D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam,

daß der freie Wille nichts sei (De servo arbitrio, 1525)


Widerlegung der einleitenden Bemerkungen der Diatribe.

 

Nun im Eingange deiner Darlegung versprichst du, du werdest mit den canonischen Schriften die Sache führen, weil sich nämlich Luther durch das Ansehen keines anderen Schriftstellers außer denselben binden lassen will. Das gefällt mir wohl, und ich nehme das Versprechen an, wiewohl du dieses nicht in der Meinung zusagst, weil du urtheilst, daß diese Schriftsteller zur Sache nicht dienlich seien, sondern, damit du nicht eine vergebliche Arbeit auf dich nehmest, denn es gefällt dir nicht besonders meine Kühnheit, oder mit welchem Namen sonst dies mein Vornehmen (nur die heilige Schrift gelten zu lassen) genannt werden mag. Denn es bewegt dich ziemlich bedeutend „die so zahlreiche Reihe der gelehrtesten Männer, deren Meinung man so viele hundert Jahre einstimmig gebilligt hat, unter denen solche gewesen sind, die eine besondere Einsicht in die heilige Schrift gehabt haben, auch einige sehr heilige Märtyrer, viele, die durch Wunderthaten berühmt sind, dazu die neueren Theologen, so viele hohe Schulen, Concilien, Bischöfe und Päbste“, kurz, auf der Seite steht die Gelehrsamkeit, hohe Begabung, Menge, Größe, Höhe, Tapferkeit, Heiligkeit, Wunder und was sonst noch? Auf meiner Seite aber ist der eine: Wiclef und der andere: Laurentius Valla (wiewohl auch Augustinus, den du übergehst, ganz und gar mein ist), aber diese haben gar kein Gewicht im Vergleich mit jenen; da bleibt Luther allein übrig, ein einzelner Mensch ohne hohes Amt (privatus), der erst kürzlich aufgekommen ist (natus), mit seinen Freunden, bei denen weder eine so große Gelehrsamkeit ist, noch so hoher Verstand, noch Menge, noch Größe, noch Heiligkeit, noch Wunder, so „daß sie auch nicht einmal ein lahmes Pferd heilen können. Die Schrift rühmen sie, welche sie doch gleicherweise, wie ihr Widerpart, als eine zweifelhafte haben, dann rühmen sie den Geist, den sie nirgends zeigen“ und andere Dinge, von denen du die meisten nur vom Hörensagen aufzählen kannst. Darum ist bei uns nichts, als was der Wolf zu der Nachtigall sagte, nachdem er sie verschlungen hatte: Du bist eine Stimme, weiter nichts. Denn sie reden (sagst du), und allein um deß willen wollen sie, daß man ihnen glaube. Ich gestehe, lieber Erasmus, daß du nicht mit Unrecht von allen diesen Dingen bewegt werdest; ich bin über zehn Jahre lang von denselben so bewegt worden, daß ich glaube, es ist kein anderer da, der von denselben gleicherweise so sehr bewegt worden ist. Es war mir selbst unglaublich, daß dieses unser Troja, welches in so langer Zeit, in so vielen Kriegen unbesiegt geblieben war, je sollte erobert werden können. Und ich rufe Gott zum Zeugen an, der mein Herz kennt, ich wäre dabei geblieben und würde noch heutiges Tages so bewegt werden, wenn mich nicht mein Gewissen und klare Erfahrung auf die andere Seite zwänge. Du kannst wirklich denken, daß auch ich nicht ein Herz von Stein habe, und wenn es von Stein wäre, so hätte es doch, durch so große Fluthen und Wogen angefochten und bedrängt, schmelzen können, als ich das unternahm, von dem ich wußte, daß, wenn es geschehen wäre, das Ansehen von allen denen, die du angeführt hast, über mein Haupt wie eine Sündfluth hereinbrechen würde. Aber hier ist's nicht am Orte, die Geschichte meines Lebens und meiner Werke zu erzählen, es ist dies auch nicht angefangen worden, um mich selbst zu loben, sondern um die Gnade Gottes zu preisen. Wer ich bin und aus welchem Geiste und Rathe ich in diese Sache hineingezogen bin, das befehle ich dem, der da weiß, daß dies alles nach seinem, nicht nach meinem freien Willen geführt worden ist, obgleich auch die Welt dies schon lange gemerkt haben sollte. Du bringst mich aber durch deine Vorrede in die unangenehme Lage, daß ich mich nicht leicht herauswinden kann, wenn ich mich nicht selbst rühme und so viele Väter tadele, aber ich will kurz sagen: an Gelehrsamkeit, an Verstand, an Menge, an Ansehen und allem anderen stehe ich ihnen nach, wie auch du urtheilst. Wenn ich dich aber nach diesen drei Dingen fragen würde, was doch Beweisung des Geistes, was Wunderwerke, was rechtschaffene Heiligkeit wäre, so würdest du, soweit ich dich aus deinen Briefen und Büchern kenne, offenbar werden als zu unerfahren und unwissend, als daß du dies auch nur mit einer Silbe anzeigen könntest. Oder wenn ich hart anhielte und wissen wollte, bei welchen wohl von den allen, die du rühmst, es gewiß von dir nachgewiesen werden könnte, daß er heilig gewesen sei oder noch sei, oder daß er den Heiligen Geist gehabt habe, oder wahre Wunderwerke verrichtet habe, so glaube ich, daß du dich viel abmühen würdest, aber vergeblich. Du redest vieles, was im Gebrauch und in gemeiner Rede angenommen ist, glaubst aber nicht, wie viel das an Glaubwürdigkeit und Ansehen verliert, wenn es vor den Richterstuhl des Gewissens gestellt wird. Das ist ein wahres Sprüchwort, daß auf Erden viele für Heilige gehalten werden, deren Seelen in der Hölle sind. Aber wir wollen dir zugestehen, wenn du willst, daß auch alle heilig gewesen sind, daß alle den Geist gehabt haben, daß sie alle Wunderwerke gethan haben (was du doch nicht begehrst), so sage mir doch dies, ob im Namen und Kraft des freien Willens, oder zur Bestätigung der Lehre vom freien Willen irgend einer von ihnen heilig gewesen sei, den Geist empfangen und Wunderwerke verrichtet habe? Das sei ferne! (wirst du sagen), sondern im Namen und in der Kraft Jesu Christi und für die Lehre Christi ist dies alles geschehen. Warum führst du denn ihre Heiligkeit, den Geist, die Wunder an für die Lehre vom freien Willen, für welchen sie nicht gegeben noch gethan sind? Daher gehören ihre Wunder, Geist und Heiligkeit