Das neunte Kapitel. 

(Von der Erbsünde.) 

 

Diesen großen Jammer und Elend, so unsern ersten Eltern aus der Sünde entstanden ist, haben sie auf alle ihre Nachkommen geerbt.

 

182. Die Erfahrung gibts, dass manchmal die Leibesgebrechen und Krankheiten von den Eltern auf die Kinder geerbt werden, wie auch oftmals der Eltern be-sondere Laster und Bosheit, als der Seele Krankheit und Gebrechen, auf die Kinder kommen. Doch fehlt dies auch manchmal, so dass von krummen und gebrechlichen Leuten gerade und gesunde Kinder, von boshaftigen Leuten fromme Kinder gezeugt werden.

Demnach hat es eine besondere Bewandtnis mit der Sünde Adams und Evä. Denn nachdem dieselben darein geraten sind, ist ihre ganze Natur von der Sünde dermaßen vergiftet, dass sie die Sünde mit samt der Natur auf alle Nachkommen geerbt haben und keiner unter allen Adamskindern (den Herrn Christum ausgenommen, Hebr. 4,15.) rein und heilig zur Welt geboren wird, sondern sie sind alle der Sünde teilhaftig worden.

 

183. Dasselbe nun zu erklären, so ist dafür zu halten, dass die einige Handlung, womit Adam und Eva Gottes Gebot überschritten haben, nicht nur derselben, sondern auch aller ihrer Nachkommen Sünde sei. Denn da Adam nicht für seine Person allein, sondern als ein Stamm des ganzen menschlichen Geschlechts Gott einen Gehorsam leisten sollte; so hat er mit Übertretung göttlichen Gebots nicht für seine Person allein, sondern als ein Stamm und Vater aller Menschen gesündigt, und also haben mit dieser Übertretung in Adam zugleich alle Men-schen gesündigt, maßen der Apostel schreibt, dass durch des einigen Sünders einige Sünde alles Verderben gekommen und durch eines Menschen Unge-horsam viel Sünder worden seien, Röm. 5,16.19. Und nachdem die ersten Eltern sündlich worden sind, ist ihre Natur also verderbt, dass sie nicht andere als sündliche Kinder haben zeugen mögen; und wenn noch heutiges Tages die Kinder sündlich geboren werden, so rührt dasselbe ursprünglich von der ersten Sünde her.

 

184. Dieses heißt man die Erbsünde, und es ist dieselbe eigentlich die Verderb-nis der Natur, womit ein Mensch von Gott, desselben Werken und Willen abge-wendet ist, dass er das Gute, was Gott will, von Natur hasst und fleucht oder es nicht anders, denn mit großem Widerwillen vollbringt: hingegen das Böse, welches Gott verbeut, von Natur liebt, demselben nachtrachtet und es mit be-sonderer großer Lust und Freudigkeit verrichtet. Solches muss noch deutlicher erklärt und hernach bewiesen werden.

 

185. Die Erklärung betreffend, so sehen wir: wenn Kinder ihnen selbst zu ihrem Willen überlassen werden, so lernen sie allezeit von ihnen selber mancherlei böses, nimmermehr aber etwas gutes. Damit erweist sich die Natur, dass sie zum bösen geneigt und vom guten abgewendet sei. Wollen aber Eltern, dass ihre Kinder sollen Gottseligkeit lernen, gute Tugenden, Zucht und Ehrbarkeit fassen, so ist abermal kund, was für große mächtige Arbeit dazu gehöre, dass die natür-liche Bosheit durch Ruten und Schläge von ihnen ausgetrieben, Tugend und gute Lehre aber eingepflanzt werde. Hingegen wer die Kinder vom guten ab und dem bösen zuführen wollte, dürfte sie dazu weder nötigen noch schlagen, weil sie von sich selber dazu wohl kommen würden.

