C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Fünfunddreißigste Abendvorlesung. (18. September 1885)

 

Christus spricht von sich selbst: „Ich bin der Weg, und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Dieses bestätigt Petrus vor dem hohen Rath, wenn er spricht: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden.“ Und St. Paulus, dies bestätigend, ruft seinen Corinthern zu: „Ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, ohne allein JEsum Christum, den Gekreuzigten.“ Es ist daher wahrlich eine große und erschreckliche Sünde, wenn man eine uns zur Unterweisung anvertraute Seele nicht zu Christo lockt, wenn man ihr nicht fort und fort sagt, was sie an dem HErrn JEsu, ihrem Heiland, habe. Jemand vom Glauben an Christum abzuhalten, das ist eine so erschreckliche Sünde, daß man sie mit keinem Wort recht beschreiben kann. Ein Prediger, welcher das thut, einen Menschen abhält von der getrosten Ergreifung Christi, der wird, er mag es nun bewußt oder unbewußt thun, mit Willen oder aus Blindheit, aus Bosheit oder aus verkehrtem Eifer für das Heil der Seelen – ein solcher Prediger wird, so viel an ihm ist, diese Menschen um das ewige Leben bringen und wird aus einem Seelenhirten ein reißender Wolf, aus einem Seelenarzt ein Seelenmörder, ja, was sage ich, aus einem Engel Gottes, der er sein soll, des Menschen Teufel. Ach, es hat genug Prediger gegeben, welchen es erst auf ihrem letzten Krankenbett klar und offenbar geworden ist, wie viel Seelen sie durch ihr unevangelisches Predigen abgehalten haben von Christo, so daß diese ihnen anvertrauten Seelen aus ihrer Schuld, so zu sagen, des geistlichen Hungertodes gestorben sind. Und was ist dann die Folge davon? Solche unglückselige Prediger haben dann kurz vor ihrem Tode schwer zu kämpfen gehabt mit Gedanken der Verzweiflung, und gar mancher ist auch ohne Trost, mit Ach und Weh in der Verzweiflung dahin gefahren. Am gröbsten sündigen in dieser Beziehung die sogenannten rationalistischen Prediger, die in teuflischem Frevel christliche Kanzeln besteigen und von da herab, anstatt Christum, den Seligmacher, allen Sündern zu predigen, ihre elende Sitten- und Tugendlehre vortragen und dann allerlei bombastische, hohle Phrasen den Leuten in die Ohren rufen. Solchen rationalistischen Bauchdienern gilt auch noch heute jener Weheruf des HErrn: „Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen. Ihr kommt nicht hinein, (S. 350) und die hinein wollen, laßt ihr nicht hinein gehen!“ O, wie werden diese einst erschrecken, die sich genannt haben Freunde und Verehrer und Prediger JEsu Christi, wenn sie erscheinen müssen vor dem Richterstuhl JEsu Christi, wenn dann Christus die feuerbrennenden Worte in seinem Zorn ihnen entgegenrufen wird: „Ich habe euch noch nie erkannt! Weichet alle von mir, ihr Uebelthäter!“ Nicht weniger grob sündigen aber hierin auch die Papisten. Dieselben locken auch nicht zu Christo, dem Sünderheiland und Sünderfreund, sondern stellen Christum vielmehr dar als einen noch strengeren Gesetzgeber als selbst Moses, der viel mehr und viel strengere Gebote uns aufgelegt habe. Und wenn ein armer Sünder in die Noth kommt und den Priester um Rath fragt, so weisen sie ihn nicht zu Christo, sondern zur Maria, der sogenannten Mutter der Barmherzigkeit. Vor Christo haben sie die Leute gelehrt zu erschrecken, und haben sie gelehrt, daß Maria sie müsse unter ihren Mantel nehmen; oder sie weisen sie auf diesen oder jenen Schutzheiligen. Für diese erschreckliche Sünde, daß sie die armen Sünder abweisen von Christo, werden sie einst Gottes Zorn erfahren, wenn der Rauch ihrer Qual aufsteigt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn nicht nur ist das so schrecklich, wenn der Ungläubige Christum lästert als einen Schwärmer, sondern auch, wenn man Christum nicht lehrt, Christum nicht verkündigt, sondern sagt: „Glaube nicht an ihn!“ Nun, vor dieser groben Weise, von Christo zurückzuhalten, kann man sich leicht hüten, – vor der brauche ich Sie gar nicht zu warnen, – aber schwer ist es, dies nicht in feinerer Weise zu thun. Ach, unzählige Prediger haben schon gemeint, sie predigten Christum und verkündigten Christi Lehre, bis ihnen die Augen aufgegangen sind und sie dann gesehen haben: sie haben doch den HErrn JEsum verhüllt vor den Augen der armen Sünder, haben viel mehr von ihm zurückgewiesen als zu ihm hingelockt. Von dieser feineren Weise, von Christo zurückzuhalten, handelt unsere zweiundzwanzigste Thesis.

