Thomas von Kempen:

Vier Bücher von der Nachfolge Christi


Die Textvorlage wurde freundlich zur Verfügung gestellt von www.glaubensstimme.de ( Andreas Janssen )


1. Buch


Kapitel 1 - Von der Nachfolge Christi und der Verachtung aller Eitelkeiten der Welt.


1. „Wer mir nachfolget, wandelt nicht in Finsterniß,“ (Joh. 8,12.) spricht der Herr. Dieß sind die Worte Christi, durch welche wir ermahnt werden, sein Leben und seinen Wandel nachzuahmen, wenn wir anders wahrhaft erleuchtet und von aller Blindheit des Herzens befreit werden wollen. Darum sei unser höchstes Bestre-ben, über das Leben Jesu Christi nachzudenken.

2. Die Lehre Jesu Christi übertrifft alle Lehren der Heiligen weit, und wer den Geist hätte, der fände darin verborgenes Manna. Es geschieht aber, daß Viele, so oft sie auch das Evangelium hören, doch wenig Verlangen darnach fühlen, weil sie den Geist Christi nicht haben. Wer aber die Worte Christi vollkommen verstehen und schmecken will, der muß bemüht sein, sein ganzes Leben ihm ähnlich zu machen.

3. Was frommt es dir, über die Dreieinigkeit hochgelehrt zu reden, wenn du der Demuth ermangelst, und deshalb der Dreieinigkeit mißfällst? Fürwahr! Hohe Worte machen nicht heilig und gerecht, aber ein tugendhaftes Leben macht Gott angenehm. Ich wünsche mehr, die Bußfertigkeit zu empfinden, als zu wissen, was sie sei. Wenn du die ganze Bibel auswendig wüßtest und die Sprüche aller Weisen; was nützte das Alles dir ohne Gottes Liebe und Gnade? Eitelkeit der Eitelkeiten, und Alles Eitelkeit, außer Gott lieben und Ihm allein dienen! Das ist die höchste Weisheit, die Welt verschmähen und nach dem Himmelreich trach-ten.

4. Eitelkeit ist es also, vergängliche Reichthümer suchen und auf sie seine Hoffnung setzen. Eitelkeit ist's auch, nach Ehrenstellen trachten und sich zu hohem Range empor schwingen. Eitelkeit ist es, den Lüsten des Fleisches folgen, und das begehren, was harte Züchtigung nach sich zieht. Eitelkeit ist's, ein langes Leben wünschen und um ein frommes Leben wenig besorgt sein. Eitelkeit ist's, dem gegenwärtigen Leben allein Aufmerksamkeit widmen und auf das zukünftige nicht Bedacht nehmen. Eitelkeit ist's, das lieben, was mit Blitzesschnelle vorübergeht und dorthin nicht eilen, wo ewige Freude wohnt.

5. Gedenke oft jenes Sprichwortes: “Das Auge siehet sich nimmer satt und das Ohr höret sich nimmer müde.“ (Pred. 1,8.) Bestrebe dich darum, dein Herz von der Liebe zum Sichtbaren abzuziehen und dich zum Unsichtbaren zu erheben. Denn die ihrer Sinnlichkeit folgen, beflecken ihr Gewissen und verlieren die Gnade Gottes.


Kapitel 2 - Von der Geringschätzung seiner selbst.


1. Jeder Mensch hat von Natur ein Verlangen nach Wissen: aber Wissenschaft ohne Gottesfurcht, was trägt sie ein? Besser ist in der That ein demüthiger Landmann, der Gott dienet, als ein stolzer Weltweiser, der den Lauf der Sterne betrachtet und dabei sich selber vernachlässiget. Wer sich selbst recht erkennt, der denkt gering von sich und findet kein Wohlgefallen an menschlichen Lob-sprüchen. Wenn ich alles in der Welt wüßte, und hätte die Liebe nicht: was hälfe es mir vor Gott, der mich nach meinem Thun richten wird?

