C. F. W. Walther (1811-1887):

Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.


Sechsunddreißigste Abendvorlesung. (25. September 1885.)

 

Zwar sollte man meinen, alle Menschen würden nach ihrem Fall in Sünde und unaussprechliches Elend die Lehre der heiligen Schrift, daß der Mensch allein aus Gnaden durch den Glauben an JEsum Christum gerecht und selig werde, mit großen Freuden annehmen und gerade aus dieser Lehre erkennen, daß die Religion der Bibel die allein rechte sein müsse, denn sie sei eben eine solche, wie sie arme Sünder nöthig hätten, – aber dem ist leider nicht so. Das gerade Gegentheil ist der Fall. Gerade an der Lehre der heiligen Schrift, welche der Apostel Paulus so ausdrückt: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“, Röm. 9,16., hat sich die Welt je und je bis auf diesen Tag gestoßen und geärgert. Daher der Apostel schon zu seiner Zeit bezeugt: „Wir aber predigen den gekreuzigten Christum, den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit.“ Ja, es war damals vor aller Welt geradezu eine Schande, dieses Evangelium von (S. 359) der freien Gnade Gottes in Christo JEsu zu verkündigen, so daß der Apostel ausrufen muß: „Ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“ Denn in jedem Menschen steckt von Natur ein blinder, selbstgerechter Pharisäer. Alle diejenigen, welche noch nicht von Gott durch den Heiligen Geist erleuchtet worden sind, meinen daher, das nur müsse die beste und sicherste Religion sein, welche vom Menschen zum Seligwerden das Allermeiste und Schwerste fordere, denn die Seligkeit sei etwas so unaussprechlich Großes, daß darum der Mensch auch ohne Zweifel etwas überaus Großes thun müsse, um sie zu erlangen. Wenn daher der natürliche Mensch sieht, daß gewisse Religionsgenossen sich das Seligwerden vor andern recht sauer werden lassen, so meint er, das seien gewiß diejenigen, welche den geraden Weg zum Himmel gehen. Als einst die Baalspfaffen in ihrem Baalsdienst so großen Eifer zeigten, daß sie mit Pfriemen und Messern sich ritzten, daß das Blut an ihrem Leibe herunterfloß, da meinte das arme, blinde Volk: „Das sind die rechten Propheten Gottes! Das mögen ihnen die andern Propheten nachthun!“ – bis endlich der Prophet Elias durch ein Wunder die Heuchelei der Baalspfaffen offenbarte. – Als ferner einst die Pharisäer und Schriftgelehrten die Juden ihrer Zeit lehrten, wollten sie selig werden, so müßten sie das ganze Gesetz Mosis bis auf den letzten Buchstaben erfüllen, ja auch noch dazu die Aufsätze der Aeltesten halten, da meinte das arme, blinde Volk: „Ja, die Religion unserer Pharisäer und Schriftgelehrten ist doch eine bessere als Christi Religion, der auch die greulichsten, schändlichsten Sünder zu sich ruft und ihnen Gnade anbietet und verheißt.“ – Als ferner jene falschen Lehrer eindrangen in den vom Apostel Paulus gegründeten galatischen Gemeinden, da sagten sie denselben: „O, Paulus ist wohl ein gewaltiger Redner, aber er weist euch einen zu leichten und zu breiten Weg zur Seligkeit.