IV.

DIE SORGE DER VERMESSENHEIT.

 

Niemand kann seiner Länge eine Elle zusetzen –

nach solchem allen trachten die Heiden!

 

Diese Sorge hat die Lilie und der Vogel nicht, denn weder die Lilie noch der Vogel ist vermessen. Mit der Vermessenheit ist es nämlich nicht so, wie es mit Armut und Überfluß, Niedrigkeit und Hoheit war. Dort bestand, um bloß dies Eine zu nennen, die Preisgabe (Anm.: Ein Wortspiel im Dänischen, das sich deutsch nicht besser geben läßt) (das Verzweifelte) darin, in Armut zu sein, die Aufgabe dage-gen darin, in Armut zu sein ohne die Sorge der Armut. Hier aber ist es nicht also, als ob dies die Preisgabe (das Verzweifelte) wäre, daß man nun einmal ver-messen sei, und die Aufgabe – vermessen zu sein ohne die Sorge der Ver-messenheit! Nein, hier gibt es nichts Preisgegebenes, und die Aufgabe ist, nicht vermessen zu sein; die einzige Möglichkeit ist, ohne die Sorge der Vermessen-heit zu sein. Armut und Überfluß, Niedrigkeit und Hoheit ist nämlich das an sich Gleichgültige, das Unschuldige, das, was man sich nicht selbst gegeben hat oder wozu man sich nicht gemacht hat, das, was christlich-verstanden weder davon- noch dazu-tut. Darum fängt dort die Rede zuerst mit der Sorge an; sie wendet sich nicht gegen die Armut oder gegen den Überfluß, die Niedrigkeit oder die Hoheit, sondern gegen die Sorge. Etwas anders ist es mit der Vermessenheit, in derselben befindet sich keiner unverschuldet; und darum wendet sich die Rede geradezu gegen sie und nicht gegen die Sorge um sie. Ja, wenn dies Unmögli-che möglich wäre, nämlich die Sorge um sie wegzunehmen ohne die Vermessen-heit selbst wegzunehmen, so würde die Rede dies keineswegs wollen; hier soll die Sorge gerade als Fluch über dem Vermessenen sein!

Aber die Lilie und der Vogel haben diese Sorge nicht! Ob eine einzelne Lilie, schlank im Wuchs, beinahe zu menschlicher Höhe emporschießt – sie trachtet nicht darnach, weder eine Elle noch einen Zoll zu ihrem Wuchs hinzuzufügen, sie trachtet nicht nach dem mindesten „Mehr“. Es liegt auch nichts Vermessenes in dieser ihrer Höhe im Vergleich zu den anderen Lilien, die nicht darnach trachten – dies würde ja eben das Vermessene sein. Daß der Goldspatz allen den Staat anhat, während der Grauspatz ärmlich gekleidet ist, darin liegt nichts Vermesse-nes von seiten des Goldspatzes; und der Grauspatz trachtet nicht nach ihm – dies würde ja eben das Vermessene sein. Und wenn der Vogel sich von der schwindelnden Höhe herunterstürzt, darin ist nichts Vermessenes, er versucht damit auch nicht Gott – Gott ist’s ja doch selbst, der ihn sicherer trägt, als wenn alle Engel ihn trügen, damit er seinen Fuß nicht an einen Stein stoße! Ob der Vogel auch noch so deutlich, noch so scharf sieht, daß er das Gras wachsen sehen könnte, darin liegt nichts Vermessenes. Er drängt sich mit seinem scharfen Gesicht nicht in das Verbotene ein, auch dann nicht, wenn er im nächtlichen Dunkel deutlich und klar sieht; denn dies geschieht nicht durch unerlaubte Mittel. Und ist der Vogel auch unwissend über Gott, darin liegt noch keine Vermessen-heit; denn er ist unschuldig-unwissend, nicht geistlos-unwissend!

