VON DER ANRUFUNG DER HEILIGEN.
Die Anrufung der Heiligen war allgemein so eingerissen, dass ich anfänglich fürchtete, man werde sich nur unter Schwierigkeiten auf diese Frage einlassen. Aber ich bin umsonst ängstlich gewesen. Sobald der Glaube Wurzel fasste, brachte er so helles Wahrheitslicht mit sich, dass bei seinem Anblick alle Hoffnung auf die Kreatur aufgegeben wurde ... „Gott allein ist gut“ Luk. 18,19. Folglich muss aus dieser Quelle einzig und allein das Gute fließen, wo man es nur braucht. „Alle gute und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, vom Vater des Lichts“ Jak. 1,17. Dieses Kennzeichen unterscheidet die Gläubigen von den Ungläubigen; die Gläubigen sind nur von jenem alleinigen Guten abhängig, hängen nur an ihm, nehmen nur zu ihm ihre Zuflucht, schöpfen nur aus diesem Quell. Die Ungläubigen hingegen wenden sich vom Schöpfer zur Kreatur, hängen an ihr und erhoffen Hülfe von ihr. 5. Mos. 32,9: „Schauet, ich bin allein, es gibt keinen anderen Gott neben mir“. „Gott sein“ heißt nichts Anderes als: das höchste Gute sein; das höchste Gute sein heißt nichts Anderes als: der Inbegriff alles Guten sein. Gott sagt uns, er sei das Gute, von dem alles Gute, alle Kraft, alle Hülfe kommt; er allein sei es, einen anderen Gott, das heißt einen anderen Guten und anderen Kraftquell neben ihm, gibt es nicht ... Gläubig also sind nur die, welche sich so als Gottes Kinder wissen, dass sie nur den einen allmächtigen Vater kennen, auf keinen anderen hoffen ... Der himmlische Vater ist so unser Vater, dass er uns gemacht, geschaffen, zum auserwählten Volk erwählt hat 5. Mos. 32,6. Ist der nicht Dein Vater, der Dich in Besitz genommen, gemacht und geschaffen hat? Kinder Gottes sind also die, die ihn zum Vater haben; das tun die, welche ihn allein als Vater anerkennen, von ihm abhängen, ihn allein hören, von ihm allein Alles erhoffen. Dass man ohne Weiteres getrost zu ihm seine Zuflucht nehmen darf, erklärte er selbst ganz deutlich 1. Mos. 15,1, Ps. 35,3, Jes. 43,25, 55,1 ... Ist das ganze neue Testament etwas Anderes als eine feste und gewisse Gnadenzusicherung Gottes? Der seines eigenen Sohnes nicht verschonte, vielmehr ihn für uns alle dahingab, wie wird der uns etwas abschlagen können? Oder wie sollte der uns mit ihm nicht Alles schenken? Röm. 8,32 ... Folglich gilt der aus Unglaube geborene Einwand nicht: ich weiß, dass alle meine Hoffnung in Gott ruht, aber ich brauche Schutzpatrone, die mich dem höchsten Gotte empfehlen. Leicht kann man aus diesen Worten den Unglauben ermessen. Wenn Du sagst: ich weiß, dass alle meine Hoffnung in Gott ruht, warum nimmst Du dann nicht in allen Nöten Deine Zuflucht zu ihm? Ist er nicht der Vater? Bist Du nicht der Bruder seines Sohnes? Wird der Vater sich ab-kehren, der seinen Sohn für Dich gab? Oder der Sohn, der für Dich litt und Dich Bruder nennt? Joh. 20,17, 14,6 ... Du kannst also gar nicht mir fortgesetzt sagen: ich brauche Fürsprecher beim Sohne. Denn Du willst nicht sehen, dass er deshalb zu uns herabkam, um kundzutun, dass man frei zu ihm kommen dürfe. Joh. 16,23, 1. Tim. 2,5 ... Beleidigst Du nicht den Sohn Gottes, wenn Du irgend einen andern der Mittlerrolle für wert hältst? Denn wer kann unser Mittler sein außer dem allein, der Gottes Sohn und Mensch ist? Heißt Dein Verfahren nicht den Sohn Gottes niedertreten? Wenn so und so viele Schutzpatrone, wie man leider gemeinhin glaubt, den Zugang zu Gott eröffnen, so ist Christus umsonst gestorben Gal. 2,21, dann ist er nicht der alleinige Mittler, nicht der einzige Weg; man wird zum Vater auf anderem Wege als durch den Sohn kommen können; Betrug waren seine Worte: „Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig seid etc.“ Mat.11,28. Welche Gotteslästerung, Gottlosigkeit, Undankbarkeit und Verderb-lichkeit das ist, kann Niemand genügend sagen. Die landläufigen Gründe für das Gegenteil sind entweder leichtfertig oder aus Frevel fleischlicher Weisheit zu-rechtgedreht. Leichtfertig ist die Jammerklage von Emser: „Orient wie Okzident bezeugen das Eintreten der Heiligen für uns; es gibt kein Volk unter dem Himmel, das nicht ein gut Teil seines Wohlergehens der Fürbitte der Heiligen verdankt.“ Darauf antworte ich: ... Meine Stütze ist die heilige Schrift, Emser schwätzt uns etwas von Orient und Okzident vor. Bald nachher kratzt er die Schutzpatrone fast aller sogenannten Kathedralkirchen, das heißt: der bischöflichen Hauptkirchen Deutschlands, zusammen und hascht jammervoll nach Beifall: „niemals werden diese Kirchen so undankbar sein, an das Unvermögen der Heiligenfürbitte bei Gott zu glauben, da sie so viele und große Wohltaten von ihnen empfangen haben.“ Da weiß Emser zunächst nicht, dass die Wohltaten, die er selbst der Kreatur zuschreibt, von Gott kommen Apg. 3,12, Mark. 16,17 ... Sodann sieht er nicht, dass aus seinem Schluss: viele haben auf See die Hülfe des heiligen Nikolaus erfahren, also muss dieser wie ein Sohn Gottes und ein Schutzgott angerufen werden – er sieht nicht, sage ich, dass daraus folgt: Apollo und Aeskulap haben viele gesund gemacht, Castor und Pollux haben viel mehr Leute aus einem Schiffbruch gerettet, wenn wir ihren Verehrern glauben, also muss man sie als Götter und Schutzpatrone anrufen ... Die fleischliche Weisheit wagte es, alle Schriftstellen, die von Heiligenfürbitte und dergleichen zu reden schienen, für sich durch Verdrehung in Anspruch zu nehmen ... Nur zwei, auf die Emser sich hauptsächlich stützen möchte, will ich ihm aus der Hand reißen. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hülfe kommt“ Ps. 121,1 ... Aber wenn er darauf verweist, beachtet der Unglückliche nicht die unmittelbar fol-genden Worte: „Meine Hülfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ ... Die zweite Stelle ist diese: „Gedenke an Abraham, Isaak und Jakob“ etc. 1 Mos. 48,16. Da bemerkt er zunächst nicht, dass es keineswegs dasselbe ist: „O Gott, gedenke an Abraham, Isaak und Jakob, denen Du ge-schworen hast“, und: „Abraham, bitt für uns!“ ... Gott ist für uns alle genug. Er ist der gütige Vater, der nichts abschlägt, so freigebig, dass er sich gerne etwas abbitten lässt. Was brauchen wir also Schutzpatrone? Der Glaube kennt eine derartige ehebrecherische Fürsorge nicht. Wer also noch an Kreaturen hängt, verlässt sich nicht auf den einen, wahren und einzigen Gott. Wo bleibt da der Glaube? Hätte man nicht lieber stillschweigen als so unklug seinen Unglauben verraten sollen? Ich kenne die Hieronymus, Augustin und andere wohl, kenne aber nicht minder Christus und die Apostel, von denen kein einziger je Derartiges kundtat. Wozu verdrehen sie die heilige Schrift in ihrem Sinne oder wollen den allegorischen Sinn nicht verstehen, wo einer vorliegt? Der Glaube verlässt sich auf Gott allein, hängt an ihm allein, vertraut an ihn allein, hofft auf ihn allein, nimmt seine Zuflucht zu ihm allein; er weiß, bei ihm allein wird er finden, was er braucht. Gebe Gott, der die Herzen zu sich zieht, dass wir ihm allein anhangen, und die Heuchelei, die sich als Frömmigkeit ausgibt, aus aller Herzen verschwin-de! Amen.
