Bonhoeffer: Der Ruf in die Nachfolge

 

Der Ruf in die Nachfolge.

 

„Und da Jesus vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach“ (Mk. 2,14).

Der Ruf ergeht, und ohne jede weitere Vermittlung folgt die gehorsame Tat des Gerufenen. Die Antwort des Jüngers ist nicht ein gesprochenes Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern das gehorsame Tun. Wie ist dieses unmittelbare Gegenüber von Ruf und Gehorsam möglich? Es ist der natürlichen Vernunft überaus anstößig, sie muß sich bemühen, dieses harte Aufeinander zu trennen, es muß etwas dazwischentreten, es muß etwas erklärt werden. Es muß unter allen Umständen eine Vermittlung gefunden werden, eine psychologische, eine historische. Man stellt die törichte Frage, ob nicht der Zöllner Jesus schon vorher gekannt habe und daher bereit gewesen sei, auf seinen Ruf hin zu folgen. Eben hierüber aber schweigt der Text hartnäckig, es liegt ihm ja gerade alles an dem gänzlich unvermittelten Gegenüber von Ruf und Tat. Psychologische Begrün-dungen für die frommen Entscheidungen eines Menschen interessieren ihn nicht. Warum nicht? Weil es nur eine einzige gültige Begründung für dieses Gegenüber von Ruf und Tat gibt: Jesus Christus selbst. Er ist es, der ruft. Darum folgt der Zöllner. Die unbedingte, unvermittelte und unbegründbare Autorität Jesu wird in dieser Begegnung bezeugt. Nichts geht hier voraus, und es folgt nichts anderes als der Gehorsam des Gerufenen. Daß Jesus der Christus ist, gibt ihm Vollmacht zu rufen und auf sein Wort Gehorsam zu fordern. Jesus ruft in die Nachfolge, nicht als Lehrer und Vorbild, sondern als der Christus, der Sohn Gottes. So wird in diesem kurzen Text Jesus Christus und sein Anspruch auf den Menschen verkündigt, sonst nichts. Kein Lob fällt auf den Jünger, auf sein entschiedenes Christentum. Der Blick soll nicht auf ihn fallen, sondern allein auf den, der ruft, auf seine Vollmacht. Auch nicht ein Weg zum Glauben, zur Nachfolge ist gewiesen, es gibt keinen anderen Weg zum Glauben als den Gehorsam gegen den Ruf Jesu.

Was wird über den Inhalt der Nachfolge gesagt? Folge mir nach, laufe hinter mir her! Das ist alles. Hinter ihm hergehen, das ist etwas schlechthin Inhaltloses. Es ist wahrhaftig kein Lebensprogramm, dessen Verwirklichung sinnvoll erscheinen könnte, kein Ziel, kein Ideal, dem nachgestrebt werden sollte. Es ist gar keine Sache, für die es sich nach menschlicher Meinung verlohnte, irgendetwas oder gar sich selbst einzusetzen. Und was geschieht? Der Gerufene verläßt alles, was er hat, nicht, um damit etwas besonders Wertvolles zu tun, sondern einfach um des Rufes willen, weil er sonst nicht hinter Jesus hergehen kann. Diesem Tun ist an sich nicht der geringste Wert beigemessen. Es bleibt in sich selbst etwas völlig Bedeutungsloses, Unbeachtliches. Die Brücken werden abgebrochen, und es wird einfach vorwärtsgegangen. Man ist herausgerufen und soll „heraustreten“ aus der bisherigen Existenz, man soll „existieren“ im strengen Sinn des Wortes. Das Alte bleibt zurück, es wird ganz hingegeben. Aus den relativen Sicherungen des Lebens heraus in die völlige Unsicherheit (d. h. in Wahrheit in die absolute Sicherheit und Geborgenheit der Gemeinschaft Jesu); aus dem übersehbaren und Berechenbaren (d. h. dem in Wahrheit ganz Unberechenbaren) in das gänzlich Unübersehbare, Zufällige (d. h. in Wahrheit in das einzig Notwendige und Berechenbare); aus dem Bereich der endlichen Möglichkeiten (d. h. in Wahrheit der unendlichen Möglichkeiten) in den Bereich der unendlichen Mög-lichkeiten (d. h. in Wahrheit in die einzig befreiende Wirklichkeit) ist der Jünger geworfen. Das ist wiederum kein allgemeines Gesetz; vielmehr das genaue Gegenteil von aller Gesetzlichkeit. Es ist abermals nichts anderes, als die Bindung an Jesus Christus allein, d. h. gerade die vollkommene Durchbrechung jeder Programmatik, jeder Idealität, jeder Gesetzlichkeit. Darum ist kein weiterer Inhalt möglich, weil Jesus der einzige Inhalt ist. Neben Jesus gibt es hier keine Inhalte mehr. Er selbst ist es.

Der Ruf in die Nachfolge ist also Bindung an die Person Jesu Christi allein, Durchbrechung aller Gesetzlichkeiten durch die Gnade dessen, der ruft. Er ist gnädiger Ruf, gnädiges Gebot. Er ist jenseits der Feindschaft von Gesetz und Evangelium. Christus ruft, der Jünger folgt. Das ist Gnade und Gebot in einem. „Ich wandle fröhlich, denn ich suche deine Befehle“ (Psalm 119,45).

Nachfolge ist Bindung an Christus; weil Christus ist, darum muß Nachfolge sein. Eine Idee von Christus, ein Lehrsystem, eine allgemeine religiöse Erkenntnis von der Gnade oder Sündenvergebung macht Nachfolge nicht notwendig, ja schließt sie in Wahrheit aus, ist der Nachfolge feindlich. Zu einer Idee tritt man in ein Verhältnis der Erkenntnis, der Begeisterung, vielleicht auch der Verwirklichung, aber niemals der persönlichen gehorsamen Nachfolge. Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. Ein Christentum, in dem es nur den Vatergott, aber nicht Christus als lebendigen Sohn gibt, hebt die Nachfolge geradezu auf. Hier gibt es Gottvertrauen, aber nicht Nachfolge. Allein weil der Sohn Gottes Mensch wurde, weil er Mittler ist, ist Nachfolge das rechte Verhältnis zu ihm. Nachfolge ist gebunden an den Mittler, und wo von Nachfolge recht gesprochen wird, dort wird von dem Mittler Jesus Christus, dem Sohn Gottes gesprochen. Nur der Mittler, der Gottmensch kann in die Nachfolge rufen. Nachfolge ohne Jesus Christus ist Eigenwahl eines vielleicht idealen Weges, vielleicht eines Märtyrerweges, aber sie ist ohne Verheißung. Jesus muß sie verwerfen.