2. Laß ab von allzugroßer Wißbegierde, denn es ist viel Zerstreuung und Betrug dabei. Die viel wissen, wollen gern glänzen und für Weise gehalten werden. Es gibt viele Dinge, deren Kenntniß der Seele wenig oder nichts frommt. Und sehr thöricht ist derjenige, welcher nach andern Dingen trachtet, als denen, die zu seinem Heile dienen. Viele Worte sättigen die Seele nicht, aber ein gottseliges Leben erquicket das Gemüth und ein reines Gewissen verleiht große Zuversicht auf Gott.

3. Je größer und gründlicher dein Wissen ist, desto strenger wirst du darnach gerichtet werden, wenn du nicht um so heiliger gelebt hast. Darum erhebe dich nicht wegen irgend einer Kunst oder Wissenschaft, sondern fürchte dich vielmehr der dir verliehenen Einsicht wegen. Wenn es dir scheint, du wissest viel und verstehest es gut genug; so sollst du doch wissen, daß es noch viel mehr Dinge gibt, die du nicht weißt. Thue nicht groß mit dem Wissen, sondern bekenne lieber deine Unwissenheit. - Was willst du dich über einen Andern erheben, da es so Viele gibt, die gelehrter und im Gesetz erfahrener sind, als du? Wenn du aber etwas Nützliches wissen und lernen willst, so lerne, gern unbekannt bleiben und für nichts gehalten werden.

4. Das ist die höchste und nützlichste Lebensaufgabe, sich selbst wahrhaft kennen und gering achten. Von sich selbst nichts halten und von Andern immer eine gute hohe Meinung haben, ist große Weisheit und Vollkommenheit. Wenn du auch einen Andern offenbar sündigen oder etwas Schweres verbrechen sähest; so dürftest du dich doch nicht für besser halten, dieweil du nicht weißt, wie lange du selbst im Guten beharren magst. Wir sind allzumal gebrechlich; du aber sollst Niemanden für gebrechlicher halten, als dich selbst.


Kapitel 3 - Von der Lehre der Wahrheit.


1. Wohl dem, den die Wahrheit durch sich selbst belehrt, nicht durch vergäng-liche Bilder und Worte, sondern so, wie sie ihrem Wesen nach ist. Unsere Meinung und unser Sinn täuschet uns oftmals und sieht gar wenig. Was fruchtet mühevolles Grübeln über verborgene und dunkle Dinge, um deren Willen wir am Tage des Gerichts nicht werden bestraft werden, weil wir sie nicht erkannt haben? O Thorheit über alle Thorheit, daß wir das, was uns nützlich und noth-wendig ist, vernachlässigen, und dafür so eifrig nach dem trachten, was blos die Neugierde reizt und dabei noch Schaden bringt? Ach, wir haben Augen und sehen nicht!

2. Und was kümmern uns die Gattungen und Arten der Dinge? Zu wem das ewige Wort redet, der wird frei von vielen Meinungen. Durch Ein Wort sind alle Dinge, und dieses Eine Wort verkündigen sie insgesammt. Das ist das Urwort, der Anfang der Dinge, und das redet auch zu uns. (Joh. 8,25.) Niemand kommt ohne dasselbe zur Einsicht oder zu richtigem Urtheil. Wem Alles Eines ist, und wer Alles auf Eines bezieht und in dem Einen Alles erblickt, der kann fest im Herzen sein und Frieden in Gott haben. Gott, Urquell der Wahrheit, mache mich eins mit dir in ewiger Liebe! Oft eckelt mich vielerlei zu lesen und zu hören; in dir ist Alles, was ich will und begehre. Schweigen sollen alle Gelehrten, verstummen alle Kreaturen vor deinem Angesichte: du allein rede zu mir!

