C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Neunte Abendvorlesung. (21. November 1884.)

 

Nach den neuesten Berechnungen der ethnologischen Statistiker leben gegenwärtig über 1400 Millionen Menschen auf der Erde und unter denselben bekennen sich noch nicht ganz 400 Millionen, also noch nicht der dritte Theil der Menschheit, zu Christo, in dem allein Heil und Seligkeit zu finden ist. Eine so erschreckliche, wahrlich beweinenswürdige Thatsache das ist, so ist doch nicht weniger schrecklich und nicht weniger beweinenswürdig, daß nun auch unter diesen 400 Millionen sogenannter Christen beinahe die Hälfte noch Anhänger sind des Pabstes, des Antichristen. Es ist das ein so schauerliches, trauriges Geheimniß, daß wahre Christen sich fürchten, offenen Auges hineinzuschauen in diesen Abgrund unbeschreiblichen Jammers und Elends. Wohl wollen jetzt sehr viele, ja fast die meisten, welche Lutheraner sein wollen, nichts davon wissen, daß der Pabst der Antichrist und das Pabstthum das Antichristenthum sei. Wenn die rechtgläubig americanisch-lutherische Kirche das noch heute bekennt in vollem Ernst mit der ganzen Kirche der Reformation und in Uebereinstimmung mit den Bekenntnissen dieser Kirche, so nennt man das im besten Falle eine Schrulle beschränkter Köpfe, die der Zeit nicht folgen wollen. Woher mag das kommen? Das kommt vor allen Dingen daher, daß man nicht mehr weiß, was den Antichristen zum Antichristen, was das Antichristenthum zum Antichristenthum macht. Man spricht nämlich: „Wir geben wohl zu, daß (S. 63) es viele Päbste gegeben hat, namentlich im Mittelalter, welche wahre Scheusale waren, welche, wie selbst papistische Schrifsteller zugeben, die Hölle verschlungen hat.“ Man gibt zu, daß auch noch heute viele erschreckliche Greuel dort im Schwange gehen, aber man spricht: „Wo gibt es eine Kirche, in der nicht Irrthümer vorhanden sind, ja, wo nicht Judasse sind?“ Man gibt ferner zu, daß im Pabstthum die greulichsten Ketzereien im Schwange gehen, aber man betont, daß man ja auch im Pabstthum an den drei öcumenischen Bekenntnissen durchaus festhalte. Denn als im Jahre 1545 das tridentinische Concil eröffnet wurde und sich feierlich constituirte, da begann man damit, jene drei Bekenntnisse herzusagen. So ruft man uns zu: „Auch die Päbste glauben, daß die Bibel Alten und Neuen Testaments Gottes geoffenbartes Wort, daß Gott dreieinig sei, daß Christus Gott und Mensch in Einer Person sei, ein Heiland der Welt sei.“ „Sie bekennen eben so gut wie wir“, sagt man, „eine noch zu erwartende Auferstehung der Todten, ein jüngstes Gericht über alles Fleisch; sie glauben auch, daß es einen Himmel und eine Hölle gibt.“ „Weit gefehlt also“, setzt man hinzu, „daß das Pabstthum sollte das Antichristenthum sein, so ist es vielmehr ein starker Damm gegen die schreckliche Sündfluth des Unglaubens, welche über die Christenheit gekommen ist.“ Pantheismus, Materialismus, Atheismus, Socialismus, Nihilismus, Anarchismus, und was alles diese schrecklichen Erbschaften der neueren Zeit sind, hält man für das Antichristenthum. Aber woher kommt es, frage ich nochmals, woher kommt es, daß man daraus schließen will: „Also ist das Pabstthum nicht das Antichristenthum und der Pabst nicht der Antichrist?“ Man bedenkt eben vor allem dieses nicht, daß der Pabst will der Stellvertreter Christi auf Erden sein und das sichtbare Oberhaupt der ganzen Christenheit. Wenn er das sein will, so muß er ja auch viele christliche Lehren bekennen, er muß sich maskiren, sonst könnte ein Antichrist innerhalb der Christenheit unmöglich existiren. Und er muß ja den Feinden aller Religionen und den Feinden der christlichen Religion den Kampf erklären, denn er weiß: wenn Christus fällt, so muß auch der Antichrist fallen. Denn wenn der fällt, dessen Statthalter er sein will, so ist es auch mit seiner Statthalterschaft zu Ende. Wenn der Pabst für Christum und das Christenthum scheinbar kämpft, so kämpft er für sich und sein Reich. Aber das Allerwichtigste ist dies, daß der Pabst allein in der ganzen Christenheit – denn jene Gemeinschaften, welche den dreieinigen Gott leugnen, rechne ich nicht zur Christenheit – daß der Pabst ganz allein in der ganzen Christenheit ein Feind ist der freien Gnade in Christo, ein Feind des Evangeliums unter dem Schein des Christenthums, unter Nachäffung christlicher Institute. Darauf werden wir hingeleitet durch (S. 64)

 

Thesis V.

