Vom Glück der Gottlosen
Reicher Mann und armer Lazarus (Lk 16,19-31)

Vom Glück der Gottlosen

 

Ärgern sie sich auch manchmal über das Glück schlechter Menschen? Fragen sie sich, warum die Übeltäter dieser Welt immer so gesund und so langlebig sind? Wie oft haben gerade die Erfolg, die ihn am wenigsten verdienen! Die Ehrlichen dagegen werden ausgenutzt. Die Anständigen beziehen Prügel. Und die Freundlichen, denen man Besseres gönnt, erleiden einen Schicksalsschlag nach der anderen. Du meine Güte, denkt man, wie ist das so ungerecht! Hätte ich über Glück und Unglück zu bestimmen – ich würde mal kräftig umverteilen! Ähnliche Klagen liest man auch schon in den Psalmen (Ps 10 u. 73). Die Bösen treiben Übermut. Sie üben Gewalt gegen die Armen, lügen und fluchen. Der Himmel aber schweigt dazu und zieht sie nicht zur Rechenschaft. Vielmehr geht es den Frevlern gut, sie essen sich satt und bauen schöne Häuser. Kann das denn richtig sein? Ich verstehe die Empörung – werde in letzter Zeit aber vorsichtiger. Denn ich las kürzlich Worte eines Rabbiners, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Er fand in 5. Mose 7,10 geschrieben, Gott zahle seinen Hassern ins Angesicht, um sie zu tilgen, und gab dazu folgende Deutung: 

 

„Gott zahlt seinen Hassern mit guten Dingen in dieser Welt, sie zu tilgen aus der kommenden Welt. So frage ich euch: Gesetzt, der Frevler ist süchtig nach dem Mammon, wohl denn, Mammon in Fülle wird ihm gegeben, und gesetzt, der Frevler ist süchtig nach Ehrung, wohl denn, Ehrung in Fülle wird ihm gegeben – wie nun aber, wenn der Frevler nicht auf Ehre noch auf Gold aus ist, aber auf geistige Stufen ist er aus, oder er ist darauf aus, ein Rabbi zu sein, was dann? Nun wohl, wer auf geistige Stufen aus ist, dem gibt man geistige Stufen, und wer darauf aus ist, ein Rabbi zu sein, dem gibt man das Rabbitum, ihn zu tilgen aus der kommenden Welt.“ (Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim) 

 

