August Friedrich Christian Vilmar (1800-1868):

Die Theologie der Tatsachen wider die Theologie der Rhetorik.


V. Kirche.

 

Kein Artikel der christlichen Lehre und des christlichen Lebens ist in der neuesten Zeit mit mehr Eifer und mit mehr Fruchtbarkeit diskutiert worden als der Artikel von der Kirche – ja es ist derselbe in dem Gebiete der evangelischen Theologie noch niemals in nur annähernd, nur ähnlich bedeutender Weise erörtert worden wie (S.50) jetzt – aber gegen keinen Artikel regt sich auch mit so scharfem Nachdrucke die Abneigung und der Widerwille der Rhetoriker, wie gegen diesen. Alle diejenigen, welche jetzt in der evangelischen Kirche die Lehre von der Kirche sich zu Herzen genommen und dieselbe zum Gegenstande ihrer Forschung in der „Wissenschaft“ oder ihrer Tätigkeit im Leben gemacht haben, gehen bei aller noch Statt findenden Verschiedenheit in der Auffassung dieser Lehre davon aus, dass sie, wie sie ihrer Seligkeit in Jesu Christo gewiss sind, so auch wollen, dass dieselbe Seligkeit auch Allen, die nach ihnen kommen, mit gleicher, unzweifelhafter Gewissheit zu Teil werde. Die Möglichkeit der Fortpflanzung dieser Gewissheit der Seligkeit durch, Christus sehen sie in der Kirche. Da aber die Seligkeit von Christus gegeben ist, so kann die Gewissheit derselben auch nur durch Christus fortgepflanzt werden, und sie müssen mithin von dem Begriffe einer Gemeinschaft, welche allezeit etwas Subjektives und erst Folge der von Christus gegebenen Pflanzung und von Ihm gewollten Fortpflanzung der Seligkeitsgewissheit ist, zu dem Begriffe einer Anstalt, als des die Gemeinschaft erst erzeugenden Objektiven, fortschreiten. Irre ich nicht ganz, so ist die Verhandlung über die Lehre von der Kirche gegenwärtig auf dem Punkte angelangt, dass die theologische Welt dieser letzteren Tatsache inne zu werden und sich zu bemächtigen im Begriffe steht; man fängt an, zu den zwei notwendigen Seligkeitsmitteln, reine Lehre und Sakrament, ein drittes, diese beiden umschließendes (und, wenn das Apostolische Symbolum objektive Wahrheit zur Seligkeit enthält, nicht minder notwendiges): die Erhaltung der reinen Lehre und des rechten Sakramentes, hinzuzufügen, mithin Ordnungen, eine Anstalt, anzuerkennen, durch welche jene Erhaltung in vollster Zuverlässigkeit gesichert wird. Dass wir hiermit nicht aus unsern evangelischen Bekenntnissen, namentlich nicht aus der Augsburgischen Confession heraustreten, wie die Rhetoriker schreien, welche neuerdings bis zu dem freilich abgeschmackten Frevel vorgeschritten sind, die Lehre von der Kirche als einer nur unsichtbaren Kirche für eine notwendige Konsequenz der Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben auszugeben, wie die Katholiken triumphieren und Manche von uns vorschnell einzugestehen bereit gewesen sind, sondern eben recht mitten (S.51) in die Augsburgische Confession uns hineinstellen, würde leicht zu zeigen sein, wenn es hier am Orte wäre, darauf einzugehen. So viel aber ist allerdings richtig, dass dieser Lehrpunkt oder besser diese Tatsache der Kirche eine von den Tatsachen des christlichen Lebens ist, welche von der Christenheit noch erst zu erleben sind, also keine Gemeinschaft und kein Bekenntnis einer Gemeinschaft vorhanden ist und vorhanden sein kann, worin diese Tatsache bereits erschöpfend vorhanden und in aller Vollständigkeit deponiert wäre. Auch die katholische Kirche kann dies von sich mit Nichten behaupten, denn wäre in ihr wirklich jenes Depositum niedergelegt, so hätte sie schon das Schisma von der orientalischen Kirche überwinden müssen, und noch mehr, so hätte sie nicht durch die Reformation vermocht werden können, sich auf sich selbst zu besinnen, was doch wohl von jedem nicht ganz und gar in sich selbst verrannten Katholiken als eine Folge der Reformation wird zugegeben werden. Und mehr als dies Zugeständnis verlangen wir vor der Hand nicht. Genug, wir sollen jetzt etwas erleben, etwas erfahren, was bis dahin noch nicht erlebt und erfahren ist, das ist die unverkennbare Signatur der Zeit in Beziehung auf die Gemeinschaft der Christenheit, zunächst der evangelischen Kirche; es ringt sich eine neue Geburt aus dem Mutterschoße der Christenheit aus Kraft der ewigen Erbarmung los, und, wie das nicht anders möglich ist, mit heftigen Schmerzen ringt sie sich los für diejenigen, in welchen das ewige Erbarmen Gestalt gewonnen hat; eben so, wie die Tatsache der wahren Gottheit des Sohnes und der wahren Gottheit des heiligen Geistes, der wahren Menschheit des Sohnes Gottes und der Aneignung des von Ihm gespendeten Heiles unter den heftigsten Schmerzen der zeitlichen Christenheit, und wie die Kreuzigung und Auferstehung des Herrn, als die Tatsache, aus welcher alle andern als aus ihrer gemeinschaftlichen Quelle fließen, mit den heftigsten Schmerzen der heiligen Apostel (Ev. Joh. 16,21.22) in die Wirklichkeit dieser Welt, in die Erfahrung hinaus getreten ist. Dieser mit Schmerzen verbundenen Erfahrung aber ist die Theologie der Rhetorik ihrer Natur nach von Grund aus abgeneigt; sie fühlt es durch, dass es hier nicht mehr gelte, Worte machen, sondern seine ganze Person einsetzen, dass es hier nicht mehr gelte, mit Büchern, sondern mit dem Leben sich verständigen; nicht, be- (S.52) haglich dozieren, sondern sich von dem Geiste Gottes, welcher wie ein Sturmwind durch die Welt wehet, anwehen, erfüllen, lehren und in die Schule führen lassen. Die mundfertigsten Rhetoriker bezeichnen mit einer Unverschämtheit, welche nur von ihrem Unverstande übertroffen wird, die Erörterung der Lehre von der Kirche, wie dieselbe jetzt heraustritt, als „Friedensstörung“, womit sie allerdings Recht haben, denn ihr Friede, dieser faule Mönchsfriede, soll allerdings gestört werden. Andere, nicht minder mundfertig aber weniger