C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Einundzwanzigste Abendvorlesung. (6. März 1885.)

 

Wenn, meine Freunde, die ungläubige Welt hört, daß nach der christlichen Religion, wenn ein Mensch selig werden will, alles auf den Glauben ankommt, da dünkt sie dieses unmöglich und unglaublich zu sein. Ihr erscheint das als eine offenbare Thorheit, ja, als ein Zeichen, daß selbst die christliche Religion auf Täuschung ausgehe, wie alle andern angeblich übernatürlich geoffenbarten Religionen. „Denn“, sagt sie, „auch die Brahminen fordern für ihre Vedas, als den heiligen Büchern der Hindus, Glauben. Auch Muhammed fordert für seinen Koran, als dem heiligen Buch der Türken, vor allen Dingen Glauben, als sei darin allein die wahre, seligmachende Religion enthalten.“ Und so fordere denn auch das Christenthum, welches ebenfalls eine übernatürlich geoffenbarte Religion sei, vor allen Dingen den Glauben und binde die Seligkeit daran. „Aber“, spricht man, „was kann dem lieben Gott daran liegen, was ich glaube oder nicht glaube? Die wahre Religion kann doch in nichts anderem bestehen, als in einem rechtschaffenen Leben und in der Tugend und in guten Werken. Wie kann es Sünde sein, wenn ich etwas nicht glaube, das meiner Vernunft ganz und gar widerspricht, die doch auch eine Gabe Gottes ist?“ „Nein, nein“, spricht man, „wenn es einen Gott gibt und ein jüngstes Gericht, so darf Gott mich nicht fragen: „Was hast du geglaubt?“ sondern: „Was hast du gethan? Wie hast du gelebt?““ Andere wiederum wollen etwas tiefer in die Sache eingehen, und sprechen: Wenn ja der Glaube dem lieben Gott besonders gefiele, weil er ein so herrliches Werk sei, weil er eine so schöne Tugend sei, warum in aller Welt sollte ihm nicht ebenso gut gefallen z. B. die Liebe, die Geduld, die Tapferkeit, die Gerechtigkeit, die Unparteilichkeit, die Wahrhaftigkeit und dergleichen? Woher kommen denn nun wohl jene Einwürfe gegen die Lehre des Christenthums vom Glauben? Die erste Quelle ist ohne Zweifel die große Unwissenheit. Man weiß nämlich gar nicht, was nach der heiligen Schrift Glaube ist. Denn weit entfernt, daß nach der christlichen Lehre der Glaube, der da rechtfertigt und selig macht, nichts anderes sei als ein steifes, festes Fürwahrhalten der Lehren der Religion, wie denn der Glaube angesehen wird bei den Indern und Muhammedanern, so erklärt die christliche Religion vielmehr, daß ein bloßes, steifes, festes Fürwahrhalten der in der heiligen Schrift geoffenbarten Lehren gar nichts nütze, sondern der gerade Weg in die Hölle sei; wer sich darauf verlasse, der stehe auf (S. 212) Sand. Weit entfernt auch, daß die christliche Lehre den Glauben deswegen so hoch stelle, weil er ein so herrliches Werk, eine so köstliche Tugend wäre, so lehrt vielmehr das Christenthum, daß der Glaube gerecht und selig mache, nicht weil er ein so gutes Werk wäre, sondern um der Erlösung willen, die durch Christum geschehen ist, und die der Glaube ergreift. Und das ist es denn, was uns heute noch einmal zurückführt auf unsere zehnte Thesis. Daß der wahre Glaube nicht ein todtes, werkloses Ding sei, daß er vielmehr das Herz verändere und erneuere, den Menschen wiedergebäre, den Heiligen Geist in die Seele des Menschen bringe, das haben wir heute vor acht Tagen gehört. Heute Abend werden wir uns nun vor allen Dingen zu beschäftigen haben mit dem zweiten Theil unserer zehnten Thesis, wo erklärt wird, daß Gottes Wort dann nicht recht getheilt wird, Gesetz und Evangelium also nicht recht geschieden, sondern vermischt wird, „wenn man vom Glauben so predigt, als ob der Glaube um der Liebe und Erneuerung willen, die er wirkt, rechtfertige und selig mache“. So entschieden die heilige Schrift uns bezeugt, daß es keinen wahren Glauben gibt ohne Liebe, keinen wahren Glauben ohne Erneuerung, keinen wahren Glauben ohne Heiligung, daß es keinen wahren Glauben gibt, ohne daß ein Mensch, der ihn hat, reich würde an guten Werken, so bezeugt sie uns doch auch zugleich, daß diese Erneuerung, diese Liebe, diese guten Werke, welche der Glaube hervorbringt, durchaus nicht dasjenige seien, um dessentwillen der Glaube gerecht und selig mache. Ich könnte Ihnen unzählige Stellen aus der Schrift anführen, die das beweisen, aber ich will Ihnen nur die Hauptstellen angeben. Röm. 4,16.: „Derhalben muß die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, auf daß sie sei aus Gnaden, und die Verheißung fest bleibe allem Samen.