HEIDNISCHES SORGEN.

5 AUSGEWÄHLTE CHRISTLICHE REDEN.

 

Gebet.

Vater im Himmel! Zur Frühlingszeit kehrt alles in der Natur mit neuer Frische und Schönheit wieder, der Vogel und die Lilie hat seit früher nichts verloren – o, daß auch wir so unverändert zu der Unterweisung dieser Lehrmeister zurückkehren möchten! Ach, aber wenn wir während der entschwundenen Zeit an unserer inneren Gesundheit Schaden nahmen – daß wir doch dieselbe zurückerlangen möchten, indem wir wieder von den Lilien auf dem Felde und von den Vögeln unter dem Himmel lernten!

 

Ev. Matth. 6, V. 24 - 34.

 

Niemand kann zween Herren dienen, entweder wird er den Einen hassen und den Andern lieben, oder er wird dem Einen anhangen und den Andern verachten. Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon. Darum sage ich Euch: Sorget nicht für Euer Leben, was Ihr essen und trinken werdet, auch nicht für Euren Leib, was Ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr, denn die Speise? Und der Leib mehr, denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheuern, und Euer himmli-scher Vater nähret sie doch! Seid Ihr denn nicht viel mehr denn sie? Wer ist unter Euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge (könne), ob er gleich darum sorget? Und warum sorget Ihr für die Kleidung? Betrachtet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen, sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage Euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht (so) bekleidet gewesen ist, wie derselbigen Eins. So denn Gott das Gras auf dem Felde (=die Feldblumen) also kleidet, das doch heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, sollte er das nicht vielmehr Euch tun? O Ihr Kleingläubigen! Darum sollt Ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach Solchem allem trachten (nur) die Heiden; denn Euer himmli-scher Vater weiß, daß Ihr des alles bedürfet. Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird Euch Solches alles zu-fallen. Darum sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen: Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe!

 

EINLEITUNG.

 

