III.

DIE SORGE DER HOHEIT.

 

„Sorget nicht, was ihr anziehen werdet –

nach solchem allen trachten die Heiden!“

 

Diese Sorge hat der Vogel nicht. Aber ist denn auch Hoheit eine Sorge? Man sollte doch glauben, daß je höher ein Mensch steht, er auch desto mehr von allen Sorgen befreit sei. Desto mehrere hat er ja um sich, die einzig darum „besorgt“, damit beschäftigt sind, alle Sorgen von ihm fernzuhalten. Und doch ist es gewiß keine unwahre Spitzfindigkeit, zu reden, wie das Evangelium es tut, ganz gleich über die Sorge der Hoheit und die der Niedrigkeit. Denn Hoheit und Macht und Ehre und Ansehen bieten ihre – treuen Dienste dem Hochstehenden als Tra-banten an, die ihn schützen sollen, daß ihm keine Sorge nahekomme, sie ver-sprechen ihm gleichsam ihre – Treue! O, aber diese Leibwache gerade, mit der der Hochstehende nicht den Mut hat zu brechen, gerade diese Leibwache, die sicherheitshalber ihm so nahe auf den Leib rückt, gerade sie kostet ihm die Nachtruhe. Man sieht es ja an dem, was als Vorbild dienen kann. Ein Kaiser herrscht über die ganze Welt, umgeben von seiner treuen Leibwache – die über den Kaiser herrscht; ein Kaiser bringt die ganze Welt ins Beben, umgeben von seiner tapferen Leibwache – hinter welcher und vor welcher der Kaiser erbebt! Der Vogel aber, der doch immer in der Höhe ist, hat nicht diese Sorge der Hoheit. Weder die, von der hier nicht die Rede sein kann, die für den Hochstehenden eine Ehre ist, daß er nämlich für das Wohl der ihm Anvertrauten sorgen darf, denn wir reden ja in dieser kleinen Schrift nur stets von der Sorge, ohne welche der Mensch sein kann, ja sein soll, nicht von der Sorge, ohne welche ein Mensch unmöglich ein Christ sein kann. Auch nicht diejenige Sorge der Hoheit hat er, von der hier die Rede ist. Es fällt dem Vogel kaum ein, daß er für sich selbst sorgen müsse, noch viel weniger, daß er dazu berufen sein solle, für andere zu sorgen. Der Vogel sagt in aller Unschuld von seinem Verhältnis zu den anderen: „bin ich denn meines Bruders Hüter?“ Es fällt keinem Vogel ein, auch nicht demjenigen, der am höchsten fliegt, daß er so hoch gestellt sein sein solle, damit er über andere zu herrschen hätte. So hat er aber auch keine Sorge darüber, ob die anderen ihm nun die pflichtschuldige Aufmerksamkeit erweisen, oder ob sie ihm dieselbe verweigern, oder gar ob sie vielleicht auch noch darauf bedacht sind, ihn von seiner Höhe zu stürzen – so hochgestellt ist kein Vogel!

Und doch ist ja jeder Vogel in der Höhe, aber es ist, als wäre jeder Vogel wesent-lich gleich hochgestellt. Diese himmlische Gleichheit zwischen den Vögeln, oder ihre gleiche Erhöhung unter dem Himmel, hat eine Ähnlichkeit mit der Hoheit des ewigen Lebens – wo es gleichfalls weder Hoch noch Niedrig gibt, und doch Er-höhung! Alle Vögel sind in der Höhe, aber im Verhältnis zu einander ist keiner von ihnen in der Hoheit (Anm.: Im Dänischen gibt es keinen Unterschied zwi-schen „Höhe“ und „Hoheit“). Unter der Himmelswölbung ist reichlich Platz für jeden, sich so hoch hinaufzuschwingen wie er will; aber auch der Vogel, der zur Erde herniederfliegt, ist im Grunde doch in der Höhe – anders versteht es der Vogel nicht. Wollte jemand zu ihm sagen: „aber so bist du ja eigentlich nicht erhöht, wenn du nicht höher erhöht bist, als die anderen“, so würde der Vogel antworten: „weshalb bin ich nicht in der Hoheit?“ – und dann fliegt der Vogel hoch auf, oder bleibt nahe an der Erde, wo er aber doch noch in der Höhe ist, sich seiner Hoheit bewußt. Darum ist er in Hoheit ohne die Sorge der Hoheit, in Ho-heit, ohne über jemand erhöht zu sein – unter der Himmelswölbung ist zu viel Platz, oder es ist kein Platz für Kleinlichkeit!