Also machen sich weder die Lilie noch der Vogel irgend welcher Vermessenheit schuldig, und sind selbstverständlich auch ohne die Sorge der Vermessenheit. Woher kommt das nun? Das kommt daher, daß der Vogel und die Lilie stets wollen wie Gott will und stets tun was Gott will. Weil der Vogel beständig will wie Gott will, und stets tut was Gott will, genießt er auch ohne Sorge seine ganze Freiheit. Und wenn ihm dann, gerade wenn er am besten in der Luft fliegt, der Einfall kommt, daß er Lust haben möchte, sich nieder zu setzen, so setzt er sich einfach auf einen Zweig nieder und dann – ja das ist sonderbar – dann war es gerade das, was Gott wollte, daß er es tun solle. Und wenn er dann eines Morgens beim Aufwachen bei sich beschließt: „Heute mußt du reisen,“ dann reist er die vielen, vielen hundert Meilen, und dann – ja das ist sonderbar – dann war das gerade das, was Gott von ihm getan haben wollte! Ob der Storch auch noch so oft den langen Weg hin und zurück reist, er tut dies nie anders als wie er es gerade dies Mal tut. Er weiß keinen andern Weg, als gerade den, auf welchem er dies Mal reist, er macht sich kein Zeichen auf dem Wege, keine Notiz über die Zeit, um des nächsten Males willen; er überlegt nichts vorher und nichts nachher. Sondern wenn er nun eines Morgens aufwacht, so reist er am nämlichen Morgen – und dann war dies gerade das, was Gott von ihm getan haben wollte. Ein Mensch braucht lange Überlegung und Vorbereitung zu einer Reise, und doch hat vielleicht selten einer eine Reise angetreten mit solcher Sicherheit und Gewißheit, daß diese Reise nach Gottes Willen sei, wie der Vogel, wenn er reist! Glück auf denn! du flüchtiger Reisender, wenn du es überhaupt nötig hast, daß man dir dies wünsche! Man hat dich beneidet, man hat dir deine leichte Be-förderung durch die Lüfte mißgönnt – sollte ich dich beneiden, so wollte ich dich um die Sicherheit beneiden, mit welcher du immer gerade das tust, was Gottes Wille mit dir ist! Allerdings, du hast hinsichtlich des Auskommens nur von der Hand in den Mund zu leben, aber so hast du es auch kürzer und näher vom Gedanken zur Ausführung, vom Beschluß zur Entscheidung! Daher stammt wohl deine unerklärliche Sicherheit; du bist glücklich verhindert, vermessen zu sein. – Weil die Lilie stets will, wie Gott will und stets tut, was Gott will, darum genießt sie auch so sorglos ihr glückliches Dasein: herrlich zu sein ohne das Wissen darum, das die Herrlichkeit entstellt. Und wenn es der Lilie nun scheint, daß sie lange genug dagestanden und doch nur wie ein Scherz ausgesehen hat, so wirft sie eines Tags alle Hüllen von sich, und steht dann in ihrer ganzen Herrlichkeit da; und dann – ja das ist sonderbar – dann war es gerade das, was Gott von ihr getan haben wollte! Es fällt der Lilie nie ein, ihren Staat zu einer anderen Zeit oder an einem anderen Tage an haben zu wollen, als gerade dann, wenn Gott es will. – Und weil es mit der Lilie und dem Vogel so ist, ist es auch, als müßte Gott sagen, wenn er von ihnen reden wollte: „Die Lilie und der Vogel sind doch die Kinder, von denen ich am meisten Freude habe, und die am leichtesten zu er-ziehen sind! Sie haben so recht eine gute Natur und begehen nie eine Unart, sie wollen stets nur was ich will, und tun stets nur was ich will, an ihnen habe ich eitel Freude!“ Und er braucht nicht hinzuzufügen, wie Eltern es sonst tun: „Laß das zur guten Stunde gesagt sein.“ (Anm.: Sprichwörtlich, etwa gleich „Unberufen ge-sagt“ = Wenn’s nur immer so bliebe!)