 

186. Ingleichen befindet ein jeder Mensch, wenn er soll beten, Predigt hören, die h. Schrift oder andere gute Bücher lesen, so zur Gottseligkeit dienen, dass, ob er schon als ein Wiedergeborner nach dem inwendigen Menschen solches gern tut, er doch eher darüber ermüdet, denn so er andere Händel verrichtete. Mancher wird an seiner Werkstatt, ob er schon den ganzen Tag arbeitete, nicht also verdrossen, denn so er eine Stunde soll Predigt hören. Wenn er aber Schwel-gerei, Leichtfertigkeit, Gaukelspiel, unnützem Geschwätz abwartet, so will ihm alle Zeit zu kurz sein und wird einen ganzen Tag nicht also verdrossen, als wenn er eine Stunde soll beten oder den Gottesdienst abwarten. Wenn wir die Ursache dieses Werks erforschen wollen, werden wir unfehlbar finden, sie stecke in der Natur, die den Menschen von allem guten abführe, hingegen zu allem bösen reize und neige. Solche Verderbnis, dass die ganze Natur und alle Kräfte von Gott und allem guten abgewendet, zu allem bösen aber geneigt ist, muss ja eine böse, Gott missfällige und sündliche Art sein, und weil sie dazu erblich ist, wird sie recht eigentlich und wohl die Erbsünde genannt.

 

187. Den Beweis belangend, so wird zwar schon aus Betrachtung der Dinge, so uns der Augenschein, ja unser eigen Herz und Gewissen zeigt, die verderbte Art der Natur und die Erbsünde genugsam und überflüssig erwiesen. Jedoch mögen, um solches gewisser zu vernehmen und tiefer zu beherzigen, noch folgende Gründe hinzu getan werden. Und es wird demnach, dass der Mensch von Natur und durch seine Geburt mit Sünden vergiftet sei, daraus bewiesen:

 

188. 1) weil wir alle von sündlichen Eltern herkommen. Denn weil ein fauler Baum faule Früchte bringt (Matth. 7,18), so mag hie mit dem heiligen Hiob ge-schlossen werden (Kap. 15,14ff.): „was ist ein Mensch, dass er sollte rein sein und dass der sollte gerecht sein, der vom Weibe geboren ist? Siehe unter seinen Heiligen ist keiner ohne Tadel und die Himmel sind nicht rein vor ihm; wie viel mehr ein Mensch, der ein Greuel und schnöde ist, der Unrecht säuft wie Wasser.“

 

189. 2) Weil alle Menschen durch Adams Fall sind Sünder worden. Sct. Paulus schreibet 1 Tim. 2,14: „das Weib ist verführet und hat die Übertretung einge-führet“; Röm. 5,12: „die Sünde ist durch einen Menschen in die Welt kommen und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen hindurch gedrungen, dieweil sie alle gesündiget haben“; v. 15: „durch eines Sünde sind viel gestorben“; v. 16: „durch des einigen Sünders einige Sünde ist alles Ver-derben kommen“; v. 18: „durch eines Sünde ist die Verdammnis über alle Men-schen kommen“.

 

190. 3) Weil alle Menschen in Sünden empfangen und geboren werden; Ps. 51,7: „ich bin aus sündlichem Samen gezeugt und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen“.

 

191. 4) Weil ein Mensch so, wie er von seiner Geburt an beschaffen ist, nicht kann ins Reich Gottes kommen Joh. 3,6 spricht der Herr Christus: „was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch“. Nun sagt er aber zuvor v. 5: „es sei denn, dass jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“. St. Paulus aber schreibt noch deutlicher 1 Kor. 15,50: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben“. Sintemal nun allein die Sünde vom Reich Gottes die Menschen ausschließt und alles, was vom Fleisch geboren ist, nicht kann ins Reich Gottes kommen, so folgt daraus, dass alles, so vom Fleisch geboren ist, der Sünde teilhaftig sei.

