Kapitel 13 - Vom Widerstande gegen Versuchungen.


1. So lange wir in dieser Welt leben, können wir nicht ohne Anfechtung und Versuchung sein. Daher ist auch im Buch Hiob geschrieben: “Streit ist des Menschen Leben auf Erden.“ (7,1.) Darum sollte ein Jeglicher sorgsam sein bei seinen Versuchungen und wachen im Gebete, damit der Teufel nicht Raum finde zur Verführung, denn er schläft nimmer, sondern geht umher und suchet, welchen er verschlinge. Niemand ist so vollkommen und heilig, daß er nicht von Zeit zu Zeit Versuchungen haben sollte; und wir können derselben nicht gänzlich entbehren.

2. Demnach sind die Versuchungen dem Menschen, wie lästig und beschwerlich sie sein mögen, von großem Nutzen, weil er durch dieselben gedemüthiget, geläutert und belehrt wird. Alle Heiligen sind durch viele Versuchungen und Anfechtungen hindurch gegangen und haben im Guten zugenommen. Diejenigen aber, welche die Versuchungen nicht zu ertragen vermochten, sind abgefallen und verworfen worden. Es ist kein Stand so heilig, kein Ort so verborgen, wo nicht Versuchungen und Widerwärtigkeiten zu finden wären.

3. So lange der Mensch lebt, ist er nie ganz sicher vor Versuchungen, weil in uns ist, wodurch wir versucht werden, seit wir in Lüsten geboren sind. Ist eine Ver-suchung oder Anfechtung vorüber, so kommt alsbald eine andere, und wir müssen immer etwas zu leiden haben, denn wir haben das Gut unsrer Seligkeit verloren. Viele suchen den Versuchungen auszuweichen, und fallen desto schwerer in dieselben. Durch Flucht allein können wir nicht überwinden; aber durch Geduld und wahre Demuth werden wir stärker als alle Feinde.

4. Wer nur äußerlich den Versuchungen ausweicht und die Wurzel nicht ausreißt, der wird wenig ausrichten; ja die Versuchungen werden nur desto schneller wiederkehren, und er wird es um so ärger empfinden. Allmälig und durch Geduld und Langmuth wirst du mit Gottes Hülfe besser siegen als mit Hartnäckigkeit und eigenem Ungestüm. Nimm oft Rath an zur Zeit der Versuchung und gegen Einen, der versucht ist, sei nicht hart, sondern sprich ihm Trost zu, wie du wünschest, daß dir geschehe.

5. Der Anfang aller bösen Versuchungen ist die Wankelmüthigkeit des Gemüths und das geringe Vertrauen auf Gott. Denn wie ein Schiff ohne Steuerruder von den Wellen hin und her getrieben wird; so wird ein fahrlässiger Mann, der seinem Vorsatze nicht getreu bleibt, mannigfach angefochten. Feuer bewährt das Eisen und Versuchung den Gerechten. Wir wissen oft nicht, was wir vermögen; aber die Versuchung macht offenbar, was wir sind. Doch müssen wir, besonders im Anfange der Versuchung, wachsam sein; weil dann der Feind leichter über-wunden wird, wenn man ihn auf keine Weise zur Pforte des Gemüths eingehen läßt, sondern ihm, so bald er anklopft, vor der Schwelle entgegen tritt. Deßhalb hat ein alter Dichter gesagt: Komme zuvor alsbald, zu spät wird’s Mittel bereitet, hat durch Zögerung schon Stärke das Uebel erlangt. Denn zuerst kommt dem Gemüth ein einfacher Gedanke entgegen, dann die mächtige Einbildung, hernach die Lust und die böse Begierde und endlich die Einwilligung. Also dringt nach und nach der böse Feind gänzlich ein, wenn ihm nicht sogleich im Anfange Widerstand geleistet wird. Und je länger Einer ihm zu widerstehen zögert, desto schwächer wird er täglich in sich und der Feind um so mächtiger wider ihn.

6. Einige leiden im Anfang ihrer Bekehrung schwerere Anfechtungen, Andere aber am Ende, noch Andere werden fast ihr ganzes Leben lang geplagt. Manche werden nur leicht versucht, ganz nach der Weisheit und Gerechtigkeit göttlichen Rathschlusses, der des Menschen Zustand und Vermögen wohl erwägt und zum Heil seiner Auserwählten Alles vorher bestimmt hat.

7. Darum dürfen wir, wenn wir verlassen werden, den Muth nicht sinken lassen, sondern müssen desto inbrünstiger zu Gott beten, daß er uns in aller Versuchung Beistand leisten wolle, der gewißlich, nach dem Ausspruche Pauli (1. Kor. 10,13.), die Versuchung ein solches Ende gewinnen läßt, daß wir es können ertragen. So wollen wir denn demüthigen unsere Herzen unter die Hand Gottes in jeder Versuchung und Anfechtung, weil er retten und erhöhen wird, die demüthigen Geistes sind.

8. In Versuchungen und Trübsalen wird der Mensch bewährt, wie weit er im Guten fortgeschritten ist; und darin besteht ein größeres Verdienst, und die Tugend wird mehr offenbar. Das ist nichts Großes, wenn der Mensch andächtig und inbrünstig ist, so lange er keine Beschwerde fühlt; wenn er aber zur Zeit der Trübsal geduldig ausharrt, dann läßt sich guter Fortschritt hoffen. Einige bleiben vor großen Versuchungen bewahrt, und in den kleinen täglichen unterliegen sie oft, damit sie, gedemüthiget, bei großen kein Vertrauen auf sich selbst haben, die in so geringen schwach sind.


Kapitel 14 - Von Vermeidung voreiliger Urtheile.


1. Kehre deine Augen auf dich selbst, und hüte dich, Anderer Handlungen zu richten. In der Beurtheilung Anderer müht sich der Mensch vergebens, irrt oft und fällt leicht in eine Sünde; im Richten und Erforschen seiner selbst aber arbeitet er immer mit Erfolg. Wie uns eine Sache am Herzen liegt, so urtheilen wir häufig darüber; aber das richtige Urtheil verlieren wir leicht wegen der Eigenliebe. Wenn Gott allezeit das reine Ziel unsers Verlangens wäre, so würden wir beim Wider-streben unsers Sinnes nicht so leicht beunruhigt werden.

2. Aber oft verbirgt sich etwas im Innern oder kommt auch von außen dazu, was uns auf gleiche Weise fortzieht. Viele suchen bei allem, was sie thun, heimlich nur sich selbst, und wissen es nicht. Sie scheinen auch Frieden zu haben, so lange Alles nach ihrem Sinne und Willen geht; kömmt es aber anders, als sie wünschen, so werden sie augenblicklich erschüttert und traurig. Wegen Ver-schiedenheit der Ansichten und Meinungen entstehen häufig genug Uneinig-keiten unter Freunden und Mitbürgern, unter Geistlichen und Frommen.

3. Eine alte Gewohnheit legt man schwer ab, und Niemand läßt sich gerne über seinen Gesichtskreis hinausführen. Wenn du dich mehr auf deine Vernunft und Geschicklichkeit verlässest, als auf die Kraft, die Jesu Christo sich unterwirft, so wirst du selten und spät ein erleuchteter Mensch werden; denn Gott will, daß wir uns ihm vollkommen unterwerfen und über alle Vernunft durch feurige Liebe hinaus gehen.  