„Und sie gingen in einen anderen Markt. Es begab sich aber, da sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wo du hin gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hin lege. Und er sprach zu einem anderen: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; gehe du aber hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein anderer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich einen Abschied mache mit denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes“ (Lk. 9,57–62).

Der erste Jünger trägt Jesus die Nachfolge selbst an, er ist nicht gerufen, die Antwort Jesu verweist den Begeisterten darauf, daß er nicht weiß, was er tut. Er kann es gar nicht wissen. Das ist der Sinn der Antwort, in der dem Jünger das Leben mit Jesus in seiner Wirklichkeit gezeigt wird. Hier spricht der, der zum Kreuz geht, dessen ganzes Leben im Apostolikum mit dem einen Wort „gelitten“ bezeichnet wird. Das kann kein Mensch aus eigner Wahl wollen. Es kann sich keiner selbst rufen, sagt Jesus, und sein Wort bleibt ohne Antwort. Die Kluft zwischen dem freien Angebot der Nachfolge und der wirklichen Nachfolge bleibt aufgerissen.

Wo aber Jesus selbst ruft, da überwindet er auch die tiefste Kluft. Der zweite will seinen Vater begraben, bevor er nachfolgt. Das Gesetz bindet ihn. Er weiß, was er tun will und tun muß. Erst soll das Gesetz erfüllt werden, dann will er folgen. Ein klares Gebot des Gesetzes steht hier zwischen dem Gerufenen und Jesus. Dem tritt der Ruf Jesu mächtig entgegen, gerade jetzt unter keinen Umständen irgendetwas zwischen Jesus und den Gerufenen treten zu lassen, und sei es das Größte und Heiligste, sei es das Gesetz. Gerade jetzt muß es geschehen, daß um Jesu willen das Gesetz, das sich dazwischenstellen wollte, durchbrochen wird; denn es hat zwischen Jesus und dem Gerufenen kein Recht mehr. So stellt sich Jesus hier gegen das Gesetz und gebietet Nachfolge. So redet allein der Christus. Er behält das letzte Wort. Der Andere kann nicht widerstreben. Dieser Ruf, diese Gnade ist unwiderstehlich.

Der dritte versteht die Nachfolge wie der erste als allein von ihm zu leistendes Angebot, als eigenes, selbstgewähltes Lebensprogramm. Er fühlt sich aber im Unterschied zu jenem berechtigt, auch seinerseits Bedingungen zu stellen. Damit verwickelt er sich in einen vollkommenen Widerspruch. Er will sich zu Jesus stellen, aber zugleich stellt er etwas zwischen sich und Jesus: „Erlaube mir zuvor.“ Er will nachfolgen, aber er will sich selbst die Bedingungen für die Nach-folge schaffen. Die Nachfolge ist ihm eine Möglichkeit, zu deren Verwirklichung die Erfüllung von Bedingungen und Voraussetzungen gehört. So wird die Nach-folge etwas menschlich Einsichtiges und Verständliches. Erst tut man das Eine, und dann das Andere. Es hat alles sein Recht und seine Zeit. Der Jünger selbst stellt sich zur Verfügung, hat aber damit auch das Recht, seine Bedingungen zu stellen. Es ist offenbar, daß in diesem Augenblick Nachfolge aufhört, Nachfolge zu sein. Sie wird zum menschlichen Programm, das ich mir einteile nach meinem Urteil, das ich rational und ethisch rechtfertigen kann. Dieser dritte also will nachfolgen, aber schon indem er es ausspricht, will er nicht mehr nachfolgen. Er hebt durch sein Angebot selbst die Nachfolge auf; denn Nachfolge verträgt keine Bedingungen, die zwischen Jesus und den Gehorsam treten könnten. Dieser dritte gerät also nicht nur mit Jesus, sondern schon mit sich selbst in Wider-spruch. Er will nicht, was Jesus will, und er will auch nicht, was er selbst will. Er richtet sich selbst, zerfällt mit sich selbst, und dies alles durch das: „Erlaube mir zuvor.“ Die Antwort Jesu bestätigt ihm im Bilde diesen Zerfall mit sich selbst, der die Nachfolge ausschließt: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.“

Nachfolgen heißt bestimmte Schritte tun. Bereits der erste Schritt, der auf den Ruf hin erfolgt, trennt den Nachfolgenden von seiner bisherigen Existenz. So schafft sich der Ruf in die Nachfolge sofort eine neue Situation. In der alten Situ-ation bleiben und nachfolgen schließt sich aus. Das war zunächst ganz sichtbar so. Der Zöllner mußte den Zoll, Petrus die Netze verlassen, um hinter Jesus herzugehen. Es hätte ja nach unserm Verständnis auch damals schon durchaus anders sein können. Jesus hätte dem Zöllner eine neue Gotteserkenntnis vermitteln und ihn in seiner alten Situation lassen können. Wäre Jesus nicht der menschgewordene Sohn Gottes gewesen, so wäre das möglich. Weil aber Jesus der Christus ist, darum mußte es von vornherein deutlich werden, daß sein Wort nicht eine Lehre, sondern eine Neuschöpfung der Existenz ist. Es galt, mit Jesus wirklich zu gehen. Wen er rief, dem war damit gesagt, daß für ihn nur noch eine einzige Möglichkeit des Glaubens an Jesus besteht, nämlich die, daß er alles verläßt und mit dem menschgewordenen Sohn Gottes geht. 

Mit dem ersten Schritt ist der Nachfolgende in die Situation gestellt, glauben zu können. Folgt er nicht, bleibt er zurück, so lernt er nicht glauben. Der Gerufene muß aus seiner Situation, in der er nicht glauben kann, in die Situation, in der allererst geglaubt werden kann. In sich hat dieser Schritt keinerlei programma-tischen Wert, er ist gerechtfertigt allein durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus, die gewonnen wird. Solange Levi am Zoll sitzt oder Petrus bei den Netzen, so lange mögen sie ihren Beruf redlich und treu tun, solange mögen sie alte oder neue Gotteserkenntnisse haben, aber wenn sie Gott glauben lernen wollen, so müssen sie dem menschgewordenen Sohn Gottes folgen, mit ihm gehen.