VOM VERDIENST.
Da diejenigen, die ihre Hoffnung auf die Heiligen setzen, hauptsächlich auf ihre Verdienste sich verlassen, und in der Kirche Gottes bisher das Verdienst nicht etwa der Heiligen, vielmehr der schamlosesten Hurer so teuer verkauft wurde, als sie es einzuschätzen wagten, liegt es nahe, jetzt vom Verdienste zu sprechen. Ich habe oben von der Verwandtschaft dieser vier Dinge : Vorsehung, Vorher-bestimmung, freier Wille und Verdienst gesprochen, nicht in dem Sinne, dass die beiden letzteren den beiden ersteren verwandt wären, vielmehr in dem Sinne, dass, wer diese richtig erfasst hat, auch jene kennt. Die Vorsehung ist gleichsam der Vater der Vorherbestimmung; darüber habe ich bei der Erörterung über Gott nach bestem Vermögen gesprochen und brauche das nicht zu wiederholen. Ich bezeichnete Gott als den Fürsorger für alle Dinge; denn Alles besteht durch ihn. Darum wird auch Alles durch ihn erhalten und angeordnet. Dass unser Verstand das nicht begreift, liegt an seiner Kleinheit und Beschränktheit. Tatsächlich könnte mancherlei bei rechter Betrachtung uns selbst ein Bild von der göttlichen Vorsehung geben; ich führe nur das Wichtigste an: den Menschen selbst. Der unterstellt sich so der Herrschaft der Vernunft, dass alle Glieder von ihrem Winke abhängen – unter Vernunft verstehe ich die ganze Entschluss- und Willenskraft des Menschen. Ich meine die äußeren Handlungen, nicht die innere Leitung oder Änderung des Herzens. Auf Befehl der Vernunft gehen die Füße, wird die Hand an den Pflug gelegt, ohne Vernunft bewegt der Mensch keinen Finger. Noch weit kraftvoller und sicherer ist die göttliche Vorsehung bei der Bewegung der ganzen Welt. Darf man Großes mit Kleinem vergleichen, so ist Gott in der Welt, was die Vernunft im Menschen ist. Sehen wir also die Vernunft alle Handlungen, Motive und Quietive so leiten, dass ohne ihren Befehl nichts geschieht, warum bekennen wir dann nicht, dass Gottes Vorsehung Alles so leitet und anordnet, dass ohne seinen Willen oder Befehl nichts geschieht? Wir haben Angst, wir fürchten, dann Gott auch den Urheber des Übels nennen zu müssen. Indessen erfassen wir hier den Menschen nicht genau. Bisweilen befallen ihn Krankheiten und Leiden; aber befielen sie ihn nicht, so würde er ganz zu Grunde gehen. Fieberhitze quält ihn; inzwischen kann er nicht mehr so viel essen und wird bald wieder gesund. Podagra plagt ihn, da ist der dünne und scharfe Säftefluss von den Lebens-organen nach außen gezogen; im anderen Falle wäre der Mensch längst gestorben. So wollen wir bei Ereignissen, deren Ursache und Zweck wir nicht kennen, die göttliche Vorsehung nicht anerkennen, die uns, ja Alles nach Belieben benutzt. Was wir für schimpflich halten, ist noch nicht schimpflich für Gott. Die Schimpflichkeit für uns kommt aus unserer Unterordnung unter das Gesetz. Das Gesetz wurde aber um der Maßlosigkeit unserer Leidenschaften willen gegeben. Gott kennt keine Leidenschaften; so ist er auch dem Gesetze nicht verhaftet, ist vielmehr selbst der Inhalt der Gesetzesforderung an uns. Daher ist bei ihm nicht schimpflich, was für uns schimpflich ist. Der schranken-lose Geschlechtsverkehr unter den Tieren ist auch nach unserem Urteil nicht schimpflich, bei den Menschen wäre er sehr schimpflich. Was aber spricht die Tiere frei und macht uns Menschen schuldig? Das Gesetz. Wir sind durch göttliches Gesetz an die Schranken der Ehe gebunden. So kann für Gott nichts schimpflich sein, was doch für uns schimpflich sein muss ... Die Vorherbe-stimmung, die nichts Anderes ist als ein Vorher-Anordnen, entsteht aus der Vorsehung, ja, ist sie selbst; die Theologen unterscheiden Vorsehung und Weisheit so, dass jene alles wirkt und anordnet, diese aber das Was? und Wie? des Handelns in’s Auge fasst. Denn es würde dem höchsten Guten nicht ent-sprechen, alles zu wissen, bevor es geschieht, und nicht auch Alles anordnen und verfügen zu können; umgekehrt wäre es peinlich und blamabel, alles anzu-ordnen wissen und können, es aber nicht tun. Derartiges darf man von der Gottheit nicht annehmen. Durch die göttliche Vorsehung werden also gleichzeitig freier Wille und Verdienst aufgehoben; denn wenn sie alles anordnet, wie dürften wir glauben, uns etwas zuzuschreiben?! Geschieht Alles durch Ihn, wie könnten wir irgend etwas Verdienstliches leisten?! ... Wer zur rechten Gotteserkenntnis nicht gelangte, redete mancherlei vom freien Willen und Verdienst; wer aber zur Erkenntnis der göttlichen Vorsehung gelangte, schätzte das nicht hoch ein. Zugleich jedoch kann man beobachten, dass selbst solche, die die rechte Erkenntnis der Vorsehung besaßen, die Verdienste der guten Werke verherrlicht haben, wiederum zum besten derer, die die Vorsehung nicht deutlich erkannten, damit sie nämlich nicht so große Verbrechen begingen. Dahin gehören die Propheten, die mächtig auf gute Werke dringen. Aber bei wem? Bei den noch nicht recht Gläubigen! Seitdem nämlich der Glaube und, nach Christi Wort Mat. 24,12 die Liebe erkaltet waren, wollten die frommen Menschen der Ehre Gottes und der öffentlichen Ruhe trotzdem keinen Abbruch geschehen lassen. Zwar schärften sie vor Allem den Glauben und die Gottesfurcht energisch ein; in der Erkenntnis jedoch, dass Gott die Herzen ihrer Mitmenschen verblendet hatte, sodass gar nichts Gesundes mehr von ihnen zu erhoffen wäre, unterließen sie gleichzeitig die Predigt von den Werken nicht, trotz alles Wissens um die göttliche Vorsehung ... Hältst Du mir nun entgegen: geschieht Alles nach göttlicher Vorsehung, warum lässt er dann die so Irrenden und ferner unfrei und gezwungen Handelnden nicht aufklären, damit sie mit den Einsichtigen den Hauptpunkt erkennen? Antwort: Frage den, der sie geschaffen hat, und fordere von Ihm Rechenschaft seiner Taten. Ich bin nicht sein Ratgeber gewesen Jer 23,18, ich habe ihm nichts geliehen, sodass ich gesetzmäßig etwas von ihm wieder fordern könnte Röm. 9,20f. ... Es leugnet also Niemand, dass in der heiligen Schrift mehr Stellen unseren Werken ein Verdienst zuschreiben als es ihnen versagen; deshalb aber darf man nicht schließen, wir wollten wie Schieds-männer beiden Teilen etwas nehmen und beiden Teilen etwas geben, auf dass zwischen unserem Verdienst und der göttlichen Gnade, zwischen unserem freien Willen und der Vorsehung oder Vorherbestimmung Gottes Friede werde. Gott ist nicht wie ein Mensch. Vielmehr müssen wir handeln, wie jene frommen Men-schen, von denen ich sprach. Die Gotteserkenntnis muss energisch eingeprägt, der Glaube geweckt werden. Machen wir da Fortschritte, so werden von selbst aus dem guten Baume gute Früchte hervorgehen. Gleichzeitig muss man die Faulen anstacheln mit der Hoffnung auf Belohnung und der Angst vor Übeln, damit Gottes Werk niemals stille stehe ... Nur darauf wollen wir gleichzeitig achten: wenn wir beobachten, dass Gottes Wort uns etwas zuschreibt, was doch nur Gottes sein kann, so wollen wir die Gnade anerkennen, die er so reichlich über uns ausgießt, dass er uns zuschreibt, was ihm gehört; wir sollen uns dann nicht rühmen oder darüber streiten. „Denn wir vermögen nichts wider die Wahr-heit“ 2. Kor. 13,8 und sind dazu da, zu bauen, nicht zu zerstören. Das christliche Leben besteht in Unschuld, wie ich schon oft gesagt habe. Unschuld aber ge-deiht am besten auf dem Acker der Selbstverachtung; der Boden ist aber hier um so fetter, je mehr er vom Tau göttlicher Erkenntnis aufgesogen hat; denn je mehr man reich in Gott ist, desto ärmer ist man an sich selbst ...