Kapitel 15 - Von den Werken aus Liebe.


1. Um nichts in der Welt und um keines Menschen Liebe willen darf man etwas Böses thun; aber zum Wohl eines Bedürftigen mag doch zuweilen ein gutes Werk freiwillig unterlassen oder auch für ein besseres vertauscht werden. Denn auf diese Weise wird das gute Werk nicht zerstört, sondern in ein besseres verwandelt. Ohne Liebe nützt ein äußeres Werk nichts; was aber aus Liebe geschieht, wie geringfügig und unscheinbar es auch sein mag, das wird durch und durch fruchtbar. Denn Gott erwägt mehr, aus wie großer Liebe Jemand handle, als wie Großes er thue.

2. Viel thut, wer viel liebt. Viel thut, wer eine Sache recht thut. Recht thut, wer dem allgemeinen Besten mehr dient, als dem eigenen Willen. Oft scheint etwas Liebe zu sein und ist blos Fleischeslust, weil natürliche Neigung, Eigenwille, Hoffnung auf Vergeltung, Hang zur Gemächlichkeit selten fern sind.

3. Wer die wahre und vollkommene Liebe hat, der sucht in keiner Weise sich selbst, sondern begehrt allein, daß Gottes Ehre in Allem befördert werde. Auch beneidet er Niemanden, weil er keine Freude für sich haben will; nicht in sich selbst will er sich erfreuen, sondern wünscht über alle Güter hinaus in Gott beseligt zu werden. Niemandem schreibt er etwas Gutes zu, sondern führt es ganz auf Gott zurück, von dem Alles ursprünglich ausgeht, in dem endlich alle Heiligen selige Ruhe haben. O wer nur einen Funken der wahren Liebe hätte, der würde fürwahr empfinden, daß alles Irdische voll Eitelkeit ist.


Kapitel 16 - Vom Ertragen fremder Fehler.


1. Was der Mensch an sich oder an Andern nicht zu bessern vermag, das muß er geduldig ertragen, bis Gott es anders ordnet. Bedenke, daß es so vielleicht zuträglicher ist zu deiner Prüfung und zur Uebung in der Geduld, ohne welche unsere Verdienste nicht hoch anzuschlagen sind. Aber in Bezug auf solche Hindernisse mußt du bitten, daß Gott dir mit seiner Gnade zu Hülfe kommen wolle, und daß du sie mit Geduld ertragen mögest.

2. Wenn Einer, einmal oder zweimal erinnert, sich nicht zufrieden gibt, so streite nicht mit ihm, sondern stelle es gänzlich Gott anheim, damit sein Wille geschehe und seine Ehre in allen seinen Dienern befördert werde; denn er weiß wohl, Böses in Gutes zu kehren. Bemühe dich, die mancherlei Fehler und Gebrechen Anderer mit Geduld zu ertragen, weil auch du Vieles hast, was von Andern ertragen werden muß. Wenn du dich selbst nicht so machen kannst, wie du dich gern haben möchtest: wie wirst du einen Andern nach deinem Wohlgefallen haben können? Wir haben gern Andere vollkommen, und verbessern doch die eigenen Mängel nicht.

3. Wir wollen, daß Andere streng zurechtgewiesen werden, und wir selbst wollen uns nicht zurechtweisen lassen. Es mißfällt uns die große Ungebundenheit Anderer, und doch wollen wir nicht, daß man uns etwas versage, was wir ver-langen. Wir wollen Andere durch Gesetze beschränkt wissen, und wir selbst lassen uns auf keine Weise mehr einschränken. So ist denn offenbar, wie selten wir den Nächsten, wie uns selbst, würdigen. Wenn Alle vollkommen wären, was hätten wir dann von Andern um Gottes willen zu leiden?

4. Nun aber hat es Gott so geordnet, daß wir lernen sollen, “Einer des Andern Lasten zu tragen“ (Gal. 6,2); weil Keiner ohne Fehler, Keiner ohne Last, Keiner mit sich zufrieden, Keiner für sich weise genug ist; sondern wir müssen uns gegenseitig ertragen, gegenseitig trösten, gegenseitig helfen, belehren und ermahnen. Wie weit es aber Einer in der Tugend gebracht habe, zeigt sich am deutlichsten zur Zeit der Trübsal. Denn die Gelegenheiten machen den Men-schen nicht gebrechlich, sondern bringen nur an den Tag, welcher Art er sei.


Kapitel 17 - Von dem klösterlichen Leben.


1. Du mußt dich selbst in vielen Stücken brechen lernen, wenn du mit Andern in Frieden und Eintracht bleiben willst. Es ist nichts Geringes, in Klöstern oder in einer Genossenschaft zu leben und darin ohne Klage zu verweilen und bis zum Tode treulich auszuharren. Selig, wer darin gut gelebt und glücklich vollendet hat! Wenn du gebührend feststehen und fortschreiten willst, so mußt du dich für einen Pilger und Fremdling auf Erden halten. Du mußt ein Thor werden um Christi willen, wenn du ein gottseliges Leben führen willst.

2. Das Ordenskleid und der geschorne Kopf trägt wenig bei; aber die Aenderung des Wandels und die vollständige Ertödtung der Leidenschaften machen den wahren Ordensmann. Wer etwas anderes sucht als Gott allein und seiner Seele Heil, der wird nichts finden, als Anfechtung und Schmerz. Auch kann nicht lange in Frieden stehen, wer nicht bemüht ist, der Geringste zu sein und Allen unter-than.

3. Zum Dienen bist du gekommen, nicht zum Herrschen; zum Dulden und Arbei-ten bist du berufen, nicht zum Müssiggehen oder schwatzen. Hier also werden die Menschen geprüft, wie das Gold im Feuerofen. Hier kann Niemand bestehen, wenn er sich nicht von ganzem Herzen um Gottes willen demüthigen will.


Kapitel 18 - Von den Beispielen der heiligen Väter.


1. Schaue die lebendigen Beispiele der heiligen Väter an, in denen die wahre Vollkommenheit und Frömmigkeit hervorglänzte, und du wirst sehen, wie gering ist und fast nichts, was wir thun. Ach, was ist unser Leben, wenn es mit jenen verglichen wird! Die Heiligen und Freunde Christi haben dem Herrn gedient in Hunger und Durst, in Frost und Blöße, in Mühe und Arbeit, in Wachen und Fasten, in Gebet und heiligen Betrachtungen, in vielen Verfolgungen und allerlei Schmach. O wie viele und schwere Trübsale haben die Apostel, die Jungfrauen erduldet und alle die Andern, die Christi Fußtapfen nachwandeln wollten! Denn sie haßten ihre Seele in dieser Welt, damit sie dieselben für das ewige Leben besitzen möchten. O welch' ein strenges Leben voller Entsagungen führten die heiligen Väter in Einöden! Wie lange und schwere Versuchungen ertrugen sie! Wie vielfältig wurden sie von Feinden geplagt! Wie häufige und inbrünstige Gebete brachten sie Gott dar! Wie strenge Entsagungen übten sie! Welchen großen Eifer und welche Inbrunst bewahrten sie für ihr geistliches Wachsthum! Welch' tapfern Kampf zur Bändigung der Laster bestanden sie! Wie rein und gerade war die Richtung ihres Herzens zu Gott! Den Tag über arbeiteten sie und die Nächte brachten sie in anhaltendem Gebete zu, wiewohl sie auch während der Arbeit vom innerlichen Gebete keineswegs abließen.