“ Freilich, sagten sie, müsse man auch an Christum glauben, wenn man ein Christ sein wolle, aber daneben müsse man doch auch das Gesetz Mosis halten, wenn man selig werden wolle. Und in kurzer Zeit fielen fast alle galatischen Gemeinden von Paulo und seiner Lehre ab, bestochen durch den falschen Schein, den jene falschen Lehrer um sich verbreiteten. – So ist es allezeit gewesen. Warum bleibt ein so großes Volk, viele Millionen im Pabstthum? Warum bleiben sie, trotzdem dasselbe offenbart worden ist als antichristisch? Wegen des Scheins der guten Werke, welchen die Papisten um sich verbreiten. Warum fallen wohl so viele den Predigern der schwärmerischen Secten zu in diesem Lande? Weil diese einen großen Schein der Heiligkeit um sich verbreiten! Ach, der Mensch achtet Gottes Werke so gering, aber des Menschen (S. 360) Werk stellt er hoch. Das ist eben mit eine traurige Frucht des Sündenfalles. – Möchte nun aber diese greuliche Vermischung des Gesetzes und Evangeliums, und sonderlich diese greuliche Versäuerung des Evangeliums, sich nur finden im Pabstthum und in den schwärmerischen Secten! Aber leider kommt dieselbe auch in unserer evangelisch-lutherischen Kirche vor. Schon früher ist dies vorgekommen und noch heutigen Tages hören wir von lutherischen Kanzeln ganz dasselbe, wenn auch nicht in so grober Weise. Hierher gehört das, was in dem zweiten Theil der zweiundzwanzigsten Thesis verworfen wird, worauf wir jetzt unsere Aufmerksamkeit richten. Wie die sogenannten Pietisten vorzeiten und die gegenwärtigen Prediger der schwärmerischen Secten einen falschen Unterschied gemacht haben und noch machen zwischen Erweckung und Bekehrung, so daß sie die Erweckten noch nicht für Christen ansehen wollen, so verwechseln sie auch und haben verwechselt das nicht glauben können mit nicht glauben dürfen. Wenn nämlich die Pietisten jemand so weit gebracht hatten, daß er sich für einen armen elenden Sünder ansah, der sich nicht selbst helfen könne, und er nun seinen Prediger fragte: „Was soll ich denn nun thun?“ da antworteten sie nicht wie die Apostel: „Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du selig!“ sondern das gerade Gegentheil thaten sie in der Regel. Sie sagten: „Wir warnen dich, daß du ja nicht zu bald glaubst. Du darfst nicht meinen, daß, nachdem du die Wirkungen des Gesetzes gespürt hast, du auch schon glauben dürftest, du habest Vergebung der Sünden. Nein, deine Reue muß viel vollständiger werden, als sie jetzt ist. Da mußt du die Reue haben, nicht etwa bloß deshalb, weil deine Sünden dich zur Hölle stürzen würden und dir Gottes Zorn zuziehen, sondern aus Liebe zu Gott mußt du deine Sünden bereuen. Kannst du noch nicht sagen: ,Es thut mir leid, meinen lieben, gnädigen Gott erzürnt zu haben“, dann ist deine Reue null und nichtig. Du mußt erst fühlen, daß Gott anfange, sich deiner zu erbarmen. Du mußt erst dahin kommen, daß du eine Stimme hörst: „Sei getrost, deine Sünden sollen dir vergeben werden! Gott wird dir gnädig sein! Fahre nur fort, zu kämpfen, bis du hindurch bist. Und wenn du dich von aller Lust und Liebe zur Sünde losgemacht hast oder wenn du dich gründlich bekehrt hast, dann kannst du auch anfangen, dich zu trösten.“ Das ist aber eine ganz schreckliche Methode! Nicht erst soll einer bekehrt werden und dann glauben. Nicht erst soll ich fühlen, daß ich Gnade habe, sondern erst muß ich ohne Gefühl dem Wort glauben, daß ich Gnade habe, und dann werde ich Gefühl bekommen. Und das theilt Gott aus nach seiner Gnade. Mancher ist lange Zeit ohne solche Gefühle. Er sieht um sich (S. 361) nichts als Finsterniß, er spürt die Härte seines Herzens und wie die böse, sündliche Lust sich gewaltig regt und in seinem Innern tobt. Das ist also nicht die rechte Weise, einen Menschen zur Seligkeit zu weisen, daß man sagt: „Wenn du auch spürst, daß du ein armer, verlorner Sünder bist, darfst du doch nicht glauben.