VOM GEBET.
Wunderlich ist’s, dass auch das Gebet Erwerbsmittel geworden ist. Denn wenn man mit Recht gesagt hatte, das Gebet sei eine Erhebung des Herzens zu Gott, gibt es dann etwas Schamloseres als jene Verbindung des Herzens mit Gott zu schänden? Ein um Geld verkauftes Gebet ist offenbar Heuchelei gewesen, nicht Verkehr des Herzens mit Gott. Ich muss also auch über das Gebet sprechen, da man die Herzensandacht für ein verdienstliches Werk zu verkaufen wagte. Mit Recht hat man das Gebet als eine Erhebung des Herzens zu Gott bezeichnet, ... jeder Fromme bestätigt die Richtigkeit dieser Definition. Ich will darum zuerst von der Anbetung sprechen, der Ursprung jener Definition des Gebetes soll dann klar werden. „Anbeten“ bedeutet für die Hebräer so viel wie „verehren“ ... Auch bei den Lateinern wird „Menschen anbeten“ mitunter im Sinne von „achten, verehren“ genommen 2. Mos. 20,5 … „Anbeten“ heißt ferner, Gott, das heißt: dem Herrn und Vater, der Alles kann und will, das Herz angeloben, ergeben. Die fleischlich gesinnten Israeliten haben diese „Anbetung“ = Herzenshingabe an Elemente dieser Welt geknüpft. Sie ließen sie nämlich nur in Jerusalem stattfinden Joh. 4,20 ... Das war so gekommen: Der Herr hatte geboten, dreimal alljährlich sollten alle Kinder Israels zum Tempel oder zur Stiftshütte in Jerusalem kommen 5. Mos. 16,16. Das brachte den Priestern viel ein. Darum begannen sie die Gewissen mit ihren Überlieferungen an eine bestimmte Stätte zu binden, damit man um so häufiger nach Jerusalem käme; denn, so deuteten sie, mit leeren Händen dürfe man nicht vor Gott erscheinen 5. Mos. 16,16, während doch tatsächlich diese Bibelstelle nach dem hebräischen Originaltext diesen Sinn nicht hat, vielmehr: „Du wirst nicht vergeblich erscheinen“ – gleichsam ein Anreiz an die Trägen: lasst es Euch nicht verdrießen, zu mir zu kommen, Ihr werdet nicht umsonst kommen ... Die Anbetung, die Herzenserhebung, banden also die Priester an Jerusalem; das haben auch unsere, besser sage ich: die antichristischen Priester, bisher getan; sie luden in Kirchen, wo wir sehen und gesehen werden, zum Gebete ein, um bequem das Wort einschärfen zu können: „Du sollst vor dem Herrn, deinem Gotte, nicht mit leeren Händen erscheinen“, während doch Christus uns auf’s Kämmerlein verweist, damit das Herz frei vor Gott seine Not vorbringen kann. Frei ist die Anbetung, die Herzenshingabe, sie kann nicht an einen bestimmten Ort gebunden werden. Auch Christi Wort: „Gehe in dein Kämmerlein“ Mat. 6,6 darf man nicht so buchstäblich nehmen, dass man nur ein Gebet im Kämmerlein gestatten will; Paulus will die Männer überall beten lassen, nur sollen sie die Hände rein zu Gott erheben 1. Tim. 2,8. Offenbar ist also das ein wichtig Stück beim Gebet, reine Hände empor zu heben, das heißt aber nichts Anderes als nach Unschuld streben. Christus hat Joh. 4,23 f. unter An-betung – darüber wollte ich ja sprechen – ein fleißiges Achten auf Glauben und Frömmigkeit verstanden, wenn er sagte: „Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die wahrhaftigen Anbeter den Vater im Geiste und in der Wahrheit anbeten werden. Denn der Vater will, dass man ihn so anbetet. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten“. Schau, wie scharf und deutlich ist hier Gebet und Anbetung klargelegt! Er sagt: „Gott ist Geist“, folglich können die Gottesverehrer ihre Verehrung nur so ihm ange-messen erweisen, dass sie ihm ihr Herz weihen, nicht durch eidliche Ver-pflichtung, wie sie die Mönche einst forderten, sondern durch beständiges Wachstum in der Liebe, auf dass kein Falsch in ihr bleibe, nur Wahres und Gottähnliches aus ihr entspringe ... Wer so Gott sein Herz weiht, dass er nur an ihm hängt, nur Gott anerkennt, der betet ihn im Geiste an. Die so mit ihm Verbundenen reden auch mit dem Nächsten die Wahrheit; das heißt: in der Wahrheit anbeten, es sei denn, dass Du darunter lieber das wahrhaftige und treue Hängen an Gott verstehen willst, sodass Du nur Ihn als Gott, das heißt: als Helfer und Gatten gleichsam, anerkennst. Das Gebet ist also ein Reden mit Gott aus Glauben, wie mit dem Vater und allersichersten Helfer. Das Gebet ist eine Erhebung des Herzens zu Gott, nicht etwa des Atems oder der Stimme. Man betet, wenn das Herz zu Gott kommt, mit ihm redet, aus aufrichtigem Glauben Hülfe nur bei ihm sucht. Und wer könnte es Dir je als gutes Werk vorrechnen, dass er häufig zu Dir kommt, bald um Geld, bald um ein Kleid, um Speise, Rat, Hilfe zu bitten? Wenn nun unser Gebet zu Gott nur eine Bitte um Hülfe ist, warum schätzen wir es als verdienstliches Werk ein? Sofern es sich um ein Gebet, das heißt: um ein festes Vertrauen des Herzens handelt, liegt nur ein festes Ver-trauen Deines Herzens vor; wie kannst Du das einem anderen zu gute kommen lassen? Du kannst aus Glauben an Gott für einen anderen beten, ja, aber Du kannst nicht ein Stück von Deinem Glauben einem anderen geben. Der Glaube gehört nur dem Gläubigen selbst und ist kein Verdienst, obwohl Christus ihn in uneigentlichem Sinne ein Werk nennt – nur um derer willen, die noch an Werken hingen. Er nennt den Glauben ein Werk, um tatsächlich das Gegenteil zu sagen: „Werdet durch den Glauben selig, nicht durch Werke!“ Anbetung oder Gebet ist also nichts Anderes als feste Zuversicht auf Gottes Barmherzigkeit. Daraus folgt, dass Du in allen Lebenslagen zu ihr kommst und sie bittest. Kommst Du um des Nächsten willen, so kann es nur aus Liebe zum Nächsten oder aus Begierde nach seinem Geld geschehen. Kommst Du aus Liebe, so wird Dir Erhörung werden; denn dann liebst Du den Nächsten mit göttlicher Liebe. Kommst Du aus Gewinnsucht, so machst Du Gott gottlos, wie wenn er nicht für alle da wäre und die Person ansähe; oder täte er das nicht, wenn er Dein Gebet erhörte, das eines anderen aber verschmähte? Dann machst Du ihn auch zum Spießgesellen Deines Geizes; oder wäre er das nicht, wenn er dem anderen nur dann etwas gäbe, nachdem er Dir gegeben hat? So sind also jene Bitten um Belohnung eine Schmach, nicht eine Ehre Gottes ... Die Wahrheit kennt kein Gebet um Vorteils willen. Wenn wir Gott im Geiste wahrhaftig anhangen, so beten wir so, dass wir unerachtet alles Übels zu ihm allein eilen; und wir bitten um Abwendung des Leides nur mit den Worten: „Dein Wille geschehe!“ Mat. 6,10. Da gibt’s kein Gebet, keinen Psalm, keinen Gesang, keine Messe oder Vigilie um Lohn; denn was wir ohne Liebe tun, nützt nichts 1. Kor. 13,3. Wo man Geld nimmt, ist Gier, nicht Liebe die Wurzel der Handlung. Es ist Geplärr, wenn es heißt: wir nehmen Geld, nur, um leben zu können, und um zu beten, andere haben ja wegen der Arbeit keine Zeit zum Gebet, wir beten aus Liebe. Geht Ihr nur und bestellt den Acker, lasst in Eurem Neste diejenigen sich erholen, die bisher dank Eurem Müßiggang arbeiteten! Abwechselnd wollen wir ruhen und arbeiten; auch das ist Liebesgebot. Jetzt aber, wo Du die Kirche oder den Psalter nur um des Bauches willen anschaust, – Du würdest es sonst gewiss nicht tun – zugleich jedoch die Liebe vorschiebst, bist Du offenbar der schlimmste Heuchler. Die Liebe leidet mit, eilt herbei, hilft; Du tust nichts dergleichen, schätzest aber Nichtigkeiten über Alles. Willst Du beten oder Psalmen singen, so tue es umsonst. Hoffnung auf Belohnung verträgt sich nicht mit der Liebe; wir können nicht Gott und dem Mammon, das heißt: dem Reichtum, dienen Mat. 6,24. Mehr will ich nicht sagen. Ich glaube, alle, die von Religion etwas verstehen, wissen ohne Weiteres, dass Bitten und Gesänge um Lohn ebenso viel wert sind, als wenn Du für Geld für einen anderen eine sittliche Leistung versprächest. Man kann auch die Hand am Pflug beten, wenn man die Kraft des allmächtigen Gottes in der Erde selbst und im Samen bewundert und verehrt, dankbar für seine reiche Güte, auch ohne ein Wort zu sprechen. Das Herz betet. Wenn in der Vergangenheit die Christen anhaltend und gemeinsam beteten, so kann man das auch heute in der Kirche, wenn es nur ein Gebet, nicht ein sinnenkitzelndes Geplärr ist. Die sogenannten Kollekten, die öffentlichen Bittgebete, soll man deutsch, gemeinverständlich sprechen, sodass alle beten können, wie vorgesprochen wird. Doch möge jede Kirche ihren Brauch halten; eines schickt sich nicht für alle, nur muss Alles dem-selben Frömmigkeitsquell entspringen, alles Übrige ist in aller Ruhe abzu-schaffen ...