3. Je mehr ein Mensch mit sich selbst einig und im Innersten einfältig geworden ist, desto mehr und desto Höheres begreift er ohne Mühe; denn von oben herab empfängt er das Licht der Erkenntniß. Ein reiner, einfältiger und beständiger Geist wird nicht durch viele Geschäfte zerstreut, weil er Alles zur Ehre Gottes thut und in sich von allem Eigennutz frei zu sein strebt. Was hindert und belästiget dich mehr, als die unertödtete Begierde deines Herzens? Der Gute und Gottes-fürchtige ordnet zuerst in seinem Innern die Werke, die er äußerlich vollbringen soll. Sie reißen ihn auch nicht zu den Begierden seiner sündlichen Neigung hin, sondern er leitet sie selbst nach dem Gebote der Vernunft. Wer hat einen schweren Kampf zu bestehen, als der, welcher sich selbst besiegen will? Und das sollte unsere Lebensaufgabe sein, sich selbst zu besiegen, und täglich über sich selbst mehr Gewalt zu gewinnen und etwas im Guten zuzunehmen.

4. Alle Vollkommenheit in diesem Leben ist mit einer gewissen Unvollkommen-heit gepaart, und all' unser Forschen ist nicht ohne einige Dunkelheit. Demüthige Selbsterkenntniß ist ein weit sicherer Weg zu Gott, als tiefsinniges Grübeln in der Wissenschaft. Zwar ist die Wissenschaft nicht zu schmähen oder jede unschul-dige Kenntniß einer Sache, die an sich betrachtet gut und von Gott angeordnet ist; aber vorzuziehen ist immer ein gutes Gewissen und ein tugendhaftes Leben. Weil aber Viele sich mehr befleißigen, zu wissen, als tugendhaft zu leben, so irren sie oft und bringen fast keine oder nur geringe Frucht.

5. O wenn sie solchen Fleiß anwendeten, Laster auszurotten und Tugenden einzupflanzen, als Fragen aufzuwerfen: so würde nicht so viel Uebel und Aergerniß unter dem Volke, nicht so viel Zuchtlosigkeit in den Klöstern entstehen. - Gewiß am Tage des Gerichts wird man uns nicht fragen, was wir gelesen, sondern was wir gethan; nicht, wie schön wir gesprochen, sondern wie gottselig wir gelebt haben! Sage mir, wo sind nun alle jene Herren und Meister, die du gut kanntest, als sie noch lebten und durch ihre Gelehrsamkeit glänzten? - Schon besitzen Andere die Pfründen derselben, und ich weiß nicht, ob sie ihrer noch gedenken. Bei ihrem Leben schienen sie etwas zu sein; nun aber schweigt man von ihnen.

6. O wie schnell vergeht die Herrlichkeit der Welt! Möchte doch ihr Leben mit ihrer Wissenschaft übereingestimmt haben; dann hätten sie gut studirt und gelesen! Wie Viele in der Welt gehen durch eitles Wissen zu Grunde, weil sie sich wenig bekümmern, Gott zu dienen. Und weil sie lieber groß als demüthig sein wollen, darum werden sie in ihren Gedanken zu nichts. Wahrhaft groß ist, wer große Liebe hat. Wahrhaft groß ist, wer in sich klein ist und die höchsten Ehren für nichts achtet. Wahrhaft klug ist, wer alles Irdische für Koth achtet, damit er Christum gewinne. (Phil. 3,8.) Und wahrhaft wohlgelehrt ist, wer Gottes Willen thut und seinen eigenen Willen aufgibt.


Kapitel 4 - Von der Vorsichtigkeit im Handeln.


1. Nicht jedem Worte oder jeder Einflüsterung ist zu trauen, sondern vorsichtig und bedachtsam muß man die Sache vor Gott erwägen. Aber, o weh! Oft wird Böses leichter als Gutes von dem Andern geglaubt und gesagt; so schwach sind wir! Doch vollkommene Männer glauben nicht leicht Jedem, was er erzählt, weil sie die menschliche Schwachheit kennen, die zum Bösen geneigt ist und leicht in Worten fehlt.

