DAS EVANGELIUM.

 

Christus hat das Alles für uns erlitten. Hätten wir durch unsere Werke oder unsere Unschuld das Heil verdienen können, so wäre er umsonst gestorben Gal. 2,21. Darum kann des Evangeliums Art jetzt kurz so begriffen werden: es ist, um das vorauszuschicken, allgemein bekannt, dass der Name nichts als „Froh-botschaft“ bezeichnet. Doch muss der Inhalt der Botschaft aus den Worten dessen, der verkündigt wird, erlernt werden. Er schickte seine Jünger Mark. 16,15f. mit dem Auftrage aus: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evange-lium aller Kreatur! Wer da glaubt und getauft wird, wird selig, wer aber nicht glaubt, verdammt werden“. Hier hören wir zuerst, dass das Evangelium den Gläubigen selig macht. Damit kennen wir seine Wirkung, aber noch nicht sein Wesen. Wir müssen also noch einen anderen Evangelisten fragen; auf diese Weise lernen wir die heilige Schrift am besten verstehen. Lukas 24,45-47 be-schreibt dieselbe Sache, und zwar auch am Auferstehungstage Christi, so: „Da öffnete er ihnen den Verstand zur Erkenntnis der heiligen Schrift, dass so oder so geschrieben stände, und dass Christus so oder so leiden musste und am dritten Tage auferstehen von den Toten, und dass in seinem Namen Buße und Verge-bung der Sünden allen Völkern verkündet werden solle“. Hier haben wir deutlich das Wesen des Evangeliums und die rechte Art der Verkündigung. Das ist das Evangelium, dass im Namen Christi die Sünden vergeben werden; eine fröh-lichere Botschaft hat nie ein Herz vernommen. Doch das bedarf noch weiterer Erläuterung, damit wir der Sache noch näher kommen. Christus lehrte, in seinem Namen müsse allen Völkern Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden. Da glaube ich zunächst auf Zustimmung rechnen zu dürfen, wenn ich „Name“ an dieser Stelle im Sinne von „Macht, Gewalt, Kraft, Majestät“ verstehe, wie Mark. 16,17 und Apg. 3,6, 16 … Durch Christi Kraft also reut uns unser bisheriges Leben; denn wir haben bei Betrachtung des Menschen genügend gezeigt, dass er ohne die Gnade Gottes um sich selbst ebenso wenig weiß als um Gott. Gottes Kraft bedarf’s, soll der Mensch sich erkennen. Soll jemand seine Fehler bereuen, so muss er sie als solche erkennen; das kann das Fleisch, das heißt: der Mensch, nicht; denn es ist in eigener Angelegenheit so blind, dass es sich niemals verdammt. Wenn es sich verdammt, so geschieht das durch fremde Kraft. Aber diese fremde Kraft stammt nicht von einem fremden Fleische; denn alles Fleisch ist einerlei Art. Es muss also die den Menschen zur Selbster-kenntnis führende fremde Kraft Geisteskraft sein. Das schärfen wir fortgesetzt ein, derart, dass wir gar nichts Gutes am Menschen lassen, während gewisse Menschen ihn so hoch werten. Der göttliche Geist allein bringt den Menschen zur Selbsterkenntnis. Ohne diese Selbsterkenntnis gibt es aber keine Selbstver-achtung. Denn wie könnte man, ohne an sich selbst Verächtliches zu finden, sich verachten? So lehrt also Christus zuerst, wie in seinem Namen Buße gepredigt werden muss, das heißt: dass durch seine Kraft der Mensch zur Selbsterkenntnis und zur Reue über sich selbst kommt. Sodann, um auf die Erklärung der Lukas-worte zurückzukommen, ohne Buße, Reue, Missfallen an uns selbst, kann Christus uns nicht heilsam und wert werden, da wir ja schon wissen, was Gesetz und Sünde ist. Wir müssen also jetzt davon reden, wie die Buße ihren Anfang nimmt. Als die göttliche Majestät den Plan zur Erlösung des Menschen fasste, geschah es nicht, um die Welt in ihrer Bosheit beharren und alt werden zu lassen. In dem Falle hätte Gott besser gar keinen Heiland geschickt, als einen, nach dessen Erlösungstat wir an unserem früheren Zustand und unserer Krankheit nichts änderten. Es wäre lächerlich gewesen, wenn der, dem alle Zukunft gegenwärtig ist, den Menschen um so hohen Preis hätte befreien wollen, den er unmittelbar nach der Befreiung wieder im früheren Sündenschmutz hätte liegen lassen wollen. Darum kündigt er zuerst die Änderung des Lebens und Charakters an. Denn ein Christ sein ist nichts Anderes als ein neuer Mensch und eine neue Kreatur sein. Als er daher seinen Vorläufer, Johannes den Täufer, schickte, begann er mit dem Worte: „Tut Buße!“. „Denn die himmlische Ge-rechtigkeit zürnt so, dass ihr ohne Änderung des Lebens schwere Strafe, ja, das schlimmste Verderben und den Untergang erleiden werdet“ Mat. 3,2 f. ... Mit dem Symbol der Taufe kennzeichnete Johannes die, welche nach sorgsamer Prüfung ihres bisherigen Lebens nur des Todes Würdiges an sich fanden und deshalb Ihr Herz der Buße zuwandten. Es war ein einleitender Einweihungsakt für alle Büßenden, nicht die Reinigung selbst 1. Pet. 3,8-22 ... Die erfolgt allein durch Christi Blut. Denn wie das Fleisch, ohne Zeugen, leicht schamlos wird, vom Winde hin und her getrieben, so hätte es leicht geschehen können, dass jemand sich als durch die Predigt des Johannes schwer erschüttert gab, in Wirklichkeit aber schamlos und unfromm lebte; dem beugte das Taufsymbol vor. Denn sobald einer es an sich empfangen hatte, schämte er sich, gleichzeitig öffentlich die Weihe zur Buße empfangen zu haben und sich mit den früheren Schandtaten zu beflecken ... Wenn also Johannes lehrte, der Mensch müsse sich sein Leben vor Augen stellen und ändern, was stellte er da in Aussicht? Lehrte er etwa: wenn Ihr dieses oder jenes tut, werdet Ihr selig werden? Keineswegs. Vielmehr wusste er sehr gut, dass der Mensch nur selig wird, wenn er sich ganz geprüft hat, ja, dass eine wiederholte Prüfung ihn nur gewisser machen kann, dass er an sich und seiner Gerechtigkeit gänzlich verzweifelt – daher muss sicherlich zuerst Ekel vor sich selbst entstehen – ; und darum kündete er alsbald den an, auf dem das Heil ruhen sollte, und richtete die Gedanken auf den, der da kommen sollte Apg. 19,4; Joh. 1,4 betonte, dass in ihm das Heil liege, der der Zeit nach zwar nach ihm käme, aber dank seiner göttlichen Geburt und Würde ihm weit voraus sei Mat. 3,11 ... Was heißt „mit dem heiligen Geiste taufen“ anders als: das Gewissen durch seine Ankunft ruhig und fröhlich machen? Aber wie kann es ruhig gemacht werden, wenn es nicht eine starke Hoffnung auf einen Untrüg-lichen besitzt? „Mit dem heiligen Geiste taufen“ heißt also nichts anderes als: Christus gibt uns seinen Geist, der unsere Herzen so erleuchtet und lenkt, dass