Bonhoeffer: Die Heiligen

 

Die Heiligen.

 

Die Ekklesia Christi, die Jüngergemeinde, ist der Herrschaft der Welt entrissen. Zwar lebt sie mitten in der Welt. Aber sie ist zu Einem Leib gemacht, sie ist ein eigener Herrschaftsbereich, ein Raum für sich. Sie ist die heilige Kirche (Eph. 5,27), die Gemeinde der Heiligen (1. Kor. 14,34), und ihre Glieder sind die berufenen Heiligen (Röm. 1,7), die in Jesus Christus geheiligt sind (1. Kor. 1,2), auserwählt und ausgesondert, ehe der Welt Grund gelegt wurde (Eph. 1,4). Das war das Ziel ihrer Berufung zu Jesus Christus, ja ihrer Erwählung vor der Gründung der Welt, daß sie heilig und untadelig seien (Eph. 1,4), dazu hatte Christus seinen Leib in den Tod gegeben, daß er die Seinen heilig, unbefleckt und unsträflich vor sich selbst darstellte (Kol. 1,22), das ist die Frucht der Be-freiung von der Sünde durch den Tod Christi, daß die, die einstmals ihre Glieder der Ungerechtigkeit liehen, sie nun zum Dienst der Gerechtigkeit gebrauchen, zur Heiligung (Röm. 6,19-22).

Heilig ist allein Gott. Er ist es sowohl in der völligen Absonderung von der sündi-gen Welt, wie in der Gründung seines Heiligtums mitten in der Welt. So singt Mose mit den Kindern Israel nach dem Untergang der Ägypter dem Herrn, der sein Volk aus der Knechtschaft der Welt erlöst hat, das Loblied: „Herr, wer ist Dir gleich unter den Göttern? Wer ist Dir gleich, der so mächtig, heilig, schrecklich an Ruhm und wundertätig sei? Da Du Deine Hand ausstrecktest, verschlang sie die Erde. Du hast geleitet durch Deine Barmherzigkeit Dein Volk, das Du erlöst hast und hast sie geführt durch Deine Stärke zu Deiner heiligen Wohnung … Du bringest sie hinein und pflanzest sie auf dem Berge Deines Erbteils, den Du Herr, Dir zur Wohnung gemacht hast, zu Deinem Heiligtum, Herr, das Deine Hand bereitet hat“ (Ex. 15,11ff.). Das ist Gottes Heiligkeit, daß er sich mitten in der Welt seine Wohnung, sein Heiligtum bereitet, und von diesem Heiligtum Gericht und Erlösung ausgehen läßt (Psalm 99 u. ö.). Im Heiligtum aber verbindet sich der Heilige mit seinem Volk. Das geschieht durch Versöhnung, die nirgends anders erlangt wird als im Heiligtum (Lev. 16,16ff.). Gott schließt mit seinem Volk einen Bund. Er sondert es aus, er macht es zu seinem Eigentum und verbürgt sich selbst für diesen Bund. „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott“ (Lev. 19,1), und „ich bin heilig, der Herr, der euch heiligt“ (Lev. 21,8). – Das ist der Grund, auf dem dieser Bund besteht. Alle weiteren Gesetze, die dem Volk gegeben werden, und die es halten soll in Gerechtigkeit, haben zur Voraus-setzung und zum Ziel die Heiligkeit Gottes und seiner Gemeinde.

Wie Gott selbst als der Heilige abgesondert ist vom Gemeinen, von der Sünde, so ist es auch die Gemeinde seines Heiligtums. Er hat sie selbst erwählt. Er hat sie zur Gemeinde seines Bundes gemacht. Er hat sie im Heiligtum versöhnt und gereinigt. Das Heiligtum aber ist der Tempel, und der Tempel ist der Leib Christi. So ist im Leib Christi der Wille Gottes zu einer heiligen Gemeinde erfüllt. Abge-sondert von Welt und Sünde zum Eigentum Gottes gemacht, ist der Leib Christi das Heiligtum Gottes in der Welt. Gott wohnt in ihm mit dem heiligen Geist.

Wie geht das zu? Wie schafft sich Gott aus sündigen Menschen eine Gemeinde der Heiligen, die von der Sünde vollkommen getrennt ist? Wie wendet Gott die Anklage der Ungerechtigkeit von sich, wenn er sich mit Sündern verbindet? Wie kann der Sünder gerecht sein, und doch Gott gerecht bleiben?

Gott rechtfertigt sich selbst, er führt den Beweis für seine Gerechtigkeit. Im Kreuz Jesu Christi geschieht das Wunder der Selbstrechtfertigung Gottes vor sich selbst und vor den Menschen (Röm. 3,21ff.). Der Sünder soll von der Sünde getrennt werden und doch vor Gott leben. Trennung von der Sünde aber gibt es für den Sünder nur durch den Tod. So sehr ist sein Leben Sünde, daß er sterben muß, soll er von der Sünde frei sein. Nur darin kann Gott gerecht sein, daß er den Sünder tötet. Aber dennoch soll ja der Sünder leben und vor Gott heilig sein? Wie wird das möglich? Gott selbst wird Mensch, er selbst nimmt unser Fleisch an in Jesus Christus, seinem Sohn, er trägt in seinem Leib unser Fleisch in den Tod am Kreuz. Gott tötet seinen Sohn, der unser Fleisch trägt, und mit seinem Sohn tötet er alles, was Fleisch ist auf Erden. Nun ist es offenbar, daß niemand gut ist denn der einige Gott, daß keiner gerecht ist, als Gott allein. Nun hat Gott den furchtbaren Beweis seiner eigenen Gerechtigkeit geführt (ENDEIXIS TES DIKAIOSYNES AUTOU Röm. 3,26) durch den Tod seines Sohnes. Gott mußte die ganze Menschheit in den Tod geben im Zornesgericht am Kreuz, damit Er allein gerecht sei. Gottes Gerechtigkeit ist offenbar im Tode Jesu Christi. Der Tod Jesu Christi ist der Ort, an dem Gott den gnädigen Beweis seiner Gerechtigkeit geführt, an dem von nun an allein Gottes Gerechtigkeit wohnt. Wer an diesem Tod teil bekommen könnte, bekäme damit auch teil an der Gerechtigkeit Gottes. Nun aber hat Christus unser Fleisch angenommen und an seinem Leib unsere Sünde ans Holz getragen (1. Petr. 2,24). Was an ihm geschah, geschah an uns allen. Er nahm teil an unserem Leben und Sterben, so gewannen wir teil an seinem Leben und Sterben. Mußte Gottes Gerechtigkeit sich in Christi Tod erweisen, so sind wir mit ihm dort, wo Gottes Gerechtigkeit wohnt, an seinem Kreuz, denn er trug unser Fleisch. So gewinnen wir als die Getöteten teil an der Gerechtigkeit Gottes in Jesu Tod. Gottes eigene Gerechtigkeit, die uns Sünder tötet, ist im Tode Jesu seine Gerechtigkeit für uns. Indem im Tode Jesu Gottes Gerechtigkeit hergestellt ist, ist auch für uns, die wir im Tode Jesu einge-schlossen sind, Gottes Gerechtigkeit hergestellt. Gott erweist seine Gerechtigkeit „auf daß er allein gerecht sei und rechtfertige den, der aus dem Glauben an Jesus ist“ (Röm. 3,26). Darin also besteht die Rechtfertigung des Sünders, daß Gott allein gerecht ist und er ganz und gar ungerecht, nicht daß er neben Gott auch noch gerecht sei. Jeder Wille, selbst auch gerecht zu sein, trennt uns ganz und gar von der Rechtfertigung durch die alleinige Rechtfertigung Gottes. Gott allein ist gerecht. Das wird im Kreuz erkannt als Urteil, das über uns als Sünder ergangen ist. Wer sich aber im Glauben im Tode Jesu im Kreuz findet, der empfängt dort, wo er als der Sünder zum Tode verurteilt ist, die Gerechtigkeit Gottes, die am Kreuz triumphiert. Der erfährt gerade als der, der niemals selbst gerecht sein kann und will, sondern der Gott ganz allein gerecht sein läßt, seine Rechtfertigung. Denn nicht anders kann der Mensch vor Gott recht fertig gemacht sein, als in der Erkenntnis, daß Gott allein gerecht und er, der Mensch, ganz und gar Sünder sei. Die Frage, wie wir Sünder vor Gott gerecht sein können, ist im Grunde die Frage, wie Gott gegen uns allein gerecht sei. Unsere Rechtfertigung hat ihren Grund allein in der Rechtfertigung Gottes, „auf daß du (Gott) gerecht-fertigt werdest in deinen Worten und den Sieg davon trägst, wenn du gerichtet wirst“ (Röm. 3,4).