“ Also gerade deswegen, sagt Paulus, lehren wir die Gerechtigkeit durch den Glauben, weil wir eben lehren, daß der Mensch allein aus Gnaden gerecht und selig wird vor Gott. Wenn aber der Glaube um irgend etwas Guten willen, das in uns ist, gerecht machte, so wäre das ein ganz verkehrter Schluß, daß deswegen gelehrt wird, daß der Mensch durch den Glauben gerecht werde, weil er aus Gnaden gerecht und selig wird. Die Rechtfertigung geschieht aus Gnaden durch den Glauben, aber nicht deswegen, weil der Glaube so viel Gutes an sich hat. Das kommt bei der Rechtfertigung gar nicht in Anschlag, sondern allein dies, daß JEsus Christus schon die ganze Welt erlöst hat, daß er schon alles gethan und gelitten hat, was die Menschen zu thun und zu leiden hatten, und daß wir das nur annehmen. Der Weg zur Seligkeit ist also der Weg, (S. 213) daß wir nichts zu unserer Seligkeit thun, gar nichts, sondern daß JEsus Christus schon alles gethan hat, daß wir uns daran halten, uns dessen trösten und darauf unsere Zuversicht setzen. Diese Stelle ist eine gar köstliche Stelle! Merken Sie sich dieselbe wohl! Wenn zum Glauben, insofern er uns rechtfertigt, etwas gehörte, das wir selbst thun müssen, so wäre das ein falscher Schluß, den der Apostel hier macht. Dann müßte es vielmehr heißen: „Durch den Glauben, weil er uns beisteht, daß wir etwas Gutes leisten können.“ Aber nicht deswegen rechtfertigt er, sondern insofern er Christi Verdienst annimmt. Er ist nur die Hand, mit der wir das ergreifen, was uns Gott anbietet. Phil. 3,8.9.: „Denn ich achte es alles für Schaden gegen der überschwänglichen Erkenntniß Christi JEsu, meines HErrn, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für Dreck, auf daß ich Christum gewinne, und in ihm erfunden werde, daß ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.“ – Auch eine gar köstliche Stelle! Eine wahre Sonne, um das rechte Wesen des Evangeliums kennen zu lernen. Denn der Apostel sagt, er sei zwar gerecht, aber die Gerechtigkeit, die er durch den Glauben erlangt habe, sei gar nicht seine eigene Gerechtigkeit, sondern Christi Gerechtigkeit. Also, wenn wir durch den Glauben gerecht werden, so werden wir durch eine fremde Gerechtigkeit gerecht. In uns sieht Gott gar nichts, was er uns zur Gerechtigkeit anrechnen könnte. Die Gerechtigkeit, die wir durch den Glauben haben, ist eine fremde. Wir haben sie uns nicht erworben, wir haben nichts dazu gethan. Wenn wir die Liebe dazu gethan hätten und Gott rechtfertigte uns deswegen, so wäre unsere Gerechtigkeit nicht eine fremde, oder sie wäre doch nur zur Hälfte eine fremde Gerechtigkeit, welche unsere unvollkommene Gerechtigkeit ergänzte. „Nein“, sagt der Apostel, „ich habe nicht eine eigene Gerechtigkeit, sondern nur die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.“ Röm. 4,5.: „Dem aber, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.“ Wenn der Mensch gerecht wird, so ist er vorher ein Gottloser, nicht aber ein Frommer, der durch den Glauben etwa fromm geworden wäre und nun deshalb gerechtfertigt würde. Wer den rechten Glauben hat, sagt: „Ich war ein gottloser Mensch, ich gehörte in die Hölle, ich verdiente die Verdammniß. Ich war ein verlorner Mensch. Ich war mit Sünden beschmutzt vom Scheitel bis zu der Fußsohle. Aber da hat Gott das Wunder der Gnade an mir gethan und hat gesagt, als ich an meinen lieben Heiland glaubte: Du sollst gerecht sein! (S. 214) Ich sehe keine eigene Gerechtigkeit an dir, aber ich decke die Gerechtigkeit meines Sohnes auf dich, und nun sehe ich nichts als lauter Gerechtigkeit an dir.“ Ja, wer nicht als ein Gottloser zu Christo geht, der geht gar nicht zu Christo. Eph. 2,8.9.: „Denn aus Gnaden seid ihr selig worden, durch den Glauben; und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme.“ Das hört sich an, als wenn der Apostel immer dächte: „Du hast noch nicht genug gesagt“, um die Leser ja nicht zur Selbstgerechtigkeit zu führen. Er sagt erst bloß: „Aus Gnaden seid ihr selig worden.“ Dann setzt er hinzu: „durch den Glauben“. Da konnte einer denken: „Vielleicht habe ich es durch den Glauben erworben.“ Darum setzt er hinzu: „Und dasselbige nicht aus euch.“ Woher denn, wenn nicht aus uns? „Gottes Gabe ist es!