wir auf ihn vertrauen, auf ihn uns verlassen, der Gottes Sohn ist, für uns gesandt, dessen Brüder wir durch sein Erbarmen, nicht durch unsere Verdienste ge-worden sind. Johannes zeigt also, dass unser Leben verbesserungsbedürftig sei, wiewohl wir, wenn wir es gebessert haben, bei uns nichts finden, das uns Hoffnung auf Seligkeit verspräche. Johannes verweist daher auf Christus; er sei es, in dem wir das Heil sogar umsonst fänden Joh. 1,26, 29-31 ... Wenn der Mensch durch die Buße zur Selbsterkenntnis kommt, findet er nur die äußerste Verzweiflung; daher muss er im völligen Misstrauen gegen sich selbst zur Barmherzigkeit Gottes seine Zuflucht nehmen. Kaum tut er das, so schreckt ihn die Gerechtigkeit. Da wird Christus gezeigt, der für unsere Schuld der göttlichen Gerechtigkeit genug tat, und wenn man ihm dann vertraut, dann ist das Heil gefunden. Denn er selbst ist das untrügliche Pfand der göttlichen Barmherzigkeit Röm. 8,32 ... O unaussprechliche göttliche Weisheit, o unermessliche Güte, o Barmherzigkeit über alle Maßen, weit über alles Hoffen! Gott erleuchtet, damit wir uns selbst erkennen; geschieht das, geraten wir in Verzweiflung; wir nehmen Zuflucht zu seiner Barmherzigkeit, aber die Gerechtigkeit schreckt. Da findet die ewige Weisheit den Ausweg, zugleich Gottes Gerechtigkeit genugzutun, was uns gänzlich unmöglich war, und uns auf seine Barmherzigkeit vertrauen und ihn genießen zu lassen. Seinen Sohn schickt er, er sollte seiner Gerechtigkeit für uns genugtun und ein untrügliches Pfand des Heils werden. Doch unter der Be-dingung, dass wir eine neue Kreatur würden, Christus anzögen und so wandelten 2. Kor. 5,17. Darum ist das ganze Leben eines Christenmenschen Buße. Denn wann sündigen wir nicht? Deshalb ließ auch Christus bei der ersten Aussendung der Jünger sie dasselbe predigen, wie Johannes und er selbst Mat. 4,17; 10,7 ... Auch sie mahnten zur Umkehr vom schlechten Leben und betonten die Nähe des Reiches Gottes. Doch damit das Wesen der Buße klarer werde, wollen wir zugleich auf einen Einwurf antworten: wenn wir, heißt es, Christus in dieser Weise als Opfer verstehen wollen, das ein für alle Mal für die Sünden aller Menschen genugtat, so werden wir alle zu ungezügelter Lust geneigt sein, da ja Alles ungestraft geschehen kann; Christus ist ja das Pfand, das alle Sünden bezahlt hat. Darauf vernimm Folgendes: Vorab wollen wir durch die heilige Schrift klar machen, wie man allein durch Christus zum Vater kommt, und dass er allein alle Sünden tilgt. Dann wird man auf jenen Einwurf eingehen können. Dass man allein durch Christus zum Vater kommt, könnte schon dadurch klar werden, dass Christi Tod unnötig gewesen wäre, wenn man auf irgend einem anderen Wege hätte zu Gott kommen können. Aber es ist besser, seine eigenen Worte anzu-führen. Von ihnen setzen wir die an die Spitze, in denen er klar bezeugt, um des Heiles aller willen gesandt zu sein; dann folgen die, in denen er sich als den alleinigen Spender des Heils bezeichnet. Denn zuerst kommt das „sein“, dann das „ausschließlich und allein sein“. (Bibelstellen für den ersten Zweck sind Joh. 3,16, 6,53-58, 8,12, 10,9, 12,31 f., für den zweiten Joh. 6,33, 8,36, 10,1, 14,6, 15,1-11, Apg. 4,12 u.a. ....) Von diesen Voraussetzungen aus, dass Christus die Sühne für alle Sünden und der Weg des Heils ist, und zwar er allein, und nur für den Gläubigen an ihn, glauben diejenigen, die dem Evangelium teils zu wenig Glauben schenken, teils es nicht rein in sich aufgenommen haben, schließen zu können, dass alle sich auf dasselbe Verlassende in Zügellosigkeit schlechter werden. Denn wenn das Menschenherz höre, dass Alles so gnädig durch Christus geschenkt werde, müsse es seiner ganzen Anlage nach zur Sünde geneigter werden. Das haben nun einige unkluge Klüglinge verhüten wollen und teils gesagt, Christus habe nur für die Erbschuld bezahlt, teils, nur für die vor seiner Zeit begangenen Sünden. Diese Irrtümer stammen aus Unkenntnis vom Wesen des Christentums, das man so gut zu kennen glaubt! Glaube ist sein Wesen, nicht Weisheit, Wissen oder Klugheit; da sie also „keinen Glauben hatten, sind sie Toren in ihren Gedanken geworden“ Röm. 1,21. Der christliche Glaube wird im Herzen der Gläubigen gespürt, wie die Gesundheit am Leibe. Die spürt man leicht, ob sie schlecht oder gut ist. So spürt der Christ die Krankheit des Herzens wegen der Sündenlast, sein Wohlbefinden aber in der Gewissheit des Heils in Christus. Sehr oft schätzen nun dauernd gesunde Menschen die rechte Gesundheit nicht so hoch ein wie mit langwierigen oder schweren Krank-heiten behaftete. So ist Christus denen, die keine Krankheit ihres Innern spüren, nicht so wertvoll wie denen, die sie spüren und Schmerzen haben. Da wir uns selbst nun nicht recht, das heißt: von innen und außen kennen – denn wir wissen ja nichts von der Krankheit und ihrer Gefahr – , so ist uns Christus niemals so heilbringend und wertvoll, wie er tatsächlich ist. Hätten wir wirklich einmal über unsere Krankheit Schmerz empfunden, das heißt: hätten wir uns selbst, ganz erkannt, welch ein verworfen und krankes Tier wir sind, dabei aber als groß, berühmt, gerecht, heilig allenthalben gelten wollen, wie wir schmählichen Be-gierden uns hingeben, sodass wir nichts ohne böse Leidenschaft tun – wenn, sage ich, wir je unsere Krankheit empfunden hätten, so hätte uns der Schmerz übermannt, und nach der Heilung durch den Arzt hätten wir niemals sprechen können: ich will noch einmal Schmerz erleiden, das heißt: noch einmal sündigen. Wer ein Bein gebrochen hat und einen geschickten Arzt fand, der das ge-brochene Glied wieder einrichtete, denkt nicht: Gott sei Dank, dass Du einen solchen Arzt gefunden hast, nun willst Du oft das Bein brechen; denn der Arzt kann Alles. Vielmehr in seinem ganzen Leben achtet er auf Schritt und Tritt darauf, das Bein nicht zum zweiten Male zu brechen. Denn er spürte den starken Schmerz bei der Einrenkung des Beinbruches und kennt den Ärger, einen ganzen Monat lang auf dem Rücken oder nur auf einer Seite liegen zu müssen. Wer also auf die Kunde, Christus habe für die Sünden aller Menschen Bezahlung geleistet, frohlockt: „nun wollen wir sündigen!; denn alles wird uns umsonst durch Christus geschenkt“, der hat niemals den Sündenschmerz gespürt. Denn sonst würde er, wie er nur könnte, sich vor dem Rückfall hüten ...

