Bonhoeffer: Der Feind

 

Der Feind – das „Außerordentliche“.

 

„Ihr habt gehört, daß gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen“. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel, denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht die Zöllner auch also? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt. 5,43-48).

Hier fällt zum ersten Male in der Bergpredigt das Wort, in dem alles Gesagte zusammengefaßt ist: Liebe, und sogleich in der eindeutigen Bestimmung der Feindesliebe. Liebe zum Bruder wäre ein mißverständliches Gebot, Liebe zum Feind macht unmißverständlich deutlich, was Jesus will.

Der Feind war den Jüngern kein leerer Begriff. Sie kannten ihn wohl. Sie be-gegneten ihm täglich. Da waren die, die ihnen fluchten als Zerstörern des Glaubens und Gesetzesübertretern; da waren die, die sie haßten, weil sie alles verlassen hatten um Jesu willen, alles gering achteten um seiner Gemeinschaft willen; da waren die, von denen sie beleidigt und verhöhnt wurden um ihrer Schwäche und Demut willen; da waren die Verfolger, die in der Jüngerschar eine aufziehende revolutionäre Gefahr witterten und auf ihre Vernichtung ausgingen. Der eine Feind stand also bei den Vertretern der Volksfrömmigkeit, die den alleinigen Anspruch Jesu nicht ertragen konnten. Er war mit Macht und Ansehen gerüstet. Der andere Feind, an den jeder Jude denken mußte, war der politische Feind in Rom. Auch ihn spürte man kräftig als Bedrückung. Neben diesen beiden feindseligen Gruppen stand all die persönliche Feindschaft, die den trifft, der nicht den Weg der Mehrzahl mitgeht, tägliche Verleumdung, Schmähung und Bedrohung.

Zwar gibt es im Alten Testament nirgends einen Satz, der den Feindeshaß ge-böte. Vielmehr besteht das Gebot der Feindesliebe (2. Mose 23,4f.; Sprüche 25,21f.; 1. Mose 45,1ff.; 1. Sam. 24,7; 2. Kön. 6,22 u. ö.). Aber Jesus spricht hier von keiner natürlichen Feindschaft, sondern von der Feindschaft des Gottes-volkes gegen die Welt. Die Kriege Israels waren die einzigen „heiligen“ Kriege, die es in der Welt gab. Sie waren die Kriege Gottes gegen die Götzenwelt. Jesus verurteilt diese Feindschaft nicht, er müßte ja sonst die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk verurteilen. Vielmehr bejaht Jesus den Alten Bund. Es geht auch ihm allein um die Überwindung der Feinde, um den Sieg der Gemeinde Gottes. Aber er löst mit seinem Gebot abermals seine Jüngergemeinde aus der politischen Gestalt des Volkes Israel. Damit gibt es keine Glaubenskriege mehr, damit hat Gott die Verheißung des Sieges über den Feind in die Feindesliebe gelegt. Feindesliebe ist nicht nur dem natürlichen Menschen ein unerträglicher Anstoß. Sie geht ihm über die Kraft, und sie verstößt gegen seinen Begriff von Gut und Böse. Wichtiger ist, daß Feindesliebe auch dem Menschen unter dem Gesetz als eine Versündigung gegen das Gesetz Gottes erscheint: die Trennung vom Feinde und seine Verurteilung ist die Forderung des Gesetzes. Aber Jesus nimmt Gottes Gesetz in seine Hände und legt es aus. Überwindung des Feindes – durch Feindesliebe, das ist der Wille Gottes in seinem Gesetz.

Der Feind ist im Neuen Testament immer der, der mir feindlich ist. Mit einem, dem der Jünger Feind sein könnte, rechnet Jesus gar nicht. Dem Feind aber soll zukommen, was dem Bruder zukommt, die Liebe des Nachfolgers Jesu. Das Handeln des Jüngers soll nicht bestimmt sein durch das Handeln der Menschen, sondern durch das Handeln Jesu an ihm. Es hat darum nur eine Quelle, den Willen Jesu.