Aber wie sind nun der Vogel und die Lilie Lehrmeister? Das ist doch wohl leicht zu sehen! Daß weder der Vogel noch die Lilie sich die geringste Vermessenheit erlauben, ist gewiß: So sei du wie die Lilie und der Vogel! Denn der Vogel und die Lilie sind im Verhältnis zu Gott wie das Kind im zarten Alter, wo es noch so gut wie eins ist mit der Mutter. Wenn aber das Kind größer geworden ist, ob es auch im elterlichen Hause bleibt, den Eltern noch so nah, niemals ihnen aus den Augen kommt, so ist doch ein unendlicher Abstand zwischen ihm und den Eltern und in diesem Abstand liegt die Möglichkeit, vermessen zu werden. Ob die Mutter auch dies Kind an sich zieht, ob sie es in ihre Arme schließt, um es in ihrer Nähe vor jeder Gefahr ganz zu sichern, es ist doch in der Möglichkeit, sich ver-messen zu können, unendlich fern von ihr. Das ist ein ungeheurer Abstand, eine ungeheure Ferne! Denn, nicht wahr, auch derjenige lebt ja in der Ferne, der wohl auf seiner gewohnten Stätte lebt, aber fern von seinem einzigen Wunsch. Und so ist auch das Kind, obgleich daheim bei den Eltern, doch in der Ferne durch diese Möglichkeit, vermessen werden zu können. So ist auch der Mensch in der Möglichkeit, vermessen werden zu können, unendlich fern von Gott, „in welchem er doch lebt und sich regt und ist“. Kommt er aber von jener Ferne zurück und in jener Ferne Gott je so nahe, wie der Vogel und die Lilie es sind dadurch, daß sie stets nur das wollen und das tun, was Gott will – so ist er ein „Christ“ geworden!

Der Christ also hat diese Sorge nicht! Doch was ist Vermessenheit; denn davon reden wir ja, davon, nicht vermessen zu sein. Was Vermessenheit ist, das heißt, welches ihre einzelnen Äußerungen sind, werden wir am besten kennen lernen, wenn wir über Heiden reden, die ja diese Sorge haben. Aber vorläufig müssen wir wissen, was Vermessenheit selbst ist, um zu sehen, daß der Christ nicht vermessen ist, oder daß er eben dadurch, daß er nie vermessen ist, auch nicht im geringsten vermessen ist – ein Christ ist! Vermessenheit geht wesentlich eines Menschen Verhältnis zu Gott an; und darum ist es gleichgültig, ob ein Mensch in geringem oder in großem vermessen ist, denn selbst die geringste Vermessen-heit ist groß, ist gegen Gott gerichtet. Vermessenheit ist wesentlich gegen Gott gerichtet; es ist nur ein darnach gebildeter, ein abgeleiteter aber richtiger Sprach-gebrauch, davon zu reden, daß ein Kind seinen Eltern gegenüber vermessen ist, ein Untertan dem König, ein Schüler dem Lehrer gegenüber. Zwischen Gott und dem Menschen ist der Unendlichkeit ewig-wesentlicher Unterschied; und wenn diesem Unterschiede auf irgend eine Weise auch nur im geringsten zu nahe getreten wird, so haben wir die Vermessenheit. Vermessenheit ist also entweder auf verbotene, aufrührerische, ungöttliche Weise Gottes Hilfe haben wollen; oder auf verbotene, aufrührerische, ungöttliche Weise Gottes Hilfe entbehren wollen.

Daher ist es zu allererst Vermessenheit, geistlos darüber unwissend zu sein, wie sehr der Mensch in jedem Augenblick Gottes Hilfe bedarf und daß er ohne Gott nichts ist. So leben vielleicht viele in Weltlichkeit und Sinnlichkeit verloren. Sie meinen das Leben und sich selbst zu verstehen, doch haben sie Gott dabei ganz aus dem Spiel gelassen. Aber sie sind sicher genug, sie sind ganz „wie die anderen“ – sie sind, wenn man so sagen darf, falsche Nachdrucke; denn jeder Mensch ist ursprünglich eine Originalausgabe aus Gottes Hand! Wollte man sie nun beschuldigen, daß sie gegen Gott vermessen wären, so würden sie wohl antworten: „Das ist uns wahrlich nie eingefallen!“ Aber darin besteht die Ver-messenheit, daß es ihnen nie eingefallen ist – an Gott zu denken! Oder, wenn sie einst in ihrer Jugend dazu angehalten worden sind, an ihren Schöpfer zu denken, so ist das eben Vermessenheit, daß sie ihn später ganz vergessen haben – schlimmer als das Tier, denn das Tier hat nichts vergessen!