VOM FEGFEUER.
Die heilige Schrift kennt kein Fegfeuer, von dem die Theologen zu sagen wussten, menschliche Vernunft kennt es ... Sie überlegte ... : Es sterben manche Menschen hier, die nicht gerade schlecht sind; warum soll man sie in die ewige Pein stoßen? Wiederum sterben manche, die nicht gerade gut sind; warum sollen die plötzlich zur Schar der Seligen zugelassen werden? Diese Erwägung hat scheinbar etwas für sich und klingt, wie Paulus Kol. 2,23 sagt, nach Weisheits-überlegung ... Mit dem Worte Gottes verglichen, verschwindet sie freilich wie Staub vor dem Winde ... Da nun das Fegfeuer – so pflegt man jene gauklerische Feuersühne zu nennen – aus Gottes Wort nirgends belegt werden kann, warum glauben wir denn töricht solchen frostigen und verdächtigen Dummheiten, wo wir doch sehen, wie die Verfechter des Fegfeuers zugleich die Art und Weise des Löschens lehren, sich selbst aber dabei anbieten? Sie verlangen ja Geld, das lösche am besten die Flamme, wenn der Empfänger des Geldes andächtig Messe halte, bete, Psalmen singe; schon wird auch die Hand nach dem Golde ausgestreckt ... Mit dem Fegfeuer ist es ein ähnlich Ding, wie mit gewissen Heilmitteln, die von Kurpfuschern feilgeboten werden. Da steigen sie mitten auf dem Markte auf einen Tisch und schreien die verheerende Wirkung irgend einer Seuche oder Krankheit aus; sie hätten sie auch gehabt, durch Gottes Gnade aber seien sie wieder gesund geworden dank diesem Heilmittel, das da vor aller Augen liege. Sie setzen hinzu: Die Krankheit kommt bald, schon grassiert sie in der Umgegend. Schau, da stellen sie vor allem auf die ahnende Furcht vor der Krankheit ab, um schnell ihre Hülfe verheißen zu können. So machen es auch die Fegfeuerprediger: guter Gott, welche Töne schlagen sie da an, von Gefäng-nis, Schlangen, Flammen, Flüssen, Feuer, Schwefel, Naphtha oder glühendem Eisen, wie übertreffen sie nicht selbst die Poetenfabeln! Die törichten Herzen erschraken, wie wenn plötzlich das Erscheinen eines grausamen Feindes vor der Stadt verkündigt wird, der die Landhäuser brandschatzt, die Bauern nieder-schlägt und Alles vernichtet. Man stand da wie angedonnert und glaubte schon das Unheil zu spüren. Schon aber war das Heilmittel da, man hatte freilich von Anfang an gesagt, es sei sehr teuer – das musste man, um vorab in den Säckel der Reichen einbrechen zu können. Willst Du, hieß es, eine Seele befreien, so kannst Du das mit einem Goldstück erreichen. Da man nun schon für diese Reichen die Seelen aus dem Fegfeuer erlöst hatte, ging man zu den Seelchen der Armen; es geschah unter einem Vorwande, der den Reichen jeden Verdacht auf Spott nahm. Man behauptete, die göttliche Barmherzigkeit dürfe Niemand abgeschlagen werden, folglich dürften die Armen so gut wie die Reichen Seelen aus dem Fegfeuer befreien, das heißt: Geld aus dem Beutel loswerden; freilich unter der Bedingung, dass Niemand sich als arm ausgebe, um billiger wegzu-kommen, das schade der Seele mehr als es ihr helfe; jeder müsse nach Ver-mögen geben. Haben sie nicht mit solchen unglaublichen Torheiten den Leuten Brei um den Mund geschmiert? Welcher Tor sieht hier nicht, dass eine derartige Verblendung nur als Strafe Gottes für unseren Unglauben einreißen konnte?! ... (Zwingli widerlegt nunmehr den angeblichen Schriftbeweis für das Fegfeuer.) Jener Reiche im Gleichnis, der den Lazarus in Abrahams Schoß sieht, wird durch die Worte: „eine gewaltige Kluft ist zwischen uns und euch befestigt, sodass man nicht herüber und hinüber kann“ Luk. 16,26 zur Verzweiflung gebracht. Aber da ist die Rede von Verstorbenen, und es werden nur zwei Grenzen fixiert, die eine durch Lazarus, die andere durch den Reichen markiert. Die Verstorbenen werden entweder von den Engeln in die himmlischen Wohnungen getragen und können nicht heruntersteigen zu denen, die anderswo sind; oder sie kommen in die Hölle und können niemals hinaufsteigen ... Christus wollte verhüten, dass die Seinigen sich in täglichen Streitereien entzweiten, er wollte sie vom Streit zurückschrecken durch den Hinweis auf ein häufiges Vorkommnis bei Gericht, dass der, der sich schon als Sieger erhofft hatte, als Besiegter abziehe, es sei also gefährlich, vor Gericht zu streiten; wenn die Seinigen sich sonst nicht vom Streiten fernhalten könnten, sollten sie wenigstens aus Furcht vor der hier lauernden Gefahr die Sache beizulegen suchen. Deshalb sagt er Mat. 5,25 f.: „Sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch mit ihm auf dem Wege bist, auf dass dich nicht der Widersacher dem Richter und dieser dem Diener überantworte und du in den Kerker geworfen werdest. Wahrlich, ich sage dir: du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du den letzten Heller bezahlt hast“. Aus dieser Stelle glauben die liebenswürdigen Leute die Existenz des Fegfeuers bewiesen zu haben! Wo doch Christus hier nur gewisse Hartköpfe und Unerbittliche, die glauben, wie sie müssten alle Menschen denken, vom Streite fernhalten will: Die fielen mitunter in die anderen gegrabene Grube hinein ... Vergleiche Luk. 12,58 ... Eine weitere Stelle ist Mat. 18,34 f., wo Christus am Beispiel des un-barmherzigen Knechtes lehren will, dass uns nicht verziehen wird, wenn wir nicht selbst verzeihen. Er sagt also vom Schalksknecht: „Voller Zorn übergab ihn sein Herr den Folterknechten, bis dass er die ganze Schuld bezahlte. So wird mein himmlischer Vater auch euch tun, wenn ihr nicht von Herzen, jeder seinem Bruder, vergebt“. Hier hauen nun die Fegfeuerhetzer los: Christus sagt hier, der himmlische Vater werde uns tun wie dem Schalksknechte; er wird uns also nicht aus dem Fegfeuer lassen, bis wir die ganze Schuld bezahlt haben ... Tatsächlich wollte Christus in diesem Gleichnis nur lehren, wir sollten immer verzeihen; gleich wie wir beständig die Verzeihung des Himmelskönigs wünschen, den wir täglich unzählige Male beleidigen ... Hier legen sie nun den Finger darauf: er wurde den Folterknechten übergeben, bis er die ganze Schuld bezahlte, erst dann kam er nach dem bürgerlichen Gesetze frei. Folglich werden die der göttlichen Ge-rechtigkeit Verhafteten erst freikommen, wenn sie durch Leiden im Fegfeuer die Schuld bezahlt haben. Darauf antworte ich: Ihr scheint mir zunächst ein Gleichnis wie eine wirkliche Begebenheit aufzufassen. Das wäre nicht weiter wichtig, wenn Ihr nur das Gleichnis Gleichnis bleiben lasst. Im Gleichnis aber steckt mancherlei, das nicht allenthalben mit dem stimmt, was durch dasselbe veranschaulicht wird. Zum Beispiel aus den Worten: „Der Schüler ist nicht über den Meister“ Mat. 10,24 folgt nicht: also kann niemals ein Schüler den Meister übertreffen. Das Wort gilt nur bei Christus, nicht anderweitig. Und jenen Haushalter, der durch Unrecht und Betrug für das Vermögen seines Herrn gesorgt hatte, darf Niemand nachahmen, vielmehr