AUSGEWÄHLTE

CHRISTLICHE REDEN

VON

SÖREN KIERKEGAARD.

 

Aus dem Dänischen übersetzt von

Julie von Reincke.

 

Mit einem Anhang

über

Kierkegaard’s Familie und Privatleben

nach den persönlichen Erinnerungen

seiner Nichte, Fräulein Lund.

 

Nebst einem Bild Kierkegaard’s und seines Vaters.

 

Der Reinertrag

ist für ein Isolierhaus am „Elisabethenstift“ zu Darmstadt bestimmt.

 

Gießen

J. Ricker’sche Verlagsbuchhandlung

( Alfred Töpelmann )

1901.

 

Dem Andenken

der entschlafenen Freundin gewidmet.

Matth. 5,5 u. 6,17.18.

 

 

INHALTSVERZEICHNIS.

 

                                                                                                Seite

 

Geleitswort vom Herausgeber                                                       IX

 

I. Heidnisches Sorgen. Fünf christliche Reden.

 

Einleitung. Über die Lehrweise des Evangeliums                     3

 

1. Die Sorge der Armut                                                              9

 

2. Die Sorge der Niedrigkeit                                                      23

 

3. Die Sorge der Hoheit                                                             37

 

4. Die Sorge der Vermessenheit                                                53

 

5. Die Sorge der Unschlüssigkeit,

des Wankelmuts, der Trostlosigkeit                                            67

 

II. Stimmungen im Leidenskampfe. Drei christliche Reden.

 

1. Einmal leiden, ewig siegen                                                     83

 

2. Die Trübsal schafft Hoffnung                                                   97

 

3. Je ärmer selbst, desto reicher für andere                               107

 

Anhang. Sören Kierkegaard’s Familie und Privatleben.

Persönliche Erinnerungen von S. Kierkegaard’s Nichte,

Fräulein K. Lund                                                                                121

 

Zwei Abbildungen:

Bild Sören Kierkegaard’s im 23. Lebensjahre, als Titelbild.

Bild von Kierkegaard’s Vater im Alter, vor dem Anhang.

 

 

GELEITSWORT.

 

Die folgenden acht „Christlichen Reden“ des bekannten und doch lange nicht genug erkannten dänischen „christlichen Sokrates“ sind, soviel wir wissen, noch nie in deutscher Sprache erschienen, obwohl bereits zwei andere Behandlungen der gleichen Texte zu den fünf ersten Reden bei uns verbreitet sind. Schon bei den letzteren führt hier die spezifisch-“christliche“ Behandlung des Gegenstandes über die allgemein-religiöse und gesetzlich-fromme der früheren Darstellungen K’s. grundsätzlich hinaus; viel mehr noch ist dies der Fall bei den drei Reden „Stimmungen im Leidenskampf“. So bilden alle acht zusammen eine willkomme-ne und nötige „christliche“ Ergänzung der bisher in Deutschland meist allein zugänglichen erbaulichen Reden in der an sich hochverdienten, nur vielleicht etwas einseitig gewählten und dazu mitunter verkürzten, Wiedergabe von Bärtholdt und Puls (Anm.: Abgesehen von den wenigen Reden, die Hansen in „Zur Selbstprüfung etc.“ und Schrempf in „Erkenne dich selbst“ übersetzt hat). Man kann hier nicht nur Kierkegaards höchste geistliche Ziele und feinste ethische Gedankengänge (Anm.: Natürlich hier in volkstümlich verständlichem Rahmen statt der sonstigen, bekanntlich oft schwer verständlichen, Einkleidung seiner großen theoretischen Schriften, die noch tiefer und umfassender die gleichen Probleme behandeln), sondern auch seine schriftstellerischen Dar-stellungsmittel und persönlichen Formeigentümlichkeiten vielseitig kennen lernen. – Und zu diesem erfrischenden Studium der reinsten „christlichen“ Ideale in freiester innerer Übersetzung für unsere Tage treten dann im Anhang als Folie noch intime menschliche Erinnerungen und Eindrücke einer Kierkegaard nahe-stehenden Zeitgenossin. Diese lassen gerade in ihrer naiven und beschränkten Unmittelbarkeit, auf dem Grunde klein-malerischer Zeit-  und Ortschilderung, den aufs Höchste reflektierten christlichen Denker in scharfer Profilierung und doch in wohltuender Zartheit einer weiblichen Beobachtung hervortreten.  