Auf Sinais Gipfel wurde unter Donnergetöse das Gesetz gegeben; jedes Tier, das dem heiligen Berge nahte, ach, unverschuldet und ungewarnt, sollte getötet werden – dem Gesetz zufolge. Am Fuße des Berges (in Galiäa) wird die Berg-predigt gehalten: So verhält sich zum Gesetz das Evangelium, das bei ihm das Himmlische hienieden auf Erden, am Fuße des Berges ist. So mild ist das Evan-gelium, so nahe ist das Himmlische, das nun zur Erde herniedersteigt, und doch um so himmlischer! Es ist am Fuße des Berges – ja, und was mehr ist, der Vogel und die Lilie sind mit ihm gekommen, es lautet beinahe so, als liefe es scherzend darauf hinaus, daß sie dabei mit im Spiele seien. Und ein Scherz ist es auch, sofern die Lilie und der Vogel mit dabei sind; aber um so heiliger wird der Ernst, gerade weil der Vogel und die Lilie mit dabei sind! Der Vogel und die Lilie sind mit dabei; ja, und was mehr ist, sie sind nicht bloß dabei, sondern sie sind dazu dabei, um zu unterweisen. Wohl ist das Evangelium selbst der eigentliche Lehrer, er selbst der Meister, der Weg, die Wahrheit und das Leben im Unterweisen; aber der Vogel und die Lilie sind doch mit dabei wie eine Art von Hilfslehrer. Wie ist dies möglich? Nun, die Sache ist nicht so schwer. Weder die Lilie noch der Vogel sind nämlich selbst Heiden, aber die Lilie und der Vogel sind auch nicht selbst Christen; gerade darum können sie mit Erfolg beim Unterricht im Christentum behilflich sein. Gib acht auf die Lilie und den Vogel, so entdeckst du, wie die Heiden leben, denn sie leben gerade nicht so wie der Vogel und die Lilie. So lebe du denn wie die Lilie und der Vogel, so wirst du ein Christ – was die Lilie und der Vogel (selbst) weder ist noch werden kann! Das Heidentum bildet den Gegensatz zum Christentum, aber die Lilie und der Vogel bilden keinen Gegensatz zu einem von diesen streitenden Teilen und halten sich klüglich außerhalb aller Gegen-sätze. Um nun nicht (selbst direkt) zu urteilen und zu verurteilen, braucht das Evangelium die Lilie und den Vogel; um das Heidentum (indirekt) offenbar zu machen, aber dadurch wiederum das offenbar zu machen, was von einem Christen gefordert wird. Um das störende Verurteilen zu hindern, sind Lilie und Vogel zwischeneingeschoben; denn Lilie und Vogel verurteilen keinen – und du, du sollst ja auch den Heiden nicht verurteilen, du sollst von der Lilie und dem Vogel lernen. Ja, es ist eine schwere Aufgabe und eine schwierige Stellung, die der Vogel und die Lilie beim Unterricht haben, es gibt auch keinen, der das nachtun könnte. Jeder andere würde so leicht dazu kommen, den Heiden anzu-klagen und zu verurteilen, den Christen aber zu loben statt ihn zu unterweisen, oder doch dazu, spottend den sogenannten Christen zu verurteilen, der nicht in dieser Weise lebt. Aber die Lilie und der Vogel, die nur damit beschäftigt und darin vertieft sind zu unterrichten, lassen sich nichts merken, sie sehen weder zur Rechten noch zur Linken, weder loben noch schelten sie, wie ein Lehrer es sonst tut. Gleichwie er, „der Lehrer“, von dem gesagt wird, „er kümmerte sich um niemand, sah nicht auf die Person der Menschen“ (Marc. 12,14), also kümmern sie sich um niemand oder sie kümmern sich nur um sich selbst. Und doch ist es beinahe eine Unmöglichkeit, von ihnen nicht etwas zu lernen, wenn man auf sie achtgibt. Ein Mensch tut (als Lehrer) oft alles, was in seinen Kräften steht, und doch kann es manchmal zweifelhaft sein, ob der Lernende auch etwas von ihm lernt. Aber der Vogel und die Lilie tun gar nichts, und doch ist es beinahe un-möglich, nicht von ihnen zu lernen! Kann der Mensch nicht schon das von ihnen lernen, was unterrichten heißt, was christlich unterrichten heißt; die große Kunst des Unterrichtens lernen: nicht damit groß zu tun, sondern darin zuerst für sich selbst zu leben, und dies doch auf so erweckliche, so ergreifende, so lockende Weise, und außerdem in Hinsicht auf die Kosten auf so billige und dadurch so rührende Art, daß es unmöglich ist, nicht etwas daraus zu lernen? Freilich, wenn ein menschlicher Lehrer alles getan hat, und der Lernende doch nichts gelernt hat, so kann er sagen „das ist nicht meine Schuld“, aber umgekehrt, wenn du von der Lilie und dem Vogel so sehr viel gelernt hast, ist es da nicht, als sagten sie „das ist nicht unsere Schuld?“ So wohlwollend sind diese Lehrer gegen den Lernenden, so menschlich, so würdig ihres göttlichen Berufes! Hast du etwas vergessen, so sind sie gleich bereit, es dir zu wiederholen und wiederholen es dann auch so lange, bis du es schließlich kannst; lernst du dennoch nichts von ihnen, so machen sie dir keine Vorwürfe, sondern bleiben selbst dabei, mit seltenem Eifer den Unterricht fortzusetzen, einzig damit beschäftigt, zu lehren. Und lernst du etwas von ihnen, so schreiben sie alles dir zu, und tun, als ob sie gar keinen Anteil daran hätten, als seien sie es nicht, denen du es verdanktest; sie geben keinen auf, wie ungelehrig er auch sei, und sie verlangen keine Ab-hängigkeit, auch nicht von demjenigen, der am meisten bei ihnen lernte! O ihr wunderbaren Lehrmeister, wenn man von euch auch nichts anderes lernte, als zu unterrichten, wie viel lernte man da nicht schon! Es ist schon viel, wenn ein menschlicher Lehrer etwas von dem tut, was er sagt; meistens macht man wohl viele Worte, aber tut nur wenig von allem dem, was man sagt – ach, aber auch diese Bemerkung über andere hätte der Vogel oder die Lilie nie gemacht! Aber ihr (Vogel und Lilie), ja, ihr tut allerdings in einem gewissen Sinne auch nicht was ihr sagt, tut es, ohne etwas zu sagen! Doch diese eure wortkarge Stille und diese eure Treue gegen euch selbst, Jahr aus Jahr ein so lange es Tag ist, ob aner-kannt oder nicht anerkannt, verstanden oder mißverstanden, gesehen oder unge-sehen, dasselbe zu tun – o, welche wunderbare Meisterschaft des Unterrichtens ist das!

