Bonhoeffer: Die große Scheidung

 

Die große Scheidung.

 

„Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt; und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden. Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt; weichet alle von mir, ihr Übeltäter!“ (Mt. 7,13-23).

Die Gemeinde Jesu kann sich nicht willkürlich von der Gemeinschaft derer trennen, die Jesu Ruf nicht hören. Sie ist von ihrem Herrn gerufen zur Nachfolge durch Verheißung und Gebot. Das muß ihr genügen. Alles Gericht und alle Scheidung stellt sie dem anheim, der sie erwählt hat nach seinem Vorsatz, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus seiner Gnade. Nicht die Gemeinde voll-zieht die Scheidung, aber im berufenden Wort muß sie geschehen.

Eine kleine Schar, die Nachfolgenden, wird so getrennt von der großen Zahl der Menschen. Die Jünger sind wenige und werden immer wenige sein. Dies Wort Jesu schneidet ihnen jede falsche Hoffnung auf ihre Wirksamkeit ab. Niemals setze ein Nachfolger Jesu sein Vertrauen auf die Zahl. „Wenige sind ihrer…“, der Anderen aber sind viel und werden immer viel sein. Sie aber gehen in ihr Ver-derben. Was kann der Trost der Jünger in solcher Erfahrung sein, wenn nicht allein dies, daß ihnen das Leben verheißen ist, die ewige Gemeinschaft Jesu?

Der Weg der Nachfolgenden ist schmal. Leicht geht man an ihm vorüber, leicht verfehlt man ihn, leicht verliert man ihn, selbst wenn man ihn schon beschritten hat. Er ist schwer zu finden. Der Weg ist wahrhaftig schmal, der Absturz nach beiden Seiten bedrohlich: Zum Außerordentlichen gerufen sein, es tun, und doch nicht sehen und nicht wissen, daß man es tut, – das ist ein schmaler Weg. Die Wahrheit Jesu bezeugen und bekennen und doch den Feind dieser Wahrheit, seinen und unseren Feind, lieben mit der bedingungslosen Liebe Jesu Christi – das ist ein schmaler Weg. Der Verheißung Jesu glauben, daß die Nachfolgenden das Erdreich besitzen werden und doch dem Feind wehrlos begegnen, lieber Unrecht leiden als Unrecht tun – das ist ein schmaler Weg. Den anderen Men-schen sehen und erkennen in seiner Schwäche, in seinem Unrecht, und ihn niemals richten, ihm die Botschaft ausrichten müssen und doch die Perlen niemals vor die Säue werfen – das ist ein schmaler Weg. Es ist ein unerträglicher Weg. Jeden Augenblick droht der Abfall. Solange ich diesen Weg als den mir zum Gehen befohlenen erkenne und ihn in der Furcht vor mir selbst gehe, ist er in der Tat unmöglich. Sehe ich aber Jesus Christus vorangehen, Schritt für Schritt, sehe ich allein auf ihn und folge ihm, Schritt für Schritt, so werde ich auf diesem Wege bewahrt. Blicke ich auf die Gefährlichkeit meines Tuns, blicke ich auf den Weg anstatt auf den, der ihn mir selbst vorangeht, so ist mein Fuß schon im Gleiten. Er selbst ist ja der Weg. Er ist der schmale Weg und das enge Tor. Ihn allein gilt es zu finden. Wissen wir das, dann gehen wir auf dem schmalen Weg durch die enge Pforte des Kreuzes Jesu Christi zum Leben, dann wird uns gerade die Enge des Weges zur Gewißheit. Wie sollte der Weg des Sohnes Gottes auf Erden, den wir als Bürger zweier Welten am Rande zwischen Welt und Himmelreich zu gehn haben, auch ein breiter Weg sein? Der schmale Weg muß der rechte Weg sein.

