Neuschöpfung von Himmel und Erde

Neuschöpfung von Himmel und Erde

Kann man das Jenseits ersehnend dem Diesseits treu bleiben?

„Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.“ (Offb 21,1–7)

 

Dieses Stück aus der Johannesoffenbarung gehört zu den mächtigsten und eindrücklichsten Texten der Bibel. Es ist eine atemberaubende Vision – eine grandiose Verheißung der Vollendung auf die diese Welt zusteuert. Und wer das Bild vom himmlischen Jerusalem in sich aufnimmt, wer sich von ferne vorstellen kann, wie Gott alle Tränen abwischen wird, der muss zwangsläufig Sehnsucht verspüren nach dem Tag, da Gottes Schöpfung ihr Ziel erreicht, da alles Krumme gerade und alles Halbe ganz wird. Allerdings fürchte ich, dass viele Menschen mit dieser Vision wenig anfangen können. Denn die prophetisch-visionäre Seite des Glaubens wird in unserer Zeit sehr vernachlässigt. Die biblischen Vorstellungen vom Reich Gottes, vom Ewigen Leben und vom Paradies gelten als diffus und unzeitgemäß. Und nur, wenn Kinder fragen, wohin die Verstorbenen gegangen sind, sagt man aus Verlegenheit noch: „Sie kommen in den Himmel“. Was die Menschen sich darunter vorstellen, ist aber sehr verschieden. Und es hat oft nur noch wenig mit den biblischen Verheißungen zu tun. Für den einen ist der Himmel eine Art Schlaraffenland. Und für den anderen ist es ein Ort, wo man unablässig Harfe spielen muss. Einer beschreibt den Himmel als den Ort, wo wir mit allen unseren Verstorbenen ein großes Wiedersehen feiern. Ein anderer erwartet, dass dort die Zukurzgekommenen für irdische Entbehrungen entschädigt werden. Und der Dritte träumt von einer Art himmlischem Balkon, von dem aus man verfolgen kann, wie es auf Erden weitergeht. So sind die Vorstellungen vom Ewigen Leben sehr vielfältig. Mal mit biblischem Hintergrund, mal phantasievoll und mal klischeehaft. Aber dass diese Vielfalt ein Ausdruck starken religiösen Interesses sei, wird man nicht behaupten können. Eher gilt das Gegenteil. Frühere Generationen, die die Welt oft als Jammertal voller Blut, Schweiß und Tränen erlebten, konnten es noch aus vollem Herzen singen: „Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir. Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir.“ So freuten sich unsere Väter und Mütter im Glauben ihres Heimatrechts im Himmel. Was aber ist mit uns los? Früher hatten die Menschen keine größere Sorge, als in den Himmel zu kommen. Heute aber bemüht man sich nach Kräften, möglichst lange das Diesseits auszukosten. Wir wissen wohl noch, dass wir als Christen Kandidaten des Himmels sind – und im Blick auf den Tod empfinden wir das als tröstlich. Aber dass uns diese Himmelshoffnung beflügelte, dass man uns die Vorfreude anmerkte, wird man von den Wenigsten sagen können. Woran aber liegt‘s?

Wenn Christus seinen Jüngern großen Lohn im Himmel verheißt, warum ziehen wir dann Gesichter, als wären wir auf ewig Gefangene dieser trüben Welt? Sind wir einfach zu satt, geht es uns einfach zu gut in unserem irdischen Wohlstand, so dass wir an den irdischen Gütern kleben, statt nach himmlischen zu streben? Vermeiden wir es, über den Himmel nachzudenken, weil uns das an unseren kommenden Tod erinnern würde? Ist uns der Himmel zu selbstverständlich geworden? Oder ist er im Gegenteil zu fern und zu unwahrscheinlich? Viele Gründe mag es geben, weshalb unser Verhältnis zu diesem Glaubensgegenstand gestört ist. Besonders schwer wiegt meines Erachtens aber der immer wieder geschürte Verdacht, christliche Himmelshoffnung sei eine Flucht vor den Problemen dieser Erde – ja man wende sich dabei von der Erde ab, weil man mit ihr nicht klarkommt und flüchte in den Wunschtraum vom Himmel. Ist‘s nicht so? – sagen die Kritiker: Man redet vom Himmel, um die Kinder zu beruhigen, um den Sterbenden eine Perspektive zu geben und um die Leidenden auf später zu vertrösten. Man redet vom Himmel, um nicht verlegen schweigen zu müssen. Im Grunde aber baut man bloß fromme Luftschlösser, weil man die Ausweglosigkeit des irdischen Elends sonst nicht ertragen würde. Man gaukelt sich und anderen den Himmel als tröstliches „Happy-End“ der Weltgeschichte vor. Wem aber ist damit geholfen? Statt sich der harten Realität zu stellen, heißt es, weicht man ihr aus – und man verändert diese Realität auch nicht. Vielmehr beruhigt man sich dabei, dass der Himmel den gerechten Ausgleich für alle irdische Ungerechtigkeit bringen wird, und legt die Hände in den Schoß. So eine Jenseitshoffnung, sagen die Kritiker, habe zwar den Schein des Frommen für sich, komme aber einem Verrat an der Erde gleich. Denn wer auf den Himmel wartet, kämpft nicht mehr für diese Erde. Das irdische Leben wird durch die Erwartung des Himmels entwertet und erscheint bedeutungslos, weil es doch nur ein Vorspiel des Eigentlichen sein soll. Diese Entwertung des Diesseits zugunsten eines himmlischen Jenseits wollen die Kritiker nicht mitmachen, sondern sie wollen dieser Erde treu bleiben. Sie wollen die Leidenden nicht auf später vertrösten und wollen ihren Schmerz nicht mit Versprechungen betäuben, sondern den Armen schon hier und heute Gerechtigkeit verschaffen. Darum verkündete z.B. Heinrich Heine: „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen“. Er spottete über das „alte Entsagungslied, das Eiapopeia vom Himmel“. Und er versprach Besseres: „Ein neues Lied, ein besseres Lied, Ihr Freunde will ich euch dichten. Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten.“