 

VON DER BUSSE.

 

Unter Buße verstand man bisher jenen erzwungenen und geheuchelten Schmerz über begangene Sünden und die Bezahlung der vom Richter, das heißt: vom Beichtvater, entsprechend der Sünde eingeschätzten Summe. Dann nämlich „büßten“ wir, wenn der Papst es befahl, zu Ostern oder in Krankheitsfällen. War das etwas Anderes als Heuchelei? Ging es nicht aus Unkenntnis des eigenen Innern hervor? Denn wer sich selbst kennt, muss angesichts der Lastergrube, die er entdeckt, nicht nur Schmerz empfinden, sondern schaudern, verzweifeln, sterben. Denn welche schmutzige Begierde, welche freche Lust, welchen Hoch-mut entdeckt er nicht an sich, bald in Gedanken, bald in Taten, bald versteckt?! Niemand kann das leugnen; wie kommt es nun, dass wir den daraus ent-stehenden Schmerz nicht empfinden? Daher, dass, wie schon gesagt, Niemand versucht, sich in’s eigene Ich zu versenken; Niemand. Tun wir das, so entsteht sofort wahrer Schmerz und Scham. Bei der im Papsttum üblichen Buße geschah das keineswegs. Denn wie sollte jemand vor sich selbst Ekel empfinden, da Niemand sich kannte, vielmehr sich für gerecht hielt, sei es auf Grund eigener, sei es kraft fremder, erborgter Werke? So ist die Buße ein Teil des Evangeliums, nicht das Büßen auf Zeit, vielmehr das Erröten über sich selbst auf Grund von Selbsterkenntnis, die Scham über das alte Leben, sowohl weil man sich selbst gänzlich missfällt und über sich trauert, als auch weil man das Verfaulen in Lastern, aus denen man doch erlöst ist, wie man glaubt und sich freut, als eines Christenmenschen gänzlich unwürdig erkennen muss. „Wenn also Christus oder Johannes oder die Apostel predigten: „Tut Buße!“, so redeten sie gar nicht von jener erdichteten und geheuchelten Buße, auch nicht von dem einmaligen Akte, nach dem angeblich fortgesetzte Freiheit zum Sündigen gegeben sein soll – die ist, wie wir genügend klar gemacht haben, ebenso erdichtet wie die auf päpst-lichen Befehl geleistete Buße. Nein, sie redeten von der Buße, kraft derer der Mensch Einkehr bei sich hält, sein ganzes Tun und Treiben auf Verbergen, Heucheln, Verleugnen sorgfältig prüft; tut er das ehrlich, so kommt er dazu, vor der Größe seiner Krankheit an seiner Gerechtigkeit und seinem Heile zu verzweifeln, nicht anders wie ein Todeswunder die ewige, dunkle Todesnacht stets vor sich sieht. Wenn den ein berühmter Arzt hieße, guten Muts sein, die Wunde könne genäht werden, es werde Alles wieder gut, so wäre das wohl das Angenehmste oder Erfreulichste, was ihm begegnen könnte. So wendet sich auch der auf Grund der Erkenntnis seiner Verwundung Verzweifelnde an die Barmherzigkeit und ruft sie an; sobald er Christus geschaut hat, erkennt er, dass er Alles hoffen darf – denn „ist Gott für uns, wer wird wider uns sein?“ Röm. 8,31 – , und nun erhebt sich der am Boden Liegende, der Tote, der sich selbst schmerzvoll so beurteilt und empfunden hatte, lebt. Weder Christus noch Johannes oder die Apostel reden über diese Buße so, als wenn sie eine Zeit lang dauerte und dann erledigt wäre, vielmehr soll sie dauern, so lange wir diese armselige Körperlast mit uns herumschleppen. Denn die ist so an die Eitelkeiten gebunden, dass sie stets von Bösem wimmelt, das sofort unterdrückt, beseitigt, erstickt werden muss, weil es sich für einen Christenmenschen gar nicht ziemt. Diese Mühe, dieses Kämpfen, dieses Wachen ist Buße. Wenn also Christus, Johannes, die Apostel predigen: „Tut Buße“, so rufen sie zu einem neuen, vom früheren gänzlich verschiedenen Leben. Wer sich dazu verpflichtete, wurde mit dem Weihesakrament der Taufe gekennzeichnet, zum öffentlichen Zeugnis seines Entschlusses, ein neues Leben zu beginnen. ( Den Schriftbeweis bieten Luk. 9,59 f., Mat. 22,11-13, Joh. 8,31, Röm. 6,4-11, Gal. 6,15. u. a. ) Es ist also klar, dass die Buße nicht nur Selbsterkenntnis und Selbstverleugnung ist, sondern auch wachsame Aufmerksamkeit, dass Deine Hoffnung Bestand habe, solange Du in der Hoffnung wandelst, und dass Du stets in Furcht vor einem Sündenfall bleibst. Auch das ist klar: die Buße wäscht die Sünden nicht ab, sondern die Hoffnung auf Christus; die Buße behütet vor dem Rückfall in das, was Du verdammtest. Aber es scheint der Hoffnung auf Bewahrung eines unschuldigen Lebens Vieles entgegenzustehen. Zunächst das Wort: „alle Menschen sind Lügner“ Ps. 116,21; wo die Lüge blüht, ist nichts Frommes. … Ferner sagt der göttliche Johannes 1. Joh. 1,8: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns“. Wie können wir also trotz Christi Genugtuung selig werden, wenn er ein neues Leben und einen anderen Charakter von uns fordert, wir aber beständig unsere Rückkehr zu unserer Naturanlage beobachten? Hier gibt’s Arbeit, die Weisen und Gelehrten zu befriedigen; denn da sie für Beides ganz klare Schriftzeugnisse haben, nämlich dass Christi Erlösung Alles kann und wirke, was zum Heil gehört, dem gegenüber aber beharrlich Unschuld erfordert wird, so treten, scheint es, zwei unbequeme Folgerungen auf: einmal scheinen die unerschrockenen und be-harrlichen Prediger des Glaubens an Christus den Eifer um unschuldiges Leben preiszugeben; sodann entsteht angesichts der energischen Forderung des unschuldigen Lebens der Zweifel, was denn eigentlich Christus nütze? Die Frage für die Gelehrten zu lösen, ist schwer. Denn was hier der Glaube an Christus in den Frommen vermag, kennen sie nicht, und darum verstehen sie nicht die geistige Rede. Die Frömmigkeit ist Wirklichkeit und Erfahrung, nicht Worte oder Wissen. Abraham kannte die Stimme Gottes, die ihm befahl, seinen Sohn, durch den ihm heilige Nachkommenschaft verheißen war, zu töten. Er wusste, es war dieselbe Stimme, die die Verheißung gegeben hatte, trotzdem menschliche Vernunft zu dem Urteil Grund gehabt hätte: es ist die Stimme des Teufels, des Verführers! ... Wie die Stimme Gottes nur Abraham bekannt war, allen übrigen aber als Stimme eines Betrügers erschienen wäre, so werden unsere Worte über den Glauben an Christus und die christliche Unschuld die nicht verstehen, die vom Glauben mehr theoretisch wissen, als dass sie ihn praktisch erlebten. Denn sogleich sehe ich sie auch hier spotten und sprechen: „ich habe den Glauben, Dir fehlt er. Wie kannst Du über mich urteilen?“ Wir wollen die als Schiedsrichter nehmen, die, gottgeheiligt, sich rühmen und sprechen dürfen: „sucht ihr die Erfahrung des in mir redenden Christus?“ 2. Kor. 13,3. Leute, an deren Glauben zu zweifeln gottlos wäre – ihr Urteil über diese Streitfrage wollen wir hören. Als Paulus die Gnade so rühmte, keiften gewisse Leute, ganz wie heute: wenn die Güte und Milde der göttlichen Güte in meiner Sünde offenbar wird, warum soll ich dann nicht fest drauf los sündigen, damit Gottes Milde allen bekannt wird? Röm. 3,7, 31. Denen antwortet er im gleichen Kapitel (V. 5-11). Umgekehrt, als er bei einigen Selbstvertrauen beobachtete, weil das Gesetz so stark ein unschuldiges Leben fordert, spricht er, Christus sei uns unnütz, wenn die Gerechtigkeit aus unseren Werken komme Gal. 2,16, und die Gnade durch Christus sei nichts, wenn den Werken das Heil zu verdanken sei Röm. 4,4, 11,6. So äußert sich Paulus in jener Zwickmühle und lässt uns an seinem Beispiel lernen, wie es den Christusgläubigen ergeht, wie sie durch den Glauben des Heiles sicher sind, aber dank der Schwäche des Fleisches immer wieder sündigen, obwohl ihre Sünden kraft des Glaubens nicht angerechnet werden.