Also mit Hilfe der Lilie und des Vogels lernen wir auch kennen, welches die heid-nischen Sorgen sind, nämlich diejenigen, die der Vogel und die Lilie nicht haben, obgleich sie die entsprechenden Bedürfnisse haben. Aber man könnte ja noch auf andere Weise diese Sorgen kennen lernen, indem man in ein heidnisches Land reiste und sähe, wie die Menschen dort leben, was für Sorgen sie dort haben. Und endlich auf eine dritte Art, indem man reist nach – doch, was sage ich reisen, wir leben ja an Ort und Stelle in einem „christlichen Lande“, wo lauter Christen sind! Also müßte man daraus schließen können: die Sorgen, die sich bei uns nicht finden, obgleich die entsprechenden Bedürfnisse und ein (ähnlicher) Druck vorhanden sind, das müssen heidnische Sorgen sein. So könnte man schließen, wenn nicht eine andere Betrachtung es uns vielleicht unmöglich machte, aus bloßen Voraussetzungen solche Schlüsse zu ziehen, und wenn nicht diese Betrachtung statt dessen auf andere Weise den Schluß zöge: diese Sorgen finden sich unter den Menschen in diesem Lande – also ist dieses „christliche Land“ heidnisch! Die Rede über „heidnisches“ Sorgen würde dann wie ein hinterlistiger Spott lauten. Doch dürfen wir uns nicht erlauben, die Christenheit so streng aufs Korn zu nehmen, noch auch jenen beinah grausamen Spott zu treiben; eine Grausamkeit, die wohlverstanden auch über den Reden-den selbst ergehen würde, der wohl auch kein so vollkommener Christ ist! Laßt uns aber trotzdem nicht vergessen, daß die Rede es gleichsam dick hinter den Ohren haben könnte; daß, falls ein Engel reden wollte, er auf diese Weise seinen Spott mit uns treiben könnte, mit uns, die wir uns „Christen“ nennen. Dies, indem er die Sache so wendete, daß er, statt unser dürftiges Christentum zu tadeln, das heidnische Sorgen (draußen) darstellte, und dabei beständig hinzufügte „aber hier in diesem Lande, das ein christliches ist, findet sich natürlich kein solches Sorgen“, den Schluß daraus ziehend, daß das Sorgen also nur heidnisches Sorgen sei. Oder umgekehrt, daß er daraus, daß das Land (mit seinen Sorgen doch) ein „christliches Land“ sei, den Schluß zöge, daß solches Sorgen gewiß mit Unrecht heidnisches Sorgen genannt worden wäre. Oder, daß er sich ein christliches Land dächte, worin wirklich lauter Christen wären, und täte, als ob dieses Land unser Land sei, daraus den Schluß ziehend: da solche Sorgen dort nicht zu finden seien, so müßten dieselben heidnisch sein. Laßt uns also dies nicht vergessen, und laßt uns auch nie vergessen, daß die Heiden, welche in der Christenheit gefunden werden, die am tiefsten gesunkenen sind; jene in den heidnischen Ländern sind noch nicht zum Christentum erhoben, diese sind unter das Heidentum gesunken, jene gehören dem (einst) gefallenen Geschlecht an, diese sind, nachdem sie aufgerichtet worden sind, noch einmal und noch tiefer gefallen.

So kämpft denn der erbauliche Vortrag auf mancherlei Weise dafür, daß das Ewige (die überweltliche Betrachtung) im Menschen siegen möge; er vergißt aber auch nicht, an rechter Stelle, mit Hilfe der Lilie und des Vogels uns aufs allererste zu einem Lächeln zu besänftigen. O du Kämpfender, laß dich so besänftigen! Man kann das Lachen (nach außen) verlernen, aber Gott wolle den Menschen davor bewahren, je das Lächeln (über sich selbst) zu verlernen! Ein Mensch kann vieles ohne Schaden vergessen, auch muß er sich wohl darein finden, mit dem zunehmenden Alter manches zu vergessen, was zu behalten ihm erwünscht sein könnte; aber Gott behüte einen davor, daß er bis zu seinem seligen Ende die Lilie und den Vogel vergesse!

 

I.

DIE SORGE DER ARMUT.

 

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Nach solchem allen trachten die Heiden!

 

Diese Sorge hat der Vogel nicht! Wovon lebt der Vogel – denn wir wollen jetzt nicht von der Lilie reden, sie hat gut reden, sie lebt von der Luft – aber wovon lebt der Vogel? Siehe, die bürgerliche Obrigkeit hat bekanntlich gar vieles, warum sie sich bekümmern muß. Bald hat sie die Sorge, daß es manche gibt, die nichts haben, wovon sie leben könnten; dann gibt sie sich zu anderen Zeiten wiederum damit nicht zufrieden, daß ein Mensch etwas zum Leben hat, er wird vorgeladen und befragt, wovon er lebt. Wovon lebt nun der Vogel? Doch wohl nicht von dem, was er in die Scheuern sammelt, denn er sammelt nicht in die Scheuern – und eigentlich lebt man auch nie von dem, was man in der Scheuer liegen hat. Aber wovon lebt denn der Vogel? Der Vogel kann nicht für sich Rede stehen; wenn der vorgeladen würde, müßte er wohl wie der Blindgeborene antworten, der nach demjenigen ausgefragt wurde, der ihm das Gesicht geschenkt hätte: „das weiß ich nicht; eins weiß ich wohl, daß ich blind war und bin nun sehend!“ So müßte auch der Vogel antworten: „das weiß ich nicht, eins weiß ich wohl, daß ich lebe.“ Wovon lebt er denn? Der Vogel lebt von dem „täglichen Brot“, jener himmlischen Nahrung, die nie veraltet, jenem ungeheuren Vorrat, der doch so gut verwahrt ist, daß keiner ihn stehlen kann; denn nur das, was zur Nacht verwahrt wird, kann der Dieb stehlen, das, was am Tage gebraucht wird, kann keiner stehlen.

