Heilsgewissheit
Der gute Hirte

Heilsgewissheit

Wie schätzen sie ihre Chancen ein, in den Himmel zu kommen? „Ganz gut“ oder „eher schlecht“? Haben sie bloß eine vage Hoffnung, dass Gott sie freundlich aufnehmen wird? Oder haben sie feste Gewissheit? Viele versuchen sich in dieser Frage Klarheit zu verschaffen, indem sie sich selbst und ihren moralischen Zustand kritisch beobachten. An „guten Tagen“ sind sie dann optimistisch und denken „Ich bin mit mir zufrieden, warum soll nicht auch Gott mit mir zufrieden sein?“. Aber an „schlechten Tagen“ – wenn sie mal wieder lieblos mit ihren Mitmenschen umgegangen sind – sind sie pessimistisch: „So wie ich bin, kann Gott mich unmöglich lieben“ heißt es dann: „Ich bin kein guter Mensch“. Und weil solche Selbsteinschätzungen immer Schwankungen unterliegen, kommen die Betroffenen nicht zur Ruhe. Woran aber liegt‘s? Bestimmt nicht daran, dass diese Menschen wirklich „schlechtere Christen“ wären als andere. Vielmehr vermute ich, dass ihre Angst, religiös zu „versagen“ und von Gott abgelehnt zu werden, auf einem Missverständnis beruht:

Sie nehmen an, Gottes Wohlwollen sei daran gebunden, dass sie sich seines Wohlwollens würdig erweisen. Und sie folgern, sie könnten nur in Gottes Reich aufgenommen werden, wenn sie zu ihrer Erlösung einen gewissen „Eigenbeitrag“ leisten. Sie geben durchaus zu, dass die Erlösung Gottes Geschenk ist. Vielleicht sogar zu 99%. Aber das verbleibende 1%, das sie selbst meinen beisteuern zu müssen, genügt als „Unsicherheitsfaktor“. Denn mag auch Gottes Gnade außer Zweifel stehen, so bleibt doch immer fraglich, ob auch der Mensch „seinen Teil“ getan und sich ausreichend bemüht hat. Man kann schließlich immer noch mehr tun. Man wird nie sagen können, man habe nun genug geliebt, genug gebetet, genug vergeben, genug geglaubt, genug gegeben. Was aber folgt daraus? Müssen wir bis zuletzt zittern und zagen? Erfahren wir erst im Himmel, ob Gott uns wohlgesonnen ist?

Die evangelische Kirche bestreitet das, weil der Gedankengang, der zu solcher Besorgnis führt, auf falschen Voraussetzungen beruht. In Wahrheit gibt es nämlich gar keinen „Eigenbeitrag“, den wir zu unserer Erlösung leisten müssten. Und darum gibt es auch keinen „Unsicherheitsfaktor“. Alles, was nötig war, hat Jesus Christus aus Liebe zu uns getan, als er am Kreuz für uns starb. Und weil seine Tat keiner „Ergänzung“ oder „Vervollständigung“ durch menschliche Anstrengungen bedarf, darum können wir als Christen gewiss sein, dass Gott uns nicht ablehnen und verwerfen wird. Das gilt auch, wenn wir uns wie religiös–moralische Versager vorkommen. Dass Gott uns liebt und in sein Reich aufnehmen will, ist trotzdem gewiss, weil das, was nicht auf unseren Leistungen gründet, auch nicht durch unser Versagen gefährdet werden kann. Ich will das an einem Beispiel aus der Tierwelt verdeutlichen: Wenn eine Affenmutter eine Gefahr wahrnimmt und mit ihrem Jungen auf den Baum fliehen will – wie trägt sie dann ihr Kind? Die Affenmutter trägt ihr Kind am Bauch. Das Kind krallt sich mit Händen und Füßen fest in das Fell der Mutter. Die Mutter aber hat Arme und Beine frei, um in die Bäume zu steigen. Katzen dagegen tragen ihre Jungen anders. Wenn in der Umgebung der Katzen eine Gefahr auftaucht und die Katzenmutter ihr Junges in Sicherheit bringen muss, packt sie es mit den Zähnen im Genick. Das Katzenjunge macht sich dann steif und tut gar nichts, die Mutter aber hat das Nackenfell fest im Maul und kann das Kleine davontragen.