auf unsere Seite, die wir Jesum Christum, aber nicht Kräfte oder Werke der Menschen predigen. Was ist denn das zu verwundern, wenn diejenigen, welche heilig, geistlich und Wunderthäter gewesen sind, manchmal, durch das Fleisch unversehens übereilt, nach dem Fleische geredet und gehandelt haben, wie dies auch den Aposteln, welche unter Christo selbst waren, mehr als einmal widerfahren ist? Denn auch du leugnest nicht, sondern behauptest, daß der freie Wille nicht eine Angelegenheit des Geistes oder Christi sei, sondern eine menschliche, so daß der Geist, der verheißen ist, um Christum zu verklären, den freien Willen schlechterdings nicht predigen kann. Wenn daher die Väter manchmal den freien Willen gepredigt haben, so haben sie sicherlich aus dem Fleische (da sie ja Menschen gewesen sind), nicht aus dem Geiste geredet; viel weniger haben sie ihn mit Wundern bestätigt. Darum reimt sich das, was du anziehst von her Heiligkeit, dem Geiste und den Wundern der Väter, gar nicht hierher, weil damit nicht der freie Wille, sondern die Lehre Jesu Christi gegen die Lehre vom freien Willen bewiesen wird. Aber kommet jetzt noch her, die ihr auf Seiten des freien Willens steht und behauptet, eine derartige Lehre sei wahr, das heißt, vom Geiste Gottes gekommen: jetzt noch, sage ich, beweiset den Geist, verrichtet Wunderwerke, laßt eure Heiligkeit sehen; denn sicherlich ihr, die ihr dies behauptet, seid uns, die wir das verneinen, dies schuldig. Von uns, die wir Nein sagen, darf man Geist, Heiligkeit und Wunder nicht fordern zum Beweises, von euch aber, die ihr Ja sagt, muß solches gefordert werden. Denn der verneinende Theil stellt nichts auf, ist nichts, ist in nichts gehalten zu beweisen, ihm muß nicht der Beweis aufgelegt werden; der behauptende Theil muß mit dem Beweise beschwert werden. Ihr behauptet die Kraft des freien Willens und eine menschliche Sache, aber bis jetzt hat man noch nie gesehen oder gehört, daß Gott ein Wunder hätte geschehen lassen zur Bestätigung irgend einer Lehre über eine menschliche Sache, sondern allein zur Bestätigung einer Lehre in göttlichen Dingen. Nun aber ist uns geboten, daß wir durchaus keine Lehre zulassen sollen, die nicht zuvor mit göttlichen Zeichen bewiesen ist, 5 Mos. 18, 22. Ja, die Schrift nennt den Menschen Eitelkeit und Lüge, was nichts Anderes besagt, als daß alles Menschliche eitele Lügen seien. Macht euch daher daran, kommt her, sage ich, beweist, daß eure Lehre von der menschlichen Eitelkeit und Lüge die Wahrheit sei. Wo ist hier die Beweisung des Geistes? wo die Heiligkeit? wo die Wunder? Hohe Gaben, Gelehrsamkeit, Ansehen sehe ich, aber das hat Gott auch den Heiden gegeben. Doch wollen wir euch nicht zu großen Wunderwerken zwingen, auch nicht einmal ein lahmes Pferd zu heilen, damit ihr euch nicht beklagen möget, es sei eine fleischliche Zeit, obgleich Gott seine Lehren mit Wundern zu bestätigen pflegt, ohne Rücksicht auf die fleischliche Zeit, denn er läßt sich nicht bewegen durch das Verdienst oder Unverdienst einer fleischlichen Zeit, sondern allein durch Barmherzigkeit, Gnade und Liebe gegen die Seelen, welche durch die handgreifliche Wahrheit fest gemacht werden sollen zu seiner Ehre. Ich lasse euch die Wahl, irgend ein auch noch so kleines Wunder zu thun. Ja, ich will euren Baal reizen, ich spotte seiner und fordere ihn heraus, daß ihr im Namen und in der Kraft des freien Willens auch nur Einen Frosch schaffet, deren doch die heidnischen und gottlosen Zauberer in Egypten viele hervorbringen konnten. Denn Läuse zu machen, damit will ich euch verschonen, weil auch jene sie nicht zuwegebringen konnten. Ich will ein noch Geringeres sagen: Fanget nur Einen Floh oder Eine Laus (denn ihr versuchet und verspottet unsern Gott mit dem Heilen des lahmen Pferdes) und wenn ihr mit Vereinigung aller Kräfte und Aufbietung aller Bemühungen, sowohl eures Gottes, als auch euer aller, dies Thierlein tödten könnt im Namen und in der Kraft des freien Willens, dann sollt ihr gewonnen haben und eure Sache soll erhalten sein und wir wollen alsbald kommen und jenen Gott anbeten, den wunderbaren Tödter einer Laus; nicht als ob ich in Abrede stellen wollte, daß ihr auch Berge versetzen könnet, sondern, weil es etwas ganz Anderes ist, zu sagen, daß etwas aus der Kraft des freien Willens geschehen sei, und etwas Anderes, dies auch zu beweisen. Was ich aber von den Wunderwerken gesagt habe, dasselbe sage ich auch von der Heiligkeit. Wenn ihr in einer so großen Reihe von Jahrhunderten, von Männern und von allem, was du erwähnt hast, auch nur Ein Werk aufzeigen könnt (sei es auch nur einen Strohhalm von der Erde aufheben), oder Ein Wort (sei es auch nur die Silbe My), oder auch nur Einen Gedanken (sei es auch nur das geringste Seufzerlein), aus der Kraft des freien Willens, womit sie sich zur Gnade bereitet haben, oder womit sie den Geist verdient haben, oder wodurch sie Vergebung der Sünde erlangt haben, oder wodurch sie mit Gott gehandelt haben, wenn es auch noch so wenig ist (ich schweige, wodurch sie geheiligt sein sollen), so sollt ihr wieder gewonnen haben, und wir verloren. Ich sage, aus der Kraft und im Namen des freien Willens, denn was von den Menschen geschieht aus Kraft der Schöpfung, darüber hat die heilige Schrift überflüssig Zeugniß. Und sicherlich seid ihr schuldig, dies darzuthun, damit ihr nicht als lächerliche Lehrer erfunden werdet, da ihr mit so großem Stolze und Ansehen Lehren in der Welt ausbreitet, wovon ihr gar keinen Grund vorbringen könnt. Denn man wird sie Träume nennen, aus welchen nichts wird noch kommt, was doch für die gelehrtesten und heiligsten und wunderthätigen Leute so vieler Jahrhunderte die allergrößte Schande wäre. Dann werden wir euch auch die Stoiker vorziehen, welche freilich ebenfalls einen solchen Weisen beschrieben, wie