Also „das tägliche Brot“ ist des Vogels Lebensunterhalt! Das tägliche Brot ist der am knappsten zugemessene Vorrat, es ist gerade genug, aber auch nicht mehr, es ist das Wenige, das die Armut bedarf. Aber dann ist ja der Vogel arm? Statt zu antworten, wollen wir fragen: ist der Vogel arm? Nein, der Vogel ist nicht arm! Sieh, hier zeigt es sich, daß der Vogel der Lehrmeister ist! Er ist wohl in der Lage, daß man ihn arm nennen muß, wenn man ihn nach den äußeren Verhältnissen beurteilen will; und doch ist er nicht arm, keinem wird es einfallen, den Vogel arm zu nennen. Aber was heißt das denn? Das heißt, seine Lage ist die der Armut, er hat aber nicht die Sorge der Armut. Wenn er vorgeladen werden würde, dann würde, daran ist kein Zweifel, die Obrigkeit finden, daß er eigentlich unter die Armenpflege gehöre; läßt man ihn aber nur fliegen, so ist er nicht arm. Ja, dürfte die Armenpflege walten, wie sie wollte, so würde der Vogel wohl arm werden, denn dann würde er mit so vielen Fragen über sein Auskommen geplagt werden, daß er selbst merken würde, daß er arm ist.

 

„Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: was werden wir essen? oder:

was werden wir trinken? – nach solchem allen trachten die Heiden!“

 

Denn der Christ hat nicht diese Sorge. Ist der Christ denn reich? Nun ja, es kann vielleicht sein, daß es einen Christen gibt, der reich ist; davon reden wir aber nicht, wir reden von einem Christen, der arm ist, von dem armen Christen. Er ist arm, aber er hat nicht die Sorge, die Bekümmernis der Armut; so ist er denn arm und doch nicht arm. Wenn man nämlich in Armut ohne die Sorge der Armut ist, so ist man wohl arm und doch nicht arm; und dann ist man, wenn man nicht ein Vogel, sondern ein Mensch ist, und doch wie der Vogel – dann ist man ein „Christ“! Wovon lebt denn der arme Christ? Vom täglichen Brot, darin gleicht er dem Vogel. Aber der Vogel, der allerdings kein Heide ist, ist doch auch kein Christ – denn der Christ betet um das tägliche Brot! Aber so ist er ja noch ärmer als der Vogel, da er sogar darum bitten muß, während der Vogel dasselbe ohne zu bitten erhält? Ja, so denkt der Heide! Der Christ betet um das tägliche Brot; indem er darum bittet, erhält er es, doch ohne daß er etwas auf die Nacht zu verwahren hätte. Er bittet darum, und indem er um dasselbe bittet, hält er nachts die Sorge fern während er sanft ruht, um am nächsten Tage für den Empfang des täglichen Brotes aufzuwachen, um welches er betet. Der Christ lebt also nicht vom täglichen Brot wie der Vogel oder wie der Abenteurer, der dasselbe nimmt, wo er es findet; denn der Christ findet es, wo er es sucht, und er sucht es durch Beten. Aber darum hat er auch, wie arm er immer sein mag, mehr als das tägliche Brot allein zum Leben, etwas, was für ihn eine Zugabe und einen Wert, eine Sättigung bedeutet, die es für den Vogel nicht sein kann. Denn der Christ betet ja um dasselbe, er weiß also, daß das tägliche Brot von Gott ist. Hat nicht auch sonst eine geringe Gabe, etwas ganz Unbedeutendes, doch einen unend-lichen Wert für den Liebenden, wenn es von der Geliebten ist? Darum sagt der Christ nicht nur, daß das tägliche Brot ihm genügt, sofern er an seine irdischen Bedürfnisse denkt, sondern er redet zugleich von etwas anderem und kein Vogel und kein Heide weiß, was es ist, wovon er redet – wenn er sagt: „es genügt mir, daß es von ihm ist“, nämlich von Gott. Wie jener einfältige Weise (Sokrates), obgleich er beständig von Speise und Trank redete, dennoch in tiefsinniger Weise über das Höchste redete, ebenso redet der arme Christ, wenn er über die Speise redet, in Einfalt über das Höchste. Denn wenn er sagt „das tägliche Brot“, so denkt er nicht so sehr an die Speise, als daran, daß er dieselbe von Gottes Tische erhält. In dieser Weise lebt der Vogel nicht vom täglichen Brot; er lebt gewiß nicht wie ein Heide, um zu essen, er ißt um zu leben – aber lebt er denn überhaupt eigentlich?