“ Freilich kann kein Mensch den Glauben selbst wirken, sondern Gott muß den Glauben wirken. Der Mensch kann in einem solchen Zustand sein, wo er nicht glauben kann und wo Gott ihm den Glauben nicht schenken will. Wer sich noch für gesund hält und für gerecht ansieht, der kann nicht glauben. „Eine volle Seele zertritt wohl Honigseim“, Spr. 27,7. Eine solche geistlich satte und volle Seele zertritt auch den Honigseim des evangelischen Trostes. Joh. 5,44.: „Wie könnet ihr glauben, die ihr Ehre von einander nehmet?“ Der HErr sagt dies zu den Juden, ohne Zweifel hauptsächlich zu den Pharisäern. Also so lange ein Mensch ehrsüchtig ist, kann er nicht zum Glauben kommen, denn die Ehrfucht ist eben eine Sünde wie alle andern Todsünden. Damit hat es also der HErr ausgesprochen: „Wer von einer Sünde schlechterdings nicht lassen will, der kann nicht glauben.“ Das Gesetz muß erst das Herz eines Sünders zerschlagen haben, und dann soll der süße Trost des Evangeliums folgen. Daraus ist aber keineswegs zu schließen: „Also darf der Mensch nicht glauben.“ Es bleibt doch ewig wahr: Ein jeder Mensch darf glauben, zu aller Zeit glauben. Und wenn er in die Sünde aufs tiefste gefallen ist und er erkennt plötzlich: „Ach, du hast nun Gott verlassen!“ und er steht auf mit zerknirschtem Herzen – der darf glauben! Wer dann zu ihm sagt: „Jetzt darfst du noch nicht glauben!“ der ist entweder ein gottloser Mensch, oder er ist in dieser Beziehung noch blind. Einem Menschen zu sagen, er dürfe nicht glauben, ist erstens wider die vollkommene Erlösung Christi von allen Sünden und wider die vollkommene Versöhnung. Denn Johannes sagt 1 Joh. 2,1.2.: „Ob jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, JEsum Christum, der gerecht ist. Und derselbige ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unsere, sondern auch für der ganzen Welt.“ – Die ganze Welt ist also versöhnt. Gottes Zorn über die ganze Welt ist beseitigt, Gott ist jedes Menschen Freund geworden durch JEsum Christum. Daher schon über seiner Krippe die heiligen Engel sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Gott hat in Christo ein Wohlgefallen an allen Menschen. 2 Cor. 5,14.: „So Einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben.“ Ein köstliches Wort! Damit will der Apostel sagen: „Nach- (S. 362) dem Christus gestorben ist, ist es gerade so, als ob alle Menschen den Tod für ihre Sünden erlitten hätten, und zwar den Tod, den Christus gestorben ist, als ob sie also alle ihren Tod, ihre Sünden gebüßt hätten.“ Ist es nun nicht erschrecklich, nachdem die ganze Welt erlöst und mit Gott versöhnt ist, wenn jetzt Lehrer aufstehen und sagen: „Aber glauben darfst du nicht, daß du versöhnt und erlöst bist, daß du Vergebung der Sünden hast“? Das ist ja erschrecklich. Damit wird die Vollkommenheit der Erlösung und Versöhnung mit Gott schändlich geleugnet. – Doch noch mehr, es ist dies auch wider das Evangelium! Denn Christus, nachdem er das Werk der Erlösung und Versöhnung vollbracht hatte, sagte zu seinen Jüngern: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Creatur.