sie ihn nie gesehen hatten, aber doch versuchten, einen Theil zu beweisen. Ihr könnt durchaus nichts, nicht einmal einen Schatten eurer Lehre beweisen. Vom Geiste sage ich so: Wenn ihr von allen, die den freien Willen behaupten, nur Einen aufweisen könnt, der so viel Geisteskraft oder Neigung gehabt habe, daß er im Namen und in der Kraft des freien Willens auch nur Einen Heller hätte verachten können. Einen Bissen entbehren. Ein Wort oder Zeichen der Beleidigung ertragen (denn ich will nichts sagen von Verachtung des Reichthums, des Lebens, des guten Namens), dann sollt ihr wiederum den Sieg haben, und wir wollen uns gern gefangen geben. Und gerade das müßt ihr, die ihr mit so großem Wortschwall die Kraft des freien Willens rühmt, uns darthun, oder es wird wieder offenbar, daß ihr um des Kaisers Bart (de lana caprina) streitet, oder es macht wie jener, der im leeren Theater den Spielen zusah. Aber ich kann euch leicht das Gegentheil zeigen, daß nämlich solche heilige Männer, wie ihr sie rühmt, so oft sie vor Gott treten, um zu ihm zu beten, oder mit ihm zu handeln, einhergehen in gänzlicher Vergessenheit ihres freien Willens, an sich selbst verzweifeln, und für sich nichts Anderes erbitten, als die bloße Gnade, da sie viel Anderes verdient hätten. Das hat Augustinus oft gethan, und so hat es Bernhard gemacht, da er sagte, als er im Sterben lag: Ich habe meine Zeit verloren, denn ich habe verdammlich gelebt. Ich sehe nicht, daß hier irgend ein Vermögen geltend gemacht wird, welches sich zu der Gnade bereitet, sondern daß alles Vermögen angeklagt wird, weil es nur (von Gott) abgewendet gewesen sei. Doch auch selbst jene Heiligen haben bisweilen in der Disputation anders vom freien Willen geredet, wie ich sehe, daß es allen so geht, daß sie ganz andere Leute sind, wenn sie auf Worte und Disputation beflissen sind, als wenn sie es mit innerlichen Bewegungen und Werken zu thun haben; dort reden sie anders, als sie vorher (in der Anfechtung) gesinnt waren, hier werden sie anders gesinnt, als sie vorher geredet haben. Die Menschen müssen aber viel mehr beurtheilt werden nach dem, was sie innerlich bewegt, als nach ihrer Rede, sowohl Gottselige als Gottlose. Aber wir lassen euch noch mehr nach. Wunderwerke, den Geist und Heiligkeit erfordern wir nicht. Wir kommen auf die Lehre selbst zurück; das allein begehren wir, daß ihr uns wenigstens das anzeiget, was für ein Werk, was für ein Wort, was für einen Gedanken jene Kraft des freien Willens in Bewegung setze, oder unternehme, oder thue, um sich zur Gnade zu bereiten. Denn es ist nicht genug zu sagen: Es ist eine Kraft, es ist eine Kraft, es ist eine gewisse Kraft des freien Willens; denn was ist leichter als das zu sagen? Das geziemt sich auch nicht für die gelehrtesten und heiligsten Männer, denen man so viele Jahrhunderte hindurch Beifall gegeben hat, sondern man muß dem Kinde einen Namen geben (wie man im deutschen Sprüchwort sagt), es muß erklärt werden, was das für eine Kraft sei, was sie thue, was sie leide, was ihr widerfahre; deß ein Beispiel, denn ich will sehr grob davon reden: Es wird darnach gefragt, ob diese Kraft entweder beten, oder fasten, oder arbeiten, oder den Leib anstrengen, oder Almosen geben, oder etwas Anderes der Art thun müsse oder unternehme; denn wenn es eine Kraft ist, so muß sie mit irgend einem Werke zu schaffen, haben. Aber hier seid ihr stummer als die Frösche auf Seriphos und als die Fische, und wie könntet ihr eine Erklärung geben, da ihr nach eurem eigenen Zeugniß noch ungewiß seid über die Kraft selbst, unter euch selbst uneins und bleibet euch selbst nicht gleich: was sollte wohl aus der Erklärung werden, wenn gerade das, was erklärt wird, sich nicht gleich bleibt? Aber angenommen, daß ihr nach Verlauf der Zeitläufe des Plato endlich einmal unter euch einig werdet über die Kraft selbst, und dann von ihr die Erklärung abgegeben werde, ihr Werk sei beten, fasten, oder irgend etwas dergleichen, was vielleicht noch in den Platonischen Ideen verborgen ist: wer wird uns gewiß machen, daß dies wahr sei, daß es Gott gefalle, und daß wir sicherlich das Rechte thun? zumal da ihr selbst gestehet, daß es ein menschlich Ding sei, welches das Zeugniß des Geistes nicht habe, da es von den Philosophen gerühmt und in der Welt gewesen ist, ehe Christus gekommen war und der Heilige Geist vom Himmel gesendet wurde, so daß es ganz gewiß ist, daß diese Lehre nicht vom Himmel gesendet ist, sondern zuvor schon einen irdischen Ursprung gehabt hat. Darum ist großes Zeugniß vonnöthen, damit sie als eine gewisse und wahre bestätigt werde. Wenn wir daher auch nur Privatpersonen und wenige sind, ihr aber Personen im öffentlichen Amte und viele, wir ungelehrt, ihr die allergelehrtesten, wir dumm, ihr die allerbegabtesten, wir erst gestern aufgekommen, ihr älter als Deucalion, wir niemals angenommen, ihr durch so viele Jahrhunderte gebilligt, endlich wir Sünder, fleischlich, träge, ihr durch Heiligkeit, Geist und Wunder selbst den bösen Geistern zu fürchten: so läßt uns das Recht der Türken und der Juden wenigstens das zu, daß wir Rechenschaft eurer Lehre fordern können, was euer Petrus (1. Ep. 3,15.) euch gebietet. Wir fordern aber gar bescheiden, nämlich, weil wir nicht Heiligkeit, Geist und Wunder zu ihrer Bestätigung fordern, was wir doch gewiß thun könnten nach eurem eigenen Rechte, weil ihr selbst dies von anderen fordert. Ja auch das wollen wir euch noch nachlassen, daß ihr kein Beispiel an irgend einer That, an irgend einem Worte oder Gedanken in eurer Lehre anzeigen sollt, sondern lehret es doch nur, gebt doch nur die Lehre selbst an den Tag, was ihr darunter verstanden wissen wollet? Wenn ihr es dergestalt nicht wollt oder nicht könnt, so wollen wir wenigstens versuchen, deß ein Exempel zu geben. Thut doch wenigstens wie