Sachkundiges Prüfen
„Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“

Sachkundiges Prüfen

1. 

„Prüft alles und das Gute behaltet“, sagt Paulus (1. Thess 5,21). Und niemand wird ihm widersprechen. Denn für „kritisch“ halten wir uns sowieso – wir prüfen möglichst alles, weil wir nicht getäuscht werden wollen. Und dass wir nach der Prüfung nicht etwa das Schlechte behalten, sondern das Gute, versteht sich von selbst. Weil der Satz aber in der Bibel steht, wird er spontan auf biblische Aussagen bezogen. Und so denkt dann mancher Leser: „Na klar! Ich soll nicht alles glauben, bloß weil’s in der Bibel steht. Sondern ich soll jede Aussage prüfen und mir nur zu Eigen machen, was ich auch gut finde. Ich prüfe also Gottes Wort. Was nichts taugt, lasse ich weg. Und was mir einleuchtet, nehme ich an. Denn so hat es Paulus selbst gefordert: Prüft alles und das Gute behaltet.“ Nur ist das leider grundfalsch – und ist nicht das, was Paulus meint. Denn von der Bibel hat er an dieser Stelle gar nicht gesprochen. Und er will auch keineswegs, dass wir uns aus Gottes Wort die Rosinen herauspicken, um den Rest zu verwerfen. Denn genau das kennzeichnet schlechte Hörer, dass sie Gottes Wort nur selektiv hören. Wenn’s das aber nicht ist – was meint Paulus dann? 

2. 

Der Zusammenhang zeigt, dass seine Aufforderung nicht auf biblische Worte zielt, sondern auf spontane Redebeiträge von Christen im Gottesdienst. Denn an dieser Stelle des Thessalonicherbriefs geht es darum, dass sich in der Gemeindeversammlung manche von Heiligen Geist getrieben fühlen, etwas zu verkünden und anderen mitzuteilen. Sie meinen, Gottes Geist habe ihnen Einsicht geschenkt. Sie wollen dieses Geschenk mit den Schwestern und Brüdern teilen. Und Paulus möchte das keineswegs unterbinden oder den Geist „dämpfen“. Er besteht aber darauf, dass man den Inhalt solcher Eingebungen nicht unbesehen übernimmt, sondern ihn prüft und sich nur das Gute zu Eigen macht – weil ja ein Gedanke, bloß weil ihn ein Christ mit Begeisterung vorbringt, noch nicht richtig sein muss. Natürlich rechnet Paulus mit dem Wirken des Heiligen Geistes. Doch ist er kein Schwärmer, sondern Realist. Denn nicht alles, was einer mit Eifer und Pathos vorträgt, mit „Halleluja“ beginnt und mit „Amen“ beschließt, ist darum schon vom Heiligen Geist. Auch bei guter Absicht können sich Irrtümer und Missverständnisse einschleichen. Manchem Redner gerät Geistliches und Weltliches durcheinander. Und im Eifer des Gefechts verwechselt er dann vielleicht Göttliches mit Menschlichem, so dass er nicht Gottes Gedanken wiedergibt, sondern bloß seine eigenen (vgl. Mt 16,23). Man muss darum niemand den Mund verbieten. Der Geist soll ja wehen. Doch muss sich jeder gefallen lassen, dass die anderen seinen Redebeitrag prüfen. Denn es ist nötig, die Geister zu unterscheiden (1. Joh 4,1). Vor falschen Propheten hat Jesus dringend gewarnt (Mt 7,15). Irrlehren richten in der Kirche erheblichen Schaden an. Und darum soll man in der Gemeinde keinem Autorität zuschreiben, nur weil er schon lange dazugehört, weil er studiert hat, weil er Ansehen genießt oder sich lautstark auf Gottes Geist beruft. Nein, da ist keiner gegen Missgriffe gefeit. Jeder sagt mal etwas Dummes, Pfarrer eingeschlossen. Und darum muss man’s prüfen. Doch freilich – die Absicht allein tut’s nicht, wenn die nötige Kenntnis fehlt. Wenn einer prüfen möchte, heißt das noch nicht, dass er auch zu prüfen versteht. Und nicht jeder, der an etwas herummäkelt, ist darum schon ein kompetenter „Kritiker“. Denn jedes kritische Verfahren hat Voraussetzungen. Und es gelingt nur, wenn die richtigen Kriterien zur Verfügung stehen. Denn, klar sagt Paulus, dass wir „das Gute“ behalten sollen! Aber was ist wirklich „gut“? Wissen wir das schon – oder bilden wir uns nur ein, wir wüssten es? Sind wir da von Geburt an kompetent? Oder könnte es sein, dass mancher das Gute nicht mal erkennt, wenn man’s ihm unter die Nase hält? 

