Ostern

Ostern

Das effektivste Verfahren, jemand loszuwerden, ist immernoch, dass man ihn umbringt. Und auch im alten Israel hat das zuverlässig zum Ziel geführt. Denn viele Propheten wurden dort zum Schweigen gebracht. Und zusammen mit den unbequemen Mahnern begrub man auch gleich ihre Botschaft. Sie waren gekommen, um in Gottes Namen die Wahrheit aufzudecken. Aber man stopfte ihnen den Mund. Und fast immer hat das gut funktioniert. Nur am Ostermorgen zu Jerusalem versagt das bewährte Verfahren. Denn zur allgemeinen Verblüffung ist da dem Tod (diesem sonst so zuverlässigen Kerkermeister) ein Gefangener entlaufen. Jesus besaß die Frechheit, sein Sterben zu überleben. Der Tod hat an ihm seinen Meister gefunden. Und das sorgt für erhebliche Verwirrung. Denn Jesus hatte zwar vorausgesagt, er werde am dritten Tage auferstehen (Mk 8,31 / 9,31 / 10,34). Doch das widersprach aller Erfahrung. Und so gingen die Frauen in der Absicht zum Grab, einen Leichnam zu salben. Sie fanden den Stein aber schon weggeschoben. Und niemand verstand, wie dieser Tote dem Tod entkommen war. Hatten ihn die Römer nicht auf gewohnt brutale und effektive Weise umgebracht? War er nicht routiniert und nach allen Regeln der Kunst beseitigt worden? Und doch ist der böse Plan an diesem Mann gescheitert. Denn der Tod wurde seiner nicht Herr. Und infolgedessen steht der Tod plötzlich als ein zahnloser Tiger da. Wie zum Spott lässt Jesus sich quicklebendig bei seinen Jüngern sehen. Er erscheint dem Kephas, danach den Zwölfen, dann 500 Brüdern auf einmal. Er begegnet dem Jakobus, sämtlichen Aposteln – und schließlich dem Paulus (1 Kor 15,1-8). Er geht mit zwei Jüngern nach Emmaus (Lk 24,13-35), redet mit Maria von Magdala (Joh 20,11-18) und lässt sich vom ungläubigen Thomas sogar anfassen (Joh 20,24-29). Am See von Tiberias isst er gebratenen Fisch mit Petrus, Thomas, Nathanael und vier anderen Jüngern (Joh 21,1-14). Ja, wie zum Spott auf die mörderische Kunst des Feindes kehrt Jesus zu den Seinen zurück und zeigt sich vom eigenen Tod unbeeindruckt. Denn nicht Menschen entscheiden, wer von der Bildfläche dieser Erde verschwinden muss, sondern Gott entscheidet das. Und in Jesu Fall hat er Einspruch erhoben. Gott bekennt sich zu seinem Sohn, indem er ihn auferweckt. Er stellt sich hinter ihn. Und der Versuch, das Leben Jesu auszulöschen, ist damit kläglich gescheitert. Denn Gewalt war diesmal keine Lösung. Und der Tod steht als Versager da. Statt dass er Jesus zum Schweigen brachte, redet der nun lauter als zuvor. Und die Auferweckung durch den Vater beglaubigt nachdrücklich Jesu Botschaft. Man wollte den Mann aus Nazareth dem Vergessen anheimgeben. Aber nun ist sein Evangelium in aller Munde. Gott selbst hat es bestätigt. Und obwohl man ihn eingesperrt hatte in ein enges Felsengrab, ist Jesus plötzlich überall zugleich und geht in völliger Freiheit durch geschlossene Türen. Oh, Judas, Kaiphas und Pilatus – welcher Plan wäre je so grandios gescheitert wie der eure? Der Begrabene lacht euch lebendig ins Gesicht, und was ihr verschweigen wolltet, spricht sich überall herum. Denn gerade durch eure Untat hat Jesu Erfolgsgeschichte so richtig Fahrt aufgenommen. Und aus der scheinbaren Niederlage des Kreuzes wurde unversehens ein großer Sieg. Denn jener Repräsentant Gottes, den ihr loswerden wolltet, der ist nun ewig bei euch. Nachdem ihr ihn zur Hölle geschickt habt, stieg er zum Himmel auf. Und von dort wird er wiederkommen, um euer Richter zu sein. Eben jener Gott, den ihr aus eurem Leben heraushalten wolltet, wird nie wieder daraus weichen. Und ihn in Ewigkeit vergeblich zu hassen, wird euer Albtraum sein. Denn Christus weicht nicht mehr von eurer Seite. Und er ist mächtiger denn je. Ihr habt es mit ihm von Herzen böse gemeint. Gott aber hat’s zum Guten gewendet. Und von eurem vermeintlichen Sieg werdet ihr euch nie wieder erholen. Denn als Jesus gekreuzigt wurde, schienen Sünde, Tod und Teufel zwar zu triumphieren – er fiel ihnen zum Opfer wie Tausende zuvor. Und doch waren sie diesem Opfer nicht gewachsen und hatten sich offenbar an dem Falschen vergriffen. Denn indem sie Gottes Sohn töteten, haben sie sich selbst entmachtet und alles Recht an der Menschheit verloren. Worauf schließlich beruhte die Macht des Todes? Doch einzig und allein auf der Schuld des Menschen! Gott verneint, was ihn verneint – und so war der Tod die logische Konsequenz der Sünde. Wenn Christus am Kreuz aber stellvertretend die Strafe für die Sünde trug, dann ist damit auch der Fluch gelöst. Christus zahlte den Preis für unsere Freiheit. Und mit dem Begleichen dieser Rechnung ist die Rechtsgrundlage des Todes entfallen! Christi Kreuz durchbricht das Verhängnis, das dem Tod sein Recht und seine Macht verlieh. Und infolgedessen wird Auferstehung nicht nur für Jesus möglich, sondern zugleich für alle, die zu ihm gehören. Den Christen ist ja wirklich vergeben. Die Sache ist erledigt. Der Tod hat keinen Anspruch mehr. Und das leibliche Sterben versetzt sie darum nur noch von der Zeit in die Ewigkeit, wo Christus sie schon mit offenen Armen erwartet. Ob man das aber weiß oder nicht weiß – macht das nicht einen gewaltigen Unterschied? Und versieht Ostern nicht unser gesamtes Leben mit einem neuen, positiven Vorzeichen? Tatsächlich feiern wir Christi Auferstehung nicht nur, weil sie für ihn, sondern weil sie für uns so herrliche Folgen hat. Wir feiern nicht Christi Vergangenheit, sondern unsere Zukunft. Denn man bedenke und erinnere sich, wie sich die menschliche Lage vor Ostern darstellte! Waren wir da nicht schon mitten im Leben vom Tode umfangen – und von Geburt an immer schon unterwegs zu unserem Grab? Bevor es Ostern wurde, liefen alle Veränderungen im Leben nur auf einen letzten Verlust hinaus, und der Tod behielt stets das letzte Wort. Denn über allem, was wir liebten, schwebte die Drohung der Vergänglichkeit. Jeder Gewinn war nur vorläufig, jede Freude befristet, und alles Glück nur „bis auf Weiteres“ gestundet. Wer aber zu oft dran dachte, musste dem Trübsinn verfallen. Denn auch die fröhlichsten Erfahrungen hatten ihr Verfallsdatum. Und das