der Pabst und die Seinen, welche sprechen: Was wir sagen, das thut, aber nach unseren Werken sollt ihr nicht thun; so saget auch ihr: Was auch für ein Werk auszurichten jene Kraft erfordere, wir werden uns daran machen und euch in Ruhe lassen. Werden wir denn nicht wenigstens dies von euch erlangen? Je mehr ihr seid, je älter, je größer und je vorzüglicher als wir, in jeder Hinsicht, um so schmachvoller ist es für euch, daß ihr uns, die wir in jeder Weise nichts sind im Vergleich, mit euch, und eure Lehre lernen und thun wollen, dieselbe nicht mit einem Wunder, so gering als das Tödten einer Laus, oder auch nur mit einer noch so geringen Regung des Geistes, oder durch irgend ein Werklein der Heiligkeit beweisen könnet, ja selbst nicht einmal ein Beispiel irgend einer That oder eines Wortes aufweisen und ferner, was ganz unerhört ist, nicht die Fassung (formam) und wie diese Lehre zu verstehen sei, an den Tag geben, damit wenigstens wir darnach thun könnten. O was für feine Lehrer des freien Willens! Was seid denn nun ihr anders, als eine Stimme und weiter nichts? Wer sind nun die, Erasmus, welche den Geist rühmen und nichts aufweisen, welche nur reden und alsbald wollen, daß man ihnen glaube? Sind das nicht die Leute auf deiner Seite, welche so hoch vergöttert sind? die ihr nicht einmal redet und doch so hoch euch rühmet und so hohe Forderungen stellet. Wir bitten deshalb um Christi willen, lieber Erasmus, du mit den Deinen wollest uns wenigstens dieses zulassen, daß wir, durch die Gefahr unserer Gewissen geschreckt, vor Furcht zittern mögen, oder doch wenigstens unsere Zustimmung zu dieser Lehre hinausschieben, weil du selbst siehst, daß sie nichts ist als ein leerer Schall und ein Tönen von Silben, nämlich: Es gibt eine Kraft des freien Willens, es gibt eine Kraft des freien Willens, auch wenn ihr aufs Höchste kommt und alle eure Sache bewiesen wäre und feststände. Ferner ist es noch bei euch selbst ungewiß, ob es ein solches Wort gibt, oder nicht, da sie selbst unter sich verschiedener Meinung sind und sich nicht gleich bleiben. Es ist sehr unrecht, ja weitaus das Allerjämmerlichste, daß durch das Trugbild Eines Wörtleins, und noch dazu eines ungewissen, unsere Gewissen geplagt werden sollen, welche Christus durch sein Blut erkauft hat; und wenn wir uns nicht quälen lassen wollen, so werden wir angeklagt als schuldig eines unerhörten Hochmuths, weil wir so viele Väter in so vielen Jahrhunderten verachteten, die den freien Willen behauptet haben; dagegen ist das die Wahrheit, wie man aus dem, was ich bereits gesagt habe, klar sieht, daß sie über den freien Willen durchaus keine Erklärung gegeben haben, aber man wendet sie vor und richtet unter ihrem Namen die Lehre vom freien Willen auf, von der sie doch weder Gestalt noch Namen anzeigen können, und betrügen so die ganze Welt mit einem lügenhaften Worte. Und hier, Erasmus, berufen wir uns auf deinen eigenen Rath, den du oben gegeben hast, man solle sich derartiger Fragen entschlagen und vielmehr Christum, den Gekreuzigten, lehren und was dienlich ist zur christlichen Gottseligkeit. Denn dies suchen wir schon längst und gehen damit um. Denn was begehren wir anders, als daß die christliche Lehre in ihrer Einfachheit und Reinheit herrschen soll, und daß man alles fahren lasse und verachte, was von Menschen erfunden und nebeneingeführt ist? Aber du, der du uns solches räthst, thust es selbst nicht, ja, das Gegentheil thust du; du schreibst Abhandlungen (diatribas), du feierst die Decrete der Päbste, du rühmst das Ansehen der Menschen und versuchst alles, uns auf ein Gebiet zu führen, welches der heiligen Schrift fern liegt und ihr fremd ist, und unnöthige Dinge hin und her zu überlegen, damit wir die Einfachheit und Lauterkeit der christlichen Gottseligkeit mit menschlichen Zusätzen verderben und zu Schanden machen sollen. Daraus erkennen wir leicht, daß du uns das auch nicht von Herzen gerathen hast, daß du auch nichts im rechten Ernste schreibst, sondern du verlassest dich darauf, daß du mit deinen leeren, hochtrabenden Worten (bullis verborum) die ganze Welt leiten könnest, wohin du willst, und führst sie doch nirgends hin, da du durchaus nichts sagst, als bloße Widersprüche in allen Dingen und überall, so daß der sehr richtig geredet hat, der dich einen rechten Proteus oder Vertumnus genannt hat, oder wie Christus sagt: „Arzt, hilf dir selber“ (Luc. 4,23.). Schimpflich ist es dem Lehrer, das selbst zu thun, was er tadelt. Deshalb, bis daß ihr euer Ja werdet bewiesen haben, stehen wir fest auf unserem Nein, und wenn auch die ganze Schaar der Heiligen, welche du rühmst, ja vielmehr, wenn auch die ganze Welt hier Richter sein sollte, so trotzen wir und rühmen, daß wir das nicht zuzugeben schuldig sind, was nichts ist, und von dem nicht gewiß nachgewiesen werden kann, was es sei, und daß ihr alle eine unglaubliche Vermessenheit, oder vielmehr Unsinnigkeit an den Tag gebt, indem ihr fordert, daß gerade das von uns zugegeben werden solle, aus keiner anderen Ursache, als weil es euch, die ihr viel, groß, alt seid, gut dünkt, das zu behaupten, von dem ihr doch selbst bekennt, daß es nichts sei, als ob es christlichen Lehrern wohl anstehe, das arme Volk in Sachen der Gottseligkeit mit dem zu betrügen, was nichts ist, als ob es zur Erlangung der Seligkeit von großer Bedeutung wäre. Wo ist nun jener durchdringende Verstand der Griechen, der bisher freilich mit einem gewissen schönen Scheine Lügen erdichtete, hier aber in offenbarer, nackter Rede lügt? Wo ist der gerühmte Fleiß der Lateiner, welcher dem der Griechen gleichkommt, welcher so betrügt und betrogen wird mit einem ganz leeren Worte? Aber so geht es den unachtsamen oder böswilligen Lesern der Bücher, wenn sie das, worin die Väter und Heiligen gestrauchelt haben, alles so hoch erheben, als ob es das höchste Ansehen verdiene; so daß die Schuld nicht auf die Verfasser, sondern auf die Leser fällt. Als, wenn einer sich auf die Heiligkeit und das Ansehen des heiligen Petrus stützen und darauf bestehen wollte, alles, was der heilige Petrus jemals gesagt hat, sei die Wahrheit, so daß er uns überreden wollte, auch das sei recht geredet, daß er Matth. 