Der Christ lebt vom täglichen Brot; daß er davon lebt, unterliegt keiner Frage, aber er fragt auch nicht, was er essen und was er trinken wird. Er weiß, daß er in dieser Hinsicht von seinem himmlischen Vater verstanden wird, der es weiß, daß er aller dieser Dinge bedarf; der arme Christ fragt nicht nach alledem, was die Heiden suchen. Dagegen gibt es etwas anderes, das er sucht, und darum erst lebt er; denn es war ja zweifelhaft, inwiefern man eigentlich sagen könne, daß der Vogel „lebe“. Er, der Christ, lebt dazu, oder es ist dies, wofür er lebt und eben aus diesem Grunde kann man erst sagen, daß er lebt: er glaubt, daß er einen Vater im Himmel hat, welcher jeden Tag seine milde Hand auftut und alles, was lebt – auch ihn – mit Segen sättigt; was er aber sucht, ist nicht satt zu werden, sondern den himmlischen Vater. Er glaubt, daß ein Mensch nicht darin vom Vogel verschieden ist, daß er nicht von so wenigem leben kann, sondern darin, daß er nicht leben kann „vom Brot allein“. Er glaubt, daß es der Segen ist, der da sättigt, und was er sucht ist nicht satt zu werden, sondern den Segen. Er glaubt – wovon kein Sperling etwas weiß, und was hilft es dann eigentlich dem Sperling, daß es so ist! – daß „kein Sperling zur Erde fällt ohne den Willen des himmlischen Vaters“. Er glaubt, daß er wie er hier, so lange er auf Erden zu leben hat, wohl das tägliche Brot erhalten wird, auch ebenso einst droben selig leben wird. So erklärt er die Stelle „daß das Leben mehr ist als die Speise“; denn gewiß ist sogar das Leben der Zeitlichkeit mehr als die Speise, aber ein ewiges Leben ist doch wohl ohne Vergleich mehr als Speise und Trank, worin eines Menschen Leben nicht besteht, so wenig wie Gottes Reich. Er bedenkt stets, daß das heiligste Leben hier auf Erden in Armut geführt worden ist, daß „Ihn“ in der Wüste hunger-te und am Kreuze dürstete; so daß man also nicht bloß leben kann in Armut, sondern in Armut leben kann. – Darum bittet er wohl um das tägliche Brot und dankt für dasselbe, was der Vogel nicht tut; aber das Beten und das Danken ist ihm wichtiger als die Speise und ist ihm doch seine Speise, wie es Christi „Speise war des Vaters Willen zu tun“.

Aber so ist ja der arme Christ reich? Ja gewiß ist er reich! Denn der Vogel, der in der Armut ohne die Sorge der Armut ist, der arme Vogel, er ist freilich kein Heide und deshalb auch nicht arm, obgleich arm doch nicht arm; er ist aber auch kein Christ, und deshalb ist er doch arm – der arme Vogel, o unbeschreiblich arm! Wie arm, nicht beten zu können; wie arm, nicht danken zu können; wie arm, alles gleichsam in Undankbarkeit hinnehmen zu müssen; wie arm für seinen Wohltäter, dem man das Leben schuldet, gleichsam nicht zu existieren! Denn beten können und danken können, das ist ja für ihn (den armen Christen) existieren; und dies tun, das ist leben. Des armen Christen Reichtum ist gerade der, für den Gott zu existieren, der allerdings nicht ein für allemal ihm irdischen Reichtum gab, o nein, der ihm jeden Tag das tägliche Brot gibt. Jeden Tag! Ja, jeden Tag hat der arme Christ die Veranlassung, auf seinen Wohltäter aufmerksam zu werden, zu beten und zu danken. Und sein Reichtum wächst ja mit jedem Male wenn er betet und dankt, mit jedem Male wird es ihm deutlicher, daß er für Gott und Gott für ihn existiert; während irdischer Reichtum doch ärmer und ärmer wird mit jedem Male, wo der Reiche zu beten und zu danken vergißt. O, wie armselig, so ein für alle-mal aufs ganze Leben das Seine bekommen zu haben; welcher Reichtum da-gegen, „jeden Tag“ das Seine zu bekommen! Wie mißlich, beinahe jeden Tag veranlaßt sein, zu vergessen, daß man das, was man hat, erhalten hat! Wie selig dagegen, jeden Tag daran erinnert zu werden, das heißt an seinen Wohltäter erinnert zu werden, das ist an seinen Gott, seinen Schöpfer, seinen Versorger, seinen Vater im Himmel, also an die Liebe, für die allein es wert ist zu leben!

Aber dann ist ja der arme Christ reich? Ja, gewiß ist er reich, und du sollst ihn auch daran erkennen, daß er nicht liebt von seiner irdischen Armut zu sprechen, wohl aber von seinem himmlischen Reichtum. Und deshalb lautet seine Rede bisweilen so verwunderlich. Denn während alles um ihn herum an seine Armut erinnert, redet er von seinem Reichtum – und darum kann ihn keiner verstehen außer er sei ein Christ! Siehe, es wird von einem frommen Einsiedler erzählt, der viele viele Jahre der Welt abgestorben gelebt hatte, das Armutsgelübde streng haltend, daß er eines reichen Mannes Freundschaft und Hingabe gewonnen hatte. Da starb der reiche Mann und setzte jenen Einsiedler, der nun so lange Zeit vom täglichen Brot gelebt hatte, zum Erben seines ganzen Vermögens ein. Da man aber kam und es dem Einsiedler erzählte, antwortete er: „Das muß ein Versehen sein, wie kann er mich zum Erben einsetzen, da ich lange vor ihm gestorben bin!“ O, wie dürftig nimmt sich nicht der irdische Reichtum aus neben diesem Reichtum! Irdischer Reichtum nimmt sich immer dürftig aus dem Tode gegenüber; aber der Christ, der in Armut ohne die Sorge der Armut ist, er ist auch gestorben für die Welt und von der Welt weg – darum lebt er! Denn der Vogel hört auf zu leben indem er stirbt. Und darum nimmt sich der ganzen Welt Reichtum, den man gebrauchen kann so lange man lebt, so armselig aus im Vergleich mit seiner – Armut, ja, oder seinem Reichtum! Daß ein Toter kein Geld braucht, das wissen wir alle; aber der Lebende, der wirklich für dasselbe keine Verwendung hat, er muß entweder sehr reich sein, und dann kann es wohl sein, daß er noch mehr braucht – oder er muß ein armer Christ sein!