Vom Feind ist die Rede, also von dem, der Feind bleibt, ungerührt von meiner Liebe; der mir nichts vergibt, wenn ich ihm alles vergebe; der mich haßt, wenn ich ihn liebe; der mich um so mehr schmäht, je ernster ich ihm diene. „Dafür, daß ich sie liebe, sind sie wider mich; ich aber bete“ (Ps. 109,4). Aber nicht danach soll die Liebe fragen, ob sie erwidert wird, vielmehr sucht sie den, der ihrer bedarf. Wer aber ist der Liebe bedürftiger als der, der selbst ohne alle Liebe im Haß lebt? Wer ist also auch der Liebe würdiger als mein Feind? Wo wird die Liebe herr-licher gepriesen als mitten unter ihren Feinden?

Keinen Unterschied kennt diese Liebe zwischen verschiedenen Arten von Fein-den als den, daß, je feindlicher der Feind ist, desto mehr meine Liebe erfordert ist. Sei es der politische, sei es der religiöse Feind, er hat von dem Nachfolger Jesu nichts zu erwarten als ungeteilte Liebe. Keinen Zwiespalt kennt diese Liebe auch in mir selbst, zwischen mir als Privatperson und als Amtsperson. Ich kann doch in beiden nur eines sein, oder ich bin es überhaupt nicht, nämlich Nach-folger Jesu Christi. Wie diese Liebe handle, werde ich gefragt? Jesus sagt es: segnen, wohltun, beten, ohne Bedingung, ohne Ansehen der Person.

„Liebet eure Feinde“. Während in dem vorangegangenen Gebot nur von dem wehrlosen Erleiden des Bösen geredet wurde, geht Jesus hier noch weit darüber hinaus. Nicht nur duldend sollen wir das Böse und den Bösen ertragen, nicht nur Schlag nicht mit Widerschlag vergelten, sondern in herzlicher Liebe sollen wir unserem Feinde zugetan sein. Ungeheuchelt und rein sollen wir unserm Feinde dienen und helfen in allen Dingen. Kein Opfer, das der Liebende dem Geliebten darbringen würde, kann uns zu groß und zu kostbar sein für unseren Feind. Sind wir der Liebe zum Bruder unser Gut, unsere Ehre, unser Leben schuldig, so schulden wir es in gleicher Weise unserm Feind. Machen wir uns damit seines Bösen teilhaftig? Nein, denn wie sollte die Liebe, die nicht aus Schwachheit, sondern aus Kraft geboren ist, die nicht aus der Furcht, sondern aus der Wahr-heit kommt, am Haß des Anderen schuldig werden? Und wem müßte solche Liebe geschenkt werden, wenn nicht dem, dessen Herz in Haß erstickt?

„Segnet, die euch fluchen.“ Trifft uns die Verfluchung des Feindes, weil er unsere Gegenwart nicht ertragen kann, so sollen wir die Hände zum Segen erheben: Ihr, unsere Feinde, ihr Gesegneten Gottes, euer Fluch kann uns nicht verletzen, aber eure Armut möge erfüllt werden von dem Reichtum Gottes, von dem Segen dessen, gegen den ihr vergeblich anlauft. Auch wollen wir euren Fluch wohl tragen, wenn ihr nur den Segen davontragt.

„Tut wohl denen, die euch hassen.“ Nicht nur bei Worten und Gedankens soll es bleiben. Wohltun geschieht in all den Dingen des täglichen Lebens. „So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn“ (R. 12,20). Wie ein Bruder dem Bruder beisteht in der Not, ihm die Wunden verbindet, ihm die Schmerzen lindert, so tue es unsere Liebe am Feind. Wo in der Welt ist auch tiefere Not, wo sind schwerere Wunden und Schmerzen als bei unserm Feinde? Wo ist das Wohltun nötiger und seliger als bei unserm Feind? „Geben ist seliger denn nehmen.“

„Bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.“ Das ist das Äußerste. Im Gebet treten wir zum Feind, an seine Seite, wir sind mit ihm, bei ihm, für ihn vor Gott. Jesus verheißt uns nicht, daß uns der Feind, den wir lieben, den wir segnen, dem wir wohltun, nicht beleidigen und verfolgen werde. Er wird es tun. Aber auch hierin kann er uns nicht schaden und überwinden, wenn wir den letzten Schritt zu ihm tun in fürbittendem Gebet. Nun nehmen wir seine Not und Armut, seine Schuld und Verlorenheit mit auf uns, treten vor Gott für ihn ein. Wir tun stellver-tretend für ihn, was er nicht tun kann. Jede Beleidigung des Feindes wird uns nur näher mit Gott und mit unserm Feind verbinden. Jede Verfolgung kann nur dazu dienen, daß der Feind der Versöhnung mit Gott näher gebracht wird, daß die Liebe unüberwindlicher wird.

Wie wird die Liebe unüberwindlich? Darin, daß sie niemals danach fragt, was der Feind ihr antut, sondern allein danach, was Jesus getan hat. Die Feindesliebe führt den Jünger auf den Weg des Kreuzes und in die Gemeinschaft des Ge-kreuzigten. Aber je gewisser der Jünger auf diesen Weg gedrängt wird, desto gewisser bleibt seine Liebe unüberwunden, desto gewisser überwindet sie den Haß des Feindes; denn sie ist ja nicht seine eigene Liebe. Sie ist ganz allein die Liebe Jesu Christi, der für seine Feinde zum Kreuz ging und am Kreuz für sie betete. Vor dem Kreuzesweg Jesu Christi aber erkennen auch die Jünger, daß sie selbst unter den Feinden Jesu waren, die von seiner Liebe überwunden wurden. Diese Liebe macht den Jünger sehend, daß er im Feind den Bruder erkennt, daß er an ihm handelt wie an seinem Bruder. Warum? Weil er ja selbst allein aus der Liebe dessen lebt, der an ihm gehandelt hat wie an einem Bruder, der ihn als seinen Feind annahm und in seine Gemeinschaft zog wie seinen Nächsten. Darin macht die Liebe den Nachfolgenden sehend, daß sie auch den Feind eingeschlossen sieht in die Liebe Gottes, daß sie den Feind unter dem Kreuz Jesu Christi sieht. Gott fragte bei mir nicht nach Gut und Böse, weil auch mein Gutes vor ihm gottlos war. Gottes Liebe suchte den Feind, der ihrer bedarf, den er ihrer für würdig achtet. Gott preist seine Liebe am Feind. Das weiß der Nachfolgende. An dieser Liebe hat er durch Jesus teilgenommen. Denn Gott läßt seine Sonne scheinen und regnen über Gerechte und Ungerechte. Es ist aber nicht nur die irdische Sonne und der irdische Regen, die über Gute und Böse gehen, sondern es ist auch die „Sonne der Gerechtigkeit“, Jesus Christus selbst, und der Regen des göttlichen Wortes, der die Gnade des Vaters im Himmel über die Sünder offenbart. Die ungeteilte, vollkommene Liebe ist die Tat des Vaters, sie ist auch die Tat der Söhne des Vaters im Himmel, wie sie die Tat des einge-borenen Sohnes war.

