C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Vierundzwanzigste Abendvorlesung. (10. April 1885.)

 

Ungefähr hundert Jahre und etwa zwei Jahrzehnte ist es her, meine Freunde, da war der Rationalismus in der sogenannten protestantischen Kirche Deutschlands zur Herrschaft gekommen. Das war die Zeit ebensowohl der tiefsten Schmach und Erniedrigung, welche jemals das Volk erfahren hat, als auch des völligsten Abfalls von dem Evangelium von Christo. Da galten die oberflächlichsten Geister, die hohlsten Köpfe, die nicht eine Gelehrsamkeit von einiger Bedeutung hatten, für große Lichter, die ihrer eigenen Zeit vorangeeilt seien. Um zu solchem Ruhm zu ge- (S. 248) langen, dazu war nicht mehr nöthig, als daß ein sogenannter Theolog so kühn, oder vielmehr so frech war, alle geheimnißvollen Lehren des Christenthums für Irrthümer früherer, unaufgeklärter, finsterer Zeiten zu erklären und zugleich zu erklären, daß die Lehren von Gott, von Tugend und von Unsterblichkeit der eigentliche innere Kern der ganzen christlichen Religion seien. Ach, welch eine elende, erschreckliche Zeit! Es kam endlich dahin, daß die rationalistischen Prediger, um zu zeigen, daß sie immer noch nicht überflüssig seien in der Welt, vielmehr großen Nutzen schaffen könnten, auf ihren Kanzeln Themata, wie folgende, behandelten: „Von der rationellen Landwirthschaft“, „Von der Einträglichkeit der Kartoffel“, „Von der Nothwendigkeit der Baumpflanzung“, „Von der Wichtigkeit der Gesundheitspflege und ihrer rechten Beschaffenheit“ und dergleichen. Daß ich dieser Zeit nichts andichte, können Sie leicht sehen aus den rationalistischen Predigtbüchern, in welchen Sie dergleichen Themata mit großem Pathos werden behandelt finden. – Aber manche Rationalisten schämten sich doch dieser echten Schule des Rationalismus. Im Jahre 1772 erschien daher ein Buch: „Von der Nutzbarkeit des Predigtamtes, geschrieben zum Trost der Collegen.“ Diese Schrift war geschrieben von einem nicht ganz unbekannten Joachim Spalding. In diesem Buch erklärt er allerdings, daß solche Themata nicht ganz geeignet seien für die Kanzel, aber seine eigene Meinung bestand darin: wenn die Predigten nutzbar sein sollten, so müßte man nie zuerst von Glaubenslehren reden, denn die machten nur confus, sondern es müßten ganz allein die Lehren der praktischen Moral behandelt werden. So ist es auch nicht zu verwundern, daß in der damaligen Zeit viele Seelen, die noch die Frage in ihrem Herzen trugen: „Was muß ich thun, daß ich selig werde?“ unsere verwüstete Kirche verließen und entweder in die Herrnhuter Secte flüchteten, oder sich gar zu der römischen Afterkirche wendeten. Doch diese schreckliche Zeit ist, Gott sei Lob und Dank, für immer vorüber! Namentlich seit der glücklichen Beendigung der sogenannten Freiheitskriege gegen Napoleon I., dieses Ungeheuer, zog ein Frühlingshauch über ganz Deutschland. Ganze Massen erfuhren eine wahrhaft wunderbare Erweckung aus dem Todesschlaf des rationalistischen Unglaubens, und darunter nicht wenige Prediger. Seit dieser Zeit haben eben auch viele Prediger wieder angefangen, die trockene, trostlose und kraftlose heidnische, rationalistische Moral bei Seite zu legen und wieder Christum und den Glauben an ihn zu verkündigen als den einzigen Weg zur Seligkeit und schon hier zum wahren Frieden des Herzens. – Ach, möchte aber das nur immer recht geschehen sein und noch jetzt recht geschehen! Aber es ist leider nicht zu leugnen, daß auch jetzt noch von (S. 249) wohlmeinenden Predigern das Gesetz in das Evangelium vermischt wird und das Evangelium in das Gesetz und so den Zuhörern ein entsetzlicher Schade zugefügt wird. Möge Sie Gott in Gnaden davor bewahren, wenn Sie einst sollen eintreten in die Mitte einer Gemeinde, mit der Sie, soviel an Ihnen ist, vor dem Thron Gottes erscheinen und Rechenschaft geben sollen, ob Sie dieser Gemeinde das wahre Brod des Lebens gebrochen haben, und nicht schlechte Speise, davon die Seelen krank werden und wohl gar sterben, ob Sie treu gewacht haben. Daß dies erreicht werde, dazu möge auch die Betrachtung unserer dreizehnten Thesis gereichen.