So merkwürdig es auch klingt: Dieser Unterschied zwischen Affen und Katzen ist dem eben beschriebenen ganz ähnlich. Es ist der Unterschied zwischen 99 und 100 Prozent. Ob das Affenjunge gerettet wird, hängt zwar zu 99% von der Schnelligkeit der Mutter ab. Es hängt aber wenigstens zu 1% auch davon ab, ob sich das Junge fest genug in das Fell der Mutter krallt. Indem es sich festhält, muss das Affenjunge einen Beitrag zu seiner Rettung leisten, denn wenn es nicht zupackt, fällt es herunter. Genau so missverstehen von Selbstzweifeln geplagte Christen ihr Verhältnis zu Gott. Sie meinen, sie müssten sich unermüdlich um persönliche Verdienste bemühen, weil sie anderenfalls das Wohlwollen Gottes verspielten und verlören. Ihre Rettung erscheint ihnen bis ans Ende ungewiss, weil sie nie wissen, ob sie „genug“ getan haben. Doch diese Sorge beruht auf falschen Voraussetzungen. Denn in Wahrheit gleichen Christen den Katzenkindern. Und ob ein Katzenjunges gerettet wird, hängt in keiner Weise von ihm selbst ab. Es tut nichts zu seiner Rettung und kann insofern auch nichts falsch machen. Es wird am Nackenfell aus der Gefahrenzone herausgetragen und könnte nur dann herunterfallen, wenn die Katzenmutter ihren Biss lockerte. Hier hängt alles zu 100% von der Mutter ab. Und ebenso hängt für den Christen alles zu 100% von Gott ab. Er kann und muss zu seiner Rettung keinen Beitrag leisten, sondern wird von Gottes Gnade getragen. Und gerade das macht ihm die Rettung gewiss. Denn was nicht auf meiner Leistung gründet, kann auch nicht durch mein Versagen gefährdet werden. Ist das nicht ungeheuer tröstlich für alle, die um ihre Schwäche wissen?

Einem von Selbstzweifeln geplagten Christen kann man nur raten, statt der eigenen Schwäche lieber Gottes Stärke in den Blick zu nehmen. Auch einem Kätzchen, das an seiner Rettung zweifelt, würde man ja sagen: „Spürst du nicht den festen Griff deiner Mutter im Nacken? So fest dieser Griff und so stark deine Mutter ist, so gewiss ist deine Rettung!“ Dem Christen aber, der an Gottes Wohlwollen zweifelt, muss man dasselbe sagen: „Spürst du nicht, dass Gott nach dir gegriffen hat? Bist du nicht getauft? Gehst du nicht zum Abendmahl? Ist dir nicht zugesagt, dass Gott es gut mit dir meint? Na also! So verlässlich wie Gottes Zusage, so gewiss ist auch deine Erlösung! Grüble nicht darüber nach, ob du wohl gut genug und fromm genug bist. Du bist es gewiss nicht! Und trotzdem wird dein Versagen Gottes guten Plan nicht zu Fall bringen. Er hat dich nie wegen deiner Leistungen geliebt – warum also soll er dich wegen deiner Fehlleistungen verwerfen? Er hat zwar keinen Grund, aber er braucht auch keinen Grund, um dich zu lieben. Seine Liebe hat ihren Grund in sich selbst. Darum finde dich einfach damit ab, dass du unverdient in den Himmel kommen wirst (wie alle anderen Christen auch). Du sollst zwar vieles tun zum Wohle deiner Mitmenschen – aber nichts sollst du tun zu deiner eigenen Rettung. Denn was Christus für dich tat, war keine halbe Sache. Er hat die Entscheidung über deine Seele wohlweislich nicht deinen eigenen Händen überlassen. Sie liegt allein in seiner Hand – und dort liegt sie gut. Sei dessen gewiss und freue dich!“

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: The Good Shepherd

Henry Ossawa Tanner, Public domain, via Wikimedia Commons