“ Was heißt denn das Evangelium predigen? Nichts anders, als aller Creatur die fröhliche Botschaft bringen, daß sie erlöst sei, daß der Himmel allen offen stehe, daß alle gerecht seien, daß vollkommene Gerechtigkeit von Christo gebracht sei; und die Menschen sollen nur kommen und eingehen durch die Pforten der Gerechtigkeit und sie sollen einst auch so eingehen durch die Pforten der Seligkeit. Ist es nun nicht erschrecklich, zu sagen: „Du darfst nicht glauben“? Jeder soll wissen: ihm gehört das Evangelium, ihm läßt Gott die Freudenbotschaft bringen. Warum denn? Daran zu glauben, sich dessen zu trösten. Glaubt er nicht, so macht er Gott zum Lügner und alle seine Propheten und Apostel. Ist es nun nicht erschrecklich, wenn man zu Leuten, die da erfahren haben, sie sind arme, verlorne Sünder, stecken aber noch im Schlamm der Sünde, sagt: „Du darfst noch nicht glauben! Da muß noch viel geschehen! Gott hat dich wohl erlöst, aber nun mußt du auch das Deine thun, damit du wirklich erlöst bist!“ – Ist das nun nicht erschrecklich? Da will der elende Sünder sich theilen in das Werk der Erlösung. Das ist aber nichts anders als eine Lästerung. Das stimmt auch nicht damit, daß Gott vor Himmel und Erde, vor Engeln und Menschen schon erklärt hat: „Mein Sohn hat die Welt mit mir versöhnt. Ich habe sein Opfer angenommen! Ich bin befriedigt. Er war euer Bürge, ich habe ihn freigelassen. Darum seid fröhlich, ihr habt nichts zu fürchten.“ Durch die Auferweckung JEsu Christi von den Todten hat Gott die ganze Sünderwelt absolvirt. Ist es nun nicht schrecklich, wenn Menschen kommen und sagen: „Ja, wohl ist das geschehen, aber glauben darfst du es noch nicht“? Heißt das nicht Gott Lügen strafen, die Auferweckung Christi von den Todten verneinen? Es ist entsetzlich! Aber noch mehr, es ist das auch wider die Lehre von der Absolution. Christus sagt zu seinen Jüngern Matth. 18,18.: „Was ihr auf Erden (S. 363) binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.“ Und Joh. 20,23.: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Er sagt nicht, daß ein Mensch so oder so sein müsse, sondern: „Wem ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; wen ihr löst, der ist gelöst.“ Wer glaubt das aber? Nur ein echter Lutheraner glaubt das. Allen Secten ist es ein Greuel, das nur zu hören. Und so drehen sie denn so lange an diesen theuren, köstlichen Worten des Mundes der Wahrheit herum, bis die Worte etwas ganz anderes aussagen, als was in ihnen liegt. Nein, es ist wahrlich so, meine Freunde: nachdem JEsus Christus die ganze Welt erlöst hat, so hat nun auch Christus den Seinen die Macht gegeben, jedem seine Sünden zu vergeben. Vielleicht werden Sie sagen: „Das heißt eben so viel: Wenn einer in rechter Verfassung ist, und der Prediger merkt das, so kann er ihm zureden, daß er glauben darf, er habe Vergebung der Sünden.“ Aber so redet der HErr nicht, – das sind Menschengedanken – er sagt einfach: „Die Sünden sind erlassen.“ Das ist auch leicht zu verstehen, wenn man glaubt an die Vollkommenheit der Erlösung und Versöhnung mit Gott. Wenn z. B. ein König erklärt hat, daß eine aufrührerisch gewesene Stadt begnadigt sei, und keinem solle etwas geschehen, da kann jeder hingehen und sagen: „Der König hat den Aufruhr gestillt, er hat euch besiegt, aber seid getrost: ihr seid begnadigt! Ich weiß es ganz gewiß, ich habe es den König selbst sagen hören.“ Wenn er auch noch ein großes Diplom mitbrächte, auf welchem es geschrieben wäre, der König hätte es unterzeichnet, hätte auch sein Siegel daraufgedrückt, da würde jeder sagen: „Nun, Gott Lob! Wir haben uns zwar empört, aber der König will sich nicht an uns rächen. Wir wollen fröhlich sein und ein Fest feiern!