darf man nur auf Christi Motiv schauen; er will durch dieses Gleichnis die eifrige Sorge für die himmlischen Dinge lehren in der Form: wenn die Kinder dieser Welt, unerachtet der gesetzlichen Strafe, für ihren Unterhalt sorgen, um wie viel mehr müssen die eifrig nach dem Himmel Strebenden Alles daran wenden, nicht durch den bösen Reichtum das erhoffte Heil zu verlieren? So muss man auch in dem vorliegenden Gleichnis nur auf das Motiv schauen. Es ist dieses: vergebt, so wird Euch vergeben werden; tut Ihr’s nicht, so wird Euch nicht vergeben ... Das Wort „bis“ du alles bezahlt hast darf nicht im Sinne einer Zeit-dauer gepresst werden. Das beweist Christus selbst: er ist deshalb unsere Gerechtigkeit geworden, weil wir mit eigener Gerechtigkeit das Heil nicht erlan-gen konnten; so werden wir umsonst selig, nicht durch unser Verdienst ... Müssten wir das Fegfeuer aushalten, damit der göttlichen Gerechtigkeit genug geschähe, wie meine Gegner behaupten, so wird uns Christi Gerechtigkeit nichts nützen ... Zum Henker mit diesen Seelenquälern, Gewissensschlächtern, Geld-räubern, die um des Bauches willen das Fegfeuer erfanden, um die Seelen der Verstorbenen des Geldes und eigenen Vorteils halber in unseren Gedanken Qualen erleiden zu lassen, die sie tatsächlich gar nicht empfinden! ... Eine weitere Stelle ist 1. Kor. 3,12-15: „Wenn jemand auf diesen Grund Gold, Silber, Edelstein, Holz, Heu, Stroh baut, so wird eines jeden Werk offenbar werden. Der Tag selbst wird es zeigen; denn im Feuer wird es offenbart, das Feuer wird die Art jedes Werkes kundtun. Bleibt eines, so wird der Betreffende Lohn empfan-gen, wird es verbrannt, Schaden, er selbst freilich wird gerettet werden, aber wie durch Feuer hindurch.“ Diese klare Stelle des Paulus hat man so im Ruß des Fegfeuers, auf das man sie bezog, stinkend gemacht, dass selbst sonst ge-scheite Leute den echten Sinn nicht riechen können ... „Bauen“ heißt hier: predigen. Der „Grund“ ist Christus. Das darauf gebaute „Werk“ sind die Hörer des Wortes. Das „Feuer“ ist die nach Gottes Urteil verhängte Versuchung oder Verfolgung ... „Gold, Silber, Edelstein“ sind die, welche Christus so sich an-eigneten, dass sie lieber sterben als ihn preisgeben wollen. „Holz, Heu, Stroh“ sind die auf Zeit Gläubigen oder die nur Glauben Heuchelnden, die aber in der Versuchung Christus verlassen ... „Es kommt Alles an den Tag“ – so haben schon Heiden gesagt. Der Tag des Herrn, an dem er das bisher Verborgene offenbaren wird, wird Alles aufdecken. Ich meine nicht den jüngsten Tag, viel-mehr den Tag, an dem Gott das bisher Verborgene und Geduldete aufdecken will. An dem wird alle Lehre gleichsam im Feuer geprüft ... Paulus redet also an dieser Stelle von der Prüfung der Lehre, nicht vom Fegfeuer. Das ist ganz klar, Du brauchst nur ein wenig die Augen aufzutun ...
VON DER OBRIGKEIT.
Gewisse Leute verneinen für die Christen die Obrigkeit und behaupten be-harrlich, ein Christ könne kein obrigkeitliches Amt führen. Wo hinaus dieser Wahnwitz will, wird nachgerade klar. Ich kenne viele ehrsame, treue und gläubige Menschen, die trotz ihrer Ehrbarkeit und ihres Glaubens obrigkeitliche Ämter zur Ehre Gottes in allgemeinem Frieden und Gerechtigkeit führten; ich durchschaue ferner die Frechheit und Bosheit schlechter Menschen, die sich für Christen ausgeben, ohne es wirklich zu sein – auf Grund dessen wage ich die Be-hauptung: nur und ausschließlich ein Christ kann ein obrigkeitliches Amt richtig führen. Was ist, bitte, der Unterschied zwischen Staat und Kirche? Ich habe die äußeren Lebensgewohnheiten und den Verkehr im Auge; was die Gesinnung anbetrifft, so weiß ich wohl, dass die Kirche Christi die Christusgläubigen sind, während der Staat sich damit zufrieden geben kann, wenn Du Dich als treuen Bürger zeigst, auch ohne christusgläubig zu sein. Der Staat verlangt ehrende Achtung auf das Gemeinwohl, nicht auf das Privatinteresse; man soll mit ihm Glück und Unglück teilen, wo’s Not tut, Niemand soll nur sich selbst im Auge haben, Niemand sich erheben, Niemand Parteiungen erregen. Schau nur, wie wenig dem entsprechend die Kirche Christi verlangt! Paulus mahnt wiederholt, die Liebe suche nicht das Ihre, sondern das des Andern. Er sagt ferner: „Wer wird geärgert und ich entbrenne nicht, wer geschädigt und ich nicht auch?“ 2. Kor. 11,29. Er heißt weinen mit den Weinenden und fröhlich sein mit den Fröhlichen Röm. 12,15. Drittens verlangt der Gläubige nicht vom Gläubigen, das Vermögen mit ihm zu teilen, vielmehr ist jeder Gläubige so gesinnt, mit seinem Vermögen zu helfen, wo es Not tut. Damit will ich nicht dem Schwären ge-bührend zu Leibe rücken, an dem jene Aufrührer leiden, mögen sie es auch unverschämt und beharrlich leugnen. Ihr Eifer verrät ihre Pläne: sie fordern allgemeine Gütergemeinschaft; die ließe ich mir zwar persönlich gerne gefallen, aber Gott würde nicht zulassen, dass irgend jemand das Seine geraubt wird Apg. 5,4, Mat. 19,21 ... Viertens gebietet Petrus im 4. Kapitel des ersten Briefes Vers 10, jedermann solle die ihm in der Gemeinde gegebene Gnade verwalten, das zieme sich für die Verwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes. Auch Paulus heißt uns der Demut nachjagen Röm. 12,16, vgl. Mat. 23,13 ... Worin besteht nun also, damit begann ich, gegenüber den äußeren Dingen der Unterschied des Lebens der christlichen Kirche vom staatlichen Leben? Er ist gar nicht vorhanden, beide verlangen das Gleiche. Aber rücksichtlich des inneren Menschen ist ein ge-waltiger Unterschied da. Der Bürger steht unter der Zwangsgewalt der Gesetze, die macht ihn zum Bürger; Erzwungenes aber tun wir heuchlerisch und ohne Treue. Folglich wirst Du insgeheim mitunter Deine persönlichen Interessen in’s Auge fassen; wenn Du nur gegen das Gesetz ankönntest. Ganz anders steht es im christlichen Gemeinwesen, das heißt: in der Kirche. Denn wer Christi Geist hat, ist sein, wer aber Christi ist, tut Alles nach seinem Geist und Willen. Er hat uns geliebt, um sich für uns zu opfern; so wollen wir das Gleiche tun, wenn wir seinen Geist haben. Wir wollen also alle Menschen lieben gleich wie uns selbst. Tun wir das, so werden wir nichts von dem unterlassen, was zum Heil des Nächsten gehört. Hast Du nun neben Deiner Bürgergesinnung noch Liebe, so bricht das betrügerische Streben nach Privatinteresse zusammen. Da nun Christi Geist das besitzt, was dem Staate am meisten nottut, so kann es für den Staat nichts Glücklicheres geben, als die Liebe; da nun das Evangelium diese enthält, so wird offenbar dann der Staat fest gegründet und geweiht sein, wenn gute Gesetze sich mit guten Herzen verbinden. Der Staat also ist der glücklichste, in dem zugleich die wahre Religion eine Heimat hat. Das vom Staate Gesagte gilt nun noch mehr von der Obrigkeit. Denn die ist gleichsam das Haupt, und was