C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Achtundzwanzigste Abendvorlesung. (15. Mai 1885.)

 

So oft sich jemand anschickt, eine Predigt auszuarbeiten und dann die Kanzel zu besteigen, so sollte das jederzeit mit Furcht und Zittern geschehen, nämlich mit der heiligen Besorgniß, daß er nur ja nichts Falsches vortrage. Alles, was er sich aufgeschrieben hat, sollte er aufs Sorgfältigste prüfen, ob es auch mit Gottes Wort und mit der christlichen Erfahrung übereinstimmt. Alles, was er öffentlich redet, sollte er, und zwar jedesmal, auf die Goldwage des Heiligthums legen, und wohl nachsehen, ob es stimmt mit den Schriften der Apostel und Propheten. Ein Prediger, wenn er vielleicht, nachdem er einige Perioden geschrieben hat, denkt: „Das ist schön! Das ist dir gelungen! Das ist eindrucksvoll!“ soll ja nicht so leicht sich täuschen lassen, sondern wohl nachsehen, ob nicht vielleicht gerade in den Stellen, die ihn dünken so schön zu sein, etwas durchaus Falsches liegt, oder ob die Sache doch nicht so ausgedrückt ist, daß sie leicht mißverstanden werden kann und dadurch ganz verkehrte Vorstellungen in den Zuhörern erzeugt werden. Sobald der Prediger das merkt, muß er streng sein gegen sich selbst, ja grausam, und die einzelnen Sätze mit einem guten Strich ausstreichen, wenn sie ihm auch viel Mühe und viel Schweiß gekostet haben. Es war verlorne Mühe, es war eben nur sein Ingenium und nicht die klare Erkenntniß aus Gottes Wort. Ja, wenn einer merkt, vielleicht mit Schrecken, daß ein ganzer Theil ganz schief ist, ja vielleicht die ganze Predigt, so soll er um Gottes willen nicht denken: „Soll denn die ganze Mühe, soll denn die ganze saure Arbeit verloren sein? Soll die ganze Predigt, die mir so viel Mühe gekostet hat, verloren sein?“ „Aber die Sache ist schief, vieles ist so schief, so schief!“ Nein, alles das muß kassirt werden! Lieber frank und frei gesprochen, wenn er keine Zeit mehr hat, als das, wenn auch mit vieler Mühe, zusammengeschriebene vorgetragen. Und wenn es einem Prediger, der sonst ganz gewissenhaft ist, passirte, daß er auch etwas Falsches (S. 286) in seine Predigt hineingebracht und dann auch gesprochen hat auf der Kanzel, so soll er, wenn er es während der Predigt merkt, sich gleich corrigiren und sagen: „Liebe Zuhörer, ich habe so und so gesagt, aber ich meine es anders.“ Merkt er es später, so muß er es später corrigiren, und wenn die Sache von großer Wichtigkeit ist, daß die Zuhörer dadurch auf einen ganz falschen Weg können geführt werden, so muß er sich nicht nur corrigiren, sondern er muß auch feierlich widerrufen. Das nimmt ihm gar keinen Respect, sondern die Leute sehen dann vielmehr: „Das ist ein gewissenhafter Prediger, der nimmt es genau!“ Nicht aber darf er denken: „O, meine Zuhörer werden es schon verstehen und das Verkehrte werden sie schon gut deuten!“ Nein, er muß so reden, daß sie ihn nicht mißverstehen können aus seinen eignen Worten. Daher ruft der Apostel auch allen, die da predigen, zu: „Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig.“ Falsche Lehre ist ein Sauerteig, ja, man kann ebensogut sagen, ein Gift, welches, wenn es auch in der kleinsten Portion genommen wird, in alle Adern hineindringt und den Menschen vergiftet und tödtet. Das lehrt auch die tägliche Erfahrung. Es ist Erfahrungssache, daß ein klein wenig Gift schrecklich wirkt, während, wenn einer ein ganzes Stück Arsenik verschluckt, dasselbe in Schleim eingehüllt wird, und ihm nichts schadet; aber ein wenig Gift tödtet den Menschen. Es ist nicht auszusagen, welchen Schaden ein einziger falscher Satz in einer Predigt anrichten kann! Wenn ein Prediger z. B. falsch straft, und es hören das nun gerade die gottseligen, gewissenhaften Christen, die ihre Seele in ihren Händen tragen, die ihre Seligkeit schaffen mit Furcht und Zittern, so kann es leicht geschehen, daß solche liebe Seelen nun ihres Gnadenstandes ungewiß werden und sich nicht gewiß getrauen, selig zu werden; denn das, was sie an sich sehen, hat der Prediger als etwas Falsches und der Gnade ungewiß Machendes gestraft. Wenn der Prediger das merkt, darf er nicht denken: „Ich werde an einem andern Sonntag wieder ganz anders reden, dann ist die Sache wieder gut gemacht.“ Nein, je mehr die Zuhörer ihren Prediger für einen orthodoxen Mann halten und für einen wahren, erfahrungsreichen Christen, je weniger werden sie es wieder los werden können, wenn er mit einer falschen Strafe einen Pfeil in ihr Herz hineingeschossen hat. Oder wenn er einmal falsch tröstet, wo er vielleicht strafen sollte, so daß alle falschen Christen sich daran ergötzen, – die ganze Predigt verstoßen sie und halten sich nur daran, denken: „Damit willst du dich auch halten! du bist auch ein guter Christ!“ – wie schrecklich ist das! Es ist doch ganz erschrecklich, wenn ein fleischlich sichrer Mensch sich für einen guten Christen hält, – und doch verhält es sich ganz anders – wenn er sich dafür hält, bis er endlich in seiner Blindheit dahin fährt (S. 287) und ewig verdammt wird. – Das kann auch einem rechtschaffenen Prediger einmal passiren. Wenn er einmal nicht recht aufmerkt, nicht recht wacht und betet, wenn er seine Predigt macht, da läßt es Gott geschehen und spricht gleichsam zu ihm: „Du brauchst mich nicht, das sehe ich! Du rufst mich nicht an, du vertraust auf deine eigne Kraft! Wohlan, ich will dich dir selbst überlassen!“ Was für eine große Angst ist es aber, wenn ein Prediger sich sagen muß; „Du bist daran Schuld, daß der und der einen falschen Weg geht!“ Darum müssen Sie eine jede Predigt eine Frucht brünstigen Gebetes sein lassen! Sobald Sie an ihr Predigtheft gehen und Sie merken: „Ach, ich bin so kalt, so todt, so zerstreut“, so müssen Sie nicht denken: „Das hilft jetzt weiter nichts, diese Seite muß einmal schwarz werden!“ Nein, legen Sie dann die Feder weg. Wenn Sie nun den lieben Gott recht anrufen, er solle Sie doch aus diesem elenden Zustande herausreißen, er solle Ihnen ein brünstiges Herz geben, er solle alles Ungöttliche überwinden, er solle das Wehen des Heiligen Geistes in Ihr Herz kommen lassen, dann werden Sie nicht bloß tröstliche Worte schreiben, von denen Sie selbst nichts fühlen und kein getrostes Herz dabei bekommen, sondern denken: „Ich muß eben alles, was in der Bibel steht, sagen; dann ist es schon gut.“ Das ist nicht gesagt, daß es dann schon gut ist. Wenn Sie aber an die Ausarbeitung einer Predigt gehen, so muß es Ihr ganzer Ernst sein, daß Sie denken: „Wie fange ich es jetzt an, daß ich einen rechten Zug thue mit dem Netz des Evangeliums?“ Darin wird mehr von den Pastoren gesündigt, als auszusagen ist. Wie viel edle Zeit wird da von manchen die ganze Woche hingebracht, wenn auch nicht mit gottlosen Dingen, so doch nicht mit dem Allernöthigsten! Dann kommen sie auf die Kanzel und geben nicht, was sie geben könnten. Man merkt es ihnen an: sie sagen nur etwas, weil sie etwas sagen müssen; es liegt ihnen aber nichts daran, ob es etwas hilft. Das ist schrecklich! Die Dreiviertelstunde, die Sie auf der Kanzel stehen, ist eine gar köstliche Stunde, die über Heil und Seligkeit vieler Menschen entscheiden kann. Wehe einem Prediger, der seine Zeit nicht sucht auszukaufen, der nicht das Köstlichste gibt, was er geben kann, und, wenn er nicht in Anfechtung ist, denkt: „Das will ich predigen. Ich weiß, wer sich nicht verstockt, der wird dadurch das Zeugniß des Heiligen Geistes vernehmen! Das ist Wahrheit!