3. 

Bevor wir in die Tiefe gehen, hilft es, den Blick noch einmal zu weiten. Denn das mit dem Prüfen, Verwerfen und Behalten reicht weit über das Glaubensleben hinaus. Denken sie nur mal an die Evolution – die prüft auch! Durch unzählige Mutationen bringt sie ständig neue Varianten hervor, nämlich Lebewesen mit zufälligen Abweichungen in ihrem Gen-Code. Und durch gnadenlose Selektion verwirft sie dann alle Varianten, die an ihre Umgebung schlecht angepasst sind, und sortiert sie aus. Das Leben selbst ist hier die Prüfung. Und im „Survival of the fittest”, im großen Wettbewerb des Überlebens, behält die Natur nur das Gute, das sich als durchsetzungsfähig erwiesen hat, und darum die nächste Generation zeugen wird. Oder schauen sie in die Technik! Wie oft verwendet die Industrie Siebe und Filter, die keinen anderen Zweck haben, als das Gute durchzulassen und das Schlechte zurückzuhalten? Auch in der Arbeitswelt muss man das eine vom andern nicht nur unterscheiden, sondern effektiv voneinander trennen! Wenn ein Industriebetrieb in seiner Produktion Ungenauigkeiten feststellt, braucht er eine Qualitätskontrolle, die anhand klarer Kriterien entscheidet, welche Produkte an den Kunden rausgehen können – und welche die Toleranzen überschreiten, misslungen sind und darum wieder eingeschmolzen werden. Ja, selbst das Denken und Lernen folgt diesem Prinzip! Wenn in den Geisteswissenschaften ein Frage aufgeworfen wird, beginnt ein großes Brainstorming, in dem man Ideen und mögliche Antworten sammelt, um sie anschließend zu prüfen, um die widersprüchlichen, nicht zielführenden auszuschließen – und die vielversprechenden so lange zu verfolgen und weiterzuentwickeln, bis man sich begründet für ein Denkmodell oder einen Lösungsweg entscheiden kann. „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ – so funktioniert das überall. Doch funktioniert es eben nur, wenn man das richtige Kriterium anwendet. Denn wer das Geschäft der Kritik nicht beherrscht, läuft Gefahr, entgegen seiner Absicht das Gute zu verwerfen und das Schlechte zu behalten. Ich erinnere nur an den Umgang der Nazis mit Kulturgütern. Auch sie wollten eine Auswahl treffen. Sie stellten die „entartete Kunst“ zur Schau, um sie zu verbieten, und verbrannten die Bücher missliebiger Autoren. Anhand ihrer Maßstäbe selektierten sie. Weil die Maßstäbe aber falsch waren, behielten sie überwiegend das Schlechte. Aus Prinzip „kritisch“ zu sein, nützt also gar nichts, wenn man nicht die Merkmale kennt, anhand deren das Gute zu identifizieren ist. Bedenken sie nur, was mit einem Pilzsammler passiert, wenn ihm die Maßstäbe fehlen, um „giftig“ und „essbar“ zu unterscheiden. Die Welt ist voll von eifrigen Kritikern, die mit dem Zollstock die Außentemperatur messen und mit dem Thermometer die Breite einer Tür. Und so meinen auch viele, sie wüssten, was in Glaubensdingen „gut“ ist, denn sie hätten das „im Gefühl“. Aber stimmt es? Sähe unsre Welt so aus, wie sie aussieht, wenn der Mensch einen sicheren Instinkt für das Gute hätte? 

4. 

