Neue Propheten? Neue Offenbarungen?

Neue Propheten? Neue Offenbarungen?

Vor einiger Zeit sprach ich mit Konfirmanden über das Alte Testament. Und einer von ihnen fragte mich, was denn eigentlich ein „Prophet“ sei. Ich antwortete, ein Prophet, das sei ein Mann, der dem Volk Gottes Wort verkündet. Der Konfirmand aber hakte nach und wollte wissen, ob ich denn dann auch ein Prophet sei. Ich würde doch auch Gottes Wort verkündigen. Ich sagte ja, äh, klar – als Pfarrer täte ich das schon. Aber ein Prophet sei ich dennoch nicht. Und als er mich verständnislos ansah, kam ich wirklich etwas ins „Schwimmen“. Denn über den Unterschied zwischen Pfarrer und Prophet hatte ich so noch nicht nachgedacht. Tatsächlich stimmt die Art, wie beide Gottes Wort weitergeben, ziemlich überein: Pfarrer und Prophet tun nicht eigene Weisheit kund, sondern übermitteln Gottes Wort, an das sie gebunden sind. Sie tragen Gottes Botschaft allen vor, die sie hören wollen – und auch manchen, die sie nicht hören wollen. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, wie sie Gottes Wort empfangen und woher sie es nehmen. Denn die Propheten des Alten Testaments wurden jeweils ganz persönlich von Gott angesprochen. Er offenbarte ihnen bis dahin Verborgenes, das sie dann vor aller Ohren enthüllten. Ein Pfarrer dagegen empfängt nicht persönlich „neue Offenbarungen“, sondern vermittelt und erklärt, was im Evangelium des Neuen Testaments offenbart wurde – und damit jedem zugänglich ist. Propheten wie Jesaja und Jeremia hatten privilegierten Zugang zu dem, was vor ihnen noch keiner wusste. Ein Pfarrer hat nur Zugang zu dem, was jeder andere Christ auch wissen kann, wenn er seine Bibel liest. Und privilegiert ist der Pfarrer nur insofern, als er die biblische Botschaft gründlich studieren durfte. Die Mitteilung eines Propheten legitimiert sich dadurch, dass Gott unmittelbar zu ihm gesprochen hat. Die Mitteilung eines Pfarrers legitimiert sich dadurch, dass sie der Bibel entnommen ist – und der Pfarrer das auch belegen kann. Damit gab sich mein Konfirmand zufrieden. Doch kürzlich hat mich die Sache wieder eingeholt, weil im Bibelkreis die Frage aufkam, ob‘s denn auch heute noch Propheten gäbe. Ich sagte spontan „nein“. Denn bekanntlich ist Johannes der Täufer der Letzte in der langen Reihe der Propheten. Seine Vorgänger haben den Messias Israels angekündigt und sehnsüchtig auf ihn gewartet. Doch Johannes der Täufer durfte die Erfüllung ihrer Verheißungen erleben und den Messias mit eigenen Augen sehen. Was die Propheten erwarteten, trat in dem Moment ein als Jesus geboren wurde, ihre Aufgabe war damit erledigt – und die Prophetie endete. Doch wie das im Bibelkreis so ist: Spontan fiel jemandem ein, dass doch Paulus unter den vielen Geistesgaben auch die „prophetische Rede“ nennt (1. Kor 11,4; 12,10; 13,8-10; Röm 12,6) und neben den Aposteln, den Lehrern und Wundertätern in der Gemeinde auch „Propheten“ erwähnt (1. Kor 12,28; Eph 4,11-12). Im 1. Korintherbrief lobt er sie ausdrücklich, weil ihre „prophetische Rede“ zur Erbauung, zur Ermahnung und zur Tröstung der Gemeinde beiträgt (1. Kor 14,1-5). Wenn es also in der frühen Christenheit Propheten gab – war dann Johannes der Täufer doch nicht der letzte Prophet? Und wenn‘s vielleicht noch heute Propheten gäbe, dürften wir von ihnen dann neue Offenbarungen erwarten – sozusagen als „Ergänzungen“ und „Updates“ zum Neuen Testament, als nachgeschobene Aufklärung über Fragen, die Jesus zu behandeln vergaß? Manche bekommen da leuchtende Augen und