2. All' ihre Zeit wendeten sie nützlich an; jede Stunde, die sie dem Dienste Gottes widmeten, schien ihnen kurz. Und vor großem Wohlgefallen am beschaulichen Leben vergaßen sie sogar das Bedürfniß leiblicher Erquickung. Sie entsagten allen Reichthümern, Würden und Ehren, Freunden und Verwandten; wollten nichts von der Welt haben; genossen kaum die Nothdurft des Lebens und be-dauerten, dem Körper auch nur aus Bedürfniß dienen zu müssen. So waren sie arm an irdischen Gütern, aber reich an Gnade und Tugenden. Aeußerlich darbten sie, innerlich aber wurden sie durch Gnade und göttlichen Trost erquickt.

3. Der Welt waren sie entfremdet, aber Gott die nächsten und vertrautesten Freunde. Sich selbst schienen sie gleichsam nichts und dieser Welt verächtlich; aber in den Augen Gottes waren sie köstlich und geliebt. Sie hielten sich in wahrer Demuth, lebten in einfältigem Gehorsam, wandelten in Liebe und Geduld und darum nahmen sie täglich im Geiste zu und fanden große Gnade bei Gott. Zum Vorbild sind sie gegeben allen Frommen und sie sollen uns mächtiger zum Eifer im Guten antreiben, als die Zahl der Launen uns zur Trägheit verführen.

4. O wie groß war der Eifer aller Ordensleute im Anfange ihrer heiligen Stiftung! O welche Andacht im Gebete! Welcher Wetteifer in der Tugend! Wie strenge die Zucht! Welche Ehrfurcht und welchen Gehorsam bewiesen alle gegen die Anordnungen des Meisters! Zeugnis legen noch jetzt ihre hinterlassenen Fuß-tapfen ab, daß es wahrhaft heilige und vollkommene Männer waren, die, so ritterlich kämpfend, die Welt überwanden. Jetzt wird einer schon für groß ge-halten, wenn er den Buchstaben des Gesetzes nicht übertritt; wenn er das Widrige, was ihm auferlegt ist, mit Geduld zu ertragen vermag.

5. O der Lauheit und Nachlässigkeit in unserem Berufe, daß wir so schnell ab-lassen von dem alten Eifer und daß uns das Leben selbst vor Erschlaffung und Lauheit fast zum Ekel wird. Daß doch der Eifer fortzuschreiten nicht gänzlich in dir schlummern möchte, der du so viele Beispiele gottseliger Menschen vor Augen hast!


Kapitel 19 - Von den Uebungen eines guten Ordensmannes.


1. Das Leben eines wahren Ordensmannes muß mit allen Tugenden geschmückt sein, daß er innerlich ganz so sei, wie er äußerlich den Menschen scheint. Ja, billig muß er innerlich noch weit mehr sein, als was man äußerlich an ihm wahr-nimmt; weil Gott uns durchschaut, den wir, wo wir auch sein mögen, auf's Höchste verehren und vor dessen Angesicht wir rein, wie die Engel, einher-wandeln sollen. Jeden Tag müssen wir unsern Vorsatz erneuern und uns zu innigem Eifer erwecken, als wenn wir erst heute zur Bekehrung gelangt wären und sprechen: Stehe mir bei, Herr, mein Gott, in meinem guten Vorsatz und in deinem heiligen Dienste und verleihe mir, heute einmal recht anzufangen, weil das, was ich bisher gethan, nichts ist.

2. Wie unser Vorsatz, so ist auch der Gang unserer Besserung, und wer im Guten zunehmen will, hat vielen Fleiß anzuwenden. Wenn selbst der oft unterliegt, dessen Vorsatz fest ist, wie wird es erst jenem ergehen, der selten oder weniger fest seinen Vorsatz erneuert? Auf verschiedene Weise aber geschieht die Uebertretung unseres Vorsatzes und eine leichte Unterlassung unserer Uebungen geht kaum ohne einigen Schaden vorüber. Der Gerechten Vorsatz ist mehr an die Gnade Gottes, als an eigene Weisheit gebunden, auf welchen sie auch, was sie immer vornehmen mögen, stets ihr Vertrauen setzen. Denn der Mensch denkt's, Gott aber lenkt's, und sein Weg ist nicht in des Menschen Gewalt.

3. Wenn aus frommer Absicht oder um den Nächsten nützlich zu werden, einmal die gewohnte Uebung unterlassen wird, so kann dieß später leicht wieder eingebracht werden; wenn dieselbe aber aus innerlichem Ueberdruß oder aus Nachlässigkeit leichtfertig aufgegeben wird, so ist es sehr strafbar und man wird den Schaden bald fühlen. Mögen wir aber auch thun, was in unsern Kräften steht, wir werden dessen ungeachtet noch in vielen Stücken fehlen. Doch müssen wir uns immer etwas Bestimmtes vorsetzen und vornehmlich gegen das was uns am meisten hinderlich ist. Unser Aeußeres und Inneres müssen wir mit gleicher Sorgfalt prüfen und ordnen, weil Beides das Fortschreiten im Guten befördert.

4. Wenn du dich auch nicht anhaltend zu sammeln vermagst, so thu' es wenigstens zuweilen, und mindestens zweimal des Tages, nämlich Morgens und Abends. Am Morgen faße einen Vorsatz; Abends prüfe dein Betragen, wie du den Tag über gewesen in Worten, Werken und Gedanken; denn damit hast du vielleicht öfters Gott und den Nächsten beleidigt. Waffne dich, wie ein Mann, gegen die Nachstellungen des Satans; bezähme den Gaumen und du wirst jegliche Reizung des Fleisches leichter zügeln. Sei niemals ganz müssig, sondern lies oder schreib oder bete oder betrachte oder arbeite etwas zum allgemeinen Nutzen. Körperliche Uebungen müssen jedoch mit Vorsicht und nicht von Allen auf gleiche Weise vorgenommen werden.

5. Was nicht gemeinsam ist, soll man nicht öffentlich verrichten; denn das Eigene wird sicherer im Geheimen abgethan. Hüte dich jedoch, daß du nicht träge seiest zu dem Allgemeinen und bereitwilliger zu dem Eigenen; sondern nur dann, wenn du deine Schuldigkeit und Obliegenheit ganz und treu erfüllt hast, und wenn dir darüber hinaus noch freie Zeit bleibt, überlasse dich dir selbst, wie es deine Andacht verlangt. Es können nicht alle ein' und dieselbe Uebung haben, sondern die eine ist diesem, die andere jenem mehr zugänglich. Eben so treibe man nach den Verhältnissen der Zeit verschiedene Uebungen; denn einige taugen mehr an Festen, andere mehr an Werktagen. Anderer bedürfen wir zur Zeit der Ver-suchung, wieder anderer in den Tagen des Friedens und der Ruhe. An Manches denken wir lieber, wenn wir traurig und wieder an Manches, wenn wir in dem Herrn fröhlich sind.

6. Während der hohen Feste sollen wir gute Uebungen erneuern, und die Heiligen inbrünstiger um ihre Fürbitte anrufen. Von einem Feste zum andern müssen wir uns mit dem Gedanken beschäftigen, als ob wir dann aus dieser Welt wandern und zu dem ewigen Feste gelangen würden. Deßwegen müssen wir uns auf diese gottgeweihten Tage mit aller Sorgfalt vorbereiten und dieselben andächtiger zubringen und jede Vorschrift desto strenger beobachten, als wenn wir in Kurzem den Lohn unserer Arbeit von Gott empfangen würden.

