C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Zweiundzwanzigste Abendvorlesung. (13. März 1885.)

 

Daß es jetzt, meine Freunde, viel mehr gläubige Theologen gibt, als vor ungefähr fünfzig Jahren, in welche Zeit meine Jugend fiel, ist wohl unleugbar. In jener Zeit hatten fast nur die vulgären Rationalisten nicht nur die kirchlichen Regierungsämter, sondern auch beinahe alle Kanzeln inne, während die wenigen gläubigen Theologen geduldet wurden, und das nur dann, wenn sie fein ruhig waren, ihren Glauben nicht ernstlich bekannten und vor allem nicht gegen den Unglauben eiferten. (S. 224) Welch ein Umschwung ist seitdem in der sogenannten protestantischen Kirche vor sich gegangen! Die vulgären Rationalisten, welche die Bibel zu einem bloßen Moralbuch machen und die specifisch christlichen Lehren für orientalische Bilder und Fabeln erklären, die nur insofern einigen Werth hätten, als man daraus eine Moral ziehen könnte, die haben offenbar ihre Rolle ausgespielt, die sind bankrott geworden. Wer jetzt für einen Mann von Geist gelten will, will kein vulgärer Rationalist sein. Zwar hat der sogenannte Protestantenverein es versucht, den vulgären Rationalismus wieder einzuführen, ihm wieder auf die Beine zu helfen, es ist ihm aber durchaus nicht gelungen. Jetzt erklären selbst die Stimmführer in diesem Verein, daß sich derselbe schon überlebt habe. Hingegen, um jetzt für einen speculativen Kopf angesehen zu werden, dazu ist durchaus nöthig, daß man anerkenne, die christliche Religion sei eine Religion übernatürlicher Offenbarung, die Bibel sei allerdings in einem gewissen Sinne Gottes Wort – sie enthalte nämlich Gottes Wort. Aus welchem Weg sind aber nun die modern-Gläubigen zu diesem Glauben gekommen? Etwa dadurch, daß sie ihr eigenes Sündenelend lebendig erkannt haben? Etwa dadurch, daß sie lebendig ihre Verdammungswürdigkeit und Erlösungsbedürftigkeit erkannt haben? Ach leider, davon merkt man blutwenig. Vielmehr kann man sich dem Eindruck nicht entziehen: Vernunftspeculation ist es, wodurch sie zu ihrem Glauben gekommen sind. Darum verwerfen sie auch fast alle die wörtliche Eingebung der Heiligen Schrift, darum kritisiren sie an allen biblischen Büchern herum, wie dies nur Feinde derselben thun können, ohne daß sie sich natürlich ihrer Feindschaft bewußt sind. Sie haben die christliche Religion in eine Religionsphilosophie verwandelt. Die moderngläubige Theologie ist schlechterdings ihrem Wesen nach etwas total anderes, als die Theologie der früheren Zeit. Sie will gar nicht ein System des Glaubens sein, sondern ein System des Wissens. Was das gewöhnliche Volk glaubt, das wollen sie, ausgehend von den Erkenntnißprincipien des Menschen, als absolute Wahrheit nachweisen. Daher findet sich denn auch unter den sogenannten moderngläubigen Theologen nicht jene Furcht, welche ein David hatte, wenn er sagt: „Ich fürchte mich vor deinem Gesetz, daß mir die Haut schaudert.“ Jenen Respect vor der Heiligen Schrift findet man fast nirgends. Man geht fast nirgends mit der Schrift anders um, als etwa wie mit Aesops Fabeln. Ich sage die Wahrheit. Und wenn Sie später die Aelteren mit den Neueren vergleichen, so werden Sie sehen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Die Wissenschaft hat man auf den Thron gesetzt, und zu ihren Füßen sitzt die Theologie und wartet auf die Befehle der Philosophie; darum man auch, so oft ein Mann sich hervor- (S. 225) thut in einem bisher nicht cultivirten Zweig der Wissenschaft, ihn gleich zum „Doctor der Theologie“ macht, gleich als ob Wissenschaft, Gelehrsamkeit und Theologie ein und dasselbe wären. Ach, meine theuren Freunde, wenn Sie in diesem zuletzt von Gott heimgesuchten Abendlande nicht das Licht des reinen Evangeliums hell erhalten, so ist es nicht anders möglich, der jüngste Tag muß hereinbrechen. Wir leben in der Zeit der Grundsuppe der Welt. Es geht zum Ende. Helfe uns nur Gott, daß wir, so lange die Welt noch steht, wenigstens noch in diesem letzten Theil der Welt, wohin der Schall des Evangeliums gedrungen ist, treu bleiben. O, vergessen Sie nicht, meine theuren Freunde: es gibt nur Einen Weg, zum wahren Glauben zu kommen. Gott hat nicht etwa zwei oder mehrere Wege gebahnt, einen für die Gelehrten und einen für die Einfältigen. Nein, will der Gelehrte zum Glauben kommen und selig werden, so muß er herunter auf die Armesünderbank, ebenso wie der Einfältige, ja, ebenso wie der Kuhhirte. Bei Gott ist kein Ansehen der Person. Es ist kein anderer Weg zum Glauben, als der Weg der Erkenntniß der Sünde, der Verdammungswürdigkeit, der innerlichen Zerknirschung des Herzens vor Reue und Leid. Wer auf diesem Wege nicht zum Glauben gekommen ist, der ist kein gläubiger Christ, geschweige ein Theolog. Aber freilich, wenn ich sage: Das ist die einzige Zubereitung zum Glauben, so darf man das nicht mißverstehen. Wenn man das nicht recht versteht, so kann man gar leicht Gesetz und Evangelium greulich vermischen; und das führt uns zur elften Thesis für unsere sogenannten Lutherstunden.