Vorher war das anders. Da konnten sie als die Stillen im Lande unerkannt in ihrer Arbeit leben, sie hielten das Gesetz und warteten auf den Messias. Jetzt aber war er da, jetzt erging sein Ruf. Jetzt hieß glauben nicht mehr stille sein und warten, sondern mit ihm gehen in der Nachfolge. Jetzt löste sein Ruf in die Nachfolge alle Bindungen um der einzigen Bindung an Jesus Christus willen. Jetzt mußten alle Brücken abgebrochen werden, der Schritt in die unendliche Unsicherheit mußte getan werden, um zu erkennen, was Jesus fordert und was Jesus gibt. Levi am Zoll hätte Jesus wohl haben können als einen Helfer in allerlei Not, aber er hätte ihn nicht erkannt als den einen Herrn, dem er sein ganzes Leben in die Hand legen soll, er hätte nicht glauben gelernt. Es muß die Situation geschaffen werden, in der Jesus der menschgewordene Gott geglaubt werden kann, die unmögliche Situation, in der alles auf eines gesetzt wird, nämlich auf das Wort Jesu. Petrus muß aus dem Schiff heraustreten auf das schwankende Wasser, um seine Ohnmacht und die Allmacht seines Herrn zu erfahren. Wäre er nicht herausgetreten, so hätte er nicht glauben gelernt. Die völlig unmögliche, ethisch schlechthin unverantwortliche Lage auf dem schwan-kenden Meer muß herausgestellt werden, damit geglaubt werden kann. Der Weg zum Glauben geht durch den Gehorsam gegen den Ruf Christi. Der Schritt wird gefordert, sonst geht der Ruf Jesu ins Leere, und alle vermeintliche Nachfolge ohne diesen Schritt, zu dem Jesus ruft, wird zur unwahren Schwärmerei.

Die Gefahr der Unterscheidung einer Situation, in der geglaubt werden kann, von einer solchen, in der nicht geglaubt werden kann, ist groß. Es muß dabei ganz klar sein, daß es erstens niemals in der Situation als solcher liegt oder erkennbar ist, welcher Art sie ist. Allein der Ruf Jesu Christi qualifiziert sie als Situation, in der geglaubt werden kann. Zweitens ist die Situation, in der geglaubt werden kann, niemals vom Menschen aus herauszustellen. Nachfolge ist kein Angebot des Menschen. Allein der Ruf schafft die Situation. Drittens enthält diese Situation niemals in sich selbst einen eigenen Wert. Allein durch den Ruf ist sie gerechtfertigt. Schließlich und hauptsächlich ist auch die Situation, in der geglaubt werden kann, bereits selbst immer nur im Glauben ermöglicht.

Der Begriff einer Situation, in der geglaubt werden kann, ist nur die Umschrei-bung des Sachverhalts, in dem die folgenden zwei Sätze gelten, die in gleicher Weise wahr sind: Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.

Es ist eine schwere Einbuße an biblischer Treue, wenn wir den ersten Satz ohne den zweiten lassen. Nur der Glaubende ist gehorsam, das meinen wir zu ver-stehen. Der Gehorsam folge ja dem Glauben, wie die gute Frucht dem guten Baum, sagen wir dann. Erst ist der Glaube, dann erst Gehorsam. Soll damit nur dies bezeugt sein, daß allein der Glaube rechtfertigt und nicht das Tun des Gehorsams, so ist das allerdings die notwendige und unumstößliche Voraus-setzung für alles weitere. Sollte aber damit irgendeine zeitliche Bestimmung gegeben sein, daß erst geglaubt werden müsse und später der Gehorsam folge, so werden Glaube und Gehorsam auseinandergerissen, und es bleibt dann die höchst praktische Frage offen, wann der Gehorsam anzufangen habe. Der Gehorsam bleibt vom Glauben getrennt. Um der Rechtfertigung willen müssen ja Glaube und Gehorsam getrennt werden, aber diese Trennung darf niemals die Einheit beider aufheben, die darin liegt, daß Glaube nur im Gehorsam existiert, niemals ohne Gehorsam ist, daß Glaube nur in der Tat des Gehorsams Glaube ist.

Um der Uneigentlichkeit der Rede vom Gehorsam als einer Folge des Glaubens willen, um des Hinweises auf die unauflösliche Einheit von Glauben und Ge-horsam willen muß nun dem Satz, daß nur der Glaubende gehorsam sei, der andere gegenübergestellt werden: Nur der Gehorsame glaubt. Ist dort der Glaube die Voraussetzung des Gehorsams, so ist hier der Gehorsam die Voraussetzung des Glaubens. In genau derselben Weise, in der der Gehorsam Folge des Glaubens genannt wird, ist er auch Voraussetzung des Glaubens zu nennen. Nur der Gehorsame glaubt. Es muß Gehorsam geleistet werden gegen einen konkreten Befehl, damit geglaubt werden kann. Es muß ein erster Schritt des Gehorsams gegangen werden, damit Glaube nicht frommer Selbstbetrug, billige Gnade werde. Es liegt an dem ersten Schritt. Er ist von allen folgenden qualitativ unterschieden. Der erste Schritt des Gehorsams muß den Petrus fort von den Netzen, aus dem Schiff heraus, muß den Jüngling aus dem Reichtum führen. Nur in dieser neuen, durch den Gehorsam geschaffenen Existenz kann geglaubt werden.

