Kapitel 13 - Vom Gehorsam eines Demüthigen nach dem Beispiel Jesu Christi.


1. Sohn! Wer sich dem Gehorsam zu entziehen sucht, der entzieht sich selbst der Gnade, und wer für sich etwas Besonderes haben will, verliert das Gemein-same. Wer nicht gern und willig seinem Vorgesetzten sich unterwirft, zeigt, daß ihm sein Fleisch noch nicht vollkommen gehorche, sondern noch oft wider-spenstig sei und murre. Lerne daher ohne Verzug, deinem Obern dich unter-werfen, wenn du dein eigen Fleisch unterjochen willst. Denn schneller wird der äußere Feind überwunden, wenn der innere Mensch unter Zucht steht. Es gibt keinen lästigeren und schlimmeren Feind deiner Seele, als du dir selbst bist, wenn du mit dem Geiste nicht recht übereinstimmst. Du mußt durchaus in Wahrheit dich selbst verachten, wenn du über Fleisch und Blut die Oberhand gewinnen willst. Weil du noch eine allzu unordentliche Liebe zu dir selbst hast, darum bangt es dir, dem Willen Anderer dich vollkommen zu ergeben.

2. Aber was ist es denn Großes, wenn du, der du Staub und nichts bist, um Gottes willen einem Menschen dich unterwirfst; da ich, der Allmächtige und Allerhöchste, der ich Alles aus nichts erschaffen, mich um deinetwillen demüthig den Menschen unterworfen habe? Ich bin der Demüthigste und Niedrigste von Allen geworden, damit du deinen Stolz durch meine Demuth überwinden möch-test. Lerne gehorchen, du Staub! Lerne dich demüthigen, du Lehm und Erde, und unter den Füßen Aller dich krümmen! Lerne deinen Willen brechen und dich in Allem unterwerfen!

3. Entbrenne wider dich selbst, und dulde nicht, daß Hochmuth in dir aufkomme; sondern zeige dich so unterwürfig und klein, daß Alle über dich hingehen und wie Straßenkoth dich treten können! Was hast du zu klagen, du eitler Mensch? Wie kannst du, befleckter Sünder, denen, die dich schmähen, widersprechen, der du so oft Gott beleidiget und vielfältig die Hölle verdient hast? Aber mein Auge hat deiner geschonet, weil deine Seele kostbar war vor meinem Angesicht, damit du erkennen möchtest meine Liebe, und immer dankbar bliebest für meine Wohl-thaten, und der wahren Unterwerfung und Demuth dich stets befleißigtest, und geduldig die eigene Verachtung ertrügest.


Kapitel 14 - Von Betrachtung der verborgenen Gerichte Gottes, damit wir uns im Guten nicht überheben.


1. Du donnerst über mir deine Gerichte, o Herr und mit Furcht und Schrecken erschütterst du alle meine Gebeine, und tief erbebt meine Seele. Bestürzt stehe ich da, und erwäge, daß selbst die Himmel nicht rein sind vor deinem Angesicht. Wenn du an den Engeln Bosheit gefunden, und auch ihrer nicht geschont hast: was wird mit mir werden? Sterne sind vom Himmel gefallen, und ich Staub, was nehme ich mir heraus? Die, deren Werke löblich schienen, fielen in die Tiefe hinab, und die das Brot der Engel aßen, sah ich an den Träbern der Schweine sich ergötzen!

2. Keine Heiligkeit gibt es also, wenn du, Herr, deine Hand abziehest. Keine Weisheit nützt, wenn du zu leiten aufhörst. Keine Stärke hilft, wenn du zu beschirmen ablässest. Keine Keuschheit ist sicher ohne deinen Schutz. Keine eigene Wachsamkeit frommt, wenn dein heiliges Auge nicht wacht. Denn uns selbst überlassen, versinken wir und kommen um; wenn du uns aber heimsuchst, so erheben wir uns und leben. Wir sind unbeständig, aber durch dich werden wir befestiget; wir sind lau, aber durch dich werden wir entzündet.

3. O wie demüthig und gering muß ich von mir selbst denken! Wie für nichts muß ich es achten, wenn ich etwas Gutes zu haben scheine! O wie tief muß ich mich unterwerfen deinen unergründlichen Gerichten! o Herr! da ich finde, daß ich nichts anderes bin, als nichts und abermal nichts! O unermeßliche Last! o un-durchschwimmbares Meer, wo ich nichts an mir finde, als in Allem Nichts! Wo ist also ein Schlupfwinkel für Ruhm? Wo das Vertrauen auf vermeinte Tugend? Verschlungen ist alles eitle Rühmen in dem Abgrund deiner Gerichte über mich!