„Die Gebote der Nächstenliebe und des Nichträchens werden in dem Gottes-kampf, dem wir entgegengehen, und in dem wir zum Teil schon seit Jahren stehen, besonders hervortreten, wo auf der einen Seite der Haß, auf der anderen die Liebe kämpft. Darauf hat jede Christenseele hoch not sich ernstlich zu schicken. Es kommt die Zeit heran, in welcher Jeder, welcher den lebendigen Gott bekennt, um dieses Bekenntnisses willen nicht allein ein Gegenstand des Hasses und der Wut sein wird – denn soweit sind wir so ziemlich schon jetzt gekommen –, sondern wo man ihn bloß um dieses Bekenntnisses willen aus der „menschlichen Gesellschaft“, wie man das nennt, ausschließen, von Ort zu Ort jagen, wo man leiblich über ihn herfallen, ihn mißhandeln und nach Umständen töten wird. – Es naht eine allgemeine Christenverfolgung, und das ist eigentlich der rechte Sinn aller Bewegungen und Kämpfe unserer Tage. Die auf die Vernichtung der christlichen Kirche und des christlichen Glaubens ausgehenden Gegner können mit uns nicht zusammenleben, weil sie in jedem unserer Worte und in jeder unserer Handlungen, wenn dieselben auch gar nicht gegen sie gerichtet sind, eine Verurteilung ihrer Worte und Handlungen, und gar nicht mit Unrecht, sehen und dabei wohl herausfühlen, daß wir nach ihrer Verurteilung, die sie über uns aussprechen, ganz und gar nicht fragen, weil sie sich selbst sagen müssen, daß diese Verurteilung vollkommen unmächtig und nichtig ist, daß wir also gar nicht, wie es ihnen ganz recht wäre, auf dem Fuße des gegenseitigen Haderns und Zankens mit ihnen stehen. Und wie den Kampf kämpfen? Die Zeit kommt heran, daß wir nicht mehr als Einzelne und Vereinzelte, sondern zu-sammen als Gemeinde, als Kirche, die Hände also zum Gebete erheben, daß wir in Scharen, wenn auch als verhältnismäßig kleine Scharen, unter den viel tausendmal tausend Abgefallenen laut den Herrn, der gekreuzigt und aufer-standen ist, und seine Wiederkunft bekennen und preisen. Und welches Gebet, welches Bekenntnis, welcher Lobgesang ist dies? Das ist eben ein Gebet der innigsten Liebe zu eben diesen Verlorenen, welche um uns her stehen und mit den rollenden Augen des Hasses uns anschauen, wohl gar schon die Hände zum tödlichen Streiche wider uns erhoben haben; das ist ein Gebet um Frieden für diese irregewordenen und zerrütteten, verstörten und verwüsteten Seelen, ein Gebet um dieselbe Liebe und denselben Frieden, deren wir uns freuen; ein Gebet, welches ihnen tief in die Seele dringen und an ihren Herzen reißen wird mit weit stärkeren Griffen, als sie mit der äußersten Anstrengung des Hasses an unseren Herzen zu reißen vermögen. Ja, die Kirche, welche wirklich des Herrn wartet, wirklich die Zeit mit ihren Zeichen der endlichen Scheidung begreift, muß auch aus allen Kräften der Seele, aus allen Gesamtkräften ihres heiligen Lebens sich auf dies Gebet der Liebe werfen“ (A. F. C. Vilmar 1880).

Was ist ungeteilte Liebe? Liebe, die sich nicht parteiisch denen zuwendet, die uns ihre Gegenliebe schenken. In der Liebe zu denen, die uns lieben, zu unsren Brüdern, zu unsrem Volk, zu unsren Freunden, ja auch zu unsrer christlichen Gemeinde, sind wir den Heiden und den Zöllnern gleich. Sie ist das Selbst-verständliche, Reguläre, Natürliche, aber keineswegs das Christliche. Ja, es ist wirklich „dasselbe“, was hier Heiden und Christen tun. Die Liebe zu denen, die mir durch Blut, Geschichte oder Freundschaft gehören, ist dieselbe bei Heiden und Christen. Jesus hat über diese Liebe nicht viel zu sagen. Das wissen die Menschen allein, was sie ist. Er braucht sie auch nicht erst zu entzünden, zu betonen, hervorzuheben. Die natürlichen Gegebenheiten erzwingen sich ihre Anerkennung allein, bei Heiden und bei Christen. Daß einer seine Brüder, sein Volk, seine Freunde lieben solle, braucht Jesus nicht zu sagen, es versteht sich von selbst. Aber gerade indem er das nur feststellt und kein weiteres Wort darüber verliert, sondern dem allen gegenüber einzig und allein die Liebe zum Feind gebietet, sagt er, was er Liebe nennt und was von jener Liebe zu halten sei.

