Schöpfung

Schöpfung

Warum ist nicht nichts? 

Alle Erkenntnis beginnt mit dem Staunen. Das fundamentalste Erstaunen aber, das wir kennen, ist nicht das Erstaunen darüber, dass etwas so oder so ist, sondern dass überhaupt etwas ist. Denn schließlich könnte auch nichts sein. Große Leere wäre möglich. Trotzdem aber sind wir da, samt der Welt, die uns umgibt. Und das ist in der Tat zum Staunen. Das schreit nach einer Erklärung. Denn warum ist etwas – und warum ist nicht nichts?

Gäbe es nichts: Himmel und Erde nicht, das Land und das Meer nicht, die Pflanzen und die Tiere nicht – ja dafür bräuchte es keine Erklärung. Gähnende Leere verstünde sich von selbst. Wo nichts wäre, da wäre auch nichts zum Staunen. Es ist aber eine ganze Menge. Es ist eine ganze kunterbunte Welt, die angefüllt ist mit den merkwürdigsten Kreaturen und Phänomenen. Und das, obwohl jede dieser Kreaturen und jedes dieser Phänomene auch nicht sein könnte. Sie sind da und ich bin da, obwohl für unser Dasein keine erkennbare Notwendigkeit besteht. Der Welt würde wahrscheinlich nicht viel fehlen, wenn wir fehlten. Und trotzdem sind wir da – ist das nicht sehr zum Wundern?

Sind wir uns nicht selbst ein Rätsel, da wir uns doch nicht selbst gemacht, sondern uns schon seiend vorgefunden haben? Wir sind, obwohl wir auch nicht sein könnten. Wir starren hinaus in eine Welt, die da ist, obwohl sie nicht da sein müsste. Und für beides muss es einen Grund geben. Nur worin könnte dieser Grund liegen? Weshalb sind wir?

Die erste Möglichkeit einer Antwort wäre zu sagen: Der Grund deines Daseins bist du selbst, der Grund liegt in dir selbst. Aber auch wenn wir das schmeichelhaft fänden, so wird diese Antwort doch einer ernsthaften Prüfung kaum standhalten. Denn der Grund meines Daseins kann ich schon deshalb nicht sein, weil ich nicht da war, bevor ich da war. Ich habe mich nicht selbst aus dem Nichts heraus ins Sein gehoben. Ich habe mich nicht selbst geschaffen. Ich wurde nicht gefragt, ob ich, wann ich und wo ich zur Welt kommen wollte. Und ob ich, wann ich und wo ich sie wieder verlasse, liegt auch nicht in meiner Hand. Vielmehr ist da eine Macht, die mich ins Leben hob, die mich am Leben hält und irgendwann auch wieder im Nichts versinken lässt. Und zwar nicht, wenn es mir, sondern wenn es ihr gefällt. Diese Macht gewährleistet, dass ich heute atmen und laufen, denken und lachen kann.

Ich dagegen bin meiner so wenig mächtig, dass ich meine Existenz aus mir selbst heraus weder gewährleisten noch unbegrenzt verlängern kann. Und so wird mir im Staunen über mein Dasein zuerst dies gewiss, dass ich der Grund meines Daseins jedenfalls nicht selber bin. Doch wenn ich es nicht bin, wer dann?

Populär ist die Antwort, der einzelne Mensch sei ein Produkt der Welt, die ihn umgibt. Und diese These hat erst einmal den Augenschein für sich. Denn wenn es mich gibt, obwohl es mich auch nicht geben könnte, dann hat das ja z.B. etwas mit meinen Eltern zu tun. Es gäbe mich nicht, wenn Mutter und Vater sich nicht getroffen hätten. Vordergründig betrachtet sind also sie der Grund meines Daseins. Nur kommt mein Fragen dadurch nicht zur Ruhe. Denn ich sehe wohl ein, dass ich da bin, weil es meine Eltern gab.