4. Was ist alles Fleisch vor deinem Angesicht? – Mag sich der Thon wohl rühmen gegen den Töpfer, der ihn bildet? Wie kann sich der in eitler Rede erheben, dessen Herz in Wahrheit Gott unterworfen ist? Wen die Wahrheit demüthig gemacht hat, den kann die ganze Welt nicht übermüthig machen; noch wird durch aller Lobredner Mund der bewegt, welcher all seine Hoffnung auf Gott gegründet hat. Denn auch die, welche dich loben, sieh! sind allzumal nichts; sie werden verschwinden, wie der Schall ihrer Worte; aber die Wahrheit des Herrn bleibet in Ewigkeit.


Kapitel 15 - Wie man bei Allem, was man wünscht, sich verhalten und sprechen soll.


1. Sohn! bei Allem, was du wünschest, sprich: Herr, wenn es dir wohlgefällt, geschehe das so. Herr, wenn es zu deiner Ehre gereicht, geschehe das in deinem Namen. Herr, wenn du siehst, daß es mir gut und heilsam ist, so verleihe mir zugleich, daß ich es zu deiner Ehre gebrauche. Weißt du aber, daß es mir schädlich sein würde, und nicht zum Heil meiner Sache dienlich: so nimm von mir ein solches Verlangen. Denn nicht jedes Verlangen ist vom heiligen Geiste, auch wenn es dem Menschen recht und gut scheint. Es ist schwer, richtig zu beur-theilen, ob ein guter Geist oder ein böser dich treibe, dieses oder jenes zu wünschen, oder auch, ob du von deinem eigenen Geiste angetrieben werdest. Viele sind am Ende betrogen worden, die anfänglich von einem guten Geiste geführt zu werden schienen.

2. Darum muß man immer mit Gottesfurcht und Demuth des Herzens wünschen und bitten, was immer Begehrenswerthes dem Gemüthe vorkommt; und vor-züglich sollst du, mit völliger Hingebung deiner selbst, mir Alles anheimstellen und sprechen: Herr, du weißt, wie es besser ist; es geschehe dieß oder jenes, wie du willst. Gib, was du willst und wie viel du willst, und wann du willst. Machs mit mir, wie du weißt und wie es dir besser gefällt und wie es zu deiner größeren Ehre gereicht. Stelle mich, wohin du willst, und thue mit mir in Allem nach deinem Wohlgefallen. Ich bin in deiner Hand, drehe und wende mich um und um. Siehe, ich bin dein Knecht und zu Allem bereit; denn ich verlange nicht, mir zu leben, sondern dir: o möchte es würdig und vollkommen geschehen! Gebet.

3. Verleihe mir, o gütigster Jesu, deine Gnade, daß sie mit mir sei und mit mir arbeite, und bei mir bis an’s Ende verharre. Gib, daß ich allezeit begehre und wünsche, was dir am angenehmsten ist und am meisten gefällt. Dein Wille sei der meinige, und mein Wille richte sich immer nach dem deinigen, und stimme mit ihm bestens überein. Mein Wollen und Nichtwollen sei Eins mit deinem, und immer müsse ich nichts Anderes wollen und nicht wollen, als was du willst und nicht willst.

4. Gib, daß ich Allem absterbe, was in der Welt ist, und daß ich um deinetwillen gern verachtet und unbekannt sei in dieser Zeitlichkeit. Gib, daß ich dich über alle Dinge liebe, und in dir allein den Frieden meines Herzens suche. Du bist allein der wahre Frieden des Herzens, du seine einzige Ruhe, und außer dir ist nichts als Qual und Unruhe. In diesem Frieden, ja in ihm allein, das ist, in dir, dem einen höchsten und ewigen Gute, will ich schlafen und ruhen. Amen.


Kapitel 16 - Daß wahrer Trost in Gott allein zu suchen ist.