Insofern der arme Christ reich ist, gleicht er nicht dem Vogel! Denn der Vogel ist arm und doch nicht arm; aber der Christ ist arm, doch nicht arm – sondern reich. Der Vogel ist ohne Sorge um das Geringere, das er nicht sucht, aber er sucht auch nicht das Höhere; der Vogel ist selbst ohne Sorge, aber sein Leben ist auch für ihn als wäre es nicht der Gegenstand von jemandes anderen Sorge. Der Christ teilt gleichsam mit Gott; er läßt Gott sorgen für Speise und Trank und „solches Alles“, während er Gottes Reich und dessen (Gottes) Gerechtigkeit sucht. Hoch schwingt sich der arme Vogel in die Wolken, ohne von der Sorge der Armut gedrückt zu werden, aber der Christ schwingt sich doch noch höher. Es ist als suchte der Vogel Gott in seinem Fluge gen Himmel, aber der Christ findet ihn; es ist als flöge der Vogel weit weit weg nach Gott zu, aber der Christ findet ihn, und findet ihn (o himmlische Seligkeit!) auf Erden; es ist als flöge der Vogel in den Himmel hinein, aber der Himmel bleibt doch verschlossen für ihn, nur für den Christen öffnet er sich!

 

„Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Nach solchem allen trachten die Heiden!“

 

Ja, die Heiden sorgen um Solches. Der Vogel ist in Armut ohne die Sorge der Armut – er schweigt; der Christ ist in Armut ohne die Sorge der Armut, er redet, aber nicht über die Armut, sondern über seinen Reichtum; der Heide hat die Sorge der Armut. Statt in Armut ohne Sorge zu sein, ist er (und das eine ent-spricht ganz dem andern) „ohne Gott in der Welt“. Sieh, darum hat er die Sorge! Er schweigt nicht wie der sorglose Vogel; er redet nicht wie ein Christ, der über seinen Reichtum redet; er hat und weiß eigentlich nichts anderes zu reden, als über die Armut und deren Sorge. Er fragt, was werde ich essen, und was werde ich trinken, heute, morgen, übermorgen, zum Winter, nächstes Frühjahr, wenn ich alt geworden bin; ich und die Meinigen, und das ganze Land, was werden wir essen und trinken. Diese Frage stellt er nicht bloß, – ach! in einem Augenblick der Besorgnis und bereut sie dann wiederum; oder in Zeiten der Drangsal, und bittet dann doch wieder Gott um Vergebung. Nein, er ist ohne Gott in der Welt und macht sich – wichtig mit der Frage, die er die eigentliche Lebensfrage nennt! Er schafft sich eine Bedeutung vor sich selbst durch den Gedanken, daß er sich ausschließlich mit dieser Lebensfrage beschäftigt. Er findet es unverantwortlich von „der Öffentlichkeit“ (denn mit Gott hat er nichts zu schaffen!), daß ihm etwas fehlen sollte, ihm, der einzig und allein für diese Lebensfrage lebt. Jeden, der sich nicht damit beschäftigt, oder doch nicht dafür wirkt, ihm Unterhalt zu schaffen, hält er für einen Träumer. Selbst das Höchste und Heiligste hält er im Vergleich mit dieser tiefsten Lebensfrage der „Wirklichkeit“ für Tand und Einbil-dung. Er findet es töricht, einen erwachsenen Menschen auf den Vogel und die Lilie hinzuweisen, denn was sollte doch da zu sehen sein, und was sollte man wohl von ihnen lernen! Wenn man, wie er, ein Mann ist, der gelernt hat, was des Lebens Ernst ist, wenn man Bürger, Gatte und Vater ist, so ist es doch wohl ein ziemlich alberner Scherz und ein kindischer Einfall, einen anweisen, auf die Lilien und die Vögel zu achten, als ob man nicht auf anderes acht zu geben hätte. „Wenn es nicht Schande halber wäre“, so sagt er, „und aus Rücksicht für meine Kinder, die man nun einmal nach alter Sitte in der Religion unterrichten läßt, so würde ich gerade heraussagen, daß man zur Beantwortung der wichtigsten Frage nur sehr wenig in der heiligen Schrift findet, und überhaupt wenig Nütz-liches, mit Ausnahme von einer einzigen herrlichen Sentenz. Man liest über Christus und die Apostel; aber für das, was die eigentliche Lebensfrage ist, zur Beantwortung derselben findet man nicht den geringsten Beitrag für die eigent-liche Lebensfrage: „Wovon sie gelebt haben, wie sie dabei verfahren sind, um jeder das Seine zu bezahlen und Abgaben und Steuern zu entrichten“. „Die Frage der Teuerung durch ein Wunder lösen ist eine nichtssagende Antwort auf diese Frage; wenn das auch wahr wäre, was beweist das denn? Auf keinen Ausweg zuvor bedacht zu sein, und dann, wenn der Termin gekommen und die Steuer verlangt wird, einen Jünger einen Fisch aus dem Wasser ziehen lassen, in dessen Munde sich ein Stater findet, mit dem bezahlt wird, – wenn das auch wahr ist, was beweist das doch? Ich vermisse überhaupt den Ernst in der heiligen Schrift, ernste Antwort auf die ernste Frage; ein ernster Mann wünscht nicht genarrt zu werden, als ob er im Theater wäre. Mögen die Geistlichen den Frauen und Kindern darüber predigen; jeder ernste und aufgeklärte Mann ist doch in seinem stillen Sinn mit mir einig, und da, wo die Ernsthaften zusammenkommen, in den öffentlichen Versammlungen, da ehrt man doch nur diejenige Klugheit, die Sinn hat für die Wirklichkeit.“