Jesus jedenfalls hielt den Menschen nicht für „sachkundig“. Als in einem Gespräch die Frage auftaucht, was denn „gut“ sei, sagt er: „Niemand ist gut als Gott allein“ (Mk 10,18, vgl. Mt 19,17). Und wenn der Satz stimmt, hat er weitreichende Folgen. Denn dann ist nichts anderes „gut“ als nur, was Gott will. Und was er will, hat er uns in seinen Geboten kundgetan. Die sind ebenso „heilig, gerecht und gut“ wie der, der sie gegeben hat (Röm 7,12). Wären sie uns aber schon immer bekannt gewesen, hätte Gott sie nicht am Berg Sinai und durch den Mund Jesu offenbaren müssen. Hätte der Mensch „im Gefühl“, was gut ist, hätte es darüber keiner Mitteilung bedurft. Doch tatsächlich sind Adam und Eva schon im Paradies falsch abgebogen. Es war dringend nötig, den moralischen Kompass der Menschheit neu zu justieren. Und darum machte Gott seinen Willen bekannt. Seit er aber schriftlich vorliegt, kann am Maßstab des Guten kein Zweifel mehr bestehen: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Mi 6,8). Gottes Gebot ist nicht zu hoch oder zu fern, so dass wir nicht herankämen (5. Mose 3,11-14). Gottes Sohn hat uns nicht bloß erklärt, sondern auch vorgelebt, wie der Mensch sein soll. Und immer ist dabei der Grundsatz leitend, dass, wenn doch niemand gut ist als Gott allein, nur der Mensch gut handelt, der dasselbe will, was Gott will (Mt 6,10; Lk 22,42). Das ist aber nicht so zu verstehen, als orientierten wir uns mit Gott gemeinsam an einer dritten Instanz, nicht so, als gäbe es das Gute auch unabhängig von Gott als eigenständige Größe, nicht so, als wäre Gott bloß gut, solange er das Gute will – sondern (umgekehrt) ist das Gute allein darum gut, weil Gott es will. An einem runden Tisch ist nirgends „oben“, bis der Chef sich hinsetzt. Hat er’s aber getan, so ist dort „oben“, wo der Chef sitzt. Und so folgt auch Gott keiner Regel, sondern ist selbst die Regel. Sein Wille orientiert sich an keinem Maßstab, er ist der Maßstab. 

5.