2. Es ist große Weisheit, im Handeln nicht voreilig zu sein, noch hartnäckig auf seinem Kopfe zu bestehen. Hiezu gehört auch, nicht eines Jeden Worten zu glauben, noch das Gehörte oder Geglaubte alsbald weiter zu verbreiten. Mit einem weisen und gewissenhaften Manne halte Rath, und suche lieber Beleh-rung bei einem Besseren, als daß du deinem eigenen Dünkel folgest. Ein frommes Leben macht den Menschen weise vor Gott und erfahren in Vielem. Je demüthiger Einer in sich selber ist und je Gott ergebener, um so weiser und ruhiger wird er in Allem sein.


Kapitel 5 - Vom Lesen der heiligen Schrift.


1. Wahrheit ist in der heiligen Schrift zu suchen, nicht Beredtsamkeit. Die ganze heilige Schrift muß in demselben Geiste gelesen werden, in welchem sie verfaßt ist. Wir müssen in der heiligen Schrift mehr den Nutzen, als die Feinheit der Rede suchen. Wir sollen eben so gern die andächtigen und einfachen Bücher lesen, als die hohen und tiefsinnigen. Nimm keinen Anstoß an dem Ansehen des Schriftstellers, ob er von geringer oder großer Gelehrsamkeit war, sondern die Liebe der reinen Wahrheit treibe dich zum Besten an. Frage nicht, wer das gesagt habe, sondern merke auf, was gesagt wird.

2. Die Menschen vergehen, aber die Wahrheit des Herrn bleibet in Ewigkeit. Ohne Ansehen der Person redet Gott auf mancherlei Weise zu uns. Unser Vorwitz hindert uns oft beim Lesen der Schrift, indem wir verstehen und ergrü-beln wollen, woran wir einfach vorüber gehen sollten. Willst du Nutzen haben, so lies demüthig, einfältig und gläubig und begehre nie den Ruhm des Wissens. Frage gern und höre schweigend die Worte der Heiligen, und laß dir nicht miß-fallen die Gleichnisse der Alten, denn sie werden nicht ohne Absicht vorgetragen.


Kapitel 6 - Von den unordentlichen Neigungen.


1. So oft der Mensch etwas auf unordentliche Weise verlangt, wird er sogleich in sich unruhig. Der Stolze und der Geizige haben nimmer Ruhe, der Arme und im Geist Demüthige lebt in der Fülle des Friedens. Ein Mensch, der noch nicht vollkommen sich selbst abgestorben ist, wird schnell versucht und von kleinen und armseligen Dingen überwunden. Wer schwach im Geiste und in gewissem Sinne fleischlich und zum Sinnlichen geneigt ist, kann sich schwer von den irdischen Begierden gänzlich losmachen. Und deßhalb hat er oft Traurigkeit, wenn er sich etwas versagt; auch wird er leicht unwillig, wenn ihm Jemand wider-steht.

2. Wenn er aber erlangt hat, was er begehrte, so drückt ihn alsbald der Vorwurf seines Gewissens, weil er seiner Leidenschaft gefolgt ist, die ihm den Frieden nicht gibt, den er suchte. Also durch Widerstand gegen die Leidenschaften wird der wahre Friede des Herzens gefunden, nicht aber in ihrer Dienstbarkeit. Darum ist kein Friede in dem Herzen des Fleischlichen, keiner in dem, der dem Aeußer-lichen sich hingibt, sondern allein in dem inbrünstigen und geistlichen Menschen.


Kapitel 7 - Von Vermeidung eitler Hoffnung und Aufgeblasenheit.


