Leeres Grab und historische Kritik
Die Jünger Johannes und Petrus eilen am Ostermorgen zum Grab

Leeres Grab und historische Kritik

Alle Jahre wieder, wenn es auf Ostern zugeht, machen Magazine wie „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ die Auferstehung Jesu Christi zum Thema. Da ergreifen dann „kritische Wissenschaftler“ das Wort, die mit aufklärerischer Geste die Auferstehung Jesu in Zweifel ziehen. Und es werden Theologen zitiert, die mehr oder weniger entschlossen dagegenhalten. Weil die Diskussion aber auf vielen verschiedenen Ebenen zugleich geführt wird, ist für den Laien nur schwer nachzuvollziehen, wer hier was warum vertritt. Dabei wirft der biblische Bericht sehr konkrete Fragen auf:

 

Was z.B. erlebten die, denen der auferstandene Christus erschien? Was haben die gesehen, von denen das Neue Testament sagt, sie seien Christus nach der Auferstehung begegnet?

Für manche Theologen waren das subjektive Visionen, die als pathologische Trauerreaktionen oder Halluzinationen zu erklären sind. Die Jünger wollten einfach nicht wahrhaben, dass Jesus gestorben war. Sie haben diesen schrecklichen Verlust nicht verarbeiten können. Und so sahen sie ihn, weil sie ihn unbedingt sehen wollten. Das ist nach Ansicht der „modernen“ Theologen zwar menschlich und psychologisch verständlich. Dass Jesus aber tatsächlich leiblich auferstanden wäre, folgern sie keineswegs.

Bibeltreue Theologen halten dagegen, dass die Jünger den Auferstandenen berührt und angefasst und sogar Mahlzeiten mit ihm eingenommen haben. Diese Berichte sprechen sehr dafür, dass die Zeugen der Auferstehung nicht nur Visionen hatten, sondern reale Begegnungen mit dem leiblich auferstandenen Herrn. Folgt man dem biblischen Bericht, so sahen die Jünger Christus nicht bloß, weil sie ihn sehen wollten oder weil Gott ihnen die Gegenwart Christi vorgaukelte, sondern sie sahen ihn einfach, weil er da war…

 

War das Grab Christi demnach am Ostermorgen „leer“?

Auch hier gehen die Meinungen auseinander: Denn viele Theologen erklären unumwunden, das Grab sei voll gewesen, Jesu Leib sei verwest – und das sei auch nicht schlimm, weil es ihre Osterbotschaft gar nicht berührt. Sie sind überzeugt, dass die neue Lebendigkeit des Auferstandenen nichts mit der Wiederbelebung eines toten Körpers zu tun hat. Sie bekennen sich zwar dazu, dass Jesus „lebt“, stellen sich dieses Leben aber ganz immateriell vor, so dass ihnen das Schicksal der Gebeine Jesu gleichgültig ist. Was „lebt“ ist ihrer Meinung nach die Botschaft Jesu Christi – und nur darauf kommt es ihnen an. Denn so lange diese Botschaft in gläubigen Menschen lebt, so lange lebt auch Jesus darin weiter. Er lebt dann in der Verkündigung und im Engagement der Gemeinde, die seinen Geist weiterträgt und danach handelt.

Die bibeltreuen Theologen können allerdings dagegen halten, dass das Neue Testament unter „Auferstehung“, etwas ganz anderes versteht. Auferstehung ist dort viel mehr als bloß das Fortleben bestimmter Ideale in den Schülern eines verstorbenen Meisters. Das Neue Testament kennt keine solche Trennung von Person und Botschaft Jesu, der gemäß seine Botschaft auferstehen könnte während sein Leib verwest, sondern wenn Jesus auferstand, dann der ganze Jesus: Dann schloss die Auferweckung Christi auch eine Belebung, Erneuerung und Verwandlung seines Leibes ein. Und dann muss das Grab auch leer gewesen sein.

