Wissenschaftliche Tatsachen?
Warum sie überschätzt werden...
Schon Paulus hat gewusst, dass Gotteserkenntnis nicht anders geschieht als durch Gottes Heiligen Geist, weil nur Gottes eigener Geist Gott wahrhaft kennt. Dieser Zusammenhang ist einfach und einleuchtend, weil es ja auch zwischen Menschen so ist: Was in mir drin vorgeht, wissen andere Menschen nur, wenn ich es ihnen mitteile und mein Geist es ihrem Geist verrät. Die Innenansicht eines Menschen kennt nur er selbst. Und so wissen wir auch von Gott nur das, was er uns wissen lässt durch seinen Heiligen Geist und sein biblisches Wort. Aber so selbstverständlich das auch sein mag und so schön es sich ausführen ließe, zögere ich doch. Denn es ist heute sehr schwer geworden, Einsichten zur „Gotteserkenntnis“ zu vermitteln. Für viele unserer Zeitgenossen haben die Begriffe „Gott“ und „Erkenntnis“ schon von vornherein nichts miteinander zu tun. Unter „Heiligem Geist“ können sie sich nichts vorstellen. Und wenn wir entfalten wollen, was Paulus so schön erklärt, werden wir gleich belächelt und unterbrochen, weil viele Menschen das Religiöse beiseite wischen, es für Träumerei halten und stolz erklären, sie seien „Realisten“. „Ich glaube an gar nichts“ sagen die dann, „Ich brauche das nicht! Ich halte mich lieber an Tatsachen!“
Religiöse Aussagen werden von diesen Leuten abgelehnt, weil sie nicht empirisch zu prüfen sind. Das „wissenschaftliche Weltbild“ hingegen kommt ihnen ganz eindeutig und handfest vor. Denn diese Menschen wollen lieber nicht glauben, sondern wissen, messen und beweisen. Sie sind auch zuversichtlich, dass die Wissenschaft eines Tages genug „Fakten“ zu Tage fördern wird, um den Glauben ganz überflüssig zu machen. Und der wissenschaftliche Fortschritt der letzten zwei Jahrhunderte scheint ihnen Recht zu geben. Denn man hört ja, das Wissen der Menschheit verdoppele sich innerhalb von 5 bis 12 Jahren. So entsteht der Eindruck, der Bereich dessen, was wir nicht wissen, würde rapide kleiner und kleiner – und es könne nicht mehr allzu lange dauern, bis die Wissenschaft die letzten Schleier gelüftet hat. Man stellt sich vor, dass am Ende kein Mensch mehr etwas glauben muss, weil dann jeder alles wissen kann. Und viele Menschen sind stolz auf diesen Erkenntnisfortschritt, der sich zugleich in rasantem technischem Fortschritt niederschlägt.
Mitleidig blickt man auf die unaufgeklärten Menschen „von früher“, die so viel glauben mussten, weil sie es noch nicht besser wissen konnten. Im Bewusstsein überlegener Einsicht hält man ihre religiöse Welterklärung für überholt und verweist auf das Überangebot des Wissens, das nun dank Internet in jedem Haus verfügbar ist. Der moderne Mensch hält sich für klug, weil er alles googeln kann. Aus dem Fernsehen kennt er Bilder der fernsten Galaxien. Und mit dem Taschenrechner in der Hand ist ihm auch keine Rechenaufgabe zu schwer. Was aber ist dagegen einzuwenden?