friedfertig, schreien überlaut von „katholisierenden Tendenzen“, welche in diesen Fragen von der Kirche und um die Kirche verborgen oder zu Tage liegen sollen. Diese letzteren, Pöbelredner von Natur, wenden sich mit ihrem Geschrei an den Pöbel; die Tiefe der Fragen zu ermessen unfähig aber auch gar nicht Willens, heißen sie dieselben nur willkommen, weil sie ihnen Anlass geben, ihrer Lust zu zanken, zu schreien, zu verleumden und zu lügen, den Zügel mit voller Herzenslust schießen zu lassen. Es ist das auch eine Rhetorik, wenn auch nur eine Rhetorik der theologischen Sansculotten und Jakobiner, eine Rhetorik der Gasse und der Fischbude. Wieder Andere würden „die wissenschaftliche Diskussion“ nicht scheuen, wenn man nur diese Diskussion den Berufenen, d. h. den Männern des Katheders und der Bücherwelt allein überlassen wollte; für sie ist das der Anstoß, dass so viele „Unberufene“, d. h. die Pfarrer, sich so lebhaft bei dieser Angelegenheit beteiligen, dass diese „Unberufenen“ Konferenzen halten, eine über die andere, und damit „die ruhige Entwicklung der Wissenschaft“ auf plumpe Art überflügeln, den „stillen Gang der Forschung“ zu beunruhigen und ungebührlich beschleunigen zu wollen sich erdreisten. Die Guten begreifen nicht, dass diese Dinge an sich dem Katheder nur in zweiter oder gar dritter Instanz zugehören, von der „Wissenschaft“ gar nicht erfasst, geschweige denn erledigt werden können, und dass es somit diesmal an ihnen ist, die Rolle der Unberufenen zu spielen. Die Guten können sich nicht vorstellen, dass die Behandlung jener Fragen anders vor sich gehen könne, als wenn nicht zuvor einige Dutzend Bücher, und zwar vor allem die von ihnen geschriebenen, gelesen worden; und doch kann eben in den letzteren nichts hierher Gehöriges stehen, wenn ja in Büchern überhaupt etwas darüber zu finden wäre, weil den Rhetorikern (S.53) unter allen Gaben keine weniger zu Teil geworden ist, als die der Prophetie. Noch Andere endlich, die Kindlichsten unter Allen, meinen diesen Fragen durch die „Union“ aus dem Wege gehen oder wohl gar, dieselben durch das gedachte Machwerk erledigen zu können. Dass das „Gemeinsame“ zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche in diese Fragen gar nicht einschlage, dass vielmehr die Erörterung dieser Fragen genau an dem Punkte beginne, wo die Gemeinsamkeit zwischen den Lutheranern und Reformierten aufhört, sehen diese kindlichen Gemüter nicht ein, denn sie haben nur ihre Freude an dem Wort „Union“ und an dessen rhetorischer Ausschmückung – alles andere ist ihnen gleichgültig, ist für sie nicht vorhanden. Damit soll übrigens nicht gesagt sein, dass es unter den Unionisten nicht Manche, wohl gar Viele, gebe, welche weiter sehen als diese Kindlichen: sie begreifen, dass die Union ein untrügliches Mittel sei, alle Bestimmtheit des christlichen Glaubens und Lebens aufzulösen, mithin die Kirche in eine Redeanstalt und Disputiergesellschaft, jedenfalls in ein theologisches Auditorium zu verwandeln, wohin ihr ganzes Streben gerichtet ist; eine Kirche mit feststehendem, unerschütterlichem Bekenntnis, mit einem kräftigen, seelenzwingenden Glaubensinhalt, mit nachdrücklichen Ansprüchen an das wirkliche Leben, ist Gegenstand ihres Widerwillens, für Viele unter ihnen geradezu Gegenstand ihres Hasses. Gerade die Frage übrigens, welche in den neueren Erörterungen über die Kirche bereits in den Vordergrund zu treten beginnt, nach der Universalität der Kirche, und von welcher den Worten nach die Unionisten gleichfalls ausgehen, ist ihnen in der Sache ganz besonders widerlich, ja genau genommen völlig unfassbar; man uniert in Nassau und Hanau, in der Pfalz, in Baden und Preußen, in Anhalt und Waldeck, und bringt es nicht weiter, will es auch nicht weiter bringen, als zu Separatkirchlein mit wenig Bekenntnis aber mit viel Disput, mit wenig geistlichem Leben aber mit viel weltlichem Regieren, mit wenig Kraft aber mit viel Phrasen. Dass die Union eine universelle Kirche nicht nur nicht herstellen, sondern unmöglich auch nur anbahnen könne, beweist dem, welcher an Tatsachen zu lernen sich gewöhnt hat, schon der Umstand, dass die Unionen sich in gleicher Weise ausschließend und abstoßend gegen Lutheraner wie gegen wirklich Reformierte verhalten, also die Spaltung der (S.54) Kirche nur um ein Glied vermehren; aber versuche es doch einer, nur die Schweizer, geschweige denn die Holländer, oder vollends gar die schottischen Independenten für die Union zu gewinnen! Doch, das will man wohl auch eigentlich nicht, sondern gerade das Gegenteil: das Kirchenbewusstsein abschwächen, wo tunlich nullifizieren, die Gesamtkirche, wo noch Spuren derselben vorhanden sind, sprengen, die künftige Bildung einer wahren Gesamtkirche als eines Institutes Christi des Herrn durch Aufrichtung zahlreicher Kirchlein menschlicher Willkür verhindern, das will die Union, das wollen die Rhetoriker. Sage man doch nicht: „die Rhetoriker wollen das alles eigentlich nicht, sie sehen nur nicht ein, dass es die notwendige Folge ihres Redens ist“. Es gehört mehr Kurzsichtigkeit und geistige Stumpfheit als ich den Mitgliedern der preußischen Generalsynode von 1846 zuschreiben darf, dazu, nicht zu begreifen, dass mit dem damals versuchten neuen Generalbekenntnis und mit der General-Ordinationsformel jener Synode dieselbe sich ganz und gar auf den Boden der Deutschkatholiken stellte, welche die Erfahrungen der Kirche aus deren Geschichte auszulöschen und den Wachstum an Erfahrungen als unmöglich zu leugnen unternahmen. Und haben wir nicht noch in neuester Zeit eine der bezeichnendsten Phrasen der theologischen Rhetorik gehört, dahin lautend „es gelte jetzt, den Lutheranern die Augsburgische Confession aus den Händen zu winden“? Und nun gar – damit doch ein Name genannt werde – nun gar