 

Thesis XXII.

Das Wort Gottes wird achtzehntens nicht recht getheilt, wenn man zwischen Erweckung und Bekehrung einen falschen Unterschied macht, und nicht glauben können mit nicht glauben dürfen verwechselt.

 

Dieser schweren Vermischung des Gesetzes und des Evangeliums haben sich sonderlich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die sogenannten Pietisten schuldig gemacht. Dahin gehören unter andern die (S. 351) Halleschen Theologen, ein Aug. Herm. Francke, Breithaupt, Anastasius Freylinghausen, Rambach, Joachim Lange, und die zu ihnen sich bekannt haben: Bogatzky, Fresenius und viele andere. Diese haben sich der feineren Weise der Vermischung des Gesetzes und des Evangeliums schuldig gemacht, des Abhaltens von Christo. Und das haben sie gethan unter anderm dadurch, daß sie einen falschen Unterschied machten zwischen Erweckung und Bekehrung. Sie erklärten nämlich: Was den Weg der Seligkeit betrifft, müsse man die Menschen eintheilen in drei Klassen: 1. Unbekehrte, 2. Erweckte – und noch nicht Bekehrte, 3. Bekehrte. Wenn nun die lieben Pietisten selbst es auch treu meinten, auch durchaus von der rechten Lehre nicht abgehen wollten, so war doch diese Eintheilung ganz verkehrt. Wenn sie unter den Erweckten solche Leute verstanden hätten, die wohl dann und wann einen starken Eindruck bekommen von Gottes Wort, von Gesetz und Evangelium, aber dann diesen Eindruck schnell wieder verwischen, so daß es bei ihnen zu nichts kommt, so wäre das ganz richtig. Denn allerdings gibt es Menschen, die nicht mehr in ihrer fleischlichen Sicherheit dahin gehen können, aber sie unterdrücken diese Unruhe wieder, bis der liebe Gott noch einmal zuschlägt mit dem Hammer des Gesetzes und sie dann schmecken läßt den Zucker des Evangeliums. Aber solche Erweckte, von denen die Pietisten redeten, gehören nicht mehr zu den Unbekehrten. Wir dürfen nur zwei Klassen machen nach der Schrift, nämlich Bekehrte und Unbekehrte. Allerdings gibt es Leute, welche man, wenn man nicht die Schrift zum Muster nimmt, könnte Erweckte nennen im Gegensatz zu wahren Christen. Beispiele hier finden wir in der Schrift die Menge. Zu solchen Leuten gehörte Herodes Antipas. Von ihm wird gesagt, er habe Johannes den Täufer gerne gehört, weil er viel tröstliche Predigten hielt, in welchen er auf den kommenden Messias hinwies; auch habe er manchmal den Johannes um Rath gefragt und seinen Rath befolgt. Aber er blieb doch der alte Herodes. Einer elenden Tänzerin zulieb mußte Johannes der Täufer auf Befehl dieses Königs sein Haupt verlieren. – Ein anderes Beispiel ist das des Procurators Felix. Ihm predigte Paulus mit großem Eifer von der Gerechtigkeit und von der Keuschheit und von dem zukünftigen Gericht. Dieses Wort war in sein Inneres gedrungen und sein Gewissen sagte ihm: „Du elender Mensch, wenn das Wahrheit ist – und es wird Wahrheit sein – was wird dann aus dir werden? du Hurer! du ungerechter Richter! du Ehebrecher!“ Aber er verwischte diesen Eindruck schnell wieder. Er schickte Paulus fort und sagte: „Gehe hin auf diesmal, wenn ich gelegene Zeit habe, will ich dich her lassen rufen.“ Aber er ließ ihn nicht wieder rufen; er wollte diese Stimme nicht wieder (S. 352) hören. – Aehnlich finden wir es bei Festus. Als Paulus gedonnert hatte mit dem Gesetz und lieblich das Evangelium verkündigt hatte, da sagte er: „Paule, du rasest! die große Kunst macht dich rasend.