Nun: Die Euphorie hat mehr als einen Haken. Denn wer wirklich einmal wissenschaftlich gearbeitet hat, weiß, dass jede gefundene Antwort zehn neue Fragen aufwirft. Und er weiß auch, dass die schiere Anhäufung von Fakten noch niemanden klug macht. Aus einer neuen Quantität von Information ergibt sich nicht automatisch eine neue Qualität des Verstehens. Und das ist besonders dann der Fall, wenn man über die Feststellung des Ist-Zustands hinauskommen und Entscheidungen treffen will. Denn was heute ist, kann man erforschen. Was aber morgen sein soll, das ist eine ganz andere Frage, die nicht allein aufgrund messbarer Gegebenheiten beantwortet werden kann. Um Entscheidungen zu treffen, braucht der Menschen nämlich nicht nur Einsicht in Tatsachen, Kausalzusammenhänge und technische Möglichkeiten. Sondern er braucht zugleich Werte, die ihm Orientierung geben, Ziele, die seinem Handeln Sinn verleihen, und ethisches Urteilsvermögen obendrein. Was aber im Leben wichtig oder unwichtig ist, erstrebenswert oder nicht, gut oder böse, das sagt uns keine Naturwissenschaft. Und darum scheint mir der viel gepriesene Fortschritt der Menschheit höchst einseitig zu sein. Der Mensch hat zwar in den letzten Jahrhunderten ungeahnte Kenntnisse und Fertigkeiten entwickelt. Er ist aber in Sachen Selbsterkenntnis und charakterlicher Reife nicht wirklich vorangekommen. Und das ist fatal. Denn es genügt nicht, zu wissen was ist, man muss auch wissen, was sein soll. Es genügt nicht, zu wissen was geht, man muss auch wissen, was Sinn macht. Es genügt nicht, dass man Naturkräfte durch Technik beherrscht, man muss auch wissen, wie man sich selbst beherrscht. Es genügt nicht, schnell voranzukommen, man muss auch wissen, wo man hinwill. Denn wenn der Mensch immer mehr kann und schon deshalb meint, es auch zu dürfen, dann wird es brandgefährlich.
Der Mensch lernt immer mehr, was möglich ist, und vergisst zugleich, was richtig ist. Er kennt von allen Dingen den Preis, kennt aber nicht mehr ihren Wert. Alles soll ihm verfügbar sein, und genau deshalb kann ihm nichts mehr heilig sein. Alles soll ihm erlaubt sein, und für nichts will er sich mehr schämen. Zugleich aber beweisen grausame Kriege immer wieder, dass dieser ach so aufgeklärte und moderne Mensch emotional und mental nicht viel über die Steinzeit hinausgekommen ist. Er wird noch von denselben Ängsten, Begierden und Aggressionen beherrscht, die schon den Höhlenbewohner steuerten. Doch hat er dank des Fortschritts die Keule gegen das Sturmgewehr getauscht, und den Faustkeil gegen die Atombombe. Die technische Entwicklung hat den menschlichen Entscheidungen eine viel größere Reichweite gegeben. Aber die moralische Kompetenz des Menschen ist leider nicht im selben Tempo mitgewachsen. Und das ist fatal.
Denn was ist ein Erkenntnisfortschritt wert, der nicht zur Abschaffung des Krieges führt, sondern nur zu seiner Perfektionierung? Was ist ein Erkenntnisfortschritt wert, der die Ausbeutung der Armen durch die Reichen nicht beendet, sondern nur die Methoden verfeinert? Dank Internet und Mobilfunk kann weltweit jeder jeden belauschen. Dank Gentechnik und Atomkraft können wir unglaubliche Dinge tun. Aber wissen wir noch, was wert ist getan zu werden? Angesichts der ungeheuren Möglichkeiten, die der Mensch sich verschafft hat, wäre es heute wichtiger denn je, dass er auch Gut und Böse zuverlässig zu unterscheiden lernte. Aber gerade in dieser Hinsicht ist in unserer „Fortschrittsgesellschaft“ kein Fortschritt zu erkennen. Und diesbezüglich ist von den hoch gelobten Naturwissenschaften auch kein Fortschritt zu erwarten. Denn die sind zwar für viele Menschen die letzte Autorität, der sie blind vertrauen. Sie sind aber von ihrer eigenen Aufgabenstellung her für Werturteile schlicht nicht zuständig. Naturwissenschaften fördern Tatsachen zu Tage. Aber aus denen ergeben sich (schon aus logischen Gründen) keine Ziele. Biologen beschreiben, wie ein Mensch am Leben bleibt. Aber warum und wozu er lebt, verraten sie uns nicht. Physiker können Kausalzusammenhänge beobachten, bis sie sicher sind, dass aus dem Zusammentreffen von A und B immer C resultiert. Ob aber C gut oder schlecht ist, wünschenswert oder nicht, das ist eine Frage, zu der Naturwissenschaftler wenig sagen können. Denn sie beschreiben was ist, und nicht, was sein soll. Sie beschreiben wie Dinge zusammenhängen, nicht, was ihr tieferer Sinn ist. Denn auch die gründlichste Beobachtung der Natur lehrt uns nicht, was gelingendes Leben ist. Und ein noch so großer Berg empirischer Fakten wird niemals die Frage beantworten, ob man z.B. Kinder im Mutterleib töten darf. Ethische Fragen und Sinnfragen liegen auf einer grundsätzlich anderen Ebene, auf der mit Experimenten und Messungen nichts zu erreichen ist…