Bunsen, Bunsen, der Rhetoriker par excellance? Er hat doch deutlich genug gesagt, dass die Auflösung der Kirche Ziel seiner unionistischen Reden sei. Es ist nur gut, dass Bunsen eben ein Rhetoriker und nichts weiter ist; zwar liebäugelt er reichlich mit der Dialektik und sogar mit dem Quadrivium, doch wird er dahin nicht vorrücken, weil es ihm dazu an aller Befähigung zu mangeln scheint. Er wird bleiben was er ist: Primus in Rhetorica. Aus dem Bisherigen schon ergibt sich, dass die Rhetoriker nicht nur ein Mehr an Erfahrungen von der Kirche, als bis dahin vorhanden ist, anzuerkennen und anzunehmen nicht geneigt sind, sondern dass sie auch die Kirche wie sie jetzt beschaffen und in ziemlichem Umfange zu neuem Leben erwacht ist, mit ungünstigem, ja feindseligem Auge betrachten. ja teilweise mit bitterem Hasse verfolgen. Es wird jetzt mit Entschiedenheit und Energie geltend gemacht, dass (S.55) in der Kirche Tatsachen vorhanden sind und sich vollziehen, welche jeder Auflösung und Umkleidung in Worte unbedingten Widerstand entgegensetzen. Das aber ist es, was die Theologie der Rhetorik unter allen Umständen unerträglich findet. Dass der heilige Geist in der Kirche wesentlich vorhanden ist, durch Wort und Sakrament nicht allein wirkt, sondern durch Wort und Sakrament gegeben wird – schon dieser Satz, welcher sich in der Kirche von selbst verstehen sollte, bleibt von der rhetorischen Theologie nicht unangefochten, und wenn sie denselben auch bekennt, so glaubt sie doch nicht daran. Die Nachgiebigeren unter den Rhetorikern geben zu, dass der heilige Geist durch Wort und Sakrament wirke, leugnen aber, dass er durch Wort und Sakrament gegeben werde; die Nachgiebigsten bekennen auch dieses Letztere, glauben aber so wenig daran, wie jene daran glauben, dass der heilige Geist durch Wort und Sakrament wirke; für Beide ist der heilige Geist nur eine Formel, um gewisse Erscheinungen im menschlichen Gemüte, eigentlich nur Stimmungen der Seele, zu bezeichnen. Zu der Anerkennung des Daseins eines wirklichen Wesens, einer Person, von welcher die Kräfte des ewigen Lebens ausströmen, welche, Selbst Geist, den ihr verwandten menschlichen Geist erst zu seinem wahren Leben als Geist erweckt, durch welche allein wir es vermögen, kräftig und erhörlich zu beten, welche, Urheberin dieses unseres Gebetes, auch auf unser Gebet hin kommt, wann und wohin sie gerufen wird, welche die Gemeinschaft der Heiligen bewirkt, und zugleich die sichtbare Kirche mit ihrer pädagogischen Aufgabe in Tätigkeit und Wirksamkeit erhält – das alles sind Dinge, denen die rhetorische Theologie objektive Wirklichkeit nicht zugestehet; es sind ihr das alles ein für allemal Redensarten, mehr oder minder passende Formeln. Dass wir Andern nicht allein an einen heiligen Geist glauben – etwa wie an einen Fernen, Jenseitigen – sondern von dem heiligen Geist wissen, als einem Nahen, Diesseitigen, Gegenwärtigen, und ihn kennen als den persönlichen Tröster und Lebendigmacher – das halten die Rhetoriker für Täuschungen, wenigstens für Selbsttäuschungen, für Einbildungen und Extravaganzen. Die Rhetoriker bekennen vielleicht den heiligen Geist als eine Person, halten sich aber mit diesem Bekenntnis auf das Vor- (S.56) sichtigste stets in dem Gebiete der Abstraktion, wozu ihnen die in der Philosophie und Theologie während der letzten Jahrzehnte statt gefundenen Verarbeitung des freilich an sich abstrakten Begriffes „Person“ die willkommenste Veranlassung darbietet; der heil. Geist ist ihnen jedenfalls eine fremde Person. Aber „Person“ ist ihnen eigentlich nur eine Phrase, hinter welche sie sich verstecken; in der Wirklichkeit ist ihnen der h. Geist nur eine Stimmung, ein Gefühl, eine „Regung in geschaffenen Kreaturen“. Dass der heilige Geist die Kirche erfülle, die Kirche erst zur Kirche mache, und zwar nur dadurch erfülle und zur Kirche mache, dass und weil er ein Lebendiger und Lebendigmachender, ein Schöpfer und Herr ist, das gestehen sie nicht einmal gern den Worten nach zu; dass ohne diese lebendige Gegenwart des Geistes vom Vater und vom Sohne und ohne Sein unabgebrochenes Fortwirken die Kirche notwendig zu einem menschlichen Vereine mit irgend beliebigen Statuten herabsinken müsse – dieser Gedanke, welcher uns ein Gräuel ist, erscheint ihnen nicht sonderlich abschreckend, vielleicht gar annehmlich, vorausgesetzt, dass man sie, die Rhetoriker auf dem Katheder, die besagten Statuten machen und nach Belieben verändern lasse, dass die „Wissenschaft“ als das „die Kirche Belebende“ angesehen werde und gelte – wie wir denn diese letzte Formel unzählige Mal, und zwar im Chorus haben aussprechen hören, auch von Solchen, von welchen Besseres erwartet werden musste. Dagegen ist es den Rhetorikern ein Gräuel, dass der heilige Geist noch heute in der Kirche in aller Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit mitgeteilt und empfangen wird. Dass ehedem, in alten Zeiten, in jenem aevo incultiore Wegscheiders, der h. Geist mitgeteilt und empfangen worden sei, das lassen sie sich, als ein historisches d. h. abgetanes Factum, wiewohl mit einigen Achselzucken, gefallen; eigentlich aber verweisen sie auch dieses angeblich historische Factum in ein X von Zuständen, „in das noch ungeordnete, noch nicht abgeklärte Leben der Urkirche“, und wenn die Herrn aufrichtig sein wollten, oder vielmehr als Rhetoriker sein könnten, so würden sie bekennen müssen, es stehe ihnen die Mitteilung des h. Geistes, zumal die durch Handauflegung bewirkte „in illo tempore, da die Tiere schwätzten“ wie unsere Alten sagten. (S.57) Nun aber hat unsere Kirche noch eine Mitteilung des heil. Geistes durch Gebet und Handauflegung, und das ist für die Rhetoriker wenn nicht der Hauptgräuel, doch unter den vielen Hauptgräueln einer der ärgsten Hauptgräuel, der