Aber warum es meine Eltern gab, ist damit nicht geklärt. Die haben sich schließlich ebenso wenig selbst geschaffen wie ich! Sie sind auch nicht der Grund ihres eigenen Daseins! Ich muss also weiterfragen. Und wenn ich nun solches Nachfragen geduldig fortsetze, entdecke ich eine schier endlose Kette von Ursachen und Wirkungen. Bin ich eine Wirkung und meine Eltern die Ursache, so sind meine Eltern ihrerseits auch Wirkungen von Ursachen, die noch weiter zurückliegen. Die, von denen ich herkomme, kamen auch irgendwo her. Und wenn ich dieses Herkommen-von-Anderem immer weiter zurückverfolge, führt mich meine Ahnentafel bis in Mittelalter, vom Mittelalter bis zur Völkerwanderung und von dort bis in die Frühgeschichte der Menschheit.

Nach der Ursache der Ursache der Ursache suchend kann ich die Zeit des Neandertalers durchwandern und auch die Zeit der Dinosaurier, vielleicht bis zurück zum Urknall. Und solches Wandern ist interessant. Nur, wenn ich eigentlich auf der Suche bin nach dem Grund meines Daseins, so werde ich enttäuscht. Denn so wie es mir geht – dass ich nicht der Grund meines Daseins bin – so geht es auch all denen, auf die ich mich zurückführe. Sie alle sind ebenfalls nicht Grund ihres eigenen Daseins, sondern verdanken sich anderem und verweisen mich darum weiter. Alle, die mich hervorgebracht haben, sind selbst hervorgebracht worden. Alle sind Wirkung von Ursachen jenseits ihrer selbst.

Und das ändert sich nicht einmal, wenn ich beim Urknall angekommen bin, bei der Entstehung dieses Universums. Denn dort verliert sich zwar die Spur im Dunkel unseres Nicht-Wissens, weil die Naturwissenschaft über den Grund des Urknalles wenig sagen kann. Aber von nichts kommt nichts – auch kein Urknall. Und weil das so ist, können wir schon jetzt sagen, dass uns naturwissenschaftliche Weltentstehungstheorien, wie sehr man sie auch erweitert und verbessert, in dieser Sache nicht wirklich weiterbringen werden. Denn all unser Forschen begründet Dasein mit dem Hinweis auf Vorstufen, deren Dasein selbst der Begründung bedarf. Wir können gar nicht anders, als zu erklären unter ständigem Rückgriff auf Erklärungsbedürftiges. Und dabei gewinnen wir nur den Schein einer Antwort.

Denn unsere Frage ist ja am Ende nicht die nach immer früheren Gliedern der Kausalkette. Sondern wir fragen, warum es diese Kette überhaupt gibt. Wir wollen nicht wissen, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei. Sondern wir wollen wissen, warum es überhaupt Hühner und Eier gibt. Wir interessieren uns nicht dafür, woher wir sind, um auf vorgeschichtliche Stufen menschlichen Seins verwiesen zu werden. Sondern wir fragen, warum wir sind – samt unserer Vorgeschichte. Auf diese Rätselfrage aber, „Warum ist überhaupt etwas und warum ist nicht nichts?“ antwortet die Naturwissenschaft nicht. Und zwar nicht, weil sie noch nicht genug fortgeschritten, sondern weil sie unzuständig ist.

Naturwissenschaft kann in ihrer Suche nach der Ursache der Ursache der Ursache immer nur auf Bedingtes stoßen, das eine Ursache jenseits seiner selbst hat. Naturwissenschaft bekommt immer nur Natur in den Blick, also Gewordenes. Und sie muss darum unsere Frage nach dem Grund unseres Daseins immer von einem Stadium des Weltenlaufes auf das vorangegangene verschieben. Durch unablässiges Verschieben wird aber keine Frage gelöst und nichts wirklich erklärt. Vielmehr müssen wir einsehen, dass wir mit unserem Fragen nur zu einem Ende kommen, wenn wir den Blick wegwenden vom Bedingten zum Unbedingten. M.a.W.: Die Suche nach unserem Ursprung führt uns zum Gedanken einer Macht, die hat, was wir nicht haben – die nämlich den Grund ihres Seins in sich selber hat. Eine Macht, die nicht von anderem her, sondern von sich selber her ist. D.h.: Das Erstaunen über unser Dasein zwingt uns zuletzt, nach einem Schöpfer des Geschaffenen zu fragen. Denn wenn der Grund der Welt in der Welt nicht ausfindig zu machen ist, dann muss er jenseits der Welt liegen. Was aber wäre jenseits der Welt außer Gott? Wer sonst sollte die Quelle sein, aus der die Welt geflossen ist, wenn die Welt doch nicht ihre eigene Quelle sein kann? Wer sonst soll am Anfang aller Kausalketten gestanden haben, wenn nicht Gott? Nur bei ihm kommt die Frage nach der Ursache aller Ursachen zur Ruhe, weil er ohne Ursache ist. Gott nämlich kam nicht erst, er war schon immer.