 

Thesis XI.

Gottes Wort wird siebentens nicht recht getheilt, wenn man nur diejenigen mit dem Evangelium trösten will, welche durch das Gesetz Reue haben nicht aus Furcht vor Gottes Zorn und Strafe, sondern aus Liebe zu Gott.

 

Das ist die Art und Weise vor allem der papistischen Kirche, aber in der sogenannten protestantischen Kirche findet es sich auch bei allen Schwärmern und bei allen Pietisten. Wenn da ein Mensch erschrocken ist über seine Sünden und Reue und Leid darüber trägt, so fragt man ihn: „Aber, mein Lieber, woraus ist denn deine Reue eigentlich geflossen? Bereust du deine Sünden etwa nur deswegen, weil du nun merkst, du kommst in die Hölle um dieser Sünden willen? weil du nun merkst, es geht jetzt in die Verdammniß hinein, weil du nun über dir siehst Gottes Zorn und unter dir den Abgrund der Verdammniß?“ „Nein, das ist nichts“, sagen (S. 226) da die Papisten und auch die Schwärmer: „Nein, die rechte Reue muß aus der Liebe zu Gott kommen; dann erst ist es der Rede werth. Dann will ich dir auch das Evangelium predigen.“ Das ist jedoch ein ganz erschrecklicher Irrthum! Und ich hoffe, ich brauche Ihnen das gar nicht zu beweisen, daß das eine greuliche Vermischung des Gesetzes und des Evangeliums ist. Das ist ja leicht einzusehen. Das Gesetz hat ja nur das Amt, uns nach dem Fall zur Erkenntniß unserer Sünde zu bringen, aber es hat keine Kraft, uns zu erneuern. Diese Kraft liegt ja nur in dem Evangelium. Nur der Glaube ist durch die Liebe thätig, nicht aber werden wir durch die Liebe thätig, durch unsere Reue über unsere Sünden. Nein, im Gegentheil, so lange wir das nicht wissen, daß Gott durch Christum unser versöhnter Gott und Vater ist, so lange hassen wir ihn. Und wenn ein Mensch, der noch nicht bekehrt ist, sagt, er liebe Gott, so ist das nicht wahr, so ist das nur eine elende Heuchelei – ich sage, nicht bewußt, sondern unbewußt. Das ist nur Schein; da nur der Glaube wiedergebiert, da nur das Evangelium wiedergebiert. Darum wenn einer noch nicht den Glauben hat, so kann er auch Gott nicht lieben. Und wer da verlangt von einem armen Sünder, daß er über seine Sünde solle erschrecken und sie bereuen aus Liebe zu Gott, der ist ein elender Verkehrer des Gesetzes und des Evangeliums. Nein, das ist biblische Lehre: Der Sünder soll zu JEsu kommen, wie er ist. Und wenn er auch sagen muß: „Ach, ich trage lauter Haß gegen Gott in meinem Herzen. Aber, o Gott, wo soll ich hin? Wie soll ich noch selig werden?“ Da sagt denn ein rechter evangelischer Prediger: „Das ist ganz leicht. Hast du erkannt, daß du ein verlorner und verdammter Sünder bist? Du suchst Hülfe und weißt nicht, wie du sie finden kannst. Wohlan, komm zu JEsu mit deinem bösen Herzen! Komm mit deinem Haß gegen das Gesetz und gegen Gott! Gehe zu JEsu; der nimmt dich an, wie du bist. Er hat den Ruhm, daß man von ihm sagt: „JEsus nimmt die Sünder an!“ Du sollst nicht erst anders werden; brauchst dich nicht erst zu reinigen, brauchst dich nicht erst zu bessern. Nein, der dich bessern kann, das ist allein dein JEsus! Und der thut es auch, so du nur an ihn glaubst.“ Die allgemeinste Stelle aus Gottes Wort zum Beweis hiefür ist Röm. 3,20.: „Durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde.“ Da sagt der Apostel, was das Gesetz für ein Amt hat. Nicht kommt daraus die Liebe, sondern die Erkenntniß der Sünde; und die Erkenntniß der Sünde kann ich gar wohl haben, ohne Liebe zu Gott in mir zu haben. Röm. 5,20.: „Das Gesetz aber ist neben einkommen, auf daß die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig worden ist, da (S. 227) ist doch die Gnade viel mächtiger worden.“ Im Griechischen heißt es: „hina pleonase to paraptoma, daß die Sünde vermehrt werde.“ So lange einer das Gesetz nicht kennt, da ruhen viele Sünden in ihm. Man predige ihm aber das Gesetz gewaltig und dieses schlage wie ein Blitz bei ihm hinein in das Gewissen, so wird der Mensch nicht besser, sondern nur noch schlimmer. Dann fängt er erst an, sich gegen Gott aufzubäumen. Da spricht er: „Was? Ich soll ewig verdammt sein? Ich bin ein Feind Gottes, das ist wahr, das weiß ich. Aber was kann ich dafür? Ich kann es nicht helfen.