 

Thesis XIII.

Gottes Wort wird neuntens nicht recht getheilt, wenn man den Glauben so fordert, als könne der Mensch sich denselben selbst geben oder doch dazu mitwirken, anstatt denselben durch Vorlegung der evangelischen Verheißungen selbst in das Herz hinein zu predigen zu suchen.

 

In dieser Thesis wird nicht das als falsch hingestellt, daß man den Glauben von den Zuhörern fordert, auch ernstlich fordert; ach nein, das haben alle Propheten, alle Apostel, das hat unser HErr JEsus Christus selbst gethan. Wenn wir den Glauben fordern, so ist das durchaus keine gesetzliche Forderung, sondern die allersüßeste Einladung, die nichts anders bedeutet als dies: „Kommet, denn es ist alles bereit!“ So wenig wie derjenige, der halb verhungert ist, sagen wird: „Ach was, ihr habt mir nichts zu befehlen!“ – wenn wir ihm sagen: „Komm her, du armer Hungriger, und sättige dich! Setze dich an meine gedeckte Tafel und iß, was dir schmeckt!“ so wenig ist auch das eine gesetzliche, sondern vielmehr eine evangelische Aufforderung, wenn ich den Glauben fordere. Nein, was hier als falsch erklärt wird, ist das, als könnte der Mensch sich den Glauben selbst geben. Denn sobald man das thut, so macht man den Glauben zu einem Menschenwerk und die Forderung des Glaubens wird eine gesetzliche. Dann liegt es auf der Hand, daß man das Gesetz in das Evangelium hineinmischt. Ein Prediger soll vielmehr so predigen, daß die Zuhörer, und wenn er auch kein Wort vom Glauben selbst sagt, doch eine rechte Glaubenspredigt hören. Auf die Nennung des Wortes „Glaube“ kommt es nicht an, sondern darauf, daß man so redet, daß ein jeder arme Sünder Lust bekommt, die Bürde seiner Sünden vor seinem HErrn JEsu Christo niederzulegen und zu sagen: „Du bist mein und ich bin dein.“ Darin ist vor allem Luther so groß. Er spricht selten: (S. 250) „Glaubt doch! Glaubt doch!“ aber er predigt so von Christi Werk, von der Seligkeit aus Gnaden, von dem Reichthum der Erbarmung Gottes durch JEsum Christum, daß jeder merkt: „Hier gilt es nur zu nehmen, hier gilt es auszuruhen in dem Schooß der göttlichen Gnade.“ Das ist die große Kunst, die müssen Sie zu lernen suchen, daß jeder Ihrer Zuhörer denkt: „Nun, wenn das wahr ist, dann bin ich auch ein glücklicher Mensch, dann ist meine Angst und Unruhe vergeblich gewesen. Dann bin ich auch erlöst, und zwar vollkommen; dann bin ich auch mit Gott versöhnt, und gehöre auch zu den Geretteten und zu denen, auf die Gott mit lauter Gnade herabsieht.“ Sobald der Mensch das denkt, so kommt er eben zum Glauben. Würden Sie z. B. einer Indianerhorde den HErrn JEsum vormalen, daß er der Sohn Gottes ist, daß er vom Himmel herabgekommen ist, um die Menschen von ihren Sünden zu erlösen, Gottes Zorn auf sich zu nehmen, um an ihrer Statt Tod, Teufel und Hölle zu überwinden und allen Menschen den Himmel zu öffnen, und daß nun jeder Mensch könnte selig werden, er brauche nur anzunehmen, was dieser unser HErr JEsus Christus uns gebracht habe, und gesetzt den Fall, in demselben Augenblick träfe Sie die tödtliche Kugel eines im Hinterhalt lauernden feindlichen Indianers, Sie würden erschossen, so wäre es doch möglich, daß Sie eine kleine indianische Gemeinde hinterließen, wenn Sie auch kein Wort vom Glauben gesagt hätten. Denn wer nicht ruchlos und muthwillig widerstrebte, der müßte denken: „Ich bin auch erlöst.