“ So ist es auch hier. Gott hat durch die Auferweckung Christi erklärt: ich bin versöhnt, ich will keinen mehr strafen. In seinem Evangelium hat er es aller Welt verkündigen lassen und hat außerdem noch jedem Prediger gesagt: „Vergib den Leuten ihre Sünden. Was du auf Erden thust, das thue auch ich im Himmel. Du sollst auch nicht erst dahinaufschauen, was ich im Himmel thue. Thue du nur auf Erden, was ich dir befohlen habe. Vergib nur den Leuten ihre Sünden! Ich vergebe sie ihnen selbst.“ Das sieht aus wie eine schreckliche Lehre, und ist doch keine schreckliche, sondern die allertröstlichste Lehre, die es geben kann, eine Lehre, die fest gegründet ist auf Gottes Blut, das am Kreuz herabfloß. Die Sünde ist wirklich schon vergeben. Alles, was Gott nun thut, thut er deswegen, damit wir es glauben. Unsere Absolution hat keinen andern Zweck, als den, daß die, welche kommen, das glauben, (S. 364) was von der Kanzel verkündigt wird. Da kann niemand sagen: „Wie kann der Pastor sagen, wie es um mein Herz steht? Was hilft die Absolution, wenn ich unbußfertig bin?“ Ja freilich, dann hilft sie dir nichts. Aber wenn du es nur glaubst, hilft es dir. Doch das ist sicher: Du bist absolvirt! Und deswegen wird auch deine Hölle viel heißer, weil du Gottes Absolution nicht geglaubt hast, die er selbst gesprochen hat und noch immer sprechen läßt durch seinen Diener. So ist es auch mit den Sacramenten. Das Wasser in der Taufe macht uns selig. Und wenn der HErr das gesegnete Brod reicht und spricht: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben ist“, so will er doch damit ganz offenbar sagen: „Siehe, das mußt du glauben, oder mein Leib würde dir gar nichts helfen. Aber wenn du glaubst, daß er für dich gegeben und deine Sündenschuld damit bezahlt ist, dann kannst du hüpfend und springend vom Altar weggehen.“ Und wenn der HErr den gesegneten Kelch reicht und spricht: „Das ist mein Blut, das für euch vergossen ist zur Vergebung der Sünden“, so will er damit sagen: „Du mußt hauptsächlich auf das: „Vergossen zur Vergebung der Sünden“ sehen. Wenn du das glaubst, dann kannst du jubelnd und jauchzend aus der Kirche gehen, wenn du communicirt hast.“ Doch, wenn man „nicht glauben können“ mit „nicht glauben dürfen“ verwechselt, so verstößt das endlich auch gegen die Praxis der Apostel. Wenn einer das Kennzeichen gehabt hat, daß er ein armer Sünder geworden sei, so haben sie ihm gesagt: „Glaube an den HErrn JEsum Christum!“ Niemals haben sie gesagt: „Warte nur! Erst muß das und das geschehen!“ Den Zuhörern am ersten Pfingstfest ruft Petrus zu: „Zuvor habt ihr den HErrn JEsum gehaßt; jetzt glaubt an ihn und laßt euch taufen.“ Und denken Sie ferner an das oft angeführte Beispiel vom Kerkermeister zu Philippi! Die Schwärmer würden sagen: „Ja, ich weiß gar nicht, wie die Apostel verfahren sind! Wie kann man nur gleich so verfahren! Da würde ich die Leute alle in die Hölle hineinpredigen!“ Ja, die lieben Apostel haben auch allerdings erfahren, daß auch Heuchler eingeschlichen sind in die Gemeinden. Ich erinnere Sie nur an den Zauberer Simon. Da heißt es: „Und er wurde gläubig“, nämlich vor den Augen der Menschen, und nachher wurde es offenbar, daß er ein ganz gottloser Mensch war. Haben aber die Apostel nun angefangen, „vorsichtiger“ zu sein? Haben sie gedacht: „Halt, wir wollen nicht immer auffordern, an den HErrn JEsum zu glauben“? Wir finden davon gar nichts. Denn alle die schönen Beispiele davon, wie die Apostel alle Sünder zum Glauben aufgefordert haben, sobald sie nur eingestanden haben, sie seien Sünder, folgen auf die Erzählung vom Zauberer Simon. – Es ist (S. 365) auch eine große Thorheit, zu denken: „Ach, ich habe ja eine gute Absicht!