Bonhoeffer: Die Verborgenheit der frommen Übung

 

Die Verborgenheit der frommen Übung.

 

„So oft ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Angesicht, auf daß sie vor den Leuten scheinen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt, und wasche dein Angesicht, auf daß du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich“ (Mt. 6,16-18).

Jesus setzt als selbstverständlich voraus, daß die Nachfolgenden die fromme Übung des Fastens halten. Zum Leben der Nachfolgenden gehört die strenge Übung in der Enthaltsamkeit. Solche Übungen haben den einzigen Zweck, den Nachfolgenden für den ihm befohlenen Weg und für das ihm befohlene Werk bereiter und freudiger zu machen. Der selbstische und träge Wille, der sich nicht zum Dienst treiben läßt, wird gezüchtigt, das Fleisch wird gedemütigt und gestraft. In der Übung der Enthaltsamkeit wird die Entfremdung meines christ-lichen Lebens von der Welt deutlich spürbar. Ein Leben, das ganz ohne asketische Übung bleibt, das sich alle Wünsche des Fleisches gönnt, so lange sie nach der justitia civilis „erlaubt“ sind, wird sich für den Dienst Christi schwer bereiten. Das satte Fleisch betet nicht gern und schickt sich nicht zum entsa-gungsvollen Dienst.

So bedarf das Leben des Jüngers der strengen äußeren Zucht. Nicht als könnte hierdurch der Wille des Fleisches erst gebrochen werden, als geschehe das tägliche Sterben des alten Menschen durch etwas anderes als durch den Glauben an Jesus. Aber eben der Glaubende, der Nachfolgende, dessen Wille gebrochen ist, der an Jesus Christus gestorben ist nach seinem alten Menschen, kennt die Rebellion und den täglichen Stolz seines Fleisches. Er kennt seine Trägheit und Zügellosigkeit und weiß, daß sie die Quelle des Hochmuts ist, der geschlagen werden muß. Das geschieht durch tägliche und außerordentliche Übung der Zucht. Es gilt vom Jünger, daß der Geist willig, aber das Fleisch schwach ist. Darum „wachet und betet“. Der Geist erkennt den Weg der Nach-folge und ist bereit, ihn zu gehen, aber das Fleisch ist zu furchtsam, der Weg ist ihm zu beschwerlich, zu unsicher, zu mühsam. So muß der Geist verstummen. Der Geist bejaht das Gebot Jesu zur unbedingten Feindesliebe, aber Fleisch und Blut sind zu stark, so daß es nicht zur Tat wird. So muß das Fleisch in täglicher und außerordentlicher Übung und Zucht erfahren, daß es kein eignes Recht hat. Hierzu hilft die tägliche, geordnete Übung des Gebets, wie auch die tägliche Betrachtung des Wortes Gottes, hierzu hilft allerlei Übung leiblicher Zucht und Enthaltsamkeit.

Der Widerstand des Fleisches gegen diese tägliche Demütigung kommt anfangs frontal, später versteckt hinter den Worten des Geistes, d. h. im Namen der evangelischen Freiheit. Wo die evangelische Freiheit vom gesetzlichen Zwang, von Selbstzermarterung und Kasteiung grundsätzlich gegen den rechten evangelischen Gebrauch von Zucht, Übung und Askese ausgespielt wird, wo Zuchtlosigkeit und Unordnung im Gebet, im Umgang mit dem Wort, im leiblichen Leben gerechtfertigt werden im Namen christlicher Freiheit, dort ist der Wider-spruch gegen das Wort Jesu offenbar. Dort weiß man nichts mehr von der Weltfremdheit des täglichen Lebens in der Nachfolge, ebensowenig aber von der Freude und nun gerade auch von der wahren Freiheit, die die rechte Übung dem Leben des Jüngers verleiht. Wo immer der Christ erkennt, daß er in seinem Dienst versagt, daß seine Bereitschaft erlahmt, daß er schuldig geworden ist an fremdem Leben, an fremder Schuld, daß seine Freude an Gott ihm ermattet, daß die Kraft zum Gebet nicht mehr da ist, dort wird er den Angriff auf sein Fleisch unternehmen, um sich durch Übung, durch Fasten und Beten (Lk. 2,37; 4,2; Mk. 9,29; 1. Kor. 7,5), zu besserem Dienst zu bereiten. Der Einwand, der Christ müsse statt zur Askese seine Zuflucht zum Glauben, zum Wort nehmen, bleibt völlig leer. Er ist unbarmherzig und ohne helfende Kraft. Was ist denn ein Leben im Glauben, wenn nicht der unendliche mannigfache Kampf des Geistes gegen das Fleisch? Wie will einer im Glauben leben, den das Gebet träge macht, dem das Schriftwort verleidet ist, dem Schlafen, Essen und Geschlechtslust immer wieder die Freude an Gott rauben? Askese ist selbstgewähltes Leiden, es ist passio activa, nicht passio passiva, und ebendarin aufs höchste gefährdet. Askese ist dauernd belauert von dem gottlosen frommen Wunsch, sich selbst Jesus Christus durch Leiden gleich zu machen. Es schlummert in ihr auch immer schon der Anspruch, an die Stelle des Leidens Christi zu treten, das Werk des Leidens Christi selbst zu vollbringen, nämlich den alten Menschen zu töten. Hier maßt sich die Askese den bitteren und letzten Ernst des Erlösungswerkes Christi an. Hier stellt sie sich mit furchtbarer Härte sichtbar zur Schau. Das freiwillige Leiden, das nur auf Grund des Leidens Christi zu besserem Dienst, zu tieferer Demütigung dienen sollte, wird hier zur grauenvollen Verzerrung des Leidens des Herrn selbst. Nun will es gesehen werden, nun ist es der unbarmherzige lebendi-ge Vorwurf für die Mitmenschen; denn es ist Heilsweg geworden. In solcher „Öffentlichkeit“ ist der Lohn wahrhaftig dahin, indem er von Menschen gesucht wird.

„Salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht“, könnte ja abermals eine Ge-legenheit zu noch verfeinertem Genuß oder Selbstruhm sein. Es wäre dann als Verstellung mißdeutet. Jesus aber sagt seinen Jüngern, daß sie in den frei-willigen Übungen der Demut ganz demütig bleiben, daß sie sie niemand als Vorwurf oder als Gesetz aufbürden, vielmehr daß sie dafür dankbar und fröhlich werden sollen, im Dienst ihres Herrn bleiben zu dürfen. Nicht das fröhliche Gesicht des Jüngers als ein christlicher Typ ist hier gemeint, sondern die rechte Verborgenheit des christlichen Tuns, die Demut, die um sich selbst nicht weiß, wie das Auge sich nicht selbst sieht, sondern nur den Anderen. Solche Ver-borgenheit wird einstmals offenbar werden, aber allein durch Gott, niemals durch sich selbst.

 

- FORTSETZUNG -