Dieser erste Schritt ist nun zuerst zu betrachten als das äußerliche Werk, das im Vertauschen einer Existenzweise mit einer anderen besteht. Diesen Schritt kann jeder tun. Der Mensch hat Freiheit dazu. Es ist ein Tun innerhalb der iustitia civilis, in der der Mensch frei ist. Petrus kann sich nicht bekehren, aber er kann seine Netze verlassen. Inhaltlich ist in den Evangelien mit dem ersten Schritt bereits ein Tun gefordert, das das Lebensganze betrifft. Die römische Kirche verlangte einen solchen Schritt nur als die außerordentliche Möglichkeit des Mönchtums, während für die anderen Gläubigen die Bereitschaft genügte, sich der Kirche und ihren Geboten bedingungslos zu unterwerfen. Auch in den lutherischen Bekenntnisschriften ist in bedeutsamer Weise die Wichtigkeit eines ersten Schrittes erkannt: Nachdem die Gefahr des synergistischen Mißverständ-nisses grundsätzlich beseitigt ist, kann und muß ein Raum gelassen werden für jenes erste äußere Tun, das zum Glauben gefordert wird: Es ist hier der Schritt zur Kirche, in der das Wort des Heils gepredigt wird. Dieser Schritt kann in voller Freiheit getan werden. Komm zur Kirche! das kannst du kraft deiner mensch-lichen Freiheit. Du kannst am Sonntag dein Haus verlassen und zur Predigt gehen. Tust du es nicht, so schließt du dich willkürlich von dem Ort aus, an dem geglaubt werden kann. Damit bezeugen die lutherischen Bekenntnisschriften, daß sie von einer Situation wissen, in der geglaubt werden kann, und von einer solchen, in der Glaube nicht möglich ist. Zwar bleibt diese Erkenntnis hier sehr im Versteck, fast als schäme man sich ihrer, aber sie ist vorhanden als eine und dieselbe Erkenntnis von der Bedeutung des ersten Schrittes als eines äußeren Tuns. Ist diese Erkenntnis gesichert, dann muß als zweites gesagt werden, daß dieser erste Schritt als rein äußerliches Tun ein totes Werk des Gesetzes ist und bleibt, das durch sich selbst niemals zu Christus führt. Als äußeres Tun bleibt die neue Existenz durchaus die alte; es wird bestenfalls ein neues Lebensgesetz, ein neuer Lebensstil erreicht, der aber nichts mit dem neuen Leben mit Christus zu tun hat. Der Trinker, der den Alkohol läßt, der Reiche, der sein Geld weggibt, wird dadurch wohl vom Alkohol und vom Gelde frei, aber nicht von sich selbst. Er bleibt also ganz bei sich selbst, möglicherweise näher bei sich selbst als vorher, er bleibt unter der Forderung des Werkes ganz im Tode des alten Lebens. Zwar muß das Werk getan werden, aber es führt durch sich selbst aus dem Tod, dem Ungehorsam und der Gottlosigkeit nicht heraus. Verstehen wir selbst etwa unsern ersten Schritt als Voraussetzung für die Gnade, für den Glauben, so sind wir darin durch unser Werk schon gerichtet und von der Gnade gänzlich abgeschnitten. Dabei ist in das äußere Werk alles eingeschlossen, was wir Gesinnung, guten Vorsatz zu nennen pflegen, alles was die römische Kirche facere quod in se est nennt. Tun wir den ersten Schritt in der Absicht, uns damit in die Situation des Glaubenkönnens zu versetzen, so ist auch dieses Glauben-können wieder nichts als ein Werk, als eine neue Lebensmöglichkeit innerhalb unserer alten Existenz und damit völlig mißverstanden, wir bleiben im Unglauben.

Und doch muß das äußere Werk geschehen, doch müssen wir in die Situation des Glaubenkönnens hinein. Wir müssen den Schritt tun. Was heißt das? Es heißt, daß dieser Schritt nur recht geschieht, wenn wir ihn nicht im Blick auf unser Werk, das getan werden muß, sondern allein im Blick auf das Wort Jesu Christi hin tun, das uns dazu ruft. Petrus weiß, er darf nicht eigenmächtig aus dem Schiff steigen, der erste Schritt wäre schon sein Untergang, darum ruft er: „Heiße mich zu dir kommen auf dem Wasser“ und Christus antwortet: „Komm her.“ Also Christus muß gerufen haben, allein auf sein Wort hin kann der Schritt getan werden. Dieser Ruf ist seine Gnade, die aus dem Tod in das neue Leben des Gehorsams ruft. Jetzt aber, da Christus gerufen hat, muß Petrus aus dem Schiff heraus, um zu Christus zu kommen. So ist in der Tat der erste Schritt des Gehorsams schon selbst ein Tun des Glaubens an das Wort Christi. Es würde aber den Glauben als Glauben völlig verkennen, wenn nun daraus wieder geschlossen würde, es sei also der erste Schritt doch nicht mehr nötig, weil doch der Glaube schon da sei. Demgegenüber muß dann geradezu der Satz gewagt werden: erst muß der Schritt des Gehorsams getan sein, ehe geglaubt werden kann. Der Ungehorsame kann nicht glauben.

Du beklagst dich darüber, daß du nicht glauben kannst? Es darf sich keiner wundern, wenn er nicht zum Glauben kommt, solange er sich an irgendeiner Stelle in wissentlichem Ungehorsam dem Gebot Jesu widersetzt oder entzieht. Du willst irgendeine sündige Leidenschaft, eine Feindschaft, eine Hoffnung, deine Lebenspläne, deine Vernunft nicht dem Gebot Jesu unterwerfen? Wundere dich nicht, daß du den heiligen Geist nicht empfängst, daß du nicht beten kannst, daß dein Gebet um den Glauben leer bleibt! Gehe vielmehr hin und versöhne dich mit deinem Bruder, laß von der Sünde, die dich gefangenhält, und du wirst wieder glauben können! Willst du Gottes gebietendes Wort ausschlagen, so wirst du auch sein gnädiges Wort nicht empfangen. Wie solltest du die Gemeinschaft dessen finden, dem du dich wissentlich an irgendeiner Stelle entziehst? Der Un-gehorsame kann nicht glauben, nur der Gehorsame glaubt.

