Der Weltuntergang
Die apokalyptischen Reiter

Der Weltuntergang

Das letzte Buch der Bibel – die Offenbarung des Johannes – gilt als düstere Schrift voller Blut und Schrecken. Und doch übt sie eine besondere Faszination aus. Denn sie steckt nicht nur voller Rätsel und Symbole, die unsere Neugier wecken, sondern präsentiert sich zugleich als Bilderbuch vom Weltuntergang und verschafft damit dem Leser eine Gänsehaut. Erst wird ein geheimnisvolles Buch mit sieben Siegeln geöffnet. Dann hält Gott Gericht über die Welt, und Schalen göttlichen Zorns werden über ihr ausgeschüttet. Die apokalyptischen Reiter bringen Unheil und Verderben, Kriege und Seuchen, Naturkatastrophen und schlimme Verfolgung. Tiere steigen aus der Tiefe auf und stürzen die Welt ins Chaos. Dämonische Mächte gewinnen die Oberhand. Der Antichrist kommt. Und dann ist im wahrsten Sinne des Wortes „die Hölle los“. Denn erst ganz am Ende der großen Schlacht zwischen Gut und Böse gewinnt der wiederkehrende Christus die Oberhand. Erst am Ende werden Sünde, Tod und Teufel überwunden. Und nur die Gläubigen, die bis zuletzt standhaft blieben, werden gerettet. Sie gehen in das neue Jerusalem ein, in die große Neuschöpfung von Himmel und Erde. Und zuletzt ist der Triumph Christi dann vollständig. Sein Sieg über die Ausgeburten der Hölle steht schon fest, der Weg dahin ist unumkehrbar beschritten. Aber dieser Weg führt eben auch durch Ströme von Blut, er bringt Erdbeben und Seuchen, tausendfaches Sterben und bitterstes Strafgericht über alles, was sich Gott entgegenstellt. Da zerbricht jede geheuchelte Harmonie und jede nur gespielte Religion. Und es tritt offen zu Tage, dass sich die Schöpfung schon viel zu lang im Aufstand gegen ihren Schöpfer befand. Der große Streit endet aber nicht, bevor er vollständig ausgetragen und aller Widerstand gebrochen ist. Denn Gottes Geduld hat mal ein Ende. Zuletzt legt er seine Feinde in den Staub. Und nur die gehen nicht verloren, die ihre Kleider weiß gewaschen haben im Blut des Lammes, die also zu Christus gehören und durch ihn gerettet werden. „Oh, weh,“ sagt da mancher Bibelleser, „wie grausam ist diese Perspektive, wie düster sind die Aussichten, und wie rätselhaft die Zeichen! Hoffentlich kommt das nicht so – oder wenn, will ich nicht dabei sein!“ Doch wäre es naiv anzunehmen, der Weltuntergang könnte ausbleiben. Denn schließlich handelt es sich um keinen Schauerroman, sondern um Gottes Wort. Und wie sollte der Allmächtige das, was er ankündigt, nicht auch tun? Johannes hat diese Dinge in seinen Visionen vorausgesehen. Und das Neue Testament überliefert sie nicht umsonst, sondern damit wir nicht überrascht sind, wenn es eines Tages so kommt. Das dicke Ende bleibt nicht aus. Gott wird einmal mit all seinen Feinden abrechnen. Und wenn seine mächtige Hand nach dieser Welt greift, wird es eine solche Erschütterung geben, dass nicht mal die Toten weiter schlafen können. Oder sollte Gott sich etwa dran gewöhnen, dass man auf Erden seiner spottet, sein Wort verlästert und sein Gebot ignoriert? Wer dachte, Gott sei ewig geduldig, kann schon mal die Ohren anlegen. Denn die, die Gott nicht kennen wollten von seiner freundlichen Seite, werden ihn kennenlernen von seiner anderen Seite. Und da wird das Lachen dann teuer. Viele werden sich wünschen, sie hätten Gottes Anspruch beizeiten ernst genommen. Aber ist die Johannesoffenbarung deswegen ein schreckliches Buch? Nein, ganz und gar nicht! Ich finde sie weder rätselhaft noch schrecklich, sondern finde sie im Wesentlichen sehr eindeutig und tröstlich. Und genau so – als Trostschrift – hat Johannes sie auch gemeint. Er schrieb im Blick auf sieben ihm vertraute Gemeinden in Kleinasien, denen er am Anfang der Offenbarung sieben Sendschreiben widmet. Und seine Absicht ist offenkundig, diese Gemeinden zu ermahnen und zu stärken, weil sie gerade Verfolgung erleiden durch den römischen Staat. Im Jahr 85 nach Christi Geburt hatte Kaiser Domitian verordnet, dass alle Einwohner des römischen Reiches ihn als „Gott“ verehren sollen. Der Kaiser wurde damit Gegenstand einer staatlich vorgeschriebenen Religion. Und Christen, die am Kult nicht teilnahmen, wurden verfolgt, eingesperrt und getötet. Als Johannes schreibt, sind schon einige aus Furcht vom