“ Hingegen könnten Sie lange Zeit zubringen und immer sagen: „Ja, man muß auch glauben, wenn man selig werden will“, und die Zuhörer haben den Eindruck, es sei etwas von ihnen verlangt worden, und sie haben Sorge, ob sie das auch thun könnten, und wenn sie es könnten, ob es dann auch wirklich das sei, was Sie verlangt hätten. So können Sie viel vom Glauben gepredigt haben, und doch ist es keine Glaubenspredigt. Wer erkannt hat: „Hier gilt es zu nehmen“, der hat den Glauben. Durch den Glauben selig werden heißt ja: „Laß es dir nur gefallen, nimm es nur an, dann wirst du selig.“ Damit will ich jedoch nicht sagen, daß Sie nicht vom Glauben predigen sollen. An der rechten Erkenntniß hierin fehlt es namentlich in unsrer Zeit. Die besten Prediger meinen, sie haben sehr viel gethan, wenn sie den Leuten, so zu sagen, es eingebläut haben: „Der Glaube allein macht selig.“ Aber sie haben so gepredigt, daß die Zuhörer nun denken: „Ach, wenn ich den Glauben nur hätte! Das muß etwas sehr Schweres sein, denn ich habe es nicht erlangt“, und so gehen die armen Zuhörer aus der Kirche traurig nach Hause. Das Wort „Glaube“ hallt wohl wieder in ihren Ohren, aber es gibt ihnen keinen Trost. Schon (S. 251) Luther klagt, daß viele vom Glauben predigten, aber sie zeigten nicht, was das für eine Bedeutung habe, wie man dazu komme. Ein solcher Prediger kann sich Jahre lang abmühen und seine Gemeinde bleibt doch unerweckt. Daher kommt es auch, daß man viele Leute so reden hört, daß man gleich merkt, sie sind ihres Heils nicht gewiß, sie wanken und schwanken hin und her. Und wenn man ihnen sagt: „Du mußt heute sterben!“ da gerathen sie in eine entsetzliche Angst und Noth. Und wer ist daran Schuld? Der Prediger, der so verkehrt vom Glauben predigt. Wenn man nun sagt, man solle den Glauben fordern, so ist damit nicht gesagt, daß der Mensch sich denselben selbst geben könne. In der Schrift wird alles vom Menschen gefordert, da wird von allen Geboten gefordert: „Thue das, so wirst du leben.“ In der Schrift wird gefordert: „Machet eure Herzen keusch!“ Es wird gefordert: „Stehe auf von den Todten, so wird dich Christus erleuchten.“ Daraus folgt aber durchaus nicht: „Also kann der Mensch diesen Forderungen auch nachkommen.“ Nein, „a debito ad posse non valet consequentia“ – das ist ein altes, wahres Sprüchwort. Wenn ein Schuldherr sagt: „Du mußt mich bezahlen“, damit ist nicht gesagt, daß der Schuldner nun auch bezahlen kann. Auch im täglichen Leben kann es vorkommen, daß einer einmal zu seinem Schuldner hingeht und spricht: „Jetzt bezahle mich einmal!“ Er weiß, daß der ihn nicht bezahlen kann, aber er sieht vielleicht, wie derselbe ganz leichtsinnig dahingeht und wohl gar noch stolz und hochmüthig sich geberdet, und nun will er ihn durch die Erinnerung an seine Schulden einmal von seinem Hochmuth abbringen, er soll zu Kreuz kriechen. So macht es auch der liebe Gott. Zeigt mir Gott, was ich zu thun schuldig bin, stellt er seine Forderungen an mich, so sehe ich ein, ich kann es nicht thun, oder ich will es nun thun und kann es doch nicht durch mein Rennen und Laufen erreichen. Und dann, wenn er mich gedemüthigt hat, kommt der liebe Gott mit seinem Evangelium. Aber daran fehlt es eben heute. Wenn die Leute sagen: „Ich kann aber nicht glauben“, so erwidert man: „O ja, du kannst schon glauben, du mußt nur glauben wollen! Du kannst deine Sünden schon los werden, du mußt nur dagegen kämpfen!