“ Das ist die Wirkung des Gesetzes. Das treibt den Menschen in die Verzweiflung hinein. Und wohl dem, der so weit gekommen ist! Der hat einen großen Schritt auf dem Weg zu seinem Heil gethan, der nimmt dann das Evangelium mit Freuden an, während ein anderer, der das nie erfahren hat, dabei gähnt und denkt: „Das ist ein leichter Weg, in den Himmel zu kommen.“ Aber ein armer Sünder, der am Rand der Verzweiflung steht, der weiß, was das Evangelium für eine freudige Botschaft ist, und nimmt es mit Freuden an. Röm. 4,15.: „Sintemal das Gesetz richtet nur Zorn an.“ Das Gesetz bringt also den Menschen nur zum Zorn gegen Gott, nicht zu der Liebe. Röm. 7,7.8.: „Was wollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht, ohne durch das Gesetz. Denn ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: Laß dich nicht gelüsten. Da nahm aber die Sünde Ursach am Gebot, und erregte in mir allerlei Lust. Denn ohne das Gesetz war die Sünde todt.“ Was uns ausdrücklich verboten wird, darnach greifen wir immer lieber. Der Mensch ist immer versucht, gegen das Gebot und Verbot zu handeln, wie das schon der Unflath Ovid an sich erfahren hat. Daher er gestanden hat; Nitimur in vetitum semper cupimusque negata. Nun ja, das konnte auch ein Heide erfahren. Ein solcher Mensch, wie er war, hat auch über sich nachgedacht. Er war ein Genie, aber ein Unflath. Gal. 3,21.: „Wie? Ist denn das Gesetz wider die Verheißungen? Das sei ferne! Wenn aber ein Gesetz gegeben wäre, das da könnte lebendig machen, so käme die Gerechtigkeit wahrhaftig aus dem Gesetz.“ – Warum fragt denn der Apostel? Warum stellt er diesen hypothetischen Satz auf? Ohne Zweifel, um die Sache desto gewaltiger zu verneinen. Denn das ist häufig der Fall, daß ich etwas frage, wovon jedermann weiß: „es ist nicht so“, damit es recht stark verneint wird. So auch hier. Der Apostel will sagen: „Das Gesetz kann gewiß nicht selig machen.“ 2 Cor. 3,6.: „Der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig.“ Diese köstliche Stelle wird von den Unirten ganz schändlich verdreht. (S. 228) Sie sagen nämlich: „Wer so auf den Buchstaben der Schrift hält, der ist verkehrt. Nein, den Geist, allgemeine Ideen, die man aus der Schrift hat, die muß man festhalten. Aber wie es ein Luther in Marburg gemacht hat, der vor sich hinschrieb: „touto esti to soma mou“ und immer nur auf diese Worte hinwies, das ist nicht christlich.“ Es ist eben nicht unionistisch, aber echt christlich. Und diese Worte bedeuten ja: „das Gesetz tödtet, aber das Evangelium macht lebendig.“ Wir haben keine Zeit, das näher zu erklären, aber lesen Sie selbst nach, so werden Sie sehen, daß da mit dem Buchstaben das Gesetz und mit dem Geist das Evangelium gemeint ist. Diese Bibelstellen werden nun auch illustrirt durch die schönen Beispiele, die wir in der Schrift finden. Wir haben zwar nicht viele solche Beispiele, wo uns genau erzählt wird, wie die Leute sich vorher verhalten haben, ehe sie bekehrt wurden, und wie sie sich nachher verhalten haben, als sie zum Glauben gekommen waren; aber alle die Beispiele, die wir haben, die zeigen uns, daß die Reue nicht aus Liebe zu Gott kommt. Am ersten christlichen Pfingstfest war eine Masse Volks versammelt, die hörten den Apostel Petrus predigen, und Summa Summarum sagt er zu ihnen: „Ihr seid die Mörder des Messias, des JEsu von Nazareth. Wehe euch!“ Erst hatten sie auch zugehört, aber als das kam, nachdem sie schon durch den Geist Gottes waren erschreckt worden, durch die ganze Predigt hindurch, da heißt es von ihnen: „Da ging es ihnen durchs Herz.“ Da war es, als hätte Petrus mit einem Dolch ihr Herz durchstochen. Sie dachten: „Wenn wir das gethan haben, dann sind wir alle verloren! Was wird Gott sagen, wenn wir einst vor seinem Richterstuhl erscheinen werden? Er wird uns zurufen: „Ihr habt euren Messias ermordet.““ Da hören wir nicht, daß sie gesagt haben: „Ach, wie thut uns das so leid, den treuen Gott so betrübt zu haben!“ Nicht Liebe zu Gott trieb sie, sondern Angst und Schrecken, daß sie riefen: „Was sollen wir thun?“ Und was thun die Apostel? Fragt sie der Apostel Petrus: „Ihr lieben Leute, nun fragt es sich, wie es mit eurer Reue steht, ob sie aus Liebe zu Gott kommt oder aus Angst vor der Strafe der Sünde, aus Angst vor der Hölle“? Nein, davon hören wir nichts! Sobald sie voll Angst und Schrecken fragen: „Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun?“ so antwortet der Apostel: „Thut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen JEsu Christi zur Vergebung der Sünden.“ Hier ist unter Buße nicht zu verstehen der erste Theil der Buße – die Reue – , sondern der zweite Theil – der Glaube, denn sie waren schon erschrocken, und wir hören, daß sie auch alsbald sich haben taufen lassen. Sie verlangten die „metanoia“, daß sie JEsum nicht mehr morden wollten, sondern an ihn (S. 229) glauben. So nahmen die Apostel sie auf und sie wurden hinzugezählt zu der Gemeine derer, die da selig wurden. Hierher gehört auch das Beispiel von dem Kerkermeister zu Philippi, das ich schon so oft erwähnt habe. Ich muß es aber immer wieder erwähnen, denn es ist der herrlichste Spiegel, den wir in der Schrift haben. Der Kerkermeister war ein verruchter Mensch. Er hatte seine Freude daran, die Diener des HErrn zu stäupen, sie in das innerste Gefängniß, in das tiefste Verließ zu stecken, sie in Eisen zu legen, was ihm gar nicht geboten war. Und als er nun denkt, daß die Gefangenen alle entflohen sind, da verzweifelt er und will sich selbst erwürgen. Da spricht Paulus zu ihm: „Thue dir nichts Uebels, denn wir sind alle hier.“ Zitternd und bebend fällt er nun den Aposteln zu Füßen und ruft: „Liebe Herren, was soll ich thun, daß ich selig werde?“ Also nichts wie Angst und Schrecken treibt ihn dazu. Und da sagt Paulus nicht: „Du mußt das aber erst bereuen, und zwar aus Liebe zu Gott“, sondern er spricht: „Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du und dein Haus selig.“ So ging es auch mit Saulus. Er war ein Verfolger der Gemeine Gottes, schnaubend vor Wuth, alle Christen zu morden. Er ist eben auf dem Wege dahin, wo er der Christen Blut vergießen will. Da begegnet ihm der HErr selbst, erscheint ihm. Er stürzt zu Boden und kommt von Besinnung. Das ist alles! Und JEsus ruft ihm noch zu: „Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken.“ Und als nun das Evangelium mit süßer Himmelsgewalt in sein Herz gedrungen war, da ist der elende Mensch aus seinem Elend und Jammer herausgerissen. Und der HErr gibt ihm auch gar keine Lection auf, als daß er, der erschrockene und zerknirschte, aber nachher getröstete Sünder, ihn jetzt bekennen sollte, anstatt zu verfolgen. Er sollte getauft werden und das Siegel der Vergebung seiner Sünden empfangen. Wenn Sie predigen, so sehen Sie wohl zu, daß Sie nicht etwa sparsam mit dem Evangelium umgehen, sondern allen, auch den größten Sündern, den Trost des Evangeliums bringen! Wenn sie nur erschrocken sind vor Gottes Zorn und der Hölle, dann sind sie bereitet, das Evangelium zu empfangen. Das ist zwar wider unsere Vernunft; denn da denken wir: „Es wäre doch merkwürdig, wenn solche böse Buben gleich sollen getröstet werden; da sollte es doch vielmehr heißen: das ist recht, du mußt noch viel mehr Qual in deinem Gewissen erleiden!“ Und so machen es die Schwärmer. Aber ein echter biblischer Theolog denkt: „Den hat Gott bereitet durch das Gesetz; dem predige ich das Evangelium und den Glauben an JEsum Christum.“ (S. 230) 2 Cor. 7,10.: „Denn die göttliche Traurigkeit wirket zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereuet; die Traurigkeit aber der Welt wirket den Tod.“ Diese Stelle wird vielfach falsch verstanden. Man meint nämlich, die göttliche Traurigkeit sei die, bei welcher man Reue hat aus Liebe zu Gott. Aber das ist nicht der Fall. Der Apostel meint die Traurigkeit, die sich der Mensch nicht selbst gemacht hat, sondern die Gott gemacht hat durch sein Wort. Das ist die göttliche Traurigkeit. Im Griechischen steht: „kata theon lype, Traurigkeit, Gott gemäß, von Gott gewirkt.“ Denn das ist auch eine große Verkehrung der christlichen Lehre, wenn man dem Sünder sagt: „Ja, jetzt mußt du erst Reue haben.“ Fragt er: „Ja, wie soll ich denn das anfangen?“ „Nun“, sagt man, „du mußt dich da hinsetzen und nachdenken und die Reue aus deinem Herzen herauszulocken suchen (elicere).