Verstehen sie, wie er das meint? Wir unterstellen gewöhnlich, Gott müsse den Bösen ihre Bosheit vergelten, indem er ihnen verweigert, was sie wollen. Dieser Rabbi behauptet aber ganz im Gegenteil, Gott strafe die Bösen eben dadurch, dass er ihre Wünsche erfüllt. Sie wollen das Verkehrte, er aber gibt ihnen bereitwillig dies Verkehrte, nach dem ihnen der Sinn steht. Denn das, was sie für ihr Glück halten und worin sie vernarrt sind, dient in Wahrheit nicht ihrem Heil, sondern gereicht ihnen zum Unheil. Sie wollen nicht den Himmel und – ok! – sie bekommen dafür das andere, das ihnen lieber ist. Doch genau so stellt Gott sicher, dass sie von seinem Reich ausgeschlossen bleiben. Er zahlt seinen Hassern mit guten Dingen in dieser Welt, um sie zu tilgen aus der kommenden Welt. Und mehr muss er nicht tun. Denn sie wandern ja schon von selbst in den Abgrund. Gott muss sie nur gewähren lassen. Also gibt er sie dahin in ihr verkehrtes Wünschen und lässt sie laufen (Röm 1,24.26.28). Er lenkt sie nicht ab und hält sie nicht auf, sondern lässt ihnen ihren Willen. Und dass ihre dummen Wünsche in Erfüllung gehen, ist dann Strafe genug. Denn woran ein Mensch sein Herz hängt, das nimmt für ihn Gottes Stelle ein. Ist es aber nicht der Schöpfer selbst, sondern etwas von den geschaffenen Gütern, so wird die verkehrte Hingabe (unweigerlich und verdientermaßen) in großer Enttäuschung enden. Denn das Geschaffene, nach dem ein Mensch giert, kann auf die Dauer nicht halten, was er sich davon verspricht. Welcher Besitz, welcher Ruhm, welcher Genuss auch immer – es wird ihn weder selig machen noch wird es ihn schützen, tragen oder retten, denn dazu ist es ja gar nicht da. Die irdischen Güter wie Wohlstand, Familie, Gesundheit und Verstand sind alle relativ und vergänglich. Sie können uns das Absolute, sie können uns Gott nicht ersetzen. Und wenn uns Misserfolge rechtzeitig mit der Nase drauf stoßen, merken wir das auch. Die Enttäuschung ist dann heilsam, denn wir begreifen, dass wir auf das falsche Pferd gesetzt haben – und können umdenken! Bekommen wir aber immer reichlich von dem, wonach wir gieren, so berauscht uns das, wir versinken dann in selbstzufriedener Freude, ja wir meinen, das Leben wolle uns belohnen, und der Erfolg gäbe uns recht. Wer bekommt, was er will, fühlt sich in seinem Streben bestätigt, er folgt immer weiter derselben Spur und macht sich keine Gedanken – bis es zu spät ist. Und eben darum Gott gibt seinen Hassern die guten Dingen dieser Welt, um sie zu tilgen aus der kommenden Welt. Er hat sie nicht verkehrt gemacht. Weil sie aber unbedingt verkehrt sein möchten, stört er sie darin nicht. Ja, da sie es so wollen, erlaubt er ihnen, von dem süßen Gift zu naschen, an dem sie dann zugrunde gehen. Der Frevler will Geld? Er bekommt Geld! Er will Ehre? Er bekommt Ehre! Das aber gerade nicht, weil Gott ihn gern hätte, sondern weil ihn der Erfolg im eitlen Streben am sichersten ausschließt von der kommenden Welt. Er hätte sich eben besser überlegen sollen, was er sich wünscht! Nun hat Gott ihn erhört – und gerade diese Erhörung ist sein Verhängnis! Denn in dem Maße, wie der Frevler nun innige Gemeinschaft pflegen darf mit seinem Götzen, schließt ihn das aus von der Gemeinschaft mit Gott. Er liebt Vergängliches – und wenn es dann vergeht, sind seine Hoffnungen dahin. Er erleidet die Höchststrafe und merkt es nicht einmal. Aber dürfte er drüber klagen? Da er zu Gott nicht sagen wollte „Dein Wille geschehe“, sagte Gott zu ihm „Dein Wille geschehe“. Wenn der Mensch nicht nach Vergebung, Erlösung oder Gnade fragt, wird ihm auch nichts davon zuteil. Wenn er sich keinen Platz im Himmel erbittet, wird ihm auch keiner reserviert. Stattdessen darf er sich mit dem beschäftigen, was er für sein „Glück“ hält. Er zieht es vor, er darf es haben. Er frönt seiner dummen Leidenschaft, er folgt seinem falschen Lebensideal. Und während alle Welt denkt, er sei Gottes Liebling, weil ihm alles nach seiner Nase geht, ist dieser „Erfolg“ doch in Wahrheit ein Zeichen der Verwerfung. Aber wichtiger als dies ist der Umkehrschluss. Denn wenn das, was nach Glück aussieht, dem Gottlosen zum Untergang gereichen kann, dürfen wir auch mit dem Umgekehrten rechnen – dass nämlich, was nach Unglück aussieht, einem Christen zum