Betrachte einmal jenen einsamen Vogel, wie er hoch in den Wolken schwebt; so ruhig, so stolz, ohne eine einzige Bewegung, er hilft sich nicht einmal mit einem Flügelschlage. Und wenn du inzwischen vielleicht deine Geschäfte erledigt hast und nach einigen Stunden wieder auf dieselbe Stelle zurückkehrst, so betrachte ihn! Er schwebt unverändert in der Luft, er ruht stolz auf den ausgebreiteten Flügeln, die er nicht bewegt, während er die Erde überschaut. Ja, es ist für das ungeübte Auge schwer, den Abstand in der Luft und auf dem Wasser zu messen, der Vogel hat aber vielleicht seine Stelle nicht um eine halbe Elle verändert. Er schwebt, er steht ohne Boden unter den Füßen zu haben, denn er steht in der Luft, so ruhig in der Höhe – soll ich sagen, wie ein Herrscher, oder ist wohl je ein Herrscher so ruhig? Er fürchtet nichts, er sieht keine Gefahr, keinen Abgrund unter sich, vor seinen Augen schwindelt es nie in dieser Höhe, sein Blick wird nie umnebelt. Ach, und doch war kein Mensch so klarsehend und scharfsichtig, auch nicht der, der in Niedrigkeit die Hoheit beneidet! Aber was ist es denn, was ihn so ruhig in der Höhe hält? Es ist die Hoheit! Denn in der Hoheit an und für sich ist keine Gefahr und unter ihr kein Abgrund. Nur wenn es unter ihr eine andere Hoheit gibt, die doch geringer ist als sie – und so weiter; kurz, wenn jemand unter ihr ist, so gibt es auch etwas unter ihr, und dann ist auch der Abgrund unter ihr! Aber für den Vogel gibt es keinen Geringeren, darum ist er in der Höhe ohne den Abgrund unter sich zu haben; und darum ohne die Sorge, welche mit und aus dem Abgrunde kommt. Der Vogel ist in der Höhe ohne höher sich zu fühlen als jemand anders, darum ohne die Sorge der Hoheit. Auf diese Weise ist er der Lehrmeister, hier ist des Unterrichts Anknüpfungspunkt. In diesem Sinne in Hoheit sein, das läßt sich ohne Sorge machen. Wollte jemand sagen: „Auf diese Weise in Hoheit sein, heißt gar nicht in Hoheit sein, es ist nur ein Spiel mit Worten, wenn man von der Hoheit des Vogels redet“, so zeigt das, daß er unge-lehrig ist, ein unartiges Kind, das in der Stunde nicht ruhig sitzen will, sondern den Unterricht stört. Denn freilich, wenn er sich nicht die Mühe geben will, den Vogel zu verstehen, wenn er, statt lernend seine Vorstellung in Ähnlichkeit mit der Unterweisung des Vogels zu ändern, den Vogel in die Schule nehmen und seine eigene Vorstellung von jenem verlangen, ihn also als Lehrmeister verwerfen will – so ist es ja gewiß unmöglich, vom Vogel etwas zu lernen. Und das ist, zu des Vogels Ehre muß es gesagt werden, ganz bestimmt die einzige Art, auf welche man vom Vogel nicht etwas lernen kann. Aber derjenige, welcher lernen will, lernt, was die Hoheit betrifft, daß die einzige Art und Weise, auf welche man in Wahrheit ohne Sorge sein kann, die ist, in Hoheit nicht höher sein zu wollen, als jeder andere!