“ So sagen die Papisten. Aber das ist dann lauter Heuchelei. Kein Mensch kann sich die Reue selbst geben, kein Mensch in der Welt. Und wenn er an sich herumarbeitet, sie herauszulocken, bis er Thränen weint – es ist lauter Heuchelei. Eine göttliche Traurigkeit ist nöthig, weil der Glaube nöthig ist. Gott will in uns die göttliche Traurigkeit wirken, er will uns erschrecken. Die Reue ist nicht etwa ein gutes Werk, das wir thun, sondern etwas, was Gott thut. Gott kommt mit dem Hammer seines Gesetzes und schlägt auf die Seele. Wer sich selbst traurig machen will, der möchte sich immer trauriger machen. Aber wer die rechte Traurigkeit hat, der möchte sie gerne wieder los sein. Tag und Nacht wird er gequält. Er geht vielleicht in die Trinkhäuser und will sie durch Trinken hinwegtreiben, aber es geht nicht. Er thut wohl unter seinen Kameraden wie ein großer Held, aber wenn er nach Hause kommt, so sagt ihm sein Gewissen: „Du verdammter Mensch! Und wenn du heute Abend stirbst, so gehst du verloren!“ Das ist göttliche Traurigkeit, die nicht vom Menschen gemacht ist, sondern von Gott. Von einem elenden Menschengemächte will Gott gar nichts wissen. Hören Sie zwei Zeugnisse aus der Apologie der Augsburgischen Confession (Müller, S. 168f.): „Darüber, so lehren und schreiben sie noch ungeschickter und verwirreter Ding; sie lehren, man könne durch Reue Gnade verdienen; und wenn sie da gefragt werden, warum denn Saul und Judas und dergleichen nicht Gnade verdient haben, in welchen gar eine schreckliche Contrition gewesen ist? – auf diese Frage sollten sie antworten, daß es Judas und Saul am Evangelio und Glauben gefehlet hätte, daß Judas sich nicht getröstet hat durchs Evangelium, und hat nicht gegläubet; denn der Glaube unterscheidet die Reue Petri und Judä. Aber die Widersacher gedenken des Evangelii und Glaubens gar nicht, sondern des Gesetzes; (S. 231) sagen, Judas habe Gott nicht geliebet, sondern hab sich für der Straf gefürcht.“ – Das sei die Ursache gewesen, sagen sie; hätte es aus Liebe zu Gott ihn gereut, so hätte er sich ein Verdienst erworben. Denn bei den Papisten muß immer ein oder das andere Verdienst sein, entweder de congruo, oder de condigno. – „Ist das aber nicht ungewiß und ungeschickt von der Buß gelehret? Denn wenn will ein erschrocken Gewissen, sonderlich in den rechten großen Aengsten, welche in Psalmen und Propheten beschrieben werden, wissen, ob es Gott aus Liebe als seinen Gott fürchtet, oder ob es seinen Zorn und ewige Verdammniß fleuchet und hasset.“ Wie will man das wissen? Es ist schrecklich, wenn ich zu einem armen erschrockenen Sünder sage: „Ja, aber wie steht es? Was ist der Beweggrund zu deiner Reue?“ Er wird antworten: „Ich fürchte mich vor der Hölle. Wenn ich heute Abend sterbe, komme ich in die Hölle. Das ist der Beweggrund.“ Aber er mag sein, wie er will – sehe ich, er ist erschrocken, so tröste ich ihn. Dann wird schon die Liebe kommen! – „Es mögen diejenigen von diesen großen Aengsten nicht viel erfahren haben, dieweil sie also mit Worten spielen, und nach ihren Träumen Unterschied machen.“ – Sie reden wieder Blinde von der Farbe, denn sie haben niemals ein heilsames Erschrecken über die Sünden gehabt, sondern wenn ein armer Sünder zu diesen gelehrten Theologen kommt und der Theolog fragt: „Was ist es denn für eine Reue, die dir Angst macht?“ da weiß er vielleicht nicht gleich, was es für Reue sei, sondern spricht nur: „Ich weiß das gar nicht, aber ich bin heftig erschrocken!“ Da spricht der gelehrte Herr: „Du guter Mann, gehe du zu dem Barbier und laß dir zur Ader; du hast sehr dickes Blut! Dann wird es schon wieder besser werden mit dir!“ Das sind die hocherleuchteten Theologen. Daß Gott erbarm! – „Aber im Herzen, und wenn es zur Erfahrung kommt, findet sich’s viel anders, und mit den schlechten Syllaben und Worten findet kein Gewissen Ruhe, wie die guten, sanften, müßigen Sophisten träumen.