Leonhard Hutter (1563-1616):

Inbegriff der Glaubens-Artikel (Compendium locorum theologicorum)


Dreiundzwanzigster Artikel. Von dem Ärgernis.

 

1. Was ist Ärgernis?

 

Ärgernis ist eine Rede oder Handlung, wodurch Jemand schlechter wird, entweder weil er in einem Irrtum bestärkt wird, oder weil er ein böses Beispiel nachahmt, oder auch weil er mit größerem Hass gegen das Evangelium erfüllt wird. Melanchthon in den Artt. (S. 150)

 

2. Wie viel Arten des Ärgernisses gibt es?

 

Zwei: 1) das pharisäische oder genommene: dieses ist, wenn die Ungläubigen auf die wahre Lehre des Evangeliums, oder auf ehrbare und notwendige Handlungen zornig sind, wenn sie nicht leiden wollen, dass die wahre Lehre getrieben, die Irrtümer gestraft, oder Götzendienst abgeschafft werde. Ebend. 2) das gegebene Ärgernis. Dies ist entweder falsche Lehre, oder böses Beispiel, welches Anderen Schaden bringt, weil es in ihnen entweder die Frechheit bestärkt, oder sie zur Nachahmung anreizt, oder vom Evangelium abschreckt und Gelegenheit gibt, Christum und die Kirche Gottes zu schmähen, oder weil es der Same zu mehren andern Sünden ist.

 

+ 3. Welche Regeln müssen im Bezug auf das Ärgernis beobachtet werden?

 

Vorzüglich zwei: 1) rücksichtlich des gegebenen Ärgernisses, dass es mit der höchsten Sorgfalt und Aufmerksamkeit von den Gläubigen muss vermieden werden, nach der Drohung Christi Matth. 18,7: „Wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt.“

 

+ 4. Welche ist die zweite Regel?

 

Diese bezieht sich auf das genommene Ärgernis. Dies nämlich sollen die Gläubigen nicht so hoch achten, dass sie deswegen unterlassen, was fromm, was ehrbar oder notwendig ist; sondern den Heuchlern und Feinden der Wahrheit sollen sie nicht einen Augenblick nachgeben, vielmehr tapfer und unerschrocken in der Freiheit bestehen, zu welcher sie durch Christum berufen sind, wie dies im 18. Artikel „Vom rechten Gebrauch der christlichen Freiheit“ ausführlich dargelegt ist.

 

+ 5. Kann denn das gegebene Ärgernis nicht verhütet werden?

 

Wohl kann es verhütet werden, wenn nämlich 1) die Lehre des Evangeliums rein, klar und deutlich vorgetragen wird, so dass widerstreitende Irrtümer aus Grund der heil. Schrift tüchtig und richtig widerlegt werden. 2) Wenn die in der Kirche eingeführten Gebräuche, und alle die, welche ohne Sünde beibehalten werden können, nicht leichtsinnig geändert werden. 3) Wenn ein Jeder nach Reinheit des Lebens und Wandels strebt, vorzüglich aber die Diener des Worts sich bemühen, tadellos und ein Vorbild der Gläubigen zu sein. (S. 151) 4) Wenn jeder unzeitige Gebrauch der christlichen Freiheit unterlassen wird. 5) Wenn gute Zucht und Ehrbarkeit insgemein, und bei einem jeden insonderheit erhalten wird.

 

- FORTSETZUNG -