“ Pauli Predigt hatte also einen großen Eindruck auf ihn gemacht, aber er erklärt den Paulus nur für einen Schwärmer. Damit wollte er sich Trost verschaffen für sein aufgeregtes Gewissen. – Ein anderes Beispiel haben wir am Agrippa. Der sprach zu Paulo sogar: „Es fehlt nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ würde.“ Welch einen gewaltigen Eindruck mußte die Rede des Apostels auf diesen König gemacht haben, daß er öffentlich bekennt, es fehle nicht viel, daß er ein verachteter, geschmähter Christ würde! Also etwas fehlte noch! Was war denn das? Daß er sein muthwilliges, halsstarriges Widerstreben aufgab und sich überwinden ließ von dem HErrn. Aber er suchte den HErrn zu überwinden und blieb in seiner Unbekehrtheit. Solche sind nicht zu den Bekehrten zu zählen. Aber sie Erweckte zu nennen, ist ein ganz falscher Ausdruck. Wenn die Schrift von Erweckung redet, so meint sie immer die Bekehrung. Dessen sollten Sie sich bewußt sein, wenn Sie pietistische Schriften lesen, denn es ist sehr viel Gutes darin. Theilen Sie die Menschen nur in zwei Klassen ein! Daß die Schrift unter Erweckung Bekehrung versteht, können Sie aus folgenden Stellen sehen. Eph. 5,14.: „Wache auf, der du schläfest, und stehe auf von den Todten, so wird dich Christus erleuchten.“ – Das ist doch offenbar eine Aufforderung zu wahrer Bekehrung und Buße. Wir sollen aufwachen vom geistlichen Schlafe und vom geistlichen Tod aufstehen. Wer so aufgewacht ist, der ist aufgewacht nicht vom leiblichen, sondern vom geistlichen Schlaf, der ist nun wach, der lebt nun, der ist eben ein Christ. Eph. 2,4-6.: „Aber Gott, der da reich ist von Barmherzigkeit, durch seine große Liebe, damit er uns geliebet hat, da wir todt waren in den Sünden, hat er uns sammt Christo lebendig gemacht (denn aus Gnaden seid ihr selig geworden), und hat uns sammt ihm auferwecket und sammt ihm in das himmlische Wesen versetzt, in Christo JEsu.“ – Was ist aber Erweckung anders als Lebendigmachung? Dann bist du also selig, wenn du erweckt bist. Sobald ich aufgeweckt bin durch den Heiligen Geist, durch sein Wort, so bin ich versetzt in das himmlische Wesen. Col. 2,12.: „In dem, daß ihr mit ihm begraben seid durch die Taufe, in welchem ihr auch seid auferstanden durch den Glauben, den Gott wirket, welcher ihn auferwecket hat von den Todten.“ „Durch den Glauben!“ Also kann niemand erweckt sein, er habe denn den Glauben. Also muß er ein Christ sein. (S. 353) Aber die Pietisten sagen: „Nein, der ist noch nicht bekehrt, sondern bloß erweckt, der erstlich nicht eine wahre, gründliche Reue an seinem Herzen erfahren hat.“ Eine gründliche Reue nennen sie das, wenn einer wie ein David ganze Nächte geweint hat, sein Bette mit Thränen geschwemmt hat, wenn er ganze Tage krumm und sehr gebückt einhergegangen ist. Da sagen sie: „Wer das noch nicht erfahren hat, der ist noch nicht bekehrt, sondern nur erweckt. Denn wer noch nicht versiegelt worden ist durch den Heiligen Geist, wer noch nicht ganz gewiß ist, ob er bei Gott in Gnaden steht, ob er selig wird; wer immer wankt, der ist gewiß kein Christ. Oder er ist lieblos, er hat nicht die rechte Geduld, nicht die rechte Dienstfertigkeit gegen seinen Nächsten.“ Das ist aber eine falsche Annahme. Es kann einer ein wahrer Christ geworden sein und noch nicht die große, schreckliche Angst erfahren haben wie ein David. Denn obwohl David das wirklich erfahren hat, so steht doch nicht in der Bibel, daß wir das auch erfahren müssen in dem Grade. Und was die Versiegelung betrifft, so schreibt der Apostel Eph. 1,13.: „Durch welchen ihr auch, da ihr glaubetet, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung.“ Erst müssen wir glauben, aber unser Glaube kann noch immer sehr schwach sein, daß wir immerfort mit lauter Angst und Zweifel zu kämpfen haben. Nicht jedem gibt Gott auch gleich Glaubensfreudigkeit und Heldenmuth. Daß dies alles die reine, lautere Wahrheit ist, können wir an allen den Beispielen sehen, wo wir hören, daß Leute bekehrt worden sind. Denken Sie an die ersten Pfingstzuhörer! Es heißt nur von ihnen, daß ihnen das Herz durchstochen worden sei, und dann fragen sie: „Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun?“ Da spricht der Apostel nicht: „Ja, das geht nicht so geschwind! Da müßt ihr erst durch einen schweren Bußkampf hindurch, und dann müßt ihr erst so lange ringen und schreien zu Gott, bis endlich der Heilige Geist in eurem Innern sagt: „Du hast Gnade erlangt, du bist selig““; sondern der Apostel sagt nur: „Thut Buße und laßt euch taufen.“ Kaum hat der Apostel das gesagt, so lassen sie sich taufen. „Thut Buße“, das heißt: „Kehrt um zu eurem HErrn JEsu, glaubt an ihn, und dann laßt euch zur Versiegelung eures Glaubens taufen. Dann ist alles recht.“ Wir lesen dann noch von den Neubekehrten: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, und in der Gemeinschaft und im Brodbrechen, und im Gebet.“ Sie waren also richtig bekehrt worden in wenigen Augenblicken. Dasselbe sehen wir bei dem Kämmerer aus Mohrenland. Philippus sagt weiter nichts als: „Glaubest du von ganzem Herzen, so mag es wohl sein.“ Und als der Kämmerer das Bekenntniß ablegte: „Ich glaube, (S. 354) daß JEsus Christus Gottes Sohn ist“, da war dem Apostel das gerade genug, denn er wußte, was der Kämmerer jetzt darunter verstand, er wußte, daß er nun an den Messias, Gott und Mensch, glaubte. Nachdem die Taufe vollzogen war, gingen sie wieder auseinander und sie haben einander vielleicht nicht wieder gesehen. Philippus hat auch gar keine Sorge gehabt, ob der wirklich bekehrt sei, sondern weil er gesagt hatte: „Ich glaube, daß JEsus Christus Gottes Sohn ist“, so war Philippus ganz gewiß: „Der ist bekehrt.“ Doch gehen wir weiter. Der Kerkermeister zu Philippi war in Verzweiflung gerathen, nicht wegen seiner Sünden, sondern weil, wie er fürchtete, alle Gefangenen entflohen waren und er dann hingerichtet würde. Aber Paulus fällt ihm in die Arme, da er sich eben will erdolchen. Und als Paulus noch hinzusetzt: „Thue dir nichts Uebels, denn wir sind alle hier“, da fällt es wie ein Gewitter auf ihn. Er denkt daran, was für Gedanken des Nachts in seinem Herzen sich geregt hatten, als er diese seine Gefangenen, die er so grausam behandelt hatte, Gott loben und preisen hörte. Da ward er überzeugt von der Bosheit seines Herzens und der Größe seiner Sünde, und er stürzt nieder vor den Aposteln mit den Worten: „Liebe Herren, was soll ich thun, daß ich selig werde?“ Da spricht der Apostel nicht: „Das kann in dieser Nacht nicht geschehen. Wir wollen dir erst Unterricht geben, und dann wollen wir sehen, wie es steht mit dir. Du bist jetzt erweckt, das gebe ich zu, aber Bekehrung ist etwas ganz anders.“ Nein, er sagt einfach: „Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du und dein Hans selig.