Er ist keines Dinges Wirkung, ist aber aller Dinge Ursache. Er ist von nirgends her, alles aber ist von ihm her. Er selbst hat keinen Grund und keinen Anfang, alles aber hat seinen Grund und Anfang in ihm. Wer also wissen will, warum er da ist, dem kann man nur antworten: Glaube nicht, du seist ein Resultat der Naturgeschichte oder ein Produkt deiner Eltern. Kein Zufall hat dich hervorgebracht, keine menschliche Planung – und am wenigsten verdankst du dich dir selbst. Sondern du bist da, weil Gott dich wollte. Du bist von höchster Instanz bejaht. Freue dich dessen und höre nie auf, darüber zu staunen. Erkenne die Würde, die es dir verleiht, von Gott gewollt zu sein, und lerne dich zu dieser Geschöpflichkeit zu bekennen, so wie es Luther im Kleinen Katechismus tut:

„Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewisslich wahr.“

 

Ein Gleichnis ( frei nach A. Flew )

 

Zwei Männer marschieren durch den Urwald. Die beiden haben sich im Regenwald verirrt, der immer dichter und düsterer wird. Oft müssen sie sich mit Macheten den Weg durch das Dickicht bahnen. Sie steigen über morsche Bäume, sie kriechen zwischen Felswänden hindurch und umgehen sumpfige Löcher. Eine lebensfeindliche Umgebung ist das. Denn der Urwald bietet keinen Schutz und kaum Nahrungsmittel. Die beiden Männer sind schon sehr müde und verzweifelt. Doch da, plötzlich, tut sich vor ihnen eine Lichtung auf. „Was ist denn das?“ ruft der eine. „Das ist ja ein herrlicher Fleck!“.

Und wirklich: Mitten im lebensfeindlichen Dschungel liegt eine Art Garten vor ihnen. Da stehen Obstbäume auf der einen Seite, und eine Blumenwiese erstreckt sich auf der anderen. Mittendrin liegt ein Teich mit glasklarem Wasser – so klar, dass man die großen Fische darin beobachten kann. Rundherum wachsen Pflanzen, die die beiden Männer noch nie gesehen haben. Nach einer Seite fließt ein Rinnsal aus dem Teich und bewässert ein Getreidefeld. Und auf der anderen Seite fließt Wasser in eine Niederung. „Schau nur“ ruft der eine: „Da unten wächst etwas, das sieht aus wie Salat. Und da drüben, sind das nicht Melonen?“ Beide sind froh, diesen Ort gefunden zu haben. Sie pflücken ein paar Äpfel und Birnen und setzen sich unter einem Baum ins Gras.

„Es muss einen Gärtner geben, der das alles hier angepflanzt hat“ sagt der eine. „Unsinn“ entgegnet der andere. „Wo soll denn hier ein Gärtner herkommen? Auf unserem ganzen Marsch haben wir keine menschliche Behausung gesehen. Hier gibt es niemand.“ Aber sein Freund widerspricht: „Schau doch: Hier ist rundherum Urwald. Wenn niemand käme, um diesen Garten zu pflegen, wäre er längst überwuchert und so verwildert, wie der Dschungel rundherum.“ „Ach was“ erwidert sein Begleiter. „Hier wird der Boden anders sein. Darum wächst hier anderes als dort drüben.“

Nachdem sie gegessen haben, untersuchen die beiden den Garten genau – aber einig werden sie sich nicht. „Schau doch nur hin!“ sagt der Erste, „Der Teich ist so angelegt, dass er links das Getreide und rechts das Gemüse bewässert.“ „Ach was du dir einbildest“ meint der andere. „Da wo das Wasser hinfließt, da wächst eben mehr als anderswo.“ Sein Freund aber lässt nicht locker: „Sieh doch, wie diese Büsche gepflanzt sind. Genau so, dass sie ihren Schatten auf jene Blumen werfen, die keine direkte Sonne vertragen – das ist doch kein Zufall. Hier gibt es einen Gärtner.“