Der Christ aber weiß, daß nach Gott zu verlangen des Menschen Vollkommen-heit ist. So ist denn der Christ ein für allemal auf Gott aufmerksam, und von der Vermessenheit erlöst, die die gottlose Unaufmerksamkeit genannt werden könnte. Der Christ war nicht bloß ein einzelnes Mal in seinem Leben auf Gott aufmerksam, bei großen Begebenheiten etwa oder dergleichen; nein, in täglicher Beständigkeit und Wachsamkeit ist er darauf aufmerksam, daß er Gott nicht entbehren kann. So ist der Christ wach und wachsam, was weder der un-schuldig-un-wissende Vogel ist, noch der geistlos-unwissende Mensch; er ist wach, erwacht zu Gott! Der Christ wacht und gibt unablässig acht auf Gottes Willen. Es verlangt ihn, nur an Gottes Gnade Genüge zu finden, er will nicht sich selber helfen, sondern er betet um Gottes Gnade. Er verlangt auch nicht, daß Gott ihm auf andere Weise helfe, als wie Gott es will, er betet nur darum, daß er sich an der Gnade genügen lassen möge. Der Christ hat gar keinen Eigenwillen, er ergibt sich auf Gnade und Ungnade.

Aber auch in der Art seines Verhaltens zu Gottes Gnade hat er wiederum keinen Eigenwillen, er läßt sich an Gottes Gnade genügen. Er nimmt alles aus Gnaden – auch die Gnade; er versteht, daß er Gottes Gnade nicht entbehren kann, auch nicht beim Bitten um seine Gnade! So geschwächt ist der Christ in seinem Eigenwillen, daß er im Verhältnis zu Gottes Gnade schwächer ist als der Vogel schwach ist im Verhältnis zum Triebe, der ihn ganz beherrscht, schwächer als der Vogel stark ist im Verhältnis zum Triebe, der seine Stärke ist.