“ Das ist aber eine schändliche Predigtweise! Ach, die Synergisten haben das Evangelium vergiftet, den HErrn Christum verleugnet und seine Gnade entleert. Melanchthon ist bekanntlich der Vater des Synergismus. Hören Sie nun einige Sätze, in welchen Melanchthon seinen Synergismus verräth. Es ist das um so wichtiger für die jetzigen Theologen, daß diese Ausdrücke Melanchthons Synergismus verrathen haben. Manche wissen es und sagen auch noch: „Ja, das war eben das Gute an Melanchthon!“ Die Orthodoxen aber reden nicht so. (S. 252) Der bekannte rechtgläubige Theolog Leonhard Hutter schrieb ein Buch, betitelt: „Concordia concors“. Es ist das eine Geschichte der Concordienformel und zeigt, wodurch jeder Artikel dieser Bekenntnißschrift veranlaßt worden ist, und unter anderm, daß Melanchthon die Hauptveranlassung war für den zweiten Artikel der Concordienformel. Zum Beweis führt er solche falsche Sätze aus Melanchthons Schriften an. Ich nenne Ihnen solche Sätze, um zu zeigen, daß nicht nur wir Missourier so rigorös sind, daß wir überall Synergismus witterten. Melanchthon sagte also: 1. „Im Menschen ist und muß sein irgend eine Ursache, warum die einen zur Seligkeit erwählt, die andern verworfen und verdammt werden.“ Das erklärt Hutter für Synergismus! Vergleichen Sie nun damit die Schriften unsrer Gegner im Gnadenwahlslehrstreit! Da finden Sie, die reden gerade so und beweisen somit, daß sie grobe Synergisten sind; denn Melanchthon war ein grober Synergist. Das Falsche ist nicht, daß er sagt: „Im Menschen muß eine Ursache sein, warum er verworfen und verdammt wird“, sondern daß im Menschen eine Ursache sein soll, „warum die einen zur Seligkeit erwählt werden“. Dafür liegt keine Ursache in irgend einem Menschen. Alle Seligen werden voll des innigsten Dankes in der Ewigkeit sagen: „Daß ich hier im Himmel bin, dazu habe ich nichts gethan! In mir war keine Ursache zur Seligkeit! In mir war wohl Ursache genug, daß ich jetzt auch in der Hölle wäre, aber keine, auch nicht die geringste Ursache, daß ich jetzt hier im Himmel bin.“ – Ein anderer Satz aus Melanchthon: 2. „Da die Gnadenverheißungen allgemein sind und in Gott kein sich widersprechender Wille ist, so muß nothwendig in uns irgend eine Ursache des Unterschieds sein, warum ein Mensch selig, der andere verworfen wird, das ist, in jedem muß ein ungleiches Thun sein.“ – Nein, das ungleiche Thun ist die Ursache nicht, daß ich in den Himmel gekommen bin. Die Gnade ist ja allgemein, aber der eine wird verdammt, weil er muthwillig widerstrebt. Da kommt die Vernunft und sagt: „Also ist bei dem andern die Ursache, daß er selig wird, die, daß er nicht widerstrebt hat.“ Aber hier ist eben ein undurchdringliches Geheimniß, und wer das nicht anerkennen will, der will eben das Christenthum verlassen. Das ist der Kern des Christenthums, daß Gott uns einen Weg zur Seligkeit offenbart hat, den keine menschliche Vernunft hat ausdenken können, und den wir auch nicht begreifen können. „O welch eine Tiefe des Reichthums, beide der Weisheit und Erkenntniß Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn wer hat des HErrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Rathgeber gewesen? Oder wer hat (S. 253) ihm etwas zuvorgegeben, das ihm werde wiedervergolten? Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!“ so müssen wir mit dem Apostel ausrufen, wenn uns der Rath Gottes zur Seligkeit vorgelegt wird. – Ferner sagt Melanchthon: 3. „In uns ist die Ursache, warum die einen der Gnadenverheißung zustimmen, die andern nicht.