sich für die Glieder ziemt, ziemt sich noch mehr für das Haupt. Darum sage ich ganz anders als jene Gegner: eine billige und gerechte Obrigkeit kann nur eine christliche sein. Nimm der Obrigkeit, die von den Menschen gefürchtet sein will, die Gottesfurcht, so hast Du den Tyrannen. Bringe dem Tyrannen Gottesfurcht bei, so wird er von selbst freier und treuer das Gesetz erfüllen, als es irgend ein Terrorismus vermöchte; Du wirst dann aus dem Tyrannen nach dem Muster dessen, den er schon im Glauben zu ehren und zu fürchten begann, nämlich nach Gottes Muster, einen Vater machen. Aber jene werfen ein: Die Kirche Christi muss so unschuldsvoll sein, dass sie der Obrigkeit gar nicht bedarf; Christen streiten nicht, sondern geben nach, sie suchen kein Recht vor Gericht, beim Schlage auf die eine Backe bieten sie auch die andere dar. Ich antworte: Hätten wir doch eine solche Kirche! Tatsächlich aber tun gerade die Vertreter einer solchen Unschuldsforderung, die Gott mit gutem Grunde an uns stellt, nicht auch die, die nichts Richtiges tun, nein, gerade jene am allerwenigsten von dem mit so viel Lärmen Verlangten – denn Niemand schimpft leichter als sie – was soll man sich da von den Ungläubigen versprechen? Oder lehnen sie etwa deshalb die Obrigkeit ab, weil sie ihre starke Neigung zum Schimpfen kennen, und fürchten, man möchte ihr Schimpfen nicht ertragen, vielmehr doch bei der Obrigkeit darüber klagen, und dann könnten sie nicht mehr ungestraft schimpfen und nicht ohne Gefahr fremdem Gut unter christlichem Vorwand nachstellen? Denn diese Leute stürzen sich jeweilig immer auf die Unschuldigsten, und sobald man ihnen ihre Fehler vorrückt, rufen sie: was richtest Du mich? Ich stehe oder falle meinem eigenen Herrn Röm. 14,4. Da siehst Du, warum diese Leute kein Gericht nötig haben! Lässt Du Dir all ihr Unrecht gefallen ohne Vergeltung und lässt Du sie um nichts und wieder nichts ungestraft Unruhen erregen, so haben sie freilich kein Gericht nötig! Wenn wir nun, sage ich, gerade um dieser Leute willen, die da leugnen, dass ein Christ ein obrigkeitliches Amt führen könne, einer Obrigkeit bedürfen, wie sollte dann nicht gerade ein Christ, der unter Christen Recht spricht, eine bessere Obrigkeit sein, als einer, der von Christus nichts wissen will? Doch wir wollen die Belege aus der heiligen Schrift dafür bringen: 2. Mos. 18,21f. Für ihre Meinung führen die Gegner Mat. 20,26 und Luk. 22,26 an: „So soll es unter euch nicht sein“. Da machen sie aber einen doppelten Fehler: erstlich bezieht sich dieses Gebot nur auf die, die als Apostel zum Lehren aus-gesandt wurden. Die heißt Christus nicht herrschen. Die Apostel hatten ja die Rangstreitfrage aufgeworfen, wer von ihnen der Hervorragendste sei. Ich leugne zwar nicht, was den Ehrgeiz betrifft, so bezieht sich das Gebot in gleicher Weise auf jedermann, kein Christ darf Herrschaft erstreben oder sich anmaßen. Wird sie ihm aber angeboten, so wäre es nicht fromm gedacht, diese von der Bürger-schaft auferlegte Last nicht tragen zu wollen. Der zweite Fehler ist der: sie sehen nicht, dass Christus hier in erster Linie von der Tyrannis spricht, nicht von der Monarchie oder Aristokratie, die durch Volksbeschluss oder durch göttliche Berufung einem angeboten wird, der nicht die Aufgabe hat, zu predigen. Unter Tyrannis verstehe ich eine eigenmächtig angemaßte Gewalt. Tut das ein Einzelner, so ist er ein Tyrann, und seine Herrschaft heißt Tyrannis; tun es mehrere, aber nicht alle, so nannten das die Griechen Oligarchie. Die Tyrannis also verbietet Christus schlechthin; im Übrigen muss auch die Herde Christi einen Leithammel haben, so gut wie in jedem Staate einer an der Spitze stehen muss. Freilich soll dieser Vergleich mit der staatlichen Obrigkeit nicht etwa auf die Tyrannei gewisser Päpste bezogen werden – beileibe nicht! Da nun meine Gegner das Wort Gottes mehr geistvoll als liebevoll behandeln, ist ihnen der Irrtum passiert, alle Obrigkeit zu streichen, auch die gerechte und gesetzmäßige, die wir vorab zur Erhaltung von Frieden und Ruhe benötigen. Auf den Einwand, die Christen müssten Alles tragen, alle Gebote des Gesetzes tun, hätten also keine Obrigkeit nötig, antworte ich: gewiss. Solange wir aber nicht alle so leben, wie wir als Christen sollten, trotzdem wir als Christen gelten wollen, muss man sich zufrieden geben und abwarten, ja, von der Frage, dass die Christen kein obrigkeitlich Amt führen sollten, ganz stillschweigen; sonst schaffen wir das aller Notwendigste ab, bevor die beabsichtigte Ursache der Abschaffung wirklich da ist. Was bedarf es vieler Worte? Jene Leute treiben nur Aufruhr. Wer hat je eine solche allgemeine Unschuld gesehen, oder wer wird sie für die Zukunft erhoffen, derart, dass alle nach der Unschuld trachten, sodass Niemand sündigt? Wenn es also beständig Leute gibt, die im Namen der Frömmigkeit Gottloses tun, so muss es auch beständig eine Obrigkeit geben, vorab eine christliche für die Christen. Erst dann darf man die Obrigkeit abschaffen, wenn die Schandtaten so ver-schwunden sind, dass Niemand sündigt, weder mit dem Wort noch mit der Tat. Das wird aber erst in einer andern Welt eintreten; dieser Welt hier auf Erden ist es versagt, solche Unschuld zu genießen ... Es ist also klar genug: die Christen können die Obrigkeit nicht entbehren ... Petrus im 2. Kapitel des 1. Briefes Vers 16-18 zwingt zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Da sagen die Gegner: das war doch eine gottlose Obrigkeit. Ich antworte: Wollt Ihr etwa sagen, Petrus habe den Gehorsam gegenüber einer gottlosen Obrigkeit geboten, aber gegenüber einer christlichen verboten? Oder etwa: eine christliche Obrigkeit muss lieber einer gottlosen weichen als selbst tätig sein? Gibt es einen größeren Unsinn? Wird der Staat von der Obrigkeit geleitet, gleichsam von ihr als Haupt, dann ist es doch Wahnsinn, eine gottlose Obrigkeit lieber zu wünschen als eine fromme, auf den Nacken der Frommen lieber das Joch eines gottlosen Tyrannen zu legen, als einen Frommen als Vater an der Spitze der Herde sehen zu wollen! ... Ihr werdet freilich sagen: mitunter wird die fromme Obrigkeit gottlos, während wir uns gerade über die fromme Obrigkeit freuen. Was klagt Ihr darüber? Es geschieht dann ja gerade das, was Ihr wollt, nämlich die Herrschaft einer gottlosen Obrig-keit. Aber wir wollen keine Spitzfindigkeiten treiben. Wird die fromme Obrigkeit gottlos, so entferne sie und ersetze sie durch eine fromme. Du wirst sagen: Es handelt sich um einen König, einen Tyrannen, der kann nicht mit Stimmen-mehrheit abgesetzt werden. So dulde und ertrage alle Tyrannei, die dem Glauben nichts schadet; vergeblich ist Dein Leben unter gottloser Obrigkeit nicht. Entweder nämlich straft Gott damit Deine Sünde, oder er stellt Deine Geduld auf die Probe. Will aber ein gottloser