ihnen aus der Theologie der Tatsachen, der ihnen aus der Kirche „der Restauration und Reaktion“ entgegenstarrt. Reden doch Manche von diesen Dingen als von einer „Versteinerung der Kirche“, so dass man annehmen muss, es sei für sie die „Repristination“ dieser Dinge in ganz eigentlichem Sinne ein Gorgonenhaupt. Glücklicher Weise aber ist es keine Repristination, wenigstens nicht in allen Kirchen, dass der h. Geist durch Gebet und Handauflegung mitgeteilt wird, sondern eine aus der Apostelzeit in unabgebrochenem Fortgang bis auf diesen Tag bewahrte und allezeit sich von Neuem vollziehende Tatsache. Zu diesen glücklichen Landeskirchen ist denn auch die Kirche in Hessen zu rechnen. Ihre Kirchenordnungen (die von 1539, von 1566, von 1573 und von 1657, letztere für die s. g. reformierte niederhessische Kirche gültig) enthalten Vorschriften über die durch Gebet und Handauflegung zu verrichtende Konfirmation, und verordnen für den Act der Handauflegung die Formel: „Nimm hin den heiligen Geist, Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hülfe zu allen Guten, von der gnädigen Hand Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes“. Und mit dieser Formel ist die Konfirmation mittelst Handauflegung wenigstens seit dem Jahre 1539 vollzogen worden und wird noch heute so vollzogen. Nun fragt es sich: ist diese Formel „Nimm hin den heiligen Geist“ eine Phrase? oder ist dieselbe die Bezeichnung einer in dem Moment wo sie gesprochen wird eintretenden Tatsache? – Die Rhetoriker sind keinen Augenblick in Verlegenheit: es ist eine „Ausdrucksweise“, sagen sie, eine Formel, und weiter nichts, ein „Anwünschen“ irgend welcher guter Vorsätze, Gesinnungen, Stimmungen, und die Handauflegung ist nichts anderes als eine Zeremonie, eine gewissermaßen unwillkürliche Handbewegung, eine Art von rhetorischem Gestus, mit welchem ich das Subjekt, welchem ich mein X anwünsche, nur demonstriere. Mit einem Worte: der konfirmierende, handauflegende und den heiligen Geist mitteilende Pastor ist – ein Rhetor. Sie gestehen ja zu, dass die Pfarrer, welche (S.58) solche Vorschriften, wie die eben genannten, in ihren Kirchenordnungen (und, wie in Hessen, im wirklichen Kirchengebrauche) vorfinden, eine „äußerliche Berechtigung“ besitzen; sich dieser Formel zu bedienen und diesen Act zu vollziehen, aber wohlgemerkt, nur eine Berechtigung, und zwar eine äußerliche – mögen sie doch immer jener leeren Redensart sich bedienen, jene öde Zeremonie vollziehen! von einer innerlichen, sachlichen Berechtigung, von einem Mandat, den h. Geist wirklich empfangen zu lassen, von einer Verpflichtung, den h. Geist den Getauften mitzuteilen, dürfen sie jedoch nicht reden. Dies ist nun wiederum uns ein Gräuel, und, die wir nicht allein unsere alten Kirchenordnungen achten und ehren, und der Überzeugung leben, dass sie uns überall in das wirkliche kirchliche Leben einführen, niemals und nirgends aber zu nichtigen Zeremonien und machtlosen Wünschen, niemals und nirgends zu hohlen Formeln und bedeutungslosen Redensarten anweisen; es ist uns das ein Gräuel, nicht allein um der Vorschriften unserer Kirchenordnungen willen, auch nicht darum allein, weil diese Kirchenordnungen sich mit eben diesen Vorschriften auf die „prophetische und apostolische Kirche“ (wie eben die hessische K.-O. von 1566) berufen, sondern weil wir die Mitteilung des h. Geistes durch die „Handauflegung aus der Schrift kennen, und es für gottlos halten, in der Schrift irgendwo bloße Redensarten und Zeremonien finden zu wollen, weil wir die Mitteilung des h. Geistes als aus dem Leben des Herrn im Fleische und aus dem Leben der Apostel direkt auf uns fortgeerbt wissen, und endlich weil wir wissen und erfahren haben, dass wir, wir selbst, in der Konfirmation, wir Geistliche noch dazu in der Ordination, den h. Geist wirklich empfangen, dass wir den h. Geist, wenn wir ihn nach Ordnung der Kirche mitzuteilen haben, wirklich mitgeteilt haben. Da bleibt den Rhetorikern nur Zweierlei übrig. Entweder sie sagen uns: „Das ist alles Selbsttäuschung, mit der ihr euch verfabelt, bis ihr ganz und gar vom Verstande kommt“, und so reden die Gemäßigteren unter den Rhetorikern, welche indes nur darum die Gemäßigteren sind, weil sie ganz einfach und treuherzig ihre leeren Worte für das einzige halten, was in der Welt vorhanden sei. Oder sie sagen: “ihr seid Heuchler und Betrüger, und geht auf Knechtung der Menschen durch Hierarchie (welche allezeit (S.59) nur Betrug und Despotismus gewesen ist) aus, und das, was ihr da vorbringt, ist nichts als ein hierarchisches Kunststück“. Die Ersteren meinen in ihrer Einfältigkeit, „von jener Wirklichkeit sage ihnen ja die Wissenschaft nichts,“ und das ist richtig, denn die Wissenschaft wie sie jetzt ist, oder vielmehr das, was man jetzt Wissenschaft nennt, weiß in der Tat von der Wirklichkeit des kirchlichen Lebens wenig, von der Wirklichkeit, von welcher hier die Rede ist, gar nichts. Bei vielen von diesen guten Leuten ist es schon so weit gekommen, dass sie das Leben zwischen Büchern und auf dem Katheder für das rechte Leben, das s. g. wirkliche Leben für das Scheinleben halten, was man denn freilich nicht für bloß einfältig erklären kann. Die Andern sind weniger kurzsichtig und beschränkt: sie ahnen, dass etwas mehr als Selbsttäuschung und Selbstverfabelung hinter diesen Dingen stecke, und dass auf unserer Seite nichts weniger als Unverstand das Regiment führe. Aber sie besitzen dafür eine andere liebenswürdige Eigenschaft, welche sie mit einer auf dem politischen und sozialen Gebiete sehr weit verbreiteten Richtung, mit dem sogenannten Liberalismus unmittelbar gemein haben. Die Leute dieser Richtung, völlig unfähig zu produzieren, vermögen auf durchaus keinem andern Wege tätig zu sein, als auf dem des künstlichen