16,22. aus Schwachheit des Fleisches Christo rieth, daß er ja nicht leiden sollte; oder das, wo er Christum hieß von ihm aus dem Schiffe hinauszugehen (Luc. 5,8.), und viele andere Dinge, in denen er von Christo selbst gestraft wird. Die sich so verhalten, sind denen gleich, welche, um Lachen zu erregen, daherschwatzen, es sei nicht alles wahr, was im Evangelio ist, und die Stelle Joh. 8,48. herausgreifen, wo die Juden zu Christo sagen: „Sagen wir nicht recht, daß du ein Samariter bist, und hast den Teufel?“ oder die Stelle (Matth. 26,66.): „Er ist des Todes schuldig“; oder die Stelle (Luc. 23,2.): „Diesen finden wir, daß er das Volk abwendet, und verbietet den Schoß dem Kaiser zu geben.“ Dasselbe thun, freilich in anderer Absicht, und nicht mit Willen, wie jene, sondern aus Blindheit und Unwissenheit, diejenigen, welche den freien Willen behaupten. Aus den Vätern greifen sie das, was dieselben, aus Schwachheit des Fleisches strauchelnd, für den freien Willen geredet haben, so heraus, daß sie es sogar dem entgegenstellen, was dieselben Väter anderswo gegen den freien Willen in der Kraft des Geistes geredet haben; dann dringen sie alsbald darauf und zwingen, daß das Bessere dem Schlechteren weichen muß. So kommt es, daß sie den schlechteren Aussprüchen das (größte) Ansehen zuschreiben, weil sie mit ihren fleischlichen Gedanken übereinkommen, und den besseren (Aussprüchen) dies (Ansehen) nehmen, weil dieselben gegen ihre fleischlichen Gedanken gehen. Warum erwählen wir nicht vielmehr das Bessere? Denn dergleichen Dinge sind viele in den Vätern. Und, daß ich ein Beispiel gebe, was ist fleischlicher, ja, was kann Gottloseres, Gottesräuberischeres und Lästerlicheres gesagt werden, als das, was Hieronymus zu sagen pflegt: Der Jungfrauenstand füllt den Himmel, der Ehestand die Erde? als ob den Patriarchen und Aposteln und christlichen Eheleuten die Erde, aber nicht der Himmel gebühre, oder den Vestalischen Jungfrauen unter den Heiden der Himmel gebühre. Und doch sammeln die Sophisten diese, und ähnliche Sachen aus den Vätern, da sie mehr mit der großen Zahl (der beigebrachten Stellen) als mit gesundem Urtheil streiten, um jenen Dingen Ansehen zu verschaffen, wie der abgeschmackte Faber von Costnitz gethan hat, welcher kürzlich der Welt sein Margaritum (d. i. Perle), das ist, einen Augiasstall geschenkt hat, damit etwas vorhanden wäre, was den Gottseligen und Gelehrten Ekel und Greuel errege. Hiermit will ich darauf geantwortet haben, daß du sagst: „es sei unglaublich, daß sich Gott so viele Jahrhunderte lang um den Irrthum seiner Kirche nicht sollte gekümmert haben, auch nicht irgend einem seiner Heiligen das offenbart, wovon wir behaupten, es sei das Hauptstück der evangelischen Lehre.“ Fürs erste sagen wir nicht, daß Gott diesen Irrthum in seiner Kirche, oder in irgend einem seiner Heiligen zugelassen habe, denn die Kirche wird durch den Geist Gottes regiert, die Heiligen werden vom Geist Gottes getrieben, Röm. 8,14., und Christus mit seiner Kirche bleibt bis ans Ende der Welt (Matth. 28,20.), und die Kirche Gottes ist ein Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit (1 Tim. 3,15). Dies, sage ich, wissen wir, denn so steht auch in dem Glaubensbekenntniß unser aller: Ich glaube eine heilige, allgemeine Kirche, so daß es unmöglich ist, daß sie irre auch in dem geringsten Artikel. Wenn wir auch zugeben, daß etliche Auserwählte ihr ganzes Leben in einem Irrthume befangen wären, so ist es doch nothwendig, daß sie vor ihrem Tode auf den rechten Weg zurückkommen, weil Christus sagt Joh. 10,28.: „Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.“ Aber hier ist das die Schwierigkeit, daß es nöthig ist, das gewiß festzustellen, ob die, welche du die Kirche nennst, die Kirche sind, oder vielmehr, ob sie, die ihr ganzes Leben lang geirrt haben, endlich vor ihrem Tode wieder zurechtgekommen sind. Denn das folgt noch lange nicht: Wenn Gott alle, welche du anführst, in einer noch so langen Reihe von Jahrhunderten, die gelehrtesten Männer, hat irren lassen, folglich hat er seine Kirche irren lassen. Siehe doch das Volk Gottes Israel an, wo unter einer so großen Zahl von Königen und in so langer Zeit auch nicht einmal Ein König aufgezählt wird, der nicht geirrt habe. Und unter dem Propheten Elias waren alle, und alles Volk, soweit man sehen konnte, so in Götzendienst versunken, daß er glaubte, er sei allein übrig geblieben. Aber während Könige, Fürsten, Priester, Propheten, und alles, was Gottes Volk oder Gottes Kirche genannt werden konnte, in Irrthum fiel, so hatte sich Gott doch noch sieben tausend erhalten. Wer sah oder wußte, daß diese Gottes Volk waren? Wer sollte daher auch jetzt zu leugnen wagen, daß Gott unter jenen regierenden Männern (sub istis principibus viris) (denn du zählst nur Leute auf, welche in öffentlichen Aemtern standen und berühmte Namen hatten) im Volke sich seine Kirche erhalten habe und jene alle, nach dem Vorbilde des Reiches Israel, habe hinfallen lassen? Denn das ist Gottes sonderliche Weise, sich den Besten in Israel entgegenzustellen und ihre Fetten zu tödten, Ps. 78,31., die Hefen aber und das Uebrige in Israel zu erhalten, wie Jesajas (10,22.) sagt. Was geschah unter Christo selbst, wo alle Apostel sich ärgerten, und er selbst vom ganzen Volke verleugnet und verdammt wurde, und kaum der eine oder der andere, ein Nicodemus und ein Joseph, dann auch der Schächer am Kreuz erhalten blieben? Aber