Der vornehme Christ hat diese Sorge nicht. Was ist denn der vornehme „Christ“? Ja, wenn du weltlich fragst, ob er König oder Kaiser ist, oder Ihro Herrlichkeit, oder Ihro Gnaden usw., so ist es ja eine Unmöglichkeit, im Allgemeinen zu ant-worten. Fragst du aber christlich, so ist die Antwort leicht: Er ist Christ. Und als Christ weiß er seine Türe zu schließen, wenn er mit Gott reden will – nicht damit keiner erfahre, daß er mit Gott redet, sondern damit nichts und niemand ihn störe, mit Gott zu reden. Wenn er mit Gott redet, legt er alle irdische, alle unechte Pracht und Herrlichkeit ab, aber auch alle Unwahrheit des Sinnenbetruges. Er glaubt, daß es einen Gott im Himmel gibt, vor dem kein Ansehen der Person gilt, daß der Mensch, wenn wir uns einen solchen denken wollen, der über das ganze Menschengeschlecht herrschte, Gott nicht im mindesten wichtiger ist als der Geringste – und als der Sperling, der zur Erde fällt. Daher versteht er, daß das ein Sinnenbetrug ist, sein Leben solle vor Gott wichtiger sein, weil er jeden Augenblick sein Lebensgefühl dadurch gestärkt weiß, daß er allen oder doch so vielen wichtig, ja geradezu für ihr Leben notwendig ist; weil er bei Leibesleben diese Erhöhung des Lebens – unentbehrlich zu sein und das reiche Vorgefühl, im Tode vermißt zu werden – vorweg genießt. Denn vor Gott ist er nicht wichtiger als der Sperling, der zur Erde fällt, weder er, der Mächtigste, der je auf Erden gelebt hat, noch er, der Weiseste, noch irgend ein Mensch. Er glaubt, statt auf das Gerede über die Vielen, die ohne ihn nicht leben können, achtzugeben, daß er es ist, der um zu leben, jeden Augenblick, ja jede Minute, des Gottes bedarf, ohne dessen Willen allerdings kein Sperling zur Erde fällt, aber ohne dessen Willen auch kein Sperling ins Leben gerufen wird. Verstehen darum wir andern es nun so, daß für ihn gebetet wird, weil wir seiner bedürfen, weil wir es nötig haben, daß er lebe, – so versteht er es vor Gott anders, daß er nämlich, gerade weil seine Aufgabe ohne Vergleich die größere ist, es vor jedem anderen Menschen bedarf, daß für ihn gebetet werde. Er glaubt, daß es ein unveränderlicher Gott ist, der im Himmel wohnt, der seinen Willen will – wenn auch alles sich gegen ihn erheben würde, was für ihn nichts bedeutete. Ein unveränderlicher Gott, der denselben Gehorsam will, im größten wie im kleinsten, in dem bedeutendsten Punkte des umfassendsten weltgeschichtlichen Bedürfnisses, wie in dem alltäg-lichsten Vorhaben; denselben Gehorsam von dem Mächtigsten, der je gelebt hat, wie von dem Geringsten, und denselben wie von der ganzen Natur, die sich nichts, nichts erlaubt ohne seinen Willen. So versteht er denn, daß es ein Sinnen-betrug ist, wenn jemand ihm einbilden will, daß, weil ein Machtwort von ihm genügt, um Tausende in Bewegung zu setzen, und weil Tausende sich um ihn drängen und um ein Lächeln von ihm betteln, daß darum auch Gott, jener Mächti-ge, gegen ihn anders sein würde, als gegen jeden, unbedingt jeden andern Men-schen; daß der unveränderliche Gott gegen ihn nicht derselbe Unveränderliche sein werde, unveränderlich wie das Ewige, unveränderlicher als der Fels – wohl aber allmächtig und vermögend, noch schrecklicher mit einem Allmachtswort alles, Throne und Regimente, Himmel und Erde, zu verändern! Er glaubt, daß er vor diesem Gott ein Sünder ist, und daß Gott eben so eifrig der Sünde gegenüber ist, wer auch der Sünder sei. So versteht er denn, daß es ein Sinnenbetrug ist, wenn jemand ihm einbilden will, daß darum, weil kein Mensch, der kaum über seine Haushaltung einen Überblick zu haben vermag, ihn richten darf, auch der gerechte Gott, vor dem es nicht wichtiger und nicht verzeihlicher ist, ob der Mächtigste oder der Geringste sündigt, wie verschieden, menschlich geredet, die Größe der Folgen auch ist, vor der menschlichen Größe staunend ihn nicht nach des Gesetzes Strenge sollte richten dürfen! Er glaubt, daß er selbst jeden Augen-blick des gnädigen Gottes Vergebung bedarf, und darum glaubt er, daß Gott in Niedrigkeit auf Erden gewandelt hat, und somit alle weltliche Macht und Größe an sich als nichtig gerichtet hat. Er glaubt, daß, wie keiner ins Reich Gottes ein-geht, er werde denn wie ein Kind, so auch keiner zu Christus kommt, er werde denn so gering, wie derjenige, der aus sich selbst und durch das, was er aus sich selbst ist, nichts ist. Er glaubt, daß, wenn auch Christus zu seinen Jüngern nicht geringe, sondern vornehme Menschen gewählt hätte, so müßten diese zuerst geringe Menschen geworden sein, um seine Jünger zu sein. Er glaubt, daß vor Christus kein Ansehen der Person gilt, weil vor ihm nur Niedrigkeit gilt; daß so gewiß kein „Gesunder“ je von Christus geheilt worden ist, eben so gewiß auch kein Vornehmer als solcher, sondern nur als Geringer erlöst werden kann. Denn keiner kann Christ werden oder sein außer im Charakter eines geringen Men-schen.