“ Wer aber selbst kein Vertrauen hat zu seiner Predigt, wie kann der durch dieselbe etwas erreichen? – Ich sage: außer der Anfechtung; denn da möchte ein treuer Prediger allemal sein Manuscript zerreißen. Das sind Schläge, durch die der liebe Gott ihn demüthigen will. Aber der normale Zustand ist dieser, daß er ein gutes Zutrauen hat, nachdem er gekämpft und gerungen hat mit Gott und nach (S. 288) dem er eine solche Predigt ausgearbeitet hat, von der er nun weiß: „Das ist eine richtige Angel, um die Seelen für Christum zu fangen und zu Christo zu bringen!“ Wer aber planlos und ziellos redet, bei dem ist es kein Wunder, wenn er kein Ziel erreicht. Wehe dem Prediger und Studenten, welcher liederlich und leichtfertig zu Werke geht und das hinschreibt und redet, was ihm gerade in den Sinn, in die Feder, in den Mund kommt! Das geschieht sonderlich bei dem sogenannten Extemporiren. Darunter verstehe ich nicht nur die, welche alles abgeschrieben haben, sondern die nicht alles durchmeditirt haben. Mancher kann ja nicht mit großer Parrhesie reden; wenn er es aber tüchtig durchmeditirt hat, kann er viel fließender reden. Judicium und ingenium sind verschieden. Ja, ich möchte sagen: Es muß einer anfangen, sich mit der Zeit von dem Manuscript unabhängig zu machen und so dem Heiligen Geist Gelegenheit geben, daß er selbst recht ergriffen werde und auf Worte und Gedanken komme, an die er selbst vorher nicht gedacht hat. Daher schreibt denn der Apostel Paulus 2 Tim. 2,16.: „Befleißige dich Gott zu erzeigen einen rechtschaffenen und unsträflichen Arbeiter, der da recht theile das Wort der Wahrheit.“ Die Hauptsache bei der Predigt ist also, Gesetz und Evangelium recht zu unterscheiden.

 

Thesis XVI.

Gottes Wort wird zwölftens nicht recht getheilt, wenn man so predigt, als ob schon die Ablegung gewisser Laster und die Ausübung gewisser Werke und Tugenden eine wahre Bekehrung sei.

 

Das ist eine überaus wichtige Thesis, denn das ist die allergröbste Vermischung von Gesetz und Evangelium, die es geben kann. Wenn einer so predigt, daß der Zuhörer denkt: „Wenn du nicht mehr raubst und stiehlst, dann bist du ein guter Christ, und die Schwachheit werde ich wohl auch ablegen“ ––wehe dem, der solche Gedanken erzeugt! Aus dem Evangelium wird dann ein Gesetz gemacht, weil ein Werk gemacht wird aus der Bekehrung, während dieselbe doch nur durch das Evangelium bewirkt werden kann, und zwar so, daß der Mensch zum lebendigen Glauben kommt. Dieser so groben Vermischung machen sich vor allen Dingen die Rationalisten schuldig. Ja, das ist ihre eigentliche Religion, daß sie sagen: „Zuerst mußt du die Laster ablegen und dann in der Tugend dich üben, dann bist du ein andrer Mensch“, während Gottes Wort sagt: „Erst sollst du ein andrer Mensch werden, dann wirst du auch die und die Sünde lassen und dich in guten Werken üben.“ Die Lehre, nach welcher der Mensch fromm gemacht werden soll durch Werke, ist die Lehre der Heiden, (S. 289) der Neujuden und Türken. Da will man einen bösen Strom leer machen, indem man nur fortschöpft und denkt: „Endlich werde ich doch auf den Grund kommen.