 

192. 5) Weil sich in allen Menschen alsbald von der Geburt an bis in die letzte Todesstunde dasjenige befindet, so eigentlich und allein von der Sünde her-kommt:

a. dass man zu wirklichen Sünden eilt; Matth. 15,19: „aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord. Ehebruch, Hurerei etc.“ Jak. 1,14: „ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizet und gelocket wird“.

b. dass alle Menschen, auch die noch nicht zur Welt gebornen, dem Tod unter-worfen sind. „Der Tod ist der Sünden Sold“, Röm. 6,23. Und dass derselbe durch alle Menschen der Sünde halben durchgedrungen sei, auch durch die, so nicht also wirklich wie Adam gesündigt hatten, bezeugt St. Paulus Röm. 5,14: „der Tod herrschete von Adam bis auf Mosen, auch über die, die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam“.

c. Dass alle Menschen von Natur unter dem Zorn Gottes sind. Der Zorn Gottes wird allein offenbart über das gottlose Wesen der Menschen, Röm. 1,18. Der Zorn Gottes geht aber über alle Menschen von Natur; Eph. 2,3: „wir waren Kinder des Zorns von Natur, gleichwie auch die andern“. Darum sind alle Menschen Sünder von Natur.

d. Dass alle Menschen vom Reich Gottes ausgeschlossen werden, auch die noch keine wirkliche Sünde begangen haben. Davon ist in dem vierten Beweis Meldung geschehen, und es ist auch daraus zu vernehmen, dass solche Kinder, die vor, in oder bald nach ihrer Geburt sterben, entweder in Gottes Reich auf-genommen oder davon ausgeschlossen werden. Kommen sie hinein, so müssen sie durch Christum hinein kommen, denn es ist außer ihm kein Name den Men-schen gegeben, selig zu werden, Apostelgesch. 4,12.; und er selber spricht: „niemand kommt zum Vater, denn durch mich“, Joh. 14,6. Durch Christum aber kommen in Gottes Reich allein die Sünder; Matth. 9,13: „ich bin kommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen“. Er ist kommen, die Sünder selig zu machen, 1 Tim. 1,15., er ist kommen, sein Volk selig zu machen von allen seinen Sünden, Matth. 1,21. Wenn demnach die Kinder in Gottes Reich kommen, und zwar durch Christum hinein kommen, so sind sie gewisslich Sünder. Weil sie aber vor, in, auch vielleicht alsbald nach ihrer Geburt keine wirkliche Sünde begangen haben, so sind sie von Natur Sünder.

 

193. Hieraus erhellt also, dass die Erbsünde, obwohl sie die menschliche Natur verderbt, dieselbe doch nicht wesentlich verwandelt habe und dass sie zwar eine große geistliche Krankheit des Menschen sei, aber nicht des Menschen Substanz und Wesen selber. Solches ist daraus zu entnehmen, dass Gott

1) das menschliche Wesen, welches mit der Sünde hernach verderbt worden ist, erschaffen hat, wie er dasselbe auch noch erhält; Apostelgesch. 17,28: „in ihm leben, weben und sind wir“. Die Erbsünde aber hat Gott nicht geschaffen.

2) Dass er das menschliche Wesen durch seines Sohnes eigen Blut erlöset hat, Apostelgesch. 20,28. Die Erbsünde aber hat er nicht erlöst, sondern von der Sünde hat er sein Volk selig gemacht, Matth. 1,21.

3) Dass er das menschliche Wesen durch seinen Geist geheiligt hat, Eph. 5,26.27. Die Erbsünde aber hat er nicht geheiligt.

4) Dass er das menschliche Wesen am jüngsten Tage zum ewigen Leben aufer-wecken wird, Hiob 19,26. Die Erbsünde aber wird Gott zum ewigen Leben nicht auferwecken, sondern den Menschen von dieser und anderer Schwachheit reinigen, 1 Kor. 15,43. Darum ist die Erbsünde nicht das menschliche Wesen selber.

 

- Fortsetzung -