Die deutsche Übersetzung dieser Reden und Erinnerungen verdanken wir einer Kierkegaard ähnlich-geführten und -gestimmten stillen Frauenseele, der am Weihnachtsfest 1898 im „Elisabethenstift“ zu Darmstadt durch ein Herzleiden rasch heimgerufenen Deutsch-Russin Julie von Reincke. Aus einem militärischen Hause in St. Petersburg geboren, schon mit 11 Jahren des Vaters, mit 20 Jahren der Mutter beraubt, darnach Erzieherin ihrer zwei jüngeren Geschwister, hatte sie bereits mit 15 Jahren ihr Lehrerinnenexamen gemacht und von früh an emsig nach einer höheren allgemeinen und christlichen Bildung gestrebt. Aber erst ihre spätere einsame Selbständigkeit und das zu großen Kurreisen nach Deutschland nötigende schwere Herzleiden führten sie wie in das originale Verständnis des göttlichen Wortes so in die innere Disposition für den großen dänischen Dialekti-ker des Christentums hinein, der es in seinem ethischen Mittelpunkte, der Kreuzesnachfolge Christi, mit neuen Zungen verkündigt hatte. Die äußere Vermittelung dabei bildete ihre geistige Gemeinschaft mit einem Kierkegaards Verfasserschaft liebenden deutschen Pfarrhause, durch das die schon leidge-schwächte, aber unermüdlich strebende, innere Pfadfinderin ermutigt wurde, ihre letzten drei Lebensjahre dem Studium des Dänischen und der umfassenden Kierkegaardliteratur an Ort und Stelle zu weihen. Als sie dann, von der konzen-trierten Arbeit völlig aufgerieben, „vor der Zeit“, aber freudig ihr Leben als Opfer ihrer hohen Idee, diesen seltenen Geist noch weiteren „hommes de désir“ in Deutschland aufzuschließen, hingegeben hatte, fanden sich in ihrem Nachlasse die folgenden Reden und Auszüge sowie noch zwei bedeutsame philosophische Abhandlungen Kierkegaards vor, welche letzteren einer späteren Veröffent-lichung vorbehalten bleiben. Der jetzige Herausgeber der Reden, ihr oben-genannter Freund, hatte nichts zu tun, als ihre mit sichtlicher Liebe vollendete und zum Teil mit eigenem Herzblut erkaufte geistige Gabe in nochmaliger inhaltlicher und sprachlicher Durchsicht so völlig wie möglich für den Druck fertig zu machen, der leider durch seine gehäuften Berufsgeschäfte bis jetzt sich verzögerte. Aber wie Kierkegaard selbst zu den Jüngern des Herrn gehört, die „nicht sterben“ werden, so kommt auch nun dies Gedenkwerk für eine ihm nachstrebende Entschlafene nicht „zu spät“, auf deren Grabkreuz das für sie bezeichnende Bekenntnis steht: „Herr, deine Güte ist besser denn Leben!“

 Daß aber hier in frischer Gestalt der alte Kierkegaard und seine junge Nach-streberin (oder richtiger seines biblischen Urbildes!) zum Besten eines Hauses der Liebe reden, wie ein solches beide zum letzten Kampfe und Siege aufge-nommen hatte, wird hoffentlich die Freude an dieser scheinbar kleinen und doch geistlich-großen Gabe und den auch äußerlich-dienenden Erfolg derselben noch in weiteren Kreisen als sonst wohl zu erwarten wäre, erhöhen. Hat doch auch die sichtbare Ausstattung des Büchleins, insbesondere durch zwei seltene Bilder Kierkegaards und seines Vaters, es nicht an der schlichten Schönheit fehlen lassen, in der Kierkegaard gleich der Schrift die tiefste Wahrheit uns bietet!

 

Januar 1901.                                                                                        D. H. 

 

- Fortsetzung -