“ – Ja, die guten, sanften, müßigen Sophisten! Solche Theologen, die nur speculiren, aber nie etwas von den Sachen erfahren, wie sollten die davon recht reden? Ferner heißt es ebendaselbst S. 171f.: „Wenn wir aber de contritione, das ist, von rechter Reue, reden, schneiden wir ab die unzähligen unnützen Fragen, da sie Fragen fürgeben, wenn wir aus der Liebe Gottes, item, wenn wir aus Furcht der Strafe Reue haben? Denn es sind allein bloße Wort und vergebliche Geschwätz derjenigen, die nicht erfahren haben, wie einem erschrockenen Gewissen zu Sinne ist. Wir sagen, (S. 232) daß contritio oder rechte Reue das sei, wenn das Gewissen erschreckt wird und seine Sünde und den großen Zorn Gottes über die Sünde anhebt zu fühlen, und ist ihm leid, daß er gesündigt hat. Und dieselbige contritio gehet also zu, wenn unser Sünd durch Gottes Wort gestraft wird.“ Das ist doch ein süßer Trost! Wenn mir also Gott die Gnade geschenkt hat, daß ich erschrecke über meine Sünden, dann bin ich in der rechten Verfassung, dann soll ich nur getrost zu dem Gnadenstuhl hingehen, wo mir Vergebung zu Theil wird. Da soll ich die rechte Arznei bekommen. Freilich soll ich Reue haben, aber nicht, um mir etwas zu verdienen, sondern ich soll diese Reue haben, damit ich gerne annehme, was JEsus mir anbietet. – „In denselbigen Aengsten fühlet das Gewissen Gottes Zorn und Ernst wider die Sünde, welchs gar ein unbekannte Sache ist solchen müßigen und fleischlichen Leuten, wie die Sophisten und ihresgleichen. Denn da merkt erst das Gewissen, was die Sünde für ein großer Ungehorsam gegen Gott ist, da drücket erst recht das Gewissen der schreckliche Zorn Gottes, und es ist unmöglich der menschlichen Natur, denselbigen zu tragen, wenn sie nicht durch Gottes Wort würde aufgericht.“ – Wenn einer auch die Liebe Gottes hat, der Teufel verdirbt es ihm. Wo die falsche Lehre ist, da kann einer leicht noch in der letzten Stunde verzweifeln. Er hat wohl Reue, aber er denkt: „Sie kommt ja nicht aus Liebe zu Gott. Nur Gottes Zorn und die Hölle ist es, daß ich jetzt vor dem offenen Thor stehe und im Begriff bin, hineinzustürzen; das ist es, wovor ich mich fürchte.“ Hat er aber die rechte Lehre, so weiß er: „Wohlan, ich glaube an meinen HErrn JEsum! Ich halte ihn fest. Dann, dann kommt aber auch Liebe zu Gott in mein Herz.“ Also ist es kein Scherz mit dieser Lehre! – „Also sagt Paulus: Durch das Gesetz bin ich dem Gesetz gestorben. Denn das Gesetz klaget allein die Gewissen an, gebeut, was man thun solle, und erschreckt sie.“ – Weiter thut das Gesetz nichts! – „Und da reden die Widersacher nicht ein Wort vom Glauben; lehren also kein Wort vom Evangelio, noch von Christo, sondern eitel Gesetzlehre und sagen, daß die Leute mit solchem Schmerzen, Reue und Leid, mit solchen Aengsten Gnade verdienen, doch wo sie aus Liebe Gottes Reue haben oder Gott lieben. Lieber HErr Gott, was ist doch das für ein Predigt für die Gewissen, denen Trostes vonnöthen ist.“ – So redet unser Bekenntniß. Unsre Theologen haben sich eben nicht hingesetzt und ein System ausgesponnen, sondern sie haben sich hingesetzt als wahre Christen. Die wußten wohl, wodurch ein armer Mensch zur Ruhe, zum Trost der Seligkeit komme. Da hat der theure Melanchthon geredet wie ein einfältiger Christ, und um so köstlicher ist diese Bekenntnißschrift, weil alles aus der Schrift und aus der Erfahrung heraus ge- (S. 233) redet ist. – „Wie können wir denn doch Gott lieben, wenn wir in so hohen, großen Aengsten und unsäglichem Kampf stecken, wenn wir so großen, schrecklichen Gottes Ernst und Zorn fühlen, welcher sich da stärker fühlet, denn kein Mensch auf Erden nachsagen oder reden kann? Was lehren doch solche Prediger und Doctores anders, denn eitel Verzweifelung, die in so großen Aengsten einem armen Gewissen kein Evangelium, kein Trost, allein das Gesetz predigen?“ In seiner Vorrede über den ersten Theil seiner lateinischen Bücher vom Jahre 1545 erzählt uns Luther, wie es in seinem Herzen ausgesehen habe, ehe er Licht bekommen hatte durch das Evangelium. Er bekennt selbst, als er unter dem Gesetz gestanden und die Worte des Apostels Paulus gelesen habe, in dem Evangelium werde die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart, da sei er erschrocken; denn das Gesetz hatte ihn schon sehr erschreckt, und nun liest er, im Evangelium sei auch die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart. Das sei ihm zu erschrecklich gewesen. Das Gesetz verdammte ihn, und nun schickt Gott das Evangelium, und da wird dasselbe gethan! Da kommt Gott auch nach seiner Gerechtigkeit dem Sünder entgegen! Wir können Gott nicht genug danken und