meinen, das wäre doch spannend. Gott solle sich (nach so langem Schweigen) endlich mal wieder äußern! Aber andererseits: Hat Jesus nicht vorausgesagt, es würden einst viele falsche Propheten auftreten, die sich zu Unrecht auf ihn berufen, um die Christen vom Glauben abzubringen (Mt 24,11.24; Mk 13,22; 1. Joh 4,1; 2 Petr 2,1-3; Offb 19,20; 20,10)? Und wenn die wirklich wunderbare Dinge sagten und täten – hätten wir dann nicht ziemliche Probleme, zwischen echten und falschen Propheten zu unterscheiden? Gibt‘s nicht schon genug Sektierer, Wirrköpfe und Esoteriker, die behaupten, über „höhere Eingebung“ zu verfügen, über „geheime Offenbarungen“ und „Engelsbotschaften“? Das ist ein weites Feld, auf dem sich Leichtgläubige bald verirren. Und so will ich heute erklären, warum es zwischen dem Neuen Testament und der Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag keine inhaltlich neuen Offenbarungen Gottes mehr gegeben hat – und auch keine geben wird. Wie kann ich das aber so sicher behaupten? Einfach weil die Zeit vor und die Zeit nach Christus ganz verschiedene Phasen der Heilsgeschichte sind – und dazwischen ein Bruch stattgefunden hat, dessen Tragweite man nicht übersehen darf. Uns muss klar sein, dass alle Propheten vor Christus das Wort Gottes nur bezeugt haben, Jesus Christus aber in eigener Person das Wort Gottes ist. Und dieser „qualitative Sprung“ schafft eine neue Lage. Denn Christus „bringt“ keine Botschaft, wie das die alten Propheten taten, sondern er ist die Botschaft. Christus redet nicht bloß von Gott, sondern ist selbst der Gott, der da redet – und ist zugleich der wesentliche Inhalt des Gesagten! Gott spricht nicht wie vorher durch eine Wand hindurch in die Welt hinein, sondern er selbst erscheint auf unserer Seite der Wand! Und ob man das noch vor sich oder schon hinter sich hat, macht einen gewaltigen Unterschied. In alttestamentlicher Zeit war es die Aufgabe der Propheten, jenes Wort Gottes, das nicht in der Welt war, in die Welt hineinzutragen und es dem Volk zu übermitteln. Die Propheten enthüllten Verborgenes, das Gott erstmal nur ihnen persönlich mitgeteilt hatte. Er legte es ihnen zur Verkündigung in den Mund. Und anders als durch ihr prophetisches Reden war Gottes Wort nicht zu haben. Doch seit Christus in der Welt erschien, liegen die Dinge anders. Denn nun ist Gottes Wort nicht mehr verborgen, sondern „das Wort ward Fleisch“ (Joh 1,14) und Gott selbst ist in Christus weitgehend unverhüllt in der Welt erschienen. Christus übermittelt uns nicht die Worte eines fernen Gottes, sondern ist das Wort Gottes in eigener Person – und zugleich das wahre Ebenbild des Vaters (2. Kor 4,4; Hebr 1,3; Kol 1,15). In seinem Evangelium hat sich Gott so offen kundgetan, dass diese Kundgabe nicht mehr zu überbieten ist (Hebr 1,1-5). Wenn Gott also selbst als Mensch unter den Menschen erschien – was könnte ein verspäteter Prophet da noch „enthüllen“? Oder was sollte er noch „Neues“ verraten, das nicht längst in Christus als Gottes eigenem Wort eingeschlossen wäre? „Niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). Das sagt Jesus von sich selbst. Und so müsste einer, der nach ihm noch als „Prophet“ auftreten wollte, beanspruchen, mehr von Gott zu wissen als Gottes Sohn. Aber dazu haben sich die Apostel und Lehrer der Christenheit natürlich nie verstiegen, sondern haben ihr Amt viel bescheidener aufgefasst. Die Jünger Jesu „offenbaren“ nämlich gar nichts, sondern bezeugen bloß vor aller Welt, was Gott in Christus offenbart hat. Natürlich