C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.

 

Erste Abendvorlesung. (12. September 1884.)

 

Meine theuren Freunde! So nöthig und unerläßlich es ist, wenn Sie einst tüchtige Lehrer in Kirche und Schule werden wollen, daß Sie alle Lehren der christlichen Offenbarung auf das Allergenaueste kennen lernen, so ist doch damit noch nicht alles Nöthige geschehen. Es ist vielmehr auch dies nöthig, daß Sie diese Lehren auch recht anzuwenden verstehen; daß Sie diese Lehren nicht nur klar in Ihrem Verstande aufgefaßt haben, sondern daß sie alle tief in Ihr Herz eingedrungen sind und ihre göttliche, himmlische Kraft gezeigt haben; daß Ihnen alle diese Lehren so köstlich, so werthvoll, so theuer geworden sind, daß Sie gar nicht anders können, als daß Sie mit brennenden Herzen bekennen und mit Paulus sagen: „Wir glauben, darum so reden wir auch“, und mit allen Aposteln: „Wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben.“ Sie haben es zwar nicht wie die Apostel mit leiblichen Augen gesehen und mit leiblichen Ohren gehört, aber Sie sollen es mit geistlichen Augen und Ohren erfahren haben. Da es nun mein Bestreben ist, in der Dogmatik Sie in jeder Lehre zu gründen und gewiß zu machen, so ist diese freitägliche Abendstunde dazu bestimmt, Sie zu rechten practischen Theologen zu machen und die christliche Lehre Ihnen recht ins Herz hineinzureden, so daß Sie als lebendige Zeugen einst auftreten in Beweisung des Geistes und der Kraft; daß Sie nicht wie todte Statuen auf der Kanzel stehen, sondern mit getrostem, fröhlichem Muth helfen, wo zu helfen ist. Die erste und wichtigste Lehre nun ist die Lehre von der Rechtfertigung. Die zweite Lehre ist aber sogleich, wie Gesetz und Evangelium zu scheiden sind. Wir wollen uns nun beschäftigen mit dem Unterschied des Gesetzes und des Evangeliums. Das sei der Gegenstand unsers ernstlichen Studiums. Zwar sagt Luther, er wolle den obenansetzen und einen Doctor der heiligen Schrift nennen, welcher diese Kunst, das Gesetz vom Evangelio zu scheiden, wohl könne. Nun dürfen Sie aber nicht glauben, daß ich mich obenansetzen und für einen Doctor der heiligen Schrift gehalten werden wolle. Nein, dann irren Sie sich sehr. Freilich schimpft man mich manchmal so. Aber auch ich will vielmehr ein demüthiger Schüler bleiben und setze mich zu den Füßen unsers Luther, wie derselbe diese Lehre von den Aposteln und Propheten gelernt hat. So oft Sie in diese Stunde kommen, so kommen Sie mit dem stillen Seufzer in Ihrem (S. 6) Herzen, daß Gott uns seinen Heiligen Geist reichlich verleihen wolle, Ihnen zum Hören und mir zum heilsamen Lehren. So wollen wir daran gehen im festen Vertrauen, daß Gott uns segnen werde an unsern eigenen Seelen und an denen, die wir retten sollen. Wenn wir die heilige Schrift mit andern Schriften vergleichen, so machen wir die Bemerkung, daß kein Buch so widerspruchsvoll zu sein scheint, als die Bibel, und nicht nur in den Nebenpunkten, sondern im Hauptpunkt, in der Lehre, wie wir zu Gott kommen und selig werden können. Hier wird allen Sündern Vergebung angeboten, dort werden allen Sündern ihre Sünden behalten. Hier wird allen Menschen das ewige Leben umsonst angeboten. Dort wird der Mensch angewiesen, selbst etwas zu thun. Dieses Räthsel löst sich nun, wenn wir erwägen, daß in der Schrift zwei ganz verschiedene Lehren sind, die Lehre des Gesetzes und die Lehre des Evangeliums.

 

Thesis I. Der Lehrgehalt der ganzen heiligen Schrift, sowohl des Alten als des Neuen Testaments, besteht aus zwei von einander grundverschiedenen Lehren, nämlich dem Gesetz und dem Evangelio.