wurden denn etwa diese damals das Volk Gottes genannt? Sie waren freilich das übrige Volk Gottes, aber sie hatten nicht den Namen; dasjenige, welches den Namen hatte, war es nicht. Wer weiß, ob nicht im ganzen Laufe der Welt, von ihrem Anfange an, immer der Zustand der Kirche Gottes ein solcher gewesen sein mag, daß einige Gottes Volk und Heilige Gottes genannt wurden, welche es nicht waren, andere aber unter diesen als das Uebrige waren, und nicht Volk noch Heilige genannt wurden, wie die Historie von Kain und Abel, Ismael und Isaak, Esau und Jakob zeigt? Siehe die Zeit der Arianer an, wo kaum fünf Bischöfe in der ganzen Welt rechtgläubig (catholici) erhalten worden sind, und noch dazu von ihren Bischofssitzen vertrieben, da die Arianer überall unter dem öffentlichen Namen und im Amt der Kirche herrschten: nichtsdestoweniger erhielt Christus seine Kirche unter diesen Ketzern, aber in solcher Weise, daß sie durchaus nicht für die Kirche geachtet und gehalten wurde. Zeige nur Einen Bischof an, der unter der Herrschaft des Pabstes sein Amt verwaltet hat, zeige Ein Concilium an, auf welchem man von Sachen der Gottseligkeit gehandelt hat und nicht vielmehr von Bischofsmänteln, vom Rang, von Zins und anderen weltlichen läppischen Dingen, welche nur ein Unsinniger dem Heiligen Geiste beilegen könnte. Und trotz alles dessen werden sie die Kirche genannt, wiewohl alle, die so gelebt haben, verloren sind und nichts weniger gewesen sind, als die Kirche. Aber unter ihnen hat Gott seine Kirche erhalten, doch so, daß sie nicht die Kirche genannt wurde. Wie viel Heilige, meinst du wohl, haben nur in etlichen Jahrhunderten allein die Ketzerrichter (inquisitores haereticae pravitatis) verbrannt und getödtet, z. B. den Johann Hus und seines Gleichen, zu deren Zeit ohne Zweifel viele heilige Leute in demselben Geiste gelebt haben? Warum wunderst du dich nicht vielmehr darüber, Erasmus, daß von Anbeginn der Welt immer unter den Heiden höher begabte Leute gewesen sind, eine größere Gelehrsamkeit, ein angestrengterer Fleiß, als unter den Christen oder dem Volke Gottes, wie Christus selbst bekennt (Luc. 16,8.), „daß die Kinder dieser Welt klüger sind, als die Kinder des Lichts“? Wer unter den Christen ist nur allein dem Cicero zu vergleichen, daß ich der Griechen geschweige, an Begabung, an Gelehrsamkeit, an Fleiß? Was sollen wir also sagen, daß im Wege gestanden habe, daß keiner von ihnen zur Gnade hätte gelangen können, da sie doch sicherlich den freien Willen aus allen Kräften ausübten? Wer könnte aber wagen zu behaupten, daß keiner unter ihnen gewesen sei, der mit höchstem Bemühen nach der Wahrheit gestrebt habe? Und doch muß behauptet werden, daß keiner sie erlangt habe. Oder willst du auch hier sagen, es sei unglaublich, daß Gott so viele und so große Männer im ganzen Laufe der Welt sollte verlassen und zugelassen haben, daß sie sich vergeblich anstrengen? Sicherlich, wenn der freie Wille etwas wäre oder vermöchte, so sollte er in diesen Leuten gewesen sein und etwas vermocht haben, wenigstens doch in irgend Einem Falle, der als Beispiel dienen möchte. Aber er hat nichts vermocht, ja, zum Gegentheil hat er sich immer stark erwiesen, so daß mit diesem Einen Grunde genugsam bewiesen werden kann, daß der freie Wille nichts ist, weil vom Anfang der Welt bis zum Ende derselben nichts aufgewiesen werden kann, daran man ihn verspüren könne. Aber ich kehre zur Sache zurück. Was wäre es Wunder, wenn Gott alle großen Leute in der Kirche ihre eigenen Wege gehen ließe, da er allen Heiden so zugelassen hat, ihre eigenen Wege zu gehen, wie Paulus in der Apostelgeschichte (14,16.) sagt? Denn die Kirche Gottes ist nicht eine so gemeine Sache, lieber Erasmus, als der Name: Kirche Gottes; und die Heiligen Gottes begegnen einem auch nicht so häufig, als der Name: Heilige Gottes; sie sind Perlen und kostbare Edelsteine, welche der Heilige Geist nicht vor die Schweine wirft, sondern, wie es die Schrift nennt, er hält sie verborgen, damit der Gottlose die Herrlichkeit Gottes nicht sehe. Sonst, wenn sie öffentlich von allen erkannt würden, wie wäre es möglich, daß sie so in der Welt geplagt und bedrängt würden? wie Paulus sagt (1 Cor. 2,8.): „Wo sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuziget.“ Ich sage dies nicht, weil ich leugnen will, daß diejenigen, welche du anführst, Heilige oder die Kirche Gottes seien, sondern weil dies nicht bewiesen werden kann, wenn es jemand leugnet, daß sie Heilige seien (und sagt), das bleibe vielmehr ganz ungewiß: darum sei die Lehre von der Heiligkeit derselben nicht zuverlässig genug, um irgend eine Glaubenslehre damit zu bestätigen. Ich nenne sie Heilige und halte sie dafür; ich gebe ihnen den Namen Kirche Gottes und achte sie so, nach der Regel der Liebe, nicht nach der Richtschnur des Glaubens, das ist, die Liebe, welche von jedermann alles Beste denkt, die nicht argwöhnisch ist, die alles glaubt und Gutes vom Nächsten voraussetzt, nennt jeden Getauften einen Heiligen, und es ist keine Gefahr, wenn sie irrt. Denn der Liebe Art ist, daß sie betrogen wird, da sie dem Gebrauche und Mißbrauche aller ausgesetzt ist; sie ist die allgemeine Dienerin der Guten, der Bösen, der Gläubigen, der Ungläubigen, der Wahrhaften und der Falschen. Der Glaube aber nennt niemanden einen Heiligen, der nicht durch göttliches Urtheil dafür erklärt ist, weil des Glaubens Art ist, daß er sich nicht betrügen läßt. Darum, wiewohl wir alle uns gegenseitig für Heilige halten sollen nach dem Rechte der Liebe, so darf doch keiner für einen Heiligen gehalten werden nach dem Rechte des Glaubens, als ob es ein Glaubensartikel wäre, daß der oder jener ein Heiliger wäre, wie der Pabst, jener Widersacher Gottes, der sich an Gottes Statt setzt, seine Heiligen canonisirt (das ist, für heilig erklärt), welche er