„Aber dann ist ja der vornehme Christ im Grunde eben so gering wie der geringe Christ?“ Ja, gewiß, das ist er auch! „Aber dann weiß ja der vornehme Christ eigentlich nicht, wie vornehm er ist?“ Nein, das weiß er im Grunde nicht! „Aber dann hat ja die Rede eigentlich den Leser betrogen, indem sie nicht über irdische Hoheit, über Titel und Würden und deren Sorge handelt!“ Nun ja – und doch nein, die Rede hat nicht betrogen, denn der vornehme Christ hat nicht diese Sorge – und davon handelt ja gerade die Rede, daß er diese Sorge nicht hat. Und welche Rede drückt wohl dieses am wahrsten aus, diejenige, welche immer wieder ver-sichert, daß er keine Sorge hat, oder diejenige, welche, indem sie davon redet, was den vornehmen Christen eigentlich beschäftigt – die Niedrigkeit, gerade durch Schweigen zu verstehen gibt, daß er jener Hoheit Sorge gar nicht hat?

Man kann nur Christ werden oder sein im Charakter eines geringen Menschen. Ein Christ werden (und also auch sein) ist wohl nur ein Gedanke, es ist aber ein Doppelgedanke, der daher auch ein doppeltes Gesicht hat. Ein und derselbe Gedanke läßt den geringen Christen seine Hoheit und den vornehmen Christen seine Niedrigkeit verstehen. Der vornehme Christ läßt sich durch die Vorstellung (die christliche) die Macht und die Hoheit (die irdische) benehmen, oder er gibt sich der Macht dieser Vorstellung hin; dadurch wird er der geringe Mensch, der man sein muß, um Christ zu werden und zu sein. Wenn freilich ein Schauspieler auf den Straßen umhergehen und König sein wollte, weil er gestern Abend „den König gespielt“ hat, so würden wir alle ihn auslachen. Wenn nun ein Kind, das im Spiel mit den Altersgenossen „der Kaiser“ war, zu den Erwachsenen gehen und sich vor ihnen auch für einen solchen ausgeben wollte, so lachten wir alle über das Kind. Und warum? Weil das Schauspiel und das Kinderspiel eine Unwirklich-keit ist. Aber der Umstand „in Wirklichkeit“ vornehm sein, ist doch christlich ver-standen auch nicht Wirklichkeit, Wirklichkeit ist nur das Ewige, das Christliche. Die wahre Hoheit ist die christliche, aber in der wahren, christlichen Hoheit ist keiner höher als der andere. Also ist das (weltliche) „vornehm sein“ eine Nicht-Wirklichkeit im Vergleich zu der wahren Hoheit. Und folglich ist es, christlich verstanden, richtig, wenn der vornehme Christ selbst (denn daß andere es tun, hat weder Gewähr noch Billigung beim Christentum, sondern nur bei der wider-lichen Frechheit der gottlosen Weltlichkeit!) über seine irdische Hoheit lächelt, seine sogenannte „wirkliche“ Hoheit, denn nur die christliche ist die wirkliche!