Verse 15-20. Die Scheidung zwischen Gemeinde und Welt ist vollzogen. Aber das Wort Jesu dringt jetzt richtend und scheidend in die Gemeinde selbst vor. Mitten unter den Jüngern Jesu muß sich die Scheidung immer wieder vollziehen. Die Jünger sollen nicht meinen, sie könnten einfach der Welt entfliehen und nun ohne Gefahr in der kleinen Schar auf dem engen Wege bleiben. Es werden falsche Propheten unter sie kommen, und mit der Verwirrung wird auch die Vereinsamung größer. Da steht einer neben mir, äußerlich ein Glied der Gemein-de, es steht ein Prophet, ein Prediger da, dem Schein, dem Wort und Werk nach ein Christ, aber innerlich treiben finstere Gründe ihn zu uns, innerlich ist er ein reißender Wolf, ist sein Wort Lüge und sein Werk Trug. Er weiß sein Geheimnis wohl zu bewahren, aber im Verborgenen treibt er sein dunkles Werk. Er ist unter uns, nicht weil der Glaube an Jesus Christus ihn zu uns getrieben hätte, sondern weil der Teufel ihn in die Gemeinde treibt. Er sucht vielleicht die Macht und den Einfluß, das Geld, den Ruhm aus eigenen Gedanken und Prophezeiungen. Er sucht die Welt, aber nicht den Herrn Christus. Er verbirgt sein dunkles Vorhaben im Gewande der Christlichkeit und weiß, daß die Christen ein leichtgläubiges Volk sind. Er rechnet darauf, daß er in seinem unschuldigen Kleid nicht entlarvt wird. Er weiß ja auch, daß es den Christen verboten ist zu richten und wird sie zu rechter Zeit daran erinnern! Kein Mensch sieht ja dem anderen ins Herz. So verführt er viele vom rechten Weg. Vielleicht weiß er dies alles selbst nicht, vielleicht verschleiert der Teufel, der ihn treibt, ihm die Klarheit über sich selbst. Nun könnte solche Ankündigung Jesu die Seinen in große Angst treiben. Wer kennt den anderen? Wer weiß, ob hinter dem christlichen Schein nicht die Lüge steckt und die Verführung lauert. Es könnte ein tiefes Mißtrauen, ein argwöhni-sches Beobachten und ein ängstlicher Richtgeist in die Gemeinde einziehen. Es könnte ein liebloses Verurteilen jedes Bruders, der in Sünde fällt, auf dieses Wort Jesu hin eintreten. Aber Jesus befreit die Seinen von diesem Mißtrauen, das die Gemeinde zerreißen müßte. Er sagt: der faule Baum bringt arge Früchte. Er muß sich von selbst zu erkennen geben zu seiner Zeit. Wir brauchen keinem ins Herz zu sehen. Warten sollen wir, bis der Baum seine Frucht bringt. An der Frucht unterscheidet ihr zu seiner Zeit die Bäume. Die Frucht aber kann nicht lange ausbleiben. Es ist hier wohl nicht der Unterschied zwischen Wort und Werk der falschen Propheten gemeint, sondern der Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit. Jesus sagt uns, daß ein Mensch nicht lange im Schein leben kann. Es kommt die Zeit des Fruchttragens, es kommt die Zeit der Unterscheidung. Es wird früher oder später offenbar, wie es um ihn steht. Es hilft dem Baum nichts, ob er nicht Frucht tragen will. Die Frucht kommt von selbst. So wird der Augen-blick, in dem es darauf ankommt, einen Baum vom anderen zu unterscheiden, die Fruchtzeit, alles offenbaren. Wo die Entscheidungszeit kommt zwischen Welt und Gemeinde, und sie kann jeden Tag kommen, nicht nur in großen, sondern auch in ganz geringen, alltäglichen Entscheidungen, da wird offenbar werden, was faul ist und was gut ist. Hier besteht nur die Wirklichkeit, nicht aber der Schein.