Das macht den Fortschritt im „Faktenwissen“ nicht überflüssig und mindert auch keineswegs seinen Wert. Aber der selbsternannte „Realist“, der vom Glauben nichts hält, weil er meint, er könnte sich in den wichtigen Entscheidungen seines Lebens an „Tatsachen“ halten, verkennt die Lage. Der Mensch käme nämlich zu gar keiner Entscheidung, wenn er nicht auch (ihm oft unbewusste) Wert- und Zielvorstellungen hätte und an deren Richtigkeit „glaubte“. Jeder Mensch wagt es, seiner ganz persönlichen Weltanschauung zu folgen. Und keine dieser Weltanschauungen ist in dem Sinne „wissenschaftlich“, dass sie allein aus „Fakten“ abgeleitet werden könnte. Denn die Welt korrekt zu beschreiben, ist eine Sache. Sie zu verstehen, ist noch eine andere. Erfahrung belehrt den Einzelnen darüber, wer er momentan ist. Aber aus der Tatsache, dass er so und so ist, ergibt sich logisch in keiner Weise, ob er so bleiben oder sich verändern soll. Aus einem nackten Sachverhalt ergeben sich prinzipiell keine Ziele oder Werte. Und insofern erliegen die selbsternannten „Realisten“, die sich nur an „Tatsachen“ halten wollen, einem großen Missverständnis. Denn Tatsachen allein sind ausgesprochen stumm – und verraten viel weniger, als man denkt!
Um zu handeln, müssen wir nicht nur wissen, was ist, sondern auch, was das bedeutet, was ist. Und um zu wissen, was unser Dasein bedeutet, müssen wir es interpretieren. Jeder Mensch unterstellt darum seinem Dasein einen Sinn. Und schon damit geht er über den Bereich feststellbarer „Fakten“ hinaus. Er mag sich darüber klar sein oder nicht: Jeder Mensch hat einen Weltanschauung, deren Wahrheit er anderen nicht beweisen kann, an deren Richtigkeit er aber dennoch „glaubt“. Jeder entscheidet dabei selbst, ob Gott in seiner Weltanschauung eine Rolle spielt. Aber keine Wissenschaft, wird dem Menschen die Entscheidung für oder gegen Gott (und das damit verbundene Wagnis) abnehmen. Gerade die Naturwissenschaften können und wollen in Glaubensfragen nicht weiterhelfen, weil Gott, der Schöpfer, nun einmal kein Bestandteil der von ihm geschaffenen Natur ist und insofern kein Gegenstand im Forschungsfeld der Naturwissenschaft…
Doch was bezwecke ich mit diesen Überlegungen? Will ich den Fortschritt madig machen? Keineswegs. Nur scheint mir dieser Fortschritt in so besorgniserregender Weise einseitig zu sein, dass man sich nicht uneingeschränkt über ihn freuen kann. Wir haben Fakten angehäuft, die als solche noch nicht klug machen. Und wir haben Kausalzusammenhänge erforscht, ohne davon wirklich weise zu werden. Die Technik hat den Kreis unserer Möglichkeiten mächtig erweitert. Aber die moralische Entwicklung der Menschheit hat damit nicht Schritt gehalten. Über die Religion, die unseren Vorfahren Halt und Orientierung gab, dünkt der moderne Mensch sich erhaben. Mental ist er aber durchaus nicht vorangekommen, sondern ist sogar zunehmend verwirrt. Er ist nicht reifer, nicht demütiger, treuer oder wahrhaftiger als die Menschen der Vergangenheit. Er kommt sich aber – im Vergleich zu ihnen – ungeheuer schlau vor, weil er gelernt hat mit den Atomen zu spielen und mit den eigenen Genen.
Ich finde das in erster Linie nicht toll, sondern gefährlich. Und einen Erkenntnisfortschritt im eigentlichen Sinne kann ich nicht erkennen. Denn die angeblich so unaufgeklärten Menschen der Vergangenheit waren religiös und wussten so zumindest, dass der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist. Der Mensch der Gegenwart aber weiß das nicht mehr – und will es auch nicht wissen. Ist er also wirklich klüger…?