“ Und er glaubt und wird voller Freude, daß er an Gott gläubig geworden ist. Und weiter thun die Apostel gar nichts. Sie lassen ihn und gehen ihres Weges weiter. Nun suchen Sie irgend ein Beispiel in der Schrift, daß ein Prophet, Apostel oder sonst ein Heiliger den Leuten einen andern Weg gezeigt hätte, daß er gesagt hätte: „Das geht nicht so geschwind, du mußt erst das und das und das erfahren haben!“ Nein, sie predigten, daß die Leute erschraken, keine Zuflucht wußten, sich selbst verdammten und fragten: „Wo ist Hülfe?“ Dann erhielten solche die Antwort: „Glaube an den HErrn JEsum“, und damit war es gut. Die Schwärmer sagen: „Das ist nicht die eigentliche Ordnung!“ Ja, das ist eben nicht Schwärmerordnung, aber Gottes Ordnung. Sobald das Evangelium in den Ohren jener Menschen klang, drang es in das Herz und sie kamen zum Glauben. So lesen wir, daß David, nachdem er absolvirt war, noch viel Angst ausgestanden hat, aber in seinen Bußpsalmen ist zugleich ein Bekenntniß, daß er gewiß wußte, er habe einen gnädigen Gott. Und wenn der Prediger einen, der voller Angst (S. 355) ist über seine Sünden, so lange führt, daß es noch lange dauert, daß es noch Monate, Jahre lang dauert, ehe er sagen kann: „Ja, ich glaube!“ – so ist das lauter verlorne Mühe gewesen. Der Prediger ist ein geistlicher Quacksalber gewesen, er hat die Seele nicht zu JEsu geführt, sondern auf ihr eigen Werk. Und das ist eine erschreckliche Sünde. Das haben in einem gewissen Sinn die Pietisten gethan. Gerade die Prediger, die einen großen Eifer haben, sind in Gefahr, diese große, erschreckliche Sünde zu begehen. Sie meinen es herzlich gut, thun aber weiter nichts, als daß sie die Seelen martern. Sie sollen sagen zu jedem betrübten Sünder, der an sich selbst bankerott geworden ist und fragt: „Was soll ich thun, daß ich selig werde?“ – „das ist sehr einfach: glaube an JEsum, deinen Heiland, so ist alles gut.“ Denn bedenken Sie: „Sich bekehren“ das ist nach der Schrift gar nicht schwer, aber bekehrt bleiben, das ist schwer. Darum ist es eben falsch, wenn man die Worte des Heilandes: „Gehet ein durch die enge Pforte“ von der Buße auslegt. Die Buße ist keine enge Pforte, durch die man sich hindurchdrängen muß. Die Buße muß Gott selbst geben. Und wenn wir selbst eine machen wollen, so ist das eine falsche Buße und Gott ekelt vor derselben. Und wir brauchen gar nicht zu sorgen, daß wir nicht zur Buße kommen können. Wir sollen nur sein scharfes Wort brauchen, dann haben wir den ersten Theil der Buße. Wenn dann das selige Evangelium unverclausulirt kommt, so dauert das gar nicht lange, bis der Glaube entsteht. Sobald du das Evangelium gehört hast, so nimm es an. Aber nun geht der Kampf an. Das ist eben das Verkehrte bei den falschen Lehrern: sie setzen den Kampf vor die Bekehrung. Da können wir aber noch nicht kämpfen. Nachher gilt es zu kämpfen. Und das ist schwer. Der schmale Weg ist der Christen Kreuz, daß man sein eigen Fleisch muß tödten, der Welt Spott und Hohn und Schmach auf sich nehmen, daß man mit dem Teufel kämpfen muß, von der Welt sich abwenden muß, von ihren Eitelkeiten, ihren Schätzen und Vergnügungen. Das ist das Schwere. Und daher kommt es, daß so viele bald wieder abfallen und des Glaubens verlustig gehen. Es bekehren sich viel mehr Menschen, als man meint, wo das Wort Gottes recht mit Beweisung des Geistes und der Kraft Gottes verkündigt wird. Wenn wir nur manchen in das Herz sehen könnten, wo in einer Kirche das Wort gewaltig erschallt in Beweisung des Geistes und der Kraft, wo keine Menschenwerke mit eingemengt werden, wie da viele denken: „Ja, ich will auch ein Christ werden! Der Mann hat Recht!