 

Zwar ist es nicht meine Absicht, in diesen Stunden die Lehre vom Gesetz und Evangelium systematisch zu behandeln, vielmehr ist hier meine Absicht, Ihnen zu zeigen, wie leicht man Gesetz und Evangelium, die doch so verschieden von einander sind, zum großen Schaden der Zuhörer vermischen kann und den Endzweck beider Lehren vereiteln. Aber dann erst werden Sie diesen Punkt mit Interesse betrachten, wenn Sie sich vergegenwärtigen, worin der Unterschied des Gesetzes und des Evangeliums bestehe. Gesetz und Evangelium sind nicht dadurch unterschieden, daß das Evangelium eine göttliche Lehre sei, das Gesetz aber eine menschliche, auf der Vernunft beruhende. Nein, was von beiden in der Schrift enthalten ist, das ist alles das Wort des lebendigen Gottes selbst. Auch das ist der Unterschied nicht, daß nur das Evangelium nothwendig sei und das Gesetz nicht, als ob das Gesetz nur eine Zugabe sei, die man zur Noth entbehren könne. Nein, beide sind uns gleich nothwendig. Ohne das Gesetz verstehen wir das Evangelium nicht und ohne das Evangelium hilft uns das Gesetz nichts. Auch das ist der Unterschied nicht, wie die Einfältigen oft meinen, daß das Gesetz die Lehre des Alten Testaments und das Evangelium die Lehre des Neuen Testaments sei. Nein, Evangelium ist im (S. 7) Alten Testament und Gesetz im Neuen Testament enthalten. Im Neuen Testament hat uns der HErr noch das Siegel des Gesetzes aufgeschlossen; er hat es gereinigt von den jüdischen Satzungen. Auch das ist nicht der Unterschied, daß beide einen verschiedenen Endzweck hätten, als ob das Evangelium zur Seligkeit und das Gesetz zur Verdammniß gegeben sei; nein, beide haben als letzten Endzweck die Seligkeit der Menschen, nur daß das Gesetz uns nicht nach dem Fall zur Seligkeit bringen kann, sondern uns nur vorbereitet auf das Evangelium. Und wir bekommen dann auch durch das Evangelium Kraft, das Gesetz einigermaßen zu erfüllen. Auch das ist nicht der Unterschied, daß diese Lehren einander widersprächen. Nein, es gibt keinen Widerspruch in der Schrift. Sie sind nur verschieden und stehen mit einander in der schönsten Harmonie. Auch das ist nicht der Unterschied, daß nur die eine dieser beiden Lehren für Christen da sei, die andere nicht. Auch für einen Christen hat das Gesetz immer noch seine Bedeutung. Ja, wenn einer aufhört, eins von den beiden zu gebrauchen, der ist kein wahrer Christ mehr. Der Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium besteht vielmehr in Folgendem: 1. Diese Lehren sind unterschieden in Absicht auf die Art und Weise, wie sie dem Menschen offenbart worden sind; 2. sie sind unterschieden durch den Inhalt, den beide haben; 3. durch die Verheißungen, welche beide Lehren haben; 4. durch die Drohungen; 5. durch das Amt und die Wirkungen, die beide Lehren haben; 6. in Absicht auf die Personen, denen die eine oder andere Lehre gepredigt werden soll. Alle andern Unterschiede können unter diesen sechs Punkten untergebracht werden. Wir wollen nun auch, was ich gesagt habe, beweisen aus Gottes Wort. Gesetz und Evangelium sind also erstens von einander verschieden in Absicht auf die Art und Weise, wie diese Lehren dem Menschen offenbart worden sind. Das Gesetz ist dem Menschen anerschaffen und ins Herz geschrieben. Durch den Fall ist allerdings diese in das Herz geschriebene Schrift sehr verblichen, aber nicht erloschen. Wenn daher auch dem Gottlosesten das Gesetz gepredigt wird, so sagt ihm sein Gewissen: „das ist wahr“, während ihm sein Gewissen das nicht sagt, wenn ihm das Evangelium gepredigt wird; ja, er wird vielleicht wüthend. Der lasterhafteste