ihn preisen, daß Luther kurz vor seinem Tode noch Zeit bekommen, uns einige innere Vorgänge zu erzählen, die ihn zu dem Reformationswerk vorbereiteten und tüchtig machten. Er schreibt (W. XIV, 460ff.) also: „Ich hatte (1519) in der Wahrheit eine herzliche Begierde und Lust, St. Pauli Epistel an die Römer eigentlich zu verstehen, und hatte mich bisher daran nichts anderes gehindert, denn allein das einzige Wörtlein Justitia Dei (Gerechtigkeit Gottes) im ersten Capitel, V. 17., da Paulus spricht: Die Gerechtigkeit Gottes werde im Evangelio offenbart. Diesem Wort „Gottes Gerechtigkeit“ war ich sehr feind, und war nach Gebrauch und Gewohnheit aller Lehrer nicht anders berichtet und unterwiesen, denn daß ich’s philosophischer Weise von solcher Gerechtigkeit verstehen müßte, in welcher Gott für sich gerecht ist, recht thut und wirket und alle Sünder und Ungerechten strafet, welche Gerechtigkeit man die wesentliche (formalem) oder wirkliche (activam) Gerechtigkeit nennt. Nun stund es um mich also: ob ich gleich als ein heiliger und unsträflicher Mönch lebte, befand ich mich doch einen großen Sünder vor Gott, und dazu eines ängstlichen und unruhigen Gewissens“, – Er war ein unbescholtener Mönch, hatte sich fast zu Tode gequält, um seine Mönchsgelübde zu halten, und dabei war er doch gebrochenen Herzens, denn der Heilige Geist hatte ihm durch das Gesetz das Verderben seines Herzens geoffenbart. Und das achtete er nicht gering, sondern war (S. 234) voll innerlicher Angst – „getrauete auch nicht mit meiner Genugthuung und Verdiensten Gott zu versöhnen.“ – Er war immer unsicher. Er wollte gerne genug thun, er wollte nicht nur die zehn Gebote halten, sondern auch die Kirchengesetze, auch das, was der liebe Gott gar nicht geboten hatte. So ging er in seiner papistischen Blindheit dahin. Aber dann dachte er wieder: „Was wird Gott darnach fragen, ob du auf einem Strohsack liegst oder auf einem Bett von Sammt und Seide?“ – „Derwegen liebete ich diesen gerechten und zornigen Gott gar nicht, welcher die Sünder strafet, sondern ich hassete denselbigen“, – Nun fragen Sie einmal einen neueren Theologen, ob er vor seiner Bekehrung Gott geliebt habe? Er wird antworten: „Nun ja, wer sollte denn Gott nicht lieben? Gott zu lieben, das ist uns schon immer gelehrt worden!“ Aber das ist Blindheit. Luther bekennt, daß damals Haß gegen Gott in seinem Herzen gewesen ist. Und wenn wir aufpaßten, so würden wir sehen: „Ja wohl, so geht es mit uns, so lange der Glaube nicht in uns angezündet ist“ – „und (so dieses keine Lästerung gewesen oder zu achten ist) zürnete heimlich und mit rechtem Ernst wider Gott“, – Ehe er das Evangelium gelernt hatte, da zürnte er Gott. Es muß einer nur recht vom Gesetz getroffen sein, dann wird er sich gar nicht darüber wundern, daß Luther dieses Bekenntniß ablegt – „sagete oftmals: Genüget denn Gott an diesem nicht, daß er uns arme, elende Sünder und durch die Erbsünde zum ewigen Tod allbereit Verdammte mit allerlei Jammer und Trübsal dieses Lebens neben des Gesetzes Schrecken und Bedräuung beleget, daß er noch muß durchs Evangelium dieses Jammers und Herzeleides mehr machen und durch desselbigen Predigt und Stimme seine Gerechtigkeit und ernsten Zorn ferner dräuen und verkündigen? Hier ergrimmete ich oftmals in meinem verwirreten Gewissen“; – das Gesetz hatte ihn schon in Angst und Noth gesetzt, und nun liest er im Brief des Paulus an die Römer, im Evangelium sei auch die Gerechtigkeit Gottes offenbart. Er ahnte nicht, daß das der süßeste Trost sei, während jetzt jedes Kind weiß, daß da nicht die Gerechtigkeit gemeint ist, die Gott in seinem Gesetz von uns fordert, sondern die Gerechtigkeit Christi, die Gott uns schenken will; wie auch Luther so schön übersetzt hat; „Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt (he dikaiosyne tou theou)“, damit auch der Einfältigste wissen kann: „Hier ist nicht die Gerechtigkeit gemeint, wie wir gelebt haben, nach der uns Gott beurtheilen will, sondern die Gnadengerechtigkeit, die uns Christus am Kreuz erworben hat“ – „hielt aber dennoch mit mehrerem Nachdenken bei dem lieben Paulo an, was er doch an demselbigen Orte meinete, und hatte herzlichen Durst und Begierde, dasselbige