7. Und wenn die Zeit unseres Hingangs noch verschoben wird, so wollen wir glauben, daß wir noch nicht genug vorbereitet und noch nicht würdig genug seien, so großer Herrlichkeit, die seiner Zeit an uns soll geoffenbaret werden und bemüht sein, uns besser auf den Ausgang vorzubereiten. “Selig ist der Knecht,“ sagt Jesus beim Lukas (Kap. 12, 43,44), “welchen der Herr, wenn er kommt, wachend findet! Wahrlich, ich sage euch, er wird ihn über alle seine Güter setzen.“


Kapitel 20 - Von der Liebe und Einsamkeit des Schweigens.


1. Suche eine bequeme Zeit, dich mit dir selbst zu beschäftigen und erwäge oftmals die Wohlthaten Gottes. Meide, was blos die Neugier befriedigt. Lies solche Sachen, welche mehr das Herz zerknirschen, als Unterhaltung gewähren. Wenn du dich dem überflüssigen Geschwätze und müssen Umherlaufen, sowie dem Anhören von Neuigkeiten und Gerüchten entziehest, so wirst du hinreichend und schickliche Zeit finden, heilsamen Betrachtungen obzuliegen. Die größten Heiligen mieden, wo sie es konnten, die Gesellschaft der Menschen und zogen es vor, Gott im Verborgenen zu dienen.

2. Es hat Jemand (Seneca Brief 7.) gesagt: „So oft ich unter Menschen gewesen bin, war ich beim Heimgehen weniger Mensch.“ Dieß erfahren wir öfters, wenn wir lange plaudern. Es ist leichter ganz zu schweigen, als im Reden das rechte Maß zu treffen. Es ist leichter, daheim verborgen zu bleiben, als sich draußen genug in Acht zu nehmen. Wer daher zum Innerlichen und Geistigen gelangen will, der muß sich mit Jesu von dem großen Haufen entfernen. Niemand tritt sicher hervor, als wer gern verborgen lebt. Niemand redet sicher, als wer gerne schweigt. Niemand steht sicher vor, als wer gern untergeben ist. Niemand befiehlt sicher, als wer wohl zu gehorchen gelernt hat.

3. Niemand freuet sich sicher, als wer das Zeugniß eines guten Gewissens in sich hat. Immer jedoch war die Sicherheit der Heiligen voll Gottesfurcht. Und deßhalb waren sie nicht minder bekümmert und demüthig in sich, ob gleich sie durch große Tugenden und Gnade hervorleuchteten. Die Sicherheit der Gottlosen aber entspringt aus Stolz und Vermessenheit und verkehrt sich am Ende in Selbstbetrug. Versprich dir niemals Sicherheit in diesem Leben, wenn du auch ein guter Ordensmann oder frommer Einsiedler zu sein scheinst.

4. Oft sind gerade die, nach dem Urtheile der Menschen, Besseren wegen ihres allzugroßen Selbstvertrauens in desto größere Gefahr geraten. Daher ist es vielen heilsamer, daß sie der Versuchungen nicht ganz ermangeln, sondern öfters angefochten werden, damit sie nicht allzu sicher seien, damit sie sich nicht etwa in Stolz erheben, noch auch zu äußern Tröstungen sich allzufrei hinneigen. O, wer niemals vergängliche Freude suchte; wer niemals mit der Welt sich einließe: welch ein gutes Gewissen würde der bewahren! O, wer alle eitle Sorge verbannte und nur an heilsame und göttliche Dinge dächte und seine ganze Hoffnung auf Gott setzte: welche Fülle des Friedens und der Ruhe würde der besitzen!

5. Niemand ist himmlischen Trostes würdig, als wer sich fleißig geübt hat in heiliger Zerknirschung. Wenn du bis ins innerste Herz zerknirscht werden willst, so geh' in dein Kämmerlein und verschließ es dem Geräusche der Welt, wie geschrieben steht: “In euren Kammern sollt ihr zerknirscht werden.“ In deiner Kammer wirst du finden, was du draußen oft verlierst. In deiner Klause bleiben, macht je länger, je mehr Vergnügen; je weniger, je mehr Unlust. Wenn du dich gleich beim Anfang deiner Bekehrung an sie gewöhnst, so wird sie dir später eine geliebte Freundin und der angenehmste Trost sein.

6. Bei Stillschweigen und Ruhe kommt eine andächtige Seele vorwärts und lernt die Geheimnisse der Schrift. Da findet sie Thränenbäche, in denen sie jede Nacht wäscht und reinigt, daß sie mit ihrem Schöpfer um so vertrauter werde, je entfernter sie von allem Geräusche der Welt lebt. Wer sich also von Bekannten und Freunden abzieht, dem wird Gott mit den heiligen Engeln sich nähern. Es ist besser verborgen zu sein und für sich zu sorgen, als mit Vernachlässigung seiner selbst Wunder zu thun. Es ist löblich für einen Ordensmann, selten auszugehen, sich nicht gern sehen zu lassen, noch andere Menschen sehen zu wollen.

7. Warum willst du sehen, was dir nicht erlaubt ist, zu haben? “Die Welt vergeht mit ihrer Lust.“. (1. Joh. 22,12.) Die Gelüste der Sinnlichkeit ziehen dich zum Ausgehen; aber wenn die Stunde vorüber ist: was wirst du zurückbringen, als ein beschwertes Gewissen und ein zerstreutes Herz? Ein fröhlicher Ausgang bringt oft eine traurige Heimkehr, ein fröhlicher Abend oft einen traurigen Morgen. So geht jede sinnliche Freude schmeichelnd ein, aber am Ende nagt und tödtet sie. Was kannst du anderwärts sehen, das du daheim nicht siehest? Himmel und Erde und alle Elemente sind vor dir, und daraus ist Alles gemacht.

8. Was kannst du irgendwo sehen, das unter der Sonne lange bestehen kann? Du glaubst vielleicht gesättigt zu werden, du wirst aber deine Absicht nicht erreichen. Wenn du auch alle Dinge auf Erden sähest; was wäre es anders als ein eitles Gesicht? Hebe deine Augen zu Gott in der Höhe, und bete für deine Sünden und Vernachlässigungen! Laß das Eitle den Eiteln; du aber richte dein Augenmerk auf das, was Gott dir geboten hat. Schließe hinter dir deine Thüre zu und rufe Jesum, deinen Geliebten, zu dir. Bleibe mit ihm in deinem Kämmerlein, denn nirgends wirst du solchen Frieden finden. Wärst du nicht ausgegangen und hättest du keines von den Gerüchten gehört: so wärest du besser in gutem Frieden geblieben. Seitdem es dich freut, zuweilen Neuigkeiten zu hören, seit-dem hast du auch Herzensunruhe zu leiden.


Kapitel 21 - Von der Zerknirschung des Herzens.


1. Wenn du im Guten etwas vorwärts kommen willst, so erhalte dich in der Furcht Gottes und sei nicht allzu frei, halte viel mehr alle deine Sinne unter der Zucht und überlaß dich nicht unziemlicher Freude. Gib dich der Zerknirschung des Herzens hin und du wirst Andacht finden. Die Zerknirschung gewährt viel Gutes, das durch Zügellosigkeit schnell wieder verloren geht. Es ist zu verwundern, da der Mensch, der sein Elend und so viele Gefahren seiner Seele betrachtet und erwägt, in diesem Leben jemals recht froh werden kann.