 

Spätestens an diesem Punkt, zeigen sich Außenstehende verwirrt. Denn die Theologen erwecken ja stets den Eindruck, dies alles seien Fragen, die durch sorgfältige Erforschung der Heiligen Schrift oder der Historie zu klären seien. Der Beobachter stellt aber fest, dass da auf allen Seiten hochgelehrte Menschen sind, die trotz beharrlichem Forschen zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen. Und das weckt zu Recht den Verdacht, dass in diesen Fragen weniger vom fleißigen Studium der Schrift abhängt als von den Denkvoraussetzungen, mit denen man an die Schrift herantritt. M.a.W.: Mancher Theologe, der so tut, als frage er ganz vorbehaltlos danach, wie es damals gewesen ist, bringt längst eine Meinung darüber mit, was gewesen sein kann – oder nicht gewesen sein kann. Ein jeder hat seine Ansichten darüber, dass bestimmte Dinge möglich sind und andere nicht. Und kein noch so intensives Schriftstudium wird ihn davon überzeugen, dass am Ostermorgen etwas wirklich gewesen sei, was nicht im Bereich des Möglichen liegt.

 

Fußen also die so unterschiedlichen „Osterbotschaften“ auf unterschiedlichen weltanschaulichen Voraussetzungen?

Die Modernisten machen in der Tat kein Geheimnis daraus, dass sie das naturwissenschaftliche Weltbild als bindende Voraussetzung auch allen theologischen Denkens ansehen. Dieses Weltbild lässt keinen Dualismus von „Diesseits“ und „Jenseits“ zu, sondern kennt nur eine Wirklichkeit, die überall den gleichen Gesetzen folgt. Und unter Voraussetzung dieser Einheit der Wirklichkeit, kann natürlich nicht sinnvoll von „Wundern“ gesprochen werden. Jedenfalls nicht, wenn damit unbegreifliche Einbrüche einer göttlichen Welt in die menschliche Welt gemeint sind. Die Naturgesetze lassen sich nicht so einfach außer Kraft setzen. Darum meinen die Modernisten, sei heute der Glaube an „übernatürliche“ Ereignisse, wie etwa die Auferstehung eines Toten, nicht mehr zumutbar.

Die Bibeltreuen sehen darin allerdings nur ein weltanschauliches Vorurteil, das zu Unrecht dem Wort der Bibel übergeordnet wird. Und es erschreckt sie zu Recht, wie wenig die Gegenseite Gott zutraut. Denn wenn Gottes Wirklichkeit alle kreatürliche Wirklichkeit transzendiert – sollten dann nicht auch Gottes Möglichkeiten den Rahmen dessen überschreiten, was wir „vorstellen“, „erklären“ oder „begreifen“ können? Gott ist doch kein Gefangener der Naturgesetze, die er selbst geschaffen hat! Er ist jederzeit frei, in den Zusammenhang weltlichen Geschehens einzugreifen. Dass er von dieser Freiheit Gebrauch macht, belegen die Wunder von denen die Heilige Schrift berichtet. Aber selbst wenn wir von wirklichen Wundern nichts wüssten, müsste uns doch die Möglichkeit des Wunders gewiss sein, weil der Gedanken eines allmächtigen Schöpfers seine Freiheit gegenüber den inneren Gesetzmäßigkeiten seiner Schöpfung schon immer einschließt. Was wäre das auch für ein seltsamer Gott, der Himmel und Erde erschaffen kann, den dann aber die Auferweckung eines einzigen Toten überforderte? Würden wir den nicht zu Unrecht „den Allmächtigen“ nennen? Wenn also das Wunder der Auferstehung dem modernen Menschen Anstoß bereitet, so ist dieser Anstoß schon im Gedanken des souveränen Schöpfergottes enthalten und kann nicht beseitigt werden, ohne dass man den biblischen Gottesbegriff überhaupt aufgibt.

 

Es zeigt sich in der ganzen Debatte, dass es einen engen Zusammenhang von historischen Urteilen und Glaubensurteilen gibt. Denn jede Seite hat ihre historisch-methodischen Voraussetzungen, die ihre „Osterbotschaft“ beeinflussen.