Machens, der Erreichung von Parteizwecken durch Parteimittel, der Cliquen, der Intrigen. Weil sie nun selbst zeugungsunfähig sind, haben sie auch keinen Begriff von Zeugungsfähigkeit – höchstens eine dunkle, ihren bitteren Neid und tiefsten Ärger aufregende Ahnung davon – und meinen also, alles was Andere, und eben die aus dem Brunnen des wirklichen, ewigen göttlichen Lebens Hervorsteigenden, tun und wirken, sei eben auch nichts anderes, als Tendenzwirken, Parteitreiben, künstliches Machen, Intrige und Hinterlist. Das trifft nun eben auch auf die klügere (spitzigere, feinere) Klasse der Rhetoriker direkt zu, und wir unserer Seits finden es übrigens ganz begreiflich, dass sie die Sachen so ansehen. Sie sind eben nicht anders, wie können sie anders denken als sie sind? Sie haben sich selbst in die Klasse der Produktionsunfähigen gestellt, wie sollten sie im Stande sein oder nur Verlangen tragen, außerhalb des Kreises ihr Anschauungen sich bewegen zu lassen? (S.60) Es ist allerdings nicht tief genug zu beklagen, dass in so vielen evangelischen Territorien die tote Orthodoxie, der Pietismus und der Unglaube stark genug gewesen sind, die Realität der Mitteilung des h. Geistes samt der Handauflegung in Vergessenheit zu bringen, so dass jetzt die Konfirmation in nur allzu ausgedehnten kirchlichen Kreisen nichts weiter ist, als eine „väterliche Ermahnung“ d. h. eine Rede des Pastors an die Kinder welche um den Altar stehen, wobei denn oft noch die Austeilung von Konfirmandenzeugnissen und Denksprüchen eine sentimentale Rolle spielt; nicht tief genug ist es zu beklagen, dass sogar die Ordination in manchen Landeskirchen ganz fallen gelassen (und zum Teil erst in neuester Zeit wieder zur Hand genommen) worden ist. Wenn aus solchen der subjektiven Verweltlichung anheim gefallenen Kreisen ein Laut des Staunens über unsern Glauben an die wirkliche Mitteilung des h. Geistes durch Handauflegung vernommen wird, so kann uns das zunächst nicht wundern, was aber verlangt werden kann, ist das, dass solche Kreise der Verweltlichung und des beginnenden Heidentums uns nicht zumuten, ihre Pfade zu wandeln, dass sie uns nicht an ihrem krummen Maßstabe messen. Wir haben keinen Beruf, ihnen unser kirchliches Leben als Maßstab für ihre armselige Verkommenheit aufzudrängen – mögen sie doch im Heidentum versumpfen, wenn sie es nicht besser haben wollen und auf unser Zeugnis nicht hören mögen – aber wenn sie uns ihre Jämmerlichkeiten als Norm der Kirche aufjochen wollen, so sollen sie an uns, zwar nicht ihren Mann, denn des wollen wir uns nicht rühmen, aber sie sollen an und bei uns gewiss und wahrhaftig unsern Gott finden. Dass die Handauflegung ein Sakrament nicht sei d. h. der h. Taufe und dem h. Abendmahl nicht gleich stehe, wissen wir recht wohl mit samt der ganzen evangelischen Kirche (und selbst die katholische Kirche bindet ja die Seligkeit nicht an die Firmung), aber dass die Handauflegung nicht zum kirchlichen Leben gehöre, davon könnte uns nur Der überzeugen, welcher uns beweisen könnte, dass wir nicht etwa nur das ganze kirchliche Leben seit achtzehn Jahrhunderten, sondern die heilige Schrift alten und neuen Testamentes selbst durchaus und ohne Weiteres verwerfen müssten. (S.61) Mich wenigstens wird niemand überreden, dass die Handauflegung des alten Testamentes 2 B. Mosis 29.3 B. M. 8, und besonders die 3 B. Mosis 16,21 angeordnete, eine leere Zeremonie gewesen sei. Es sollten durch die Handauflegung Aarons auf das Haupt des dem Asasel zuzuweisenden Bockes alle Sünden auf das Haupt dieses Tieres bekannt, auf dieses Haupt gelegt werden, also dass der Bock alle Missetat mit oder auf sich in die Wildnis trage. Obwohl dies nur ein Schatten der zukünftigen Güter ist, so legte doch der Hohepriester auf des Bockes Haupt nicht leere Worte und Formeln, also dass das Volk Israel sich nur hätte einbilden müssen, seine Sünden wären hinweggenommen. Der Hohepriester legte auf jenes Haupt die wirklichen Sünden des Volkes, in aller Realität, und es ist in dieser dem Hohenpriester befohlenen Handlung die ihm zugewiesene Macht, die Sünde nebst dem Fluch nach dem Sühnopfer auf ein Opfertier anderer Art zu übertragen, zweifellos anzuerkennen. Ich glaube auch an das alte Testament, im Ganzen und Einzelnen, und mache damit den vollsten Ernst. Eben so ist im neuen Testament die Handauflegung eine Machtverleihung welche der Herr den Aposteln gewährt (Marc. 16,18) und wird als solche von den Aposteln ausgeübt; sie ist eine Machtausübung, mittels derselben (dia tes epithiseos ton cheiron Apgsch. 8, 17-19) der heilige Geist mit seinen Charismen ausgeteilt wurde, nachdem der Herr Selbst den Fluch der Sünde auf Sich genommen hatte. Vgl. Apostelgesch. 9,12.17. 19, 6. Die Handauflegung zur Mitteilung des heiligen Geistes gehört nach Hebr. 6,2 zu den Anfängen der christlichen Lehre (ho tes arches tou christou logos), zu den Grundlagen (themeliois) derselben, und so wurde sie denn auch, da der Herr diese Machtverleihung gewährt hatte, von den Aposteln fortgepflanzt 1 Tim. 4,14. 2 Tim. 1,6. 1 Tim. 5,22. Apgesch. 9,12.17. 