“ Das ist grober Synergismus, denn er meint eine wirkliche bewirkende Ursache. Wo bleibt denn die Wahrheit, daß wir von Natur alle todt sind in Sünden, daß wir eine neue Creatur werden, daß wir wiedergeboren werden? Endlich: 4. „In der Bekehrung kommen drei Ursachen zusammen: Das Wort Gottes, der Heilige Geist, welchen der Vater und der Sohn senden, daß er unsre Herzen entzünde, und unser dem Worte Gottes beistimmender und nichtwiderstrebender Wille.“ Es ist mit dem Glauben, wie mit der Reue. Ich kann mich immer in den Winkel setzen und mir traurige Gedanken machen, um Reue herauszulocken – es geht nicht. Wenn ich ein ehrlicher Mensch bin, dann muß ich sagen: „Ich kann es nicht! Wenn ich denke, mein Herz zerschmilzt und ich bereue die Sünde, da merke ich auf einmal: ich bekomme wieder Lust zur Sünde, die ich eben bereut habe.“ Nein, der Donner des Gesetzes muß über mir rollen, und die Blitze von Sinai müssen mein Herz durchzucken, wenn eine wahre Reue soll gewirkt werden. Ebensowenig kann ich aber auch den Glauben mir selbst geben. Hören wir nun noch eine Stelle, die Hutter nicht anführt, die aber hierhergehört, aus Melanchthons Locis vom Jahre 1552, S. 101: „Du sagst, du kannst das nicht, nämlich der Stimme des Evangeliums gehorchen, den Sohn Gottes hören und als Mittler annehmen?“ Darauf antwortet er: „Allerdings kannst du es!“ – Das ist erschrecklich! Nein, wenn zu Ihnen jemand kommt und sagt: „Mein lieber Herr Pastor, ich kann aber nicht glauben“, da müssen Sie sagen: „Das glaube ich, das kann auch kein Mensch. Dann wären Sie ein Wundermensch, wenn Sie das könnten. Hören Sie nur Gottes Wort, dann wird Gott Ihnen den Glauben schenken.“ Dann können Sie ihn ermahnen, daß er nicht widerstreben soll, daß er aufmerken soll, daß er die Funken, die in ihm erglühen, nicht soll auslöschen. Das ist wohl ganz gut, aber damit geben Sie ihm keine Kraft, das zu thun, sondern wenn das Evangelium in sein Herz hineindringt wie ein himmelssüßes Wasser des Lebens, dann kommt der Glaube, erst ganz schwach, aber das Kind ist geboren. Es sieht, es hört, es schmeckt, es bewegt sich, es hat eine gewisse Kraft, es kann essen und trinken. Dann erst können Sie ihn ermahnen, mitzuwirken, denn nach (S. 254) der Bekehrung verwerfen wir die Mitwirkung des Menschen um Gottes willen nicht. Wir ermahnen ihn: „Willst du nun nicht mitwirken, dann wirst du wieder ersterben und stehst in Gefahr, ewig verloren zu gehen.“ – Melanchthon sagt ferner: „Richte dich nur am Evangelio aus, bitte Gott, daß er dir helfe und daß der Heilige Geist in diesem Trost wirksam sei. Du sollst wissen, daß Gottes Gnade uns auf diese Weise bekehren will, wenn wir nämlich, durch die Verheißung aufgeweckt, mit uns selber kämpfen, ihn anrufen, unserm Unglauben und andern bösen Neigungen widerstehen.“ Ferner sagt er: „Der freie Wille ist die Fähigkeit, sich zur Gnade zu schicken (facultas se applicandi ad gratiam).“ Das ist der berüchtigte Ausdruck, der gewöhnlich citirt wird, um nachzuweisen, daß Melanchthon ein echter Synergist war. Das sind ganz erschreckliche Sätze! – Melanchthon fährt fort: „Das heißt, er hört die Verheißung und versucht ihr beizustimmen und thut die Sünde wider das Gewissen von sich.“ – Nein, erst muß ich bekehrt sein, dann erst kann ich auch die Sünde wider das Gewissen von mir thun.


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