Bonhoeffer: Die Taufe

 

Die Taufe.

 

Der Begriff der Nachfolge, der bei den Synoptikern fast den gesamten Inhalt und Umfang der Beziehungen des Jüngers zu Jesus Christus auszudrücken ver-mochte, tritt bei Paulus stark in den Hintergrund. Paulus verkündigt uns nicht in erster Linie die Geschichte des Herrn in seinen Erdentagen, sondern die Gegen-wart des Auferstandenen und Verklärten und sein Wirken an uns. Dazu bedarf er einer neuen und eigenen Begrifflichkeit. Sie entspringt aus dem Besonderen des Gegenstandes und zielt auf das Gemeinsame der Verkündigung des Einen Herrn, der lebte, starb und auferstand. Dem vollständigen Christuszeugnis ent-spricht eine mannigfache Begrifflichkeit. So muß die Begrifflichkeit des Paulus die der Synoptiker bestätigen und umgekehrt, und keine hat vor der anderen an sich einen Vorzug; denn wir sind nicht „paulisch oder apollisch oder kephisch oder christisch“, sondern der Einheit des Schriftzeugnisses von Christus schenken wir Glauben. Wir sprengen die Einheit der Schrift, wollten wir sagen, Paulus ver-kündige den Christus, der auch uns noch ebenso gegenwärtig sei, das Zeugnis aber der Synoptiker spreche von einer Gegenwart Jesu Christi, die wir nicht mehr kennen. So zu reden gilt zwar weithin als reformatorisch-geschichtliches Denken, ist aber in Wahrheit das Gegenteil davon, nämlich gefährlichste Schwärmerei. Wer sagt uns, daß wir die Gegenwart Christi, wie sie Paulus verkündigt, noch heute haben? Wer anders sagt es uns, als die Schrift selbst? Oder sollte eben hier von einer freien, nicht ans Wort gebundenen Erfahrung der Christusgegen-wart und -wirklichkeit geredet werden? Ist es aber allein die Schrift, die uns die Gegenwart Christi bezeugt, so tut sie es eben als ganze, und also zugleich als solche, die uns die Gegenwart des synoptischen Jesus Christus bezeugt. Der synoptische Christus ist uns nicht ferner und nicht näher als der paulinische Christus. Gegenwärtig ist uns der Christus, den uns die ganze Schrift bezeugt. Er ist der Menschgewordene, Gekreuzigte, Auferstandene und Verklärte, er begegnet uns in seinem Wort. Die verschiedene Begrifflichkeit, in der die Synoptiker und Paulus dieses Zeugnis weitergeben, tut der Einheit des Schrift-zeugnisses keinen Abbruch (Anm.: Die Verwechslung von ontologischen Aus-sagen und verkündigendem Zeugnis ist das Wesen aller Schwarmgeisterei. Der Satz: Christus ist auferstanden und gegenwärtig, ist ontologisch verstanden die Aufhebung der Einheit der Schrift. Denn er schlösse in sich eine Aussage über die Existenzweise Jesu Christi, die z. B. von der des synoptischen Jesus unte-rschieden ist. Daß Jesus Christus auferstanden und gegenwärtig ist, ist hier ein für sich bestehender Satz mit eigener ontologischer Bedeutung, der zugleich kritisch gegen andere ontologische Aussagen verwendet werden könnte. Er wird zum theologischen Prinzip. Analog ist z. B. jeder schwärmerische Perfektionis-mus auf einem solchen ontologischen Mißverständnis der Schriftaussagen über die Heiligung erwachsen. Hier wird z. B. die Aussage, daß, wer in Gott ist, nicht sündigt, zum ontologischen Ausgangspunkt des Denkens gemacht; die Aussage wird damit aus der Schrift selbst herausgelöst und zur eigenständigen, erfahr-baren Wahrheit erhoben. Dem steht der Charakter des verkündigenden Zeug-nisses absolut entgegen. Der Satz: Christus ist auferstanden und gegenwärtig, ist streng als Zeugnis der Schrift verstanden nur als Wort der Schrift wahr. Diesem Wort schenke ich Glauben. Es gibt für mich hier keinen denkbaren anderen Zugang zu dieser Wahrheit als durch dieses Wort. Mit diesem Wort aber ist mir in gleicher Weise die Gegenwart des paulinischen wie des synoptischen Christus bezeugt, so daß die Nähe zu dem einen oder anderen durch nichts bestimmt wird als durch das Wort, durch das Zeugnis der Schrift. Damit ist natürlich niemals bestritten, daß Paulus ein von den Synoptikern durch Gegenstand und Begriff-lichkeit unterschiedenes Zeugnis hat, aber es sind beide streng im Zusammen-hang des Schriftganzen verstanden. Dieses alles ist nicht nur eine apriorische Erkenntnis, die von einem strengen Kanonbegriff herkommt, sondern jeder einzelne Fall muß wiederum die Richtigkeit dieser Schriftauffassung bewähren. So wird im folgenden zu zeigen sein, wie der Begriff der Nachfolge im Zeugnis des Paulus in veränderter Begrifflichkeit aufgenommen und weitergeführt ist).