Es wäre leicht zu zeigen, dass dieses Programm entschiedener Diesseitigkeit erhebliche Schwächen hat – und dass die daraus erwachsenen politischen Versuche der Menschheitsbeglückung allesamt gescheitert sind. Aber der darin enthaltenen Anfrage an den Glauben muss man sich dennoch stellen. Denn wenn jene Kritiker des Himmels Recht hätten, wenn man sich zwischen der Liebe zum Diesseits und der Hoffnung auf das Jenseits entscheiden müsste – dann hätten wir wirklich ein Problem. Wir müssten dann entscheiden, ob wir loyale Bürger der Schöpfung oder lieber Kandidaten des Himmels sein wollten. Und wenn wir uns dann für den schönen, verheißenen Himmel entschieden, so hätten wir damit unserer von viel Elend gezeichneten Erde die Treue aufgekündigt. Wir handelten dann wie ein Mann, dem seine Ehefrau nicht mehr gefällt, weil sie durch Krankheiten, Ausschläge und Falten entstellt ist, und der – statt sich um die Gesundung seiner Frau zu bemühen – von der schönen Nachbarin träumt. Wir würden uns dann von unserer arg geschundenen Welt innerlich verabschieden, um sie gegen eine bessere, himmlische Welt einzutauschen. Und eine Himmelshoffnung dieser Art wäre in der Tat eine zweifelhafte, eine gegen Gottes Schöpfung gerichtete, die Zukunft dieser Schöpfung verneinende Hoffnung. Doch liegt hier ein Missverständnis vor, dem Heinrich Heine und seine Gesinnungsgenossen aufgesessen sind. Denn eine Alternative zwischen dieser Welt, der Schöpfung, und jener kommenden Welt, dem Himmel, gibt es im christlichen Glauben gerade nicht. Diese Erde ist nicht die von Krankheit entstellte Frau, und der Himmel ist nicht die schöne Nachbarin. Sondern beide sind dieselbe Person. Der Himmel ist nichts anderes als die durch Gottes mächtigen Zugriff gesundete Erde. Und darum ist auch der Himmel keine Alternative zur Schöpfung, sondern er ist die Zukunft der Schöpfung, an der unsere Toten schon heute teilhaben, an der aber einst auch alle übrige Kreatur teilhaben wird. Christen, das ist der entscheidende Punkt, erwarten keine andere Welt, sondern sie erwarten die Vollendung dieser Welt. Und wenn wir uns auf den Himmel freuen, heißt das nichts anderes, als dass wir an die Gesundung dieser Welt glauben, weil Christus ihr Arzt ist. Den Himmel lieben heißt, die Vollendung dieser Erde ersehnen. Denn wer seine von Krankheit entstellte Frau liebt, der liebt ja auch nicht ihre Entstellung, sondern liebt gerade das, was der hässliche Augenschein verbirgt. Die Treue zu seiner Frau besteht darin, dass er sich nicht mit der Krankheit abfindet, sondern gegen den Augenschein fest an ihre Gesundung glaubt. Eben so aber besteht die christliche Treue zur Schöpfung darin, dass wir nicht etwa nach einer anderen, attraktiveren Welt schielen wie nach einer schönen Nachbarin, sondern fest an die Gesundung und Vollendung dieser Schöpfung glauben, die mit Gottes Reich anbrechen wird – mit jenem himmlischen Jerusalem, von dem Johannes spricht, in dem Gott die Tränen trocknet und das Krumme gerade macht. Es verhält sich also umgekehrt als die Kritiker meinen: Je treuer wir der Erde sind, umso ungeduldiger werden wir den Himmel ersehnen. Und wer das begreift, wird darin keine Verlegenheitsauskunft für Kinder und alte Leute finden, sondern ein ebenso erfreuliches wie zentrales Motiv des Glaubens. Denn mögen auch unsere Vorstellungen vom Himmel mangelhaft sein, so stehen doch fünf Dinge fest:

Wir werden im Himmel ganz bei Gott sein, ohne alle Furcht und Scham, beglückend nah an ihm, der Quelle des Lebens (1). Wir werden ganz bei denen sein, die wir lieben, und kein Missverstehen wird uns mehr trennen (2). Wir werden ganz bei uns selbst sein – werden nämlich die guten Menschen sein, die wir von Anbeginn sein sollten und auf Erden nicht sein konnten (3). Was verkehrt war an dieser Welt (Blut, Schweiß und Tränen, Schuld, Schmerz und Tod) wird vergangen sein (4). Was aber gut war an dieser Welt, werden wir nicht vermissen, sondern die Essenz alles Guten, das wir auf Erden zu lieben lernten, wird sich im Himmel wiederfinden (5).

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: The little Garden of Paradise

Upper Rhenish Master, Public domain, via Wikimedia Commons