treibt sie dabei der Heilige Geist, ohne den sie ja gar keine Jünger wären! Aber deswegen bringt ihre Verkündigung doch kein „neues“ Licht in die Welt, sondern sie verbreitet das Licht, das in Christus erschienen ist. Mehr kann und will ein Christ nicht beanspruchen – wie „erleuchtet“ er auch sein mag. Denn Gottes Wort liegt nun aufgedeckt vor aller Augen und bedarf nicht mehr dessen, dass es einer „enthüllt“. Vielmehr tun die vom Heiligen Geist Getriebenen seit dem ersten Pfingsttag nichts anderes, als dass sie begeistert auf Christus verweisen und das in ihm Offenbarte bezeugen (Apg 2,1-36). So sehr sie der Geist auch erfüllt, bringen sie zum Evangelium doch nichts Neues hinzu, sondern vertiefen sich durch geistliche Auslegung in das Vorhandenen. Sie feiern die in Christus gegebenen Wahrheit und entfalten sie zur Erbauung, Ermahnung und Tröstung der Gemeinde (1. Kor 14,3). Aber das ist etwas anderes, als die Propheten des Alten Testaments taten. Denn damals, als Gottes Geheimnis noch in der Zukunft verborgen lag, waren die Propheten so wertvoll wie Taschenlampen in einer dunklen Nacht. Nur sie brachten Gottes Wort in die Welt. Und ohne diese „Taschenlampen“ hätte man von Gott sehr wenig gewusst! Doch ist nun in Christus die Sonne aufgegangen mit strahlendem Glanz – Gott selbst erschien in der Welt, sein Wort ward Fleisch! Und seither erscheint jede Taschenlampe lächerlich, die meint, sie könnte dem Licht der Sonne noch etwas hinzufügen. Christus hat die Welt mit dem Licht der Gotteserkenntnis geflutet. Und wenn nun einer am hellen Mittag noch sein Streichholz anzündete und riefe: „Schaut auf mein Licht, ich bin ein Prophet!“ Wäre das nicht albern? Will der mit seinem Streichholz die Sonne beleuchten, während sie hoch am Himmel steht? So einer würde zurecht ausgelacht. Und man sollte ihn nicht für einen Christen halten. Denn eine dem Inhalt nach „neue“ Prophetie (die nicht nur auf das Evangelium verweisen, sondern das Evangelium ergänzen will) kann nur vertreten, wer die Christusoffenbarung für defizitär hält. Und so einer hat seine Weisheit sicher nicht von Gott. Wer der Christenheit etwas Neues erzählen möchte, muss unterstellen, Christus habe nicht alles gewusst – oder habe etwas böswillig verschwiegen. Und das ist keiner Widerlegung wert. Denn als Christen sehen wir die Sonne hell genug am Himmel stehen. Kommen aber trotzdem „neue Propheten“ und Sektierer, die uns mit ihren „Offenbarungen“ über das Evangelium Christi „hinausführen“ wollen, werfen wir sie besser gleich aus dem Haus. Denn wer uns über das Ziel „hinausführt“, führt uns vom Ziel weg. Und rechtschaffene Prediger tun stets das Gegenteil. Die wissen, dass sie von Gottes Wort nichts „wegnehmen“ und ebensowenig etwas „hinzufügen“ dürfen. Aber was drin enthalten ist, das entfalten sie auf immer neue Weise und bringen es der Gemeinde nahe. Die Hirten und Lehrer der Christenheit steigen in die biblische Offenbarung hinein wie in eine Schatzkammer, um der Gemeinde mit Freude all das Schöne vorzuführen, dass sie darin finden. Keiner aber dürfte sagen, er habe zur Schatzkammer Christi selbst etwas hinzugefügt, weil er so dermaßen „erleuchtet“ sei. Denn solche Apostel jagen wir vom Hof. Und wenn sie vorgeben, sie hätten ihre Weisheit nicht wie unsereiner aus der Schrift, sondern hätten sie durch „höherer Eingebung“ direkt von Gott empfangen, dürfen wir sie getrost für Spinner halten. Denn Gottes Geist redet durch das biblische Wort – und gewiss nicht am Wort vorbei. Vermeintlich „Inspirierte“ haben aber schon viel Schaden angerichtet, weil sie Leichtgläubige davon überzeugten, man müsse ehrfürchtig an ihren Lippen hängen. Um das Jahr 200 herum gab es einen Mann namens Montanus, der mit „neuen Offenbarungen“ Verwirrung stiftete. Im Mittelalter waren manche Mystikerinnen nicht weit davon entfernt, ihre privaten Visionen als „Offenbarungen“ auszugeben. Und zur Zeit der Reformation gab es Schwärmer und Enthusiasten, die sich als „neue Propheten“ feiern ließen. Manche Pietisten und Quäker nehmen ihr „inneres Licht“ so wichtig, dass sie es der Heiligen Schrift überordnen. Und von der neuapostolischen Kirche über die Mormonen bis hin zu Swedenborg, Jakob Lorber, Rudolf Steiner und neueren „Engelsbotschaften“ gibt es viele Irrlichter dieser Art. Man muss sie nicht alle in einen Topf werfen. Doch liegt auf der Hand, dass die christliche Gemeinde von ihren „Offenbarungen“ nicht profitiert. Denn vernünftigerweise werden wir nur annehmen, was mit dem biblischen Zeugnis übereinstimmt – und werden ablehnen, was vom biblischen Zeugnis abweicht. Das ist der kritische Maßstab, den Christen an jeden Prediger anlegen. Ein Erkenntnisgewinn kommt da aber nicht zustande. Denn für jenen Teil, den der Christ schon in seiner Bibel findet, hat er keinen „neuen Propheten“ gebraucht. Und den „überschießenden“ Teil, den seine Bibel nicht bestätigt, wird er klugerweise auch nicht glauben. Den einen Teil hat er schon, den anderen will er nicht. Wie sollte er also durch „neue Offenbarungen“ gefördert werden? Da ist nichts zu gewinnen. Und will uns einer über die Christusoffenbarung „hinausführen“, kann er sich dafür nicht auf Gottes Geist berufen. Denn dessen höchstes Anliegen ist ja gerade, dass wir im Sohn das wahre Ebenbild des Vaters sehen und im Bewusstsein ihrer Einheit das Wort Christi als Gottes Wort hören. Habe wir dieses Wort aber nicht anders vorliegen als im Neuen Testament, so wird uns der Heilige Geist auch nicht über die Schrift hinausführen, sondern immer nur tiefer in sie hinein. Jesus sagt zwar, der Heilige Geist werde die Jünger in alle Wahrheit leiten und sie später noch in manchem erhellen, was sie momentan nicht verstehen. Im selben Atemzug stellt er aber auch klar, dass der Geist dabei Christus verherrlichen und das, was er zu sagen hat, von Christus nehmen wird (Joh 16,12-14). Und so tun rechtschaffene Prediger nichts anderes, als dass sie ihre Hörer in die Schatzkammer Christi führen und ihnen zeigen, was sie dort gefunden haben. Natürlich reden sie dabei „vom Heiligen Geist getrieben“. Und will‘s deshalb jemand als „Prophetie“ bezeichnen, so darf er jeden Christen einen „Propheten“ nennen, weil schließlich jeder Einzelne von seinem Glauben Zeugnis geben kann. Das meint Paulus auch, wenn er die „prophetische Rede“ in der Gemeindeversammlung beschreibt – Christen geben einen spontanen, von persönlicher Erfahrung gesättigten Hinweis auf das ihnen in Christus offenbarte Heil! Doch sollte man das besser nicht „Prophetie“ nennen. Denn dieser Titel ist allzu sehr vom Alten Testament her bestimmt und legt das Missverständnis nahe, da empfinge jemand „göttliche Botschaften“, die außer ihm keiner empfängt, und alle anderen müssten seine Rede als „Wort Gottes“ anerkennen, bloß weil er sie mit diesem Anspruch vorträgt und ruft: „So spricht der Herr...!