1. Alles, was ich nur zu meinem Troste wünschen oder denken kann, erwarte ich nicht hier, sondern dort. Wenn ich auch alle Tröstungen dieser Welt allein hätte und alle Ergötzungen genießen könnte, so ist doch gewiß, daß sie nur von kurzer Dauer sein würden. Darum, meine Seele, wirst du nicht vollkommen getröstet, noch erquickt werden können, außer in Gott, dem Tröster der Armen und dem Beschützer der Demüthigen. Harre nur ein wenig, meine Seele, harre der gött-lichen Verheißung, und du wirst Ueberfluß haben an allen Gütern im Himmel. Wenn du aber mit ungeordneter Begierde das Gegenwärtige verlangst, so wirst du jener ewigen und himmlischen Güter verlustig werden. Gebrauche das Zeitliche und trachte nach dem Ewigen. Nimmer kannst du durch irgend ein zeitliches Gut gesättigt werde, weil du zu dergleichen Genuß nicht erschaffen bist.

2. Und besäßest du auch alle Güter der Welt, so könntest du doch nicht glücklich und selig sein; sondern in Gott, der Alles geschaffen hat, besteht dein ganzes Glück und deine Seligkeit. Diese Seligkeit ist freilich keine solche, wie sie von den thörichten Kindern dieser Welt angesehen und gerühmt wird, sondern wie sie die frommen Christgläubigen erwarten, wovon schon manchmal einen Vorge-schmack die haben, die reinen Herzens und voll heiligen Geistes sind, die, deren Wandel im Himmel ist. Eitel und kurz ist aller menschliche Trost. Wahren und seligmachenden Trost gibt innerlich die Wahrheit. Der fromme Christ hat seinen Tröster, Jesum, überall und immer bei sich, und spricht zu ihm: Sei du bei mir, Herr Jesu, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Das sei mein Trost, gern allen menschlichen Trost entbehren zu wollen. Und wenn auch dein Trost mir mangeln sollte, so sei dein Wille und deine gerechte Prüfung mein höchster Trost. – Denn du wirst nicht immer zürnen, noch in Ewigkeit drohen.


Kapitel 17 - Daß man alle Sorge Gott anheimstellen soll.


1. Sohn! laß mich mit dir thun, was ich will! Ich weiß, was dir heilsam ist. Du denkst wie ein Mensch, und urtheilst in Vielem, wie es menschliche Neigung dir eingibt. Herr! es ist wahr, was du sagst: Deine Sorgfalt für mich ist größer, als alle Sorge, die ich für mich tragen kann. Denn der hängt allzu sehr vom Zufall ab, welcher nicht all seine Sorge auf dich wirft. Herr! wenn nur mein Wille immer recht und fest auf dich gerichtet bleibt, so thue mit mir, was dir wohlgefällt. Denn was du mit mir thun magst, kann nicht anders als gut sein.

2. Willst du, daß ich in Finsterniß wandle, so sei gepriesen, und willst du, daß ich im Lichte sei, so sei auch dafür gepriesen. Würdigst du mich eines Trostes, so sei gepriesen, und willst du Trübsal über mich verhängen, so sei ebenso allezeit gepriesen! Sohn! also muß es um dich stehen, wenn du mit mir wandeln willst. Du mußt ebenso bereitwillig sein zum Leiden, als zur Freude. Du mußt ebenso gern hungrig und arm sein, als satt und reich.

3. Herr! um deinetwillen will ich gern leiden, was du auch über mich kommen lassen mögest. Mit gleicher Freude will ich aus deiner Hand Gutes und Böses, Süßes und Bitteres, Fröhliches und Trauriges hinnehmen, und für Alles, was mir widerfährt, Dank sagen. Bewahre mich vor aller Sünde, und ich werde weder Tod noch Hölle fürchten. Wenn du mich nur in Ewigkeit nicht verwirfst, und mich nicht auslöschest aus dem Buche des Lebens: so mag mir nimmer schaden, was auch für Trübsal über mich komme.


Kapitel 18 - Daß man zeitliches Elend nach dem Beispiel Christi mit Gleichmuth ertragen soll.


1. Sohn! ich bin vom Himmel herab gekommen um deines Heiles willen; ich habe dein Elend auf mich genommen, nicht aus Zwang, sondern von Liebe getrieben, damit du Geduld lernen, und das Elend dieser Zeit ohne Murren tragen möchtest. Denn von der Stunde meiner Geburt an bis zum Tode am Kreuze habe ich Schmerz und Angst gehabt. Ich litt bittern Mangel an zeitlichen Gütern; ich hörte häufige Klagen über mich; ich ertrug Schmach und Schande mit Sanftmuth; ich erntete für Wohlthaten Undank, für meine Wunden Lästerungen, für meine Lehre Widerspruch und Tadel.