“ Und um alles eigne Verdienst abzuschneiden: „nicht aus den Werken“. Aber die Liebe ist auch ein solches Werk im Menschen. Und zu allerletzt: „Auf daß sich nicht jemand rühme.“ Wer aber sagt, der Glaube rechtfertige ihn um der darauffolgenden Liebe willen, der kann sagen: „Ich bin durch den Glauben gerechtfertigt, aber ich habe eben auch geliebt, ich habe auch gute Werke gethan, ich bin ein andrer Mensch geworden, und darum sieht mich Gott für gerecht an.“ „Nein“, sagt der Apostel, „auf daß sich nicht jemand rühme!“ Wer meint, daß noch eine kleine Gloriola, ein klein bischen Ruhm für ihn übrig sei und bleibe, der hat den rechtfertigenden Glauben noch nicht, der ist noch blind, der geht noch nicht auf dem Weg zur Seligkeit, sondern der ist auf dem geraden Weg zur Hölle. Röm 11,6.: „Ist’s aber aus Gnaden, so ist’s nicht aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Ist’s aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts; sonst wäre Verdienst nicht Verdienst.“ Der Apostel Paulus kann es gar nicht deutlich genug sagen, daß es die Gnade ist. Seine Leser sollen bedenken, wenn sie zugeben: „aus Gnaden“, dann kann es nicht aus Verdienst sein, sonst könnte Gnade nicht Gnade sein. Sobald Verdienst hinzukomme, dann sei es keine Gnade. Dann ist es ein elendes Geschwätz, wenn man von Gnade redet. “Ist’s aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts, sonst wäre Verdienst nicht Verdienst.“ Also bleibt dir nichts anderes übrig, als: du mußt fest glauben: aus Gottes reinem, ewigem Erbarmen bist du ein gerechter Mensch geworden, durch den Glauben. Und wenn auch dein Glaube gute Früchte bringt, so folgen dieselben eben erst, nachdem du alles hast. Der Mensch muß erst selig werden, und dann fromm. Der Mensch muß erst in den Himmel kommen, und dann wird er ein andrer Mensch. Das ist eben die wunderbare Beschaffenheit gerade der christlichen (S. 215) Religion. Der ist verloren, der erst alles thun will, um in den Himmel zu kommen. Nein, erst mußt du in den Himmel kommen und selig werden, und dann fängst du an, Gott zu danken. Daher sagt Luther, die christliche Religion sei mit einem Wort eine Religion des Dankens. Alles Gute, was wir verrichten, thun wir nicht, um uns etwas zu erwerben. Wir wüßten auch gar nicht, wie wir es anfangen sollten, um etwas zu verdienen. Es ist uns ja schon alles geschenkt: Gerechtigkeit, unser ewiges Erbe, unsre Seligkeit. Nun gibt es nur zu danken. Nur, daß Gott so freundlich ist, daß er demjenigen außer der Seligkeit noch eine besondre Herrlichkeit geben will, der hier besonders treu ist. Und das ist keine Kleinigkeit in der Ewigkeit. Denn wenn der liebe Gott beschenkt, so beschenkt er außerordentlich. Darum wird ein großer Unterschied sein zwischen den Christen in der Ewigkeit. Denn auch das geringste „mehr“ ist etwas außerordentlich Großes in der Ewigkeit. Warum? Weil es eben ewig ist. Darum sollten wir, nachdem wir das ewige Leben empfangen haben, dem lieben Gott für alles, was wir sind und haben, recht dankbar sein. Das sind allein die rechten Werke. Schon wenn in der Welt einer gegen den andern recht dienstfertig ist, und man erfährt hernach: „Der hat das nur gethan, weil er erwartete, er würde etwas dafür bekommen“, da denkt man: „Das ist ein ganz miserabler Mensch! Ich dachte, er thäte es nur aus Liebe zu mir, und nun sehe ich, der spekulirt nur auf meinen Geldbeutel! Ich glaubte, das wäre nur Dienstfertigkeit und Uneigennützigkeit, aber er will nur dafür bezahlt werden. Weg mit dem elenden Menschen!“ Es ekelt uns vor einem solchen Menschen. Er thut uns nicht deshalb einen Dienst, weil er uns so außerordentlich lieb hätte, sondern er spekulirt auf viel mehr, als er an uns gethan hat. Und erfüllt man seine Hoffnung nicht, so wird er bös, wird uns feindlich gesinnt. Darum sind auch das die rechten guten Werke, die wir aus Dankbarkeit gegen Gott thun. Wer im rechten Glauben steht, denkt gar nicht daran, sich etwas Gutes zu verdienen und erwerben zu wollen. Er kann eben nicht anders, als sich dankbar erweisen in der Liebe und guten Werken. Sein Herz ist anders geworden, sein Herz ist weich geworden durch den Ueberschwang der Liebe Gottes, die er erfahren hat. Und dann ist Gott so gnädig, daß er seine eignen Werke, die er in uns thut, belohnt. Denn die guten Werke, die der Christ thut, sind doch Gottes Werke. Manche werfen uns vor: „Ja, in der Heiligung, da muß doch der Mensch auch etwas thun.