2. Wegen des Leichtsinns des Herzens und der Unachtsamkeit auf unsere Fehler fühlen wir nicht die Schmerzen unserer Seele, sondern lachen oft thöricht, wo wir mit Recht weinen sollten. Es gibt keine wahre Freiheit und keine rechte Freude, außer in der Furcht Gottes und einem guten Gewissen. Glücklich ist, wer jede hinderliche Zerstreuung abwerfen und sich sammeln kann zur heiligen Zer-knirschung. Glücklich, wer sich von Allem lossagt, was sein Gewissen beflecken oder beschweren kann. Kämpfe männlich: Gewohnheit wird durch Gewohnheit besiegt. Wenn du die Leute gehen zu lassen weißt, so werden sie dich wohl auch deine Sache thun lassen.

3. Reiß nicht an dich, was Andere angeht und verwickle dich nicht in die Händel der Großen. Habe dein Augenmerk immer zuerst auf dich und ermahne insbe-sondere dich selbst vor Allen, die dir lieb sind. Wenn du die Gunst der Menschen nicht hast, so betrübe dich nicht darüber; das aber sei dir drückend, daß du nicht so gut und vorsichtig bist, als es sich für einen Diener Gottes und für einen frommen Christen geziemt. Es ist oft nützlicher und sicherer, daß der Mensch in diesem Leben nicht viele Tröstungen habe, besonders dem Fleische nach. Daß wir jedoch die göttlichen Tröstungen nicht haben oder seltener empfinden, ist unsere Schuld, weil wir die Zerknirschung des Herzens nicht suchen und die eiteln und äußerlichen nicht gänzlich von uns werfen.

4. Erkenne, daß du des göttlichen Trostes nicht würdig bist, wohl aber vieler Trübsal. Wenn der Mensch wahrhaft zerknirscht ist, dann ist ihm die ganze Welt lästig und bitter. Der gute Mensch findet hinlänglich Ursache zu trauern und zu weinen; denn er mag sich selbst betrachten oder seinen Nächsten ansehen, so erfährt er, daß hienieden Niemand ohne Trübsal lebt. Und je gründlicher er sich selbst betrachtet, um so tiefer ist sein Schmerz. Ursachen gerechten Schmerzes und innerlichster Zerknirschung sind unsere Sünden und Fehler, in denen wir so verstrickt liegen, daß wir selten das Himmlische zu betrachten vermögen.

5. Wenn du häufiger an deinen Tod, als an die Länge deines Lebens dächtest, so würdest du ohne Zweifel ernstlicher an deiner Besserung arbeiten. Nähmest du auch die zukünftigen Strafen der Hölle oder des Fegfeuers zu Herzen, ich glau-be, du würdest gern Arbeit und Schmerz ertragen und keine Sorge scheuen. Weil uns aber jene Dinge nicht zu Herzen gehen und wir die Schmeicheleien der Sinne doch lieben, darum bleiben wir kalt und sehr lässig.

6. Oft ist es Geistesschwäche, weßhalb sich der elende Leib so leicht beklagt. Darum rufe zum Herrn in Demuth, daß er dir gebe den Geist der Zerknirschung und sprich mit dem Propheten: “Speise mich, o Herr, mit Thränenbrot, und tränke mich mit Thränen in Fülle.“


Kapitel 22 - Von der Betrachtung des menschlichen Elends.


1. Elend bist du, wo du auch sein und wohin du dich auch wenden magst, wofern du dich nicht zu Gott kehrst. Warum beunruhigst du dich, weil es dir nicht nach Wunsch und Willen geht? Wer ist’s, der Alles nach seinem Willen hat? Weder ich noch du, noch einer der Sterblichen auf Erden. Niemand in der Welt ist ganz ohne Trübsal und Klage, er sei König oder Papst. Wer ist’s, der es besser hat? Sicherlich der, der um Gottes willen etwas zu leiden vermag.

2. Es sagen viele Schwache und Unverständige: Siehe, was für ein gutes Leben hat jener Mensch; wie reich, wie groß, wie mächtig und hoch ist er! Aber schaue auf die himmlischen Güter und du wirst finden, daß alle jene zeitlichen keine Güter, sondern etwas sehr Ungewisses und mehr eine Last sind, weil man sie niemals ohne Furcht und Sorge besitzen kann. Das wahre Glück des Menschen besteht nicht darin, daß er zeitliche Güter in Ueberfluß habe, sondern ein mittelmäßiger Theil genügt ihm. Fürwahr, es ist ein Elend, auf Erden zu leben! Je geistiger der Mensch sein will, desto bitterer wird ihm das gegenwärtige Leben, weil er die Gebrechen menschlicher Verdorbenheit tiefer empfindet und besser einsieht. Denn essen, trinken, wachen, schlafen, arbeiten, rasten und den übri-gen Bedürfnissen der Natur unterworfen sein, ist in der That ein großes Elend und Kreuz für den Gottseligen, der gern losgebunden und frei von aller Sünde sein möchte.

3. Denn der innere Mensch wird in dieser Welt durch die Bedürfnisse des Leibes sehr beschwert. Darum fleht der Prophet inbrünstig, daß er von ihnen befreit sein möge, indem er spricht: “Herr, errette mich aus meinen Nöthen!“ (Ps. 24,17.) Wehe aber denen, die ihr Elend nicht erkennen und noch mehr wehe denen, die dieses elende und gebrechliche Leben lieb haben! Denn einige, ob sie gleich durch Arbeit oder Betteln kaum die Nothdurft haben, hangen so an diesem Leben, daß sie sich um das Reich Gottes gar nicht kümmern würden, wenn sie nur immer leben könnten.

4. O der thörichten und ungläubigen Herzen, die so tief in das Irdische versunken sind, daß sie für Nichts, als für das Fleischliche Sinn haben! Aber die Unglück-lichen werden am Ende noch schwer fühlen, wie gering und nicht das war, was sie so heiß liebten. Die Heiligen Gottes jedoch und alle Freunde Christi achteten nicht auf das, was dem Fleische gefiel oder in dieser Zeit in Blüthe stand, sondern ihr ganzes Hoffen und Trachten war auf die ewigen Güter gerichtet. Aufwärts ging all ihr Verlangen nach dem Bleibenden und Unsichtbaren, damit sie nicht durch die Liebe zum Sichtbaren herabgezogen würden zu dem, was drunten ist. Mein Bruder, laß nicht fahren die Hoffnung, daß auch du zum Geisti-gen fortschreiten werdest; noch hast du Zeit und Stunde.

5. Warum willst du deinen Vorsatz auf morgen verschieben? Auf! Und mache den Anfang sogleich und sprich: Jetzt ist es Zeit zu handeln; jetzt ist es Zeit zu kämpfen; jetzt ist es die gelegenste Zeit, mich zu bessern! Wenn es dir übel geht und du von Trübsal heimgesucht wirst, dann ist es Zeit, vorwärts zu kommen. Du mußt durch Feuer und Wasser gehen, bevor du zur Erquickung kommst. Thust du dir nicht Gewalt an, wirst du der Sünde nicht Meister. So lange wir diesen gebrechlichen Leib tragen, können wir nicht ohne Sünde sein, noch ohne Verdruß und Schmerz leben. Wohl hätten wir gern vor allem Elend Ruhe; aber weil wir durch Sünde die Unschuld verloren haben, sind wir auch der wahren Seligkeit verlustig geworden. Darum müssen wir Geduld haben und auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen, bis dieses Ungemach vorüber gehe und der Tod vom Leben verschlungen werde.