Doch, ist es damit für den Vornehmen nicht schwerer geworden, Christ zu wer-den (denn wir reden ja von dem vornehmen Christen), als für den Geringen? Auf diese Frage antwortet die heilige Schrift: Allerdings! Man meint freilich, daß es gleich leicht oder gleich schwer für den Geringen wie für den Vornehmen sein müsse, Christ zu werden. Denn, sagt man, die Niedrigkeit, von der dort die Rede ist, ist nicht die äußere, sondern die innere, ist ein Gefühl der eigenen Niedrigkeit, das der Vornehme eben so gut haben kann, wie der Geringe. Das Christliche sei eine zu – „geistige“ Macht, um von der äußeren Niedrigkeit zu reden. Nun, so ist es auch! Indessen redet die Schrift doch zugleich anders, vielleicht aus Vorsicht und aus Kenntnis des menschlichen Herzens, sie redet davon, ein geringer Mensch im buchstäblichen Sinne zu sein; und so redet ja auch das Vorbild, das mächtiger zeugt als alle Worte und Ausdrücke. Denn „er“ lebte in wirklicher irdischer Niedrigkeit; „er“ erwählte sich also nicht, als er beschloß, das Vorbild zu sein, ein (äußerlich) Vornehmer und doch in seinem Innersten der geringe Mensch zu sein. Nein, er war buchstäblich der geringe Mensch und mit ganz anderem Ernst als so wie wenn ein König seine Würde einen Augenblick nieder-legt und dabei von den Hofleuten gekannt, also für seine Demut noch mehr ge-ehrt wird!

Siehe, es gibt in Hinsicht des Geisteslebens etwas, das dem entspricht, was das Buchstabieren im Verhältnis zum zusammenhängenden Lesen ist. Man buchsta-biert, man geht langsam vorwärts, setzt Einzelheiten deutlich und kenntlich auseinander, – doch nicht um zuletzt des ganzen Lebens Inhalt zu „geringfügigen Momenten“, einer leeren Umständlichkeit, zu machen! So ist’s damit, äußerliche Vorzüge zu besitzen, im Verhältnis zu dem, Christ zu werden. Das Christentum hat nie gelehrt, daß das buchstäbliche Gering-sein gleichbedeutend sei mit dem Christ-sein; auch nicht, daß von dem buchstäblichen Gering-sein der direkte Übergang zu dem Christ-sein ohne weiteres möglich sei; auch hat es nicht gelehrt, daß, wenn der weltlich-Vornehme seine Macht niederlegte, er deswegen ein Christ würde. Aber von der buchstäblichen Niedrigkeit zu dem Christ-werden ist doch nur ein Schritt. Ein Geringer im buchstäblichen Sinne sein, ist keine mißglückte Einleitung zu dem „Christ-werden“; im Besitz der äußeren Vorzüge sein ist ein Umweg, welcher für die Ängstlichen eine doppelte Einleitung not-wendig macht. Man redet in jener strengen Wissenschaft von einer Hilfslinie, „man zieht eine Hilfslinie“, heißt es; man kann ja auch ohne Hilfslinie den Beweis für den Satz führen, man tut es (eine Hilfslinie zu ziehen) – nicht um des Be-weises willen, sondern um sich selbst zu helfen, es ist nicht der Beweis, der der Hilfslinie bedarf, sondern der Beweisende selbst bedarf ihrer. So ist es auch, wenn derjenige, der im Besitz von äußeren Vorzügen ist, sich dadurch helfen läßt, daß er buchstäblich arm, verachtet, gering wird. Tut er das nicht, so muß er um so mehr innerlich besorgt über sich selbst wachen, um sich Glauben schen-ken zu dürfen, daß er bei sich selbst weiß, wie nichts, nichts von all dieser äußeren Vornehmheit und Hoheit ihn so geblendet hat, daß er sich nicht mit Leichtigkeit da hineinfinden könnte, der geringe Mann im Volk zu sein.