“ Aber der Mensch fängt nie etwas Gutes an. Gott muß ihn erst instigiren, muß ihm erst Lust und Kraft geben, das Gute zu thun. Und so ist es Gottes Kraft und Gottes Werk, wenn wir etwas Gutes zu thun scheinen. (S. 216) Die Papisten sprechen auch zuweilen: „Ja, der Mensch wird durch den Glauben gerecht und selig.“ „Aber“, setzen sie hinzu, „freilich nur, wenn die Liebe hinzukommt.“ Und zwar meinen sie nicht etwa nur dies, daß der, welcher die Liebe nicht hat, auch den Glauben nicht hat, denn das lehren wir ja auch – auch die Schrift lehrt das, – sondern sie meinen: „Es kann einer den wahren Glauben haben, den der Heilige Geist erzeugt hat. Wenn aber die Liebe nicht hinzukommt, so hilft der Glaube gar nichts.“ Daher man bei ihnen spricht: „Die forma des rechtfertigenden Glaubens ist die Liebe.“ Sie wissen ja, was die Theologen unter forma verstehen, nämlich das, was die Sache zu der Sache macht, die sie ist. So sagen denn die Papisten: „Wenn die Liebe nicht zum Glauben hinzukommt, so mag es ein wahrer Glaube sein, aber es ist kein rechtfertigender Glaube; denn die Liebe ist die forma des Glaubens, die den rechtfertigenden Glauben zum rechtfertigenden Glauben macht.“ Das nennen sie dann die fides formata, den formirten Glauben. Und wenn die Liebe nicht hinzugekommen ist, so nennen sie es eine fides informis. Conc. Trid., Sess. VI, Cap. VII, Canon 28: „Der Glaube, wenn nicht die Liebe hinzukommt, vereinigt weder lebendig mit Christo, noch auch macht er zu einem lebendigen Glied des Leibes Christi.“ – Es heißt nicht: „Der Glaube, aus dem die Liebe nicht hervorgeht.“ Das wäre ja ganz richtig. Denn wenn aus dem Glauben nicht die Liebe hervorgeht, dann ist es eben kein Glaube, dann ist es bloß der Schatten eines Glaubens. Aber nein, die sagen: Du kannst einen guten Glauben haben; selbst der rechtfertigt nicht, wenn nicht die Liebe dazukommt. Die Liebe muß nicht aus deinem Glauben herausfließen, – das ist gar nicht möglich nach ihrer Lehre, denn sie verstehen unter Glauben das bloße, todte Fürwahrhalten der Lehren der Kirche – die Liebe muß hinzukommen, dann rechtfertigt dich dein Glaube. Nun, was rechtfertigt denn dann? Nur die Liebe, nur die guten Werke! Das wollen sie nicht geradeheraus sagen, aber jeder, der ein klein wenig darüber nachdenkt, muß sagen: wenn der Glaube vorher nicht rechtfertigt, dann muß das Hinzukommende allein die Rechtfertigung vollbringen. – „Die Katechumenen erlangen den Glauben“, – unter Katechumenen verstehen sie diejenigen, die erst zur römischen Kirche übertreten wollen – „der das ewige Leben verleiht, das der Glaube ohne die Liebe nicht verleihen kann.“ – Ohne Liebe kann er es nicht verleihen! – „Darum vernehmen sie auch sogleich das Wort Christi: Wenn du willst ins Leben eingehen, so halte die Gebote.“ – Da haben Sie den papistischen Glauben! Der Glaube erlangt das ewige Leben nicht, obgleich er nöthig ist – das geben sie zu. Wenn dann der Mensch (S. 217) nicht das Gesetz hält, so sagen sie: „Der Glaube hilft dir nichts. Nachdem du dem Befehl Christi, daß du glauben sollst, nachgekommen bist, so kommt nun ein zweiter dazu: Du mußt auch die Gebote Gottes halten.“ Man bezieht sich dabei auf Matth. 19. Ein reicher Jüngling hatte den HErrn gefragt: „Was soll ich Gutes thun, daß ich das ewige Leben möge haben?“ Er hatte nicht gefragt: „Was soll ich thun?“ sondern: „Was soll ich Gutes thun?“ Da mußte Christus ihm antworten: „Dann mußt du die Gebote halten.“ Damit sagt der HErr nicht, daß er sie wirklich halten könnte, sondern er antwortete ihm auf das, was er gefragt hatte. Der reiche Jüngling war ein selbstgerechter Mensch, ja, er war ganz ersoffen in Selbstgerechtigkeit. Und als er von seiner schrecklichen Blindheit noch nicht curirt war, nachdem der HErr ihm gesagt hatte, er solle Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst lieben, da gab ihm der HErr noch eine Lection und sprach: „Wohlan, so verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen.“ Da war es aus, da ging er traurig von dannen. Ohne Zweifel hatte er aber den Stachel im Herzen: „Ja, du hast doch Gott nicht über alles lieb. Der Mann hat doch recht.“ Aber es war ihm nicht Ernst mit seiner Sorge um die Seligkeit, sonst hätte er zum HErrn gesagt: „Ja, das kann ich nicht! Dann muß ich verloren gehen!