6. Ach wie groß ist die menschliche Gebrechlichkeit, die immer zur Sünde geneigt ist! Heute beichtest du deine Sünden und morgen thust du wieder, was du gebeichtet hast. Jetzt nimmst du dir vor, auf der Hut zu sein und in der nächsten Stunde handelst du, als ob du keinen Vorsatz gefaßt hättest. Mit Recht also sollen wir uns demüthigen und niemals etwas Großes von uns denken, weil wir so gebrechlich und unbeständig sind. Ach kann durch Nachlässigkeit schnell verloren gehen, was mit vieler Mühe durch Gnade endlich kaum erlangt worden ist!

7. Was wird am Ende noch mit uns werden, wenn wir so früh schon erkalten! Wehe uns, wenn wir so zur Ruhe hinneigen wollen, als ob bereits Friede und Sicherheit wäre, ungeachtet noch keine Spur wahrer Heiligkeit in unserem Wandel sich zeigt. Es wäre wohl nothwendig, daß wir uns, wie Neulinge, noch einmal zu besseren Sitten anleiten ließen, ob vielleicht noch Hoffnung wäre für künftige Besserung und größeres Wachsthum im geistigen Leben.


Kapitel 23 - Von der Betrachtung des Todes.


1. Sehr bald wird es hienieden um dich geschehen sein. Darum siehe zu, wie es mit dir steht! Heute ist der Mensch, und morgen ist er dahin! Wenn er aber den Augen entrückt ist, ist er auch bald aus dem Sinn! O der Gefühllosigkeit und Härte des menschlichen Herzens, das allein auf das Gegenwärtige sinnt und nicht vielmehr auf das Zukünftige hinausblickt! So solltest du dich in all deinem Thun und Denken verhalten, als ob du heute sterben würdest. Wenn du ein gutes Gewissen hättest, so würdest du den Tod nicht sonderlich fürchten. Besser wäre es, Sünde meiden, als den Tod fliehen. Bist du heute nicht bereit, wie wirst du es morgen thun? Das Morgen ist ungewiß und weißt du denn, ob du ein Morgen haben wirst?

2. Was nützt es, lange zu leben, wenn wir so wenig besser werden? Ach, ein langes Leben führt nicht immer zur Besserung, sondern oft vermehrt es nur die Schuld. O hätten wir doch nur einen Tag recht gelebt in dieser Welt! Viele berechnen die Jahre nach ihrer Bekehrung, aber oft ist die Frucht der Besserung nur gering. Wenn es furchtbar ist, zu sterben, so ist es vielleicht noch viel gefährlicher, zu leben. Wohl dem, der seine Todesstunde immer vor Augen hat und täglich zum Sterben sich rüstet. Wenn du einmal einen Menschen sterben siehst, so denke, daß auch du denselben Weg gehen wirst.

3. Wenn es Morgen wird, so glaube, du werdest den Abend nicht mehr erleben; ist es aber Abend geworden, so wage es nicht, dir noch den Morgen zu versprechen. Sei also stets bereit und lebe so, daß der Tod dich niemals unvorbereitet finde. Viele sterben plötzlich und unvermuthet; “denn des Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde, da man es nicht meint.“ (Matth. 24,44.) Wenn jene letzte Stunde gekommen sein wird, wirst du über dein vergangenes Leben viel anders zu denken anfangen, und tiefen Schmerz fühlen, daß du so nachlässig und träge gewesen bist.

4. Wie klug und glücklich ist der, der jetzt so zu leben strebt, wie er wünschen wird, gelebt zu haben, wenn er stirbt! Denn was dir große Zuversicht geben wird, selig zu sterben, ist: vollkommene Verachtung der Welt, glühender Tugendeifer, Liebe zur Zucht, strenge Buße, williger Gehorsam, Selbstverleugnung und standhafte Geduld in allen Widerwärtigkeiten aus Liebe zu Christo. Viel Gutes kannst du wirken, so lange du gesund bist; was du aber auf dem Krankenlager vermögen wirst, weiß ich nicht. Wenige werden durch Krankheit gebessert, wie auch, die viel wallfahrten, selten heiliger werden.

5. Vertraue nicht auf Freunde und Verwandte und verschiebe dein Heil nicht auf die Zukunft; denn die Menschen werden deiner schneller vergessen, als du meinst. Besser ist’s, bei Zeiten sich vorsehen und Gutes thun, als auf Anderer Hülfe warten. Wenn du jetzt nicht für dich selbst sorgest, wer wird in der Zukunft für dich sorgen? Jetzt ist die köstlichste Zeit; jetzt ist die Zeit des Heiles, die angenehme Zeit.“ (2. Kor. 6,2.) Aber wehe, daß du sie nicht nützlicher anwendest und Schätze für das ewige Leben sammelst! Es wird die Zeit kommen, daß du noch einen Tag, ja nur Eine Stunde zur Besserung wünschen wirst; aber ich weiß nicht, ob du sie erlangen werdest!

6. Ei, du geliebter Bruder, sieh doch, aus wie großer Gefahr du dich befreien, wie großer Furcht du dich entreißen könntest, wenn du stets an den Tod dächtest und seinetwegen in Sorge wärest. Bemühe dich, jetzt so zu leben, daß du dich in der Todesstunde vielmehr freuen, als fürchten mögest. Lerne jetzt der Welt absterben, daß du dann anfangest, mit Christo zu leben. Lerne jetzt Alles ver-achten, damit du dann frei zu Christo gehen kannst. Jetzt zähme deinen Leib durch Buße, auf daß du dann gewisse Hoffnung haben mögest.

7. O Thor, was kannst du lange zu leben meinen, da du keinen Tag vor dem Tode sicher bist? Wie Viele, die lange zu leben hofften, sind betrogen und unerwartet aus diesem Leben hinweggerafft worden! Wie oft hast du schon erzählen hören, daß dieser durch das Schwert gefallen, jener ertrunken sei, daß der durch einen Sturz von der Höhe den Hals brach, jener bei Tisch erstarrte, und der beim Spiel sein Ende fand! Einer kam durch Feuer, ein Anderer im Kriege, Einer bei der Pest und ein Anderer durch Meuchelmord um. Und so ist Aller Ende der Tod; und das Leben der Menschen gehet schnell vorüber, wie ein Schatten!

8. Wer wird deiner nach dem Tode gedenken oder für dich beten? Auf, auf denn, mein geliebter Bruder, jetzt wirke, so viel du vermagst; denn du weißt nicht, wann du sterben wirst, noch was dir nach dem Tode bevorsteht. Weil es noch Zeit ist, sammle dir Schätze, die nicht vergehen. Nur an dein Heil denke, an sonst nichts; nur was Gottes ist, sei deine Sorge! Jetzt mache dir die Heiligen Gottes dadurch zu Freunden, daß du sie verehrest und ihre Tugenden nachahmst, damit sie dich, wenn du abscheidest aus diesem Leben, aufnehmen in die ewigen Hütten.