So der Heide; denn das Heidentum war ohne Gott in der Welt, aber das Christen-tum macht es erst recht offenbar, daß Heidentum Gottlosigkeit ist. Doch ist das Gottlose nicht das Besorgtsein, obgleich das allerdings nicht das Christliche ist; das Gottlose ist, gar nicht von etwas anderem wissen wollen, und gar nichts da-von wissen wollen, daß dieses Sorgen sündig ist, daß die Schrift darum sagt, ein Mensch könne ganz im selben Sinne wie er sein Herz mit Fressen und Saufen beschwert, es auch mit Sorgen der Nahrung beschweren (Luc. 21,34). Überall im Leben gibt es einen Scheideweg; jeder Mensch steht einmal am Anfang – am Scheidewege – dies ist seine Vollkommenheit und nicht sein Verdienst! Wo er aber zum Schluß steht (denn zum Schluß ist es unmöglich, am Scheidewege zu stehen), das ist seine Wahl und seine Verantwortung. Für denjenigen, der in Armut ist, und also von der Armut nicht loskommen kann, ist der Scheideweg, entweder christlich von der Sorge loszukommen, indem er sich zu „dem Wege“ nach oben wendet, oder gottlos sich der Sorge zu übergeben, indem er sich zum Wege nach abwärts kehrt. Denn ewig verstanden gibt es nie zwei Wege, obgleich es einen Scheideweg gibt; es gibt nur einen Weg, der andere ist der Abweg. Je tiefer er denn in das Sorgen versinkt, desto mehr entfernt er sich von Gott und von dem Christlichen; am tiefsten ist er gesunken, wenn er von nichts Höherem wissen will, dagegen will, daß diese Sorge nicht nur das Schwerste sein sollte, (was sie doch auch nicht ist, denn das ist der Reue Schmerz), sondern auch das Höchste!