Auf diese Weise läßt es sich unstreitig auch machen: Das Christentum hat nie-mals von jemand unbedingt verlangt, daß er buchstäblich die äußeren Vorzüge aufgeben solle, es hat ihm dies nur als eine kleine Vorsichtsmaßregel vorge-schlagen! Meint er nicht, ihrer zu bedürfen, wie man es in jenen Zeiten meinte, wo man sich ängstlich damit vorwärtsbuchstabierte – o! welch’ anstrengendes Leben, so in Hoheit, von all dem Verführerischen umgeben, seiner selbst ganz sicher zu sein, daß man sich mit Leichtigkeit da hineinfinden könnte, der einfache Arbeiter zu werden. Und dies, weil einem das Christ-sein so unendlich wichtig ist, daß man in strengster Selbstprüfung sich davon überzeugt hat, nichts von alle-dem könne einen auch nur im geringsten betören. – Welche ungeheure Vorsich-tigkeit mit Licht und Feuer, wenn man in einem Pulverturm wohnt – aber welch’ angestrengte Vorsichtigkeit, in solcher Umgebung Christ zu sein!

O, schweres Leben, das so gelebt werden soll! Es ist nur eine schwache An-deutung der täglichen Schwierigkeit dieses Lebens, wenn du bedenkst, um wie viel leichter es in der vorigen Rede damit ging, von der Niedrigkeit aus die christ-liche Hoheit zu erreichen, als es hier damit geht, von der irdischen Hoheit aus durch die Niedrigkeit hindurch die christliche Hoheit zu erreichen. Aber der vor-nehme Christ lebt also: Er hat Macht und Ehre und Ansehen, er ist im Besitz der Vorzüge des Erdenlebens – doch er hat als hätte er nicht! Er sieht das alles um sich herum, er sieht, wie nur auf einen Wink von ihm gewartet wird, nur darauf, daß er wie bei einem Zauber – bloß wünsche. Aber er ist, als sähe er dies nicht, er ist in eines noch höheren Zaubers Macht. Er hört das alles, er hört vielleicht fortwährende Schmeichelei, aber seine Ohren sind geschlossen. Das alles ist für ihn nur wie das „im Schauspiel König sein“ und wie das, wenn ein Kind „beim Spielen Kaiser“ ist – denn er ist Christ!

Und als Christ ist er in wirklicher Hoheit. Denn christlich-verstanden, in Gottes Reich ist es gerade wie „unter dem Himmel“: Dort sind alle in Hoheit, aber ohne daß der eine höher ist als der andere. Der Vogel ist in Hoheit ohne höher zu sein als jemand; aber der vornehme Christ ist, obgleich in irdischer Hoheit über andere erhöht, (nur so) in Hoheit ohne höher zu sein als irgend jemand. Darum ist er ohne die Sorge der Hoheit; denn, wie gesagt, in dieser Weise kann man es sein! Und wenn man auf diese Weise in Hoheit ist, so ist man entweder ein Vogel; oder, wenn man ein Mensch ist, und dennoch wie der Vogel, so ist man Christ – einerlei, ob man dann zuerst weltlich-hoch oder weltlich-niedrig ist.