Aber dann ist der Christ im Grunde doch noch weiter von der wirklichen Ver-messenheit gegen Gott entfernt, als der Vogel? Ja, das ist er auch, obgleich er der Möglichkeit, sich gegen Gott vermessen zu können, unendlich näher war, als der Vogel. Doch darum muß auch der Christ dies langsam lernen, was der Vogel nicht braucht, dem es leicht genug wird, stets nur das zu wollen, was Gott will. Der Christ muß lernen, sich an Gottes Gnade genügen lassen, wozu es mitunter eines Satansengels bedarf, der ihn auf den Mund schlägt, auf daß er sich nicht überhebe. Denn zuerst muß er lernen, sich an Gottes Gnade genügen zu lassen; wenn er aber nun damit im Zuge ist, kommt noch die letzte Schwierigkeit. Das, was auf den ersten Blick so demütigend und armselig aussieht, nämlich, sich an Gottes Gnade genügen zu lassen, ist ja doch das Höchste und Seligste – oder gibt es ein höheres Gut als Gottes Gnade? Darum muß er lernen, sich nicht dessen zu überheben, nicht dadurch vermessen zu werden, daß er sich an Gottes Gnade genügen läßt! So ist denn der Christ, von Grund aus dazu heran-gebildet der Vermessenheit viel ferner als der Vogel – wie wäre es denn auch möglich, vermessen sein zu wollen dem gegenüber, dessen Wille Gnade ist! Aber nur der Christ weiß, daß Gottes Wille Gnade ist, der Vogel weiß höchstens, daß sein Wille – sein Wille ist. Der Christ ist der Vermessenheit viel ferner – und so gerade Gott viel näher als der Vogel. Daß es einen Gott im Himmel gibt, ohne dessen Willen kein Sperling zur Erde fällt, das geht auch den Sperling an; aber daß es einen gnädigen Gott im Himmel gibt, das geht nur den Christen an. Der Vogel hält sich nahe zu Gott, indem er will wie Gott will; der Christ hält sich noch näher zu ihm, indem er sich an dessen Gnade hält. Gleichwie das ältere, aber dabei gehorsame Kind, das den Eltern gefallen will, in noch innerlicherem Sinne auch für die Liebe der Eltern existiert, als das kleine Kind, das noch mit der Mutter eins ist! Der Vogel ist in seinem dunklen Drange Gott so nahe als möglich, er kann ohne ihn gar nicht auskommen; der Christ bedarf noch mehr, er weiß, daß er ihn nicht entbehren kann. Der Vogel ist Gott so nah wie möglich, er kann ohne ihn gar nicht auskommen; der Christ ist ihm noch näher, er kann dessen Gnade nicht entbehren. Gott umschließt überall den Vogel und doch hält er sich gegen ihn zurück; dem Christen öffnet er sich, und seine Gnade umschließt überall den Christen, der in nichts gegen ihn vermessen wird, nichts anderes will als seine Gnade, und nie anders will als seine Gnade. So umschließt in seliger Nähe Gottes Gnade den Christen und hält jede, auch die leiseste, Äußerung von Vermessenheit fern. „Seine Gnade kommt (dem Christen) zuvor“ (Ps. 59. 11.), damit er sich möge genügen lassen an Gottes Gnade; und sie „folgt ihm nach“ (Ps. 23. 6.), damit er nicht vergeblich so gewollt habe, und beglückt es niemals bereue, daß er sich an der Gnade Gottes hat genügen lassen.

Der Heide dagegen hat diese Sorge, denn Heidentum ist recht eigentlich Ver-messenheit und Aufruhr gegen Gott. Zu allererst nennen wir da die Vermessen-heit der Geistlosigkeit, über Gott in Unwissenheit zu sein, jene Vermessenheit, die eigentlich nur in der „Christenheit“ vorkommt. Wohl möglich, daß ein solcher „Heide“, in Weltlichkeit und Sinnlichkeit verloren, gerade so ohne Sorge zu sein meint, besonders ohne die vielen unnützen Sorgen, die der Gottesfürchtige sich macht. Das ist aber nicht wahr! Es ist wohl wahr, daß er ohne jene Sorgen ist, die der Gottesfürchtige sich macht, und von denen er für dieses und das zukünftige Leben Nutzen hat. Das ist aber nicht wahr, daß der Heide in seiner trägen Sicher-heit ohne Sorge ist. Er ist im Gegenteil in der Gewalt der Angst, ihm ist angst, zu leben – und angst, zu sterben. Jedesmal wenn die eine oder die andere Bege-benheit oder die Erwartung einer solchen ihn aus seiner Tier-Verwandlung herausreißt, erwacht die Angst, die in seinem tiefsten Innern wohnt, und wirft ihn in die Verzweiflung, in welcher er doch schon war (Anm.: Im Sinne von Ver-zweifeltheit = verzweifelter Zustand, neben dem gewöhnlichen Sinn = verzweifel-tes Gefühl).