Worin unterscheidet sich der Jünger vom Heiden? Worin besteht „das Christ-liche“? Hier fällt nun das Wort, auf das hin das ganze 5. Kapitel ausgerichtet ist, in dem alles Vorige zusammengefaßt ist: das Christliche ist das „Sonderliche“, das PERISSON, das Außerordentliche, das Nichtreguläre, Nichtselbstverständliche. Es ist das, was an „besserer Gerechtigkeit“ die Phari-säer „übertrifft“, über sie hinausragt, das Mehr, das Darüberhinaus. Das Natür-liche ist TO AUTO (ein und dasselbe) für Heiden und Christen, das Christliche fängt an bei dem PERISSON und stellt nun von hier aus erst das Natürliche ins rechte Licht. Wo dies Sonderliche, Außerordentliche nicht ist, da ist das Christ-liche nicht. Nicht innerhalb der natürlichen Gegebenheiten geschieht das Christliche, sondern in dem Über-sie-hinaus-treten. Das PERISSON geht niemals in dem TO AUTO auf. Das ist der große Irrtum einer falschen protestantischen Ethik, daß hier Christusliebe aufgeht in Vaterlandsliebe, in Freundschaft oder in Beruf, daß die bessere Gerechtigkeit aufgeht in der justitia civilis. So redet Jesus nicht. Das Christliche hängt am „Außerordentlichen“. Darum kann sich der Christ nicht der Welt gleichstellen, weil er auf das PERISSON bedacht sein muß.

Worin besteht das PERISSON, das Außerordentliche? Es ist die Existenz der Seliggepriesenen, der Nachfolgenden, es ist das leuchtende Licht, die Stadt auf dem Berge, es ist der Weg der Selbstverleugnung, völliger Liebe, völliger Rein-heit, völliger Wahrhaftigkeit, völliger Gewaltlosigkeit; es ist hier die ungeteilte Liebe zum Feind, die Liebe zu dem, der keinen liebt und den keiner liebt; die Liebe zum religiösen, zum politischen, zum persönlichen Feind. Es ist in all dem der Weg, der seine Erfüllung fand am Kreuze Jesu Christi. Was ist das PERISSON? Es ist die Liebe Jesu Christi selbst, die leidend und gehorsam ans Kreuz geht, es ist das Kreuz. Das Sonderliche des Christlichen ist das Kreuz, das den Christen über-die-Welt-hinaussein läßt und ihm darin den Sieg über die Welt gibt. Die passio in der Liebe des Gekreuzigten – das ist das „Außerordentliche“ an der christlichen Existenz.

Das Außerordentliche ist unzweifelhaft das Sichtbare, über dem der Vater im Himmel gepriesen wird. Es kann nicht verborgen bleiben. Die Leute müssen es sehen. Die Gemeinde der Nachfolger Jesu, die Gemeinde der besseren Ge-rechtigkeit ist sichtbare Gemeinde, herausgetreten aus den Ordnungen der Welt, sie hat alles verlassen, um das Kreuz Christi zu gewinnen.

Was tut ihr Sonderliches? Das Außerordentliche – und das ist das Anstößigste – ist ein Tun der Nachfolgenden. Es muß getan werden – wie die bessere Ge-rechtigkeit –, sichtbar getan werden! Nicht in ethischer Rigorosität, nicht in der Exzentrik christlicher Lebensformen, sondern in der Einfalt christlichen Gehor-sams gegen den Willen Jesu. Dies Tun wird sich als „Sonderliches“ darin bewähren, daß es in die passio Christi führt. Dieses Tun selbst ist fortwährendes Erleiden. In ihm wird Christus von seinem Jünger erlitten. Ist es das nicht, so ist es nicht dieses Tun, das Jesus meint. Das PERISSON ist so die Erfüllung des Gesetzes, das Halten der Gebote. In Christus dem Gekreuzigten und seiner Gemeinde wird das „Außerordentliche“ Ereignis. Hier sind die Vollkommenen, die in der ungeteilten Liebe vollkommen sind wie der Vater im Himmel. War es die ungeteilte, vollkommene Liebe des Vaters, die uns den Sohn ans Kreuz gab, so ist das Erleiden der Gemeinschaft dieses Kreuzes die Vollkommenheit der Nach-folger Jesu. Die Vollkommenen sind keine anderen als die Seliggepriesenen.

- FORTSETZUNG -