erfahrene Gute subtrahierte sich sofort von dem kleiner werdenden Rest, der noch zu erwarten war. Wie eine grausame Raupe fraß die Zeit an der Lebensspanne, die uns blieb. Und war der Schwund auch nicht immer merklich, schritt er doch unaufhaltsam voran. Wie bei einer Kreuzfahrt konnte man zwar essen, lachen, trinken, schlafen, feiern und darüber ganz vergessen, dass man auf Reisen war. Doch draußen zog die Welt dennoch vorbei – und das Ende der Reise rückte stündlich näher. Vor Ostern schwand unsere Lebenszeit mit jeder Minute und verzehrte sich wie ein sehr begrenzter Vorrat. Und so starb der Mensch nicht erst am Ende, sondern starb schon mit jeden Augenblick ein klein wenig. Der Schatten der Vergänglichkeit lag auf allem, was wir liebten, und schon während wir es gewannen, stand fest, dass wir’s wieder verlieren würden. Der Tod war immer dabei als bedrohlicher Abgrund unter unseren Füßen. Und wir mussten das Ticken der Uhr verdrängen, um fröhlich zu sein. Doch das ist nun Schnee von gestern! Denn Ostern hat alles verändert und wirft ein neues Licht auf unser Dasein. Zusammen mit unserer Schuld hat Christus auch den Fluch von uns genommen, ständig der eigenen Vernichtung entgegenzugehen! Der Auferstandene hat uns freigekauft, damit wir das ewiges Leben mit ihm teilen. Und infolgedessen sind nun alle Christen schon mitten im Tode vom Leben umfangen. Denn Ostern gibt unserem Dasein ein völlig neues Vorzeichen. Nun liegt der Schatten des Vergehens nicht mehr auf dem Guten, das wir lieben, sondern auf dem Übel, das uns plagt! Über kurz oder lang wird das Böse weichen, wir aber werden bleiben. Und damit haben sich die Verhältnisse komplett gedreht. Denn Jesus Christus geht uns nicht mehr von der Seite. Es hat ihn wahrlich viel gekostet. Aber er ging aus dem Streit mit Sünde, Tod und Teufel als Sieger hervor. Und uns freut das nicht bloß um seinetwillen, sondern mehr noch um unseretwillen. Denn obwohl wir zur Entmachtung des Feindes nicht das Geringste beitrugen, profitieren wir nun davon. Im Glauben mit Christus verbunden lässt uns seine Hand nicht mehr los. Und durch die Taufe mit Christus begraben werden wir auch mit ihm auferstehen (Röm 6,3-4). Wir sind die Beute, um die er gerungen hat. Und so wird er sich unsere Seelen nicht wieder nehmen lassen. Die Hölle sieht uns nur von hinten. Und da wir an Christus genauso festhalten wie er an uns, bleiben wir ewig mit ihm eins. Wer aber mit Gottes Sohn eins ist, kann unmöglich untergehen – sondern untergehen kann nur noch das Peinliche und Verkehrte, das ihn auf Erden gehemmt und belastet hat. Ja, unter österlichem Vorzeichen stirbt eben nicht mehr der Christ, sondern, wenn’s zu Ende geht, stirbt nur noch sein Elend. Nicht des Christen Tage sind gezählt, sondern die Tage seiner Not. Denn sein Leben bricht am Ende nicht ab, sondern kommt zum Ziel. Und selbst das, was von ihm begraben wird, ist nicht verloren, sondern wird nur als fruchtbare Saat auf Gottes Acker ausgestreut. Jenseits des Grabes hört dann aber alles auf, was an uns kläglich ist. Und darauf freuen wir uns von Herzen. Denn aus dem falschen Schein gehen wir ins wahre Leben. Wir schauen dann, was wir geglaubt haben. Wir verlassen unser Gefängnis und treten in die Freiheit hinaus. Wir hören auf traurig zu sein und finden Frieden. Wir kommen aus dem Sturm und machen im sicheren Hafen fest. Ja sterbend „genesen“ wir wie Patienten, die von einer schlimmen Krankheit „genesen“. Denn der Himmel kleidet uns in weiße Gewänder der Unschuld. Und Gott selbst wischt uns die Tränen von unseren Augen (Offb 21,3-4). Wenn wir diesem schönen Ziel aber mit Ablauf jeder Stunde ein Stückchen näher kommen – arbeitet die Zeit dann nicht für uns? Und wenn der Prozess unaufhaltsam ist – sind wir dann nicht mitten im Tod schon vom Leben umfangen? Ja, ein dreifaches „Hoch“ auf eine Vergänglichkeit, in der bloß noch das Leid vergeht, das Geschrei und der Schmerz! Herzlich willkommen sei uns aber jedes Ende, das in sich einen solchen Anfang birgt! Denn der Schatten der Endlichkeit liegt nicht mehr auf uns, sondern auf der Gewalt und dem Unrecht dieser Erde! Die Uhren ticken zwar immernoch. Aber unter österlichem Vorzeichen dürfen wir das mit Freude hören. Denn nun läuft nicht mehr unsere Zeit ab, sondern die Zeit der Bedrängnis läuft ab, und jede Minute bringt uns dem Reich Gottes näher. Durch Ostern hat sich das Blatt gewendet. Wir sehen nun überall den Rost auf unseren Ketten, und die Tage des Bösen sind gezählt, während Christi Wiederkehr unaufhaltsam näher rückt. Da kann uns nichts ferner liegen, als eine Verlängerung des aktuellen Zustands zu wünschen! Denn wir streben auf Gott zu – und er auf uns. Und was in der Begegnung untergeht, das werden nur noch unsere Fehler sein, die uns Gott wie Ballast von den Schultern nimmt. Der Schatten des Vergehens liegt nicht mehr auf dem, was wir lieben, sondern auf dem, was uns plagt! Und stirbt uns die Welt, so nur, um in Besseres überzugehen. Die Zeit arbeitet für uns, denn die Zukunft gehört Christus. Und wenn ihm unsere Sehnsucht gilt, darf es uns freuen, auf all den irdischen Dingen ein Verfallsdatum zu sehen. Freilich – wenn viele Zeitgenossen an Ostern nichts weiter feiern als den Frühling, die Hasen und die Eier, erleben sie es anders. Sie sehen immernoch mit Sorge und Bitternis, wie ihre Zeit verrinnt. Doch für Christen hat das Ticken der Uhr keinen bedrohlichen Klang, sondern einen verheißungsvollen. Der Schatten des Vergehens liegt nicht mehr auf dem, was uns lieb ist, sondern auf dem, was uns plagt. Sollten wir also nicht frech, fröhlich und renitent ein österliches Leben führen? Sollte Christus für uns siegen – und wir jubeln nicht? Sollte er unsere Ketten lösen – und wir bewegen uns nicht? Sollte er die Gefängnistüren sprengen – und wir folgen ihm nicht ins Freie? Nein. Mag weiter Trübsal blasen, wer keine Hoffnung hat. Wir dagegen wissen, dass die Zeit für uns arbeitet, und hören nicht mehr auf, den Sieg Christi zu besingen. Weil das aber Johannes Chrysostomus schon im 4. Jahrhundert so schön getan hat, will ich mit seinen Worten schließen: 