Zweifel sind erlaubt, denn das sogenannte „moderne Weltbild“ leidet an einer Verengung des Blickwinkels, die naiv ist – und gerade nicht „wissenschaftlich“. Denn, bitte: Was bedeutet denn dieses Wort? „Wissenschaftlich“ nennen wir ein Verfahren, das methodisch konsequent ist, das seine Methoden offen legt und zugleich nachweist, dass diese Methoden dem zu erkennenden Gegenstand angemessen sind. Weil die untersuchten Gegenstände aber nicht alle gleich sind, hat jede Wissenschaft ihre eigenen Methoden, je nach dem, was sie erforschen will. Wenn es um Sterne geht, ist ein Teleskop das Mittel der Wahl. Und wenn es um Bakterien geht, greift man zum Mikroskop. Die Psychologen denken sich Testverfahren aus. Die Mathematiker rechnen an Beweisen herum. Und die Geologen bohren in der Erde. Als „wissenschaftlich“ gilt dabei immer das Verfahren, das dem Gegenstand angemessen ist. Wenn es aber um Gotteserkenntnis geht, wie kann man dann meinen, die Methoden der Naturwissenschaft seien auch diesem Gegenstand angemessen?
Sie sind es offenkundig nicht, denn wenn Gott wirklich Gott ist, ist er dem erkennenden Geist des Menschen weit überlegen. Gott wird auch dort, wo er sich zu erkennen gibt, nicht zum passiven Objekt unserer Studien, sondern bleibt das aktive Subjekt des Geschehens. Gott wäre nicht Gott, wenn er nicht souverän bliebe in dem, was er von sich wissen lässt! Und darum kann die Erkenntnis Gottes nicht dem Muster folgen, das Naturwissenschaft vorgibt.
Wenn ein Untersuchungsgegenstand tot ist und passiv wie eine Versteinerung oder ein Mineral, so versteht es sich, dass der Forschende ihm gegenüber aktiv wird. Wenn Gott aber viel aktiver und lebendiger ist als der Mensch, der nach ihm fragt, liegt es dann nicht auf der Hand, dass der Mensch sich diesem höchst vitalen und überlegenen Gegenstand gegenüber nur passiv und rezeptiv verhalten kann?
Gott als Gott lässt sich nicht unters Mikroskop legen! Der Prozess der Gotteserkenntnis liegt notwendig in seiner Hand! Und die Gott angemessene Methode kann darum nur sein, sich von ihm selbst sagen zu lassen, wer er ist. Wir können Gott keine Geheimisse entreißen, wie wir Tieren und Pflanzen ihre Geheimnisse entreißen, indem wir sie aufschneiden. Sondern dem Gegenstand Gott werden wir nur gerecht, wenn wir dem nach-denken, was er selbst über sich mitteilt. Diese Selbstmitteilung Gottes nennt man aber Offenbarung – und man findet sie im Neuen Testament, weshalb dies Gott gegenüber die einzig „wissenschaftliche“ Haltung ist, ihn die Rahmenbedingungen der Gotteserkenntnis selbst bestimmen zu lassen und seine souveräne Selbstmitteilung gehorsam zur Kenntnis zu nehmen.
Wenn jemand also Jesus Christus kennt und erkundigt sich nach Gott dennoch bei einem Physiker, so wählt er die falsche Methode und darf sich nicht wundern, wenn er wenig erfährt. Denn Naturwissenschaft hat nicht den Generalschlüssel zur Erkenntnis aller Wirklichkeit, sondern hat nur den Schlüssel zur Erkenntnis eines bestimmten Ausschnittes. Sie erkennt das Materielle, das unter dem Menschen steht, erkennt aber nicht den Schöpfer, der über ihm steht. Und wenn diese halbe Wahrheit als die ganze ausgegeben wird, wird leider aus der halben Wahrheit, eine ganze Lüge…
Christen müssen sich von diesem Missverständnis nicht beeindrucken lassen, nur weil es verbreitet ist. Vielmehr können wir zurückkehren zu jenem kurzen Satz des Neuen Testamentes: „Niemand weiß, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes. Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.“ Gotteserkenntnis funktioniert nur so, dass Gott uns teilhaben lässt an der klaren Erkenntnis, die Gott von sich selbst hat. Und die angemessene Methode, sich dem zu nähern, ist immer noch der Blick in die Bibel. Dass das aber unseren vielen Zeitgenossen nicht länger verborgen bliebe, das würde ich mir von Herzen wünschen. Denn solange sie Gottes Wirklichkeit ausblenden und ihn nicht auf der Rechnung haben, sind diese „Realisten“ leider die wahren Traumtänzer.
Bild am Seitenanfang: The Anatomy Lesson of Dr Nicolaes Tulp
Rembrandt, Public domain, via Wikimedia Commons