Hier wird der gnädige Ruf Jesu Christi in die Nachfolge zum harten Gesetz: Tue dies! Laß jenes! Komm heraus aus dem Schiff zu Jesus! Wer mit seinem Glau-ben oder seinem Unglauben seinen tatsächlichen Ungehorsam gegen den Ruf Jesu entschuldigt, zu dem sagt Jesus: Erst sei gehorsam, tue das äußere Werk, laß, was dich bindet, gib auf, was dich vom Willen Gottes scheidet! Sage nicht: Ich habe den Glauben dazu nicht. Du hast ihn solange nicht, als du in Unge-horsam bleibst, solange du den ersten Schritt nicht tun willst. Sage nicht: Ich habe ja den Glauben, ich brauche den ersten Schritt nicht mehr zu tun. Du hast ihn nicht, solange und weil du den Schritt nicht tun willst, sondern dich im Unglauben unter dem Schein des demütigen Glaubens verstockst. Es ist eine böse Ausflucht, vom mangelnden Gehorsam auf den mangelnden Glauben und vom mangelnden Glauben wieder auf den mangelnden Gehorsam zurückzu-verweisen. Es ist der Ungehorsam der „Glaubenden“, dort wo ihr Gehorsam gefordert wird, ihren Unglauben zu bekennen und mit diesem Bekenntnis (Mk. 9,24) Spiel zu treiben. Glaubst du – so tu den ersten Schritt! Er führt zu Jesus Christus. Glaubst du nicht – so tu eben denselben Schritt, er ist dir geboten! Die Frage nach deinem Glauben oder deinem Unglauben ist dir nicht aufgetragen, sondern die Tat des Gehorsams ist dir befohlen und sofort zu tun. In ihr wird die Situation gegeben, in der Glaube möglich wird und wirklich existiert. Also nicht es gibt, sondern Er gibt dir eine Situation, in der du glauben kannst. In jene Situation gilt es zu kommen, damit der Glaube rechter Glaube und nicht Selbstbetrug sei. Gerade weil es allein um das rechte Glauben an Jesus Christus geht, weil der Glaube allein das Ziel ist und bleibt („aus Glauben in Glauben“, Römer 1,17), ist diese Situation unerläßlich. Wer hier allzuschnell und allzu protestantisch protestiert, der muß sich fragen lassen, ob es nicht die billige Gnade sei, für die er spricht. Denn in der Tat können die beiden Sätze, wenn sie nur nebeneinander stehen bleiben, dem rechten Glauben nicht zum Anstoß werden, während freilich jeder für sich allein ein großes Ärgernis sein muß. Nur der Glaubende ist ge-horsam – das ist dem Gehorsamen im Glaubenden gesagt; nur der Gehorsame glaubt – das ist dem Glaubenden im Gehorsamen gesagt. Bleibt der erste Satz allein, so wird der Glaubende der billigen Gnade, d. h. der Verdammnis ausge-liefert; bleibt der zweite Satz allein, so wird der Glaubende dem Werk, d. h. der Verdammnis ausgeliefert. Von hier aus dürfen wir nun einen Blick tun in die christliche Seelsorge. Es ist für den Seelsorger von großer Wichtigkeit, daß er aus der Kenntnis beider Sätze spricht. Er muß wissen, daß die Klage über den Mangel an Glauben immer wieder aus bewußtem oder schon nicht mehr bewußtem Ungehorsam kommt, und daß dieser Klage allzu leicht der Trost der billigen Gnade entspricht. Dabei bleibt aber der Ungehorsam ungebrochen, und das Wort von der Gnade wird zu dem Trost, den sich der Ungehorsame selbst zuspricht, zu der Sündenvergebung, die er sich selbst erteilt. Damit aber wird ihm die Verkündigung leer, er hört sie nicht mehr. Und ob er sich tausendmal die Sünden selbst vergibt, vermag er doch nicht an die wirkliche Vergebung zu glauben, eben weil sie ihm in Wahrheit auch gar nicht geschenkt worden ist. Der Unglaube nährt sich an der billigen Gnade, weil er im Ungehorsam beharren will. Das ist eine häufige Situation in der heutigen christlichen Seelsorge. Es muß nun dahin kommen, daß sich der Mensch durch selbsterteilte Sündenvergebung in seinem Ungehorsam verstockt, daß er vorgibt, das Gute und das Gebot Gottes nicht erkennen zu können. Es sei zweideutig und lasse mancherlei Auslegungen zu. Das anfänglich noch klare Wissen um den Ungehorsam verdunkelt sich mehr und mehr und wird zur Verstockung. Hier hat sich der Ungehorsame selbst so verfangen und verstrickt, daß er das Wort nicht mehr hören kann. Hier kann in der Tat nicht mehr geglaubt werden. Es wird sich dann zwischen dem Ver-stockten und dem Seelsorger etwa folgendes Gespräch ergeben: „Ich kann nicht mehr glauben.“ – „Höre das Wort, es wird dir gepredigt!“ – „Ich höre es, aber es sagt mir nichts, es bleibt mir leer, es geht an mir vorbei.“ – „Du willst nicht hören.“ – „Doch, ich will.“ – Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem das seelsorgerliche Gespräch meist abbricht, weil der Seelsorger nicht weiß, woran er ist. Er kennt nur den einen Satz: Nur der Glaubende ist gehorsam. Mit diesem Satz vermag er dem Verstockten nicht mehr zu helfen, der eben diesen Glauben nicht hat und nicht haben kann. Der Seelsorger meint also schon hier vor dem letzten Rätsel zu stehen, daß Gott dem einen den Glauben schenkt, den er dem anderen versagt. Mit diesem Satz wird dann kapituliert. Der Verstockte bleibt allein und beklagt resigniert weiter seine Not. Aber gerade hier liegt der Wendepunkt des Gesprächs. Die Wendung ist eine totale. Es wird nicht mehr argumentiert, die Fragen und die Nöte des Anderen werden nicht mehr letztlich ernstgenommen, dafür um so mehr der Andere selbst, der sich hinter ihnen verbergen will. Jetzt geschieht der Einbruch in die Festung, die dieser sich gebaut hat, mit dem Satz: Nur der Gehorsame glaubt. Also, das Gespräch wird abgebrochen, und der nächste Satz des Seelsorgers heißt: „Du bist ungehorsam, du verweigerst Christus den Gehorsam, du willst ein Stück eigener Herrschaft für dich behalten. Du kannst Christus nicht hören, weil du ungehorsam bist, du kannst die Gnade nicht glauben, weil du nicht gehorchen willst. Du verstockst dich an irgendeiner Stelle deines Herzens gegen den Ruf Christi. Deine Not ist deine Sünde.“ Jetzt ist Christus selbst wieder auf dem Plan, jetzt greift er den Teufel im Anderen an, der sich bisher hinter der billigen Gnade versteckt hielt. Jetzt wird alles darauf ankommen, daß der Seelsorger die beiden Sätze bereit hat: Nur der Gehorsame glaubt, und nur der Glaubende gehorcht. Er muß im Namen Jesu zum Gehor-sam, zur Tat, zum ersten Schritt aufrufen. Verlasse, was dich bindet und folge ihm nach! In diesem Augenblick hängt alles an diesem Schritt. Die Stellung, die der Ungehorsame bezogen hatte, muß durchbrochen werden; denn in ihr konnte Christus nicht mehr gehört werden. Der Flüchtling muß heraus aus seinem Versteck, das er sich gebaut hat. Erst draußen kann er wieder frei sehen, hören, glauben. Zwar ist vor Christus nichts damit gewonnen, daß das Werk getan ist, es bleibt an sich ein totes Werk. Dennoch muß Petrus auf das schwankende Meer, damit er glauben kann.

Der Tatbestand ist also kurz der: Der Mensch hat sich durch den Satz, daß der Glaubende allein gehorsam sei, vergiftet mit der billigen Gnade. Er bleibt im Ungehorsam und tröstet sich einer Vergebung, die er sich selbst zuspricht, und verschließt sich damit dem Wort Gottes. Der Einbruch in die Festung mißlingt, solange ihm allein der Satz wiederholt wird, hinter dem er sich versteckte. Es muß die Wendung eintreten, der Andere muß zum Gehorsam gerufen werden: Nur der Gehorsame glaubt!