Um den Sieg Gottes über unsere Ungerechtigkeit geht es allein, darum, daß Gott gerecht bleibe vor sich selbst, darum, daß er allein gerecht sei. Dieser Sieg Gottes ist im Kreuz errungen. Darum ist dieses Kreuz nicht nur Gericht, sondern Versöhnung (HILASTERION V. 25) für alle, die glauben, daß im Tode Jesu Gott allein gerecht sei, und die ihre Sünde erkennen. Gottes Gerechtigkeit schafft selbst die Versöhnung (PROETHETO V. 25). „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich selbst“ (2. Kor. 5,19ff.). „Er rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu“ – er trug sie selbst und ertrug dafür den Tod des Sünders. „Er hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ Dieses Wort will Glauben finden, Glauben, daß Gott allein gerecht sei und in Jesus unsere Gerechtigkeit geworden sei. Aber zwischen Christi Tod und der Botschaft vom Kreuz liegt seine Aufer-stehung. Nur als der Auferstandene ist er der, dessen Kreuz an uns Macht hat. Die Botschaft vom Gekreuzigten ist immer schon die Botschaft von dem, der nicht im Tode blieb. „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott vermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Seid versöhnt mit Gott“. Die Botschaft von der Versöhnung ist Christi eigenes Wort. Er ist der Aufer-standene, der sich uns bezeugt als der Gekreuzigte im Wort des Apostels: findet euch selbst wieder im Tode Jesu Christi in der Gerechtigkeit Gottes, die uns dort geschenkt ist. Wer sich in Jesu Tod finden wird, findet sich in Gottes alleiniger Gerechtigkeit. „Denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden die Gerechtigkeit Gottes in ihm“. Der Unschuldige wird getötet, weil er unser sündiges Fleisch trägt, er ist von Gott und der Welt gehaßt und verflucht, zur Sünde gemacht um unseres Fleisches willen. Wir aber finden in seinem Tode Gottes Gerechtigkeit. Wir sind in ihm in der Kraft seiner Menschwerdung. So starb er für uns, damit wir, die wir Sünder sind, in ihm Gottes Gerechtigkeit würden als die Sünder, die durch Gottes alleinige Gerechtig-keit von der Sünde losgesprochen sind. Ist Christus vor Gott unsere Sünde, die verurteilt werden muß, so sind wir in ihm die Gerechtigkeit, nun aber gewiß nicht unsere eigene Gerechtigkeit (IDIA DIKAIOSYNE Röm. 10,3; Phil. 3,9), sondern eben in ganz strengem Sinn allein Gottes Gerechtigkeit. Das also ist Gottes Gerechtigkeit, daß wir als Sünder seine Gerechtigkeit werden, und das ist unsere, d. h. Seine Gerechtigkeit (Jes. 54,7), daß Gott allein gerecht ist und wir von ihm angenommene Sünder. Gottes Gerechtigkeit ist Christus selbst (1. Kor. 1,30). Christus aber ist „Gott mit uns“, „Immanuel“ (Jes. 7,14), Gott unsere Ge-rechtigkeit (Jer. 33,16).

Die Verkündigung des Todes Christi für uns ist die Rechtfertigungspredigt. Die Eingliederung in den Leib Christi, d. h. in seinen Tod und seine Auferstehung ist die Taufe. Einmal ist Christus gestorben, so wird auch uns Taufe und Rechtferti-gung ein für allemal zuteil. Sie sind in strengstem Sinne unwiederholbar. Wiederholbar ist nur die Erinnerung an das, was an uns ein für allemal ge-schehen ist, und nicht nur wiederholbar, sondern der täglichen Wiederholung bedürftig. Dennoch bleibt die Erinnerung etwas Anderes als die Sache selbst. Wer die Sache selbst verliert, für den gibt es keine Wiederholung. Hier behält der Hebräerbrief recht (6,5f. und 10,26f.). Wo das Salz dumm wird, womit soll man salzen? Für die Getauften heißt es: Wisset ihr nicht…? (Röm. 6,3; 1. Kor. 3,16 und 6,19) und: Haltet euch dafür, daß ihr der Sünde abgestorben seid und lebet Gott in Christo Jesu (Röm. 6,11). Es ist alles geschehen, nicht nur am Kreuz Jesu, sondern auch an euch. Ihr seid von der Sünde getrennt, ihr seid gestorben, ihr seid gerechtfertigt. Damit hat Gott sein Werk vollbracht. Er hat sein Heiligtum auf Erden gegründet durch Gerechtigkeit. Dies Heiligtum heißt Christus, Leib Christi. Die Trennung von der Sünde ist vollzogen durch den Tod des Sünders in Jesus Christus. Gott hat eine von der Sünde gerechtfertigte Gemeinde. Das ist die Gemeinde der Jünger Jesu, die Gemeinde der Heiligen. Sie sind aufge-nommen in sein Heiligtum, sie selbst sind sein Heiligtum, sein Tempel. Sie sind aus der Welt herausgenommen und leben in einem neuen eigenen Raum mitten in der Welt. Von nun an heißen die Christen im Neuen Testament nur noch „die Heiligen“. Der andere Name, der sich denken ließe, nämlich „Gerechte“, findet keinen Eingang. Er vermag nicht in derselben Weise den ganzen Umfang der empfangenen Gabe zu beschreiben. Er ist bezogen auf das einmalige Ereignis der Taufe und Rechtfertigung. Zwar ist das Gedächtnis dieses Ereignisses ein täglich zu wiederholendes. Zwar bleiben die Heiligen die gerechtfertigten Sünder. Aber mit der einmaligen Gabe der Taufe und Rechtfertigung, der täglichen Erinnerung an sie ist uns zugleich im Tode Christi die Gabe der Bewahrung des Lebens der Gerechtfertigten bis an den jüngsten Tag verbürgt. Das Leben in dieser Bewahrung aber ist die Heiligung. Beide Gaben haben denselben Grund, nämlich Jesus Christus den Gekreuzigten (1. Kor. 1,2 und 6,11). Beide Gaben haben Einen Inhalt, nämlich die Gemeinschaft mit Christus. Beide Gaben gehören unlöslich zueinander. Aber sie sind eben darum auch nicht ein und dasselbe. Während die Rechtfertigung dem Christen Gottes geschehene Tat zuspricht, verheißt ihm die Heiligung Gottes gegenwärtiges und zukünftiges Handeln. Während der Glaubende in der Rechtfertigung durch den einmaligen Tod in die Gemeinschaft Jesu Christi versetzt wird, bewahrt ihn die Heiligung in dem Raum, in den er versetzt wurde, in Christo in der Gemeinde. Während bei der Rechtfertigung die Stellung des Menschen zum Gesetz im Vordergrund steht, ist bei der Heiligung die Absonderung von der Welt bis auf die Zukunft Christi entscheidend. Während die Rechtfertigung den einzelnen der Gemeinde eingliedert, bewahrt die Heiligung die Gemeinde mit allen einzelnen. Die Rechtfertigung entreißt den Glaubenden seiner sündigen Vergangenheit, die Heiligung läßt ihn bei Christus bleiben, in seinem Glauben stehen, in der Liebe wachsen. Es mag erlaubt sein, Rechtfertigung und Heiligung in dem Verhältnis von Schöpfung und Erhaltung zu denken. Rechtfertigung ist die Neuschöpfung des neuen Menschen, Heiligung seine Erhaltung und Bewährung bis auf den Tag Jesu Christi.