Ruf und Eintritt in die Nachfolge haben bei Paulus ihre Entsprechung in der Taufe. Taufe ist nicht Angebot des Menschen, sondern Angebot Jesu Christi. Sie ist allein begründet in dem gnädigen berufenden Willen Jesu Christi. Taufe heißt Getauftwerden, sie ist ein Erleiden des Rufes Christi. Der Mensch wird in ihr Eigentum Christi. Der Name Jesu Christi wird über dem Täufling genannt, der Mensch wird damit dieses Namens teilhaftig, er wird „in Jesum Christum“ hineingetauft (EIS R. 6,3, Gal. 3,27, Mt. 28,19). Nun gehört er zu Jesus Christus. Er ist der Herrschaft der Welt entrissen und ist Christi Eigentum geworden.

So bedeutet die Taufe einen Bruch. Christus greift in den Machtbereich des Satans ein und legt seine Hand auf die Seinen, schafft sich seine Gemeinde. Vergangenes und Zukünftiges sind damit auseinandergerissen. Das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden. Nicht geschieht der Bruch dadurch, daß ein Mensch seine Ketten zerreißt, weil er nach einer neuen, freien Ordnung seines Lebens und der Dinge ein unstillbares Verlangen trägt. Christus selbst hat längst zuvor den Bruch vollzogen. In der Taufe wird dieser Bruch nun auch an meinem Leben vollstreckt. Die Unmittelbarkeit zu den Gegebenheiten der Welt wird mir geraubt, weil Christus, der Mittler und Herr, dazwischengetreten ist. Wer getauft ist, gehört nicht mehr der Welt, dient ihr nicht mehr, ist ihr nicht mehr unterworfen. Er gehört Christus allein an und verhält sich zur Welt nur durch Christus.

Der Bruch mit der Welt ist ein vollkommener. Er fordert und bewirkt den Tod des Menschen (Anm.: Schon Jesus hat seinen Tod eine Taufe genannt und seinen Jüngern diese Taufe des Todes verheißen, Mk. 10,39; Lk. 12,50). In der Taufe stirbt der Mensch mit seiner alten Welt. Auch dieser Tod ist im strengsten Sinn als leidentliches Geschehen aufzufassen. Nicht der Mensch soll den unmöglichen Versuch machen, sich diesen Tod zu geben durch allerlei Verzicht und Entsa-gung. Ein solcher Tod wäre niemals der von Christus geforderte Tod des alten Menschen. Der alte Mensch kann sich nicht selbst töten. Er kann seinen Tod nicht wollen. Der Mensch stirbt allein an Christus, durch Christus, mit Christus. Christus ist sein Tod. Um der Gemeinschaft mit Christus willen und in ihr allein stirbt der Mensch. Mit der Christusgemeinschaft in der Taufgnade empfängt er seinen Tod (Anm.: Schlatter bezieht auch 1. Kor. 15,29 auf die Taufe des Martyriums). Dieser Tod ist die Gnade, die der Mensch sich niemals selbst schaffen kann. Zwar ergeht in ihm das Gericht über den alten Menschen und seine Sünde, aber aus diesem Gericht heraus ersteht der neue Mensch, der der Welt und der Sünde abgestorben ist. So ist dieser Tod nicht die letzte zornige Verwerfung des Geschöpfes durch den Schöpfer, sondern er ist gnädige Annahme des Geschöpfes durch den Schöpfer. Dieser Tauftod ist der durch Christi Tod uns erworbene gnädige Tod. Es ist der Tod in der Kraft und Gemein-schaft des Kreuzes Christi. Wer Christi Eigentum wird, muß unter sein Kreuz. Er muß mit ihm leiden und sterben. Wer die Gemeinschaft Jesu Christi empfängt, muß den gnadenvollen Tod der Taufe sterben. Das macht das Kreuz Christi, unter das Jesus seine Nachfolger stellt. Christi Kreuz und Tod war hart und schwer, das Joch unseres Kreuzes ist sanft und leicht durch die Gemeinschaft mit ihm. Christi Kreuz ist unser einmaliger gnadenvoller Tod in der Taufe; unser Kreuz, zu dem wir gerufen sind, ist das tägliche Sterben in der Kraft des vollbrachten Todes Christi. So wird die Taufe zum Empfang der Kreuzesgemein-schaft Jesu Christi (R. 6,3ff., Kol. 2,12). Der Glaubende kommt unter Christi Kreuz.