Das Vermessene ist also geistlose Unwissenheit über Gott. Auf einen solchen Heiden paßt das, was im Gleichnis von den Knechten im Weinberge erzählt wird, die sich den Weinberg aneigneten und taten, als ob es keinen Eigentümer gäbe. Und insofern er im Christentum unterwiesen ist, paßt auch das auf ihn, was weiter erzählt wird, daß sie sagten: „Laßt uns den Sohn töten, so ist der Wein-berg unser.“ Jedes Menschen Leben ist Gottes Eigentum, der Mensch – Gottes Leibeigener. Aber Gott kann man jetzt nicht töten, wohl aber, wie man sagt, den Gedanken an ihn totschlagen. Und der geistlos-Unwissende ist einmal wissend gewesen, er hat sich also, wie man es auch mit besonderem Nachdruck sagt, von diesem Gedanken getrennt, ihn in sich getötet. Wenn man denn den Gedan-ken an Gott totgemacht hat, jedes Gefühl und jede Stimmung davon erstickt hat, die wie ein Bote an ihn erinnern wollen, so lebt man dahin, als wäre man sein eigener Herr, seines Glückes Schmied, als müsse man selbst für alles sorgen, aber als komme einem auch alles zu; d. h. man betrügt Gott um das, was ihm zukommt. Ist das nicht auch „eine Elle seiner Länge zusetzen“ wollen, wenn der Eigentumsherr oder doch der Gedanke an ihn getötet wird, und einer selbst Besitzer, Herr wird – statt Leibeigener? In geistloser Unwissenheit über Gott und in eitelem Wissen über die Welt sinkt der Heide so unter das Tier. Gott zu töten ist der entsetzlichste Selbstmord, Gott ganz zu vergessen ist eines Menschen tiefster Fall; so tief kann kein Tier fallen!

Eine andere Form der Vermessenheit ist die, auf verbotene, aufrührerische, ungöttliche Weise Gott entbehren zu wollen. Dies ist der Unglaube. Unglaube ist nicht geistlose Unwissenheit, der Unglaube will Gott leugnen; so hat er also in einer Weise mit Gott zu tun. Wohl sagt vielleicht ein solcher Heide, daß er ohne Sorge ist. Dem ist aber nicht also, wie es denn überhaupt unmöglich ist, ver-messen zu sein und zugleich ohne die Sorge der Vermessenheit. Wie sehr er sich auch verhärtet, in seinem Innersten trägt er doch das Kennzeichen davon, daß Gott der Stärkere ist, das Merkmal, daß er Gott gegen sich haben wird. Erlahmt der Gottesfürchtige, nachdem er mit Gott gekämpft hat – wahrlich, der Gottlose ist in seinem tiefsten Innersten vernichtet. Und seine Sorge besteht gerade darin, seiner Länge eine Elle zuzusetzen. Denn das hieße allerdings, eine ungeheure Elle seiner Länge zusetzen wollen, wenn ein Mensch es Gott gegen-über vermöchte, Gott zu leugnen. Oder wenn es sich auch nur so verhalten sollte, daß es Gott wäre, der des Menschen bedürfte, vielleicht gar so, wie dieser Zeit Weisheit es verstanden hat (wenn es verstanden werden kann!), um sich selbst zu verstehen! So gewiß es aber ist, daß geraubtes Gut keinen Segen bringt, wie es keinen Gewinn verschafft: so gewiß hat auch der Vermessene die Sorge, und hat sie jeden Augenblick – daß Gott ihm alles nehmen wird! Und wird einem die Arbeit leicht, wenn man Gott als Helfer hat, so ist es wahrlich die schwerste Arbeit, die man sich selbst auflegen kann, die Arbeit: Gott entbehren zu wollen!

Darum ist der Heide ganz eigentlich in der Macht der Angst; weiß er es doch nicht einmal, in wessen Macht er sich befindet – ist das nicht angstvoll? Obgleich ungläubig, weiß er doch kaum, ob er in des Unglaubens oder in des Aberglau-bens Gewalt ist; und, wahrlich, selbst für einen anderen ist es sehr schwer, das zu wissen! Verlassen von Gott, den er leugnen will, überführt von Gott, den er entbehren will, ohne Halt weder bei Gott noch bei sich selbst (denn ein Mensch kann keinen Halt an sich selbst haben, ohne daß Gott mithält!), in böser Mächte Gewalt, ein Spielball für Unglaube und Aberglaube – so wird kein Vogel umher-geworfen, nicht einmal im schrecklichsten Unwetter!

Endlich ist auch dies eine Form der Vermessenheit: Auf verbotene, aufrühreri-sche, ungöttliche Weise Gottes Hilfe haben zu wollen. Das ist Aberglaube!