Mensch sieht ein, daß er das thun sollte, was im Gesetz steht. Woher kommt das? Weil es in sein Herz geschrieben ist. Anders ist es bei dem Evangelium. Das Evangelium enthält die Verkündigung und Offenbarung lauter freier Gnadenthaten Gottes: die lassen sich nicht von selbst erschließen. Was Gott nach dem Evangelium gethan hat, das hätte er nicht thun müssen, weil es nicht anders möglich gewesen wäre, wenn er ge- (S. 8) recht und liebreich hätte bleiben wollen. Nein, Gott wäre die ewige Liebe geblieben, und wenn er alle Menschen hätte zum Teufel fahren lassen. Röm. 2,14.15.: „Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, und doch von Natur thun des Gesetzes Werk, dieselbigen, dieweil sie das Gesetz nicht haben, sind sie ihnen selbst ein Gesetz, damit, daß sie beweisen, des Gesetzes Werk sei beschrieben in ihrem Herzen, sintemal ihr Gewissen sie bezeuget, dazu auch die Gedanken, die sich unter einander verklagen oder entschuldigen.“ Da bezeugt es der Apostel: auch die blinden Heiden tragen das Moralgesetz in ihrem Herzen und Gewissen. Dazu bedurfte man nicht einer übernatürlichen Offenbarung. Die zehn Gebote wurden nur gegeben, damit die verblichene Schrift wieder aufgefrischt würde. Röm. 16,25.26.: „Dem aber, der euch stärken kann laut meines Evangelii und Predigt von JEsu Christo, durch welche das Geheimniß geoffenbaret ist, das von der Welt her verschwiegen gewesen ist, nun aber offenbaret, auch kund gemacht durch der Propheten Schriften, aus Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden.“ Mit klaren Worten wird da bezeugt, daß das Evangelium nicht zu erschließen war von Anfang der Welt. Bekannt ist es nur dadurch geworden, daß es der Heilige Geist den heiligen Menschen Gottes eingegeben hat. Wie wichtig ist aber dieser Unterschied! Alle Religionen haben etwas vom Gesetz. Manche unter den Heiden haben es sogar so weit gebracht, daß sie eingesehen haben, auch eine innere Seelenreinigung, eine Reinigung der Gedanken und Begierden sei nöthig. Aber von dem Evangelio gibt es nirgend anderswo etwas, als in der christlichen Religion. – Wenn das Gesetz dem Menschen nicht ins Herz geschrieben wäre, so würde niemand der Predigt des Gesetzes zuhören, sondern jedermann würde sich abwenden. Man würde sagen: „Das ist grausam, das kann man doch nicht halten.“ Aber predigen Sie nur das Gesetz! Wenn auch die Leute lästern, so thun sie es nur mit dem Mund; denn was Sie predigen, das predigt den Leuten alle Tage ihr Gewissen. Wir würden auch mit unserm Evangelium keinen Menschen bekehren, wenn nicht das Gesetz vorherginge. Wir würden keinen bekehren, wenn das Gesetz nicht in das Herz geschrieben wäre. Ich rede natürlich von Gott, wie er sich geoffenbart hat und wie er seine bestimmte Heilsordnung getroffen hat. Er konnte ja durch seinen bloßen Willen alle selig machen. Zweitens unterscheiden sich Gesetz und Evangelium durch den Inhalt, den beide haben. Das Gesetz sagt uns, was wir thun sollen. Davon sagt das Evangelium nichts, sondern offenbart uns nur, was Gott thut. Das Gesetz redet von unsern Werken, das Evangelium von Gottes großen Werken. In den zehn Geboten finden Sie den zehnmaligen Zuruf: „Du (S. 9) sollst!“ Weiter weiß das Gesetz uns nichts zuzurufen. Hingegen das Evangelium fordert gar nichts. Denken Sie nicht: „Es fordert ja den Glauben!“ Denken Sie sich einmal jemand, der hungrig ist, und Sie sagen ihm, er solle kommen und sich an den Tisch setzen und essen, so wird er nicht sagen: „Ach was, du hast mir nichts zu befehlen.