13,3 u. a. St. Wenn das Phrasen sind, und nicht der wirkliche heilige Geist mitgeteilt, sondern nur irgend etwas „Gutes“ den mit der Handauflegung Versehenen zugedacht und zugewinkt wurde, dann ist das ganze neue Testament eine einzige lange Redensart, ein Buch voll Täuschungen und Gaukeleien. (S.62) Und wenn diese Gabe, durch die Handauflegung den h. Geist mitzuteilen, sich nicht fortgepflanzt hat, wenn sie sich nicht weiter erstreckt hat als auf diejenigen, welchen Timotheus die Hände aufgelegt hatte und mit denselben unwiderherstellbar ausstarb – dann ist die ganze Berufung der Kirche auf das neue Testament nichts als eine Posse. Denn wer gibt mir ein Recht, die Lehre des N. T. fortzupflanzen, die Gaben aber von dieser Fortpflanzung auszuschließen, während Beide im N. T. in ganz gleicher Reihe aufgeführt werden? Nein, wir schließen sie nicht aus, diese Gaben; wir besitzen diese Machtübung noch jetzt in unserer Kirche, und wollen und werden sie gegen Welt und Teufel behaupten. Wir wissen aber, dass es eben eine Machtübung ist, und werden sie deshalb, der Warnung des Apostels eingedenk (1 Tim. 5,22), vorsichtig gebrauchen; wir wissen auch, dass, weil diese Gabe eine Machtausübung ist, der heilige Geist nicht etwa durch sie allein komme. Wir wissen übrigens auch, und die armselige Rhetorik braucht uns daran nicht zu erinnern, dass der heilige Geist nicht etwas Stoffartiges sei, welches uns etwa wie ein elektrisches Fluidum durch die Finger fährt; wer mit solchen Albernheiten uns anzugreifen meint, ist nicht besser, als der klägliche Geselle, welcher gegen die Mitteilung des wahren Leibes Christi im Sakrament des Altars den kindischen Trumpf ausspielt: „es solle doch das Sakrament nicht zur Bauchspeise dienen!“ Solche Leute gehören auf die Schulbank, aber nicht in das Lehramt. Endlich aber wissen wir auch, dass wir, um jene Machtausübung zu vollziehen, den heiligen Geist selbst besitzen müssen. Wir sind in diesem Falle keine Sakramentsspender, von deren Würdigkeit oder Unwürdigkeit die Wirksamkeit unserer Handlung nicht abhängt; der heilige Geist ist diesmal nicht, wie in der h. Taufe, an das Element und an das Wort (der Einsetzung) hingegeben, oder, wenn man so will, gebunden, sondern mit unserm Geist verbunden, und geht durch die Organe des Geistes, die Seele und den Leib, über auf den Geist des Andern. Es ist diesmal unser Ich in der — allerpersönlichsten Weise bei der Mitteilung des h. Geistes durch die Handauflegung beteiligt, und es mag also der Lehrstand, es mag jedes einzelne Glied des Lehrstandes, wohl zusehen was er (S.63) tut, wenn er die Handauflegung vornimmt. Wir wollen das Schreckliche nur andeuten, was hier im Hintergrunde drohen kann, das Schreckliche, was wir kaum auszusprechen wagen, aber hier aussprechen müssen, weil es gilt, dem Lehrstand seine volle Macht, aber auch die korrespondierende volle Verantwortung vorzulegen: wer leichtfertig die Hände auflegt, und leichtfertig, ohne stetes inneres Flehen, die Worte spricht: „Nimm hin den heiligen Geist“, der ist auf dem geraden Wege zur Sünde wider den heiligen Geist. Wir wollen nur andeuten; die einzelnen Stationen dieses Weges des Entsetzens möge ein Jeder, dem es ein Ernst ist um sein Amt, selbst finden und sich vorhalten. Daraus folgt nun weiter, dass wir denen, welchen wir den h. Geist durch Handauflegung mitteilen wollen, den h. Geist nicht wie durch das Sakrament der Taufe den neugeborenen Kindern überantworten können, – welche letztere den h. Geist empfangen, wiewohl sie in dem Augenblick ein Bewusstsein von Gottes Gnadengabe nach menschlicher Weise nicht haben, so wenig wie die Kinder, welche der Herr gesegnet hat – sondern dass wir ihnen vorher die Richtung des Willens mitteilen müssen, den heiligen Geist zu empfangen, d. h. dass wir ihre Organe, ihre Seelen und damit ihren Geist, zu öffnen haben, damit sie nach dem h. Geist verlangen, und Ihn aufnehmen können. Dazu soll nun vor allem diejenige Unterweisung dienen, welche wir wenig passend den Konfirmandenunterrichte nennen, wie denn, diesem unangemessenen Ausdruck gemäß, diese Unterweisung leider fast überall den Charakter einer ganz untergeordneten Schulmäßigkeit angenommen hat. Die Kenntnisse als solche müssen im Konfirmandenunterricht aus der Elementarschule vorausgesetzt werden, und es ist in diesem Punkte dem christlichen Lehramt nur rücksichtslose Strenge dringend anzuempfehlen; im Konfirmandenunterricht sollen diese Kenntnisse lebendig gemacht, es soll die Sehnsucht der Kinder, sich den Herrn Christus im Sakrament, sich den heiligen Geist mitteilen zu lassen, es soll ihr freudiger Wille erweckt werden, sich in den Gehorsam der Kirche zu begeben. Das kann allerdings nicht erreicht werden – soll auch nicht angestrebt werden – dem Herrn Christus in allen Konfirmandenkindern sofort eine Gestalt zu geben; aber an der Person und Lehre ihres Hirten sollen sie sehen, dass Christus (S.64) wirklich eine Gestalt hat, dass Er gegenwärtig ist; Er soll den Kindern gezeigt, nicht soll von Ihm viel gelehrt werden, was die Kinder noch nicht wüssten. Kurz gesagt, die Aufgabe des Hirten im Konfirmandenunterricht ist nicht die, Bekehrte aus demselben hervorgehen zu lassen, denn dazu gehören zwei oder drei Vorstufen, welche in dem Lebensalter in welchem die Konfirmandenkinder stehen, noch nicht überschritten sein können; wohl aber ist es die Aufgabe, aus den Berufenen Erweckte und Erleuchtete zu machen. Das ist freilich auch ein Kapitel, welches wie kaum ein anderes, der Rhetorik anheim gefallen ist, das Kapitel von dem Unterschied der Berufung, Erweckung, Erleuchtung und Bekehrung; wie oft hat man nicht bloß Erweckte für bekehrt, Bekehrte bloß für erweckt gehalten! wie verwirrt rhetorisch ist hier sogar bei den Besten selbst der Sprachgebrauch! Gar viele unter ihnen scheinen kaum zu wissen, was Erleuchtung ist, geschweige dass sie dieselbe von der Berufung und Entwicklung zu unterscheiden wüssten. Haben wir doch erleben müssen, dass die Sinnesänderung, welche in Heinrich Heine vorgegangen war, nicht etwa nur in dem allgemeinen Sinne, in welchem Bekehrung alttestamentlich wohl gebraucht wird, sondern im eigentlichen Sinne eine Bekehrung genannt worden ist, während dieselbe durchaus nichts anders war, als der Stand der wirksam gewordenen Berufung. Hier hat vor allem das akademische Lehramt, wenn es nicht in schmählichster Weise der Rhetorik dienen will, sehr ernste Pflichten zu erfüllen: diese Stadien müssen in genauester