Jesus Christus als Mittler

Jesus Christus als Mittler

Was Jesus Christus für uns getan hat, lässt sich nicht mit einem Satz erschöpfend beschreiben. Denn er ist uns Bruder und Prophet, Priester und König, Lehrer und Arzt, Tröster und Herr. Sein erlösendes Werk hat mehrere Dimensionen! Und doch fehlen in der Aufzählung noch zwei Funktionen, die man leicht vergisst, denn Christus ist auch unser „Mittler“ und unser „Fürsprecher“ beim Vater. Christus ist nämlich „dazwischengegangen“, als Gott und Mensch aufeinanderprallten. Er hat sich als Vermittler in die Mitte gestellt. Und er hört bis heute nicht auf, Gott gegenüber unser Fürsprecher zu sein. Was das bedeutet, kann aber am besten nachvollziehen, wer selbst schon einmal bei einem heftigen Streit „dazwischengegangen“ ist. Mussten sie das mal tun? Haben sie einmal zwei Parteien getrennt und sind dazu „eingeschritten“ – in dem konkreten Sinn von „dazwischen-gehen“ und „sich-in-die-Schussbahn-bringen“? Bei einer Prügelei auf dem Schulhof ist das gelegentlich nötig. Vielleicht auch bei Konflikten im Beruf, wenn Kollegen aneinandergeraten. Und manchmal bei einem Spaziergang, wenn zwei Hunde streiten. Will man Schlimmeres verhindern, muss man da ganz konkret „dazwischengehen“, indem man sich zwischen beide Parteien in die Mitte stellt und sie dadurch zueinander auf Distanz bringt. Doch ist das eine undankbare und gefährliche Sache. Denn wenn zwei aufeinander losgehen, und ich mich als Puffer dazwischen positioniere, stecke ich eventuell von beiden Seiten Schläge ein. Die Aggression, die einer der Kontrahenten für seinen Gegner bestimmt hat, trifft dann erst mal den Vermittler. Und der Zorn der Streitenden überträgt sich auch schnell auf den „Friedensstifter“, weil der ja den Gegner meiner Reichweite entzieht. Wer kämpfende Hunde trennen will, muss damit rechnen gebissen zu werden. Und bei streitenden Menschen kann’s ähnlich gehen, wenn ein Außenstehender zu schlichten versucht. Denn was tut der, wenn er „dazwischengeht“? Er stellt sich doch schützend vor meinen Gegner! Er nimmt ihn aus meiner Reichweite und macht sich selbst zum Prellbock, so dass meine Schläge den Gegner nicht erreichen. Der Vermittler stört zwei Parteien, die ihren Streit austragen wollen, und riskiert selbst zwischen die Fronten und unter die Räder zu kommen. Genau das tat aber Jesus. Und wir müssen es uns vor Augen führen, um seinen Kreuzestod zu verstehen. Denn in dem großen Streit von Gott und Mensch ist Jesus mit voller Absicht zwischen die Fronten getreten. Er wollte zum Mittler werden, um die streitenden Parteien zu versöhnen. Und das Feuer von beiden Seiten wurde erst eingestellt, als Jesus tot war. Denn jede der Konfliktparteien hat in Jesus den Repräsentanten der Gegenseite gesehen. Er war’s ja auch wirklich! Jesus Christus war tatsächlich Gott und Mensch zugleich. Und jede Partei rechnete ihn zur Gegenseite. Als ewiger Sohn Gottes war er Mensch geworden, um den sündigen Menschen ihren himmlischen Vater nahe zu bringen. Aber eben dessen Nähe ertrugen die Menschen schlecht – und wollte ihn nicht haben. Jesus störte sie in ihrer Selbstgerechtigkeit, weil er Gottes Strenge und Güte zur Geltung brachte. Und so nervte dieser Repräsentant Gottes. Denn in Jesus kam uns Gott viel zu nah. Gott rückte uns kompromisslos auf den Leib. Und die Menschheit, die lieber „gott-los“ bleiben wollte, hat sich heftig dagegen gewehrt. Sie hat den Repräsentanten Gottes ans Kreuz geschlagen, um ihn aus der Welt zu schaffen, und damit Gott wieder auf Distanz zu bringen. Wenn wir die Perspektive aber umdrehen und das Kreuz von der anderen Seite betrachten, nämlich von Gott her: Stirbt dann der Mensch Jesus nicht auch als Repräsentant der sündigen Menschheit? Hat ihn der Vater nicht genau dazu „dahingegeben“, dass Jesus – als Mensch die Menschheit repräsentierend – die Strafe aller Sünder tragen sollte? Nicht allein Judas und Pilatus brachten Jesus ans Kreuz! Es war auch der Wille Gottes, den sich Jesus im Garten Gethsemane zu eigen machte. Was am Kreuz über Christus niederging, war nicht nur der gegen Gott gerichtete Zorn der Menschheit, sondern zugleich der gegen die Sünder gerichtete Zorn Gottes. Die Menschheit verneinte den gerechten Gott, Gott aber verneint die ungerechte Menschheit. Sie prallten genau dort aufeinander, wo Jesu Kreuz in der Mitte stand. Der aber ist ganz bewusst „dazwischengegangen“. Ihn trifft die tödliche Ablehnung, die eine sündige Menschheit gegen Gott richtet. Von der anderen Seite trifft ihn zugleich die tödliche Ablehnung, die Gott gegen uns Sünder richtet. Und beides zieht Christus mit voller Absicht auf sich. Der Zorn der Menschen ist dabei völlig unberechtigt, während der Zorn Gottes gute Gründe hat – den Unterschied darf man keinesfalls vergessen! Doch Jesus will der Blitzableiter für beides sein. Weil er „dazwischengeht“, trifft es ihn ganz fürchterlich. Aber danach ist tatsächlich eine neue Situation entstanden. Denn zweimal Minus ergibt Plus. Der Mann aus Nazareth wurde zwischen den Fronten zerrieben. Aber indem sich die wechselseitige Verneinung an seiner Person entlud, hat sie sich auch verausgabt. Jesus hat sich schützend vor beide Seiten gestellt und das mit seinem Leben bezahlt. Aber das hat die Lage dann auch dauerhaft verändert. Denn Gott (in seiner Perspektive) sieht die Menschheit nun immer zusammen mit dem schuldlosen Jesus, der ihre Schuld getragen hat. Und die Menschheit (soweit sie glaubt) sieht Gott immer zusammen mit seinem Sohn, dessen Hingabe ihr die Liebe des Vaters offenbart. Wollte Gott noch die Hand erheben gegen die Gläubigen, die „in Christus“ sind, würde er immer seinen Sohn treffen. Wollte ein Christ noch feindselig sein gegen Gott, würde er damit zuallererst Christus verletzen. Und so ist eine Fortsetzung des Konfliktes undenkbar geworden. Gott kann keinem Christen mehr feind sein, weil er kein Feind Christi sein kann. Und umgekehrt gilt dasselbe. Denn wir können dem Gott nicht misstrauen, der uns in seinem Sohn so liebevoll begegnet ist. Folglich legen wir alle Waffen nieder, denn der Streit ist geschlichtet, und Versöhnung vollzogen. Christus hat die Beziehung von Gott und Mensch auf eine neue Basis gestellt. Und die ehemaligen Kontrahenten sehen sich nun mit anderen Augen. Denn seit Christus „dazwischenging“, sehen wir Gott nur noch im Verbund mit Christus. Und Gott sieht auch uns nur noch im Verbund mit Christus. Wenn Gott auf die Menschheit schaut, kann er nicht anders als Christus „mitzusehen“, der da als Mensch unter den Menschen steht. Wenn aber die Menschheit auf Gott schaut, kann auch sie nicht anders als Christus „mitzusehen“, der da als Sohn ganz nah bei seinem Vater steht. Christus