„Niemand beklage seine Armut, denn das Reich ist allen erschienen. Niemand beweine seine Schuld, denn Vergebung leuchtet vom Grabe. Niemand fürchte den Tod, denn des Erlösers Tod hat uns befreit. Er hat den Tod vernichtet, von dem er umfangen war. Er hat die Hölle gefangen geführt, in die er hinabfuhr. Er erzürnte sie, der er sein Fleisch zu kosten gab. Jesaja weissagt und spricht: Die Hölle ward betrübt, als sie dich gewahrte. Sie ward betrübt, denn sie ward zu Spott. Sie ward betrübt, denn sie ward vernichtet. Sie ward betrübt, denn sie ward gestürzt. Sie ward betrübt, denn sie ward gefesselt. Die Hölle nahm einen Leib und begegnete Gott. Sie nahm Erde und traf auf den Himmel. Sie nahm das Sichtbare und fiel durch das Unsichtbare. O Tod, wo ist dein Stachel? O Hölle, wo ist dein Sieg? Christ ist erstanden, und du bist gestürzt. Christ ist erstanden, und die Dämonen sind gefallen. Christ ist erstanden, und die Engel frohlocken. Christ ist erstanden, und das Leben ist Sieger. Christ ist erstanden, und leer sind die Gräber.“   