Tyrann Dir den Glauben nehmen, so ruf ihm entgegen, mag er’s auch nicht gerne hören: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ Apg. 5,29. Denke auch daran, wie die Kinder Israel grausam lange Zeit vom Tyrannen der Ägypter geplagt wurden, schließlich aber Gott sich ihrer Bedrängnis annahm und sie zum größten Unglück ihrer bisherigen Bedränger aus dem Lande führte. Gott aber bleibt immer derselbe. Achtete er damals auf die Seinen, erbarmte sich ihrer und befreite sie, so kennt er auch Dich und wird Dich nicht vergessen. (Zwingli verweist ferner auf 1. Tim. 2,1 f., 1. Kor. 7,21, Eph. 6,5-8, u. a. Als Beispiel für eine christliche Obrigkeit bringt Zwingli aus dem alten Testament den Abraham, Moses, Josua, David, Salomo u. a., aus dem neuen Testament Erastus, Sergius Paulus, aus der Kirchengeschichte Theodosius, Ludwig den Heiligen von Frankreich, Karl den Großen.) Da also nach beiden Testamenten ein Christ ein obrigkeitliches Amt führen darf, wollen wir nunmehr sehen, welcher Art die christliche Obrigkeit sein soll. Es gibt im Gegensatz zu unseren Gegnern keine geistliche und weltliche Obrigkeit, vielmehr nur eine; die Banngewalt der Kirche ist keine obrigkeitliche Gewalt, wie sie bisher die Bischöfe ausübten; sie liegt in den Händen der ganzen Kirche, nicht einiger weniger, die tyrannisch sich die Obergewalt anmaßten ... Mat. 18,15-17 sehen wir zunächst, dass der Bann wegen einer Sünde verhängt wurde, nicht wegen Wucher oder sonstiger Vergehen, die vor den Gerichtshöfen zu erledigen sind, wenn man sich nicht vertragen kann. Damit ist’s aus mit den Bullen, Breven und Urkunden, durch die der römische Papst – ich meine das ganze Papsttum, alles, was auf seine Gesetze eingeschworen ist – die ganze Kirche Christi beunruhigt hat; denn die hatten hauptsächlich Geld und Vermögensstreitigkeiten zum Zweck, nicht Sünden. Sodann wird hier die persönliche freundschaftliche Be-sprechung und Ermahnung des Sünders verlangt. Da haben die Päpstler den zweiten Fehler gemacht. Denn nach Belieben haben sie öffentlich einen Ahnungslosen, ja, oft einen Unschuldigen vor ihr Tribunal zitiert. Welch‘ hartes Regiment! Jeder König oder Amtmann ruft den Delinquenten zuerst zu sich; jene aber lassen den Unschuldigen oder Ahnungslosen vor Scham versinken, indem sie ihn andonnern: Der oder der Richter verlangt binnen 14 Tagen Genugtuung, bei Strafe der Exkommunikation. Da richten sich sofort aller Augen auf den Ange-donnerten, er darf sich nicht mucksen, darf seinen Fall nicht schildern, nicht über Unrecht klagen, nicht seine Unschuld verteidigen. Entfährt ihm nur ein Laut, so ist es um den Armen geschehen … Drittens wird an jener Stelle das Urteil der ganzen Gemeinde gewünscht, nicht der ganzen Kirche. Die kann ja gar nicht zusammentreten zum Urteilsspruch; es handelt sich um die Gemeinde, in der der Schuldige wohnt und verkehrt. Hier wird so recht die Herrschsucht, besser noch: die Tyrannei des römischen Papstes kund. Der Bann soll dann eintreten, wenn die Gemeinde den ihr Missliebigen verworfen hat. Der Papst aber stößt den aus der Kirche, den diese selbst gerettet wünscht; er fragt die Kirche gar nicht, be-fiehlt vielmehr, sie solle den, den er selbst hasst oder verderben möchte, für exkommuniziert ansehen. Müssen wir nun Gesetze nach der Absicht des Gesetz-gebers verstehen – und das ist sicher der Fall – und dürfen wir Niemand unbe-rechtigter Weise als Übertreter eines Gesetzes verurteilen, so sind folgerichtig die auf diese Weise vom Papste Exkommunizierten vor Gott nicht gebannt. Denn bei der Gemeinde, nicht bei irgend einem anderen, steht diese Art des Bannes ... Und wenn Du sagst: also kann der Papst nicht aus der Kirche ausstoßen?, so sage ich: Nein, das kann er nicht. Nur die Gemeinde kann es, nicht der Papst. Denn nirgends hat Christus gesagt: „Sage es dem Papst“. Daher sind vielfach die vom Papste Exkommunizierten nicht auch als Gebannte der Kirche angesehen worden, und nur wenige haben die gemieden, die der Papst verabscheuen hieß. Mögen sie also bannen, donnern, blitzen und in die Hölle stoßen, das soll uns nicht aufregen! Vielmehr wollen wir eifrig darum sorgen, nicht durch Vergehen die Strenge der Kirche erfahren zu müssen. Das wird in den Augen des Höchsten wohlgetan sein. Nun müssen wir auf die wahre christliche Obrigkeit zurück-kommen. Die wird am stärksten Röm. 13. betont. Hier dringt Paulus so ängstlich auf den Gehorsam gegen die Obrigkeit, dass man vermuten möchte, schon damals hätten einige wie heute die christliche Freiheit zu fleischlichem Mutwillen missbraucht. Gewiss billige ich nicht die zügellose Herrschsucht von Obrigkeit oder Fürst, aber ich möchte nicht, dass Leute, die sich als Christen ausgeben, nur darnach trachten, frei von aller Oberhoheit nach Willkür leben zu können. Das habe ich immer als die größte Torheit oder größte Bosheit beurteilt. Jede Gemeinschaft muss auf eine Oberhoheit hören, sonst fällt die ganze Gemein-schaft zusammen. Die Christen dürfen also eine Oberhoheit nicht ablehnen, sollen sich vielmehr bemühen, dass wir unter einer möglichst frommen und gerechten Obrigkeit leben. Haben wir das nicht in der Hand, müssen wir zum Beispiel einem König oder einem von Natur Blöden gehorchen, so müssen wir um so häufiger Gott bitten, er möchte uns endlich einen Moses schicken, der uns aus der Knechtschaft zur wahren Freiheit führt. Nicht dass jeder tun dürfe, was ihm passt – das ist eine schlimmere Tyrannei als die Willkür weniger oder eines Einzelnen; es ist weniger zu ertragen, dass ein ganzes Volk wütet, als nur einige – vielmehr die Wahrheit soll freie Bahn haben, die Gerechtigkeit gleichmäßig über allen walten, Friede und Eintracht in gemeinsamer Arbeit bewahrt bleiben ... „Es ist keine Gewalt ohne von Gott“. Wie, Paulus? Auch Pharaos Gewalt war von Gott? Gewiss! Um unserer Sünden willen legt Gott das Joch von Kindern und Schwächlingen auf unsere Nacken Jes. 3,4 ff. So darf also den Obrigkeiten nicht der Kamm schwellen, wenn sie hören, alle Gewalt sei von Gott; damit sind sie nicht gerechtfertigt. Böse straft Gott oft durch die Bösesten. Vielmehr, wenn sie hören, dass Gottes Vorsehung sie an diesen Platz gestellt hat, so sollen sie nur das tun, was sich ziemt für einen, der an Gottes Stelle sitzt. Sie sollen sich vergegenwärtigen, dass seit Erschaffung der Welt die Herrschaft der Gewalt-tätigsten immer die kürzeste gewesen ist, dass umgekehrt die Nachkommen maßvoller Regenten möglichst lange das ererbte Reich behielten. Eine heikle und große Sache ist das Regieren. Derartige Dinge entgleiten aber am aller schnellsten den Händen, namentlich wenn man sie mit Gewalt festhalten will ... Man muss also Maß halten; im anderen Falle wärest Du besser nie Regent geworden. Es sind demnach die Obrigkeiten von Gott geordnet; folglich wider-steht Gottes