Die erste und zwar die offenbarste und gröbste Art und Weise der Vermischung von Gesetz und Evangelium ist, wenn man, wie dies Papisten, Socinianer und Rationalisten thun, Christum zu einem neuen Moses oder Gesetzgeber und so das Evangelium zu einer Werklehre macht, hingegen, wie die Papisten, die verdammt und verflucht, welche das Evangelium als eine Botschaft freier Gnade Gottes in Christo lehren.

 

Daß das aber die Papisten thun, dafür zwei Zeugnisse. Das tridentinische Concil, welches das Pabstthum wieder aufbauen wollte, nachdem es tödtliche Wunden erhalten hatte durch Luthers Reformation, wurde bekanntlich zwei Monate vor Luthers Tod eröffnet. Sess. IV. heißt es: „Der hochheilige, ökumenische und allgemeine im heiligen Geiste rechtmäßig versammelte trienter Kirchenrath . . . sich dieses stets vor Augen haltend, damit, nach Entfernung der Irrthümer, in der Kirche die Reinheit des Evangeliums bewahrt werde; dasjenige, was zuvor durch die Propheten in den heiligen Schriften verheißen, unser HErr JEsus Christus, der Sohn Gottes, mit eigenem Munde zuerst verkündigt, dann befohlen hat, daß es durch seine Apostel als die Quelle sowohl aller Heilswahrheit, als Sittenvorschrift aller Creatur gepredigt werde“ etc. Das klingt nicht so schrecklich im Anfang. Das ganze Geschmeiß der antichristischen Bosheit redet auch davon, daß das Evangelium heilsame Lehren enthalte, aber gleich setzen sie hinzu, daß es auch Sitten vorschreibe. Das sei es, was Christus gewollt habe, wenn er sagte: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Creatur“, Marc. 16,15. Da habe er sagen wollen: „Sagt ihnen das Evangelium, sagt ihnen, was für Sitten und was für Werke sie thun sollen.“ Da sehen wir auch, daß sie das Evangelium im wahren Sinn des Worts nicht haben wollen, es nicht annehmen. In ihrem Sinn ist es im besten Falle ein Gesetz, wie es Moses gebracht hat. Sie treiben auch nicht sowohl Gottes Gebote, als vielmehr die Gebote der Kirche. Uebertritt einer Gottes Gebote, dann lassen sie ihn in Ruhe; aber übertritt er die Gebote der Kirche, so quält man ihn so lange, bis er zugibt, er habe eine Todsünde begangen, daß er z. B. am Freitag Fleisch gegessen hat. Sess. VI., can. 21. sagt diese synagoga diaboli: „Wenn jemand sagt, daß Christus Jesus den Menschen von Gott als Erlöser gegeben worden sei, dem sie vertrauen sollen, und nicht auch als ein Gesetz- (S. 65) geber, dem sie gehorchen sollen, der sei verflucht.“ – Damit ist das ganze Christenthum umgestoßen. Wenn Christus in die Welt gekommen ist, um uns neue Gesetze zu bringen, dann könnten wir wohl sagen, er hätte können oben bleiben im Himmel. Moses hatte uns schon ein so vollkommenes Gesetz gebracht, daß wir es nicht erfüllen konnten. Wenn nun Christus uns noch neue Gesetze gebracht hätte, so hätte uns das müssen zur Verzweiflung bringen. Dagegen ist schon das Wort „Evangelium“. Daß Christus selbst sein Wort Evangelium nannte, wissen wir aus Marc. 16,15.: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Creatur.“ Und damit man wisse, was er unter Evangelium verstehe, setzt er den concreten Inhalt hinzu: „Wer da glaubet und getauft wird“ etc. Wenn Christi Lehre ein Gesetz wäre, dann wäre es nicht ein „euangelion“, nicht eine Freudenbotschaft, sondern eine Trauerbotschaft. Gehen wir in das Alte Testament, so sehen wir ebenfalls, was es für eine Bewandtniß habe mit seiner Lehre. 1 Mos. 3,15.: „Und derselbe soll dir den Kopf zertreten.