“ Nein, er nimmt es als eine freundliche Einladung an. So ist es auch mit dem Evangelium. Es ist eine freundliche Einladung zu den himmlischen Gütern. Gal. 3,12.: „Das Gesetz aber ist nicht des Glaubens, sondern der Mensch, der es thut, wird dadurch leben.“ Eine überaus wichtige Stelle! Das Gesetz weiß nichts von Vergebung, nichts von Gnade. Das Gesetz sagt nicht: „Wenn du Reue hast, wenn du dich besserst, dann wird dir das andre verziehen“; davon steht kein Wort im Gesetz. Es gebietet nur und fordert. Das Evangelium bietet nur an; es will nicht nehmen, sondern nur schenken. Daher heißt es: Joh. 1,17.: „Das Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch JEsum Christum geworden.“ – Das Evangelium hat nichts als Gnade und Wahrheit. O wie wichtig ist das! Wenn wir das Gesetz lesen, darin forschen und uns damit vergleichen, so werden wir erschrecken über die vielen Forderungen, die an uns gestellt werden, und wir würden in Verzweiflung gerathen, wir wären verlorne Menschen, wenn wir weiter nichts hätten. Aber Gott Lob! wir haben noch eine andre Lehre, das Evangelium, und da halten wir uns dran. Gesetz und Evangelium sind drittens verschieden durch ihre Verheißungen. Das Gesetz verheißt etwas ebenso Großes, wie das Evangelium, nämlich das ewige Leben und die Seligkeit. Aber da ergibt sich der große Unterschied: das Gesetz verheißt uns alles unter gewissen Bedingungen, unter der Bedingung, daß wir das Gesetz vollkommen erfüllen. Darum ist es eine desto traurigere Verheißung, je größer sie ist. Das Gesetz reicht uns die Speise hin, aber nicht so weit, daß wir sie erreichen können. Es reicht uns die Seligkeit wie einem Tantalus. Es sagt uns wohl: „Ich will deine durstige Seele stillen und deinen Hunger befriedigen“, aber ist dazu nicht im Stande; denn es sagt immer: „Wenn du thust, was ich gebiete, so sollst du es haben.“ – Wie anders ist das liebliche, süße, trostreiche Evangelium! Das verheißt uns Gottes Gnade und Seligkeit ohne alle Bedingung. Es ist eine Verheißung freier Gnade. Es begehrt nichts, als: „Nimm es an, dann hast du es.“ Das ist aber keine Bedingung, sondern nur eine freundliche Einladung. 3 Mos. 18,5.: „Darum sollt ihr meine Satzungen halten und meine Rechte. Denn welcher Mensch dieselben thut, der wird dadurch leben.“ Kein andrer wird also durch das Gesetz selig. (S. 10) Luc. 10,26.ff. antwortet Christus dem selbstgerechten Schriftgelehrten: „Wie stehet im Gesetz geschrieben? Wie liesest du?“ Und als der Schriftgelehrte ganz richtig geantwortet hatte: „Du sollst lieben Gott, deinen HErrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüth, und deinen Nächsten als dich selbst“, ruft ihm Christus zu: „Thue das, so wirst du leben.“ Da bezeugt der HErr: wenn es nach dem Gesetz geht, so kann nur der die Seligkeit erlangen, der das Gesetz erfüllt. Das wäre aber kein Verdienst, daß die, welche seinen Willen thun, sollten selig werden, sondern das wäre Gottes Güte. Uns stürzt nun aber diese Bedingung in die Verzweiflung. Als der HErr den Jüngern eine Instruction geben wollte, was sie predigen sollten, sagte er (Marc. 16,15.16.): „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Creatur. Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden.“ An das Evangelium wird also gar keine Bedingung geknüpft, sondern es ist eine Gnadenverheißung. Ferner heißt es Röm. 3,23.24.: „Es ist hie kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum JEsum geschehen ist.“ Eph. 2,8.9.: „Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben; und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme.“ – Unbedingte Gnaden- und Seligkeitsverheißungen finden wir im Evangelium. O welch ein köstlicher Unterschied! Wenn das Gesetz uns niedergeschlagen hat, so können wir unser Haupt wieder fröhlich aufheben, denn wir haben eine Lehre außer dem Gesetz, die gar nichts verlangt. Wenn wir JEsum Christum fragten: „Was muß ich denn von meiner Seite leisten, um selig zu werden?“ so würde er antworten: „Keine Werke! Ich habe alles gethan, du brauchst keinen Tropfen meines Kelches zu trinken.“ Und wenn Sie das recht erwägen, meine Freunde, so müssen sie hüpfen und springen, daß auch Ihnen diese fröhliche Botschaft gebracht worden ist. Wer trotzdem den Kopf hängen läßt und denkt: „Ich bin ein schändlicher Mensch, für mich gibt es keine Vergebung“, der verwirft eben das Evangelium, der verwirft eben Christum. Und wenn ich die größten Sünden begangen hätte, und wenn ich mit Paulo sagen müßte: „Ich bin der vornehmste Sünder“, und hätte ich Judas’ Sünde, und hätte ich Kains Sünde begangen, so soll ich doch das Evangelium annehmen, denn es fordert ja nichts von mir. Viertens sind nun Gesetz und Evangelium unterschieden in Absicht auf die Drohungen. Das Evangelium hat ja gar keine Drohungen, (S. 11) sondern nur Tröstungen. Wo Sie in der Schrift eine Drohung finden, da können Sie fest glauben, daß es in das Gesetz gehört. O, das wäre ein seliger Mensch, der sich dessen recht getröstete! Aber der Heilige Geist muß das in jedem wirken. Man kann es nicht, wenn es der Heilige Geist nicht wirkt. Wo es der Heilige Geist nicht in einem Menschen thut, da bleibt der Mensch ungläubig. Man darf aber nicht denken, daß das Evangelium den Menschen sicher macht, weil es nichts von Drohungen weiß. Nein, das Evangelium entfernt in dem Gläubigen die Begierden zur Sünde. – Das Gesetz aber weiß nichts weiter, als Drohungen. Wie Abraham die Hagar mit einem Stück Brod und einer Flasche Wasser in die Wüste trieb, so gibt uns das Gesetz ein Stück Brod und jagt uns dann in die Wüste hinein. 5 Mos. 27,26.: „Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllet, daß er darnach thue. Und alles Volk soll sagen: Amen.“ Ja, der Mensch wird aufgefordert durch das Gesetz, sich selbst zu verfluchen. Nur ein mit höllischer Finsterniß umgebener Mensch kann glauben, daß er mit dem Gesetz schon fertig werde. Das Evangelium macht es ganz anders. Paulus sagt 1 Tim. 1,15.: „Das ist je gewißlich wahr, und ein theuer werthes Wort, daß Christus JEsus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin.“ Also auch der vornehmste unter den Sündern bekommt keine Drohung, sondern nur die süßeste Verheißung. Luc. 4,16-21.: „Und er kam gen Nazareth, da er erzogen war, und ging in die Schule nach seiner Gewohnheit am Sabbathtage, und stand auf und wollte lesen. Da ward ihm das Buch des Propheten Jesajas gereichet. Und da er das Buch herumwarf, fand er den Ort, da geschrieben stehet: Der Geist des HErrn ist bei mir, derhalben er mich gesalbet hat, und gesandt zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, und zu predigen das angenehme Jahr des HErrn. Und als er das Buch zuthat, gab er es dem Diener, und setzte sich. Und aller Augen, die in der Schule waren, sahen auf ihn. Und er fing an zu sagen zu ihnen: Heute ist diese Schrift erfüllet vor euren Ohren.“ – Da sagt der HErr, was der Inhalt seiner Lehre oder des Evangeliums sei. Er wollte sagen: „Ich bin nicht gekommen, um ein neues Gesetz zu bringen, sondern das Evangelium zu verkündigen.“ Er hat lauter Trost und Seligkeit für Sünder in seiner Predigt. O, welch ein glücklicher Mensch ist das, der das recht erkennt! Helfe uns Gott allen dazu! (S. 12)


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