Ordnung, wer der Obrigkeit widersteht. Wer aber würde nicht lieber einer frommen Obrigkeit gehorchen als einer gottlosen? Damit sage ich nicht, dass Du einer gottlosen nicht gehorchen sollst; – denn es folgt: „Wer widerstrebt, wird Gottes Urteil über sich empfangen“ – vielmehr sollst Du Dich nicht zu dem Irrtum derer verleiten lassen, die behaupten, ein Christ könne nicht ein obrig-keitliches Amt führen. Stelle Dir vor, eine Stadt sei so in Christus wiedergeboren, dass alle Bürger nach Christi Regel leben; trotzdem wird sie eine Obrigkeit nötig haben um der Fremden willen, die dorthin kommen. Wir dürfen also von der gänzlichen Abschaffung der Obrigkeit erst dann sprechen, wenn allgemeine Unschuld sie selbst abgängig macht. Wer der Obrigkeit nicht gehorchen mag, wird das Gericht über sich empfangen, das heißt: Zorn und Rache Gottes auf sich sammeln. Zu Röm. 13,8: O, dass doch die Fürsten dieses Stück ebenso sorgfältig hörten, als sie die Worte anstimmen: „Es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; die Obrigkeiten sind von Gott geordnet“, und: „Wer der Obrigkeit widersteht, widerstrebt Gottes Ordnung“. Aber bei uns armen Sterblichen steht es so, dass wir das, was uns zur Ordnung treibt, nicht so gerne hören wie das, was andere maßregelt. Eine seltene Tugend ist es, vorab unter den derzeitigen Fürsten, das Rechttun zu ehren, das heißt: der Wahrheit nicht zu widerstehen und denen, die sich nach der Wahrheit und Richtschnur des Evangeliums halten, nicht mit Hass zu drohen. Umgekehrt ist es gewissen Fürsten etwas Alltägliches, auch die schlechtesten Menschen zu Ehren, Würden und Macht zu bringen, nur damit sie wacker für den römischen Papst streiten, und diejenigen, die den Mut besaßen, die Wahrheit zu sagen, auf’s Grausamste zu behandeln. Sagt nun jemand: ich vertraue auf Gott allein, ihm allein klage ich meine Not, ohne Hilfe sonstiger Schutzpatrone, so wird er sofort zum Tode geführt, weil er nicht von Gott zur Kreatur abfallen wollte. Die so verfahren, bezeugen dann durch öffentlichen Anschlag, sie würden die wahre und alte Religion Christi verteidigen ... Wenn Du hingegen ein in den Augen dieser Fürsten – ich rede von den Tyrannen, da ich wohl weiß, wie viele fromme Obrigkeiten ängstlich das schlichte Christentum wie einen Spätling achten möchten – schlimmes Verbrechen begehst und schimpfst gegen das Emporsprossen des Christentums, dann ist's Dir schon vergeben. Schau, es ist Alles verdreht bei diesen Leuten! ... Glaubt nur nicht, ihr werten Fürsten, das einfache Volk merke nicht, wie weit Ihr von Christus entfernt seid, weil Ihr durch öffentlichen Anschlag Euch als Verteidiger der wahren Religion bezeugt – in Wahrheit verfolgt Ihr grausamer als die Türken! Diese Künste dauern wohl eine Zeit lang, nehmen aber schließlich ein schlimmes Ende. Ihr solltet die allgemeine Gerechtigkeit hochhalten, nicht Unschuldige um des römischen Papstes willen verfolgen. Böse, Mörder, Räuber und dergleichen Pestbrut sollte Euer Angesicht fürchten, Fromme und Unschuldige aber sich freuen, Euch vor die Augen zu kommen ... Man muss der Obrigkeit untertan sein nicht nur wegen der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Paulus will, dass wir uns vom Bösen nicht sowohl aus Furcht vor Strafen fernhalten, als vielmehr aus Besorgnis für unser Gewissen, das wir beständig so rein halten müssen, dass wir in keiner Weise Gottes Willen Widerstand leisten. Wenn also Gott Gehorsam gegen die Obrigkeit wünscht, so kann Ungehorsam gegen die Obrigkeit nicht mit gutem Gewissen bestehen ... „Um des willen zahlt ihr Steuern; denn es handelt sich um Gottes Diener, die darauf bedacht sind“ Röm. 13,6. Da machen nun einige Fürsten weit den Mund auf bei der Kunde, auf göttlichen Befehl müsse Steuer gezahlt werden; aber sie beachten zu wenig das Wort: „Um des willen“. Weshalb nämlich? Deshalb, um die Bösen zu strafen, nicht die Guten, die öffentliche Ruhe zu schützen, die Guten zu ehren und zu hegen, nicht die Bösen. Denn Paulus sagt, sie seien darauf bedacht, an Gottes Statt zu strafen und gegen die Übeltäter vorzugehen. So viel aus Paulus über die Obrig-keit. Die alten Philosophen haben ein Sprichwort: „Willst Du einen Menschen kennen lernen? So gib ihm obrigkeitliche Gewalt“ ... Es ist eine sehr gefährliche Sache um die Betrauung mit einem obrigkeitlichen Amt ... Wer wollte mit Sicher-heit jemandem ein obrigkeitliches Amt anvertrauen, wo wir sehen, dass die Einfältigsten, zum Beispiel Saul, und Gescheitesten, zum Beispiel Pythagoras, sich änderten, als sie befehlen sollten? Was dürfen wir von Leuten hoffen, die mit Ansprüchen an Herrschaft groß geworden sind, aber den aller größten Abscheu vor der Ausübung der Herrschaft haben? Müssen sie regieren, so sind sie nur dem äußeren Ansehen nach Fürsten; alles Übrige liegt in der Hand gieriger Menschen, sodass die Untertanen nicht einen, nein, 600 Tyrannen haben. Da liegt dann alle Gerechtigkeit darnieder, die Begierde kommt hoch, ja, herrscht, und das kommt nur daher, dass jene nicht zu befehlen gelernt haben. Sie glauben, wenn nur reichlich Steuern da sind, so sei das schon ein gut Regiment. Doch was klagen wir darüber, da jene, die Kirchenmänner, ja, Geistliche und Mönche genannt sein wollen, Bischöfe, Äbte, nur insofern als gute und getreue Diener gelten, als sie die Jahreseinkünfte vermehren? Damit wir also die Re-gierung nicht Unklugen, Knaben, Narren und Gierigen anvertrauen, vielmehr solchen Leuten, deren Gediegenheit, Treue, Klugheit durch lange Gewohnheit erprobt ist ... , so wolle uns der allmächtige Vater solche Obrigkeiten geben, die nur das Beispiel dessen vor Augen haben, dessen Befehl sie zu ihrem Amte autorisierte, die sich nach dem Vorbilde unseres Schöpfers halten, sodass wir uns rühmen können, wir hätten viele Väter, und nicht, wie der Prophet Micha 7,1-3 klagen müssen: „Weh’ mir, ich bin geworden wie einer, der im Herbst Weintrauben sammelt!“ etc. ... Die Obrigkeit muss ihre ganze Kraft darauf richten, gerecht zu leiten, väterlich zu sein, nicht den Herren zu spielen; wenn wir sie nun so dem Genuss und der Beunruhigung ergeben sehen, dass wir keinerlei Besserung unserer Verhältnisse von ihnen erwarten dürfen, dann müssen wir uns an den Einen und Einzigen wenden, der die Haare auf unserem Haupte gezählt hat, er möchte die auf weltliches Glück Pochenden erleuchten, dass sie Gott und sich selbst erkennen, damit wir in Ruhe diesen antichristlichen Papst-tums-Zustand verlassen; denn es bedarf ja weiter keiner großen Mühe, das Verlassen genügt. Verlassen wir ihn alle, oder, bescheidener gesagt, schließen wir nur den Beutel zu, sodass man nicht hineinschauen kann, so ist’s um ihn geschehen. Wir wollen bitten, alle das Papsttum zu verlassen und allein der Fahne Gottes zu folgen, des Herrn, Vaters und Heilands aller! Amen.