2. Herr! weil du so geduldig warst in deinem Leben und dadurch vorzüglich den Auftrag deines Vaters erfülltest: so ist es billig, daß ich ärmster Sünder geduldig leide nach deinem Willen, und so lange du willst, die Bürde dieses vergänglichen Lebens zu meinem Heil ertrage. Denn obwohl das gegenwärtige Leben schwer drückt, so ist es doch durch deine Gnade sehr verdienstlich, und durch dein Beispiel und durch die Fußtapfen deiner Heiligen uns Schwachen erträglicher und heiterer geworden. Aber es ist auch viel tröstlicher, als ehemals im alten Bunde, da die Himmelspforte verschlossen blieb, und der Weg zum Himmel dunkler schien, indem so Wenige das Himmelreich zu suchen bemüht waren. Daher konnten selbst die, welche damals gerecht waren und auf Erlösung harrten, vor deinem Leiden und dem Schuldopfer deines heiligen Todes in das himmlische Reich nicht eingehen. O welchen Dank bin ich dir schuldig, daß du mir und allen Gläubigen den rechten und geraden Weg zu deinem ewigen Reiche hast zeigen wollen. Denn dein Leben ist unser Weg, und durch heilige Geduld kommen wir zu dir, der du unsere Krone bist. Wenn du nicht vorangegangen wärest und uns gelehrt hättest: wer würde dir zu folgen sich bestreben? Ach! wie Viele würden ferne und zurückbleiben, säehn sie dein herrliches Beispiel nicht vor sich! Siehe, noch sind wir lau, obgleich wir deine vielen Zeichen und Lehren gehört haben: was würde erst geschehen, wenn dein Himmelsstrahl uns nicht zu deiner Nachfolge leuchtete?


Kapitel 19 - Vom Ertragen der Unbilden und wer als wahrer Dulder sich bewährt.


1. Was ist’s, das du redest, Sohn? Laß ab zu klagen, wenn du mein und anderer Heiligen Leiden betrachtet hast. Noch hast du nicht bis auf’s Blut kämpfen müssen! Gering ist, was du leidest, im Vergleich mit denen, die so Vieles gelitten haben, so gewaltig angefochten, so schwer geplagt, so vielfältig geprüft und geübt worden sind. Du mußt dir also die schwereren Leiden Anderer zu Gemüthe führen, damit du deine viel geringeren leichter ertragest. Und wenn dir deine Leiden nicht so gering scheinen, so siehe zu, ob dieß nicht von deiner Ungeduld herrührt. Mögen sie jedoch klein oder groß sein, suche sie nur alle geduldig zu ertragen.

2. Je besser du dich zum Leiden anschickst, desto weiser handelst du, und desto größer ist der Lohn; auch wirst du es leichter ertragen, wenn du mit Muth und durch Uebung dich fleißig darauf gerüstet hast. Sprich nicht: Das kann ich von einem solchen Menschen nicht ertragen, und so etwas darf ich nicht dulden; denn er hat mir großen Schaden gethan, und bürdet mir etwas auf, woran ich niemals gedacht habe; aber von einem Andern wollte ich es gern dulden und sehen, wie es sich ertragen lasse. Thöricht ist ein solcher Gedanke, der die Tugend der Geduld ganz außer Acht läßt und nicht erwägt, von wem diese gekrönt werden soll, sondern mehr die Personen und die erlittenen Beleidigun-gen in’s Auge faßt.

3. Der ist kein wahrer Dulder, der nur so viel leiden will, als ihm gut dünkt, und von wem es ihm gefällt. Ein wahrer Dulder aber merket nicht darauf, von was für einem Menschen ob von seinem Vorgesetzten, oder von Einem seines Gleichen, oder von einem Geringeren, ob von einem Guten oder Frommen, oder von einem Verkehrten und Unwürdigen er in der Geduld geübt werde: sondern er nimmt alles Widrige ohne Unterschied, so viel und so oft und von welchem Geshöpfe es ihm auch zugefügt werden mag, dankbar aus der Hand Gottes an, und hält es für einen großen Gewinn. Denn bei Gott kann nichts, wie klein es auch sei, unver-golten bleiben, wenn es um seinetwillen erduldet wurde.