“ Dann würde der HErr zu ihm gesagt haben: „Nein, hier steht einer, der kann dich selig machen. Glaube an mich, so wirst du schändlicher Sünder, du Uebertreter der göttlichen Gebote selig werden.“ Aber er ging hinweg, und ohne Zweifel würde es uns die Schrift gemeldet haben, wenn er noch zum Glauben gekommen wäre. Nun könnte einer denken: Am Ende meinen die Papisten doch nur, daß ein todter Maulglaube nicht rechtfertige, wie wir ja auch lehren. Aber nein, sie wollen sagen: „Der Glaube mag noch so gut sein, wie er wolle, wenn die Liebe nicht hinzukommt, dann macht er nicht selig.“ Das ist gerade so, wie wenn ich sage: „Der Apfelbaum mag noch so gut sein, wenn nicht Früchte hinzukommen, so ist er kein Apfelbaum.“ Nein, umgekehrt! Nicht die Aepfel machen den Apfelbaum zum Apfelbaum, sondern der Apfelbaum bringt die Aepfel, die Früchte hervor. Doch die Papisten haben sich auch sehr deutlich ausgesprochen Im Conc. Trid. 1. c. Can. 28 heißt es: „Wenn jemand sagt, daß zugleich mit der durch die Sünde verlorenen Gnade auch der Glaube immer verloren werde, oder daß der Glaube, der zurückbleibt, kein wahrer Glaube sei, mag er auch kein lebendiger sein, oder daß derjenige, der den Glauben ohne die Liebe hat, nicht ein Christ sei, der sei verflucht.“ – Also, sie behaupten: „Wenn ich auch in Todsünden falle, so verliere ich den Glauben nicht.“ Wir würden auch sagen: „Es kann einer in Todsünden leben, und er hat doch einen ganz; (S. 218) vollständigen historischen Glauben.“ Da werden wir jedoch gleich hinzusetzen: „Das ist kein wahrer Glaube, sondern nur ein Schatten vom Glauben.“ „Aber nein“, sagen die Papisten, „das ist ein wahrer Glaube.“ Sie reden also vom Glauben als etwas neben der Liebe. Die Liebe muß hinzukommen, sie macht den Glauben aber erst gut. Der Glaube ist ihnen ein schönes Gefäß, das aber weiter keinen Werth hat, als daß man etwas darin aufbewahrt. Die Liebe ist ihnen nun das Kleinod, das hineingelegt wird. Dadurch wird nun das Kästchen viel köstlicher, als es vorhin war. Und so meinen die Papisten: Der Glaube wird dadurch so köstlich, weil der Christ die Liebe hinzuthut, und dann könnte man sagen: „Der Glaube macht gerecht“, aber nur in dem Verstande: „sofern er die Liebe hat“. Zu Gerhards Zeiten gaben die Kölner Theologen, damals die bedeutendsten römischen Theologen, die Censura Coloniensis heraus. Dort heißt es: „Daß der Gerechte aus seinem Glauben lebt, das hat er nicht allein aus Christo, sondern aus seinem Thun; ja, daß der Glaube rechtfertigt, diese forma oder Kraft hat er nicht aus Christo, den er ergreift und besitzt, sondern aus unserer Liebe.“ Die sagen also nicht bloß: „Die Liebe muß hinzukommen“, sondern: „Das ist die einzige Ursache, warum der Glaube rechtfertigt, wenn er rechtfertigt.“ Hören wir nun einige Zeugnisse von Luther über diese sogenannte fides formata im Gegensatz zu der fides informis, von dem Glauben, der das rechte Wesen hat, und von demjenigen Glauben, der zwar ein wahrer Glaube ist, wie die Papisten sagen, der aber nicht rechtfertigt. Zu Gal. 3,11. (St. L. IX, 357f.) schreibt Luther: „Die Sophisten“, – darunter versteht er die papistischen Theologen – „wie sie, denn bereit sind, die Schrift zu verdrehen, machen über diese Stelle die spitzfindigen Bemerkungen: Der Gerechte lebt seines Glaubens; freilich, aber durch den Glauben, der da wirkt (efficaci), der Werke thut, oder der durch die Liebe seine rechte Gestalt erlangt hat (formata caritate). Wenn der Glaube aber nicht solche Gestalt hat (informis), so rechtfertigt er nicht. Diese Glosse haben sie erdichtet und thun durch dieselbe den Worten des Propheten Gewalt.“ – So haben sie diesen köstlichen, trostreichen Spruch verkehrt und verdreht. „Ja“, sagen sie, „freilich hat der Apostel Paulus und auch der Prophet Habakuk gesagt: Der Gerechte lebt seines Glaubens. Aber was für einen Glauben meint er? Eben einen thätigen Glauben, der gute Werke thut, der Liebe hat, der den Menschen verneuert hat; der, der Glaube ist gemeint, und deswegen allein hat der Mensch das Leben durch den Glauben.“ – „Wenn sie unter dem rechtgestalteten Glauben den wahren und theologischen, oder, wie Paulus sagt, den ungefärbten Glauben, den Gott Glauben nennt, verstanden, dann sollte mir (S. 219) diese ihre Glosse nicht zuwider sein.