 

 

Gebet zu Ostern

 

Allmächtiger Gott, barmherziger Vater, 

wir danken dir für die herrliche Auferweckung deines Sohnes. Er hat am Ostermorgen den Sieg errungen, der uns zugutekommt, und damit ist nun alles entschieden. All unsere Schuld ist bezahlt, und unsere Sünden sind getilgt, der Fluch ist gebrochen, und die Fesseln sind gelöst, so dass uns künftig nichts mehr trennt von deiner großen Liebe. Christus hat uns losgekauft. Tod und Teufel aber haben alles Recht an uns verloren. Nun mögen sie noch so brüllen und drohen, sie können uns doch nicht mehr schaden, weil wir Christus gehören, und niemand da ist, der uns noch verdammen dürfte. Ja, weil Jesus lebt, werden auch wir leben! Wo das Haupt hindurch ist, da wird es seine Glieder nach sich ziehen! Wenn Jesus uns ruft, müssen unsere Gräber uns freigeben! Wir aber, die wir solcher Mühe gar nicht wert sind: wie könnten wir es dir jemals danken und wie könnten wir deine Gnade je genug rühmen? Herr, hilf uns dir zu danken durch ein österliches Leben, auf dass wir inmitten des Todes an das Leben glauben, inmitten der Finsternis dein Licht verbreiten und inmitten der Lüge deine Wahrheit bezeugen. Ja, Herr, lass uns deine Boten sein in dieser glaubensarmen Zeit, bis du dereinst kommst mit Macht und Herrlichkeit. Amen. 

 

 

Bild am Seitenanfang: The Resurrection of Christ 

Benjamin Gerritsz. Cuyp, Public domain, via Wikimedia Commons