nicht kennt. Ich sage nur dies über diese deine, oder vielmehr unsere Heiligen, daß man, da sie selbst unter einander nicht einig sind, vielmehr denen hätte folgen sollen, die das Beste, das ist, wider den freien Willen für die Gnade geredet haben. Diejenigen aber hätte man fahren lassen sollen, welche nach der Schwachheit ihres Fleisches vielmehr das Fleisch als den Geist bezeugt haben. Daher hätte man auch bei denen, welche sich nicht gleich bleiben, eine Auswahl treffen und den Theil annehmen sollen, wo sie aus dem Geiste reden, aber das fahren lassen, wo sich an ihnen das Fleisch kundgibt. Das hätte einem christlichen Leser wohl angestanden, als einem reinen Thiere, welches gespaltene Klauen hat und wiederkäuet. Nun aber machen wir keinen Unterschied und fressen das ganze Durcheinander hinunter, oder, was noch ärger ist, indem wir ganz verkehrt urtheilen, verwerfen wir das Bessere und das Schlechtere billigen wir in den Schriften eines und desselben Verfassers, und dann legen wir noch gerade diesen schlechteren Dingen den Namen und das Ansehen ihrer Heiligkeit bei, die sie doch wegen des Besten und allein wegen des Geistes, nicht aber wegen des freien Willens oder wegen des Fleisches verdient haben. Was sollen wir denn thun? Die Kirche ist verborgen, die Heiligen sind unbekannt. Was und wem sollen wir glauben? oder, wie du sehr scharfsinnig disputirst, wer wird uns gewiß machen? „Wie sollen wir die Geister prüfen? Sieht man auf Gelehrsamkeit, so sind auf beiden Seiten Meister; sieht man aber das Leben an, so sind auf beiden Seiten Sünder; sieht man auf die Schrift, so berufen sich beide Theile darauf; und nicht sowohl über die Schrift, weil sie noch nicht klar genug sein soll, sondern über das Verständniß der Schrift ist der Streit. Auf beiden Seiten sind aber auch Menschen; wie deren Menge, Gelehrsamkeit und hohe Würden nichts zur Sache thun, so noch viel weniger ihre geringe Zahl, Unwissenheit und Niedrigkeit.“ Die Sache wird also in Zweifel gelassen und es bleibt der Streit unentschieden, so daß wir klug zu handeln scheinen, wenn wir der Meinung der Skeptiker beitreten, nur daß du es am allerbesten machst, indem du sagst, du seiest in der Weise im Zweifel, daß du bezeugst, du wollest die Wahrheit suchen und lernen, und dabei dich zu der Seite hinneigst, welche den freien Willen behauptet, bis daß die Wahrheit an den Tag komme. Hier antworte ich: Du sagst etwas, und doch nichts. Denn nach Gründen, die hergenommen sind von Gelehrsamkeit, Leben, hohem Verstande, Menge, hohen Würden, Unwissenheit, Mangel an Bildung, geringer Zahl, oder niedrigem Stande, können wir die Geister nicht prüfen. Auch pflichte ich denen nicht bei, welche ihre ganze Stärke darein setzen, daß sie sich des Geistes rühmen. Denn in diesem Jahre und noch jetzt ist mir der Kampf wider die Schwarmgeister sauer genug gewesen, welche ihrem Geiste die heilige Schrift unterwerfen und sie darnach auslegen wollen. Gerade deshalb habe ich auch bisher den Pabst angegriffen, in dessen Reiche nichts gewöhnlicher oder besser gelitten ist als diese Rede, die heilige Schrift sei dunkel und zweifelhaft, man müsse den Geist als Ausleger von dem apostolischen Stuhle zu Rom erbitten, da doch nichts Verderblicheres gesagt werden kann, weil sich dadurch gottlose Menschen über die Schrift erhoben und aus ihr gemacht haben, was ihnen nur beliebt hat, bis daß die heilige Schrift ganz und gar mit Füßen getreten worden ist, und wir nichts als toller Menschen Träume geglaubt und gelehrt haben. Kurz, diese Rede ist nicht eine menschliche Erfindung, sondern ein Gift, welches durch die unglaubliche Bosheit des Fürsten aller bösen Geister selbst in die Welt gesendet ist. Wir sagen so: Die Geister werden durch ein zwiefaches Urtheil erforscht oder geprüft; das eine ist ein innerliches, dadurch ein jeglicher, durch den Heiligen Geist, oder durch eine besondere Gabe Gottes, für sich und allein zu seiner Seligkeit erleuchtet, aufs allergewisseste urtheilt und über die Lehren und den Sinn aller entscheidet, davon 1 Cor. 2,15. gesagt wird: „Der Geistliche richtet alles, und wird von niemand gerichtet.“ Dies gehört zum Glauben und ist auch für einen jeden Christen nothwendig, wenngleich er nicht im öffentlichen Amte ist. Dies haben wir oben die innere Klarheit der heiligen Schrift genannt. Das haben vielleicht die gemeint, welche dir geantwortet haben, daß alles nach dem Urtheile des Geistes entschieden werden müsse. Aber dieses Urtheil nützt keinem anderen, und darnach fragt man in dieser Sache nicht, und ich glaube, daß auch niemand daran zweifelt, daß es sich so verhalte. Darum ist das andere ein äußerliches Urtheil, durch welches wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere und um der Seligkeit anderer willen aufs allergewisseste die Geister und die Lehren aller richten. Dies Urtheil kommt dem Dienst am Worte und dem äußerlichen Amte zu, und es gebührt hauptsächlich den Leitern und Verkündigern des Wortes, und wir gebrauchen es, wenn wir die Schwachen im Glauben stärken und die Widersacher widerlegen. Dies haben wir oben die äußere Klarheit der heiligen Schrift genannt. So sagen wir, die Schrift soll Richter sein, um nach ihr angesichts der Kirche alle Geister zu prüfen. Denn das muß bei den Christen ausgemacht und das Allerfesteste sein, daß die heilige Schrift ein geistliches Licht ist, weit heller als selbst die Sonne, besonders in den Dingen, welche die ewige Seligkeit betreffen, oder welche ein Christ nothwendiger Weise wissen muß. Aber weil wir schon längst zum Gegentheil überredet sind, durch die obenerwähnte verderbliche Rede der Sophisten, die Schrift sei dunkel und zweifelhaft, so sind wir gezwungen, zuerst selbst gerade diese unsere Hauptgrundlage (primum principium) zu beweisen, aus der alles Andere bewiesen werden