Vorteil gereichen und von Gott gut gemeint sein kann. Wenn Gott manch einen, den er mit Erfolg verwöhnt, eben dadurch verwirft, dann dürfen wir auch mit dem umgekehrten Fall rechnen, dass er manch anderen, den er mit Schicksalsschlägen plagt, eben dadurch fördert. Und das ist wichtig zu wissen. Denn wenn Gott jemand ins Unglück stürzt, heißt das nicht, dass er etwas gegen ihn hätte. Sondern es kann bedeuten, dass er ihn auf eben diesem schmerzhaften Weg um so sicherer zum Glauben und in den Himmel führen will. Denn bedenken sie, wie viele Menschen erst zum Glauben fanden, nachdem sie ihr Leben so richtig an die Wand gefahren hatten! Viele muss Gott erst mal auf den Rücken legen, damit sie endlich zum Himmel schauen. Viele kommen erst im Gefängnis zum Nachdenken, im Krankenhaus oder in der Armut. Viele kommen erst zur Besinnung, wenn sie vereinsamen und der Tod an ihre Tür klopft. Gott muss viele erst aus der Bahn werfen, damit ihr Streben dann eine bessere Richtung findet. Man könnte das bei Paulus zeigen, bei Augustin und Franziskus, bei Luther und unzähligen anderen. Die mussten erst falsche Gewissheiten verlieren und durch Krisen gehen, bevor sie zu Verstand kamen. Ohne das wären sie nicht geworden, was sie später waren. Viele fragen erst nach Gott, wenn ihnen nichts andres mehr übrig bleibt. Und obwohl Gott ihnen damit Bitteres zumutet, ist es durchaus nicht böse gemeint. Nein! Sie müssen innerlich erst arm werden, bevor sie Gott als ihren wahren Reichtum erkennen. Doch kämpft er zu keiner Zeit gegen sie, sondern kämpft immer um sie. Und manche Krise erweist sich dann im Nachhinein als eine herzliche Umarmung Gottes. Manchmal lässt er uns nur stolpern, um uns aufzufangen. Wenn einer aber nie stolpert, bedeutet das keineswegs, dass er Gottes Liebling wäre. Und so mahnt auch Luther, dass wir uns vom äußeren Wohlergehen besser nicht täuschen lassen (Walch 2. Aufl. Bd 22, Sp. 110). Gott füllt den Gottlosen den Bauch, sagt Luther, aber den Himmel gibt er ihnen nicht. Was sie an Geld, Gut und Macht begehren, das schenkt er ihnen im Überfluss, denn daran liegt nichts. Das beste Gut aber (das sie nicht begehren), das versagt er ihnen ganz bewusst. Denn das beste Gut von allen – das ist er selbst. An den Freuden dieser Welt dürfen sich die Narren eine Zeit lang berauschen. Doch Gott selbst, nach dem sie nicht fragen, werden sie ewig entbehren. Sie lieben ja alles andere mehr als ihn – also bekommen sie auch von allem anderen mehr. Ja, sie dürfen regelrecht baden im vergänglichen Plunder dieser Welt! Doch das unvergängliche Gut, das sie nicht zu schätzen wissen, das entzieht ihnen Gott, indem er sich selbst entzieht. Und er straft sie damit, ohne dass sie es auch nur merken. So einer meint vielleicht, er wäre ein König und hätte an seinen Erfolgen einen großen Schatz, weil die anderen Narren ihn drum beneiden. Doch beim näheren Hinsehen sind es nur Glasperlen und bunter Flitterkram – und nichts von bleibendem Wert. Weil er sich damit zufrieden gibt, hat er nichts Besseres verdient. Wer aber den Himmel erben soll, den muss Gott mit harter Hand führen, den muss er hungrig halten, an dem muss er geduldig arbeiten und kann ihn nicht in Frieden lassen. Denn so einer soll ja nirgends zur Ruhe kommen, als bei Gott selbst. Und wenn’s sein muss, sorgt Gott dafür, dass er von einer Not in die andere fällt, damit er in immer neuen Enttäuschungen irgendwann anfängt, dem Glanz dieser Welt zu misstrauen. Dieser Freund hintergeht ihn, und jener verlacht ihn, hier wird er belogen und dort irrt er sich: Muss er da nicht irgendwann schlau werden und nach Gottes Treue und nach Gottes Wahrheit fragen? Seine Arbeit bleibt ohne Ertrag, sein Haus zerfällt, sein Geld wird gestohlen, sein Körper lässt ihn im Stich, und die Freunde versterben: Muss er da nicht anfangen, nach ewigen Werten zu streben, nach einem Schatz im Himmel und nach ungestörter Seligkeit? Fände er sein Glück in der Welt, würde er’s bei Gott nicht mehr suchen. Gott aber will gesucht werden! Und so frustriert er uns manchmal in bester Absicht. Denn wer in der Welt immer satt wird, blickt nicht mehr über den Rand dieser Welt hinaus. Wer dagegen mühselig und beladen ist und nicht zur Ruhe kommt, der sucht, was er in der Welt nicht findet, bei