“ Aber viele, wenn sie kaum aus der Kirche hinaus sind, suchen sie diese Gefühle wieder zu unterdrücken, und von dem, was sie erfahren haben, (S. 356) suchen sie sich vorzugaukeln, es sei doch lauter Schwärmerei. Und so verhärtet sich ein solcher Mensch von Sonntag zu Sonntag. So gerathen solche in einen ganz gefährlichen Zustand, ja, mancher verstockt sich, daß er gar nicht mehr zu retten ist. Der Heiland sagt selber: „Es gibt viele, die nehmen das Wort mit Freuden auf.“ Dann kommt Anfechtung, und der emporsproßende Keim wird erstickt. Darunter ist nicht gerade zu verstehen, daß einer schwere, teuflische Anfechtung haben muß, sondern überhaupt Ekel an geistlichen Sachen, Ermüdung im Gebet, Trägheit zu Gottes Wort, Verachtung bei der Welt etc. Und nun ist alles wieder hin. Da sprechen die Pietisten: „Der ist noch nicht bekehrt gewesen.“ Aber der HErr sagt ja: „Eine Zeit lang glauben sie.“ Also jene zweite Klasse, jene Leute, welche schnell das Evangelium annehmen, fangen an zu glauben; aber sie lassen das Wort nicht recht Wurzel schlagen, sondern bei der nächsten Versuchung geben sie sich der Welt und dem Fleisch wieder hin. Nun ist alles verloren. Darum glauben Sie ja nicht, daß man da könnte sicher werden, wenn gesagt wird, wie schnell man zur Bekehrung kommen könne und zur Buße. Nein, da forschen Sie nur, wie groß Gottes Gnade ist. Wenn ein Mensch bekehrt ist, da heißt es dann: „Du mußt von nun an täglich kämpfen und mußt darauf denken, daß du von Tag zu Tag Fortschritte machen willst, mußt dich üben in der Liebe, in Geduld und Sanftmuth, mußt kämpfen gegen jede Sünde!“ Das ist die Lection für bekehrte Christen. Nach der Bekehrung kannst du etwas thun; dann geht die cooperatio an. Die Schwärmer aber setzen das vor die Bekehrung. Das ist greulich, ganz greulich! Da wird Gott alle Ehre genommen. Concordienformel, Sol. Decl., Art. II, § 87 (Müller, S. 609): „Dann die Bekehrung unsers verderbten Willens, welche anders nichts, denn eine Erweckung desselben von dem geistlichen Tode, ist einig und allein Gottes Werk, wie auch die Auferweckung in der leiblichen Auferstehung des Fleisches allein Gott zugeschrieben werden soll, inmaßen droben ausführlich angezeiget und mit offenbarlichen Zeugnissen der heiligen Schrift erwiesen worden.“ Ferner heißt es ebendaselbst (S. 591): „Und in Summa bleibet’s ewig wahr, das der Sohn Gottes spricht: Ohne mich könnet ihr nichts thun. Und Paulus Phil. 2: Gott ist’s, der in euch wirket beide das Wöllen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen. Welcher lieblicher Spruch allen frommen Christen, die ein kleines Fünklein und Sehnen nach Gottes Gnade und der ewigen Seligkeit in ihrem Herzen fühlen und empfinden, sehr tröstlich ist, daß sie wissen, daß Gott diesen Anfang der wahren Gottseligkeit (S. 357) in ihrem Herzen angezündet hat, und wölle sie in der großen Schwachheit ferner stärken und ihnen helfen, daß sie in wahrem Glauben bis ans Ende beharren.“ Wo nur ein Fünklein wahrhaftigen Sehnens nach Gnade ist, da ist auch der Glaube, denn Glaube ist nichts anders als ein Sehnen nach Gnade. Dann ist ein Mensch nicht bloß erweckt in dem falschen Sinn sondern bekehrt. Es ist auch merkwürdig, daß der Apostel Phil. 2,12.13. erst sagt: „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern“, und dann fortfährt: „Denn Gott ist’s, der in euch wirket beide das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.