Der Tod in der Taufe ist die Rechtfertigung von der Sünde. Der Sünder muß sterben, um von seiner Sünde frei zu werden. Wer gestorben ist, der ist ge-rechtfertigt von der Sünde (R. 6,7, Kol. 2,20). An den Toten hat die Sünde kein Recht mehr, ihre Forderung ist mit dem Tode beglichen und erloschen. So geschieht Rechtfertigung von (APO) der Sünde allein durch den Tod. Vergebung der Sünde heißt nicht Übersehen und Vergessen, sondern heißt wirkliche Tötung des Sünders und Trennung von (APO) der Sünde. Daß aber der Tod des Sünders Rechtfertigung und nicht Verdammnis wirkt, hat seinen einzigen Grund darin, daß dieser Tod in der Gemeinschaft des Todes Christi erlitten wird. Die Taufe in den Tod Christi schafft Vergebung der Sünden und Rechtfertigung, sie schafft völlige Trennung von der Sünde. Die Gemeinschaft des Kreuzes, in die Jesus seine Jünger rief, ist die Gabe der Rechtfertigung an sie, des Todes und der Vergebung der Sünden. Der Jünger, der in der Gemeinschaft des Kreuzes Jesus nachfolgte, empfing keine andere Gabe als der Gläubige, der nach der Lehre des Paulus die Taufe empfing. Daß die Taufe bei aller Passivität, in die sie den Menschen nötigt, doch niemals als mechanischer Vorgang verstanden werden darf, macht die Verbindung von Taufe und Geist ganz deutlich (Mt. 3,11; Act. 10,47; Joh. 3,5; 1. Kor. 6,11,12,13). Die Gabe der Taufe ist der Heilige Geist. Der Heilige Geist aber ist der in den Herzen der Gläubigen wohnende Christus selbst (2. Kor. 3,17; Röm. 8,9-11,14ff.; Eph. 3,16f.). Die Getauften sind das Haus, in dem der Heilige Geist Wohnung gemacht hat (OIKEI). Der Heilige Geist gewährt uns die bleibende Gegenwart Jesu Christi und seine Gemeinschaft. Er gibt uns rechte Erkenntnis seines Wesens (1. Kor. 2,10) und seines Willens, er lehrt und erinnert uns an alles, was Christus uns gesagt hat (Joh. 14,26), er leitet uns in alle Wahrheit (Joh. 16,13), daß es uns an Erkenntnis Christi nicht mangelt, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist (1. Kor. 2,12; Eph. 1,9). Nicht Ungewißheit, sondern Gewißheit und Klarheit schafft der Heilige Geist in uns. Darum können wir im Geist wandeln (Gal. 5,16.18.25, Röm. 8,1.4) und gewisse Tritte tun. Das Maß der Gewißheit, das die Jünger Jesu in seiner irdischen Gemeinschaft hatten, hat Jesus den Seinen nach seinem Hingang nicht genommen. Durch die Sendung des Heiligen Geistes in die Herzen der Getauf-ten wird die Gewißheit der Erkenntnis Jesu nicht nur erhalten, sondern durch die Nähe der Gemeinschaft noch gestärkt und gefestigt (R. 8,16; Joh. 16,12f.).