“ Aber das Wasser kommt immer wieder von der Quelle. Nein, willst du den bösen Strom trocken machen, so mußt du zur Quelle gehen. Die Quelle des Bösen sollen wir verstopfen, dann folgt erst das reine Wasser. Die Rationalisten pflegen das Sprüchwort zu haben: „Nimmerthun ist die rechte Buße.“ In einem gewissen Sinn kann man das richtig verstehen, wie es auch unsere Alten richtig gebrauchen; denn sie wollten nur sagen: „Ihr, die ihr euch rühmt, ihr hättet den rechten Glauben, und lebt doch so böse, schweigt mit eurem Geschwätz vom Glauben! Nimmerthun ist die rechte Buße.“ Aber die Rationalisten wollen damit sagen: „Man braucht sich nicht zu betrüben. Nimmerthun ist die rechte Buße. Nimmerthun ist das, was Gott verlangt, dann ist man ein wahrer Christ.“ Das ist eine schändliche Tugendlehre. Das Christenthum sagt uns das Richtige mit dem einen Wort: „Metanoeite“ = werdet andrer Gesinnung“, oder wie Luther es richtig übersetzt hat: „Thut Buße“, denn die Leute hätten sich des Todes verwundert, wenn er es in seiner etymologischen Bedeutung übersetzt hätte. Mit diesem einen Wort tritt der HErr zuerst auf gegen die Sünde und sagt: „Du mußt ganz andrer Gesinnung werden. Das Laster lassen, gute Werke thun, das ist nicht, was ich verlange, sondern einen andern Sinn, ein anderes Herz, einen andern Geist mußt du haben.“ Das ist es, was das Christenthum verlangt. Es legt die Axt dem Baum an die Wurzel. Rationalismus und Pabstthum beschneiden am Giftbaum nur die Zweige, und nun kommen immer wieder neue Zweige, aber sie sind alle giftig. Ein solcher Baum muß oculirt werden, es müssen andere Zweige hineingepfropft werden, dann kommen auch andere Früchte. Hören wir zum Beweis dafür einige Schriftstellen. Joh. 3,3.: „JEsus antwortete, und sprach zu ihm: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ – Nicodemus kommt zum HErrn und spricht: „Meister, wir wissen, daß du bist ein Lehrer von Gott kommen, denn niemand kann die Zeichen thun, die du thust.“ Er meint natürlich, der HErr würde sich sehr freuen, daß einer von den Pharisäern ihm ein solches Zeugniß gäbe, und dachte, der HErr würde wohl sagen: „Das ist ja herrlich! Fahre nur so fort!“ Kein Wort davon, sondern er schlägt ihm die Thür des Himmels vor der Nase zu und sagt: „Du willst dich wohl bei mir einschmeicheln? Wenn du nicht einen andern Sinn bekommst, kannst du nicht in den Himmel kommen. Du mußt ein andrer Mensch werden, du mußt von neuem geboren werden.“ Da zeigte sich denn auch gleich, welches Sinnes er war, indem er ausrief: „Wie kann (S. 290) ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ Aber der HErr antwortet ihm wieder: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: es sei denn, daß jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.“ Der HErr wollte sagen: „Was du nach deiner fleischlichen Natur vornimmst, das ist sündig; du mußt erst geistlich werden, dann kommen rechte geistliche Früchte heraus.“ Matth. 12,33.: „Setzet entweder einen guten Baum, so wird die Frucht gut; oder setzet einen faulen Baum, so wird die Frucht faul. Denn an der Frucht erkennet man den Baum.“ Wenn man einen guten Baum setzt, so wird er auch gute Früchte bringen, aber wenn man einen faulen Baum pflanzt, so bringt er auch böse Früchte. Erst muß der ganze Mensch geändert werden, er muß eine neue Creatur werden, er muß von neuem geboren werden, er muß einen andern Sinn bekommen, sonst ist alle Frucht lauter faule Frucht, denn von Natur ist eben jeder Mensch ein fauler Baum. Matth. 