hat sich beiden Seiten so eng verbunden, dass sie in der Beurteilung des Gegenübers nicht an ihm vorbeikommen. Gott kann nicht mehr davon absehen, dass wir die Sünder sind, für die sein Sohn starb – Christus ist immer „mit im Bild“. Und wir Sündern können nicht mehr ausblenden, dass Gott-Vater aus Liebe zu uns seinen Sohn dahingegeben hat – auch da ist Christus nun immer „mit im Bild“. Wollte Gott gegen uns die Hand erheben, würde der Schlag zuerst Christus treffen – darum verdammt er die nicht mehr, die „in Christus“ sind. Wollten wir aber Gott weiter beleidigen und weiter seine Gebote verletzen, ginge auch das auf Christi Kosten und vermehrte seine Schmerzen – weshalb wir so etwas nun unterlassen. In Gottes Perspektive steht Christus an unserer Seite. In unserer Perspektive steht er an Gottes Seite. Und so ist gar kein Kontakt mehr denkbar, der nicht durch Christus vermittelt wäre. „An Christus vorbei“ geht da gar nichts! Und das ist wahrlich gut so. Denn abgesehen vom Evangelium Jesu, in dem sich Gott uns zugute gebunden hat, ist er durchaus frei, ist unberechenbar und für jeden Sünder ein verzehrendes Feuer. Wo Christus fehlte, da wäre auch keine Gnade, und wir dürften es nicht wagen, Gott zu begegnen! Doch eben das wird niemals passieren, weil Christus nicht aufhört, fürbittend für seine Gemeinde einzustehen und Gott gegenüber ihr „Mittler“ zu sein. Wer im Johannesevangelium das „hohepriesterliche Gebet“ liest, mit dem Jesus seine Jünger Gott ans Herz legt, könnte vielleicht meinen, das sei ein einmaliges Beten und Bitten gewesen (Joh 17,1ff.). Doch tatsächlich hat es seither nicht geendet – und wird auch nie enden –, weil Christi Himmelfahrt und sein „Sitzen zur Rechten Gottes“ eben diesen Sinn haben, dass Christus die Seinen unablässig vor dem Vater vertritt. Er ist quasi unser Advokat und Verteidiger, der sich vor Gott für uns einsetzt, der stets unsere Partei ergreift und „ein gutes Wort für uns einlegt“. Denn so wird es uns im Neuen Testament zugesagt. Christi Priestertum ist unvergänglich, sagt der Hebräerbrief, darum bittet er ohne Unterlass für seine Gemeinde (Hebr 7,24-25). „Wer will verdammen?“ ruft Paulus voller Zuversicht, da doch Christus zur Rechten Gottes ist „und uns vertritt“ (Röm 8,34). Und auch Johannes tröstet seine Gemeinde mit diesem Hinweis: „Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist“ (1. Joh 2,1). Seine Fürsprache wird nie enden und kann auch nicht versagen, weil allein Christus der eine, wahre Mittler zwischen Gott und den Menschen ist (1. Tim 2,5; Hebr 8,6; 9,15; 12,24). Kein anderer konnte die gestörte Verbindung heilen und Frieden stiften als Christus allein. Er aber tat’s erfolgreich und nachhaltig. Denn was am Kreuz geschah, war ja Gottes eigener Plan. Er wollte den Sündern eine Gerechtigkeit schaffen, die sonst immer außer ihrer Reichweite gelegen hätte. Gott „versöhnte die Welt mit sich selber“ (2. Kor 5,19). Da Christus nun aber zur Rechten Gottes sitzt, um den Blick Gottes beständig von unserer Sünde wegzulenken hin zu Christi eigener Gerechtigkeit, die unseren Mangel ersetzt – wie könnte seine Fürbitte jemals abgewiesen werden? Christus als unser Beistand verschafft uns freien Zugang zum Vater. Und wer in seinem Namen kommt, hat im Himmel nichts zu fürchten. Komme ich mit Christus an meiner Seite, lässt mich der Vater