“ Das haben die Pietisten und viele Prediger der Schwärmer gedacht, haben gemeint: „Die sollen sich noch nichts zueignen, sollen sich nichts zu einem falschen Trost machen, damit ihre Bekehrung eine gründliche wird.“ Aber es ist das eine große Schwärmerei, wenn sie so denken. Sie sollen bedenken, daß der liebe Gott klüger ist, denn sie. Der hat es wohl gewußt, wenn der Trost des Evangeliums in alle Herzen ausgestreut würde, daß dann viele denken würden: „Das kann ich auch glauben!“ Deswegen sollen wir diesen Trost nicht verschweigen. Man soll nicht, damit die Hunde etwas kriegen, die Kinder verhungern lassen, sondern wir sollen frisch und fröhlich Gottes allgemeine Gnade frei verkündigen und es dann Gott überlassen, wer das glaubt und wer es mißbraucht. Wenn ein Grund gegraben ist, damit ein recht festes Gebäude errichtet werde, so darf man den aufgegrabenen Grund nicht zu lange offen halten, sonst kann ein Regenwetter kommen und alles wieder verschütten; dann ist alles wieder verloren. Nein, ein guter Baumeister kommt geschwind und legt nun den Grund. Das Ausgraben des Grundes ist eben dies, daß man die Menschen zu Sündern macht. Aber nun muß man geschwind mit dem Evangelium kommen, dasselbe ins Herz hineinlegen und das ganze Christenthum darauf aufbauen. Oder wenn ein Arzt eine Beule ausgedrückt hat, denkt er nicht: „Nun will ich erst vierzehn Tage warten und dann den kühlenden Balsam auflegen!“ Nein, sofort legt er ihn auf, damit nicht eine gefährliche, tödtliche Wunde entsteht. Haben wir bei einem Menschen die Sündenbeulen ausgedrückt, so kommen wir gleich mit dem kühlen Balsam des Evangeliums. Das ist die rechte Methode; die Methode der Methodisten hingegen ist eine falsche. – Hören wir nun hier einige Zeugnisse von Luther. Luther schreibt (W. XI, 1541): „Wenn nun die erste Predigt, des Gesetzes Predigt, geht, nämlich, wie wir mit allem unsern Thun verdammt sind: so wird dem Menschen bange nach Gott, und weiß nicht, wie er seinen Dingen thun soll, krieget ein böses, zaghaftiges Gewissen; und wo man ihm nicht sobald zu Hülfe käme, müßte er ewig verzweifeln.“ Ja, wie mancher würde vielleicht gerettet worden sein, wenn ihm gleich das volle Evangelium wäre gepredigt worden! Das ist ihm aber nicht gepredigt worden, und er ist entweder ganz verzweifelt oder er hat sich der Welt ergeben und gedacht: „Ach, mit der Kirche ist es doch nichts!“ – „Darum muß man mit der andern Predigt nicht lange außen sein, muß ihm das Evangelium predigen, und ihn auf Christum führen, welchen uns der Vater zu einem Mittler gegeben hat, daß wir allein durch den sollen selig werden aus lauter Gnade und Barmherzigkeit (S. 366) ohn alle unsere Werke und Verdienst. Da wird denn das Herz fröhlich und läuft zu solcher Gnade, wie ein durstiger Hirsch zum Wasser läuft. Das hat David wohl gefühlt, da er also spricht Ps. 42,2.3.: „Wie der Hirsch schreiet nach den Wasserbächen, so schreiet meine Seele, Gott, zu dir; meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.