15,13.: „Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzet, die werden ausgereutet.“ – Nur die Werke sind gut, die Gott selbst gewirkt hat. Wer ein Werk gewirkt hat durch die Kraft seiner Vernunft und seines natürlichen Willens, der hat eine Pflanze hervorgebracht, die ausgereutet werden muß. Gott will sie nicht anerkennen, sondern sagt: „Gehe mir unter den Augen weg mit diesen Sünden! Das ist lauter Sünde, lauter Schande vor mir, was du gethan hast. Denn diese Werke kommen aus einem bösen Herzen, das nichts nach mir fragt. Das ist lauter schlechtes Wasser, denn es kommt aus einer stinkenden Quelle.“ Ein wahrer Christ weiß das auch ganz gut. Man braucht ihm gar nicht viel zu sagen; er mag thun, was er will, und sei es auch noch so schön gewesen, er empfindet doch bald: das ist doch nicht recht gewesen. Du hast es nicht gethan, weil dich die Liebe zu Gott und dem Nächsten trieb, sondern nur so mechanisch, oder weil du gedacht hast: „So mußt du handeln, damit man doch sieht, daß du ein Christ bist.“ Ein Christ merkt gleich, ob ein Werk eine Pflanze ist, die von Gott gepflanzt worden ist, oder ob es eine Pflanze ist, die Adam gepflanzt hat. Wer das noch nicht merkt, der soll wissen, daß er noch nicht die metanoia, die Aenderung seines Herzens, erfahren hat, daß der Heilige Geist noch nicht in ihm ist. Sobald ein Mensch den Heiligen Geist bekommt, und er thut etwas aus des Gesetzes Forderung, so spricht der Geist gleich: „Das ist nichts!“ Und wenn jemand tausend Thaler gibt, so sagt der Geist gleich: „Prüfe dich, ob die Liebe zu Gott oder zum Nächsten dich getrieben hat. Treibt dich die Liebe (S. 291) nicht, so ist es nichts, so ist es elendes Gaukelwerk, so ruht auch kein Segen darauf.“ Jer. 4,3.: „So spricht der HErr zu denen in Juda und Jerusalem: Pflüget ein Neues, und säet nicht unter die Hecken.“ – Ein merkwürdiges Wort! Was das bedeutet, das wissen wir recht gut. Wer auf neues Land kommt und wollte da gleich neuen Weizen hineinsäen in den Busch, der wird nicht viel ernten. Da gilt es, daß man ausrodet, daß man alles wegschafft, alle Bäume umhaut, oder doch so viel Luft schafft zwischen den Bäumen, daß etwas aufgehen kann. Das ist ein Bild der Bekehrung. Der Mensch muß erst bekehrt werden, ein neues Herz bekommen, und in dieses neue Herz kann man hineinthun den Samen zu den guten Werken. 1 Cor. 13,3.: „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht; so wäre mir’s nichts nütze.“ – Eine besonders merkwürdige Stelle für unsere Thesis. Nicht sowohl auf die Werke kommt es an, als vielmehr auf die Liebe, mit der man sie vollbringt. Wenn ich auch gar nichts thun könnte, wenn ich blutarm wäre, so kann ich doch vor Gott reich sein an guten Werken, wenn nämlich meine Liebe mich drängt zu dem Wunsch: „Ach, könnte ich doch Gutes thun an allen Menschen! Ich muß aber nach Gottes Willen von andern mir Liebe beweisen lassen.“ Da sieht Gott den Willen für ein gutes Werk an. Auf die Liebe kommt es an, nicht auf die äußeren Werke. Paulus war vor seiner Bekehrung im Gesetz unsträflich, es konnte ihm kein Mensch etwas nachsagen, und doch sagte er, er hätte es alles für Koth gehalten, während er seine wirklich guten Werke nicht für Koth gehalten hat, sondern sagt, daß die wirklich guten Werke einen großen Gnadenlohn bekommen. Röm. 14,23.: „Was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde.“ Dieses große Wort! Und wenn einer seinen Leib brennen ließe, wenn er es nicht aus Liebe thäte, also aus dem Glauben, – denn die Liebe kommt erst durch den Glauben ins Herz – so wäre es ihm doch nichts nütze. Wie blind muß der sein, der die Menschen will fromm machen damit, daß er recht in sie dringt, sie sollen gute Werke thun! Nein, erst fromm werden, dann gute Werke! Aber auch gläubige Prediger können unversehens dahinein gerathen, daß sie diese greuliche Vermischung des Gesetzes und des Evangeliums begehen, weniger in der Predigt, aber in der Privatseelsorge und in der Kirchenzucht. Da versehen es viele Prediger und Gemeinden. Da haben Sie einen Trunkenbold vor sich und strafen ihn. Da spricht er: „Nun ja, das thut mir leid“, denn diese Leute sind gewöhnlich solche Menschen, die gleich „Ja“ sagen. Aber ein unerfahrener Prediger kann sich leicht (S. 292) täuschen. Der Trinker wird vielleicht suspendirt drei Monate lang, es wird auf ihn Acht gegeben, und nun bringt einer die gute Nachricht: „Ja, der hat die ganze Zeit nicht mehr in seiner Sünde gelebt.“ Da denkt ein solcher Prediger: „Nun, der ist bekehrt.“ Aber er ist doch ein ganz gottloser Mensch. Da nehmen Sie sich um Gottes willen in Acht und lassen Sie sich nicht so leicht täuschen! So ist es auch, wenn einer ein Flucher war. Der wird vorgenommen und eine ganze Zeit lang flucht er nicht mehr. Oder ein fauler Kirchgänger ist gewiß kein Christ. Wenn er vorgenommen wird, so kommt er vielleicht die nächste Zeit in die Kirche. Aber ist er deswegen nun ein Christ? Nein, darum ist er noch lange kein guter Mann, das kann auch ein gottloser Mensch. Den muß man zum Bewußtsein bringen: „So lebt kein Christ, ein solcher kann unmöglich in der Gnade stehen.“ Da muß man arbeiten, daß er ein neuer Mensch wird. Wenn der Prediger nicht an ihm arbeitet, so vernachlässigt er seine Seele. So ist es auch mit trägen Abendmahlsgängern. Da werden sie gestraft und dann gehen sie wieder zum Sacrament. Wenn ein Prediger damit zufrieden ist, so hat er schändlich Gesetz und Evangelium vermischt. Ebenso verhält es sich mit den Geizigen. Wenn eine Gemeinde so geizig ist, daß sie keine Collecte erheben will, oder sie gibt dem Prediger seinen Gehalt nicht, da muß er nicht denken: „Ich will ihnen einmal eine scharfe Predigt halten, daß sie sollen die Taschen öffnen!“ Denn das ist gar nichts, wenn die Taschen durch das Gesetz geöffnet werden. Er muß so predigen, daß sie aus ihrem Schlaf und Tod aufwachen. Wer das nicht thut, der handelt gegen unsere sechzehnte Thesis. Zu der oben citirten Stelle, Joh. 3,3., schreibt Luther (E. A. 46, 260-262; St. L. A. VII, 1854): „Daher ist das unsere Lehre, daß aller Menschen Werke nichts seien und vergeblich gethan werden, wenn man nicht zuvor neu geboren ist“, – Manche falsche, orthodoxe Prediger denken: „Ach, das ist lauter Pietismus.“ Nein, das ist Christianismus! – „und darum heißen wir’s auch das vornehmste Stück, davon die Leute sollen unterrichtet werden, wie sie müssen erstlich neu geboren werden, daß man also zum ersten sage, daß sie alle todt seien, und was noch von Leben, Orden, Fasten und anderm sein mag, daß es nichts helfe zu erlangen Vergebung der Sünden, bis daß sie wiedergeboren und neue Menschen werden.“ – Bedenken Sie, daß Sie da eine herrliche Waffe bekommen, wenn Sie daran denken: „Ihr müßt von neuem geboren werden, ehe ihr daran denken könnt, gute Werke zu thun, sonst ist alles Schein.