gelten und ist mir genauso freundlich gesinnt wie seinem Sohn. Ja, der Vater schließt mich in das positive Urteil ein, das über Christus ergeht. Komme ich aber ohne ihn, in meinem eigenen Namen, und erscheine vor Gottes Thron ohne diesen Fürsprecher, werde ich es bitter bereuen. Denn ich für mich habe ja nichts vorzubringen, was mich entschuldigen könnte. Und gewiss gibt es auch keinen anderen, der sich schützend vor mich stellen wollte. Darum haben die Reformatoren sehr davor gewarnt, sich etwa mit Gebeten an die Engel zu wenden, irgendeine Hoffnung auf die Vermittlung der Heiligen zu setzen oder die Fürsprache der Maria zu erbitten. Denn die haben dazu keinen Auftrag und können mir Christus nicht ersetzen. Kein Engel ist für meine Sünden gestorben, kein Heiliger hält für mich den Kopf hin – und auch Maria erklärt sich für unzuständig. Niemand kann vor Gott ein gutes Wort für mich einlegen, wenn es Christus nicht tut. Denn Recht und Befugnis, zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln, hat nur er. Kein anderer stellt sich freiwillig zwischen Gottes Zorn und einen elenden Sünder! Christus aber tat es auf Golgatha und tut’s immer wieder, um uns den Hals zu retten. Hinter keinem anderen finden wir Deckung. Denn alles fegt Gott beiseite, außer seinem Sohn. Nur der kann wirklich etwas für uns tun. Und so ist es nach wie vor falsch, wenn katholische Christen die Engel, Maria oder die Heiligen anrufen und bitten, die mögen ein gutes Wort für sie einlegen. Denn die sind ja nicht „dazwischengegangen“. Jesus Christus aber hat genau das zu seiner Aufgabe gemacht. Er will für uns geradestehen. Er kann es auch. Und so ist es das Klügste, ihn für uns sprechen zu lassen. Denn wir sollten nicht meinen, wir könnten uns vor Gottes Gericht selbst verteidigen. Und wir sollten uns unseren Rechtsbeistand auch nicht selbst suchen. Wie steht‘s also? Haben wir Christus schon ganz persönlich das Mandat erteilt und ihm die Vollmacht unterschrieben, dass er als Verteidiger für uns sprechen soll? Wir werden keinen finden, der unsere Nöte besser kennt als Christus, der ja selbst als Mensch geboren wurde. Wir werden keinen finden, der uns mehr liebt und entschlossener für uns eintritt! Christus aber kann Gott gegenüber jederzeit darauf verweisen, dass er unsere Strafe bereits am Kreuz gebüßt und dadurch unsere Schuld beglichen hat. Seine Wundmale beweisen, dass er die Sache für uns erledigt hat. Der Vater aber wird das Bitten seines lieben Sohnes gerne erhören und wird die Anklage gegen uns fallen lassen, weil die Argumentation ja zwingend ist: Bereits gesühnte Taten können nicht erneut zum Gegenstand eines Prozesses werden. Und den Freunden seines Sohnes steht der Vater sowieso nicht feindselig gegenüber. Er hat ja Freude daran, gnädig zu sein! Er bricht nicht den Frieden, den sich Christus so viel hat Kosten lassen! Wir aber müssten verrückt sein, diesen Frieden zu gefährden, oder unserem Mittler bei seiner Arbeit im Wege zu stehen. Denn einen anderen Fürsprecher, der uns den Kopf retten könnte, haben wir nicht. Lassen wir ihn also tun, was er für uns tun will. Pfuschen wir ihm nicht ins Handwerk. Seien wir ihm aber ewig dafür dankbar, dass er uns vor Gott vertritt. 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Christ on the Cross

Władysław Wankie, Public domain, via Wikimedia Commons