Wird einer damit auf den Weg der eigenen Werke verführt? Nein, vielmehr wird er darauf verwiesen, daß sein Glaube kein Glaube ist, er wird aus der Verstrickung in sich selbst befreit. Er muß in die freie Luft der Entscheidung. So wird ihm der Ruf Jesu zum Glauben und zur Nachfolge neu hörbar gemacht.

Damit stehen wir bereits mitten in der Geschichte vom reichen Jüngling. „Und siehe, einer trat zu ihm und sprach: Guter Meister, was soll ich Gutes tun, daß ich das ewige Leben möge haben? Er aber sprach zu ihm: Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der einige Gott. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote. Da sprach er zu ihm: Welche? Jesus aber sprach: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; ehre Vater und Mutter!“ und: „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf; was fehlt mir noch? Jesus sprach zu ihm: Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach! Da der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt von ihm; denn er hatte viele Güter“ (Mtt. 19,16-22).

Die Frage des Jünglings nach dem ewigen Leben ist die Frage nach dem Heil, sie ist die einzig ernste Frage schlechthin. Aber es ist nicht leicht, diese Frage recht zu stellen. Das zeigt sich daran, daß der Jüngling, der doch offenbar diese Frage meint, im Grunde schon eine ganz andere Frage stellt, ja daß er tatsäch-lich der Frage ausweicht. Er richtet nämlich seine Frage an den „guten Meister“. Er will die Meinung, den Rat, das Urteil des guten Meisters, des großen Lehrers zu dieser Frage hören. Er gibt damit zweierlei zu erkennen: Erstens, ihm ist seine Frage von größter Wichtigkeit, Jesus muß zu ihr etwas Bedeutungsvolles zu sagen haben. Zweitens aber erwartet er von dem guten Meister, dem großen Lehrer wohl eine wesentliche Äußerung, aber doch nicht eine unbedingt verbindliche göttliche Weisung. Die Frage nach dem ewigen Leben ist dem Jüngling eine Frage, über die er mit einem „guten Meister“ zu sprechen und zu diskutieren wünscht. Aber schon hier stellt sich ihm das Wort Jesu in den Weg: „Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der einige Gott.“ Die Frage hat schon sein Herz verraten. Er wollte mit einem guten Rabbi über das ewige Leben reden, jetzt bekommt er zu hören, daß er in Wahrheit mit dieser Frage nicht vor einem guten Meister, sondern vor Gott selbst steht. Er wird also keine Antwort vom Sohne Gottes empfangen, die etwas anderes wäre, als der klare Hinweis auf das Gebot des einigen Gottes. Er wird keine Antwort eines „guten Meisters“ empfangen, die zu dem offenbaren Willen Gottes noch eine eigene Meinung hinzufügte. Jesus weist auf den allein guten Gott von sich weg und bewährt sich gerade darin als der vollkommene gehorsame Sohn Gottes. Steht aber der Frager vor Gott selbst, so ist er zugleich ertappt als einer, der auf der Flucht war vor dem offenbaren Gebot Gottes, das er ja selbst kennt. Der Jüngling weiß ja die Gebote. Aber dies eben ist seine Lage, daß er sich nicht mit ihnen zufrieden-geben kann, daß er über sie hinaus will. Seine Frage ist durchschaut als die Frage einer selbsterdachten und selbsterwählten Frömmigkeit. Warum hat der Jüngling nicht genug an dem offenbaren Gebot? Warum tut er, als wüßte er nicht längst die Antwort auf seine Frage? Warum will er Gott beschuldigen, er habe ihn in dieser entscheidenden Frage des Lebens in Unwissenheit gelassen? So ist der Jüngling bereits gefangen und vor Gericht gezogen. Er wird von der unver-bindlichen Frage nach dem Heil zurückgerufen zum schlichten Gehorsam gegen die offenbaren Gebote.

Es folgt ein zweiter Fluchtversuch. Der Jüngling antwortet mit einer weiteren Frage: „Welche“? In dieser einen Frage steckt der Satan selbst. Hier war ja der einzig mögliche Ausweg für den, der sich gefangen sah. Natürlich weiß der Jüngling die Gebote; aber wer will denn aus der Fülle der Gebote wissen, welches Gebot gerade ihm, gerade jetzt gilt? Die Offenbarung des Gebotes ist vieldeutig, ist unklar, sagt der Jüngling. Er sieht nicht die Gebote, sondern er sieht wiederum nur sich selbst, seine Probleme, seine Konflikte. Vom klaren Gebot Gottes zieht er sich zurück auf die interessante unbestreitbar menschliche Situation des „ethischen Konflikts“. Nicht dies ist daran falsch, daß er diesen Konflikt kennt, sondern daß dieser Konflikt ausgespielt wird gegen die Gebote Gottes. Vielmehr sind die Gebote gerade dazu gegeben, um den ethischen Konflikt zu Ende zu bringen. Der ethische Konflikt als das ethische Urphänomen des Menschen nach dem Fall ist selbst der Widerspruch des Menschen gegen Gott. Die Schlange im Paradies legte diesen Konflikt in das Herz des ersten Menschen. „Sollte Gott gesagt haben?“ Vom klaren Gebot und vom einfältigen kindlichen Gehorsam wird der Mensch losgerissen durch den ethischen Zweifel, durch den Hinweis darauf, daß das Gebot ja noch durchaus der Auslegung und Deutung bedarf. „Sollte Gott gesagt haben?“ Der Mensch selbst soll darüber entscheiden, in der Kraft seines Wissens um Gut und Böse, in Kraft seines Gewissens, was das Gute sei. Das Gebot ist vieldeutig, Gott will, daß der Mensch es deute und auslege und sich in Freiheit entscheide.