“ Was liegt in diesen Worten? Dieses: Der Messias, der Erlöser, der Heiland werde nicht kommen, uns zu sagen, was wir thun müssen, welche Werke wir verrichten müssen, um aus dem schrecklichen Reich der Finsterniß, der Sünde und des Todes herauszukommen, sondern das werde der Messias selbst thun, das werde er uns nicht überlassen. „Er wird der Schlange den Kopf zertreten“, das heißt doch nichts anderes, als, er werde das Reich des Teufels zerstören. Des Menschen Aufgabe ist nun nur, zu erkennen, er sei erlöst, er sei frei aus diesem Kerker, habe nichts zu thun als zu glauben, es anzunehmen und sich von Herzen darüber zu freuen. Wenn gesagt wäre: „Er wird euch selig machen“, so wäre das nicht so tröstlich, auch nicht, wenn es hieße: „Ihr müßt ihm glauben“, denn dann hätte man gar nicht gewußt, was unter diesem Glauben zu verstehen sei. Dieses Protevangelium war die Quelle, woraus die Gläubigen im Alten Testament ihren Trost schöpften. Da war es wichtig, daß sie wußten: „Es kommt einer, der wird uns nicht nur sagen, was wir thun müssen, um in den Himmel zu kommen, nein, der Messias wird selbst alles thun.“ Nun kann ja keine Frage sein, wenn das Reich des Teufels zerstört ist, was ich thun muß. Ist es zerstört, dann bin ich frei, dann habe ich nichts zu thun, als mir das anzueignen. Das meint ja die Schrift mit dem Wort: „Glaube!“ Das heißt: „Eigne es dir an, was Christus erworben hat“ – Man könnte nun noch viele Weissagungen zum Beweis hiefür bringen. Nur noch an eine erinnere ich Sie, welche uns recht zeigt, was die Lehre des Evangeliums eigentlich sei. (S. 66) Jer. 31,31-34.: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HErr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen. Nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern machte, da ich sie bei der Hand nahm, daß ich sie aus Egyptenland führete; welchen Bund sie nicht gehalten haben, und ich sie zwingen mußte, spricht der HErr; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel machen will nach dieser Zeit, spricht der HErr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben, und in ihren Sinn schreiben; und sie sollen mein Volk sein, so will ich ihr Gott sein. Und wird keiner den andern, noch ein Bruder den andern lehren, und sagen: Erkenne den HErrn; sondern sie sollen mich alle kennen, beide Klein und Groß, spricht der HErr. Denn ich will ihnen ihre Missethat vergeben, und ihrer Sünde nimmer mehr gedenken.“ – Einen neuen Bund will Gott also machen! Das ist wohl zu merken. Dieser Bund soll uns kein Gesetzesbund sein, wie der Bund, welchen Gott mit Israel auf dem Berge Sinai aufrichtete. Der Messias wird nicht sagen: „Ihr müßt so und so beschaffen sein, müßt so und so leben und die und die Werke müßt ihr thun“, nein, der Messias wird keine solche Lehre bringen. Er schreibt gleich das Gesetz in das Herz hinein, so daß ein solcher Mensch sich selbst ein Gesetz ist. Nicht von außen wird er gezwungen, sondern von innen wird er gedrungen. „Denn ich will ihnen ihre Missethat vergeben und ihrer Sünde nimmer mehr gedenken.“ Damit wird der Grund angegeben zu dem Vorhergehenden. Das ist die Summa des Evangeliums Christi: Vergebung der Sünden aus freier Gnade um Christi JEsu selbst willen. Wer darum denkt, Christus sei ein neuer Gesetzgeber, er habe uns neue Gesetze gebracht, der durchstreicht das ganze Christenthum. Denn dadurch unterscheidet sich die christliche Religion von allen andern Religionen der Welt. Alle andern Religionen sagen: „So und so mußt du beschaffen sein, die und die Werke mußt du verrichten, wenn du in den Himmel kommen willst.“ Die christliche Religion sagt aber: „Du bist ein verlorner und verdammter Sünder, du kannst dich nicht selbst selig machen! Aber verzweifle darum nicht! Es hat einer für dich die Seligkeit erworben! Christus hat dir die Pforten des Himmels aufgethan und ruft dir zu: Komm, es ist alles bereit! Komm zur Hochzeit!“ Daher sagt auch Christus: „Ich bin ein Arzt für die Kranken und nicht für die Gesunden. Ich bin gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Frommen.“ Wo wir den HErrn JEsum sehen, da ist er von Sündern umgeben, und hinter ihm stehen lauernd die Pharisäer. Aber hungernd und dürstend stehen die Sünder um ihn, er hat ihnen das Herz abgewonnen, an ihn – obgleich die göttliche Majestät (S. 67) aus ihm hervorleuchtete – getrauen sie sich heran, gewinnen Vertrauen zu ihm. Die Pharisäer sagen bitter: „Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen.“ Der HErr hört es, und wenn er es auch nicht gehört hätte, so wußte er es doch. Und was thut der HErr? Er vertheidigt sich nicht, er sagt nicht: „Ich will keine Sünder, sondern Fromme haben“, sondern er bestätigt ihre Aussage: „Ja, ich will die Sünder haben“, und er beweist ihnen das mit dem Gleichniß vom verlornen Schäflein. Der Hirt nimmt das verlorne Schäflein an, und wenn es noch so zerrissen und verwundet ist; er nimmt es auf seine Achsel und trägt es heim mit Freuden. Ferner erklärt er sein Verhalten in dem Gleichniß vom verlornen Groschen. Das Weib sucht den Groschen im ganzen Haus, sucht ihn im Schmutz, und hat sie ihn gefunden, so ruft sie ihren Freundinnen und spricht: „Freuet euch mit mir; ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte.“ Dann fügt der HErr noch das unvergleichlich schöne Gleichniß vom verlornen Sohn hinzu. Da sagt der HErr also: „Das ist meine Lehre: Dazu bin ich gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ Sehen Sie das ganze Leben JEsu an, so sehen Sie: er geht nicht umher, wie ein stolzer Philosoph, wie ein Moralist, der lauter Tugendhelden um sich hat, die er lehrt, wie sie den höchsten Grad philosophischer Vollkommenheit erreichen können; nein, er geht umher und sucht die verlornen Sünder und sagt sogar, daß die Huren und Zöllner werden eher ins Himmelreich kommen, als die stolzen Pharisäer. Damit zeigt er uns recht deutlich, was sein Evangelium ist. Dasselbe sagen aber auch alle Apostel. Joh. 1,17.: „Das Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch JEsum Christum geworden.“ Da setzt Johannes das Gesetz der Gnade und Wahrheit gegenüber. Also muß er doch unter Gnade und Wahrheit auch eine Lehre verstehen. Es ist so viel als: Christi Lehre ist die Lehre von Gnade und Wahrheit. Gnade brauche ich nicht zu erklären, und unter Wahrheit ist zu verstehen: „Ich lehre das Wesen dessen, was im Alten Testament nur vorgebildet ist. Im Alten Testament war nur der Schatten, ich bringe das Wesen.“ Der ganze levitische Gottesdienst war nur typisch. Christus aber brachte das, was im Alten Testament abgeschattet war. Joh. 3,17.: „Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde.“ Damit ist auf das klarste ein solcher Gedanke abgewiesen, als sei Christus gekommen, ein neues Gesetz zu predigen. Denn hätte er das gethan, so wäre er auch gekommen, die Welt zu richten. Denn das Gesetz richtet den Sünder. (S. 68) Aber nein, Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, die Welt zu richten, sondern daß die Welt – die verlornen, verfluchten, verdammten Sünder meint er – durch ihn selig werde. Denn warum heißt es „die Welt“? Die Welt ist abgefallen und verloren. Aber der Heiland bringt eine süße Lehre: „Und wenn ihr auch jedes göttliche Gebot schuldig seid, verzagt nicht, ich bringe euch Vergebung, Heil und Seligkeit.“ Röm. 1,16.17.: „Ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen. Sintemal darinnen geoffenbaret wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie denn geschrieben stehet: der Gerechte wird seines Glaubens leben.“ 1 Tim. 1,15.: „Das ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort, daß Christus JEsus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.“ – Ist es nun nicht erschrecklich, wenn angesichts dieser klaren Sprüche im Pabstthum gelehrt wird: „Was in der Schrift Evangelium genannt wird, ist nichts anderes, als ein neues Gesetz“? Anderwärts führen sie das näher aus und sagen, viele Gesetze seien aus Christi Munde gegangen, von denen habe Moses nichts gewußt. Darunter rechnen sie die Feindesliebe, daß man sich nicht rächen soll, daß man nicht wieder fordern soll, was einem genommen ist etc. Da sagen sie: „Das sind lauter neue Gesetze.