zu wissen. Mit solchen Ge- (S. 235) danken brachte ich Tag und Nacht zu, bis ich durch Gottes Gnade merkete, wie die Worte an einander hingen, nämlich also: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelio offenbaret, wie geschrieben stehet: Der Gerechte lebet seines Glaubens. Hieraus habe ich dieselbige Gerechtigkeit Gottes, in welcher der Gerechte durch Gottes Gnaden und Gabe allein aus dem Glauben lebet, verstehen lernen, und gemerkt, daß des Apostels Meinung diese wäre: es würde durchs Evangelium die Gerechtigkeit offenbaret, die vor Gott gilt, in welcher uns Gott aus Gnaden und eiteler Barmherzigkeit durch den Glauben rechtfertiget, welche man zu Latein justitiam passivam nennet, wie geschrieben stehet: Der Gerechte lebet seines Glaubens.“ – Luther konnte in dieser Noth nicht stecken bleiben. Als sein natürliches Herz so schrecklich aufstürmte, hing er nur an einem Fädchen, daß er nicht verzweifelte. Wenn er nun diesen Spruch ansah, ging er immer wieder noch einmal hin, nahm seine Bibel wieder zur Hand, sahe den Zusammenhang an und dachte: „Am Ende bedeutet es doch etwas anderes.“ Und da er immer fortfuhr, nachzudenken, zu lesen und zu meditiren, so half ihm auch Gott zum Licht. Hören Sie nun noch, was er von sich sagt, nachdem er gesehen hatte: „Das ist der Sinn dieser Worte!“ – „Hie fühlete ich alsbald, daß ich ganz und neu geboren wäre und nun gleich eine weit aufgesperrte Thür, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte.“ – Derselbe, der unmittelbar vorher Gott gehaßt hatte, wider Gott gemurrt hatte, der wird auf einmal voll überschwänglicher Freude und liebt nun seinen Gott von ganzem Herzen, nachdem er diese allerseligste Märe gehört hatte, diese Freudenbotschaft: „Christus, der Sohn Gottes, hat der ganzen Welt Gerechtigkeit erworben! Glaubt nur daran!“ Gott schenke auch Ihnen allen, wie einst Luther, eine solche aufgethane Pforte des Paradieses! Das werden dann Ihre Gemeinden zu genießen bekommen und Sie wird es behüten vor todtem Orthodoxismus. Vgl. Huelsemann, Vindiciae S. Scripturae, § 79, p. 125, zu 2 Cor. 7,10. Paulus sagt nicht: „Ihr habt aus Liebe zu Gott Betrübniß in euch erweckt, sondern ihr seid von mir göttlich betrübt worden, das ist, dem Willen Gottes oder dem Befehle Gottes gemäß. . . . Die göttliche Traurigkeit wird daher von Paulus so ausgelegt, daß sie eine solche sei, welche er durch die Kraft und auf Befehl Gottes in den Corinthern erweckt habe. Wie denn im Gegentheil die Traurigkeit der Welt eine Betrübniß bezeichnet, die durch weltliche Ursachen erweckt ist, das ist, durch die Furcht vor der (zeitlichen) Strafe, der Ehrlosigkeit, des bösen Gewissens, und andere Ursachen, welche auch in den Heiden (und Unwiedergebornen) eine Traurigkeit über ein begangenes Verbrechen erregen.“ (S. 236) Es ist also die Traurigkeit eines wegen seiner Sünde erschrockenen Menschen Gott gegenüber an dieser Stelle gemeint. Wenn ich über meine Sünde erschrecke, über Hölle, Tod und Verdammniß, und erkenne also an: „Gott zürnt über mich! Ich liege unter seinem Zorn, um meiner Sünde willen werde ich verdammt“, das ist göttliche Traurigkeit; wenn ich auch in einem solchen Zustand, wie Luther bin, ehe er zur Erkenntniß des Evangeliums kam. Aber die Traurigkeit kommt von Gott! Wenn aber ein Hurer, ein Wollüstling, ein Trunkenbold nur deswegen traurig ist, weil er seine schöne Jugendzeit vergeudet hat oder weil er seinen Leib ruinirt hat und frühzeitig ein Greis geworden ist, das ist weltliche Traurigkeit. Wer ein hoffärtiger Mensch ist und nur deshalb wegen seiner Sünde betrübt ist, weil er ein bischen Ehre verloren hat, so ist das weltliche Traurigkeit. Wenn ein Dieb nur deswegen traurig ist über seinen Diebstahl, weil er jetzt in das Zuchthaus kommen soll, so ist das ebenfalls weltliche Traurigkeit. Wenn ich aber deswegen betrübt bin über meine Sünde, weil ich denke: „Jetzt mußt du in die Hölle! Du hast ja den allerheiligsten Gott beleidigt!“ das ist göttliche Traurigkeit, vorausgesetzt, daß ich mir nicht selbst etwas einbilde, daß es keine Traurigkeit ist, die ich mir selbst gemacht habe. Die wahre göttliche Traurigkeit kann nur Gott geben. Gebe sie Gott uns allen!

 

- FORTSETZUNG -