“ – Merken Sie wohl: Luther sagt: Wenn sie unter dem formirten Glauben nichts anders verständen, als den wahren Herzensglauben, dann möchten sie diese Worte gebrauchen. Denn er wußte, ein Glaube, der das Herz nicht reinigt, der rechtfertigt nicht, der läßt in Sünden stecken. Aber die Papisten stellen es immer so dar: „Ja, die Lutheraner sagen: Der Mensch werde durch den Glauben gerecht ohne die Werke. Aber das ist eine ganz schändliche Lehre. Das ist nur darauf abgesehen, die Menschen abzuweisen und abzubringen von den guten Werken. Die wollen haben, daß man gar keine guten Werke mehr thue. Die sagen immer: Glaube! glaube! glaube! glaube! dann fährt man von Stund an hinauf in den Himmel.“ Natürlich die gescheiteren Papisten sagen das und wissen: „Es ist nicht so.“ Aber es gibt genug und auch viele in dem Priesterstande, die glauben, daß die lutherische Kirche eine solche schändliche Rotte sei, die da sagt: „Das bloße Fürwahrhalten macht den Menschen gerecht und selig“, sodaß er daraufhin in den Himmel komme, möge er nun thun, was er wolle. „Nein“, sagt Luther, „wenn ihr unter fides formata den Glauben versteht, den der Heilige Geist gewirkt hat und der nun eine Quelle alles Guten geworden ist, und sagt, daß der Glaube rechtfertigt, dann bin ich mit euch ganz einig; aber ihr dürft nicht hinzusetzen „Deswegen, weil er diese wunderschöne Beschaffenheit hat, macht er selig“, sondern erst muß der Glaube gerecht und selig machen, und dann bringt er auch gute Früchte.“ – Luther fährt fort: „Denn dann würde dieser Glaube nicht unterschiedlich gesetzt der Liebe gegenüber, sondern wider die nichtige Meinung vom Glauben; wie auch wir einen Unterschied machen zwischen dem erdichteten und dem wahren Glauben. Ein erdichteter Glaube ist der, welcher hört von Gott; von Christo und von allen Geheimnissen der Menschwerdung und der Erlösung, und diese Sachen, die er gehört hat, erfaßt und aufs schönste davon zu reden weiß; und doch bleibt es nur ein bloßer Wahn und ein vergebliches Hören, welches im Herzen nur einen Schall des Evangeliums zurückläßt, von dem er vieles schwatzt; doch ist es in Wahrheit nicht der Glaube, weil er das Herz nicht erneuert noch verändert, nicht einen neuen Menschen erzeugt, sondern ihn in seiner früheren Meinung und Wandel läßt. Und dieser Glaube ist sehr verderblich, und es wäre besser, man hätte ihn nicht; und ein sittlicher Weltweiser ist besser, als ein solcher Heuchler, der diesen Glauben hat.“ – Es wäre besser, ein solcher Mensch hätte nie etwas erfahren von dem Evangelium, wenn er alles nur in seinem Verstande aufgefaßt hat. Ja, er kann davon schwatzen, er kann davon predigen, und eindringlich predigen, und er selbst ist nur ein tönend Erz und eine klingende Schelle. Ihm wäre besser, er hätte diesen Glauben nicht gehabt. – „Darum, wenn (S. 220) sie den rechtgestalteten Glauben (fidem formatam) unterschieden im Gegensatz zu dem falschen oder erdichteten Glauben, so würde diese ihre Unterscheidung mir nicht ärgerlich sein. Aber sie reden von dem Glauben, der durch die Liebe recht gestaltet wird, und machen einen zwiefachen Glauben, den ungestalteten und den rechtgestalteten (informem et formatam). Diese ganz schädliche und teuflische Glosse muß ich aufs heftigste verabscheuen. Denn sie sagen: Wenn auch der eingegossene Glaube da ist, welcher eine Gabe des Heiligen Geistes ist, dazu der erlangte (acquisita) Glaube, welchen wir selbst hervorbringen durch viele Handlungen des Glaubens, so ist dennoch jeder von diesen beiden ungestaltet (informis) und bekommt durch die Liebe seine rechte Gestalt.“ – Ach, merken Sie sich das! Unzählige haben sich schon von den Jesuiten fangen lassen. Wenn die Lutheraner ihnen vorhalten: „Ihr lehrt ja gar nicht, daß wir durch den Glauben gerecht werden“, da sagen sie: „Ja, das hat euch euer lutherischer Prädicant gesagt. Wir lehren das nicht. Wir sagen es sogar noch besser! Ihr lehrt: Glaubet, glaubet nur, so kommt ihr in den Himmel. Wir sagen: Der Mensch wird durch den Glauben gerecht, nämlich durch den Glauben, der durch die Liebe thätig ist. So lehrt der Apostel Paulus.“ Wer da nun nicht weiß, daß das lauter Schurkereien sind, der denkt: „Da bin ich doch falsch unterrichtet worden über die Lehre der katholischen Kirche!