 

VOM GESETZE.

 

... Das Gesetz ist nichts Anderes als der ewige Gotteswille. Denn von den bürgerlichen oder kultischen Gesetzen haben wir hier nicht zu reden; die be-treffen den äußeren Menschen, wir sprechen jetzt vom inneren. Jene Gesetze wechseln ja auch jeweilig, wie wir das bei den bürgerlichen oft beobachten; und die kultischen sind durch Christus ganz abgeschafft ... Heb. 9,10. Die göttlichen, auf den inneren Menschen zielenden Gesetze aber sind ewig. Es wird stets gelten: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ Mat. 22,39; Diebstahl, Meineid, Mord gehört zu den Lastern. Dass aber das Gesetz Gottes ewiger oder dauernder Wille ist, beweisen die Röm. 2,14 von den ohne Gesetz Lebenden geschriebenen Worte, dass jene nämlich zeigen, das Gesetz sei in ihren Herzen lebendig, wenn sie auch ohne die Vorschriften von Gesetzestafeln die Gebote des Gesetzes erfüllen; in’s Herz schreibt nur Gott. Ebenso heißt es: „Durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde“ Röm. 7,1, und: „wo kein Gesetz, da auch keine Übertretung“ Röm. 4,15. Wir müssen also bekennen, dass das Gesetz von Gott kam; denn wir selbst wüssten nichts von der Sünde, wenn Gott nicht durch sein Wort geoffenbart hätte, was man tun und nicht tun dürfe. Das Gesetz ist also nichts Anderes als die Lehre vom Willen Gottes, durch die wir erkennen, was er will und nicht will, was er fordert und verbietet. Dass aber der Wille Gottes bleibt, sodass er an dem den inneren Menschen betreffenden Gesetze niemals etwas ändern wird, erhellt aus den Worten des Gesetzgebers selbst. Mat. 7,12 sagt Christus: „Was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut auch ihnen; denn das ist das Gesetz und die Propheten“. Wenn wir unser ganzes Tun nach dieser Regel richten sollen, so muss sie ewig sein; im anderen Falle brauchte man nicht Alles nach ihr zu richten. Ferner lehrt Paulus Röm. 13,9, dass alle Gesetze sich in das eine Gesetz zusammenfassen lassen: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Es muss also alles Handeln und Überlegen, was nur immer den Nächsten betrifft, unter dieses Gesetz befasst werden. Von da aus wirst Du die schwierige Frage, die manche leider noch ungelöst finden, leicht verstehen; nämlich die: wie es kommt, dass wir aus demselben Gesetze Einiges beibehalten, Anderes beseitigen. Alles, was sich unter diese Regel des ewigen Gotteswillens: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ offensichtlich befasst, kann niemals abgeschafft werden; das Übrige ist durch Christus beseitigt. Denn „Christus ist des Gesetzes Ende“ und „die Liebe ist des Gesetzes Ende“ Röm. 10,4; 1. Tim. 1,5. Christus und die Liebe müssen also dasselbe sein. 1. Joh. 4,8 ...