Glauben abgefallen – und andere sind tapfer den Märtyrertod gestorben. Johannes aber geht es darum, die bedrängten Gemeinden zum Durchhalten zu ermahnen und ihnen Trost zu spenden. Denn das Endzeit-Panorama, das Gott ihm eröffnet hat, hilft den verfolgten Christen ihre Lage zu verstehen. Einerseits können sie daraus entnehmen, dass die aktuelle Bedrängnis zu erwarten war. Denn es ist unvermeidlich, dass Satan sich gegen Christus und seine Kirche erhebt – natürlich bäumt er sich gegen alle auf, die ihm im Namen Gottes widerstehen! Andererseits aber wird ihm sein Wüten und Toben nicht zum Sieg verhelfen. Denn wenn ein Christ seinem Glauben treu bleibt, hat die Finsternis keinerlei Gewalt über ihn. Zwar werden in den kommenden Erschütterungen nur jene gerettet, die im Glauben beständig sind. Die aber, sagt Johannes, werden garantiert gerettet und werden am Ende triumphieren. Denn wer an Christus festhält, kann in seinem Glauben ebensowenig überwunden werden wie Christus selbst. Wer beharrlich glaubt, kann dem Leibe nach getötet werden. Doch seine Seele bleibt außer Gefahr. Und wenn Himmel und Erde mit Getöse zusammenstürzen, leidet dieser Mensch doch keinen Schaden und kann der Hölle spotten, weil er zu Christus gehört. Darauf dürfen die bedrängten Gemeinden bauen, an die Johannes schreibt. Es soll ihnen Mut machen – und sogar Vorfreude wecken. Denn Johannes verbreitet keineswegs düstere Perspektiven, sondern eine gute Nachricht ersten Ranges: Gott hat ihm gezeigt, dass all die kommenden Prüfungen, Plagen und Katastrophen nicht etwa Gottes Plan in Frage stellen, sondern in diesem Plan vorgesehen sind – und dass sie kommen müssen, damit Gottes Plan aufgeht. Die Lage wird sich zuspitzen, und die Begleitumstände sind hässlich. Aber der Ausgang der Sache ist keineswegs offen, sondern durch Christus längst entschieden. Da mögen die Ausgeburten der Hölle noch so drohen und fluchen, sie brüllen doch vergeblich. Denn ihr Ende ist bei Gott längst beschlossen – und alles Toben wird nichts nützen. Gott ist nicht aufzuhalten. Sein guter Wille setzt sich durch. Am Ende siegt Jesus Christus, das Lamm Gottes. Und mit ihm triumphieren alle, die ihm treu geblieben sind. Wenn das aber die zentrale Botschaft ist – warum heißt es dann, die Offenbarung des Johannes sei düster und deprimierend? Ich verstehe das nicht. Denn deprimierend ist die Sache nur, wenn man sie aus der Perspektive des Teufels betrachtet. Der findet bei Johannes den Fahrplan seines Untergangs – und kann ihn nicht verhindern. Ein Christ dagegen darf diesem Buch vieles entnehmen, das höchst erfreulich ist: Es wird darin festgestellt, dass die geschaffene Welt nicht ewig ist und sich mit ihrer Geschichte auch nicht sinnlos im Kreis dreht. Sie ist kein schlechter Film, der immer wieder von vorn beginnt. Vielmehr – wie die Welt einen Anfang hatte in der Zeit, wird sie auch ein Ende haben. Und das ist gut so. Denn zugleich steht ja fest, dass jenes Weltende, wenn es kommt, kein Widerruf der guten Schöpfung sein wird, sondern im Gegenteil eine grandiose Neuschöpfung von Himmel und Erde. Gott bricht sein Schöpfungswerk nicht ab wie ein misslungenes Experiment, sondern vollendet das Begonnene, beseitigt jegliche Störung, bringt alles zurecht und setz seinen guten Willen durch. Dass es dagegen Widerstand gibt, ist aber kaum verwunderlich. Denn wenn Gott sich dran macht, das Böse zu vernichten, wehrt es sich natürlich. Die Mächte der Finsternis räumen nicht kampflos das Feld, sondern (tödlich getroffen) gebärden sie sich besonders wild. Die Entwicklung zum Ende hin kann folglich kein sanfter Prozess sein. Sie wird von harten Gefechten und kosmischen Katastrophen begleitet. Die Welt, wie wir sie kannten, versinkt dabei in Schutt und Asche. Aber das muss uns durchaus nicht traurig machen. Denn es bedeutet ja nur, dass der Welt (genau wie dem einzelnen Menschen) das Sterben nicht erspart bleibt – und auch die Welt im Ganzen nicht am Tod vorbei gerettet wird, sondern durch den Tod hindurch. So wie der einzelne Mensch wird auch die Welt nur neu, wenn sie in ihrer alten Form untergeht. Doch wie der einzelne Mensch (auferstanden und erneuert) immernoch mit sich identisch ist, so wird Gott auch seine alte Schöpfung nicht gegen eine andere