“ Aber nein, schon Moses sagt: „Du sollst lieben Gott deinen HErrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüth, und deinen Nächsten als dich selbst.“ Christus hat nun dieses Gesetz Mosis nicht aufgehoben, aber er hat auch keine neuen Gesetze gegeben, sondern hat das Gesetz in seinem geistlichen Sinn aufgeschlossen. Darum sagt er auch Matth. 5,17.: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ Also ist er nicht gekommen, Gesetze zu geben, sondern das Gesetz zu erfüllen, damit wir seiner Erfüllung genießen können. Hören wir nun weiter, wie das tridentinische Concil nichts vom Evangelium wissen will, und diejenigen verdammt und verflucht, welche das Evangelium als eine Botschaft freier Gnade Gottes in Christo lehren. Con. Trid. Sess. VI.: „Wenn jemand sagt, die Menschen werden gerechtfertigt entweder allein durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, oder allein durch die Vergebung der Sünden, mit Ausschluß der Gnade und Liebe, die in ihren Herzen durch den Heiligen Geist ausgegossen wird und ihnen inhaftet, oder auch, daß die Gnade, durch welche wir gerechtfertigt werden, nur die Gunst Gottes sei: der sei verflucht. Wenn jemand (S. 69) sagt, der rechtfertigende Glaube sei nichts anderes, als ein Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit, welche die Sünden um Christi willen nachläßt, oder daß dieses Vertrauen es allein sei, wodurch wir gerechtfertigt werden: der sei verflucht. . . . Wenn jemand sagt, daß der Gerechtfertigte durch die guten Werke, die von ihm durch die Gnade Gottes und das Verdienst Jesu Christi, dessen lebendiges Glied er ist, geschehen, nicht wahrhaft verdiene die Vermehrung der Gnade, das ewige Leben, und, sofern er in der Gnade verscheidet, desselben ewigen Lebens Erlangung, . . . der sei verflucht.“ – Ich meine, deutlicher kann es nicht bewiesen werden, daß der Pabst der Antichrist ist, Sie müßten denn noch ganz blind sein und nichts wissen vom Christenthum. Die Papisten machen überall Kreuze hin, aber was ist das weiter als Heuchelei? Sie haben nur die Kreuze, aber nicht Christum. Immer wieder liest man, die Maria solle ihnen helfen, daß das Schifflein Petri nicht untergehe. Sagen: „JEsus ist unser Hort, unser Fels“ etc., wollen sie nicht gerne. Wahrlich, die allerschlimmsten Secten innerhalb der Christenheit sind weniger schlimm als der Pabst. Denn alle Secten ohne Ausnahme geben zu: „Wenn der Mensch selig werden will, so kann er es nur durch den Glauben an Gottes Gnade in Christo JEsu.“ Das Evangelium wird wohl in allen Secten verdunkelt, aber nicht verdammt und verflucht, wie der Pabst es thut. Und weil diese Thesis noch in allen Secten bleibt, so sind sie ungleich besser als das Pabstthum. Das sind verfälschte Kirchen, aber die Pabstkirche ist eine falsche Kirche. Falsches Geld ist kein Geld, so ist auch die Pabstkirche als eine falsche Kirche keine Kirche. Die Secten sind ecclesiae corruptae, aber die Pabstkirche ist eine Unkirche. Ich meine nicht die römische Kirche, sondern die Pabstkirche, die, welche dem Pabst sich unterworfen, seine Decrete annehmen und diese Flüche mit nachsprechen. Das ist die ecclesia maligna, die synagoga Satanae. Nun spricht man: Christus sagt ja Matth. 11,28-30.: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ Also lege Christus auch eine Last auf. Ja, die Römischen sagen, dieses Joch und diese Last Christi, diese Selbstverleugnung und das Aufsichnehmen des Kreuzes sei viel schwerer, als das Gesetz Mosis. Sie sagen: Moses hat nur die grobe, äußerliche That verboten, daher sie auch meinen, Christus verstehe unter den „Alten“, wenn er sagt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist“, den Moses. Aber Christus will sagen: „Die Alten haben euch in ihren Aufsätzen gelehrt, wenn ihr die grobe (S. 70) That nicht begeht, so habt ihr das Gesetz gehalten.