Der vornehme Heide aber, er hat diese Sorge! Der vornehme Heide ist in der Welt ohne Gott; kennt der vornehme Christ nicht seine irdische Hoheit, so weiß der Heide nicht, was die wahre Hoheit ist! Er kennt keine andere Hoheit als diese irdische – und in Wahrheit zu erfahren, was sie ist, ist (für ihn) unmöglich, da sie in sich selbst Unwahrheit, Dunst, Einbildung ist. Daraus ergibt sich keine andere Wahrheitserkenntnis, als die, daß sie, die irdische Hoheit, ist, was sie ist. Er weiß Bescheid, ja von Grund aus Bescheid, über „hoch, höher, allerhöchst, aller-allerhöchst“; aber er weiß nicht, daß allem dem das Nichts zu Grunde liegt, so daß alles, was er weiß – nichts ist. In diesem Nichts hat er nun seinen Stand-punkt, wo das liegt, bestimmt er mit Hilfe von Bestimmungen innerhalb des Nichts. Man spricht von einem „Totenritt“ im Traume – der Schlafende stöhnt und pustet, aber er kommt nicht von der Stelle. So ist es mit dem vornehmen Heiden. Jetzt steigt er in die Höhe, jetzt sinkt er, er jubelt, er seufzt, er pustet, er stöhnt, aber er kommt nicht von der Stelle. Jetzt ist es ein anderer, der höher steigt als er, jetzt stürzt einer von der Höhe herunter – aber nichts, gar nichts, nicht einmal dies letztere, kann ihn aus dem Schlafe wecken, ihn aus der Einbildung reißen und sein Auge dem öffnen, daß das Ganze – nichts ist! Aber sollte das denn auch nichts sein? Bedarf es eines besseren Beweises dafür, daß es nicht nichts sei, als nur eines Blickes auf ihn, wie er kämpft und streitet und strebt und trach-tet? Er gönnt sich nie einen Augenblick Ruhe, wie viele er auch durch Beste-chung in seinem Dienste hat, wie viele er auch damit zusammen hält, daß sie ihm behilflich sein möchten, das Ersehnte zu ergreifen! Sollte es dennoch nichts sein, sollte „das Nichts“ einen so in Bewegung setzen können?! So müßte auch jener „vielgeschäftige“ Mann Unrecht haben, wenn er den Schluß zieht, daß er viele Geschäfte habe, weil er vier Schreiber hält, und selbst weder zum Essen noch zum Trinken Zeit findet!

So lebt der vornehme Heide in der Hoheit. Daß es viele außer ihm in Hoheit gibt, weiß er wohl; wovon er aber nicht weiß, daß es unter ihm ist, ist deshalb, weil er es nicht weiß, dennoch unter ihm: der Abgrund! Wenn man nämlich, wie gesagt, in Hoheit höher ist als andere, oder andere unter sich hat, so hat man auch den Abgrund unter sich; denn nur in dieser Weise kann man in irdischer Hoheit sein. Und der vornehme Heide, der nichts anderes weiß und an nichts anderes denkt, als an seine irdische Hoheit, hat also das Wissen um die wahre Hoheit nicht, das ihn in Unwissenheit erhalten könnte um die irdische Hoheit. Nein, er hat den Abgrund unter sich; und aus dem steigen die Sorgen auf, oder er versinkt in die Sorge.

Und welches ist denn diese Sorge? Ein Trachten darnach, mehr und mehr zu werden – bis zum Nichts, – denn das Ganze ist ja ein Nichts! Ein Trachten höher und höher in die Höhe zu steigen, das heißt tiefer und tiefer in die Sorge des Abgrundes zu versinken – denn was ist die Sorge um weltliche Hoheit anderes, als des Abgrundes Sorge? Und worin besteht denn diese Sorge? Diese Sorge ist die, daß nur niemand mit List, mit Macht, mit Lüge oder mit Wahrheit, seine Ein-bildung von ihm nehme! Dagegen sichert er sich auf jede Weise; denn überall sieht er Gefahr, überall Nachstellung, überall Mißgunst, überall Gespenster. Das ist ja auch selbstverständlich, denn in der dunkelsten Nacht gibt es für einen Ängstlichen nicht so vielerlei, was die Phantasie schrecken kann, als es in einer Einbildung Entsetzendes gibt.