In der Heiligung erfüllt sich Gottes Wille: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“ und „ich bin heilig, der Herr, der euch heiligt“. Diese Erfüllung vollbringt Gott, der Heilige Geist. In ihm vollendet sich Gottes Werk am Menschen. Er ist das „Siegel“, mit dem die Gläubigen zu Gottes Eigentum versiegelt werden bis auf den Tag der Erlösung. Wie sie vorher gefangen gehalten wurden unter dem Gesetz als in einem verschlossenen Gefängnis (Gal. 3,23), so sind die Gläubigen nun „in Christo“ abgeschlossen, versiegelt mit Gottes Siegel, dem Heiligen Geist. Niemand darf dies Siegel brechen. Gott selbst hat verschlossen und hält den Schlüssel in der Hand. Das bedeutet, daß Gott nun vollkommen Besitz ergriffen hat von denen, die er in Christo gewonnen hat. Der Kreis ist geschlossen. Im heiligen Geist ist der Mensch Gottes Eigentum geworden. Von der Welt abge-schlossen durch ein unzerbrechliches Siegel, wartet die Gemeinde der Heiligen der letzten Errettung. Wie ein versiegelter Zug im fremden Lande, so geht die Gemeinde durch die Welt. Wie die Arche Noah „inwendig und auswendig mit Pech verpicht“ werden mußte (Gen. 6,14), um durch die Flut gerettet zu werden, so gleicht der Weg der versiegelten Gemeinde der Fahrt der Arche durch die Wasserflut. Ziel der Verschließung ist die Erlösung, die Errettung, das Heil (Eph. 4,30; 1,14; 1. Thess. 5,23; 1. Pet. 1,5 u. ö.) bei der Wiederkunft Christi. Das Pfand aber, das die Versiegelten ihres Ziels gewiß macht, ist eben der Heilige Geist selbst. „Auf daß wir etwas seien zu Lob seiner Herrlichkeit, die wir zuvor auf Christum hofften; durch welchen auch ihr gehört habt das Wort der Wahrheit, das Evangelium von eurer Seligkeit; durch welchen ihr auch, da ihr gläubig wurdet, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung, welcher ist das Pfand unsers Erbes zu unsrer Erlösung, daß wir sein Eigentum würden zu Lob seiner Herrlichkeit“ (Eph. 1,12-14).

Das ist Heiligung der Gemeinde, daß sie durch Gott abgesondert ist vom Un-heiligen, von der Sünde. Das ist ihre Heiligung, daß sie in dieser Versiegelung Gottes erwähltes Eigentum geworden ist, die Wohnung Gottes auf Erden, der Ort von dem Gericht und Versöhnung ausgeht an alle Welt. Das ist Heiligung, daß die Christen nunmehr ganz und gar gerichtet und bewahrt werden auf die Zukunft Christi und ihr entgegen gehen. Das bedeutet für die Gemeinde der Heiligen ein Dreifaches: Ihre Heiligung wird sich bewähren in der klaren Absonderung von der Welt. Ihre Heiligung wird sich in einem Wandel bewähren, der des Heiligtums Gottes würdig ist. Ihre Heiligung wird verborgen sein im Warten auf den Tag Jesu Christi.

Heiligung gibt es darum – das ist das erste – nur in der sichtbaren Gemeinde. Die Sichtbarkeit der Gemeinde ist ein entscheidendes Merkmal der Heiligung. Der Anspruch der Gemeinde auf Raum in der Welt und die damit gegebene Abgren-zung vom Raum der Welt bezeugt, daß die Gemeinde im Stand der Heiligung ist. Das Siegel des heiligen Geistes versiegelt ja die Gemeinde gegen die Welt. In der Kraft dieses Siegels muß die Gemeinde Gottes Anspruch auf die ganze Welt geltend machen, muß sie zugleich einen bestimmten Raum in der Welt für sich beanspruchen und damit die Grenzen zwischen sich und der Welt klar ziehen. Weil die Gemeinde die von Gott selbst auf dieser Erde gegründete Stadt auf dem Berge – Polis (Matth. 5,14) – ist, weil sie als solche Gottes versiegeltes Eigentum ist, darum gehört ihr „politischer“ Charakter unabdingbar zu ihrer Heiligung. Ihre „politische Ethik“ hat ihren einzigen Grund in ihrer Heiligung, daß Welt Welt sei und Gemeinde Gemeinde, und daß doch das Wort Gottes von der Gemeinde ausgehe über alle Welt als die Botschaft davon, daß die Erde und was darinnen ist, des Herrn ist; das ist der „politische“ Charakter der Gemeinde. Eine persön-liche Heiligung, die an dieser öffentlichen sichtbaren Abgrenzung der Gemeinde von der Welt vorübergehen will, verwechselt die frommen Wünsche des religiösen Fleisches mit der im Tode Christi erwirkten Heiligung der Gemeinde durch das Siegel Gottes. Es ist der trügerische Hochmut und die falsche geist-liche Sucht des alten Menschen, der heilig sein will außerhalb der sichtbaren Gemeinde der Brüder. Es ist die Verachtung des Leibes Christi als der sichtbaren Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder, die sich hinter der Demut dieser Innerlichkeit versteckt. Verachtung des Leibes Christi, denn es hat Christus gefallen, sichtbar mein Fleisch anzunehmen und ans Kreuz zu tragen; Verach-tung der Gemeinschaft, denn ich will für mich heilig sein ohne die Brüder; Verachtung der Sünder, denn ich entziehe mich der sündigen Gestalt meiner Kirche in selbstgewählter Heiligkeit. Heiligung außerhalb der sichtbaren Ge-meinde ist Selbstheiligsprechung.

Heiligung durch das Siegel des Heiligen Geistes stellt die Kirche immer in den Kampf. Es ist im Grunde der Kampf um dieses Siegel, daß es nicht gebrochen werde, weder von außen noch von innen, daß nicht die Welt Kirche noch die Kirche Welt sein wolle. Der Kampf der Kirche um den Raum, der dem Leib Christi auf Erden gegeben ist, ist ihre Heiligung. Absonderung der Welt von der Kirche und der Kirche von der Welt ist der heilige Kampf der Kirche um das Heiligtum Gottes auf Erden.

Heiligtum gibt es nur in der sichtbaren Gemeinde. Aber – das ist das zweite – gerade in der Absonderung von der Welt lebt die Gemeinde im Heiligtum Gottes, und in der Gemeinde lebt auch noch ein Stück Welt in diesem Heiligtum. Darum heißt es für die Heiligen, ihrem Beruf und des Evangeliums würdig zu wandeln in allen Stücken (Eph. 4,1; Phil. 1,27; Kol. 1,10; 1. Thess. 2,12); würdig aber werden sie allein darin sein, daß sie sich des Evangeliums täglich erinnern, von dem sie leben. „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerechtfertigt“ (1. Kor. 6,11). Aus dieser Erinnerung täglich zu leben ist ihre Heiligung. Das ist ja die Botschaft, deren sie würdig sein sollen, daß die Welt und das Fleisch tot sind, daß sie gekreuzigt und gestorben sind mit Christus am Kreuz und durch die Taufe, daß die Sünde nicht mehr herrschen kann, weil ihre Königsgewalt schon gebrochen ist, daß es darum gar nicht mehr möglich ist, daß der Christ sündigt. „Wer aus Gott geboren ist, der sündigt nicht“ (1. Joh. 3,9).

Der Bruch ist vollzogen. Der „vorige“ Wandel (Eph. 4,22) ist zu Ende gebracht. „Ihr wart weiland Finsternis, nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn“ (Eph. 5,8). Vorher vollbrachten sie die schändlichen und „unfruchtbaren Werke des Flei-sches“, jetzt wirkt der Geist die Frucht der Heiligung.

So dürfen die Christen nicht mehr „Sünder“ genannt werden, sofern darunter solche verstanden sind, die unter der Gewalt der Sünde leben (HAMARTOLOI vergl. als einzige Ausnahme und Selbstaussage 1. Tim. 1,15), vielmehr, einst waren sie Sünder, Gottlose, Feinde (Rö. 5,8 u. 19; Gal. 2,15 u. 17), nun aber sind sie die Heiligen um Christi willen. Als Heilige werden sie erinnert und ermahnt zu sein, was sie sind. Nicht das Unmögliche wird gefordert, daß die, die Sünder sind, heilig seien, – das wäre der völlige Rückfall in die Werkerei und Lästerung Christi –, sondern die Heiligen sollen heilig sein; denn sie sind geheiligt in Christus Jesus durch den Heiligen Geist. Von einem furchtbar schwarzen Hinter-grund hebt sich das Leben der Heiligen ab. Die finstern Werke des Fleisches werden durch das helle Licht des Lebens im Geist ganz aufgedeckt: „Ehebruch, Hurerei, Uneinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen“ (Gal. 5,19). Dies alles hat in der Gemeinde Christi keinen Raum mehr. Es ist abgetan und am Kreuz gerichtet und zu Ende gebracht. Es ist den Christen von Anfang an gesagt, daß „die solches tun, das Reich Gottes nicht ererben werden“ (Gal. 5,21; Eph. 5,5; 1. Kor. 6,9; Röm. 1,32). Diese Sünden trennen vom ewigen Heil. Wird aber eines dieser Laster in der Gemeinde dennoch offenbar, so muß das den Ausschluß aus der Gemeinschaft der Gemeinde nach sich ziehen (1. Kor. 5,1ff.). 