4. Sei also gerüstet zum Kampfe, wenn du den Sieg erringen willst. Ohne Kampf kannst du die Krone der Geduld nicht erlangen. Willst du nicht leiden, so magst du auch nicht gekrönt werden. Begehrst du aber gekrönt zu werden, so kämpfe mannhaft und halte geduldig aus. Ohne Arbeit kommt man nicht zur Ruhe, und ohne Kampf nicht zum Siege. Laß mir, o Herr! durch deine Gnade möglich werden, was mir von Natur unmöglich scheint. Du weißt, daß ich nur wenig ertragen kann und bei der geringsten Widerwärtigkeit schnell muthlos werde.

Laß mir jede Uebung in Trübsal um deines Namens willen lieblich und erwünscht sein; denn leiden und geplagt werden um deinetwillen, ist meiner Seele sehr heilsam.


Kapitel 20 - Von dem Bekenntniß eigener Schwachheit und den Mühseligkeiten dieses Lebens.


1. Bekennen will ich gegen mich selbst meine Ungerechtigkeit; bekennen will ich dir, o Herr! meine Schwachheit. Oft ist es eine Kleinigkeit, die mich niederschlägt und betrübt. Ich nehme mir vor, tapfer zu kämpfen; kommt aber eine geringe Anfechtung, so befällt mich große Angst. Manchmal ist es etwas ganz Unbedeu-tendes, woraus für mich eine schwere Versuchung entsteht. Und während ich mich ein wenig sicher glaube, so finde ich mich bisweilen, ohne daran zu denken, durch einen leichten Windstoß fast zu Boden geworfen.

2. Siehe also an, o Herr! meine Niedrigkeit und Gebrechlichkeit, die dir von allen Seiten bekannt ist. Erbarme dich, und reiß mich heraus aus dem Schlamme, damit ich nicht versinke und für immer niedergeschmettert liegen bleibe. Das ist es, was mich so oft quält und vor dir zu Schanden macht, daß ich so hinfällig bin und so schwach, meinen Leidenschaften zu widerstehen. Und wenn sie mich auch nicht ganz überwältigen, so ist es mir doch schon beschwerlich und lästig, daß sie mich unausgesetzt verfolgen, und es verdrießt mich sehr, täglich also im Streite leben zu müssen. Daraus wird mir meine Schwachheit offenbar, daß unreine Vorstellungen der Einbildungskraft bei mir viel leichter Eingang finden, als weichen.

3. O du starker Gott Israels, du treuer Freund der gläubigen Seelen, blicke doch herab auf die Arbeit und den Schmerz deines Knechtes, und stehe ihm bei in Allem, was er unternimmt! Rüste mich aus mit himmlischer Kraft, damit nicht der alte Mensch, das elende Fleisch, das dem Geiste noch nicht völlig unterworfen ist, die Oberherrschaft gewinne; wider welches man kämpfen muß, so lange man es an sich trägt. Ach, was ist doch das für ein Leben, wo es an Trübsal und Mühseligkeit niemals mangelt, wo Alles voll von Fallstricken und Feinden ist! Denn wenn eine Trübsal oder Versuchung weicht, so kommt eine andere herbei; ja selbst während wir mit der ersteren noch im Kampfe sind, ziehen mehrere andere unverhofft daher.

4. Und wie kann man nur ein Leben lieb gewinnen, das so viele Bitterkeiten hat, so vielen Drangsalen und Mühseligkeiten unterworfen ist? Wie mag auch das nur Leben genannt werden, das eitel Tod und Verderben gebiert? Und doch liebt man es, und Viele suchen in ihm sich zu ergötzen. Man tadelt die Welt oft, daß sie trügerisch sei und eitel; und dennoch verläßt sie Niemand gern, weil die Lüste des Fleisches allzusehr herrschen. Aber ein Anderes zieht zur Liebe, ein Anderes zur Verachtung. Zur Liebe der Welt zieht Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Leben hin; aber die Strafen und Mühseligkeiten, die billig darauf folgen, erzeugen Haß der Welt und Ueberdruß.

5. Allein leider! trägt die böse Lust den Sieg über die der Welt verhaftete Seele davon, die auf Dornen der Sünde zu liegen für Vergnügen hält, weil sie Gottes Lieblichkeit und die innere Anmuth der Tugend weder erkannt noch gefühlt hat. Die aber die Welt vollkommen verachten, und sich bestreben, Gott zu leben in heiliger Zucht, die kennen die göttliche Süßigkeit, die denen verheißen ist, welche wahrhaftig entsagen, und sehen klar ein, wie arg die Welt im Irrthum befangen ist und wie vielfach sie betrogen wird.