tauschen, sondern seine alte Schöpfung auferstehen lassen in runderneuerter, tausendfach verbesserter Form. Vielleicht macht es uns Bedenken, dass dem ein Jüngstes Gericht vorausgeht. Aber auch das ist nachvollziehbar und notwendig. Denn wie sollte Frieden werden, wie sollten die alten Wunden heilen, wenn nicht vorher die ganze Wahrheit auf den Tisch kommt und den Opfern der Weltgeschichte Gerechtigkeit widerfährt? Nur dort gibt es echte Versöhnung, wo man Schuld nicht mehr verschweigt. Und darum gehört zum reinigenden Gewitter der Endzeit auch das Jüngste Gericht. Bei Gott gibt es keine Vergebung auf Kosten der Gerechtigkeit! Und so kommen auch die Versäumnisse der Christen noch einmal zur Sprache. Doch sagt die Offenbarung des Johannes ganz klar, dass es zuletzt nicht auf jene Bücher ankommt, in denen unsere Werke verzeichnet sind, sondern auf das Buch des Lebens. Und das enthält die Namen aller, die zu Christus gehören, weil sie getauft wurden und auf ihn vertraut haben. Im Buch des Lebens stehen all jene, deren Strafe Christus am Kreuz getragen und deren Fluch er damit gebrochen hat. Es sind die, die ihre Kleider im Blut des Lammes weiß gewaschen haben und ihren Glauben in der Zeit der Bedrängnis durchhielten. Folglich entscheidet im Gericht allein die Zugehörigkeit zu Christus. Dass er aber die Seinen liebt und zugleich seine Feinde verdammt – sollte das ein Widerspruch sein? Keineswegs! Gerade Gottes Liebe zum Guten nötigt ihn, das Böse konsequent zu verwerfen. Gott muss verneinen, was ihn verneint. Denn wie könnte ein ungebrochen böser Wille in der neuen Schöpfung Aufnahme finden, ohne dort Gottes Gemeinschaft mit den Erlösten gleich wieder zu gefährden? Da wird kein Leid mehr sein, kein Streit und kein Geschrei, sondern Gottes Herrlichkeit wird alles erfüllen! Wenn das aber die zentrale Botschaft ist – warum sollten wir das letzte Buch der Bibel gruselig finden oder düster? Es eignet sich nicht als Fahrplan, um das Weltende zu berechnen. Wir sollen nicht genau wissen, wie nah oder fern es ist (Mt 24,35-44). Aber wenn sich die Schreckensmeldungen häufen und wir den Eindruck haben, die Welt versänke demnächst im Chaos, dann hilft uns die Johannesoffenbarung die Nerven zu behalten – und auch die Zuversicht. Denn wenn das Weltende kommt, ist es für Christen weder eine Überraschung noch ein Grund zur Panik. Schließlich ist es von Gott so vorgesehen, dass die Welt einmal untergeht. Diese Ankündigung hat er dem Neuen Testament gleich beigegeben! Und weil es Gottes Plan ist, gibt’s auch keinen Grund, darin ein Unglück zu sehen. Denn nach seinem Willen soll der Untergang ein Übergang zu etwas Besserem sein. Natürlich wird der Weltuntergang nicht schön. Und wenn man die Wahl hätte, wäre man lieber nicht dabei. Aber je hässlicher und dunkler es um uns herum wird, desto näher sind wir auch dem Reich Gottes. Und dem näher zu kommen, kann ein Christ unmöglich bedauern. Denn wir wissen: Wenn’s auf Erden gar nicht mehr schlimmer werden kann, eben dann steht Christus vor der Tür und macht dem Spuk ein Ende. Wer davon nichts ahnt, wird sich natürlich fürchten. Aber die Gläubigen müssen sich nicht beirren lassen. Denn unser Herr ist auch Herr über die Apokalypse. Und wenn er zum zweiten Mal kommt, dann nicht etwa in Schwäche, um erneut an dieser Welt zu leiden, sondern mit Macht, um alle Versprechen wahr zu machen, die er uns gegeben hat. Christus wird seine Feinde in den Staub legen und die Gerechtigkeit schaffen, die wir heute noch so vermissen. Wer aber wollte sich darauf nicht freuen? So wie der alte Mensch muss auch die alte Welt überwunden werden. Und es ist nicht vorstellbar, wie das schmerzfrei geschehen könnte. Doch was soll an Erschütterungen schlimm sein, wenn das Bestehende doch überwiegend verkehrt ist? Diese Welt gleicht in mancher Hinsicht einem Gefängnis. Sollten wir‘s da nicht mit einem Lächeln sehen, wenn die Wände Risse bekommen? Gewiss geht die Welt einmal unter. Aber ein Grund zur Traurigkeit ist das keineswegs. Denn sie macht nur Platz für das, was besser ist. Und dagegen kann recht besehen niemand etwas haben.

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Die vier Reiter der Apokalypse

Wiktor Michailowitsch Wasnezow, Public domain, via Wikimedia Commons