“ Daraus entsteht nichts Gutes. Denn längst nicht jeder, der mit Pathos redet und sich erleuchtet vorkommt, ist wirklich „trunken vom Heiligen Geist“. Ist er’s aber wirklich, so hat er damit anderen nichts voraus. Denn „erleuchtet“ ist schließlich jeder Christ – und wäre ohne Erleuchtung nie zum Christen geworden. Jedem Gläubigen wurde persönliche „Offenbarung“ zu Teil, als der Heilige Geist ihm die blinden Augen öffnete und das Licht des Glaubens in ihm entzündete. Dieser Gnade dürfen wir uns alle rühmen. Doch ist diese innere Offenbarung Gottes in mir von der äußeren Offenbarung Gottes in der Welt zu unterscheiden. Und ohne die Letztere hätte es die Erstere nicht gegeben. Bevor mir Gottes Wahrheit innerlich aufgehen konnte, war sie schon äußerlich in der Welt, war schon längst Mensch geworden, war sogar zum Buch geworden, war mir verkündet worden – und hatte dazu meiner nicht bedurft. Das innere Wort in mir kommt nicht ohne das äußere Wort, das Gott als Mittel zu diesem Zweck verordnet hat. Die Bibel bleibt die Quelle, aus der Gottes Geist schöpft – und aus anderen Quellen nimmt er nichts. Darum lasse sich bitte keiner einen „Propheten“ nennen und keiner blase sich vor den anderen auf mit besonderen „Inspirationen“. Keiner erhebe sich über die Schrift – und er verschone die Gemeinde mit seinen „höheren Eingebungen“. Vielmehr, wenn der Heilige Geist ihn in der Schatzkammer der neutestamentlichen Offenbarung etwas Herrliches hat finden lassen, so zeige er es den anderen mit Freude – zeige ihnen aber bitte auch gleich, dass er es aus der Schrift genommen hat. Denn es ist zweierlei, ob sich Gottes Wahrheit mir erschließt, oder ob ich sie der Welt erschließe. Mein Eindringen in Gottes Wahrheit kann im Laufe des Lebens Fortschritte machen. Aber es ist zweierlei, ob meine Einsicht wächst, oder ob dabei die Offenbarung selbst wächst. Als Kind habe ich vielleicht nur zwei Schritte gemacht in die Schatzkammer der Offenbarung – und bin später tiefer eingedrungen, um dann auch mehr zu sehen. Aber es wäre doch töricht, daraus zu folgern, die Schatzkammer selbst wäre unterdessen größer geworden – oder wäre gar größer geworden durch mein persönliches Fortschreiten! Es ist zweierlei, ob durch Gottes Gnade meine Wahrnehmung wächst – oder das Wahrgenommene. Nicht alles ist „neu“, bloß weil es mir „neu“ ist! Und so ist es zweierlei, empfangene Offenbarung zu bezeugen – oder selbst neue Offenbarung zu bringen. Gebracht hat sie aber Christus ein- für allemal und hat dabei nichts versäumt, was jetzt christlichen „Propheten“ noch ergänzen müssten. „Gottes Geist gibt keine neuen Offenbarungen, aber er erklärt die vorhandenen“ (Spurgeon). Und daran können wir uns genügen lassen, denn mit dem Verstehen des Vorhandenen haben wir ja noch genug zu tun. Gottes Offenbarung ist abgeschlossen, aber ausgeschöpft haben wir sie nicht. Gottes Wort liegt offen vor uns, aber seine Tragweite hat noch keiner ganz erfasst. Da ist nichts offen geblieben, das Gott vergessen hätte uns zu sagen. Aber am Hören und Verstehen müssen wir noch üben. Gottes Offenbarung in Christus liegt vor – und Propheten gibt‘s darum nicht mehr. Aber das macht auch nichts. Denn die Boten eines Königs sind nur solange wichtig, wie der König selbst in der Ferne weilt. Wenn der König aber vor Ort erschienen ist, wen kümmern dann noch seine Boten? Christus ist nicht Bote, sondern König! Er „bringt“ nicht Gottes Wort, sondern ist selbst der Gott, der es redet. Die Gegenwart dieses Königs macht Boten der alten Art überflüssig. Und darum bleibt‘s dabei, dass Johannes der Täufer der letzte Prophet gewesen ist.

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Apostle

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