“ Thun Sie das nicht, sagen Sie das nicht, so sammeln Sie im besten Falle eine Gemeinde von gesetzlichen Pharisäern. – „Was aber solches für eine Geburt sein müsse, das wollen wir hören. Es steht aber (S. 293) darauf, daß Christus zweimal schwört, spricht: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde etc.; als sollte er sagen: Gedenk nicht, Nicodeme, darum, daß du ein ehrlicher, frommer Mann bist, darum seiest du selig. Denn es ist wahr, man soll ehrlich und züchtig und seliglich leben in dieser Welt. Denn wo du es nicht thust, so ist Meister Hans, der Henker, hie mit dem Schwert und Strick und verbeut dir’s, daß du es nicht mehr thuest, spricht: Willst du nicht, so mußt du. Wenn du es aber dahin willst deuten, daß du das Himmelreich dadurch ersehen willst, so ist’s nichts mit denselbigen guten Werken. Denn dieselbigen Werke, dieselbige Frömmigkeit geben nur das zeitliche Leben, oder bewahrt dich, daß du nicht erwürgt werdest, oder sonst von Haus und Hof, Weib und Kindern verweiset werdest, noch an Galgen gehängt. Also, bist du ein Bürger zu Jerusalem, so hast du das Leben, Ehre und Herrlichkeit durch diese Ehrbarkeit. Aber was das Himmelreich anlangt, die Kirche und das Reich Christi, da gedenke, daß du ein neuer Mensch werden mögest, und halte dich nicht anders, denn als ein Kind, welches nicht allein noch nicht einig Werk thun kann, sondern es hat auch noch nicht sein Wesen oder Leben. Das sind der Christen Predigten. Die christliche Lehre unterrichtet uns also, daß wir erstlich müssen andere Leute werden, das ist, neu geboren werden. Wie geschieht aber das? Durch den Heiligen Geist und durchs Wasser. Wenn ich denn neu geboren bin, fromm und gottfürchtig worden, so gehe ich hin, und was ich in der neuen Geburt thue, das ist gut. – Adam, wenn er in der Unschuld und in dem Stande, darinnen er geschaffen war, geblieben wäre, so wäre er hingangen und hätte gethan, was er nur gewollt hätte, als irgends Schnurlen gefischt, Rothkehlchen gefangen oder Bäume gepflanzt: das wären eitel gute, heilige Werke gewesen und keine Sünde; und Eva hätte die Kinder gesäugt, sie gewischt: das wären eitel köstliche, gute Werke gewesen. Denn die Person war gut, rechtschaffen, rein und heilig geschaffen; darum waren auch alle ihre Werke gut, sie esse oder trinke, so war’s alles recht.“ – In der neuen Geburt ist alles Gotteswerk. Wenn ich es mir gut schmecken lasse, wenn ich esse und schlafe, das ist auch ein gutes Werk, nicht etwa bloß das, wobei ich mich tüchtig quäle. Ja, wenn ich mich als ein Gesetzesknecht quäle, so ist das lauter Martyrium für die Hölle. Ein Christ hat den rechten Sinn, und da gefällt Gott alles wohl, denn aus einer guten Quelle quillt nur gutes, süßes Wasser. – „Aber nachdem nun der Mensch in die Sünde gerathen, thut er nach dem Fall nichts Gutes, sondern sündigt in allen seinen Werken, auch wenn er betet; denn er thut’s wie ein Sünder; alles, was er thut, ist nicht recht, auch wenn er fastet, betet, ein gestreng Leben führt (S. 294) als ein Karthäuser, ein Mönchskleid an trägt, geht barfuß. Denn solches ist alles sündlich darum, daß die Person böse ist und nicht wieder neu geboren, und hilft sie alles nicht, was sie thut.“ – Wenn einer in einem Kloster war und er kam dann zum Glauben, so war alles wieder gut, auch seine Mönchskutte, denn er that nun alles in der rechten Gesinnung, er dachte: „Gott will es so haben, das ist mein Beruf, darum thue ich es auch.“ – „Derhalben spricht Christus zu Nicodemo: Ich bin kommen, daß ich eine andere Lehre predige, nämlich, wie ihr neu geboren werden müsset, daß ihr gut werdet. Solche Predigt ist zuvor in der heiligen Schrift auch begriffen und beschrieben, aber ihr leset’s nicht, und ob ihr’s schon leset, so versteht ihr’s doch nicht, nämlich, daß, ehe man gute Werke thue, so müsse man neu geboren sein, denn aus Sündern werden eitel Sünder gezeugt, die Person ist da verderbt.