Aber diejenigen, welche reich werden wollen, „geraten in viele Versuchungen und Fallstricke“; und welches ist die Sorge der Armut, wenn nicht die, reich werden zu wollen? Vielleicht verlangt die Sorge nicht sogleich Reichtum; gezwungen von der harten Notwendigkeit und in ihrer Ohnmacht begnügt sie sich vielleicht bis auf weiteres mit wenigerem. Aber dieses selbe Sorgen, wenn ihm sein gegen-wärtiger Wunsch erfüllt, wenn eine Aussicht auf Mehr eröffnet würde, es würde stets Mehr und Mehr begehren. Es ist ein Sinnenbetrug, wenn jemand meint, daß das Sorgen der Armut, wenn es sich nicht hat göttlich heilen lassen wollen (und in jenem Fall kann dann die Heilung ebensogut mit etwas Mehr wie mit etwas Weniger anfangen!), irgend welche Verhältnisse finden würde, worin es zufrieden wäre, ehe es „den Reichtum“ erlangt hätte, mit dem es auch nicht zufrieden sein würde. O! über den langen Weg, der vor dem Sorgen der Armut liegt; und was das Fürchterlichste ist, dieser Weg ist überall von Versuchungen durchkreuzt! Denn wir stehen alle in Gefahren, wo wir auch stehen; aber derjenige, welcher reich werden will, steht überall in Versuchungen, und es ist unvermeidlich, daß er nicht in diese Versuchung fällt, in die Gott ihn nicht hineingeführt, sondern in wel-che er sich selbst gestürzt hat. Derjenige, der in Armut ist, ist schon in schwerer Lage, aber keineswegs von Gott verlassen; die Erlösung ist gerade die befohle-ne, ohne Sorge zu sein. Denn daß die von Gott dargebotene Erlösung die einzig wahre ist, wird gerade daran erkannt, daß sie die „befohlene“ ist, und sie ist es gerade weil sie „befohlen“ ist. Ohne Sorge sein – ja das ist ein schwieriges Gehen, beinah so schwer, wie auf dem Meere zu gehen; wenn du aber glauben kannst, so läßt es sich doch machen. Es gilt jeder Gefahr gegenüber hauptsäch-lich von dem Gedanken an dieselbe loskommen zu können. Von der Armut kannst du nun nicht loskommen, aber du kannst von dem Gedanken an dieselbe loskommen, indem du beständig an Gott denkst. So geht der Christ seinen Weg, er wendet den Blick nach oben, er sieht von der Gefahr hinweg, in Armut ist er ohne die Sorge der Armut. Aber wer reich werden will, hat seine Gedanken immer auf Erden, bei seinen Sorgen auf Erden; mit seinen Sorgen auf Erden; er geht gebückt und sieht sich beständig vor – ob er nicht den Reichtum finden könnte! Er „sieht sich beständig vor“ – ach, das pflegte ja sonst das beste Mittel zu sein, der Versuchung zu entgehen; aber für ihn, ja er weiß das nicht, für ihn heißt gerade das sich Vorsehen in die Falle gehen. Diese ist für ihn, die Versu-chung immer größer und größer zu finden und immer tiefer und tiefer in dieselbe zu versinken. Er ist schon in der Gewalt der Versuchung, denn das Sorgen ist der Versuchung schlauester Diener. Und die Versuchung ist unten auf Erden, da, wo „solches alles ist, nach dem die Heiden trachten“; und die Versuchung ist unten auf Erden – je mehr sie den Menschen dazu bringt, nach derselben hinunter zu schauen, desto sicherer ist sein Untergang. Denn welches ist „die Versuchung“, die in sich selbst verwickelt (kompliziert) ist? Die ist es doch wohl nicht, wie der Prasser zu leben, um zu essen, nein (o! Aufruhr gegen die göttliche Ordnung!) zu leben, um sich zu plagen. Die Versuchung ist die, sich selbst zu verlieren, seine Seele zu verlieren, aufzuhören ein Mensch zu sein und wie ein Mensch zu leben, statt freier als der Vogel, gottverlassen sich zu plagen, erbärmlicher als das Tier. Ja, sich zu plagen! Statt um das tägliche Brot zu arbeiten, was jedem Menschen geboten ist, um dasselbe sich zu plagen – und doch nicht gesättigt werden, weil das Sorgen ja darauf geht, reich zu werden. Statt um das tägliche Brot zu beten, sich um dasselbige zu plagen – weil man der Menschen und seiner Sorgen Sklave wurde und vergaß, daß es Gott ist, den man um dasselbe bitten soll! Statt das sein zu wollen, was man ist – arm, aber zugleich von Gott geliebt, was man auch ist, vielmehr nie freudig in sich selbst, nie froh in Gott, sich selbst und sein Leben zu jener Knechtschaft zu verdammen in mißmutigem Grämen Tag und Nacht, in dunkler und nagender Verstimmung, in geistloser Geschäftigkeit, das Herz von Nahrungssorgen beschwert, befleckt von Geiz, obgleich in Armut!

Denke nun zum Schluß an den Vogel, der ja im Evangelium mit dabei ist und in der Rede mit dabei sein soll! Im Vergleich mit der gottlosen Schwermut des Heiden ist der Vogel, der in Armut ohne die Sorge der Armut ist – Sorglosigkeit. Im Vergleich mit des Christen frommem Glauben ist des Vogels Sorglosigkeit – Leichtsinn. Im Vergleich mit des Vogels Leichtigkeit ist der Heide schwer beladen wie ein Stein; im Vergleich mit der Freiheit des Christen ist doch auch der Vogel dem Gesetz der Schwere unterworfen. Im Vergleich mit dem Vogel, der da lebt, ist der Heide tot; im Vergleich mit dem Christen kann man doch nicht eigentlich sagen, daß der Vogel lebt. Im Vergleich mit dem Vogel, der da schweigt, ist der Heide geschwätzig; im Vergleich mit dem Christen ist der Heide doch ein Sprach-loser, der weder betet noch dankt. Denn das Beten und das Danken, das ist im tiefsten Verstand die menschliche Sprache, alles andere, alles, was der Heide sagt, verhält sich dazu wie ein Vogel, der das Sprechen gelernt hat, sich zu einem Menschen verhält. Der Vogel ist arm und doch nicht arm; der Christ ist arm, und doch nicht arm, sondern reich; der Heide ist arm, arm, arm, und ärmer als der ärmste Vogel. Wer ist der Arme, der so arm ist, daß dies das einzige ist, was von ihm zu sagen wäre, gleichwie dies das einzige ist, worüber er selbst zu reden weiß? Das ist der Heide! Nach der Lehre des Christentums ist sonst niemand, niemand arm, weder der Vogel noch der Christ! Das ist ein langer Weg: In Armut reich sein wollen; des Vogels Abkürzungsweg ist der kürzeste, des Christen der seligste! 

 

- Fortsetzung -