Gott, der gedenkt seiner Fehler und streckt sich nach Gnade aus. Von der Welt im Stich gelassen fragt er nach seinem Schöpfer. Und eben der rüttelt und schüttelt ihn und lässt mit Absicht nicht zu, dass dieser Mensch mit sich selbst zufrieden sei. Sondern er weckt in ihm einen unstillbaren Hunger nach dem Vollkommenen, das Gott selber ist. Gott treibt ihn hierhin und treibt ihn dorthin, bis er endlich begreift, dass ihm nichts genügen kann, als nur Gott selbst. Aber ist es böse gemeint? Nein, sicher nicht! Wo die Sehnsucht groß ist, will Gott sie auch erfüllen. Aber für den Betrachter sieht‘s eben eine Zeit lang aus, als würde Gott diesen Menschen sehr plagen und es ihm schwer machen. Bei all den Widrigkeiten könnte man denken, er sei ihm feindlich gesinnt. Doch ist das eben Gottes Art, das Herz des Menschen nach und nach von der Welt zu lösen und es zu sich zu ziehen. Denn wo unser Schatz ist, da wird auch immer unser Herz sein (Mt 6,21). Sind meine Schätze in der Welt, klebt auch mein Herz an der Welt. Es ist dann besessen von dem, was es in der Welt besitzt. Und eben in dem Maße, wie es an der Familie hängt und am eigenen Häuschen, an Verdiensten, Genüssen und festen Plänen – in eben dem Maße hängt das Herz nicht an Gott. Ist es also nicht eine Form der Fürsorge, wenn Gott mir wegnimmt, woran ich zu sehr klebe, und mich vom Vergänglichen löst, bevor ich mit dem Vergänglichen untergehe? Vielleicht raubt er mir den Ehepartner und vielleicht mein Geschäft. Vielleicht nimmt er mir die Gesundheit, die schöne Wohnung oder meinen guten Ruf. Aber können das nicht chirurgische Schnitte sein, die, indem sie mich ärmer machen, mich zugleich freier machen? Gott zerschlägt mir meine Götzen, und ich weine über die Scherben. Aber ist das nicht hilfreich und gut? Und wenn er mir raubt, was ich abgöttisch verehrte, wird dann nicht umso mehr Platz sein – für ihn? Mit den Gottlosen macht sich der Himmel keine solche Mühe – denen gibt er das Spielzeug der irdischen Freuden zur nutzlosen Beschäftigung. Mögen sie in Champagner baden! Die Gott aber für den Himmel erwählt, denen entzieht er ihr Spielzeug, um sie nach und nach ganz für sich in Besitz zu nehmen. Er will ihre Seelen ganz und gar – und verhält sich wie ein eifersüchtiger Liebhaber, der nach und nach alle Konkurrenten ausschaltet, die ihm die Geliebte streitig machen (S. Rutherford). Nicht an dummen Träumen sollen wir hängen, sondern an ihm allein. Und wenn Gott dazu unseren Stolz niederschlagen und unsre Karriere verderben muss, dann tut er‘s. Das aber eben nicht, weil er uns verworfen, sondern gerade, weil er uns erwählt hat. Er nimmt uns etwas weg, um selbst dessen Raum einzunehmen. Denn in Wahrheit ist es Raum, der Gott gebührt. Er will uns alles bedeuten. Und in diese Verfassung kommen wir umso leichter, je weiter der Abbau unseres alten Menschen fortschreitet (Kol 3,9-10; Eph 4,22-24). Wir verlieren Dinge und weinen drüber. Doch verlieren wir damit auch Ballast. Das sieht nach Unglück aus, ist in Wahrheit aber keines, wie ja auch das Glück der Gottlosen nicht das ist, was es scheint. Sie lässt Gott nur darum ungestört ihrer Wege gehen, weil er kein Interesse an ihnen hat. Die er aber in sein Reich ziehen will, die prüft, plagt und schüttelt er, an denen hobelt, feilt und hämmert er, die lässt er nicht auf falsche Weise zur Ruhe kommen, sondern reinigt sie von allem Ballast, der sie noch herunterzieht (Röm 5,3-5). Und so meine ich, dass jener Rabbi recht hat: Gott zahlt seinen Hassern mit den guten Dingen dieser Welt, um sie zu tilgen aus der kommenden Welt. Man kann das ruhig ausplaudern, denn die Betroffenen glauben es sowieso nicht! Doch gilt zugleich das Umgekehrte: Gott entzieht seinen Kindern viele gute Dinge dieser Welt, um sie jetzt schon zu beheimaten in der kommenden Welt. Und darum sollten wir vorsichtig urteilen über die vermeintlich so ungerechte Verteilung von Glück und Unglück. Denn wem Gott alle irdischen Freuden schenkt – und nur sich selbst nicht – der ist trotzdem bettelarm. Wem Gott aber rein gar nichts schenkt, außer sich selbst, der ist trotzdem reich und hat genug in Ewigkeit.

 

 

Bild am Seitenanfang: Lazarus and the Rich Man’s Table (Luke XVI) 

Gaspar van den Hoecke, Public domain, via Wikimedia Commons