Für die Modernisten vollzieht sich alle wissenschaftliche Geschichtsschreibung so, dass sie gesicherte Daten der Vergangenheit verknüpft und aus ihnen Rückschlüsse zieht auf diejenigen Teile der Geschichte, von denen keine direkten Nachrichten erhalten sind. Solch eine Rekonstruktion des Geschichtsverlaufes ist aber nur unter der Voraussetzung möglich, dass Geschichte ein prinzipiell gleichartiger Geschehenszusammenhang ist, der Analogieschlüsse von Prozessen der Gegenwart auf gleichartige Prozesse der Vergangenheit zulässt.

M.a.W.: Als historisch wahrscheinlich kann nur gelten, was analogisch verständlich ist. Analogieloses, wie z.B. die Auferstehung Jesu Christi, wird demgegenüber als höchst unwahrscheinlich eingestuft, weil es aus dem Rahmen der bekannten geschichtlichen Prozesse herausfällt.

Die Bibeltreuen hingegen können darauf verweisen, dass die Voraussetzungen dieser Folgerung nicht zwingend sind. Denn wenn die Geschichtswissenschaft alles für „unhistorisch“ hält, wofür es in unserer Gegenwart keine Analogien gibt, so erliegt sie ja einem Vorurteil. Wer sagt denn, dass alle Geschichte im Prinzip gleichförmig verlaufen müsse? Wird dieses Vorurteil zur Methode erhoben, so macht es den Historiker blind für alles Einmalige und Unableitbare in der Geschichte. Ohne ernsthafte Prüfung der Zeugnisse muss er der Osterbotschaft von vorneherein misstrauen, einfach weil es der Gegenwart an analogen Erfahrungen fehlt. Dabei ist das gar nicht verwunderlich. Denn das Ostergeschehen ist ja gerade deshalb erzählenswert, weil es so einmalig und analogielos ist. Es wird uns von den neutestamentlichen Zeugen berichtet, nicht obwohl, sondern weil hier die übliche Regel geschichtlicher Verläufe in beglückender Weise durchbrochen wurde. Wer ihre Berichte schon allein deshalb als unglaubwürdig hinstellt, arbeitet keineswegs wissenschaftlich sauber, sondern erliegt lediglich dem Systemzwang seiner Methode - und seine Osterbotschaft fällt dementsprechend dürftig aus. Denn was bleibt bei den vermeintlich modernen Theologen übrig?

Vielleicht meinen sie, dass die Sache Jesu weiter geht, wo Jesu Lebendigkeit in uns und durch uns, sozial und politisch wirksam wird. Vielleicht sagen sie, Auferstehung ereigne sich überall da, wo Menschen sich von der Botschaft Jesu betreffen lassen. Gegenüber solchen Schwundstufen des österlichen Glaubens darf biblische Theologie dann aber darauf beharren, dass Ostern mindestens drei wichtige Pointen hat.

Erstens:

In der Auferweckung identifiziert sich Gott unwiderruflich mit Jesus Christus und seiner Botschaft. Das Ostergeschehen manifestiert daher vor aller Welt, dass die Einheit Christi mit dem Vater auch durch das Kreuz nicht aufgehoben wurde. Es bringt Jesu bis dahin verborgene Messianität ans Licht, und lässt uns den stellvertretenden Kreuzestod Christi als Offenbarung der Liebe Gottes begreifen.

Zweitens:

Indem Gott den Gekreuzigten auferweckt, setzt er ihn seinen Feinden gegenüber ins Recht, macht damit den von der Welt verworfenen Stein zum Eckstein und setzt ihn ein zum Herrn der Welt. Auferweckung, Verherrlichung und Erhöhung Christi zur Rechten Gottes sind dabei ein einziger Vorgang.

Drittens:

Wenn Jesu Auferstehung die Macht des Todes durchbricht, dann hat das Konsequenzen im Blick auf unseren Tod. Denn sie ist zu verstehen als Vorwegnahme der allgemeinen Totenauferstehung. Christus als der „Erstgeborene von den Toten“ gibt die Antwort auf die Frage, was aus mir und der Welt wird. Er ist darum der Grund aller individuellen und kollektiven Hoffnung im Angesicht des Todes…

 

 

 

 

 

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Die Jünger Johannes und Petrus eilen am Ostermorgen zum Grab

Eugène Burnand, Public domain, via Wikimedia Commons