So will der vermessene Heide unvernünftig seiner Länge eine Elle zusetzen. Wie im Wahnsinn will er das Versagte, in blindem Zutrauen will er das Tollkühne wagen, sich von des Tempels Zinne zu stürzen – und was noch vermessener ist, er will, daß Gott ihm dabei helfe! So will er, sich diesem unseligen Spiel je mehr und mehr hingebend, mit unerlaubten Mitteln das Verbotene durchdringen, das Verborgene entdecken, das Zukünftige erschauen. Er will vielleicht wie jener Simon, von dem die Schrift redet, widersinnig für Geld den heiligen Geist kaufen – oder mit Hilfe des heiligen Geistes sich Geld verschaffen! Er will vielleicht sich Gott aufdrängen, Gott seine Hilfe und seinen Beistand aufnötigen, will sich selbst dazu machen, wozu einen nur Gottes Berufung machen kann – er, der Unberufe-ne! Denn der Ungläubige will in seiner Vermessenheit Gott entbehren, will sich nicht von Gott helfen lassen, und will vermessen dies Gott wissen lassen; aber der Abergläubige will, daß Gott ihm diene. Was ist denn das anders, selbst wenn der Abergläubige sagt, daß es Gottes Hilfe sei, die er haben wolle – wenn er sie willkürlich haben will – was ist das anders, als wollen, daß Gott ihm diene?

So ist es mit dem vermessenen Heiden! Er will nicht wie Gott will (gleich dem Vogel); noch weniger will er sich an Gottes Gnade genügen lassen (gleich dem Christen); „über ihm bleibt Gottes Zorn“! Hat der Vogel auch nicht Gottes Gnade, die nur der Christ hat, wahrlich, er hat auch nicht Gottes Zorn, den nur der Heide hat. Wie weit der Vogel auch fliege, er verliert doch nie sein Verhältnis zu Gott. Aber wie weit der Heide auch fortflieht, es ist doch vergeblich, Gottes Zorn zu entfliehen; wie weit er auch flieht, wenn er nicht zur Gnade hinflieht, so um-schließt ihn dennoch Gottes Zorn überall. Auch wird Angst und Drangsal über jeden kommen, der Böses tut, vor allem aber über den Vermessenen. Denn wie die Gnade von Gott über jeden kommt, der als Christ ihm naht, also kommt Angst über den, der vermessen sich Gott entzieht, oder vermessen ihm naht.

Laßt uns nun zum Schluß an den Vogel denken, der mit im Evangelium war und mit in der Rede sein soll! So wäre denn Freude auf Erden über die Lilie und den Vogel, die so wollen, wie Gott will, und das tun, was Gott will. Im Himmel ist Freude über den Christen, der sich an Gottes Gnade genügen läßt, aber Angst ist hier und dort über den Heiden, der vermessen ist! Um wie viel näher zu Gott der Christ ist als der Vogel, um so viel weiter entfernt von Gott als der Vogel ist der Heide. Der größte Abstand, größer als vom fernsten Stern bis zur Erde, größer als menschliche Kunst ihn zu messen vermag, ist der von Gottes Gnade zu Gottes Zorn, vom Christen zum Heiden, von der seligen Erlösung durch die Gnade bis zum „ewigen Verderben vom Angesichte des Herrn weg“, vom Schauen Gottes bis zu der Lage, vom Abgrunde aus einzusehen, daß man Gott verloren hat! Es wäre ein nichtssagender Scherz, wollte man im Ernst des Vogels Stellung brauchen, damit er diesen Abstand ausmalen helfe. Soweit er eins mit dem Vogel ist, kann ihn der Christ als Kennzeichen brauchen. Aber heißt der Abstand: Christ zu Heide, so bestimmt der Vogel dabei nichts; denn hier ist nicht die Rede von Armut und Überfluß, Niedrigkeit und Hoheit, sondern – von Ver-messenheit! 

 

- Fortsetzung -