1. Thöricht ist, wer seine Hoffnung auf Menschen oder auf Kreaturen setzt. Schäme dich nicht, aus Liebe zu Jesu Christo Andern zu dienen und in dieser Welt für arm angesehen zu werden. Traue nicht auf dich selbst, sondern gründe deine Hoffnung auf Gott. Thue, was du vermagst und Gott wird deinem guten Willen zu Hülfe kommen. Verlaß dich nicht auf deine Einsicht oder auf die Verschlagenheit irgend eines Sterblichen, sondern vielmehr auf die Gnade Gottes, die den Demüthigen aufhilft und die Hoffärtigen erniedriget.

2. Rühme dich nicht deiner Reichthümer, noch mächtiger Freunde, sondern Gottes, der Alles gibt, und sich Selbst überdieß dir geben will. Brüste dich nicht wegen der Größe oder Schönheit deines Leibes, welche durch eine geringe Krankheit zerstört und verunstaltet werden kann. Habe dein Wohlgefallen nicht an deiner Geschicklichkeit oder an deinen Geistesgaben, damit du Gott nicht mißfallest, dessen Alles ist, was du Gutes von Natur haben magst.

3. Halte dich nicht für besser als Andere, damit du nicht vielleicht vor Gott für schlechter gehalten werdest, welcher weiß, was in dem Menschen ist. Prahle nicht mit deinen guten Werken, denn Gottes Urtheile sind anders als die der Menschen; ihm mißfällt oft, was den Menschen gefällt. Wenn du wirklich etwas Gutes haben solltest, so glaube von Anderen noch Besseres, damit du die Demuth bewahrest. Es schadet nichts, wenn du Allen dich nachsetzest; aber es schadet viel, wenn du dich auch nur einem Einzigen vorziehest. Beständiger Friede ist mit den Demüthigen; im Herzen des Hochmüthigen aber ist Eifersucht und häufiger Unmuth.  


Kapitel 8 - Warnung vor allzu großer Vertraulichkeit.


1. “Offenbare dein Herz nicht Jedermann,“ (Sir. 8,29.) sondern mit einem Weisen und Gottesfürchtigen verhandle deine Sache. Mit jungen flatterhaften Leuten und solchen, die du nicht genau kennst, geh' selten um. Schmeichle nicht den Reichen, und erscheine nicht gern vor den Großen. Geselle dich zu den Demüthigen und Einfältigen, zu den Andächtigen und Sittsamen, und rede mit ihnen, was zu Erbauung dient. Meide allen vertraulichen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht, empfiehl aber im Allgemeinen alle frommen Weiber Gott. Nur mit Gott und seinen Engeln wünsche vertraut zu sein und meide die Bekanntschaft mit vielen Menschen.

2. Liebe soll man gegen Alle haben, aber Vertraulichkeit taugt nicht. Zuweilen geschieht es, daß ein Unbekannter, aus der Ferne betrachtet, ein Licht ist; betrachtet man ihn aber in der Nähe, so ist sein Glanz dahin. Wir meinen mitunter, Andern bei näherer Verbindung zu gefallen, und fangen vielmehr an, ihnen zu mißfallen durch das ungesittete Betragen, das sie an uns wahrnehmen.


Kapitel 9 - Vom Gehorsam und Unterwürfigkeit.


1. Es ist eine schwere Aufgabe, im Gehorsam zu stehen, unter einem Vorge-setzten zu leben, und nicht sein eigener Herr zu sein. Viel sicherer ist es, zu gehorchen als zu gebieten. Viele sind unter dem Gehorsam mehr aus Noth-wendigkeit, als aus Liebe und solche haben Plage und murren leicht; sie erlangen die Freiheit des Gemüths erst dann, wenn sie sich von ganzem Herzen um Gottes willen unterwerfen. Wo du immer hingehen magst, du wirst nicht eher Ruhe finden, als bis du dich der Leitung der Obrigkeit unterworfen hast. Die Einbildung, als sei es anderswo besser wie die Veränderung des Wohnorts selbst, hat schon Viele schrecklich getäuscht.