 

VON DER SÜNDE.

 

Die Sünde wird in der evangelischen Lehre in doppeltem Sinne verstanden. Zuerst heißt Sünde jene Krankheit, die wir von Adam her an uns tragen, kraft deren wir der Eigenliebe verfallen sind ... Röm. 7,20 ... Diese Sünde, das heißt: dieser Bresten, ist uns angeboren; wir fliehen kraft seiner das Unbequeme und Schwierige und jagen dem heiteren Vergnügen nach. Zweitens wird unter Sünde die Gesetzesübertretung verstanden, wie ja durch das Gesetz die Erkenntnis der Sünde kommt Röm. 7,7. Jede Handlung also gegen das Gesetz heißt Sünde. Nun wollen wir das gegenseitige Verhältnis zwischen der Sünde als Krankheit und als Gesetzesübertretung betrachten. Die Krankheit weiß nicht um sich selbst, sie glaubt, es sei ihr Alles erlaubt. Gott denkt anders. Wenn die Krankheit Alles an sich reißt, meint, es müsse ihr alles zu Diensten und ihrer Begierde untertan sein, so beschneidet Gott mit dem Messer des Gesetzes diesen Mutwillen. „Denn das Gesetz ist wegen der Übertretung gegeben“ Gal. 3,19. Der Herzenskenner weiß ja nur zu gut um die Gleichartigkeit der Anlage aller Menschen; dass der Geringste nicht weniger sich selbst liebt als der Höchste. Wenn nun alle in gleicher Weise die Zügel schießen lassen, so kann daraus nur folgen, dass jeder nach Kräften gewaltsam Alles sich zu unterwerfen sucht; daraus muss dann Räuberei, Mord und dergleichen soziales Elend entstehen. Darum steckt Gott der so weit ausschweifenden Begierde eine feste Grenze und gebietet: „was du nicht willst, dass es dir geschieht, das füg auch keinem andern zu,“ und umgekehrt: „was du wünschest, dass man dir tue, tue auch den anderen“. Damit Du das leichter tust und Gottes Weisheit erkennst, versüßt er dieses sogenannte Natur-gesetz mit der Liebe; er spricht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Die Liebe ist etwas Süßes, alles Bittere erträgt sie freudig; denn dem Liebenden erscheint nichts schwer. Die zunächst groß und schwierig erscheinende Aufgabe, dem Nächsten zu tun, was Du Dir getan wünschest, wird angenehm und leicht, wenn Du liebst. Aber hier stemmt sich der alte Mensch, die Krankheit, das Fleisch, Adam, die Sünde entgegen – ; das sind etwa nach der Lehre der Apostel die Namen für dieses Laster der Selbstsucht. Es stemmt sich, sage ich, das Fleisch oder der alte Adam entgegen, er verachtet Alles außer sich selbst, er will lieber alles zum Schaden der Sache seiner Begierde unterwerfen, als der Hab-sucht, dem Ruhme und der Vergnügungssucht eine Schranke setzen. Darum zürnt und hasst er das Gesetz und den Gesetzgeber, und stellt ihm nach. Er hasst, weil er weder dem Gesetze noch dem Gesetzgeber ausbiegen oder entgehen kann Ps. 139,8 ... Er stellt nach, das heißt: er bemüht sich mit aller Kraft, den zu täuschen, der doch nicht getäuscht werden kann; er überlegt, findet dies und das, läuft hin und her, und schließlich stellt er fest: ein Tyrann stellt jene Forderungen. Denn wie sollte jemand einen anderen nicht weniger als sich selbst lieben? Doch angesichts seiner strengen Forderung muss man sich vor der Strafe hüten. Also tust Du, was schlaue Knechte ihren guten und treuherzigen Herren zu tun pflegen: Du denkst Dir irgend einen Betrug aus, damit Gott sich blenden lässt und Deine Absicht nicht merkt. Da brachte denn der Wucherer eine Gabe oder stiftete eine Pfründe, der Hurer fastete ein Vollfasten zu Ehren der Jungfrau Maria, der Verräter betete ein ängstlich und verzweifelt Gebet. Mit solchen Narrheiten hofften sie den arglosen Gott überrumpeln, ihm um den Bart gehen zu können, um ungestraft Ehebruch, Wucher, Verrat ausüben zu können. Man hörte nicht mehr auf das Gesetz, bildete nicht die Sitten nach seinem Wunsch, schaffte nicht Entehrendes ab, vielmehr wurde allenthalben der Mensch sich selbst Gott; mochte auch das Gesetz töten, nichts destoweniger machte er sich selbst mit seinen Künsten und Hoffnungen immer wieder lebendig. Daher wuchs die Gottlosigkeit allmählich so, dass er bei sich sprach: „es ist kein Gott“ Ps. 14,1, obwohl er vor der Öffentlichkeit mit scheinheiliger Miene sich wie die Frömmigkeit selbst gab. Absichtlich bin ich etwas näher darauf eingegangen; wir wollten erkennen, wie die Sünde als Tat der Übertretung aus der Sünde als Krankheit entsteht. Das Nächste ist, zu zeigen, wie wir von Gesetz und Sünde befreit worden sind. Wir sind nicht in dem Sinne vom Gesetz befreit worden, dass wir den Willen des Gesetzes nicht zu tun brauchten; denn das Gesetz ist Gottes unveränderlicher Wille. „Kein Pünktlein vom Gesetz wird dahinfallen“ Luk. 16,17 ... In dem Sinne sind wir befreit worden: wer liebt, tut freiwillig Alles, auch das Schwerste. Gott senkte ein Feuer in unser Herz; es sollte die Liebe zu ihm anstatt zu uns selbst entflammen, und dieses Feuer soll brennen Luk. 12,49. Johannes der Täufer und Christus selbst bei seiner Himmelfahrt Apg 1,5 hatten es verheißen; es ist die Liebe, und Gott ist die Liebe. Brennt sie in uns, so tun wir nichts mehr gezwungen, sondern Alles freiwillig und gern. Denn die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung Röm. 13,10. Denn das Gesetz geschah mit Unwillen und heuchlerisch, solange die Liebe nicht brannte. Ist sie entflammt, so schaut man nicht mehr auf das Gesetz, geschweige dass man es fürchtet, vielmehr führt die Liebe in allen zu Allem. Wie man von solchen, die von Leidenschaften ge-knechtet sind, sagt: sie werden hingerissen, so werden die von der göttlichen Liebe Entflammten durch den in ihnen glühenden Geist hingerissen. Eine Art der Befreiung vom Gesetze besteht also darin, dass wir durch die Liebe das Gott Wohlgefällige tun ... Die zweite Art der Befreiung besteht darin, dass das Gesetz nicht weiter verdammen kann, das doch ehedem Zorn, Unwillen und die gerechte Rache Gottes wirkte Röm. 4,15; Gal. 3,10; 5. Mos. 27,26 ... Christus hat uns von diesem Fluche