Jesus mutet es seinen Jüngern zu, in solchen Augenblicken Schein und Wirklich-keit klar zu unterscheiden, und zu scheiden zwischen sich und den Schein-christen. Das überhebt sie aller neugierigen Erforschung des Anderen, aber es fordert Wahrhaftigkeit und Entschlossenheit, die fallende Entscheidung Gottes anzuerkennen. Es kann jeden Augenblick soweit sein, daß mitten unter uns die Scheinchristen von uns gerissen werden, daß wir als die Scheinchristen entlarvt dastehen. Damit sind die Jünger aufgerufen zu festerer Gemeinschaft mit Jesus, zu treuerer Nachfolge. Der faule Baum wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Ihm hilft alle Pracht nichts.

Vers 21. Die Scheidung durch Jesu Ruf in die Nachfolge geht aber noch tiefer. Nach der Scheidung zwischen Welt und Gemeinde, zwischen Scheinchristen und wahren Christen greift nun die Scheidung in die bekennende Jüngerschar hinein. Paulus sagt: Niemand kann Jesum einen Herrn nennen, es sei denn durch den heiligen Geist (1. Kor. 12,3). Niemand kann aus eigner Vernunft, Kraft und Entscheidung sein Leben Jesus ausliefern, ihn seinen Herrn nennen. Hier aber ist diese Möglichkeit selbst ins Auge gefaßt, daß einer Jesus seinen Herrn nennt ohne den heiligen Geist, d. h. ohne den Ruf Jesu vernommen zu haben. Das ist um so unbegreiflicher, als es seinerzeit keinerlei irdischen Gewinn brachte, Jesus seinen Herrn zu nennen, vielmehr ein Bekenntnis war, das in höchste Gefahr führte. „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen…“ Das Herr-Herr-Sagen ist das Bekenntnis der Gemeinde. Es wird nicht jeder, der dieses Bekenntnis spricht, ins Himmelreich kommen. Mitten durch die bekennende Gemeinde hindurch wird die Scheidung gehen. Das Bekenntnis verleiht keinerlei Anrecht auf Jesus. Niemand kann sich einmal auf sein Be-kenntnis berufen. Daß wir Glieder der Kirche des rechten Bekenntnisses sind, ist kein Anspruch vor Gott. Wir werden nicht auf Grund dieses Bekenntnisses selig werden. Denken wir dies, so tun wir Israels Sünde, das aus der Gnade der Berufung ein Recht vor Gott machte. Wir sündigen so gegen die Gnade des Berufers. Gott wird uns einmal nicht fragen, ob wir evangelisch gewesen sind, sondern ob wir seinen Willen getan haben. Alle wird er danach fragen und uns ebenso. Die Grenzen der Kirche sind nicht die Grenzen eines Privilegs, sondern die der gnädigen Wahl und Berufung Gottes. PAS HO LEGON und ALL HO POION – „sagen“ und „tun“ – das ist hier nicht ohne weiteres als das Verhältnis von Wort und Tat gemeint. Vielmehr ist hier von zweierlei verschiedenen Ver-halten des Menschen vor Gott gesprochen. HO LEGON KYRIE – der „Herr-Herr-Sager“ – das ist hier der Mensch, der auf Grund seines Jasagens einen Anspruch erhebt, HO POION – „der Täter“ – das ist hier der im gehorsamen Tun Demütige. Jener ist der sich selbst durch sein Bekenntnis rechtfertigende, dieser, der Täter, der auf Gottes Gnade bauende, gehorsame Mensch. Hier wird also gerade das Reden des Menschen zum Korrelat seiner Selbstgerechtigkeit, das Tun aber zum Korrelat der Gnade, der gegenüber eben der Mensch nichts mehr anderes vermag als demütig zu gehorchen und zu dienen. Jener Herr-Herr-Sager hat sich selbst zu Jesus gerufen ohne den heiligen Geist, oder er hat doch aus dem Ruf Jesu ein eigenes Recht gemacht. Dieser Täter des Willens Gottes ist gerufen, begnadigt, er gehorcht und folgt. Er versteht seinen Ruf nicht als Recht, sondern als Gericht und Begnadigung, als den Willen Gottes, dem allein er gehorchen will. Die Gnade Jesu fordert den Täter, das Tun wird so die rechte Demut, der rechte Glaube, das rechte Bekenntnis zur Gnade des Berufers.