9. Sieh dich gleichsam für einen Gast und Pilger auf Erden an, den die Händel der Welt nichts angehen. Erhalte dein Herz frei und aufwärts zu Gott gerichtet; denn du hast hier keine bleibende Stätte. Dorthin schicke täglich deine Seufzer und Gebete mit Thränen, auf daß deine Seele würdig sei, nach dem Tode zum Herrn selig heimzugehen. Amen.


Kapitel 24 - Vom jüngsten Gericht und von den Strafen der Sünde.


1. In allen Dingen bedenke das Ende und wie du vor dem strengen Richter bestehen werdest, dem nichts verborgen ist, der sich weder durch Geschenke besänftigen läßt, noch Entschuldigungen annimmt, sondern, wie es gerecht ist, richten wird. O du bejammernswerther und thörichter Sünder, was wirst du Gott antworten, der alle deine Missethaten weiß, du, der du schon den Blick eines zornigen Menschen fürchtest? Warum siehest du dich nicht vor auf den Tag des Gerichts, wo Niemand durch einen Andern entschuldigt oder vertheidigt werden kann, sondern Jeder selbst an seiner Schuldlast genug zu tragen haben wird? Jetzt noch ist dein Arbeit nicht ohne reiche Frucht, dein Weinen angenehm, dein Seufzen erhörlich, dein Bußschmerz sühnend und reinigend.

2. Ein großes und heilbringendes Reinigungsfeuer hat der geduldige Mensch, der, wenn er Unrecht leidet, sich mehr kränkt über des Andern Bosheit, als über das ihm widerfahrene Unrecht; der für seine Widersacher gern betet und ihnen von Herzen ihre Schuld vergibt; der nicht säumet, die von ihm Beleidigten um Verzeihung zu bitten; der sich leichter erbarmt, als zürnet; der sich selbst oft Gewalt anthut und das Fleisch unter das Joch des Geistes zu bringen sucht. Es ist besser, sich jetzt schon von Sünden zu reinigen, als sie für die Zukunft zur Reinigung aufzusparen. Wahrlich, wir betrügen uns selbst durch die unordent-liche Liebe, die wir zum Fleische haben!

3. Was Anderes wird jenes Feuer verzehren, als deine Sünden? Je mehr du jetzt dich selbst schonest, und dem Fleische folgest, desto härter wirst du nachmals büssen müssen und um so reichern Stoff zum Verbrennen sparest du auf. Worin der Mensch mehr gesündigt hat, darin wird er auch schärfer bestraft werden. Dort werden die Trägen mit glühenden Stacheln angespornt und die Schlemmer mit untilgbarem Durst und Hunger gepeinigt: dort die Schwelger und Wollüstlinge mit siedendem Pech und stinkendem Schwefel übergossen und die Neidischen von ewigen Schmerzen über Anderer Glück gefoltert werden.

4. Es ist kein Laster, das nicht seine eigene Marter haben wird. Dort werden die Hoffärtigen mit jeglicher Schmach bedeckt und die Geizigen mit der bittersten Armuth geängstiget werden. Dort wird eine Stunde mehr Pein haben, als hier hundert Bußjahre. Dort ist keine Ruhe, kein Trost für die Verdammten; hier ruht man doch bisweilen von den Mühen aus und genießt den Zuspruch der Freunde. Sei nur bekümmert und betrübt um deine Sünden, auf daß du am Tage des Gerichts mit den Seligen geborgen seiest. Denn dann werden die Gerechten mit großer Freudigkeit stehen vor denen, die sie geängstiget und gedrückt haben. Dann wird als Richter stehen, wer sich hier den Gerichten der Menschen in Demuth unterwarf. Dann wird große Zuversicht haben der Arme und Demüthige und allenthalben sich ängstigen der Stolze.

5. Ja, dann wird man erkennen, daß der weise gewesen in dieser Welt, der gelernt, um Christi willen als ein Thor verachtet zu sein. Dann wird jede mit Geduld ertragene Trübsal wohlgefallen und alle Bosheit wird verstummen. Dann wird frohlocken jeder Fromme, und voll Trauerns sein, wer gottlos war. Dann wird, wer sein Fleisch hier gekreuzigt hat, mehr Freude ernten, als wenn er es immer in Lüsten genährt hätte. Dann wird glänzen der unscheinbare Kittel, und das kostbare Prunkgewand den Schein verlieren. Dann wird die ärmliche Hütte mehr gepriesen werden, als der goldstrahlende Palast. Dann wird standhafte Geduld größern Gewinn bringen, als alle Macht der Welt. Dann wird einfältiger Gehorsam höher gestellt werden, als alle weltliche List.

6. Dann wird das reine und gute Gewissen mehr Freude gewähren, als alle Weltweisheit der Gelehrten. Dann wird die Verachtung der Reichthümer mehr Gewicht haben, als alle Schätze der Erdbewohner. Dann wird dir ein andächtiges Gebet höhern Trost gewähren, als jetzt ein köstliches Mahl. Dann wirst du dich über beobachtetes Stillschweigen mehr freuen, als über langes Geschwätz. Dann werden gute Werke mehr gelten, als viele schöne Worte. Dann wird ein strenges Leben und eine harte Buße mehr gefallen, als alle weltliche Ergötzung. Lerne jetzt Geringes ertragen, daß du dann mit Schwerem verschont bleibest. Hier versuche zuerst, was du künftig vermagst. Wenn du jetzt so wenig zu ertragen vermagst, wie wirst du die ewige Pein ausstehen können? Macht dich jetzt ein geringes Leiden so ungeduldig, was wirst Du in der Hölle thun? Siehe, du kannst in der That nicht zweifache Freuden genießen, hier in der Welt dich ergötzen und hernach mit Christo herrschen.

7. Hättest du bis auf den heutigen Tag immer in Ehren und Vergnügungen gelebt, was würde das Alles dir genützt haben, wenn dich augenblicklich der Tod träfe? Alles also Eitelkeit, außer Gott lieben und ihm allein dienen. Denn wer Gott von ganzem Herzen liebt, der fürchtet weder Tod noch Strafe, weder Gericht, noch Hölle, weil die vollkommene Liebe den sichern Zutritt zu Gott verschafft. Wen aber die Sünde noch ergötzt, kein Wunder, wenn er Tod und Gericht fürchtet. Doch ist’s gut, daß, wenn dich die Liebe noch nicht von der Sünde zurückruft, wenigstens die Furcht vor der Hölle dich in Schrecken halte. Wer aber die Furcht Gottes hintansetzt, der wird nicht lange im Guten zu verharren vermögen, sondern um so schneller in die Stricke des Teufels fallen.


Kapitel 25 - Von der eifrigen Besserung unseres ganzen Lebens.