des Gesetzes erlöst, indem er selbst für uns zum Fluch wurde, das heißt: für uns an’s Kreuz geschlagen wurde Gal. 3,13 und Röm. 6,10. So sind wir nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade, und dann kann das Gesetz nicht verdammen; denn wenn es noch das Regiment führt, zu ver-dammen, sind wir nicht unter der Gnade. Christus hat den Zorn des Gesetzes zerbrochen, das heißt: er hat die Gerechtigkeit Gottes, kraft derer er allen Grund gehabt hätte, gegen uns ergrimmt zu sein, besänftigt und durch seinen harten Kreuzestod für uns so gestillt, dass er uns nicht nur aus der Knechtschaft zur Freiheit, nein, sogar zur Sohnschaft erwählte. Sind wir Söhne – und wir sind es ganz sicher Röm. 8,14; Gal. 4,6 – , so stehen wir über dem Gesetze. „Denn wenn uns der Sohn frei machte, so sind wir wirklich frei und erlöst“ Joh. 8,36. Wir sind also vom Gesetze befreit, wenn die Liebe an die Stelle der Furcht vor dem Gesetze trat ... Und wiederum sind wir von der Strafe des Gesetzes befreit; denn Christus hat die uns für unsere Sünden gebührende Strafe durch sein Leiden bezahlt. Von der Sünde als Krankheit aber sind wir befreit, sofern sie nicht weiter schaden kann, wenn wir auf Christus vertrauen. „Denn es ist nichts Verdammli-ches in denen, die in Christus Jesus sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln“ Röm. 8,1. Sofern die Sünde aber Übertretung ist, so sind wir in gleicher Weise von ihrem Schaden befreit wie vom Zorne des Gesetzes Röm 8,2 ... Denn wenn wir sagen: „Das Gesetz verdammt“, so meinen wir: die gegen den Willen des Gesetzes geschehene Sünde verdammt. Deshalb meinte ich: das von der Be-freiung von der Verdammung durch das Gesetz Gesagte gilt auch von der Be-freiung von der Sünde. Indem wir nun aber nach dem Allem in uns selbst die Krankheit noch als Kraft spüren, sodass wir beständig sündigen, und anderer-seits sagten, nur ein neu gewordener Mensch könne Hoffnung auf Heil haben, werden wir wieder in die alte Verzweiflung getrieben. Wir müssen also, nachdem wir den Knoten richtig geschürzt haben, jetzt klar machen, inwiefern wir neue Menschen sind, auch wenn wir den alten Adam noch spüren. Genauer: wie es kommt, dass die, die in Christus sind, auch wenn sie sündigen, doch nicht verdammt werden. Zum besseren und leichteren Verständnis wollen wir die Worte des Paulus Röm. 7,7ff. behandeln ... Aus dem ersten Teile derselben V. 7-13 lernen wir, dass wir nichts als Verderben sind. Der zweite Teil V. 14-25 enthält den Kampf zwischen Fleisch und Geist ... Wir sind vom Gesetze ausge-gangen und vom alten Menschen, und von da aus zum alten und neuen Men-schen emporgestiegen, und ich habe aus dem einen Menschen zwei gemacht: den inneren, der dem Geiste gehorcht, und den alten, der niemals von seinem Gesetze lässt, das heißt: von der Eigenliebe und Selbstschätzung. Zwischen diesen beiden findest Du stets Krieg. „Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch“ Gal. 5,17. Daher kommt der beständige Kampf. Manchmal siegt das Fleisch; wenn es auch den Geist nicht ganz austreiben kann, so erreicht es doch so viel, dass wir nicht tun, was wir wollen. So erklärt es sich, dass des Christen Leben ein beständiger Kampf ist, ganz abgesehen von den äußeren Zufällen des Lebens. Das bekümmert mich oft, beunruhigt mich und verwirrt meine guten Wünsche, sodass ich ... ungeduldig und der Verzweiflung nahe oft ausrufe: „ich Unglückseliger, wer wird mich aus diesem Elend befreien?“ Jetzt aber will ich drittens, damit Euch nichts entgehe, zeigen, was mich in solchen Ängsten tröstet. Wisset also, wenn ich so lange und heftig innerlich gekämpft und mich gemüht habe, so gibt es keine angenehmere Hülfe als den Gedanken an Christus. Wenn ich ihn erfasse, so schiffe ich fröhlich dahin, der ich fast schon zu scheitern drohte. Denn ich sage mir: der Gott, der seinen Sohn für Dich opferte, kann Dir nichts versagen und kennt Deine Schwäche. Und wenn er Dich, als Du ganz ferne von ihm, sein Feind, warst, gnädig aufnahm, so wird er Dich um so mehr selig machen jetzt, wo sein Sohn auferstanden ist Röm. 5,21. Da beginnt schon die Angst und die Furcht nachzulassen, die Seele wird ruhig und erholt sich allenthalben. Und dann rüste ich mich zur Danksagung an meinen Gott und Vater durch unseren Herrn Christus Jesus. Sogleich aber kommen neue Kämpfe – ich erwähne das deshalb, damit Ihr nicht sorglos und träge nach dem einen oder anderen Kampf unversehens in Gefahr geratet. Und nach jenen Kämpfen kommen wiederum neue, das Leben eines Christenmenschen ist wie ein von gewaltigem Sturme hin und her geworfenes Schiff; die Schiffsleute können es bald ein wenig mit den Rudern lenken, bald müssen sie es der Windsbraut überlassen. Wenn je einer, so habe ich das selbst an mir erfahren. Denn was ich auch sein mag, ich fühle, wie ich bald Gott, bald dem Fleische diene. Mein Herz denkt an die göttlichen Gesetzesgebote, liebt Gott, vertraut auf seine Barmherzigkeit, möchte ihm allenthalben gefallen. Aber auch das Fleisch bleibt und lässt nicht von seiner Art, so wenig wie ein Fuchs oder Wolf. So sündi-ge ich schließlich wider Willen, trotzdem mein Herz in unentwegter Hoffnung an Gott hängt. Zweifellos aber kann es Euch gehen wie mir; was einem Menschen begegnet, kann ja auch den andern treffen. Niemand ist von der Krankheit der Erbsünde frei, also auch nicht von diesem Kampf. Man muss also gleichsam als heiligen Anker das festhalten, niemals die Hoffnung und den Ruhm, Söhne und Erben Gottes zu sein, fallen zu lassen. Halten wir daran fest – das ist das Letzte – , so wird uns keine Verdammung treffen, vorausgesetzt, dass wir nach dem Geiste wandeln, nicht nach dem Fleische. Damit Ihr jedoch das Wesen des Wandelns nach dem Geiste erkennt und seine Möglichkeit hier auf Erden, beachtet wohl: jener Leben schaffende Geist Christi, den ich um des