“ Aber man lasse sich nicht täuschen! Die reden dann nicht vom Glauben als einer Quelle der Liebe, sondern von einem Glauben, der daneben die Liebe hat. Also ist es eine Lüge, wenn sie auch in irgend einem Sinn sagen, sie glaubten, der Mensch werde durch den Glauben gerechtfertigt. Wenn sie formata zu fides hinzusetzen, so meinen sie eigentlich die Werke. Sie sagen: „Ja, wenn ich die Werke dazu habe, dann werde ich durch den Glauben gerecht.“ Gerade, als wenn ich Zahlpfennige habe und ich sage: „Wenn ich Dollars dazu habe, dann kann ich mir etwas kaufen.“ Wenn ich nun zu einem Kaufmann komme, so steckt der Kaufmann vielleicht diese Zahlpfennige auch ein, aber für die gibt er mir nichts, sondern nur für das Geld. Für die Zahlpfennige kann ich mir nichts kaufen. So machen es hier die Papisten. Sie sagen: „Der Glaube muß da sein, daß ich die Lehre für wahr halte; aber soll der Glaube selig machen, so muß die Liebe hinzukommen, so müssen die guten Werke hinzukommen, und die sind es eigentlich, für die ich mir den Himmel kaufe.“ Darum ist die römische Lehre von der Rechtfertigung eigentlich weiter nichts, als eine vollkommene Verleugnung, eine Vernichtung, eine Verdammung des Evangeliums. Jede Secte ist unvergleichlich besser gegen das Pabstthum, gegen die römische Kirche, unvergleichlich besser! Denn wenn auch die Secten sich abplagen (S. 221) mit ihren Werken, mit ihrem Kämpfen, mit ihrem Beten, daneben halten sie doch die Lehre fest: „Der Glaube an JEsum Christum allein macht gerecht und selig.“ Und wenn ein armer Methodist oder Baptist in Todesnoth kommt, dann weiß er: „Der Glaube allein macht selig.“ Nimmt er dann seine Zuflucht zu seinem HErrn Christo, so stirbt er selig. Aber der Papist denkt: „Du kommst jetzt ins Fegefeuer, aber wie lange? Die Liebe fehlt mir, die guten Werke fehlen mir! Ich bin verloren!“ Und das ist es, was der Teufel gewollt hat, als er das Pabstthum aufrichtete. Er wollte Christi Erlösung wieder zu Schanden machen durch diese verdammte Lehre, daß der Glaube erst dann gerecht und selig mache, wenn etwas andres hinzukomme, das die Seligkeit erwirbt. – Luther schreibt weiter: „So ist der Glaube ohne die Liebe, wie sie träumen, gleichsam ein Gemälde und eine schön anzusehende Sache im Dunkeln, die erst dann gesehen werden kann, wenn das Licht, das ist, die Liebe hinzukommt. Und auf diese Weise ist die Liebe das Wesen (forma) des Glaubens, und der Glaube der bloße Stoff (materia), an dem die Liebe arbeitet. Das heißt dem Glauben die Liebe vorziehen und die Gerechtigkeit nicht dem Glauben, sondern der Liebe zuschreiben; denn dasjenige, um dessentwillen irgend etwas eine besondere Beschaffenheit hat, hat selbst diese Beschaffenheit in einem höheren Grade. Deshalb legen sie dem Glauben ganz und gar nichts bei, da sie dem Glauben nur um der Liebe willen die Gerechtigkeit beilegen.“ – Die Papisten sagen nicht etwa, daß der Glaube dann nicht selig mache, wenn man sich ihn selbst gemacht hätte, weil auch, wenn man den wahren Glauben hätte, den der Heilige Geist im Herzen wirkt, man doch durch denselben nicht selig würde, wenn nicht die Liebe hinzukomme, Denn sie halten dafür, wie das Tridentinum sagt, daß man im wahren Glauben stehen könne, und doch in Todsünden stecken. – „Sodann sagen die Verkehrer des Evangelii Christi, daß auch der eingegossene Glaube, welcher nicht durch die Predigt oder durch irgend eine andere Verrichtung (operatione) erlangt wird, sondern welchen der Heilige Geist im Menschen schafft, in einer Todsünde bestehen könne, und daß ihn auch die allerärgsten Buben haben können. Darum sei er müßig und unnütz, wenn er allein sei, wenngleich er Wunder thue. So nehmen sie dem Glauben sein Amt ganz und gar weg und legen es der Liebe bei, so daß der Glaube ganz und gar nichts werth ist, wenn nicht das, was ihm seine rechte Beschaffenheit gibt (forma), hinzukommt, das ist, die Liebe.“ Zu Gal. 2,19. schreibt Luther (St. L. IX, 218): „Wenn ich Christum so durch den Glauben ergriffen habe, dem Gesetze abgestorben bin, gerechtfertigt von der Sünde und durch Christum befreit vom Tode, dem Teufel und der Hölle, dann thue ich gute Werke, liebe Gott, danke (S. 222) ihm, erzeige meinem Nächsten Liebe. Aber diese Liebe oder die folgenden Werke geben meinem Glauben weder seine rechte Gestalt noch schmücken sie ihn, sondern mein Glaube gibt der Liebe ihre rechte Gestalt und schmückt sie.