Es ist auffallend, daß in den sogenannten Lasterkatalogen eine weitgehende Gemeinsamkeit in der Aufzählung der Sünden begegnet. Fast ausnahmslos steht an erster Stelle die Sünde der Hurerei (PORNEIA), die mit dem neuen Leben des Christen unvereinbar ist. Meist folgt dann die Sünde der Habgier (PLEONEXIA 1. Kor. 5,10; 6,10; Eph. 4,19; 5,3.5; Kol. 3,5; 1. Thess. 4,4ff.), die mit der vorigen zusammengefaßt werden kann als „Unreinigkeit“ und „Abgötterei“ (1. Kor. 5,10; 6,9; Gal. 5,3 u. 19; Kol. 3,5 u. 8). Es folgen dann die Sünden gegen die Bruder-liebe, schließlich die Sünde der Schwelgerei (Anm.: Als Ursprung dieser Laster-kataloge mag das Wort des Herrn Mark. 7,21f. anzusehen sein). Es ist gewiß nicht zufällig, daß in der Reihe der Sünden die Sünde der Hurerei am Anfang steht. Der Grund hierfür liegt nicht in besonderen Zeitverhältnissen, sondern in der besonderen Art dieser Sünde. In ihr lebt die Sünde Adams wieder auf, selbst wie Gott sein zu wollen, Schöpfer des Lebens sein zu wollen, herrschen und nicht dienen zu wollen. In ihr greift der Mensch über die ihm von Gott gesetzten Grenzen hinaus und vergreift sich an Gottes Geschöpfen. Es war die Sünde Israels, daß es immer wieder die Treue seines Herrn verleugnete und „mit den Abgöttern Hurerei“ trieb (1. Kor. 10,7), sich an sie hängte. Hurerei ist zuerst Sünde gegen Gott den Schöpfer. Es ist für den Christen aber in besonderer Weise Sünde gegen den Leib Christi selbst; denn der Leib des Christen ist ein Glied Christi. Er gehört allein Christus zu. Die leibliche Vereinigung mit der Hure aber hebt die geistliche Gemeinschaft mit Christus auf. Wer Christus seinen Leib raubt und ihn der Sünde leiht, der hat sich von ihm getrennt. Die Hurerei ist Sünde am eigenen Leib. Der Christ aber soll wissen, daß auch sein Leib Tempel des Heiligen Geistes ist, der in ihm wohnt (1. Kor. 6,13ff.). So eng ist die Gemein-schaft des Leibes des Christen mit Christus, daß er auch mit seinem Leib nicht zugleich der Welt gehören kann. Die Gemeinschaft des Leibes Christi verbietet die Sünde gegen den eigenen Leib. Den Hurer muß der Zorn Gottes treffen (Röm. 1,29; 1. Kor. 1,5f.; 7,2; 10,7; 2. Kor. 12,21; Hebr. 12,16; 13,4). Der Christ ist keusch, er gibt seinen Leib ganz in den Dienst des Leibes Christi. Er weiß, daß mit dem Leiden und Sterben des Leibes Christi am Kreuz auch sein Leib getroffen und dem Tode anheim gegeben ist. Die Gemeinschaft mit dem gemarterten und verklärten Leibe Christi befreit den Christen von der Zuchtlosig-keit des leiblichen Lebens. Die wilden leiblichen Begierden sterben täglich in dieser Gemeinschaft. In Zucht und Enthaltsamkeit dient der Christ mit seinem Leib allein der Auferbauung des Leibes Christi, der Gemeinde. Er tut das auch in der Ehe und macht sie dadurch selbst zu einem Stück des Leibes Christi.

Mit der Hurerei ist die Habgier verbunden. Die Unersättlichkeit des Begehrens ist beiden gemeinsam und läßt auch den Habgierigen der Welt verfallen. Du sollst nicht begehren, sagt Gottes Gebot. Der Hurer und der Habgierige sind nichts als Begierde. Der Hurer begehrt den Besitz eines andern Menschen. Der Habgierige begehrt den Besitz der Güter der Welt. Der Habgierige will Herrschaft und Macht, aber er wird zum Knecht der Welt, an die er sein Herz gehängt hat. Hurerei und Habgier bringen den Menschen mit der Welt in eine Berührung, die ihn befleckt und unrein macht. Hurerei und Habgier sind Abgötterei, weil hier des Menschen Herz nicht mehr Gott und Christus zugehört, sondern den begehrten Gütern der eigenen Welt. Wer sich aber seinen Gott und seine Welt selbst schafft, wem seine eigene Sucht zum Gott wird, der muß den Bruder hassen, der ihm im Wege steht und seinen Willen hindert. Streit, Haß, Neid, Mord gehen alle aus der Quelle der eigenen Begierde hervor. „Woher kommt Streit und Krieg unter euch? Kommt’s nicht daher, aus euren Wollüsten, die da streiten in euren Gliedern?“ (Jak. 1,4f.). Der Hurer und der Habgierige kann keine Bruderliebe kennen. Er lebt aus der Finsternis seines eigenen Herzens. Indem er sich am Leibe Christi ver-sündigt, versündigt er sich an seinem Bruder. Hurerei und Bruderliebe schließen sich aus um des Leibes Christi willen. Der Leib, den ich der Gemeinschaft des Leibes Christi entziehe, kann auch dem Nächsten nicht dienen. Wiederum muß der Nichtachtung des eigenen Leibes und des Bruders die freche, gottlose Schwelgerei in Fressen und Saufen folgen. Wer seinen Leib verachtet, der verfällt seinem Fleisch und „sein Bauch wird ihm sein Gott sein“ (Röm. 16,18). Die Häßlichkeit dieser Sünde besteht darin, daß sich hier das tote Fleisch selbst pflegen will und so den Menschen auch in seiner äußeren Gestalt schändet. Der Schwelger hat am Leibe Christi keinen Teil.

Die Welt dieser Laster ist für die Gemeinde Vergangenheit. Von denen, die in solchen Lastern leben, hat sich die Gemeinde getrennt und soll sie sich immer wieder trennen (1. Kor. 5,9ff.); denn „was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis“ (2. Kor. 6,14ff.)? Dort sind „die Werke des Fleisches“, hier ist „die Frucht des Geistes“ (Gal. 5,19ff.; Eph. 5,9).

Was heißt Frucht? Es sind viele „Werke“ des Fleisches, aber es ist nur eine „Frucht“ des Geistes. Werke werden gewirkt von Menschenhand, die Frucht treibt und wächst, ohne daß der Baum es weiß. Werke sind tot, die Frucht lebt und ist Träger von Samen, der neue Frucht hervorbringt. Werke können für sich da sein, die Frucht ist niemals ohne den Baum. Frucht ist immer das ganz Wunderbare, Gewirkte, sie ist nicht ein Gewolltes, sondern ein Gewachsenes. Die Frucht des Geistes ist von Gott allein gewirkte Gabe. Wer sie trägt, weiß von ihr so wenig, wie der Baum von seiner Frucht. Er weiß allein von der Kraft dessen, aus dem er lebt. Es gibt hier keinen Ruhm, sondern allein die immer innigere Vereinigung mit dem Ursprung, mit Christus. Die Heiligen wissen selbst nicht um die Frucht der Heiligung, die sie bringen. Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut. Wollten sie hier etwas wissen, wollten sie hier in Selbstbetrachtung fallen, dann hätten sie sich schon von der Wurzel losgerissen und die Zeit ihres Fruchttragens wäre dahin. „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit“ (Gal. 5,22). Neben der Heiligkeit der Gemeinde tritt hier die Heiligung des Einzelnen ins hellste Licht. Aber die Quelle ist ein- und dieselbe, die Gemeinschaft mit Christus, die Gemeinschaft am selben Leibe. Wie die Absonderung von der Welt nur im fortwährenden Kampf sichtbar vollzogen wird, so besteht auch die persönliche Heiligung im Kampf des Geistes gegen das Fleisch. Die Heiligen sehen nur Streit, Not, Schwachheit und Sünde in ihrem eigenen Leben; und je reifer sie in der Heiligung stehen, desto mehr erkennen sie sich als die Unterliegenden, als die Sterbenden nach dem Fleisch. „Welche Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden“ (Gal. 5,24). Noch leben sie im Fleisch, aber eben darum muß ihr ganzes Leben ein Glaube an den Sohn Gottes sein, der in ihnen Sein Leben angefangen hat (Gal. 2,20). Der Christ stirbt täglich (1. Kor. 15,31), aber ob sein Fleisch darunter leidet und zugrunde geht, so wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert (2. Kor. 4,6). Das Sterben der Heiligen nach ihrem Fleisch hat seinen einzigen Grund darin, daß Christus durch den Heiligen Geist sein Leben in ihnen angefangen hat. Die Heiligen sterben an Christus und seinem Leben. Nun brauchen sie keine eigenen selbstgewählten Leiden mehr zu suchen, wodurch sie sich nur abermals in ihrem Fleisch behaupten würden. Christus ist ihr täglicher Tod und ihr tägliches Leben.