Gegen-satzes willen das Gesetz des Geistes nennen will, durch den ich mich im innersten Herzen frei weiß von der gerechten Rache Gottes und zu Christi Miterben erwählt, der hat mich vom Gesetze, das heißt: der Macht und Not-wendigkeit der Sünde und des Todes, befreit. Denn da wir bisher um der Schwäche des Fleisches willen durch die Werke des Gesetzes nicht selig werden konnten, schickte Gott seinen Sohn im Fleische, das unserem kranken Fleische allenthalben ähnlich war, abgesehen von der Krankheit selbst, und er verdammte die Krankheit, weil sie täglich so viel Sünde in uns erregte; er verdammte sie durch sein Fleisch, das heißt: durch das Ertragen des Todes für uns nach seiner schwachen Menschheit, damit die Gerechtigkeit des Gesetzes, die Niemand erfüllen konnte, durch ihn an uns erfüllt würde. Denn was Christus tat oder litt, ertrug er für uns. Daher ist auch seine Gerechtigkeit die unsrige, wenn wir nur nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geiste ... Das Sinnen oder Trachten des Fleisches bringt den Tod, hingegen das des Geistes Leben und Frieden. Sinnen und Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; denn es gehorcht dem Gesetze Gottes durchaus nicht und kann auch nicht zum Gehor-sam gezwungen werden. Daher könnt Ihr leicht erkennen, was fleischlich was geistig leben heißt. Fleischlich leben heißt: ganz der Herrschaft des Fleisches ergeben und fern vom Geiste sein; geistig leben: dem Geiste gehorchen, niemals vom Glauben lassen, mag auch das Fleisch von Befleckung durch die Sünde nicht frei sein. Wer also im Fleische ist, kann Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geiste, wenn nur Gottes Geist in Euch wohnt. Dann aber wohnt er in Euch, wenn Ihr dem Sohne Gottes vertraut, trotzdem Ihr im vergänglichen Fleische steckt. Wer aber diesen Christus-Geist nicht hat, ist nicht sein. Wenn aber Christus in Euch ist, so ist, um es ganz klar zu sagen, der Leib trotz allem tot um der Krankheit der Sünde willen, der Geist aber lebt, nicht um Deiner Gerechtigkeit willen, sondern um der Gerechtigkeit dessen willen, der Deine Gerechtigkeit wurde. So steht es um den Christenmenschen: dem Leibe nach ist er stets tot; umgekehrt, wenn sein Herz an Gott hängt, lebt er zugleich stets dem Geiste nach. Mit diesen Worten des Apostels glauben wir die schwie-rige Frage gelöst zu haben, inwiefern Unschuld gefordert wird, die wir keines-wegs leisten können, und doch Christus das wirkungskräftige Pfand für alle Sünden ist; denn durch eigene Unschuld das Heil erwerben müssen und Alles der Gerechtigkeit Christi verdanken, verträgt sich nicht zusammen, haupt-sächlich deshalb, weil wir das Heil nicht aus eigener Kraft erreichen können. Und wenn auch damit der oben erwähnte Einwand erledigt ist, so wollen wir doch noch einmal darauf eingehen, damit auch gewisse ungebildete Leute befriedigt sind. Der Einwurf lautete: durch diesen Lobpreis der durch Christus geschenkten Gnade werden die Christen leichtsinnig und ungebunden. Wir antworten: die auf Christus vertrauen, sind neue Menschen geworden. Wie? Haben sie etwa unter Ablegung des alten einen neuen Leib angezogen? Keineswegs, der alte Leib bleibt. Es bleibt also auch der Erbbresten? Ja. Was wird denn erneuert? Das Herz. Inwiefern? Es wusste bisher nichts von Gott. Wo man aber von Gott nichts weiß, da ist nur Fleisch, Sünde, Selbstschätzung. Sobald aber Gott erkannt wird, durchschaut sich der Mensch innen und außen, und verwirft, was er da sieht. Alle seine Werke, auch die, die er bisher als gut einzuschätzen pflegte, dünken ihn nichts wert zu sein. Wenn also durch Erleuchtung der himmlischen Gnade das Herz Gott erkennt, ist der neue Mensch da. Denn der früher auf die eigene Weisheit, die eigenen Werke oder Kräfte Vertrauende hofft jetzt auf Gott allein. Der früher ohne Rücksicht auf Ehrbarkeit und Gott nur auf das eigene Wohlbe-finden Bedachte ist jetzt nur bestrebt, nichts von der früheren Gewohnheit beizubehalten, sich aber ganz nach Gottes Willen zu bilden. Indem aber der Leib fortgesetzt gewisse tote Werke erzeugt, beklagt der Mensch auch fortgesetzt dieses Unglück und Elend. Ach guter Gott! Was bin ich, welch unerschöpflicher Kübel von Sünden! Immer und immer wieder sündige ich, ohne Ende. Wann endlich wirst Du den Unglückseligen aus diesem Schlamm befreien, in dem ich stecke? Da schau schnell, ob nicht das christliche Leben eine ständige Buße sei? Ist diese Selbstverdammung nicht Tod? Doch wenn hier das Herz durch Gottes Geist die Hoffnung nicht fahren lässt, lebt dann nicht das kurz vorher zusammen-gebrochene Gewissen wieder auf? Darin also besteht das christliche Leben, die Hoffnung auf Gott durch Christus niemals sinken zu lassen, auch wenn der Mensch infolge der Schwäche des Fleisches nicht sündlos ist; er überwindet, weil er sich ihr nicht hingibt, sondern nach jedem Fall wieder aufsteht, in der Gewiss-heit, dass der dem Petrus sagte, man müsse siebenzig Mal sieben verzeihen Mat. 18,22, selbst ebenso viel verzeiht, wie er lehrte. Um ein Beispiel zu bringen: bei der Baumpflanzung geht es ganz ähnlich zu. Der Landmann gräbt einen wilden Birnbaum aus, pflanzt ihn in einen angebauten und fetten Boden. Sobald der fremde Baum in der neuen Erde Wurzel fasst, wird ihm die Spitze abge-schnitten und Zweige zahmer Bäume eingepfropft, die dann zugleich mit dem Stamme wachsen. Aber wie anders werden die Früchte! Die Edelzweige treiben und bieten zu ihrer Zeit dem Landmann die birnenschweren Äste dar; hingegen schirmt sich der Stamm mit Dornen und rauhen Schösslingen, und wenn man sie nicht abschneidet, wollen sie auch ihrerseits Frucht tragen. Je mehr man sie wachsen lässt, desto mehr geht dem echten und zahmen Zweig verloren. Die wilden Birnen sind wir Menschen ... , die wir bei der Berührung mit der himmli-schen Lehre in neues Erdreich gepflanzt werden ...