Kapitel 21 - Daß man in Gott über alle Güter und Gaben ruhen soll.


1. Ueber Alles und in Allem, meine Seele, sollst du ruhen in dem Herrn immerdar; denn er ist die ewige Ruhe der Heiligen. Verleihe mir, o süßester und geliebtester Jesus! daß ich die Ruhe in dir über alle Kreatur schätze, über Wohlsein und Schönheit, über Ruhm und Ehre, über Macht und Ansehen, über Wissenschaft und Geschicklichkeit, über Reichthum und Kunst, über Freude und Vergnügen, über Gunst und Lob, über Süssigkeit und Trost, über Hoffnung und Verheißung, über Tugend und Glückseligkeit, über alle Gaben und Güter, die du schenken kannst, über alle Freude und Wonne, die das Gemüth zu fassen und zu empfin-den vermag, über die himmlischen Heerschaaren, über Sichtbares und Unsicht-bares, kurz über Alles, was du, mein Gott, nicht bist.

2. Denn du, Herr, mein Gott, bist über Alles der Beste! Du bist allein der Höchste! Du allein der Mächtigste! Du der Allergenügsamste und Reichste! Du allein der Quell aller Lieblichkeit und alles Trostes! Du allein der Herrlichste und Gütigste! Du allein der Edelste und Glorreichste über Alles! Du bist der Eine, in dem alles Gute vollkommen ist, und immer war und sein wird! Darum ist Alles zu wenig und unzureichend, was du mir außer dir gibst, oder von dir selbst offenbarest, oder verheißest, so lange ich dich selbst nicht vollkommen besitze; weil mein Herz nicht wahrhaft ruhen, nicht ganz befriedigt werden kann, wenn es nicht in dir ruhet und sich über alle Gaben und alle Kreatur erhebt.

3. O mein geliebtester Bräutigam Jesus Christus, du reinster Liebhaber, du Beherrscher aller Kreatur! wer gibt mir Schwingen der wahren Freiheit, damit ich fliege und ruhe in dir? O wann wird mir vollends gegeben, frei zu sein, und zu schauen, wie lieblich du bist, Herr, mein Gott? Wann werde ich mich vollkommen wieder sammeln in dir, daß ich vor lauter Liebe zu dir mich selbst nicht mehr empfinde, sondern dich allein über alle Empfindung und über alles Maaß, auf eine nicht Allen bekannte Weise? Jetzt aber seufze ich noch oft, und trage mein Elend mit Schmerz. Denn in diesem Jammerthale widerfährt mir viel Uebles, das mich so oft verwirrt, traurig und düster macht, so oft hindert und zerstreut, locket und verstrickt, daß ich nicht freien Zugang zu dir habe, und deine lieblichen Um-armungen nicht genieße, die den seligen Geistern immer gewährt sind. Möchte dich rühren mein Seufzen, und so vielfacher Jammer auf Erden.

4. O Jesu, du Abglanz der ewigen Herrlichkeit, du Trost der in der Fremde schmachtenden Seele, vor dir verstummt mein Mund, und mein Stillschweigen schreit zu dir. Wie lange säumt mein Herr, zu kommen? Daß er käme zu mir, seinem Aermsten, und machte mich fröhlich! Daß er mir reichte seine Hand und mich elenden herausrisse aus aller Bedrängniß! Komm, o komm: denn ohne dich wird kein Tag, ja keine Stunde mir fröhlich sein, und ohne dich ist leer mein Tisch. Ich bin elend, und gleichsam eingekerkert und mit Banden beschwert, bis du mich erquickest mit dem Lichte deiner Gegenwart, und mir die Freiheit schen-kest und dein freundliches Angesicht zeigest.