Darum gilt aber für sie in vollem Maße der Jubel, daß der von Gott Geborene nicht mehr sündigen kann, daß die Sünde über sie nicht mehr herrscht, daß sie der Sünde gestorben sind und im Geiste leben (Anm.: „Ich lebe aber, spricht der Gläubige. Ich lebe vor dem Angesicht Gottes, ich lebe vor seinem Richterstuhl in seiner Gnade; ich lebe in seiner Huld, in seinem Licht, in seiner Liebe; ich bin vollkommen erlöst von allen meinen Sünden; es steht in dem Schuldbuch nichts mehr offen oder unbezahlt. Das Gesetz fordert nichts mehr von mir, es treibt mich nicht mehr, es verdammt mich nicht mehr. Ich bin gerecht vor meinem Gott, wie er gerecht ist; heilig und vollkommen, wie mein Gott heilig ist, wie mein Vater im Himmel vollkommen ist. Das ganze Wohlgefallen Gottes umfaßt mich; es ist mein Grund, worauf ich stehe, mein Obdach, darunter ich geborgen bin. Die ganze Seligkeit Gottes, alle seine Ruhe hebt und trägt mich; darin atme ich auf und befinde mich darin ewig wohl. Sünde habe ich nicht mehr und tue ich nicht mehr; ich weiß mit gutem Gewissen, daß ich in Gottes Wegen bin und seinen Willen tue, daß ich ganz nach seinem Willen bin, – ich gehe oder stehe, ich sitze oder liege, ich wache oder schlafe. Auch was ich denke oder rede, ist nach seinem Willen. Wo ich mich befinde, es sei draußen oder daheim, es ist nach seinem gnädigen Willen. Ich bin ihm angenehm, es sei, daß ich wirke oder ruhe. Meine Schuld ist auf ewig ausgetilgt, und neue Schulden, die nicht sollten ausgetilgt sein, kann ich nicht mehr machen. Ich bin wohlverwahrt in seiner Gnade und kann nicht mehr sündigen. Kein Tod kann mich mehr töten, ich lebe ewig, wie alle Engel Gottes. Auf mich zürnen oder mich schelten wird mein Gott nicht mehr; ich bin für immer erlöst von dem zukünftigen Zorn. Der Arge wird mich nicht mehr antasten, die Welt bekommt mich nie mehr in ihre Stricke. Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? So Gott für uns ist, wer mag wider uns sein?“ Kohlbrügge). „So ist nichts Verdammliches in denen, die in Christus Jesus sind“ (Röm. 8,1). Gott hat Gefallen an seinen Heiligen; denn er selbst ist es, der ihren Kampf und ihr Sterben wirkt, und eben darin die Frucht der Heiligung treiben läßt, von der die Heiligen ganz gewiß sein sollten, daß sie da ist, auch wenn sie ihnen tief verborgen bleibt. Freilich, es ist nicht so, daß nun weiterhin Hurerei, Geiz, Mord, Bruderhaß in der Gemeinde herrschen kann unter der Botschaft von der Verge-bung. Es ist auch nicht so, daß die Frucht der Heiligung unsichtbar bleiben kann. Aber gerade dort, wo sie weithin sichtbar wird, wo die Welt im Anblick der christlichen Gemeinde sprechen muß, wie in den ersten Tagen der Christenheit: „Sehet, wie lieb sie einander haben“, gerade dort werden die Heiligen ganz allein und unentwegt auf den sehen, dem sie angehören, werden sie unwissend um ihr Gutes Vergebung erbitten für ihre Sünden. Dieselben Christen, die es sich zu eigen machen, daß die Sünde nicht mehr herrscht, daß der Glaubende nicht mehr sündigt, werden bekennen: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. So wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend. So wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. Meine Kindlein, solches schreibe ich euch, auf daß ihr nicht sündiget. Und ob jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, der gerecht ist“ (1. Joh. 1,8-2,1). So hat sie der Herr selbst gelehrt zu beten: Vergib uns unsere Schuld. So hat er sie geheißen, einander die Sünden zu vergeben ohne Aufhören (Eph. 4,32; Matth. 18,21ff.). Indem die Christen einander brüderlich vergeben, geben sie der Vergebung Jesu Raum in ihrer Gemeinschaft. Sie erkennen in dem Andern nicht mehr den, der ihnen etwas zuleide tat, sondern den, dem Christus am Kreuz die Vergebung erwirkt hat. Sie begegnen einander als die durch Jesu Kreuz Geheiligten. Unter diesem Kreuz wird durch tägliches Sterben ihr Denken, ihr Wort, ihr Leib geheiligt. Unter diesem Kreuz wächst die Frucht der Heiligung.

Die Gemeinde der Heiligen ist nicht die „ideale“ Gemeinde der Sündlosen und Vollkommenen. Es ist nicht die Gemeinde der Reinen, die dem Sünder keinen Raum zur Buße mehr gibt. Sie ist vielmehr gerade die Gemeinde, die sich des Evangeliums von der Sündenvergebung würdig erweist, indem hier wahrhaftig Gottes Vergebung verkündigt wird, die nichts mehr mit Selbstvergebung zu schaffen hat; die Gemeinde derer, denen wahrhaftig Gottes teure Gnade wider-fahren ist, und die darin des Evangeliums würdig wandeln, daß sie es nicht verschleudern und wegwerfen. 

Damit ist gesagt, daß in der Gemeinde der Heiligen Vergebung nur gepredigt werden kann, wo auch Buße gepredigt wird, wo das Evangelium nicht ohne Gesetzespredigt bleibt, wo die Sünden nicht nur und nicht bedingungslos ver-geben, sondern auch behalten werden. So ist es der Wille des Herrn selbst, daß das Heiligtum des Evangeliums nicht den Hunden gegeben wird, sondern daß es nur im Schutz der Bußpredigt gepredigt werden kann. Eine Gemeinde, die nicht Sünde Sünde nennt, kann auch keinen Glauben finden, wo sie Sünde vergeben will. Sie versündigt sich am Heiligtum, sie wandelt unwürdig des Evangeliums. Sie ist unheilige Gemeinde, weil sie die teure Vergebung des Herrn verschleu-dert. Nicht damit ist es getan, daß über die allgemeine Sündhaftigkeit der Menschen auch in seinen guten Werken geklagt wird, das ist keine Bußpredigt, sondern konkrete Sünde muß genannt, gestraft und gerichtet werden. Das ist der rechte Gebrauch der Schlüsselgewalt (Matth. 16,19; 18,18; Joh. 20,23), die der Herr seiner Kirche gegeben hat, und von der die Reformatoren noch so nach-drücklich gesprochen haben. Um des Heiligtums willen, um der Sünder willen und um der Gemeinde willen muß in der Gemeinde auch der Schlüssel des Bindens, des Sündenbehaltens geübt werden. Zum würdigen Wandel der Gemeinde vor dem Evangelium gehört die Übung der Gemeindezucht. Ebenso wie die Heiligung die Abscheidung der Gemeinde von der Welt bewirkt, muß sie auch die Abscheidung der Welt von der Gemeinde bewirken. Eins ohne das Andre bleibt unecht und unwahr. Die Gemeinde, die von der Welt abgesondert ist, muß nach innen Gemeindezucht üben.