Vers 22. Bekenner und Täter sind voneinander geschieden. Nun wird die Schei-dung noch bis ins letzte hinein vorgetrieben. Hier zuletzt sprechen nun solche, die bis hierher bestanden haben. Sie gehören zu den Tätern, aber nun berufen sie sich anstatt auf ihr Bekenntnis eben auf dieses ihr Tun. Sie haben Taten getan in Jesu Namen. Sie wissen, daß das Bekenntnis nicht rechtfertigt, darum sind sie hingegangen und haben durch Taten den Namen Jesu unter den Leuten groß gemacht. Nun treten sie vor Jesus hin und weisen auf dieses Tun.

Jesus offenbart seinen Jüngern hier die Möglichkeit eines dämonischen Glau-bens, der sich auf ihn beruft, der wunderbare Taten, bis zur Unkenntlichkeit den Werken der wahren Jünger Jesu ähnlich, vollbringt, Werke der Liebe, Wunder, vielleicht gar Selbstheiligung, und der doch Jesus und seine Nachfolge verleug-net. Es ist nichts anderes, was Paulus im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes sagt, von jener Möglichkeit zu predigen, zu weissagen, alle Erkenntnisse zu haben, ja allen Glauben, also daß er Berge versetzt, – doch ohne Liebe, d. h. ohne Christus, ohne den heiligen Geist. Ja, mehr als dies: Paulus muß sogar die Möglichkeit ins Auge fassen, daß die Werke der christlichen Liebe selbst, die Hingabe der Güter, bis zum Martyrium, getan werden können – ohne Liebe, ohne Christus, ohne den heiligen Geist. Ohne Liebe – d. h. eben, daß in all diesem Tun doch das Tun der Nachfolge nicht geschieht, dieses Tun, dessen Täter eben zuletzt kein anderer ist als der Berufer, Jesus Christus selbst; Das ist die tiefste, unbegreiflichste Möglichkeit des Satanischen in der Gemeinde, die letzte Schei-dung, die freilich erst geschieht am jüngsten Tag. Aber sie wird eine endgültige sein. Die Nachfolgenden aber müssen fragen, wo denn nun der letzte Maßstab dafür sei, wer von Jesus angenommen werde und wer nicht. Wer bleibt denn, und wer bleibt nicht? Die Antwort Jesu zu den letzten Verworfenen sagt alles: „ich habe euch noch nie erkannt“. Das also ist es, das ist das Geheimnis, das vom Anfang der Bergpredigt an bis zu diesem Ende aufbewahrt wird. Das allein ist die Frage, ob wir von Jesus erkannt sind oder nicht. Woran sollen wir uns halten, wenn wir hören, wie Jesu Wort die Scheidung vollzieht zwischen Gemeinde und Welt und dann in der Gemeinde bis zum jüngsten Tag, wenn uns nichts mehr bleibt, nicht unser Bekenntnis, nicht unser Gehorsam? Dann bleibt nur noch sein Wort: Ich habe dich erkannt. Dies ist sein ewiges Wort, sein ewiger Ruf. Hier schließt sich das Ende der Bergpredigt mit ihrem ersten Wort zusammen. Sein Wort am jüngsten Gericht – es ergeht an uns in seinem Ruf in die Nachfolge. Aber es bleibt vom Anfang bis zum Ende allein sein Wort, sein Ruf. Wer sich in der Nachfolge an nichts hält und klammert als an dieses Wort, wer alles andere fahren läßt, den wird dieses Wort durchs letzte Gericht tragen. Sein Wort ist seine Gnade.

 

- FORTSETZUNG -