Was will Gott aber konkret? Geht das nicht klar genug sowohl aus dem Gesetz als auch aus dem Evangelium hervor? Natürlich will Gott sein Schöpfungswerk zum Ziel führen! Er hat den Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen, zu einem ihm entsprechenden Dialogpartner, mit dem er in Gemeinschaft stehen möchte. Der Mensch aber hat sich von Gott abgewandt und ist damit schuldhaft aus seiner Gemeinschaft herausgefallen. Gott hätte nun alles Recht, diesen Menschen zu verdammen. Doch in seiner Güte will er ihm lieber die Rückkehr ermöglichen – und Gott bringt dafür am Kreuz das denkbar größte Opfer. Dadurch wird Versöhnung möglich. Und so ist nun jeder Mensch aufgefordert, über die Brücke zu gehen, die Christus für ihn gebaut hat, und in die Gemeinschaft mit Gott zurückzukehren. Die dazu nötigen Mittel wurden in Wort und Sakrament bereitgestellt. Und jeder ist eingeladen, mit ihrer Hilfe ein Glied am Leib Christi zu werden. Denn das ist Gottes vordringlicher Wunsch und Wille, dass wir seine Gnade annehmen (2. Kor 5,20). Wenn aber nach allem, was wir sagten, nicht „gut“ sein kann, was dem Willen Gottes entgegensteht – haben wir unser Kriterium dann nicht gefunden? Nur das ist gut, was den Menschen seiner gottgewollten Bestimmung näher bringt, was ihn also zum Glauben und im Glauben zu Christus führt. Nur Gottes Sohn kann das Krumme am Menschen wieder gerade machen. Und der sachgemäße Maßstab für das Gute ist darum nicht, was sich „gut anfühlt“, was die Mehrheit „gut findet“ oder was bei Freunden „gut ankommt“. Entscheidend ist nicht, was den Menschen erfolgreich oder zufrieden macht. Sondern „gut“ ist wirklich nur, was ihn seinem Heil näher bringt. Und was dem entgegen steht (was ihn hindert, mit Gott seinen Frieden zu machen), wird auf jeden Fall „schlecht“ sein – selbst wenn es ein staatliches Gesetz wäre, ein cooler Trend oder ein Herzenswunsch der Familie, selbst wenn es gut bezahlt würde oder das Leben leichter machte. Niemand ist gut als Gott allein. Und weil er mit uns in Gemeinschaft stehen will, kann nicht gut sein, was sie oder mich oder einen anderen von Gott trennt. Gut ist, was dazu beiträgt, dass der Mensch in und durch Christus wird, was er sein soll. Nur das bringt ihn seiner Bestimmung näher. Nur das lässt sein Leben gelingen. Nur dadurch gewinnt er Anteil am Heil. Und mag‘s auch nicht das sein, was er sich gerade wünscht, so ist es doch genau das, was er in Wahrheit braucht – und woraufhin ihn recht verstandene Nächstenliebe zu fördern versucht. Damit ist aber gar nichts Originelles gesagt, sondern wir wenden nur das Kriterium auf das Gesamtgebiet des Redens und Denkens an, das auch schon innerhalb der Bibel gilt – dass nämlich alles daran zu messen ist, ob es „Christum treibet“. Martin Luther prägte diesen Ausdruck und beschrieb damit den sachgemäßen Maßstab christlichen Prüfens, weil bei noch so großer Verschiedenheit doch alle Schriften des Neuen Testaments darin übereinstimmen, dass sie den Leser auf Christus verweisen, in dem allein Gnade und Heil zu finden sind. In diesem Drängen, Schieben und Ziehen zu Christus hin kommen sie alle überein, das ist die „Mitte der Schrift“, das ist der rote Faden, der sich durchzieht, das ist die Pointe, auf die alles hinausläuft, das ist der gemeinsame Nenner, auf den alle apostolischen Zeugnisse zu bringen sind. „Darin“, sagt Luther, „stimmen alle rechtschaffene heilige Bücher überein, dass sie allesamt Christum predigen und treiben. Auch ist das der rechte Prüfstein, alle Bücher zu tadeln, wenn man sieht, ob sie Christum treiben oder nicht…“  Und wenn sich schon die Apostel gefallen lassen müssen, daraufhin befragt zu werden, wenn schon die biblischen Autoren unter Anwendung dieses, der Bibel selbst entnommenen Kriteriums kritisiert werden können – dann gilt das erst recht von allen späteren Christen, dass sie (auf der Kanzel oder darunter, als Theologen oder als Laien) nie außer Acht lassen dürfen, was das biblische Gesamtzeugnis so deutlich sagt: Gott ist darauf aus, die im Sündenfall zerstörte Gemeinschaft mit seinen Geschöpfen in und durch Christus wieder herzustellen. So und nicht anders gedenkt er zu helfen. Und darum kann nur „gut“ sein, was mit dem Streben Gottes übereinkommt, was also, indem es „Christum treibet“, die Menschen Christus (und damit zugleich ihrer gottgewollten Bestimmung) näher bringt.    

6. 