Sein Freund ist nicht zu überzeugen. Und so beschließen sie, einige Tage zu bleiben und zu warten, ob wohl ein Gärtner kommt und den Garten pflegt. Nach fünf Tagen hat der eine aber genug: „Jetzt sind wir schon fast eine Woche hier und niemand ist gekommen. Siehst du nun ein, dass diese schöne Lichtung zufällig entstanden ist?“ „Nein, keineswegs“ erwidert sein Freund. „Es muss hier einen unsichtbaren Gärtner geben. Man sieht ihn nicht, aber man erkennt überall seine Wirksamkeit. Wir sind schon fast eine Woche hier. Aber die Abflüsse des Teiches verstopfen nicht, zwischen dem Gemüse wächst kein Unkraut, und die Schlingpflanzen des Urwaldes greifen nicht auf die Obstbäume über. Jemand hält hier Ordnung – auch wenn wir ihn nicht sehen. Der Gärtner ist nicht sichtbar, aber sein Wirken ist sichtbar. Warum schaust du nicht richtig hin? In der ganzen Anlage steckt ein Gefühl für Schönheit, da steckt Überlegung dahinter, das musst du doch sehen!“

Der andere ist beharrlich: „Wenn es einen Gärtner gäbe, hätten wir ihn treffen müssen. Also rede dir nichts ein. Was dir so schön und geordnet erscheint, ist bloß eine Laune der Natur. Vielleicht liegt es am Grundwasser, am Boden oder an der Windrichtung – was weiß ich.“

Sie stritten lange, doch einigen konnten sie sich nicht. Schließlich verständigten sie sich darauf, dass es ja egal sei. So oder so sei der Garten viel zu schön, um wieder wegzugehen. Sie richteten sich also im Garten ein und lebten gut und fröhlich von seinen Früchten...

Eines Tages aber mussten sie feststellen, dass die Frage nach dem Gärtner doch nicht gleichgültig war. Denn der Mann, der nicht an den Gärtner glaubte, kam auf die Idee, man könne den Garten doch ein wenig verändern. Er sagte: „Komm, lass uns diese Hecke wegnehmen, das Melonenbeet verbreitern und die lästigen Wühlmäuse vertreiben!“

Der andere aber widersprach: „Nein, wir dürfen dem unsichtbaren Gärtner nicht ins Handwerk pfuschen. Lass uns lieber die Ordnung bewahren, die wir vorgefunden haben. Wir sind schließlich nicht Eigentümer, sondern nur Gäste dieses Gartens!“

„Gäste?“ rief der andere. „Was du immer redest. Wir sind lange genug hier, um dieses Fleckchen Erde als unser Eigentum zu betrachten. Und in meinem Garten dulde ich keine Wühlmäuse.“

„Was hast du nur gegen die Tierchen?“ bekam er zur Antwort. „Sie sind doch genauso lange hier wie wir!“ Doch da wurde sein Freund richtig zornig: „Willst du etwa sagen, diese blöden Wühlmäuse wären auch Gäste deines großen Gärtners? Soll das heißen, sie hätten dasselbe Recht hier zu sein, wie wir? Willst du mir am Ende erzählen, dein großer Gärtner hätte das Melonenbeet nur gepflanzt, damit die kleinen Ungeheuer sich darüber hermachen können?“

„Ja, könnte das nicht sein?“ Lange herrschte düsteres Schweigen zwischen den Beiden. Doch dann platzte der eine heraus: „Du bist verrückt. Und ich sage dir auch warum: Wenn wir nämlich Gäste deines Gärtners wären, müssten wir nicht nur die bestehende Ordnung respektieren, wir müssten nicht nur die Wühlmäuse dulden, sondern müssten uns auch noch für jeden Schluck Wasser und jeden guten Bissen bei unserem Gastgeber bedanken...“

„Donnerwetter“ sprach der andere. „Du hast Recht! Wir haben das Danken vergessen. Lass uns von nun an vor jeder Mahlzeit dem Gärtner sagen, wie gut es uns hier gefällt und wie gut es uns schmeckt. Ich wette, er freut sich darüber.“

Das Gespräch endete damit. Der Streit der beiden Freunde aber geht weiter – bis auf den heutigen Tag...

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Rainbow

Arkhip Kuindzhi, Public domain, via Wikimedia Commons