 

VON DER SÜNDE GEGEN DEN HEILIGEN GEIST.

 

Da das Wesen der Sünde gegen den heiligen Geist leicht aus Obigem er-schlossen werden kann, empfahl es sich, an dieser Stelle darüber zu reden. Wenn Christus Mat. 12,31 f. sagt: „Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden, die Lästerung gegen den Geist aber nicht; und wer ein Wort gegen den Menschensohn sagt, das wird ihm vergeben; ein Wort gegen den heiligen Geist aber wird ihm nicht vergeben werden, weder in dieser noch in der künftigen Welt,“ so ist klar nach den Worten Christi Joh. 13,10: „Wer gewaschen ist, bedarf nur, dass man ihm die Füße wäscht“, dass jede Sünde getilgt wird, wenn Du Glauben hast. Denn wo Glaube ist, bist Du zwar stets ein Sünder, beklagst aber auch stets Deine unglückselige Neigung zur Sünde und beginnst stets ein neuer Mensch zu werden. Hingegen, wo der Glaube fehlt, da achtet man weder auf die Sünde, noch auf die Gottesfurcht. Mag man heuchlerisch tun, was man will, Gebete murmeln, fasten, Almosen geben; wo der Glaube fehlt, ist das Alles Schein und Ehrsucht. Also ist die höchste Lästerung gegen Gott, ihm nicht vertrauen. Es kommt dann zu offenen Schmähungen. „Denn der Gottlose spricht in seinem Herzen: es ist kein Gott“ Ps. 14,1, und wenn er so spricht, lästert er auch Gottes Werk, wie Mat. 12,22-27 an der angeführten Stelle die Heuchler. Dem einfältigen Volke schienen sie die glühendsten Gottesverehrer zu sein, in Wirklichkeit waren sie Gottes schlimmste Feinde; daher lästerten sie Gottes Werk. Denn als Christus mit göttlicher Kraft einen Dämon ausgetrieben hatte, lästerten sie, es sei durch Kraft des Fürsten der Dämonen geschehen. Diese Lästerung konnte nur aus Unglauben entspringen; denn weil sie nicht glaubten, dass Christus Gottes Sohn sei, lästerten sie sein Werk. Als Gottlose glaubten sie Christus nicht; hätten sie auf Gott vertraut, so hätten sie ihn auch anerkennen müssen. Also allein der Unglaube wird niemals vergeben. Denn niemals hält er sich an Gott oder verehrt ihn, niemals fürchtet er ihn, niemals richtet er sich nach Gottes Willen, niemals vermeidet er die Sünde, um Gott nicht zu beleidigen. Ganz anders die Frömmigkeit: sie hält sich beständig an Gott, ihren einzigen Schatz, hängt nur an ihm, verehrt nur ihn, achtet auf ihn, hütet sich vor dem, was ihn kränkt, und wenn sie aus Schwachheit einen Fehler macht, so beklagt sie in bangem Weinen den Irrtum. Hier gibt es keine Sorglosigkeit gegen-über der Sünde, vielmehr eine treue und feste Wacht, dass nicht irgendwie die Sünde sich einschleicht. Der Glaube ist der zuverlässigste Wächter gegen die Sünde. Die Worte des Johannes 1. Joh. 5,16 über die Sünde zum Tode meinen auch nur den Unglauben, was bei näherem Zusehen schnell klar wird ... Die wahre christliche Religion besteht also darin, dass der elende Mensch an sich selbst verzweifelt, all’ sein Denken und seine Zuversicht auf Gott wirft, in der Gewissheit: der kann nichts versagen, der seinen Sohn für uns opferte; und der Sohn, der ebenso Gott ist wie der Vater, kann nichts versagen, da er der unsrige ist. Die falsche Religion aber spielt nur mit dem Namen Christi, hat aber ihre Hoffnung anderswo. Denn dieser dingt zur Tilgung seiner Sünden trunkene Sänger, jener Mönche zum langweiligen Psallieren, der glaubt durch einen schönen Kirchenbau, der durch die Stiftung eines kostbaren Kleides an einen Heiligen sich die Glückseligkeit zu erkaufen, der stützt sich auf eigenes, der auf fremdes Verdienst, kurz, so viel Städte, so viel Götter; jede hat einen Sonder-heiligen, dem sie ihren Schutz anvertraut ... Gebe der höchste Gott, dass wir alle unsere Blindheit anerkennen, und wir bisherigen Kreaturenverehrer uns fest an den Schöpfer halten, dass er der einzige Schatz für unser Herz werde! …

 

- FORTSETZUNG -