Gemeindezucht dient nicht der Herstellung einer Gemeinde der Vollkommenen, sondern allein der Erbauung einer Gemeinde derer, die wahrhaftig unter Gottes vergebender Barmherzigkeit leben. Gemeindezucht steht im Dienst der teuren Gnade Gottes. Der Sünder in der Gemeinde muß vermahnt und gestraft werden, damit er nicht seines Heils verlustig gehe, und damit das Evangelium nicht mißbraucht werde. So kann nur der die Taufgnade empfangen, der Buße tut und seinen Glauben an Jesus Christus bekennt. So kann nur der die Gnade des Abendmahls empfangen, der „unterscheiden kann“ (1. Kor. 11,29) zwischen dem wahrhaftigen Leib und Blut Jesu Christi zur Vergebung der Sünden und irgend-einem anderen Mahl symbolischer oder sonstiger Art. Dazu gehört wiederum, daß er sich ausweisen kann über seine Glaubenserkenntnis, daß er sich „prüft“ oder sich der Prüfung durch den Bruder unterwirft, ob er wahrhaftig Christi Leib und Blut und seine Vergebung begehrt. Zum Glaubensverhör tritt die Beichte, in der der Christ die Gewißheit der Vergebung seiner Sünden sucht und empfängt. Hier gibt Gott dem Sünder Hilfe aus der Gefahr des Selbstbetruges und der Selbstvergebung. In dem Bekenntnis der Sünde vor seinem Bruder stirbt das Fleisch mit seinem Stolz. Es wird mit Christus in die Schande und in den Tod gegeben, und durch das Wort der Vergebung ersteht ein neuer Mensch, der der Barmherzigkeit Gottes gewiesen ist. So gehört der Gebrauch der Beichte in das Leben der Heiligen. Sie ist Gottes Gnadengabe, die nicht ungestraft mißbraucht wird. In der Beichte wird Gottes teure Gnade empfangen. Hier wird der Christ dem Tode Christi ähnlich. „Darum wenn ich zur Beichte vermahne, so tue ich nichts anders, denn daß ich vermahne, ein Christ zu sein“ (Luther, Großer Kate-chismus).

Die Zucht durchwaltet das ganze Leben der Gemeinde. Es besteht hier eine im Dienst der Barmherzigkeit wohlbegründete Stufenreihe. Der Ursprung aller Zuchtübung bleibt die Verkündigung des Wortes nach beiden Schlüsseln. Sie bleibt nicht beschränkt auf die gottesdienstliche Versammlung, Vielmehr ist der Amtsträger niemals von seinem Auftrag entbunden. „Predige das Wort, halte an, die Zeit sei günstig oder ungünstig, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre“ (2. Tim. 4,2). Das ist der Beginn der Gemeindezucht. Dabei muß sogleich deutlich sein, daß hier nur Sünden gestraft werden können, die offenbar ge-worden sind. „Etlicher Menschen Sünden sind offenbar, daß man sie zuvor richten kann, bei etlichen aber wird sie hernach offenbar“ (1. Tim. 5,24). So ist die Gemeindezucht eine Verschonung vor der Strafe des letzten Gerichts.

Versagt die Gemeindezucht aber schon auf dieser ersten Stufe, d. h. in dem täglichen Hirtendienst des Amtsträgers, so ist damit auch alles folgende in Frage gestellt. Die zweite Stufe nämlich ist die brüderliche Vermahnung der Gemeinde-glieder untereinander: „lehret und vermahnet euch untereinander“ (Kol. 3,16; 1. Thess. 5,11 u. 14). Zur Vermahnung gehört auch das Trösten der Kleinmütigen, Tragen der Schwachen, Geduld üben gegen jedermann (1. Thess. 5,14). Allein so kann ja der täglichen Anfechtung und dem Abfall in der Gemeinde gewehrt werden.

Wo solcher brüderlicher Dienst in der Gemeinde nicht mehr lebt, da wird auch schwerlich die dritte Stufe recht erreicht werden. Fällt nämlich dennoch ein Bruder in offenbare Sünde des Wortes oder der Tat, so muß die Gemeinde die Kraft haben, das eigentliche Gemeindezuchtverfahren gegen ihn einzuleiten. Auch dieses ist ein langer Weg: Die Gemeinde muß sich zunächst überwinden können, sich von dem Sünder zu trennen. „Habt nichts mit ihm zu schaffen“ (2. Thess. 3,14), „Weichet von ihnen“ (Röm. 16,17), „Ihr sollt auch nicht mit ihm essen“ (Abendmahl?) (1. Kor. 5,11), „Meide solche“ (2. Tim. 3,5; 1. Tim. 6,4). „Wir gebieten euch aber, liebe Brüder, in dem Namen unseres Herrn Jesu Christi (!), daß ihr euch entziehet von jedem Bruder, der da unordentlich wandelt und nicht nach der Satzung, die ihr von uns empfangen habt“ (2. Thess. 3,6). Dieses Verhalten der Gemeinde ist dazu da, den Sünder „schamrot“ werden zu lassen (2. Thess. 3,14), und ihn dadurch zurückzugewinnen. Gewiß schließt dieses Meiden des Sünders auch seinen zeitweiligen Ausschluß aus den Handlungen der Gemeinde in sich. Doch soll solches Meiden des offenbaren Sünders nicht schon die Aufhebung jeder Gemeinschaft sein. Vielmehr soll die Gemeinde, die sich vom Sünder trennt, diesem weiterhin begegnen mit dem Wort der Ver-mahnung „Haltet ihn nicht als einen Feind, sondern vermahnet ihn als einen Bruder“ (2. Thess. 3,15). Der Sünder bleibt noch Bruder und erfährt eben darum Strafe und Vermahnung der Gemeinde. Es ist barmherzige Brüderlichkeit, die die Gemeinde Zucht üben läßt. Mit aller Sanftmut müssen die Widerspenstigen gestraft, die Bösen getragen werden, „ob ihnen Gott nicht dermaleinst Buße gäbe, die Wahrheit zu erkennen, daß sie wieder nüchtern werden und der Schlinge des Teufels entgehen und sich von Ihm einfangen lassen in seinen Willen“ (2. Tim. 2,26). Der Weg dieser Vermahnung wird je nach dem Sünder ein verschiedener sein, aber er wird immer dasselbe Ziel haben, zur Buße und zur Versöhnung zu führen. Kann die Sünde verborgen bleiben zwischen dir und dem Sünder, so sollst du sie nicht offenbaren, vielmehr sollst du ihn allein strafen und zur Buße rufen, „so hast du einen Bruder gewonnen“. Hört er dich aber nicht, sondern verharrt er in seiner Sünde, so sollst du abermals nicht sogleich die Sünde offenbaren, sondern sollst dir einen oder zwei Zeugen suchen (Matth. 18,15f.). Des Zeugen bedarf es sowohl wegen des sündigen Tatbestandes – d. h. ist derselbe nicht zu erweisen und wird er von dem Gemeindeglied geleugnet, so befehle man die Sache Gott; Zeugen, nicht Inquisitoren sind die Brüder! – als auch wegen der Verstockung des Sünders gegen die Buße. Die Heimlichkeit der Zuchtübung soll dem Sünder die Umkehr erleichtern. Hört er auch jetzt nicht oder ist die Sünde sowieso schon offenbar vor der ganzen Gemeinde, dann ist es Sache der ganzen Gemeinde, den Sünder zu ermahnen, zur Umkehr zu rufen (Matth. 18,17; cf. 2. Thess. 3,14). Ist der Sünder Träger eines Amtes der Ge-meinde, so soll er nur auf zweier oder dreier Zeugen Anklage hin verklagt wer-den.