“ – Auch das Alte Testament ist voll davon, daß der Mensch ein neues Herz haben, einen neuen Geist bekommen, sein Herz beschneiden muß. – „Der HErr Christus sagt Matthäi am 7. Kapitel: Wo der Baum böse ist, da trägt er keine guten Früchte, Disteln tragen nicht Feigen, noch Dornen Trauben.“ – Christus will uns von Grund aus fromm machen. Hören Sie nun noch ein Zeugniß von Luther aus seinem Sermon von der Freiheit eines Christenmenschen vom Jahre 1520. (W. XIX, 1225f.) Es ist das die Schrift, die Luther dem Pabst dedicirt hat. Er steckt dem Pabst da ein Licht auf und sagt ihm so furchtbar die Wahrheit, daß man sich wundert, wie er so reden konnte. Luther kannte eben die Menschenfurcht nicht. Er fürchtete sich vor keinem Teufel, geschweige denn vor Menschen. Als es unter anderm auf der Wartburg einmal fürchterlich rumorte, wie wenn hunderttausend Fässer die Treppe hinunterkollerten, da sagte er: „Was ist denn los? Ach, bist du es? Nun, wenn ich das gewußt hätte, dann wäre ich nicht erst hinausgegangen.“ Luther wußte, der Teufel ist ein hochmüthiger Geist, der kann nichts weniger leiden, als wenn man ihn verachtet. Er hat ihn auch verachtet. Ein anderer wäre des Todes erschrocken und hätte voller Angst gedacht: „Das ist der Teufel!“ Luther schreibt also: „Gute, fromme Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Mann; sondern ein guter, frommer Mann macht gute, fromme Werke. Böse Werke machen nimmermehr einen bösen Mann; sondern ein böser Mann macht böse Werke. Also, daß allewege die Person zuvor muß gut und fromm sein vor allen guten Werken, und gute Werke folgen und ausgehen von der frommen, guten Person. Gleichwie Christus sagt Matth. 7,18.: „Ein böser Baum trägt keine guten Früchte. Ein guter Baum trägt keine bösen Früchte.“ Nun ist’s offenbar, daß die Früchte tragen nicht den Baum, so wachsen auch die Bäume nicht aus den (S. 295) Früchten, sondern wiederum, die Bäume tragen die Frucht und die Früchte wachsen auf den Bäumen. Wie nun die Bäume müssen ehe sein denn die Früchte, und die Früchte machen nicht die Bäume weder gut noch böse, sondern die Bäume machen die Früchte; also muß der Mensch in der Person zuvor fromm oder böse sein, ehe er gute oder böse Werke thut, und seine Werke machen ihn nicht gut oder böse, sondern er macht gute oder böse Werke. – Desgleichen sehen wir in allen Handwerken. Ein gutes oder böses Haus macht keinen guten oder bösen Zimmermann, sondern ein guter oder böser Zimmermann macht ein böses oder gutes Haus. Kein Werk macht einen Meister, darnach das Werk ist, sondern wie der Meister ist, darnach ist sein Werk auch. Also sind die Werke des Menschen auch; wie es mit ihm steht im Glauben oder Unglauben, darnach sind seine Werke gut oder böse. Und nicht wiederum, wie seine Werke stehen, darnach sei er fromm oder gläubig. Die Werke, gleichwie sie nicht gläubig machen, so machen sie auch nicht fromm. Aber der Glaube, gleichwie er fromm macht, so macht er auch gute Werke.“ Das sind Sachen, die verstehen wir ganz leicht, aber durch welche schweren Kämpfe hat Luther erst hindurchgemußt, ehe er dieses Lied hat singen können! Es ist zu verwundern, daß er schon im Jahre 1520 das Verhältniß der Werke zum Glauben so schildern konnte.


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