“ Gerade deswegen, weil der liebe Gott alles thun muß, sollen wir unsere Seligkeit schaffen mit Furcht und Zittern. Das sagt der Apostel zu den Bekehrten. Ein Verhärteter, ein Blinder, ein Todter kann nicht schaffen, daß er selig wird. Aber ein Bekehrter kann es, ja thut es auch, oder er wird wieder mit geistlicher Blindheit geschlagen und sinkt in den geistlichen Tod zurück. Unsere Gegner sagen: erst erwecke Gott den Menschen, und da gebe er nun dem Menschen Kraft, sich zu bekehren oder nicht, sich zu entscheiden. Da haben sie die alte falsche Lehre wieder aufgewärmt. Aber entweder bist du todt, oder lebendig. Unsere jetzigen Gegner sagen, der Mensch müsse erst ein arbitrium liberatum bekommen. Da soll er lebendig werden, ehe er bekehrt worden ist. In welchem Zustand diejenigen sein müssen, welche zum wahren Glauben kommen müssen, sehen wir aus Luther, W. tom. XVIII, 2118 (St. L. A. XVIII, 1715): „Zuerst hat Gott seine Gnade den Gedemüthigten gewiß zugesagt, das ist, denen, die ihre Sünde beklagen und an sich selbst verzweifeln. Gründlich aber kann ein Mensch sich nicht demüthigen, bis er weiß, daß ganz ohne seine Kräfte, Rath, Bestreben, Willen und Werke seine Seligkeit ganz und gar abhängt von eines andern Gutbefinden (arbitrio), Rath, Willen und Werke, nämlich allein Gottes.“ – So weit muß der Mensch kommen, daß er denkt: „Ich muß mich Gott auf Gnade und Ungnade ergeben, ich kann mich selbst nicht herausziehen aus dem Sündenschlamm.“ Ist er in diesem Zustand, so ist er die materia, die bekehrt wird. Wenn die Leute aber auf ihre eignen Werke getrieben werden, so ist das lauter verlorne Mühe und man raubt Gott seine Ehre. Und das thun oft die, welche es sehr ernst meinen. – „Denn so lange ein Mensch die Ueberzeugung hat, er vermöge, wenn auch nur ein ganz Geringes, in Bezug auf seine Seligkeit, so bleibt er im Vertrauen auf sich selbst und verzweifelt nicht ganz und gar an sich, darum demüthigt er sich nicht vor Gotte, sondern nimmt sich Ort, Zeit oder irgend ein Werk, dadurch er hofft, oder wenigstens wünscht, endlich zur Seligkeit (S. 358) zu gelangen. Wer aber gar nicht daran zweifelt, daß alles im Willen Gottes stehe, der verzweifelt gänzlich an sich, erwählt nicht, sondern erwartet, daß Gott an ihm wirke, der ist der Gnade am nächsten, daß er selig werden kann. Darum werden um der Auserwählten willen diese Dinge öffentlich gelehrt, daß sie, auf diese Weise gedemüthigt und zunichte gemacht, selig werden; die andern widerstehen dieser Demüthigung, ja, verwerfen es, daß dieses Verzweifeln an sich selbst gelehrt werde, und wollen, daß etwas, wenn auch nur ein ganz Geringes, für sie übrig gelassen werde, was sie vermögen. Diese bleiben im Verborgenen stolz und Widersacher der Gnade Gottes. Dies ist, sage ich, der eine Grund, damit die gedemüthigten Gottseligen die Verheißung der Gnade kennen lernen, darum anrufen und sie annehmen.“ – Dahin muß ein Mensch kommen, sonst wird das Evangelium für ihn vergeblich gepredigt. Wenn er seinen Trost an sich selbst findet, oder wenn er meint, sich selbst durchhelfen zu können, so ist er verloren. Darum muß ein Prediger erst recht gewaltig den Donner des Gesetzes hören lassen – und zwar soll beides immer bei einander sein – nach dem Gesetz flugs das Evangelium hinterher, sonst könnte manche liebe, theure Seele verzweifeln und verdammt werden – und diese Seele würde dann von dem Prediger gefordert werden; denn Gott läßt da nicht mit sich scherzen.


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