„Die da sündigen, die strafe vor allen, auf daß sich auch die anderen fürchten“ (1. Tim. 5,20). Nun ist die Gemeinde aufgerufen, mit dem Amtsträger zusammen das Schlüsselamt zu verwalten. Der öffentliche Spruch bedarf der öffentlichen Ver-tretung der Gemeinde und des Amtes. „Ich beschwöre dich vor Gott und dem Herrn Jesus Christus und den auserwählten Engeln, daß du solches haltest ohne eigenes Vorurteil und nichts tust nach Gunst“ (1. Tim. 5,21); denn nun soll Gottes eigenes Urteil über den Sünder ergehen. Tut dieser aufrichtige Buße, bekennt er öffentlich seine Sünde, so empfängt er die Vergebung aller seiner Sünden im Namen Gottes (cf. 2. Kor. 2,6ff.), beharrt er bei seiner Sünde, so muß ihm die Gemeinde im Namen Gottes seine Sünde behalten. Das aber bedeutet den Ausschluß aus jeder Gemeinschaft der Gemeinde. „Halte ihn für einen Heiden und Zöllner“ (Matth. 18,17), „Wahrlich, ich sage euch; was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein“ … „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (18,18ff.). Im Ausschluß aus der Gemeinde aber wird nur bestätigt, was schon Tatsache ist, nämlich, daß der unbußfertige Sünder ein solcher ist, der „sich selbst verurteilt hat“ (Tit. 3,10). Nicht die Gemeinde verurteilt ihn, er selbst hat sich das Urteil gesprochen. Diesen vollkommenen Ausschluß bezeichnet Paulus mit „dem Satan übergeben“ (1. Kor. 5,5; 1. Tim. 1,20). Der Schuldige wird der Welt zurückgegeben, in der der Satan herrscht und den Tod wirkt. (Daß hier nicht an einen Akt der Todesstrafe wie Act. 5 gedacht ist, beweist ein Vergleich von 1. Tim. 1,20 und 2. Tim. 2,17; 2. Tim. 4,15). Der Schuldige ist aus der Gemeinschaft des Leibes Christi ausge-stoßen, weil er sich selbst getrennt hat. Kein Anrecht an die Gemeinde steht ihm mehr zu. Dennoch bleibt auch dieses letzte Handeln noch ganz im Dienste des Heilszieles mit dem Betroffenen, „daß der Geist selig werde am Tage des Herrn Jesu“ (1. Kor. 5,5), „daß er gezüchtigt werde, nicht mehr zu lästern“ (1. Tim. 1,20). Die Rückkehr zur Gemeinde oder die Erlangung des Heils bleibt das Ziel der Gemeindezucht. Sie bleibt pädagogisches Handeln. So gewiß der Spruch der Gemeinde in Ewigkeit besteht, wo der andere nicht Buße tut, so ist dieser Spruch, in dem dem Sünder das Heil genommen werden muß, nur das letzt-mögliche Angebot der Gemeinschaft der Gemeinde und des Heils (Anm.: Jenseits aller Gemeindezuchtübung, die immer im Dienst der Barmherzigkeit steht, selbst über die Auslieferung des hartnäckigen Sünders an den Satan hinaus, kennt das Neue Testament als furchtbarste Strafe die Verfluchung, das Anathema. Sie ist nicht mehr verbunden mit dem Heilszweck. Sie tritt als Vorwegnahme des göttlichen Urteils auf. Im Alten Testament entspricht ihr der „Cherem“, der an Gottlosen vollstreckt wird. Er bedeutet definitive Absonderung von der Gemeinde, der Gebannte wird getötet. Damit ist ein Doppeltes gesagt: Die Gemeinde vermag den Gebannten unter keinen Umständen mehr zu tragen und zu absolvieren. Darum wird er Gott allein hingegeben. Damit aber ist der Gebannte zugleich verflucht und doch heilig, weil er Gott ausgeliefert ist. Weil er aber Gott allein gehört als Verfluchter, darum kann die Gemeinde hier nicht mehr Heilsabsichten verfolgen. Daß Anathema Trennung vom Heil bedeutet, beweist Röm. 9,3; daß Anathema eschatologisch bezogen ist, legt 1. Kor. 16,22 nahe. Daß vom Anathema der getroffen wird, der das Evangelium selbst durch seine Predigt willentlich zerstört, sagt Gal. 1,8f. Es ist gewiß kein Zufall, daß die einzige Stelle, die über bestimmte Menschen das Anathema spricht, sich auf die Irrlehrer bezieht. Doctrina est coelum, vita terra, Luther).

(Anm.: Die Lehrzucht ist von der Gemeindezucht insofern verschieden, als letztere aus rechter Lehre, d. h. aus rechtem Gebrauch der Schlüssel folgt, erstere sich aber gegen den Mißbrauch der Lehre selbst richtet. Durch falsche Lehre wird die Quelle des Lebens der Gemeinde und der Gemeindezucht ver-dorben. Darum wiegt die Versündigung gegen die Lehre schwerer als die Versündigung im Wandel. Wer der Gemeinde das Evangelium raubt, verdient uneingeschränkte Verurteilung, wer aber in seinem Wandel sündigt, für den ist das Evangelium da. Lehrzucht erstreckt sich in erster Linie auf die Träger des Lehramtes in der Kirche. Voraussetzung von allem ist, daß bei der Übertragung des Amtes Gewähr dafür besteht, daß der Amtsträger „didaktikos“, zur Lehre befähigt ist (1. Tim. 3,2; 2. Tim. 2,24; Tit. 1,9), „tüchtig auch andere zu lehren“ (2. Tim. 2,2), daß keinem die Hände voreilig aufgelegt werden, weil sonst dessen Schuld auf den zurückfällt, der ihn einsetzte (1. Tim. 5,22). Die Lehrzucht setzt also bereits vor der Berufung ins Lehramt ein. An der äußersten Gewissenhaftig-keit hängt hier Leben und Tod von Gemeinden. Die Lehrzucht aber hat mit der Berufung ins Lehramt kein Ende, vielmehr erst ihren Anfang. In unaufhörlicher Ermahnung muß selbst der bewährte Amtsträger – Timotheus – zur Bewährung der rechten, heilsamen Lehre angehalten werden. Das Lesen der Schrift wird ihm dafür besonders nahe gelegt. Zu groß ist die Gefahr des Abirrens (2. Tim. 3,10; 3,14; 4,2; 2,15; 1. Tim. 4,13,16; Tit. 1,9; 3,8). Dazu muß aber noch die Er-mahnung zum vorbildlichen Lebenswandel kommen „Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre“ (1. Tim. 4,13f.; Act. 20,28). Zur Keuschheit, Demut, Unpartei-lichkeit, zum Fleiß ermahnt zu werden, ist für Timotheus keine Beschämung. So steht vor aller Gemeindezuchtübung die Übung der Zucht an den Amtsträgern. Es ist die Aufgabe des Amtsträgers, in seiner Gemeinde die rechte Lehre zu verbreiten und jeder Verkehrung entgegenzutreten. Wo offenbare Irrlehre einzieht, dort soll der Amtsträger gebieten, „daß sie nicht anders lehrten“ (1. Tim. 1,3); denn er trägt das Lehramt und kann gebieten. Weiter soll er warnen und erinnern, das Wortgezänk zu meiden (2. Tim. 2,14). Ist einer als Irrlehrer offenbar, so soll er „einmal und abermals ermahnt“ werden. Hört er nicht, so soll mit einem ketzerischen Menschen die Gemeinschaft abgebrochen werden (Tit. 3,10; 1. Tim. 6,4f.); denn er verführt die Gemeinde (2. Tim. 3,6f.). „Wer nicht in der Lehre Christi bleibt, der hat keinen Gott“. Einem solchen falschen Lehrer soll auch die häusliche Gemeinschaft und der fromme Grußwunsch versagt werden (2. Joh. 10). Im Irrlehrer kommt der Widerchrist. Nicht der Sünder in seinem Lebens-wandel, sondern allein der Irrlehrer wird Antichrist genannt. Ihm allein gilt das Anathema von Gal. 1,9. Über das Verhältnis von Lehrzucht und Gemeindezucht gilt: Es gibt keine Gemeindezucht ohne Lehrzucht. Es gibt aber auch keine Lehrzucht, die nicht zur Gemeindezucht führen müßte. Paulus wirft den Korinthern vor, daß sie in ihrer Aufgeblasenheit Schismata anrichten wollen ohne doch Gemeindezucht zu üben (1. Kor. 5,2). Diese Trennung der Lehrfrage von der Frage des Wandels in der Gemeinde ist unmöglich).

So bewährt sich die Heiligung der Gemeinde in ihrem Wandel, der des Evange-liums würdig ist. Sie bringt die Frucht des Geistes und steht in der Zucht des Wortes. In alledem bleibt sie Gemeinde derer, deren Heiligung allein Christus ist (1. Kor. 1,30) und die dem Tag der Wiederkunft entgegengeht. 