“ Und nun legte Christus das Gesetz Mosis in seinem wahren Sinn aus. Luther schreibt in Bezug hierauf (Anm. über Matth., VII, 214): „Diejenigen irren gewaltig, die allhier das „Joch Christi“ auslegen durch das evangelische Gesetz, das ist, durch die Gebote, insofern sie von Christo gegeben werden.“ – Das Evangelium und das evangelische Gesetz sind bei ihnen Synonyma; sie nennen es auch nova lex. – „Und haben sich’s die Sophisten allhier sehr sauer werden lassen, zu zeigen, wie das Joch Christi leichter sei als das Joch Mosis, da doch Moses nur allein das Werk verbot, Christus aber auch noch dazu nur ein jegliches unnützes Wort und das ganze Herz untersagte.“ – Sie sagten, das Gesetz Mosis sei leicht gewesen, da Moses nur die grobe, äußere That verboten habe. Das behaupten sie, um zu beweisen, daß man im Alten Testament durch das Gesetz hätte können selig werden, denn das sei ja nicht so schwer gewesen. Das Gesetz im Evangelium sei nur insofern leicht, als es die Beschneidung und das Ceremonialgesetz aufgehoben habe. Aber das Joch und die Last, davon Christus hier redet, ist nichts anderes als das liebe Kreuz. – „Endlich haben diese blinden Leute den Schluß gemacht, das Gesetz und Evangelium verhielten sich gegen einander wie excedentia und excessa, nämlich das Gesetz sei in dem Stück leichter, als das Evangelium, weil es nicht das Herz, sondern die Hand (oder äußerliche, grobe That) verbiete, hingegen das Evangelium sei darinnen leichter, als das Gesetz, weil es die Beschneidung und die Ceremonien aufgehoben hätte. O Blindheit! welche sich wohl für solche Leute schickt, die das Evangelium aus Verachtung nicht lesen wollen. Das hätte man vielmehr lehren sollen, wie wunderbar die Kraft Christi an seinen Heiligen sei, der durch den Glauben in den Herzen der Menschen den Tod in ein Gelächter, die Strafe in eine Freude, die Hölle in einen Himmel verwandle. Denn die, so an ihn glauben, die verlachen und verachten alle diese Uebel, vor welchen die Welt und das Fleisch erschrecklich fliehen und Abscheu tragen. Das nennet Christus ein süßes Joch und eine leichte Last, das ist, mit Freuden das Kreuz tragen, gleichwie Paulus spricht: „Wir rühmen uns der Trübsalen.“ Röm. 5,3.“ – Sobald der Mensch durch wahre Buße zum lebendigen Glauben gekommen ist, dann ist er ein seliger Mensch, dann steht er schon vor den Pforten des Himmels, und sobald der Tod kommt, öffnen sich die Thore und er geht hinein. Aber weil es doch gefährlich ist, daß ein Christ nur gute Tage hat in dieser Welt, so hat der Heiland auch dafür gesorgt und ihm das Kreuz auferlegt. Sobald ein Christ seinen Glauben bekennt mit Wort und That, so werden ihm die Leute feind. Wenn die Feindschaft auch nicht äußerlich auftritt, so macht (S. 71) sie sich doch bemerkbar und macht dem Christen viel Noth. Ja, wie mancher hat sein Leben müssen lassen für Christum! Aber wie leicht ist die Last Christi gegen die Last des Gesetzes! Wer die Last des Gesetzes fühlt, der sagt: „Ich bin die elendeste Creatur!“ – ja, sie stürzt in Verzagung und Verzweiflung. Wer weder unter dem Gesetz noch unter dem Evangelium lebt; nun, der lebt eben wie ein animal dahin; aber wehe ihm, wenn sein Auge geöffnet wird nach dem Tode! Ein Christ aber kann sich darauf freuen, daß ihn Gott aus dem Jammer und Elend dieses Lebens erlösen wird; dann kann er Halleluja singen! Beispiele haben wir an den Märtyrern. Die gingen nicht weinend und klagend zum Richtplatz, nein, sie sind mit Freuden und Jauchzen dem Märtyrertod entgegengegangen. Da hat sich Christi Wort erfüllt: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ – Lassen Sie sich das nicht bloß gesagt sein, sondern wenden Sie das auf sich an. Denn das ist der Hauptzweck dieser Abendstunden, Sie im Christenthum zu fördern. Gott gebe, daß es nicht umsonst sei!

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