Rief Jesus in die Nachfolge, so forderte er einen sichtbaren Gehorsamsakt. Jesus nachfolgen war eine öffentliche Sache. Ganz ebenso ist die Taufe ein öffentliches Geschehen; denn in ihr vollzieht sich die Eingliederung in die sichtbare Gemeinde Jesu Christi (Gal. 3,27f.; 1. Kor. 12,13). Der in Christus vollzogene Bruch mit der Welt kann nicht mehr verborgen bleiben, er muß äußerlich in Erscheinung treten durch die Zugehörigkeit zum Gottesdienst und zum Leben der Gemeinde. Der Christ, der sich zur Gemeinde hält, tut einen Schritt aus der Welt, aus der Arbeit, aus der Familie hinaus, er steht sichtbar in der Gemeinschaft Jesu Christi. Er tut diesen Schritt allein. Aber er findet wieder, was er verließ, Brüder, Schwestern, Häuser, Äcker. Der Getaufte lebt in der sichtbaren Gemeinde Jesu Christi. Was das bedeutet und einschließt, muß in zwei weiteren Abschnitten über den „Leib Christi“ und über die „sichtbare Gemeinde“ gezeigt werden. Die Taufe und ihre Gabe ist etwas Einmaliges. Mit der Taufe Christi kann keiner zweimal getauft werden (Anm.: Die Johannestaufe allerdings muß durch die Christustaufe erneuert werden, Act. 19,5). Die Un-wiederholbarkeit und Einzigkeit dieser Gnadentat Gottes will der Hebräerbrief an jener dunklen Stelle verkündigen, in der er für Getaufte und Bekehrte die Möglichkeit einer zweiten Buße leugnet (Hebr. 6,4ff.). Wer getauft ist, hat teilbekommen an Christi Tod. Er hat durch diesen Tod sein Todesurteil empfan-gen und ist gestorben. Wie Christus ein für allemal starb (R. 6,10) und wie es keine Wiederholung seines Opfers gibt, so erleidet der Getaufte mit Christus ein für allemal seinen Tod. Nun ist er gestorben. Das tägliche Absterben des Christen ist nur noch die Folge des einen Tauftodes, wie der Baum abstirbt, dem die Wurzel abgeschnitten ist. Hinfort gilt von den Getauften: „Haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid“ (R. 6,11). Nur als Tote kennen sich die Getauften noch, als solche, an denen schon alles zum Heil vollbracht ist. Es ist die er-innernde Wiederholung des Glaubens an die vollbrachte Gnadentat des Todes Christi an uns, nicht aber die reale Wiederholung der immer neu zu vollbringen-den Gnadentat dieses Todes, aus der der Getaufte lebt. Er lebt aus dem Ein-maligen des Todes Christi in seiner Taufe.

Von der strengen Einmaligkeit der Taufe her fällt ein bedeutsames Licht auf die Kindertaufe (Anm.: Zu den bekannten Stellen, die die Kindertaufe schon dem neutestamentlichen Zeitalter zuschreiben wollen, darf vielleicht 1. Joh. 2,12ff. hinzugefügt werden. Die zweimalige Reihenfolge: Kinder, Väter, Jünglinge erlaubt die Annahme, daß TEKNIA v. 12 nicht allgemeine Bezeichnung für die Gemeinde ist, sondern daß darunter wirklich die Kinder zu verstehen sind). Nicht dies wird zweifelhaft, ob die Kindertaufe Taufe sei, aber gerade weil Kindertaufe Taufe, unwiederholbare, einmalige Taufe ist, darum muß nun ihr Gebrauch bestimmte Grenzen finden. Es war zwar gewiß kein Zeichen eines gesunden Gemeinde-lebens, wenn sich gläubige Christen im zweiten und dritten Jahrhundert oft erst im Alter oder auf dem Sterbebett taufen ließen, aber es verrät doch zugleich eine Klarheit der Einsicht in die Art der Taufgnade, die uns weithin verloren gegangen ist. Für die Kindertaufe heißt das, daß die Taufe nur dort erteilt werden kann, wo die erinnernde Wiederholung des Glaubens an die ein für allemal vollbrachte Heilstat gewährleistet werden kann, d. h. aber in einer lebendigen Gemeinde. Kindertaufe ohne Gemeinde ist nicht nur Mißbrauch des Sakraments, sondern zugleich verwerflicher Leichtsinn im Umgang mit dem Seelenheil der Kinder; denn die Taufe bleibt unwiederholbar.

Ebenso war der Ruf Jesu von einmaliger und unwiederholbarer Bedeutung für den Gerufenen. Wer ihm folgte, war seiner Vergangenheit abgestorben. Darum mußte Jesus von seinen Jüngern fordern, daß sie alles verließen, was sie hatten. Die Unwiederruflichkeit der Entscheidung mußte deutlich werden, zugleich aber auch die Vollständigkeit der Gabe, die sie von ihrem Herrn empfingen. „Wo aber das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen?“ Schärfer konnte die Einmaligkeit der Gabe Jesu nicht ausgedrückt sein. Er nahm ihnen ihr Leben, aber nun wollte Er ihnen ein Leben bereiten, ein ganzes, volles Leben, und er schenkte ihnen sein Kreuz. Das war die Gabe der Taufe an die ersten Jünger.

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