““ In einer Predigt am ersten Ostertag schreibt Luther (W. XII, 2048): „So ist nun dies der Nutz des Leidens und Auferstehung Christi, daß er solches nicht für sich, sondern für die ganze Welt gethan hat, daß er den Teufel und meine Sünde, die am stillen Freitag an ihm hingen, unter die Füße getreten hat, daß der Teufel auch flieht vor dem Namen Christi. Willst du nun solcher großen Güter brauchen: wohlan, er hat dir sie schon geschenkt“;– Es ist dir schon geschenkt; es kommt nur darauf an, daß du nun auch dieses Geschenk endlich annimmst! – „thue du ihm nur so viel Ehre, und nimm es mit Dank an.“ Ferner heißt es in einer Predigt Luthers am Pfingstmontag (W. XI, 1489): „Es ist nicht unsers Thuns und kann nicht durch unser Werk verdient werden, es ist schon da geschenkt und dargegeben; allein, daß du das Maul oder vielmehr das Herz aufthuest und stille haltest und lässest dich füllen, Ps. 81,11. Das kann durch nichts anderes geschehen, denn daß du glaubest diesen Worten“ (Also hat Gott die Welt geliebet etc.); „wie du hörest, daß er hier den Glauben fordert und ihm solchen Schatz ganz und gar zueignet.“ – Das ist es, was allen andern Kirchen fehlt. Sie glauben nicht, daß die Erlösung allen Menschen schon vollkommen geschenkt ist. Sie meinen, das Evangelium sei ein Unterricht von dem, was der Mensch thun müsse, damit er versöhnt werde mit Gott, nachdem er durch Christum bereits versöhnt ist. Es ist das ein Widerspruch in sich selbst. Endlich schreibt Luther (W. XI, 1003): „Darum ist Unglaube nichts, denn eine Gotteslästerung, die Gott Lügen straft. Denn wenn ich sage: Deine Sünden sind dir vergeben in Gottes Namen, und du glaubst es nicht; so thust du ebenso viel, als wenn du sagst: Wer weiß, ob es wahr sei und ob es sein Ernst sei; damit lügenstrafst du Gott und sein Wort. Darum wäre es besser, du wärest weit vom Wort, wenn du nicht glaubst. Denn Gott will’s nicht geringer achten, wenn ein Mensch sein Wort predigt, denn als hätte er es selbst gethan. Das ist nun die Gewalt, die ein jeglicher Christ hat, von Gott gegeben, davon wir wohl oft und viel geredet haben, darum sei es jetzt genug.“ – Die meisten denken, wenn sie absolvirt werden: „Das ist ja sehr tröstlich, wenn ich weiß, daß ich im rechten Zustand bin.“ Das ist gar nicht, was Gott will, sondern, nachdem die Erlösung schon erworben ist, (S. 367) soll sie auch allen zugesprochen werden. Es ist nicht anders, als wenn Gott vor uns stünde und spräche uns die Absolution. Was würden wir aber thun, wenn sich Gott uns offenbarte, daß wir ihn sähen, der Tod und Leben in seiner Hand hat, wenn er unsern Namen nennte und sagte: „Deine Sünden sind dir vergeben“? Mit welcher Freude würden wir von dannen gehen! Wir würden ausrufen: „Nun soll mir auch kein Teufel meine Seligkeit wankend machen!“ Aber wenn es der Prediger thut, wenn er absolvirt, so thut es eben der liebe Gott. Er will es nicht unmittelbar, sondern mittelbar thun. Die Secten meinen, wenn sie hören, daß unsere Prediger absolviren, wir glaubten, durch die Ordination bekäme der Prediger eine geheime Gewalt, eine besondere Kraft, den Menschen ins Herz zu sehen. Aber das ist nicht unsere Lehre, sondern, so oft ich das Evangelium predige, absolvire ich alle Leute, nur daß viele da sitzen, die glauben es nicht und gehen als verdammte und verstockte Sünder hinaus; während die Kinder Gottes denken: „Ach, was war das für eine schöne Predigt! Ich gehe nun ruhig wieder nach Hause, denn meine schwere Sündenlast ist mir abgenommen.“

 

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