Wir kommen damit zurück zu Paulus, der uns auffordert, alles zu prüfen und nur das Gute zu behalten. Denn jetzt steht uns der Maßstab zur Verfügung, der uns zur Kritik befähigt. Es geht nicht darum, sich aus dem Kuchen der Welt die Rosinen herauszupicken. Es geht nicht darum, dem eigenen Instinkt zu folgen oder auf den eigenen Bauch zu hören. Und es geht auch nicht darum, die Bibel zu kritisieren – sondern mithilfe der Bibel alles andere. Denn was Gott will, wissen wir nur aus Gottes Wort. Und nur, was er will, verdient „gut“ genannt zu werden. So wird einer, der Gott nicht kennt, auch nie verstehen, was in Wahrheit „gut“ ist. Wer ihn aber kennt, kann auf dieser Basis alles andere prüfen. Denn in einer Welt voller verwirrender Impulse verstehen Christen den rechten Filter vorzuschalten. Wir halten nicht jeden Pilz für essbar, nur weil er einen süßen Geruch verströmt. Wir halten nicht jeden Wirrkopf für fromm, nur weil er „Halleluja“ schreit. Was prüfen wir aber anhand wovon? Wir prüfen nicht Gottes Wort anhand der Welt. Wir fragen nicht, was gerade zeitgemäß ist, glücklich macht oder Vorteile bringt. Sondern wir machen es andersherum. Wir prüfen nicht die Schrift am Maßstab der Welt, sondern die Welt am Maßstab der Schrift. Wir prüfen alles daraufhin, ob es uns und die anderen Gott näher bringt, ob es uns und die anderen darin fördert, Gott entsprechende Menschen zu sein. Denn soviel ist klar, dass es im Konflikt mit Gott kein gelingendes Leben geben kann. Wir fragen deshalb, was den Leib Christi auferbaut und was ihn zerstört (1. Kor 14,3ff.; Eph 4,12), was uns mit Christus vereint und was uns von ihm trennt, was wir im Konsens mit ihm tun können – und was wir lassen sollten, weil es sein Einverständnis nicht findet. An diesem Prüfstein ist alles zu messen. Und so muss sich jeder, der uns raten will, fragen lassen, ob das, was er vorschlägt, nur seinen eigenen oder auch Gottes Wünschen entspricht. Denn was Gott nicht gefällt, kann auch uns nicht gefallen. Wir prüfen nicht Gottes Gebot anhand menschlicher Wünsche, sondern umgekehrt. Wir verwechseln nicht den Prüfstein mit dem zu Prüfenden oder den Maßstab mit dem zu Messenden. Und wir kritisieren auch nicht die Bibel, sondern mithilfe der Bibel alles andere. Gottes Wort ist „ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens“ (Hebr 4,12). Und sind wir mit ihm vertraut, so herrscht in der Welt durchaus kein schummriges Dämmerlicht, in dem alle Katzen grau erscheinen, sondern mit Gottes Wort ist dann genügend Licht gegeben, dass man „gut“ und „böse“ zuverlässig unterscheiden kann. 

7. 

Als letzte Anmerkung sei aber noch der Hinweis erlaubt, dass es mit der Unterscheidung allein nicht getan ist. Denn all der kritische Sinn nützt ja rein gar nichts, wenn man sich anschließend von dem als „schlecht“ Erkannten nicht trennen mag – und das als „gut“ Erkannte nicht zur Anwendung bringt. Mag sein, dass wir uns in der Rolle des Richters gefallen. Doch darf man vor lauter Prüfungseifer nicht vergessen, irgendwann auch Konsequenzen zu ziehen. Denn wozu wär‘s gut, ein kompetenter Kritiker zu sein, wenn man bei der Kritik stehenbliebe? Mancher, der sein Leben nicht ändern will, begrüßt es, wenn die Dinge in der Schwebe bleiben. Vielleicht prüft er auch, prüft und prüft in der Hoffnung, dass bei der hundertsten Prüfung ein anderes Ergebnis herauskommt! Doch so ist es natürlich nicht gemeint. Der Sinn des Unterscheidens liegt nicht im Unterscheiden selbst, sondern darin, dass die gewonnene Erkenntnis anschließend unser Handeln leitet. Das Gute ist nicht bloß zu benennen, sondern auch zu tun. Das Schlechte ist nicht bloß zu verdammen, sondern auch zu unterlassen. Und so darf man zuletzt am Leben der Kritischen ablesen, ob ihnen ihre Kritik auch wirklich etwas nützt. Die Kritischen dieser Kritik zu unterziehen, scheint mir aber höchst nötig. Denn nach Jesu Wort erkennt man einen guten Baum nicht daran, dass er andere Bäume zu kritisieren versteht, sondern daran, dass er selber gute Früchte trägt (Mt 7,15-20).

 

 

Bild am Seitenanfang: Aschenputtel (Ausschnitt)

Alexander Zick, Public domain, via Wikimedia Commons