Kennzeichnung, nicht in Abstraktionen sondern in Lebensgestalten, den Jüngern der Theologie wieder gezeigt, die leeren Formeln müssen wieder ausgefüllt werden mit dem Stoffe des Heilslebens. Geschieht das nicht, so behaupte ich: es kann kein junger Theolog für den es nicht geschehen ist, auch nur den s. g. Konfirmandenunterricht erteilen, geschweige denn eine Gemeinde regieren. Dass nun die rhetorische Theologie von der Handauflegung gar nichts, von der Mitteilung des h. Geistes wenig, d. h. nur die Reminiszenz an längst abgetane Ereignisse, weiß und besitzt, könnte man ihr, die in der ärgsten Öde des kirchlichen Lebens aufgewachsen ist, noch allenfalls einstweilen nachsehen. Was aber bei Weitem schlimmer ist, ist das, dass sie nicht einmal vom (S.65) Gebete etwas Rechtes weiß, zumal aber nichts von dem Gebete, welches in der Gemeinde die erste Stelle einnimmt: von dem Gebete um den heiligen Geist. Schon das Bitten um den h. Geist ist der Rhetorik etwas Unbehagliches; weit unbehaglicher das Bitten um den heiligen Geist für einen Andern; unerträglich aber das wirksame Gebet um den h. Geist für einen Andern. Und doch ist dieses Letztere eine unerlässliche Forderung, welche an die Kirche und vor Allem an das Lehramt gestellt wird, eine Forderung, welche übrigens mit der so eben besprochenen Handauflegung unmittelbar verbunden ist. Freilich noch in vielen andern Fällen, aber besonders bei der durch Handauflegung vollzogenen Konfirmation handelt es sich um ein für die Kinder wirksames Gebet um den h. Geist, nicht um ein Gebet überhaupt, also nicht um ein möglicherweise auch unwirksames möglicherweise auch zweifelndes, möglicherweise auch in leeren Worten bestehendes, mithin unerhörliches und vergebliches Gebet, vielmehr um ein Gebet durch welches, eben weil es wirksam ist, der heilige Geist dem Kinde verliehen wird. Konfirmator und Gemeinde sollen wirksam für die Kinder um den heiligen Geist beten, und darum sollen sie, soll vor allem der Konfirmator, selbst des heiligen Geistes voll sein, welcher allein der Geist des Gebetes ist, welcher allein das Gebet in uns wirkt und kräftig macht, welcher durch dasselbe sich selbst mitteilt und seine Gaben ohne Verzug, unverkürzt und in aller Mächtigkeit und Kräftigkeit zur Gewinnung des ewigen Lebens auf diejenigen ausgießt, für welche aus seiner Kraft heraus Fürbitte geschieht. Dieses nach den Vorschriften fast aller Kirchenordnungen für alle zu konfirmierenden Kinder insgemein zu sprechende Gebet wird nun in feiner Wirksamkeit durch die Handauflegung jedem einzelnen Kinde besonders zugeeignet (Anm.: Diese Zueignung habe ich sonst einmal das Siegel eines für das Kind wirksamen Gebetes um den heiligen Geist genannt. Und das habe ich mit vollem Recht und Fug nach Maßgabe und nach den Worten unserer Kirchenordnung getan. Denn so sagt die Kirchenordnung von 1566 (S.152b): „Und wie du uns zugesagt hast, was wir dich im Namen deines lieben Sohnes bitten, das wöllest du uns geben, So verleihe auch jnen welchen wir itzt in deinem Namen die Hend ufflegen, und sie damit deiner gnedigen handt, und deines heiligen Geystes, des Geystes aller sterck und hilff, zu rechtem Christlichen leben vertrösten, das sie nicht zweifeln, du wöllest alwege ob jnen halten, mit deiner Göttlichen handt, sie zu schützen vor allem argen usw.“ Und die Kirchenordnungen von 1573 und 1657 (wo das Gebet, weniger richtig als 1566, erst nach der Konfirmationshandlung zu sprechen verordnet wird, während es nach der KO. von 1566 derselben vorher-gehen soll) sagen in der Gebetsvermahnung: „Geliebten im Herrn, ihr habt gehört, wie diese Kinder den waren Christlichen Glauben öffentlich bekant, darbey die zeit ihres lebens bestendiglich zu bleiben, Gott und seiner lieben Kirche und Gemeine allen schuldigen Gehorsam zu leisten sich verpflichtet haben, daraus ihnen auch mit aufflegung der Hände der Gnade und Beystandts des heiligen Geystes Vertröstung und Zusage geschehen ist“; im Gebete aber wörtlich wie 1566, nur dass, der veränderten Anordnung gemäß, es heißt:,, – in deinem Namen die Hände aufgeleget, und sie damit deiner gnädigen Hand und deines heiligen Geistes – vertröstet haben“. Diese Vertröstung und Zusage des heiligen Geistes, als welche wir die Handauflegung anzusehen durch unsere Kirchenordnung angewiesen sind, habe ich als eine gewisse, unzweifelhafte, bleibende (weil sie eine göttliche ist: „welchen wir jetzt in deinem Namen die Hend ufflegen“) ein Siegel des für die Kinder wirksamen Gebetes um den heiligen Geist genannt, und, ich wiederhole es, mit der vollsten Berechtigung und der vollsten Klarheit des Ausdruckes genannt.) (S.66) Die Rhetorik aber meint, es könne die Handauflegung auch zu einem andern, als einem wirksamen Gebete hinzutreten, es könne ein anderes, als ein wirksames Gebet einem Individuum zugeeignet werden. Und das muss sie wohl meinen, denn ihr ist die Handauflegung nichts Anderes, als die ein gewisses Zudenken und Anwünschen begleitende Handbewegung, das Gebet also eben jenes Zudenken und Anwünschen, dessen Erfolg nicht allein lediglich dahin gestellt bleibt, wie bei allem menschlichen Zudenken und Anwünschen, sondern welches eben an und für sich und durch sich selbst, weil es ein bloßes Denken und Wünschen ist, einen Erfolg, eine Wirksamkeit gar nicht hat noch haben soll. Dass die Gemeinde und der Pfarrer wirksam um den h. Geist, zumal für die zu konfirmierenden Kinder, bitten sollen, dass der Pfarrer selbst den heiligen Geist besitzen, des heiligen Geistes voll sein müsse, wenn er wirksam um den heiligen Geist für die Kinder bitten wolle, das ist der theologischen Rhetorik „ein Gewebe von höchst ungeschickten und irrigen Ausdrücken oder Vorstellungen“, ja es ist vorgekommen, dass die Erhörlichkeit eines solchen Gebetes nicht allein von