5. Mögen Andere Anderes statt deiner suchen, was irgend ihnen gelüstet; mir wird und soll nichts Anderes gefallen, als du allein, mein Gott, meine Hoffnung, mein ewiges Heil! Nicht schweigen will ich, noch ablassen zu flehen, bis deine Gnade wiederkehre und du in meinem Herzen redest: „Siehe, da bin ich! Ich komme zu dir, weil du mich gerufen hast! Deine Thränen und das Verlangen deiner Seele, deine Demüthigung und deine Herzenszerknirschung rührten mich und führten mich hin zu dir!“

6. Und ich sprach: Herr, ich habe dich gerufen, und mich gesehnt, deiner zu genießen, bereit, um deinetwillen Alles von mir zu weisen. Denn du hast mich zuerst erweckt, daß ich dich suchen möchte. Sei darum gepriesen, o Herr! der du diese Wohlthat deinem Knechte erzeigt hast nach der Fülle deiner Barmherzig-keit. Was hat dein Knecht dir noch weiter zu sagen, als daß er sich völlig demüthige vor dir, immerdar eingedenk seiner eigenen Sündhaftigkeit und Niedrigkeit? Denn dir ist nichts gleich im Himmel und auf Erden! Alle deine Werke sind sehr gut, deine Gerichte gerecht und durch deine Vorsehung wird das Weltall regiert. Darum Lob dir und Ruhm, o Weisheit des Vaters! Dich lobe und preise mein Mund, mein Herz und alles Erschaffene zumal!


Kapitel 22 - Von der Erinnerung an die vielfachen Wohlthaten Gottes.


1. Oeffne, Herr, mein Herz in deinem Gesetze, und lehre mich wandeln in deinen Geboten. Laß mich erkennen deinen Willen, und mit großer Ehrfurcht und fleißiger Betrachtung deiner Wohlthaten im Allgemeinen wie im Besonderen gedenken, damit ich dir auf würdige Weise den Dank bezahlen möge. Aber ich weiß und bekenne, daß ich auch nicht für das Allergeringste den gebührenden Dank abzustatten und dich würdig zu loben vermag. Ich bin zu gering für Alles mir erwiesene Gute, und wenn ich deine Hoheit erwäge, so vergeht mein Geist vor ihrer Größe.

2. Alles, was wir haben an Leib und Seele, und was wir innerlich oder äußerlich, natürlich oder übernatürlich besitzen, ist deine Wohlthat, und beweist, welch freigebiger, milder und gütiger Herr du bist, von dem wir alles Gute empfangen haben. Und wenn auch der Eine mehr, der Andere weniger erhielt, so ist doch Alles dein, und ohne dich kann man auch das Geringste nicht haben. Der, welcher größere Gaben empfing, darf sich nicht seines Verdienstes rühmen, noch über Andere sich erheben, noch dem Minderbegabten mit Uebermuth begegnen; denn der Größte und Beste ist der, welcher sich am wenigsten zu-schreibt und um so demüthiger und eifriger ist im Danksagen. Und wer sich für geringer als Alle achtet und sich für den Unwürdigsten hält, der ist am fähigsten, größere Gaben zu empfangen. Wer aber weniger erhielt, soll sich darüber nicht betrüben, noch murren, noch den Reicheren beneiden; sondern vielmehr zu dir aufblicken und dein Güte preisen, daß du deine Gaben so reichlich, so unver-dient und gern ohne Ansehen der Person austheilest. Alles kommt von dir und darum bist du in Allem zu loben. Du weißt, was für Gaben einem Jeden ersprieß-lich sind; warum aber dieser weniger, jener mehr habe, das zu entscheiden, kommt nicht uns, sondern dir zu, bei dem die Verdienste der Einzelnen genau bestimmt sind.

3. Daher, mein Herr und Gott! halte ich es auch für eine große Wohlthat, nicht viel zu besitzen, was äußerlich und vor den Menschen Ehre und Lob verschafft. Deßwegen soll Niemand, im Gefühl der Armuth und Niedrigkeit seiner Person, sich beschweren oder trauern oder den Muth sinken lassen, sondern soll sich vielmehr trösten und sehr freuen, weil du, o Gott, die Armen und Niedrigen und die von dieser Welt Verachteten dir zu Vertrauten und Hausgenossen erwählt hast. Zeugen davon sind selbst deine Apostel, welche du zu Fürsten über die ganze Erde gesetzt hast. Dennoch wandelten sie ohne Klage, so demüthig und einfältig, ohne alle Bosheit und Arglist in der Welt, daß sie sich sogar freuten, um deines Namens willen Schmach zu leiden und nach dem, was die Welt von sich stößt, mit großem Eifer griffen.