Damit ist der Gehorsam gegen das Gebot schon verweigert. An die Stelle des einfältigen Tuns ist ein zwiefältiges Denken getreten. Der Mensch des freien Gewissens rühmt sich gegen das Kind des Gehorsams. Die Berufung auf den ethischen Konflikt ist die Aufsage des Gehorsams. Es ist der Rückzug von der Wirklichkeit Gottes auf das Mögliche des Menschen, vom Glauben auf den Zweifel. So geschieht nun das Unerwartete, daß dieselbe Frage, in der der Jüngling seinen Ungehorsam zu verhüllen sucht, ihn enthüllt als den, der er ist, nämlich als den Menschen unter der Sünde. Diese Enthüllung vollzieht sich durch die Antwort Jesu. Die offenbaren Gebote Gottes werden genannt. Indem Jesus sie nennt, bestätigt er sie aufs neue als Gottes Gebote. Abermals ist der Jüngling gestellt. Er hoffte noch einmal in die Unverbindlichkeit eines Gespräches über ewige Fragen durchbrechen zu können. Er hoffte, Jesus werde ihm eine Lösung des ethischen Konflikts bieten. Statt dessen wird nicht die Frage, sondern er selbst angepackt. Die einzige Antwort auf die Not des ethischen Konflikts ist das Gebot Gottes selbst und damit die Forderung, jetzt nicht mehr zu diskutieren, sondern endlich zu gehorchen. Nur der Teufel hat eine Lösung des ethischen Konflikts anzubieten, und die heißt: Bleibe im Fragen, so bist du frei vom Gehorchen. Jesus zielt nicht auf das Problem des Jünglings, sondern auf den Jüngling selbst. Er nimmt den von dem Jüngling so todernst genommenen ethischen Konflikt gar nicht ernst. Ernst ist ihm nur eines, nämlich daß der Jüngling endlich das Gebot hört und gehorcht. Gerade dort, wo der ethische Konflikt so ernst genommen sein will, wo er den Menschen quält und knechtet, weil er ihn nicht zur befreienden Tat des Gehorsams kommen läßt, gerade dort enthüllt sich seine ganze Gottlosigkeit, dort muß er in seiner ganzen ungöttlichen Unernsthaftigkeit als definitiver Ungehorsam offenbar werden. Ernst ist allein die gehorsame Tat, die den Konflikt beendet und zerstört, in der wir befreit sind zum Kinde Gottes. Das ist die göttliche Diagnose, die dem Jüngling gestellt wird.

Zweimal ist der Jüngling nun unter die Wahrheit des Wortes Gottes gestellt. Er kommt um das Gebot Gottes nicht mehr herum. Jawohl, das Gebot ist klar, und man muß ihm gehorchen! Aber – es genügt nicht! „Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf, was fehlt mir noch?“ Der Jüngling wird bei dieser Antwort von der Aufrichtigkeit seines Anliegens ebenso überzeugt gewesen sein, wie in allem Vorangegangenen. Eben darin liegt ja sein Trotz gegen Jesus. Er kennt das Gebot, er hat es gehalten, aber er meint, das könne nicht der ganze Wille Gottes sein, es müsse noch etwas dazukommen, etwas Außerordentliches, Einzigartiges. Das will er tun. Das offenbare Gebot Gottes ist unvollkommen, sagt der Jüngling in seiner letzten Flucht vor dem wahren Gebot, in seinem letzten Versuch, bei sich selbst zu bleiben, selbst zu entscheiden über Gut und Böse. Das Gebot wird jetzt bejaht, aber es wird zugleich frontal angegriffen. „Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir noch?“ Markus fügt an dieser Stelle ein: „Und Jesus sah ihn an und liebte ihn“ (10,21). Jesus erkennt, wie hoffnungslos sich der Jüngling verschlossen hat gegen das lebendige Wort Gottes, wie er mit ganzem Ernst, mit seinem ganzen Wesen wütet gegen das lebendige Gebot, gegen den schlichten Gehorsam. Er will dem Jüngling helfen, er liebte ihn. Darum gibt er ihm die letzte Antwort: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach!“ – Dreierlei ist in diesen Worten an dem Jüngling zu beachten: Erstens, es ist jetzt Jesus selbst, der gebietet. Jesus, der eben noch den Jüngling von dem guten Meister an den allein guten Gott gewiesen hatte, nimmt nun selbst die Vollmacht in Anspruch, das letzte Wort und Gebot zu sagen. Der Jüngling muß erkennen, daß vor ihm der Sohn Gottes selbst steht. Es war die dem Jüngling verborgene Sohnschaft Jesu, die ihn von sich weg auf den Vater weisen ließ, womit er sich vollkommen mit seinem Vater einte. Es ist die selbe Einheit, die Jesus jetzt das Gebot des Vaters selbst sprechen läßt. Unmißverständlich klar muß das dem Jüngling werden, als er den Ruf Jesu in die Nachfolge vernimmt. Das ist die Summe aller Gebote, der Jüngling soll in der Gemeinschaft des Christus leben, Christus ist das Ziel der Gebote. Dieser Christus steht ihm jetzt gegenüber und ruft ihn. Es gibt keine Ausflucht mehr in die Unwahrheit des ethischen Konflikts Das Gebot ist eindeutig: Folge mir nach. Das zweite ist dies: Auch dieser Ruf in die Nachfolge bedarf noch einer Klärung, um unmißverständlich zu sein. Es muß dem Jüngling unmöglich gemacht werden, die Nachfolge selbst wiederum als ethisches Abenteuer, als absonder-lichen interessanten, aber gegebenenfalls doch noch revozierbaren Weg und Lebensstil mißzuverstehen. Die Nachfolge wäre auch dann noch mißverstanden, wenn der Jüngling sie als einen letzten Abschluß seines bisherigen Tuns und Fragens ansehen könnte, als eine Addition des Vorangegangenen, als Er-gänzung, Vervollständigung, Vervollkommnung des Bisherigem. Es muß darum zur unmißverständlichen Klärung eine Situation geschaffen werden, die es nicht zuläßt, daß man hinter sie wieder zurück kann, eine unrevozierbare Situation, und zugleich muß in ihr deutlich werden, daß sie keineswegs nur eine Ergänzung des Bisherigen ist. Diese erforderte Situation wird geschaffen durch die Aufforderung Jesu zur freiwilligen Armut. Sie ist die existentielle, die seel-sorgerliche Seite der Sache. Sie will dem Jüngling helfen, endlich recht zu verstehen und recht gehorsam zu sein. Sie entspringt der Liebe Jesu zu dem Jüngling. Sie ist nur das Zwischenglied zwischen dem bisherigen Weg des Jünglings und der Nachfolge. Aber sie ist – wohlgemerkt – nicht identisch mit der Nachfolge selbst, sie ist nicht einmal der erste Schritt in der Nachfolge, sondern der Gehorsam, in dem Nachfolge erst wirklich werden kann. Erst soll der Jüngling hingehen, alles verkaufen und den Armen geben, und dann kommen und nachfolgen. Das Ziel ist die Nachfolge, der Weg in diesem Falle die freiwillige Armut. Und das dritte: Jesus nimmt die Frage des Jünglings, was ihm noch fehle, auf. „Willst du vollkommen sein,...“ das könnte den Anschein erwecken, als werde hier tatsächlich von einer Hinzufügung zum Bisherigen geredet. Es ist auch eine Hinzufügung, in deren Inhalt aber bereits die Aufhebung alles Bisherigen beschlossen ist. Der Jüngling ist eben bisher nicht vollkommen; denn er hat das Gebot falsch verstanden und falsch getan. Er kann es jetzt nur recht verstehen und recht tun in der Nachfolge, aber eben auch hier nur, weil Jesus Christus ihn dazu beruft. Indem er die Frage des Jünglings aufnimmt, entwindet er sie ihm. Der Jüngling fragte nach seinem Weg zum ewigen Leben, Jesus antwortet: Ich rufe dich, das ist alles.

