, definitiones recitentur ex D. Philippi Examine, et declarationis gratia subjungantur hae quaestiones (Anm.: Was eine Todsünde und was eine erlässliche Sünde sei, mag angegeben werden durch Hersagung der Definitionen aus Herrn Philippus’ Examen, und zur Erklärung mögen folgende Fragen angefügt werden).

 

IST DENN DIE ERBSÜNDE, SO IN DEN GLÄUBIGEN IN DIESEM LEBEN NOCH ÜBRIG IST, SO EIN LEICHT, SCHLECHT, GERING, NICHTIG DING FÜR SICH SELBST, DASS GOTT NICHT DARÜBER ZÜRNEN KANN NOCH WILL? 

Wiewohl eine Sünde größer und schwerer ist denn die andere, Joh. 16. Matth. 11. Luk. 12, so ist doch im Gesetze keine Sünde für sich selbst so gering, die nicht schuldig und wert sei des Zorns Gottes und der ewigen Verdammnis, wenn Gott damit ins Gericht wollte gehen; denn es stehet geschrieben: Wer nicht in allem bleibet, was im Gesetz geschrieben stehet, der sei verflucht, Deut. 27. Gal. 3; item: Wer das ganze Gesetz hält und sündiget an einem, der ists ganz schuldig, Jak. 2, und ist ein pharisäischer, verdammter Irrtum von den kleinen, geringen Geboten Gottes, Matth. 5. Paulus aber klaget so jämmerlich auch über die Sünde in seinem Fleisch, Röm. 7. Gal. 5. 

 

SIND DENN ABER ETLICHE SÜNDEN SO GROß UND SCHWER, DIE DENEN, SO BUßE TUN UND AN CHRISTUM GLAUBEN, IM EVANGELIO NICHT KÖNNTEN VERGEBEN WERDEN? 

Nein; denn Christus hat für alle Sünden genug getan, 1 Joh. 2, und will selig machen auch die allergrößten Sünder, 1 Tim. 1, hat auch befohlen, Buße und Vergebung der Sünde zu predigen allen Sündern, Joh. 20. Matth. 9. Luk. 15. Denn die Gnade ist viel mächtiger als die Sünde, Röm. 5. 

 

WEIL DEM ALSO IST, WIE KOMMT ES DENN, DASS DEN CHRISTEN ETLICHE PECCATA SIND VENIALIA, ETLICHE MORTALIA? 

Dieser Grund muss mit Fleiß und gar wohl erkläret werden, dass ein jeder Christ erkennen und wissen möge, ob er sei in Todsünden, oder in solchen Sünden, die ihm nicht verdammlich sind, und stehet einfältig darauf, dass ein jeder sich selbst prüfe, ob er Buße und Glaube habe, Röm. 2. Jer. 5. 2 Kor. 13. Denn die Erbsünde wohnet noch im Fleisch und ist nicht tot, müßig oder stille, sondern locket und reizet mit mancherlei böser Lust, gibt sich an mit vielen bösen Gedanken und Zuneigungen, Jak. 1. Röm. 7. Gal. 5. Wenn nun ein Christ an denselben bösen Lüsten ein Missfallen hat, erkennts für Sünde, spielet nicht damit, folget ihnen nicht, sondern widerstehet denselbigen, dämpfet, kreuziget und tötet sie durch den Geist, dass sie nicht herrschen und vollbracht werden, Röm. 6 und 7. Gal. 5, so ist es gewiss, dass da wahrhaftige, rechtschaffene Buße vorhanden sei. Wenn nun die Christen bitten, dass solche Schwachheit ihnen um Christus willen nicht möge zugerechnet, sondern vergeben werden, glauben und trauen auch, dass Christus als der rechte Gnadenstuhl solche Uneinigkeit in ihnen vor Gott zudecke, Röm. 7. Ps. 32. 1 Joh. 1 und 2, so ist ja da ein rechtschaffener, wahrer, seligmachender Glaube; und wo in wahrer Buße ein rechter Glaube Christum im Evangelio ergreift und sich an ihm hält, da ist nichts Verdammliches, sondern Gottes Gnade, Vergebung der Sünde und die Seligkeit, Röm. 8. 1 Joh. 1 und 2. Ps. 32. Also und daher sind und werden solche Sünden in den Heiligen venialia, die nicht verdammlich sind. 

 

WIE DENN ABER, WENN MAN SOLCHEN LÜSTEN FOLGET, MAN HAT FREUDE DARAN, MAN SUCHT GELEGENHEIT UND DENKET DARNACH, DASS SIE VOLLBRACHT WERDEN, RÖM. 6. MICH. 2. JAK. 1 ? 

So wird es eine Todsünde, wie Paulus sagt Röm. 8. Jak. 1, und dasselbige darum und daher: denn wenn man Gefallen an der Sünde hat und lässt sie tun und machen, was sie will, wo man derselbigen nachgehet, folget und sie vollbringet, da ist keine wahre, rechtschaffene Buße, so ist auch kein wahrer Glaube da, 1 Tim. 1 und 5. 2 Petr. 1; denn derselbige hat die Art und Eigenschaft, nicht dass er suche, wie er möge ohne Scheu Sünde tun, in Sünden verharren und der mehr machen, sondern er hat Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, dass er der Sünde möge los werden. Wo nun keine wahre Buße ist, da spricht der Heilige Geist das Urteil, Jer. 5. Röm. 2. Luk. 13. Apoc. 2. 9 und 16. Und wo kein wahrer Glaube ist, da ist Christus nicht, der Heilige Geist nicht, Gottes Gnade nicht, Vergebung der Sünden nicht, die Seligkeit nicht. Was denn? Ohne Zweifel Gottes Zorn, der ewige Tod und Verdammnis, wo die Gefallenen sich nicht wiederum bekehren, Kol. 3. Röm. 8. Also und daher werdens Todsünden in den Christen, wenn Buße, Glauben, Christus und der Heilige Geist verloren werden. 

 

WAS SOLL MAN DENN SOLCHEN LEUTEN PREDIGEN? 

Man soll ihnen solche ihre Sünde nicht verschweigen, nicht beschönen, entschuldigen oder verteidigen, sondern strafen, Jes. 56. 58. Hes. 13 und 14. 2 Tim. 4, und Gottes schweres Gericht ihnen vorhalten, 1 Kor. 6. Gal. 5. Kol. 3. Joh. 3. Matth. 11. 2 Petr. 2. Denn wer sie für rechtschaffene Christen hält und ihnen heuchelt, der verführet sie und macht sich ihrer Verdammnis teilhaftig, Jes. 3. Jer. 8 und 23. Thren. 3. Hes. 3 und 33. Die Strafpredigt aber ist das Mittel, dadurch Gott die Bekehrung wirken will. Jer. 15. Wo aber der Sünder ohne Bekehrung ja verstockt bleibt, so hat doch der Prediger seine eigene Seele gerettet, Hes. 3. 

 

WIE DENN, WENN SOLCHE GEFALLENE DURCH GOTTES GNADE WIEDER AUFSTEHEN UND SICH WAHRHAFTIG BEKEHREN? 

So soll man sie mit Freuden wiederum annehmen und ihnen Vergebung der Sünden verkündigen, Jer. 3. 18. Hes. 18. 33. Matth. 18. Luk. 15, wie dies bestätigen die Exempel Petri, Davids, Acolasti (Anm.: des verlorenen Sohnes), der Korinther und Galater, und das nicht allein siebenmal, sondern siebenzigmal siebenmal. Matth. 18. 

 

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