Psychologie und Bekehrung

Psychologie und Bekehrung

Lässt sich Glaube nicht „erklären“? 

 Wenn jemand die Entstehung von Glaubensgewissheit auf das Wirken Gottes zurückführt, provoziert er damit Widerspruch. Denn ein anderer, der diese Gewissheit nicht teilt und mit Gottes Wirken nicht rechnet, hat immer die Möglichkeit, dem Phänomen des Glaubens eine „natürliche“ Erklärung zu geben.

Er wendet dann z.B. das Instrumentarium der Psychologie auf die entsprechenden Bewusstseinsprozesse an, analysiert den Vorgang der „Bekehrung“ und deckt dabei möglicherweise „unbewusste“ Zusammenhänge auf. Das geht immer. Denn es gibt immer genügend biographische, soziale und innerpsychische Faktoren, die zur Erklärung herangezogen werden können, wenn man vom Heiligen Geist nicht reden mag.

Und entsprechend leicht erringt der Kritiker des Glaubens das, was er für seinen Triumph hält. Er meint dass dort, wo er „natürliche“ Ursachen aufgedeckt hat, ein „übernatürlicher“ Einfluss automatisch ausgeschlossen sei. Psychologische und theologische Erklärungsmuster stellt er als einander ausschließende Alternativen gegenüber. Er ist überzeugt, dass dort, wo „Natur“ wirkt, nicht „Gott“ wirken kann – und umgekehrt. Er meint, die Feststellung eines Kausalzusammenhanges schließe ein „Wunder“ aus – und ein „Wunder“ den Kausalzusammenhang.

Doch ist das eine ziemlich naive Vorstellung, die dem Glaubenden wenig Eindruck machen muss. Denn die Welt begrenzt ja nicht Gott, wie das Ufer das Meer begrenzt. Sondern die Schöpfung wird (einschließlich aller physischen und psychischen Kausalitäten) immer und überall vom Wirken ihres Schöpfers durchdrungen, der in der Regel nicht gegen und ohne, sondern in und mit den natürlichen Prozessen handelt.

Das tägliche Brot kommt nicht vom Bäcker oder von Gott, sondern Gott bedient sich des Bäckers, um seinen Geschöpfen das tägliche Brot zu verschaffen. Der Mensch hat das Leben nicht von seinen Eltern oder von Gott, sondern Gott bedient sich der Eltern, um dem Kind das Leben zu schenken. Für Ordnung und Sicherheit sorgt nicht der Staat oder Gott, sondern Gott kann sich des Staates bedienen, um Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.

Mit anderen Worten: Für den Glaubenden ist es selbstverständlich, dass Gott natürliche Prozesse in seinen Dienst nimmt, ohne dass dabei der Charakter des wunderbaren und göttlichen schwindet. Er kann darin zwei Seiten derselben Medaille sehen. Was also würde es ändern, wenn psychologisierende Kritiker eine vollständig „natürliche“ Erklärung des Glaubens vorlegten? Es hätte nicht die erhoffte Wirkung, dem Glauben dadurch den Boden zu entziehen, dass man ihn auf etwas anderes zurückführt als auf Gottes Geist, sondern es gäbe dem Glaubenden nur näheren Einblick in die Wirkweise des Heiligen Geistes – so wie ihm die Biologie näheren Einblick gibt in die Wirkweise seines Schöpfers.

Ein Christ, der sich mit der embryonalen Entwicklung und dem Vorgang der Geburt beschäftigt, erfährt viel darüber, wie Gott ihn geschaffen und ins Leben gerufen hat. Aber auf die Überzeugung, dass Gott ihn geschaffen hat, wirkt sich dieses biologische Wissen weder positiv noch negativ aus. Und genauso ergeht es einem Christen, der sich mit der Entstehung seines Glaubens beschäftigt. Er kann viel darüber erfahren, wie Gott ihm Glaubensgewissheit schenkte. Aber auf die Überzeugung, dass Gott sie ihm geschenkt hat, wird sich dieses psychologische Wissen weder positiv noch negativ auswirken.

Kann der Glaubende sich seine Gewissheit nicht erklären, ohne sie auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückzuführen, beweist das nicht ihren „übernatürlichen“ Ursprung. Doch gilt ebenso das Umgekehrte. Denn wenn der Skeptiker meint, eine „natürliche“ bzw. „psychologische“ Erklärung der Glaubensgewissheit gefunden zu haben, schließt das ein Wirken des Heiligen Geistes keineswegs aus.

Berührt es da nicht seltsam, wenn Kritiker der Religion entgegenhalten, sie sei „nichts als“ ein erklärliches Produkt psychischer Prozesse – und das mit dem Pathos großer Enthüllung tun? Selbst wenn der Glaube eines Menschen als Hirnfunktionen identifiziert und gemessen werden könnte, würde daraus keineswegs folgen, dass er „nichts als das“ sei. Denn logisch folgt ja aus der Entdeckung, etwas sei „auch das“ keineswegs, dass es „nur das“ und insofern „nichts als das“ sei. Es kann sehr wohl „das“ – und zugleich noch „viel mehr“ sein!

Kann man einem verliebten jungen Mann nicht nachweisen, dass seine Liebe mit biochemischen Prozessen in seinem Gehirn einhergeht? Er hat keinen Grund, es zu leugnen. Aber würde er deswegen zugeben, seine Liebe sei „nichts als“ ein biochemischer Prozess und könne eben deshalb nicht der große Wendepunkt seines Lebens sein? Vernünftiger Weise würde er darauf beharren, dass sie beides zugleich ist! Warum also sollte der religiöse Mensch sich die grobe Alternative aufzwingen lassen, dass sein Glaube entweder ein psychischer Prozess oder eine Wirkung des Heiligen Geistes sein müsse? Er kann sehr wohl beides sein, ohne dass diese beiden Dimensionen derselben Sache einander stören müssten.

Ein Altar kann sehr wohl das Produkt eines Handwerkers sein und ein Ort göttlicher Gegenwart. Eine Hostie kann beim Abendmahl Brot sein und der Leib Christi. Der Urknall kann ein physikalischer Prozess sein und Gottes Schöpfungstat. Jesus kann aus Fleisch und Blut bestehen und Gottes Sohn sein. Die Bibel kann menschliche Autoren haben und als Gottes Wort ihre Wirkung tun. Wer aber nur eine Dimension der Sache sieht, und meint, damit die jeweils andere Dimension ausgeschlossen zu haben, begeht nicht bloß einen logischen Fehler, sondern bleibt auch hinter dem zurück, was religiöse Menschen seit Jahrtausenden geläufig ist: Göttliches Handeln steht nicht in Alternative zu menschlichem Handeln, und Vorsehung nicht zu Physik. Warum also macht man so großes Wesen um die Entdeckung, dass der Heilige Geist sich psychischer Gesetzmäßigkeiten bedient?

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Bell brain cut

McLeod, Public domain, via Wikimedia Commons