2. Es ist wahr, daß jeder gern nach seinem Sinne handelt, und sich mehr zu denen hingezogen fühlt, die ihm gleichgesinnet sind. Wenn aber Gott unter uns ist, so müssen wir um des lieben Friedens willen auch zuweilen unsre eigene Meinung zum Opfer bringen. Wer ist so weise, daß er Alles vollkommen wissen kann? Darum vertraue nicht zu viel deiner Einsicht, sondern höre auch gern anderer Leute Meinung. Wenn deine Ansicht richtig ist, und du sie doch aufgibst um Gottes willen, und folgst einem Andern: so wirst du mehr Gewinn davon haben.

3. Denn ich habe oft gehört, es sei sicherer Rath zu hören und anzunehmen, als zu geben. Es kann sich auch ereignen, daß eines Jeden Meinung gut sei; aber Andern nicht nachgeben wollen, wenn Vernunft und Sache es fordern, ist ein sicheres Merkmal von Stolz und Hartnäckigkeit.


Kapitel 10 - Von Vermeidung überflüßigen Geredes.


1. Hüte dich, so viel du kannst, vor dem Gewühl der Menschen; denn sich mit weltlichen Händeln befassen, ist sehr hinderlich, ob sie dir auch schon in redlicher Absicht vorgetragen werden. Denn wir werden flugs durch Eitelkeit befleckt und gefangen. Ich wollte, daß ich mehr geschwiegen hätte und nicht unter Menschen gewesen wäre. Warum aber reden wir so gern und plaudern mit einander, da wir doch selten ohne Gewissensverletzung zum Stillschweigen zurückkehren? Darum reden wir so gern mit einander, weil wir in der Unterredung gegenseitig Trost suchen und das von widerstreitenden Gefühlen bewegte Herz gern beschwichtigen wollen. Und so gerne sprechen und denken wir über Dinge, welche wir innig lieben oder begehren, oder die uns widerwärtig sind.

2. Aber leider! Oft vergeblich und fruchtlos. Denn dieser äußerliche Trost thut der innern und göttlichen Tröstung nicht geringen Abbruch. Darum müssen wir wachen und beten, daß uns die Zeit nicht unbenützt entfliehe. Wenn es erlaubt und nützlich ist, zu reden: so rede, was erbaulich ist. Ueble Gewohnheit und Gleichgültigkeit gegen unser geistiges Fortschreiten sind die Hauptursachen, daß wir unsere Zunge so schlecht bewachen. Doch trägt eine andächtige Unter-redung über geistliche Dinge viel zu unserer geistlichen Veredlung bei, vor-züglich, wenn Solche sich zusammen gesellen, die Eines Sinnes und Geistes in Gott sind.


Kapitel 11 - Von Erringung des Friedens und dem Eifer in der Besserung.


1. Wir könnten viel Frieden haben, wenn wir uns nicht so viel mit Anderer Worten und Werken, die uns gar nichts angehen, beschäftigen wollten. Wie mag der lange in Frieden bleiben, der sich in fremde Dinge mischt, der äußerliche Zer-streuung sucht und sich wenig oder selten erinnerlich sammelt? Selig sind die Einfältigen, denn sie werden vielen Frieden haben.

2. Warum sind einige der Heiligen so vollkommen und beschaulich gewesen? Weil sie sich eifrig bemühten, allen irdischen Begierden abzusterben und deßhalb konnten sie mit dem Innersten ihres Herzens Gott anhangen und ungehindert sich leben. Wir werden allzusehr von unsern Leidenschaften in Anspruch genommen, und bekümmern uns zu viel um vergängliche Dinge. Selten überwinden wir auch nur Ein Laster völlig und werden nicht zum täglichen Fortschreiten entflammt; daher bleiben wir kalt und lau.