Rhetorikern ex professo, sondern auch von Solchen, welche für rechtgläubig, für kirchlich gegolten haben, und denen man jedenfalls Besseres zutrauen durfte, rundweg geleugnet worden ist. Also weiß die theologische Rhetorik nicht, dass der heilige (S.67) Geist, welcher in mir ruft und fleht, durch meinen Geist und meinen Mund anbetet, bittet und fürbittet, dass dieser heilige Geist auf dies mein Flehen, Rufen und Fürbitten, welches Sein Rufen, Sein Flehen, Sein Fürbitten ist, durch die allmächtige Kraft des dreieinigen Gottes dahin geht und kommt, wohin ich ihn rufe? Dass Er zu denen kommt mit Sündenerkenntnis, mit Glauben, mit Trost, mit großer Gewissheit, für welche ich flehe und bitte? – Ja wohl, will ich den heiligen Geist jemanden mitgeteilt wissen, so muss ich selbst den heiligen Geist des Gebets, des zitternden aber getrosten, des in dem Bewusstsein meiner Unwürdigkeit schmerzlichen aber in der Gewissheit der Gottesnähe und Erhörung seligen Gebetes besitzen. Das weiß Jeder, welcher die Erhörung einer solchen Fürbitte einmal, nur einmal, erfahren hat; wer diese Erfahrung oft gemacht hat, mithin – was ihm nicht erlassen wird – gleich Jakob dem Patriarchen hat ringen müssen, der weiß das nicht nur, sondern der hat Gott von Angesicht gesehen und seine Seele ist genesen. Vermöge dieser Erfahrung wissen wir denn auch – nicht als Lehre, denn diese kennen wir längst, aber als Erlebnis – dass wir, wir arme kranke schwache Menschen den heiligen Geist nicht senden können, auch nicht zu senden nötig haben, weil Er zuvor von dem Vater und dem Sohne ausgegangen und gesendet worden ist, dass aber der heilige Geist, dieser Gesendete, dieser Wirkliche, Vorhandene, Nahe, Allgegenwärtige wirklich, Tatsächlich und persönlich komme, wann und wohin wir ihn rufen. Dieses Erlebnis, diese Erfahrung soll jeder Pfarrer nicht einmal, sondern zu ungezählten Malen, jedenfalls aber bei jeder Konfirmation machen. Davon weiß die theologische Rhetorik nichts; sie liest Buchstaben, Worte und Phrasen zusammen; beten kann sie nicht und vom Gebete weiß sie nichts. Sie kann nur zudenken und anwünschen, ungewiss, ob aus diesem Denken und Wünschen etwas wird, oder nichts, oder vielmehr gewiss, dass nichts daraus wird; diesem Denken und Wünschen hängt sie aber das Gewand des Gebetes um die magern Achseln. Weiß sie, was sie damit tut, dass sie ihr unsicheres, zweifelndes, nichtiges Denken und Wünschen in die Formen des Gebetes kleidet? Damit führt sie, nicht etwa nur in die einzelnen Seelen, sondern da es sich hier um das Gebet (S.68) der Gemeinde, um das Gebet der ganzen Kirche handelt, in die Gemeinde, in die ganze Kirche, ein zweifelndes Gebet als ein berechtigtes ein. Wie weit ist denn nun die theologische Rhetorik noch von der berüchtigten Phrase entfernt: Mon Dieu, s’il y a un Dieu, sauve mon ame, si j’ai une ame? Unter uns aber bleibt es bei dem alten Worte: Zweifelsgebet, Teufelsgebet! Übrigens kommt bei dieser Fürbitte um den heiligen Geist die Richtung des Willens dessen, für welchen um den heiligen Geist gebetet wird, abermals in Anschlag, eben so wie in dem vorher erwähnten Konfirmandenunterrichte, nur mit noch schärferem Nachdrucke. Das aber versteht die rhetorische Theologie wieder nicht, weil sie eben vom Gebete nichts versteht. Es muss indes festgehalten und in der Gemeinde zur allerbestimmtesten Erkenntnis und Geltung gebracht werden, dass der, welcher weiß dass für ihn gebetet wird, des Resultates der Fürbitte nur dann teilhaftig wird, wenn er alle seine inneren Sinne auf den Inhalt des Gebetes gerichtet hält. Nicht allein Widersprechen und Widerstreben, sondern auch Gleichgültigkeit und Schlaffheit, ja schon Leichtsinn und Unachtsamkeit schließen in solchem Falle von der Frucht der Fürbitte, den Gaben des heiligen Geistes aus, und es ist besser, dass ein der Fürbitte Bedürftiger gar nichts von der für ihn zum Himmel auf- und wieder vom Himmel zur Erde absteigenden Fürbitte wisse, als dass er davon wisse, sie sogar mit anhöre, aber die Richtung seines Willens nicht auf das für ihn gesprochene Gebet hin, und zwar nicht bestimmt und unverrückt halte. In letzterem Falle geht nicht allein die Frucht dieses Gebets verloren, sondern es wird auch schwere Sünde begangen (2 Kor. 6,1), eine noch schwerere, als wenn ich in meinem eignen Gebete mit meinen Gedanken abspringe, die Gedanken schwach werden oder fallen lasse und so weiter. Die rechte Richtung des Willens im eigenen Gebet wird, wie allen erfahrenen Seelsorgern bekannt ist, erst nach harter Arbeit und durch lange Übung erreicht; eben so bedarf auch die Richtung des Willens auf die Fürbitte einer, langen und ernstlichen Übung, und diese soll in dem s. g. Konfirmandenunterricht angestellt und erlangt werden. So wenig versteht die theologische Rhetorik von dem wirk- (S.69) lichen kirchlichen Leben, so wenig versteht sie von kirchlichen Arten und Ordnungen. Alle Tatsachen des wirklichen Lebens der Kirche werden in Worte, Formeln und Phrasen umgesetzt, und außer den Formeln und Phrasen hat die rhetorische Theologie nichts. Und mit solcher losen windigen Speise gefüttert gehen die armen Theologie Studierenden als Kandidaten des Pfarramts hinaus in – die Welt, wo es der gnädigen Führung Gottes – die wir in dieser Beziehung nur zu oft Zufall zu nennen uns versucht fühlen – überlassen bleibt, ob sie vielleicht noch etwas Besseres hören, erfahren und erleben, als ihnen vom rhetorisch-theologischen Katheder herab dargeboten worden ist, oder ob sie sich nicht in den Worten und Redensarten und in dem Widerwillen gegen die Tatsachen festsetzen für ihr ganzes Leben, oder – ob sie nicht endlich alles zusammen, wovon sie gehört, aber nichts erlebt haben, vergessen und von sich werfen. Und so gehen sie denn auch – in das Amt.


 - FORTSETZUNG -