4. Nichts also darf den, der dich lieb hat und deine Wohlthaten erkennt, so erfreuen, als daß dein Wille an ihm geschieht und Alles von Ewigkeit her so geordnet ist, wie es dir wohlgefällt. Hierin soll er so viel Trost und Beruhigung finden, daß er eben so gern der Geringste sein möchte, als ein Anderer gern der Größte wäre; er soll eben so gelassen und zufrieden die letzte Stelle einnehmen, als die erste; er soll eben so gern verkannt und verachtet, ohne Namen und Ruf, als der Geehrteste und Größte in der Welt sein. Denn dein Wille und der Eifer für deine Verherrlichung muß ihm über Alles gehen und ihn mehr trösten und besser gefallen, als alle Wohlthaten, die er empfangen hat oder zu empfangen wünscht.


Kapitel 23 - Von vier Stücken, die großen Frieden bringen.


1. Sohn! ich will dich jetzt den Weg des Friedens und der wahren Freiheit lehren. Thue, Herr, wie du sagst; denn das ist mir angenehm zu hören. I. Befleißige dich, Sohn! lieber eines Andern Willen zu thun als deinen eigenen. II. Zieh es stets vor, weniger als mehr zu haben. III. Suche immer den untersten Platz und unterwirf dich gern Andern. IV. Wünsche allezeit und bete, daß der Wille Gottes voll-kommen in dir geschehe! Siehe, ein solcher Mensch gelangt in das Land des Friedens und der Ruhe.

2. Herr, diese deine Rede ist kurz, aber sie begreift viel Vollkommenheit in sich. Arm ist sie an Worten, aber voll Sinn und reich an Frucht. Denn wenn ich sie treulich zu bewahren vermöchte, so dürfte in mir nicht so leicht Unruhe ent-stehen. Denn so oft ich mich unzufrieden und gedrückt fühle, finde ich, daß ich von dieser Lehre abgewichen. Du aber, der du Alles vermagst und an der Besserung des Herzens Wohlgefallen hast, verleihe mir noch mehr Gnade, damit ich dein Wort erfüllen und mein Heil vollenden könne. Gebet wider böse Gedan-ken.

3. Herr, mein Gott! weiche nicht von mir. Mein Gott! siehe auf mich, mir zu helfen, denn vielerlei Gedanken haben sich in mir erhoben und große Schrecken ängstigen meine Seele! Wie soll ich unverletzt durchkommen, wie sie bewäl-tigen? Ich, spricht der Herr, will vor dir hergeben und die Ruhmredigen der Erde niederschmettern! Ich will die Thüren des Gefängnisses aufthun und die ver-borgenen Geheimnisse dir offenbaren. Thue, Herr! wie du sagst; und weichen werden vor deinem Angesicht alle bösen Gedanken. Das ist meine Hoffnung und mein einziger Trost, zu dir in jeder Trübsal zu flüchten, dir zu vertrauen, dich von Herzensgrund anzurufen und deinen Trost mit Geduld zu erwarten. Gebet um Erleuchtung.

4. Erleuchte mich, o gütigster Jesus! mit der Klarheit des innern Lichtes und nimm aus meinem Herzen alle Finsterniß. Wehre den vielen Zerstreuungen und ersticke die Versuchungen, die mir Gewalt anthun. Streite du für mich und bezwinge die wilden Thiere, nämlich die lockenden Begierden, damit Friede werde durch deine Kraft und dein Lob überschwänglich erschalle in der geheilig-ten Stätte, dem reinen Gewissen. Gebiete den Winden und den Stürmen; sprich zum Meere: Sei still! und zum Nordwind: Lege dich! und es wird große Stille sein.

5. Sende aus dein Licht und deine Wahrheit, daß sie leuchten über die Erde; denn ich bin Erde, wüst und leer, bis du mich erleuchtest. Gieße aus Gnade von oben herab; befeuchte mein Herz mit Himmelsthau; thue die Brunnen der Andacht auf, zu bewässern das Antlitz der Erde, damit sie hervorbringe gute und beste Frucht. Erhebe mein von Sündenlast zu Boden gedrücktes Gemüth und lege all mein Sehnen und Verlangen auf das Himmlische, damit es mir, wenn ich das Liebliche überirdischer Seligkeit gefunden, ekle, an Irdisches zu denken.

6. Ziehe mich, und reiße mich los von allem vergänglichen Trost der Kreaturen; denn kein geschaffenes Ding vermag mein Verlangen ganz zu stillen und zu befriedigen. Verbinde mich mit dir durch das unlösbare Band der Liebe, denn du allein genügst dem Liebenden und ohne dich ist alles Tand.


- Fortsetzung -