3. Wenn wir uns selbst vollkommen abgestorben und innerlich nicht so sehr verstrickt wären; dann könnten wir auch an den göttlichen Dingen Geschmack finden und von der Anschauung des Himmlischen etwas erfahren. Das größte und einzige Hinderniß ist, daß wir von den Leidenschaften und Begierden nicht frei sind, und uns keine Mühe geben, den vollkommenen Weg der Heiligen zu betreten. Wenn uns auch nur eine geringe Widerwärtigkeit begegnet, verlieren wir sogleich den Muth und suchen Trost bei Menschen.

4. Wären wir bemüht, wie tapfere Männer zu stehen im Streite; wahrlich! Wir würden die Hülfe des Herrn über uns vom Himmel her sehen. Denn er selbst ist bereit, denen zu helfen, die da streiten und auf seine Gnade hoffen, wie er uns Gelegenheit gibt zum Kampfe, auf daß wir überwinden. Wenn wir nur in jene äußerlichen Uebungen unsern Fortschritt in der Gottseligkeit setzen, so wird unsere Andacht bald ein Ende haben. Aber laßt uns die Axt an die Wurzel legen, daß wir, von Leidenschaften gereinigt, ein friedliches Gemüth erlangen.

5. Wenn wir in jedem Jahre ein einziges Laster vollkommen ausrotteten, so würden wir bald vollkommen werden. Nun aber merken wir oft im Gegentheil, daß wir besser und reiner erfunden wurden im Anfang unserer Bekehrung, als nach vielen Jahren der Uebung. Unser Eifer und unsere Besserung sollte täglich sich mehren; nun aber wird es schon für etwas Großes angesehen, wenn Einer nur einen Funken des ersten Eifers zu bewahren vermag. Wenn wir uns im Anfange nur ein wenig Gewalt anthäten, so würden wir nachher Alles mit Leichtigkeit und Freude vollbringen können.

6. Schwer ist's, alle Gewohnheiten abzulegen; aber noch schwerer, gegen seinen eigenen Willen anzugehen. Wenn du aber das Kleine und Leichte nicht über-windest, wie wirst du das Schwere bewältigen? Widerstehe deiner Neigung gleich im Anfange, und entwöhne dich der bösen Gewohnheit, damit sie dir nicht allmälig zu schwer werde. O wenn du bedächtest, welchen Frieden du dir selbst und welche Freude du Andern bereitetest durch dein Wohlverhalten; gewiß, du würdest besorgter sein um dein geistliches Wachsthum.  


Kapitel 12 - Vom Nutzen der Trübsal.


1. Es ist uns gut, daß wir zuweilen einige Beschwerden und Widerwärtigkeiten haben, denn sie rufen den Menschen oft in sein Herz zurück, damit er erkenne, wie er hier ein Fremdling sei und seine Hoffnung nicht auf irgend etwas in der Welt setze. Es ist gut, daß wir bisweilen Widersprüche ertragen müssen, und daß man Böses und Arges von uns denkt, auch wenn wir Gutes thun und beab-sichtigen. Das führt uns oft zur Demuth und bewahrt vor eitlem Ehrgeiz. Denn dann suchen wir um so eifriger Gott, den innern Zeugen, wenn wir äußerlich gering geachtet werden von den Menschen und man uns nichts Gutes zutraut.

2. Darum sollte der Mensch sich so ganz und fest auf Gott gründen, daß er nicht nöthig hätte, oft bei den Menschen Trost zu suchen. Wird ein Mensch, dessen Wille gut ist, angefochten oder verflucht, oder von bösen Gedanken geplagt; dann merkt er wie nothwendig ihm Gott sei, und fühlt es, daß er ohne ihn nichts Gutes vermöge. Dann wird er traurig, seufzet und betet des Elendes wegen, das er leidet. Dann ekelt es ihm, länger zu leben, und er wünscht, daß der Tod komme, damit er aufgelöst werde und bei Christo sein könne. Dann erfährt er auch wohl, daß vollkommene Sicherheit und voller Friede in dieser Welt nicht bestehen können.

- Fortsetzung -