Damit stehen wir bei der dritten Bestimmung echter Heiligung. Alle Heiligung ist auf das Bestehen am Tage Jesu Christi gerichtet. „Jaget nach der Heiligung, ohne welche wird niemand den Herrn sehen“ (Hebr. 12,14). Heiligung ist immer auf das Ende bezogen. Sie hat ihr Ziel nicht darin, vor dem Urteil der Welt oder vor dem eigenen Urteil, sondern vor dem Herrn bestehen zu können. Vor sich selbst und vor der Welt mag ihre Heiligkeit Sünde, ihr Glaube Unglaube, ihre Liebe Härte, ihre Zucht Schwäche sein. Ihre wahre Heiligkeit bleibt verborgen. Aber Christus selbst bereitet sich seine Gemeinde, so daß sie vor ihm bestehen kann. „Ihr Männer, liebet eure Weiber, gleichwie Christus auch geliebt hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie gegeben, auf daß er sie heiligte, und hat sie gereinigt durch das Wasserbad im Wort, auf daß er sie sich selbst darstellte als eine Gemeinde, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas, sondern daß sie heilig sei und unsträflich“ (Eph. 5,25-27; Kol. 1,22; Eph. 1,4). Vor Jesus Christus kann nur die geheiligte Gemeinde bestehen; der die Feinde Gottes versöhnte und sein Leben für die Gottlosen gab, der tat es, damit seine Gemeinde heilig sei bis zu seiner Wiederkunft. Das geschieht durch die Versiegelung mit dem Heiligen Geist, wodurch die Heiligen im Heiligtum der Gemeinde verschlossen und bewahrt werden bis auf den Tag Jesu Christi. An jenem Tage sollen sie nicht mit Befleckung und Schande, sondern an Geist, Seele und Leib heilig und unsträflich vor ihm erfunden werden (1. Thess. 5,23). „Wisset ihr nicht, daß die Ungerechten werden das Reich Gottes nicht ererben? Lasset euch nicht verführen! Weder die Hurer noch die Abgöttischen noch die Ehebrecher noch die Weichlinge noch die Knabenschänder noch die Diebe noch die Geizigen noch die Trunkenbolde noch die Lästerer noch die Räuber werden das Reich Gottes ererben. Und solche sind euer etliche gewesen; aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes“ (1. Kor. 6,9-11). Darum trotze keiner auf Gottes Gnade, der in der Sünde verharren will! Nur die geheiligte Gemeinde wird am Tage Jesu Christi errettet werden vor dem Zorn; denn der Herr wird nach den Werken richten und die Person nicht ansehen. Es wird eines jeglichen Werk offenbar werden, und er wird einem jeglichen geben „danach er gehandelt hat bei leiblichem Leben, es sei gut oder böse“ (2. Kor. 5,10; Röm. 2,6ff.; Matth. 16,26). Was hier auf Erden sein Urteil nicht empfangen hat, das wird am Gerichtstage nicht verborgen bleiben, es muß alles ans Licht. Wer wird dann bestehen? Der in guten Werken erfunden wird. Nicht die Hörer, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden (Röm. 2,13). Es ist des Herrn eigenes Wort, daß in sein Himmelreich nur die kommen können, die den Willen seines Vaters im Himmel tun. 

Weil wir nach unseren Werken gerichtet werden, darum ist uns das „gute Werk“ geboten. Die Furcht vor dem guten Werk, mit der wir unsere bösen Werke rechtfertigen wollen, ist der Bibel allerdings fremd. Nirgends setzt die Schrift den Glauben so gegen das gute Werk, daß sie in dem guten Werk die Zerstörung des Glaubens sieht, vielmehr ist es das böse Werk, das den Glauben hindert und vernichtet. Gnade und Tun gehören zusammen. Es gibt keinen Glauben ohne das gute Werk, wie es kein gutes Werk ohne Glauben gibt (Anm.: Der Unter-schied zwischen Paulus und Jakobus besteht darin, daß durch Jakobus der Demut des Glaubens die Möglichkeit des Selbstruhms genommen wird, und daß durch Paulus der Demut des Werkes die Möglichkeit des Selbstruhms entzogen wird. Jakobus will nicht die Gültigkeit des Satzes, daß der Mensch allein durch den Glauben gerechtfertigt werde, bestreiten, sondern er will den Glaubenden selbst von der Gefahr der Sicherheit in seinem Glauben auf das Werk des Gehorsams weisen und ihn damit wahrhaftig demütigen. Paulus wie Jakobus geht es darum, daß der Mensch wahrhaftig aus der Gnade und nicht aus sich selbst lebe). 

Um seines Heils willen sind dem Christen gute Werke vonnöten; denn wer in bösen Werken erfunden wird, der wird das Reich Gottes nicht sehen. Darum ist das gute Werk das Ziel des Christseins. Weil in diesem Leben nur eins wichtig ist, nämlich wie der Mensch im letzten Gericht bestehen kann, und weil jeder nach seinen Werken gerichtet werden wird, darum geht es in allem um die Bereitung des Christen zum guten Werk. So hat auch die Neuschöpfung des Menschen in Christus die guten Werke zum Ziel. „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“ (Eph. 2,8-10; vgl. 2. Tim. 2,21; 3,17; Tit. 1,16; 3,1.8.14). Hier ist alles ganz deutlich. Das Ziel ist die Herstellung des guten Werkes, das Gott fordert. Gottes Gesetz bleibt aufgerichtet und muß erfüllt werden (Röm. 3,31). Das geschieht durch das gute Werk. Es gibt aber nur ein gutes Werk, das ist Gottes Werk in Christus Jesus. Durch Gottes eigenes Werk in Christus sind wir selig geworden, nicht durch unsere eigenen Werke. So fällt uns niemals ein Ruhm aus eigenen Werken zu; denn wir sind sein Werk. Aber dazu sind wir neu geschaffen in Christus, daß wir in ihm zu guten Werken kämen. Alle unsere guten Werke aber sind allein Gottes eigene gute Werke, zu denen er uns zuvor bereitet hat. Also gute Werke sind zwar geboten um des Heils willen, und gute Werke sind doch immer nur die Werke, die Gott selbst an uns wirkt. Sie sind sein Geschenk. Wir selbst sind es, die in guten Werken wandeln sollen, die jeden Augenblick zu guten Werken gefordert sind, und wir wissen doch, daß wir mit unseren Werken vor Gottes Gericht niemals bestehen könnten, sondern daß es Christus allein ist und sein Werk, an das wir uns im Glauben klammern. So verheißt Gott denen, die in Christus Jesus sind, gute Werke, mit denen sie einst bestehen können, er verheißt ihnen die Bewahrung in der Heiligung bis zum Tage Jesu. Wir aber können dieser Verheißung Gottes nur glauben auf sein Wort hin, und hingehen und in den guten Werken wandeln, zu denen er uns bereitet hat. So bleibt unsern Augen unser gutes Werk gänzlich entzogen. Unsere Heiligung bleibt uns verborgen bis auf den Tag, da alles offenbar wird. Wer hier etwas sehen will, wer sich hier selbst offenbar werden will und nicht in Geduld warten, der hat seinen Lohn dahin. Gerade in unserem vermeintlich sichtbaren Fortschritt der Heiligung, an dem wir uns freuen wollen, sind wir erst recht in die Buße gerufen und erkennen wir unsere Werke als durch und durch sündig. Wir sind aber zur immer größeren Freude an unserem Herrn gerufen. Gott allein kennt unsere guten Werke, wir kennen nur sein gutes Werk und hören sein Gebot und gehen unter seiner Gnade hin, wandeln in seinen Geboten und sündigen. Es muß dabei bleiben, daß die neue Gerechtigkeit, die Heiligung, das Licht, das leuchten soll, uns ganz verborgen bleibt. Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut. Aber wir glauben es, und sind desselbigen guter Zuversicht, daß „der in uns angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi“ (Phil. 1,6). An jenem Tag wird uns Christus selbst die guten Werke offenbaren, die wir nicht kannten. Als wir es nicht wußten, haben wir ihn gespeist, getränkt, gekleidet und besucht, und als wir es nicht wußten, haben wir ihn von uns gestoßen. Dann wird ein großes Verwundern anheben, und wir werden erkennen, daß es nicht unsere Werke sind, die hier bestehen, sondern das Werk, das Gott zu seiner Zeit ohne unser Wollen und Mühen durch uns getan hat (Matth. 25,31ff.). So bleibt uns abermals nichts als von uns wegzusehen auf den, der alles schon für uns vollbracht hat und ihm nachzufolgen. Der Glaubende wird gerechtfertigt, der Gerechtfertigte wird geheiligt, der Geheiligte wird im Gericht errettet, nicht weil unser Glaube, unsere Gerechtigkeit, unsere Heiligung, soweit es an uns ist, etwas anderes wäre als Sünde, sondern weil Jesus Christus uns gemacht ist „zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf daß, wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1. Kor. 1,30).

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