“ – Caritas non est forma fidei, sed fides est forma caritatis. Warum? Die Liebe macht den Glauben nicht erst gut und recht, sondern der Glaube macht die Liebe erst recht und gut. Die Liebe gibt dem Glauben nicht sein rechtes Wesen, sondern der Glaube gibt der Liebe ihr rechtes Wesen. Gal. 5,6. heißt es nun: „In Christo JEsu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe thätig ist.“ Das ist nun, wie die Papisten meinen, eine köstliche Stelle für ihre Lehre, und doch sagen diese Worte etwas total anderes. Darum sagt Luther über diese Worte (St. L. IX, 632ff.): „Diesen Spruch ziehen die Sophisten auf ihre Meinung, da sie lehren, wir müßten durch die Liebe oder durch Werke gerecht werden. Denn sie sagen, der Glaube, wenn gleich er von Gott eingegossen sei (von dem durch eigenes Vermögen erlangten Glauben (de acquisita) schweige ich), mache nicht gerecht, wenn er nicht durch die Liebe seine rechte Gestalt bekommen habe, weil sie die Liebe die Gnade nennen, die den Menschen vor Gott angenehm mache (gratiam gratum facientem), das heißt, rechtfertige (justificantem) (um mit unserm Worte, oder vielmehr dem des Paulus, zu reden); sodann (sagen sie), die Liebe werde erlangt durch unser Verdienst, das Gott nach Billigkeit belohnen müsse (nostro merito congrui) etc. Ja, sie behaupten auch dies, der eingegossene Glaube könne bei einer Todsünde bestehen. So nehmen sie die Rechtfertigung ganz und gar vom Glauben weg und legen sie (auf diese Weise) allein der Liebe bei, und dies wollen sie mit dieser Stelle durch St. Paulus bewiesen haben: „Der Glaube, der durch die Liebe thätig ist“, als ob Paulus sagen wollte: Siehe, der Glaube macht nicht gerecht, ja, er ist nichts, wenn nicht die Liebe hinzukommt, welche die Werke thut (operatrix), die dem Glauben seine rechte Gestalt gebe.“ – Das ist der antichristische Irrthum. – „Aber dies alles sind seltsame, greuliche Dinge, die durch geistlose Menschen erdichtet sind. Denn wer könnte das leiden, daß gelehrt werde, daß der Glaube, Gottes Gabe, die durch den Heiligen Geist den Herzen eingegossen wird, bei einer Todsünde bestehen könne? Wenn sie das von dem durch eigene Kraft erlangten (acquisita) oder dem historischen Glauben redeten und von der natürlichen Meinung, die aus der Historie geschöpft ist, so könnte man sie dulden, ja, vom historischen Glauben redeten sie recht. Da sie aber vom eingegossenen Glauben so lehren, so bekennen sie damit klärlich, daß sie vom Glauben ganz und gar nichts recht verstehen. Sodann lesen sie diesen Spruch Pauli (wie man (S. 223) zu sagen pflegt) durch ein farbiges Glas und verkehren den Text und deuten ihn auf ihre Träume. Denn Paulus sagt nicht: Der Glaube, der durch die Liebe rechtfertigt; er sagt auch nicht: Der Glaube, welcher durch die Liebe angenehm macht. Einen solchen Text erdichten sie und tragen ihn mit Gewalt in diese Stelle hinein. Viel weniger sagt er: Die Liebe macht angenehm. So redet Paulus nicht, sondern er sagt so: „Der Glaube, der durch die Liebe thätig ist.“ Er sagt, daß die Werke aus dem Glauben durch die Liebe geschehen, nicht, daß der Mensch durch die Liebe gerechtfertigt werde.“ – Das verwechseln sie. Hier wird ja nicht gesagt, was der Glaube vor Gott bewirkt; sondern was der Glaube in sich wirkt. Er ist nämlich thätig durch die Liebe, nachdem er selbst die Gerechtigkeit vor Gott und die ewige Seligkeit erlangt hat. Die Papisten lehren diesen Irrthum grundsätzlich, und innerhalb der sogenannten protestantischen Kirchen wird es meistens auch versehen. Wenn man gesagt hat, daß alles lauter Gnade ist, daß alles durch den Glauben erlangt wird, dann setzt man, etwa, weil man fürchtet, die Leute werden sich vielleicht daran stoßen, sogleich hinzu: „Freilich muß der Glaube auch gute Werke hervorbringen.“ Sobald Sie das hinzusetzen, so haben Sie die ganze Predigt verfälscht und umgeworfen, dann ist alles Predigen von Gnade und Glauben umsonst und verloren. Das hört sich so an, als sei der Glaube nicht genügend, die Liebe müsse noch hinzukommen. Sondern so müssen Sie sagen: „Aber freilich, wer keine Liebe hat, der soll wissen, der hat auch keinen Glauben. Er kann also auch nicht gerecht vor Gott sein“, nicht darum, weil die Liebe ihn vor Gott gerecht machte, sondern weil nur der Glaube ein rechter Glaube ist, der von Gott, der durch den Heiligen Geist gewirkt wird, der die Liebe zu Gott und dem Nächsten ausgießt.


 - FORTSETZUNG -