Der Jüngling suchte eine Antwort auf seine Frage. Die Antwort heißt: Jesus Christus. Der Jüngling wollte das Wort des guten Meisters hören, nun erkennt er, daß dieses Wort – der Mann, den er fragte, selbst ist. Der Jüngling steht vor Jesus, dem Sohne Gottes, die volle Begegnung ist da. Es gibt nur noch Ja oder Nein, Gehorsam oder Ungehorsam. Die Antwort des Jünglings ist Nein. Traurig ging der Jüngling davon, er sah sich enttäuscht, betrogen um seine Hoffnung, und er kann doch von seiner Vergangenheit nicht lassen. Er hatte viele Güter. Der Ruf in die Nachfolge bekommt auch hier keinen anderen Inhalt als Jesus Christus selbst, die Bindung an ihn, die Gemeinschaft mit ihm. Aber nicht schwärmerische Verehrung eines guten Meisters, sondern Gehorsam gegen den Sohn Gottes ist die Existenz des Nachfolgenden.

Diese Geschichte vom reichen Jüngling hat ihre genaue Entsprechung in der Rahmenerzählung zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter. „Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Wie stehet im Gesetz geschrieben? Wie liesest du? Er antwortete und sprach: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte und deinen Nächsten als dich selbst.“ Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet. Tue das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesu: Wer ist denn mein Nächster?“ (Lk. 10,25-29).

Die Frage des Schriftgelehrten ist dieselbe wie die des Jünglings. Nur ist hier von vornherein festgestellt, daß es eine versucherische Frage ist. Die Lösung steht für den Versucher schon fest. Sie soll in der Aporie des ethischen Konflikts auslaufen. Jesu Antwort gleicht der an den reichen Jüngling vollkommen. Der Fragende weiß im Grunde die Antwort auf seine Frage, aber indem er noch fragt, obwohl er schon weiß, will er sich dem Gehorsam gegen Gottes Gebot ent-ziehen. Es bleibt für ihn nur noch die Auskunft: Tue was du weißt, so wirst du leben.

So ist ihm seine erste Position abgewonnen. Es folgt, abermals wie beim Jüngling, die Flucht in den ethischen Konflikt: Wer ist denn mein Nächster? Unzählige Male ist seither dem versucherischen Schriftgelehrten diese Frage gutgläubig und unwissend nachgesprochen worden, sie erfreut sich des Ansehens einer ernsten und vernünftigen Frage eines suchenden Menschen. Aber man hat den Zusammenhang nicht recht gelesen. Die ganze Geschichte vom barmherzigen Samariter ist eine einzige Abwehr und Zerstörung dieser Frage als einer satanischen durch Jesus. Sie ist eine Frage ohne Ende, ohne Antwort. Sie entspringt den „zerrütteten Sinnen derer, die der Wahrheit beraubt sind“, „die die Seuche der Fragen und Wortkriege haben“. Aus ihr „entspringt Neid, Hader, Lästerung, böser Argwohn, Schulgezänk“ (1. Tim. 6,4f.). Es ist die Frage der Aufgeblasenen, die „immerdar lernen und können doch nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“, „die den Schein eines gottseligen Wesens haben, aber seine Kraft verleugnen sie“ (2. Tim. 3,5ff.). Sie sind untüchtig zum Glauben, sie fragen so, weil sie „ein Brandmal im Gewissen haben“ (1. Tim. 4,2), weil sie nicht gehorsam sein wollen dem Worte Gottes. Wer ist mein Nächster? Gibt es eine Antwort darauf, ob es mein leiblicher Bruder, mein Volksgenosse, mein Bruder in der Gemeinde oder mein Feind sei? Läßt sich nicht eins wie das andere mit gleichem Recht behaupten und verneinen? Ist nicht das Ende dieser Frage Zwiespalt und Ungehorsam? Ja, diese Frage ist der Aufruhr gegen Gottes Gebot selbst. Ich will ja gehorsam sein, aber Gott sagt mir nicht, wie ich es kann. Gottes Gebot ist zweideutig, es läßt mich im ewigen Konflikt. Die Frage: was soll ich tun?, war der erste Betrug. Die Antwort ist: Tue das Gebot, das du weißt. Nicht fragen sollst du, sondern tun. Die Frage: Wer ist denn mein Nächster? ist die letzte Frage der Verzweiflung oder der Selbstsicherheit, in der der Unge-horsam sich rechtfertigt. Die Antwort ist: Du selbst bist der Nächste. Gehe hin und sei gehorsam in der Tat der Liebe. Nächster zu sein, ist nicht eine Quali-fikation des Anderen, sondern ist sein Anspruch an mich, sonst nichts. In jedem Augenblick, in jeder Situation bin ich der zum Handeln, zum Gehorsam Geforderte. Es ist buchstäblich keine Zeit dafür übrig, nach einer Qualifikation des Anderen zu fragen. Ich muß handeln und muß gehorchen, ich muß dem Anderen der Nächste sein. Fragst du abermals erschreckt, ob ich denn nicht vorher wissen und bedenken müsse, wie ich zu handeln habe, – so gibt es darauf nur die Auskunft, daß ich das nicht anders wissen und bedenken kann, als indem ich eben immer schon handle, indem ich mich selbst immer schon als den Geforderten weiß. Was Gehorsam ist, lerne ich allein im Gehorchen, nicht durch Fragen. Erst im Gehorsam erkenne ich die Wahrheit. Aus dem Zwiespalt des Gewissens und der Sünde trifft uns der Ruf Jesu zur Einfalt des Gehorsams. Aber der reiche Jüngling wurde von Jesus in die Gnade der Nachfolge gerufen, der versucherische Schriftgelehrte wird zurückgestoßen ins Gebot.

- FORTSETZUNG -