1. Sei wachsam und fleißig im Dienste Gottes und bedenke oft: wozu du ge-kommen bist und warum du die Welt verlassen hast? Ist’s nicht so, um Gott zu leben und ein geistiger Mensch zu werden? Sei also eifrig, hierin zu wachsen, weil du den Lohn deiner Anstrengungen in Kurzem empfangen wirst und dann wird Furcht oder Schmerz nicht weiter in deiner Nähe sein. Jetzt mußt du dich ein wenig anstrengen, aber bald wirst du große Ruhe, ja immerwährende Freude finden. Bist du treu und eifrig im Gutesthun gewesen, so wird Gott gewiß auch treu und reich im Vergeben sein. Festhalten mußt du die gute Hoffnung, daß du zur Siegespalme gelangen wirst, aber du darfst nicht allzu sicher sein, damit du nicht lässig oder übermüthig werdest. Als Einer oftmals ängstlich zwischen Furcht und Hoffnung umher schwankte und eines Tages in tiefem Herzenskummer sich betend vor dem Altar in der Kirche niedergeworfen hatte, dachte er so bei sich und sprach: O wenn ich nur wüßte, daß ich bis an’s Ende beständig bleiben würde! Alsbald vernahm er innerlich die Antwort Gottes: Und wenn du das nun wüßtest, was wolltest du dann thun? Thue jetzt, was du dann thun wolltest und du wirst vollkommen ruhig werden. So getröstet und gestärkt gab er sich Gott hin und das ängstliche Schwanken hörte auf. Nun wollte er nicht mehr vorwitzig nachforschen, um zu wissen, was ihm künftig begegnen möchte, sondern bemühte sich eifriger, zu erfahren, was Gottes wohlgefälliger und vollkommener Wille sei, um alles Gute darnach einzufangen und zu vollbringen.

2. “Hoffe auf den Herrn und thue Gutes“, sagt der Prophet, und bleibe im Lande und nähre dich von seinen Schätzen.“ (Ps. 36,3.) Eines ist, was Viele vom Fortschreiten und von ernstlicher Besserung abhält: die Furcht vor der Schwierig-keit oder die Mühe des Kampfes. Zuverlässig aber nehmen die am meisten und vor allen Andern an Tugenden zu, welche das, was ihnen besonders schwer und zuwider ist, am beharrlichsten zu überwinden suchen. Denn da wächst der Mensch am schnellsten im Guten und verdient reichlichere Gnaden, wo er sich selbst mehr besiegt und im Geiste ertödtet.

3. Aber nicht Alle haben gleich viel zu überwinden und zu ertödten; doch wird es der begeisterte Kämpfer weiter bringen, wenn er auch mehr Leidenschaften hat, als ein Anderer, der wohlgesittet, aber für Tugenden weniger begeistert ist. Zwei Mittel wirken hauptsächlich zu größerer Besserung; nämlich, daß man mit aller Gewalt sich dem entzieht, wozu die Natur sündhaft hinneigt und mit beharrlichem Eifer nach dem Guten strebt, dessen man mehr bedarf. Auch mußt du dich bestreben, dasjenige mehr zu meiden und zu überwinden, was dir an Andern besonders mißfällt.

4. Ueberall suche Anlaß, im Guten zu wachsen und wenn du Beispiele des Guten siehest oder hörest, so laß dich zur Nachahmung aneifern. Wenn du aber etwas Tadelnswerthes bemerkst, so hüte dich, es gleichfalls zu thun, oder hast du es schon einmal gethan, so bessere schnell deinen Fehler. Wenn dein Auge auf Andere sieht, so sehen Andere auch auf dich! Welch ein angenehmer und lieblicher Anblick ist es, eifrige und fromme, Zucht und Ordnung liebende Brüder zu sehen! Wie traurig und niederschlagend dagegen ist der Anblick solcher, die unordentlich wandeln, die das, wozu sie berufen sind, nachlässig betreiben. Wie schädlich ist es, den Zweck seines Berufes zu versäumen und den Sinn auf das zu richten, was uns nicht angeht!

5. Sei eingedenk des von dir gefaßten Vorsatzes und stelle dir das Bild des Gekreuzigten vor Augen! Wohl magst du dich schämen, wenn du das Leben Jesu Christi anschauest, weil du ihm noch nicht ähnlicher zu werden bestrebt warst, obwohl du schon lange den Weg Gottes betreten hast. Ein Ordensmann, der sich mit Fleiß und Andacht in dem heiligsten Leben und Leiden des Herrn übt, wird da im Ueberfluß Alles finden, was ihm nützlich und nothwendig ist und wird keine Ursache haben, außer Jesu etwas Besseres zu suchen. O wenn der gekreuzigte Jesus in unser Herz käme, wie schnell und reichlich wären wir gelehrt!

6. Ein eifriger Ordensmann trägt und faßt Alles wohl, was ihm auferlegt wird. Der Nachlässige und Laue hat Trübsal über Trübsal und leidet von allen Seiten Angst, weil er des innern Trostes ermangelt und den äußern nicht suchen darf. Ein Ordensmann, der ohne Zucht lebt, dem steht ein schwerer Fall bevor. Wer nur Freiheit und Bequemlichkeiten sucht, wird immer in Aengsten sein, weil bald das Eine, bald das Andere ihm mißfallen wird.

7. Wie machen es so viele andere Ordensleute, welche unter der klösterlichen Zucht sehr eingeschränkt sind? Sie gehen selten aus, leben abgeschieden, haben sehr ärmliche Kost und grobe Kleidung, arbeiten viel, sprechen wenig, lesen viel und halten sich in aller Zucht. Betrachte die Karthäuser, die Cister-cienser und die Mönche und Nonnen anderer Orden, wie sie jede Nacht aufstehen, um dem Herrn Psalmen zu singen! Deßwegen wär’ es schändlich, wenn du in einem so heiligen Werke träg sein wolltest, während eine so große Anzahl von Ordensleuten Gott Jubelgesänge anstimmt.

8. O daß uns nichts Anderes zu thun obläge, als den Herrn, unsern Gott, aus vollem Herzen und Munde zu loben! O daß du niemals essen, noch trinken, noch schlafen dürftest, sondern immer Gott loben und dich blos geistigen Beschäf-tigungen widmen könntest! Dann würdest du viel glücklicher sein, als jetzt, da du dem Fleische um irgend eines Bedürfnisses willen dienstbar bist. O daß doch diese Bedürfnisse gar nicht vorhanden wären, sondern blos geistige Erquickun-gen der Seele, die wir leider so selten genießen!

9. Wenn der Mensch dahin gekommen ist, daß er seinen Trost bei keiner Kreatur mehr sucht, dann erst beginnt er an Gott vollkommenes Wohlgefallen zu finden, dann wird er auch mit Allem, was sich ereignen mag, wohl zufrieden sein. Dann wird er weder durch Großes erfreut, noch durch Kleines betrübt, sondern er übergibt sich ganz und voll Vertrauen Gott, der ihm Alles in Allem ist, dem nichts verloren geht, noch stirbt, sondern dem Alles lebt und dessen Wink Alles dienen muß ohne Verzug.

10. Bedenke stets das Ende und daß verlorne Zeit nicht wiederkehrt. Ohne Fleiß und Eifer wird keine Tugend sein. Sobald du anfängst, lau zu werden, sobald fängt dein Elend an. Wenn du aber vor Eifer brennst, so wirst du großen Frieden finden und deine Last leichter tragen, durch Gottes Gnade und Liebe zur Tugend. Ein eifriger und fleißiger Mensch ist zu Allem bereit. Mehr Mühe macht’s, den Lastern und Leidenschaften Widerstand zu leisten, als im Schweiße des Ange-sichts körperliche Arbeiten zu verrichten. Wer geringe Fehler nicht vermeidet, fällt allmälig in größere. Du wirst dich stets am Abende freuen, wenn du den Tag fruchtbar vollbracht hast. Wache über dich selbst, ermuntere dich selbst, er-mahne dich selbst und wie es auch um Andere stehen mag, versäume dich nur selbst nicht. Gerade um so viel wirst du zunehmen, als du dir Gewalt anthust. Amen.

- Fortsetzung -