So verschlingt zuletzt die Sorge ihre Leute. Wie markloses, faules Holz im Dunkeln leuchtet, wie das Irrlicht im Nebel gaukelt, so existiert er für andere in diesem seinem Schimmer irdischer Hoheit. Aber sein Selbst existiert nicht, sein innerstes Wesen ist verzehrt und entnervt im Dienste des Nichts! Ein Knecht der Eitelkeit, seiner selbst, nicht mächtig, in der Gewalt der schwindelerregenden Weltlichkeit, gottverlassen, hört er auf, ein wahrer Mensch zu sein! In seinem Innern ist er wie tot, aber seine Hoheit geht gespensterhaft unter uns umher – sie lebt. Es ist nicht ein „Mensch“, mit dem du redest, wenn du mit ihm sprichst; in seinem Trachten nach Hoheit ist er selbst dies Erstrebte geworden, als Mensch betrachtet aber – eine Titulatur! Innen drin ist lauter Leere und Tand, ja da ist –nichts; aber der Schein ist da, der eitle Schein, der die Auszeichnungen der weltlichen Hoheit trägt, dem die Vorübergehenden Ehrerbietung erweisen – während er all diese Hoheit ohngefähr so trägt, wie die Kissen bei der Beerdi-gung seine Ordenssterne tragen. Es kann fürchterlich sein zu sehen, wie ein Mensch als solcher beinahe unkenntlich wird in Niedrigkeit und Elend, das Elend so zu sehen, daß man kaum noch den Menschen von ihm unterscheiden kann. Aber menschliche Hoheit sehen und dabei gewahr werden, daß es kein Mensch mehr ist, das ist entsetzlich! Es kann fürchterlich sein, einen Menschen wie einen Schatten seiner vormaligen Hoheit umher gehen zu sehen; aber weltliche Hoheit zu sehen und in derselben kaum den Schatten von einem Menschen, das ist entsetzlich! Ihn kann der Tod nicht erst zu Nichts machen, er braucht nicht mehr begraben zu werden; während er noch lebt, kann man schon von ihm sagen, wie man es sonst am Grabe sagt: Sehet hier irdische Hoheit!

Laßt uns nun zum Schluß an den Vogel denken, er war mit im Evangelium und soll nun mit in der Rede sein! Der Vogel ist in der Höhe ohne die Sorge der Hoheit. Der vornehme Christ ist in irdischer Hoheit über andere erhöht, in Hoheit doch ohne die Sorge der Hoheit. Der vornehme Heide gehört mitsamt der Sorge dem Abgrunde an, er ist eigentlich überhaupt nicht in Hoheit, sondern im Abgrun-de. Der Vogel ist also in der Höhe, der vornehme Christ ist in der Hoheit, der vornehme Heide im Abgrunde. Des Vogels Höhe ist ein Sinnbild von des Christen Hoheit, der wiederum ein Gegenbild zu des Vogels Höhe ist. Sie entsprechen, mit dem Unterschiede der Unendlichkeit, einander im Verständnis: Du verstehst des Vogels Höhe daran, wie du die Hoheit des Christen verstehst! Des Heiden Hoheit ist nirgends daheim, weder unter dem Himmel noch im Himmel. Des Vogels Hoheit ist der Schatten, die des Christen die Wirklichkeit, die des Heiden – das Nichts. Der Vogel hat in sich Luft, darum hält er sich in der Höhe. Der vornehme Heide hat Leere in sich, darum ist seine Hoheit Einbildung. Der vornehme Christ hat Glauben in sich, darum schwebt er über dem Abgrunde irdischer Hoheit in der Hoheit. Der Christ vergißt in seiner Hoheit nie den Vogel, er ist für ihn mehr als was ein Seezeichen für den Seemann ist. Er ist für ihn der Lehrmeister und doch wieder nur derjenige, den der Schüler weit hinter sich läßt, wenn er ihm zuruft: “Denke an mich in deiner Höhe!“ Der vornehme Heide sah nie den Vogel! Der Vogel ist in der Höhe und doch eigentlich erst unterwegs nach der Hoheit; könnte er dies verstehen, so müßte er sinken! Der Christ versteht das, und durch dieses Verstehen gerade erreicht er die Hoheit! Doch gibt es nach der Lehre des Christentums nur eine Hoheit: die, Christ zu sein – und nur einen Abgrund: das Heidentum. Denn diesen erreichte niemals ein Vogel, und nie flog er über den-selben. Über diesen Abgrund kann kein Vogel fliegen, er müßte unterwegs um-kommen; diese Höhe kann kein Vogel erreichen, er ist nur unterwegs dahin. So ist der Vogel glücklich in seiner Höhe, unwissend über den Abgrund, aber auch unwissend über die Seligkeit. Der Christ ist selig-bewußt in seiner Hoheit. Der vornehme Heide ist unselig-heillos verloren im Abgrunde! 

 

- Fortsetzung -