muß. Bei den Philosophen würde man dafür halten, dies wäre etwas ganz Ungereimtes und unmöglich, es zu thun. Zuerst sagt Moses im fünften Buche Cap. 17,8-11.: Wenn eine schwere Sache vorfallen sollte, so solle man zu der Stätte gehen, die der Herr seinem Namen erwählt hätte, und dort die Priester um Rath fragen, welche dieselbe nach dem Gesetze des Herrn urtheilen sollen. Nach dem Gesetze des Herrn (sagt er), wie aber könnten sie urtheilen, wenn nicht das Gesetz des Herrn äußerlich ganz klar wäre, dadurch jenen Befriedigung gegeben würde? Sonst wäre es genug gewesen zu sagen, sie sollen urtheilen nach ihrem Geiste. Ja, so geht es in der Regierung aller Völker, daß alle streitigen Sachen aller Leute durch Gesetze beigelegt werden. Wie aber könnten sie beigelegt werden, wenn nicht ganz gewisse Gesetze wären, die auch geradezu ein Licht sind in dem Volke? Denn wenn die Gesetze zweideutig und ungewiß sind, könnten nicht allein keine streitigen Sachen geschlichtet werden, sondern es könnte auch keine feste sittliche Lebensweise bestehen. Denn Gesetze werden deshalb gegeben, damit die Lebensweise nach einer gewissen Regel eingerichtet werde und streitige Fragen in Sachen entschieden werden. Darum muß das, was das Maß und Richtscheit für andere Dinge ist, weitaus das Gewisseste und Klarste sein; der Art ist das Gesetz. Da nun dieses Licht und die Gewißheit der Gesetze in unheiligen weltlichen Dingen, wo es sich um zeitliche Güter handelt, sowohl nothwendig ist, als auch durch Gottes Gnadengabe der ganzen Welt umsonst gegeben ist, wie sollte er seinen Christen, nämlich den Auserwählten, nicht viel mehr helle und gewisse Gesetze und Regeln schenken, nach welchen sie sich und alle Sachen richten und alles beilegen könnten, da er will, daß die Seinigen die zeitlichen Dinge verachten sollen? Denn da Gott das Gras, das heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wie viel mehr uns? Doch wir wollen fortfahren und jenes verderbliche Wort der Sophisten mit Schrift zu Boden stürzen. Im 19. Psalm heißt es (V. 9.): „Das Gebot des Herrn ist hell oder rein, und erleuchtet die Augen.“ Ich glaube, das, was die Augen erleuchtet, ist nicht dunkel oder zweifelhaft. Desgleichen Psalm 119,130.: „Die Thür deiner Worte erleuchtet und gibt den Einfältigen Verstand.“ Hier sagt er von den Worten Gottes aus, daß sie eine Thür und etwas Offenbares seien, welches allen klar dargelegt sei und auch die Einfältigen erleuchte. Jes. 8,20. weist er alle Fragen an „das Gesetz und Zeugniß“, und so wir das nicht thun werden, so droht er uns, daß wir das Licht der Morgenröthe nicht haben sollen. Im 2. Capitel Maleachi (V. 7.) befiehlt er, „daß man aus dem Munde des Priesters das Gesetz suchen soll, weil er ein Engel des Herrn der Heerschaaren ist“. Das wäre natürlich ein sehr feiner Engel oder Bote des Herrn, der solche Dinge vorbrächte, welche ihm selbst nicht allein zweideutig wären, sondern auch dem Volke dunkel, so daß er selbst nicht wüßte, was er redete, und das Volk nicht, was es hörte. Und was wird im ganzen Alten Testamente, besonders im 119. Psalm, zum Lobe der Schrift häufiger gesagt, als daß sie das allergewisseste und augenscheinlichste Licht ist? Denn so preist er ihre Klarheit (Ps. 119,105.): „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Pfade.“ Er sagt nicht, dein Geist allein ist meines Fußes Leuchte, wiewohl er auch diesem sein Amt zutheilt und spricht (Ps. 143,10.): „Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.“ So wird Gottes Wort auch ein Weg und ein Pfad genannt, natürlich wegen seiner überschwänglichen Gewißheit. Nun wollen wir zum Neuen Testamente übergehen. Paulus sagt Röm. 1,2., „das Evangelium sei durch die Propheten in der heiligen Schrift verheißen“, und Cap. 3,21., „die Gerechtigkeit des Glaubens sei bezeugt durch das Gesetz und die Propheten“. Was für eine Art von Bezeugung wäre das, wenn sie dunkel wäre? Ja, in allen seinen Episteln nennt er das Evangelium das Wort des Lichtes, das Evangelium der Klarheit, dann redet er aber auch insonderheit davon mit reichen Worten 2 Cor. 3,7.ff. und Cap. 4., wo er von der Klarheit Mosis und Christi gar herrlich handelt. Petrus sagt auch 2 Petr. 1,19.: „Wir haben ein sehr gewisses prophetisches Wort; wenn ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunkeln Ort, so thut ihr wohl.“ Hier nennt Petrus das Wort Gottes eine helle Leuchte, alles Andere aber Finsterniß; und wir machen Finsterniß und Dunkelheit aus dem Worte? Christus (Joh. 8,12.) nennt sich so oft das Licht der Welt und Johannes den Täufer (Joh. 5,35.) ein brennendes und scheinendes Licht, ohne Zweifel nicht wegen der Heiligkeit des Lebens, sondern um des Wortes willen, wie Paulus die Philipper (2,15.) helle Lichter der Welt nennt, „weil ihr (spricht er) haltet ob dem Wort des Lebens“; denn das Leben ohne das Wort ist ungewiß und dunkel. Und was thun die Apostel, da sie ihre Predigten mit der Schrift beweisen? etwa, daß sie uns ihre finsteren Dinge mit noch größerer Finsterniß verdunkeln? oder, daß sie uns Bekannteres mit Unbekannterem beweisen? Was thut Christus, da er die Juden lehrt Joh. 5,39., „daß sie in der Schrift forschen sollten, welche nämlich Zeugniß gäbe von ihm“? Hat er das etwa gethan, um sie zweifelhaft zu machen über den Glauben an ihn? Was thun doch die, Apost. 17,11., welche, nachdem sie den Paulus gehört hatten, Tag und Nacht die Schrift lasen, um zu sehen, ob es sich also hielte? Beweist nicht dies alles, daß sich die Apostel, gleichwie Christus, auf die Schrift berufen, als auf das hellste Zeugniß ihrer Reden? Wie können wir uns also erdreisten, die Schrift für dunkel auszugeben? Ich bitte dich, sind denn diese Worte der Schrift auch dunkel oder zweideutig: „Gott schuf Himmel und Erde“; „das Wort ward Fleisch“, und alles, was die ganze Welt als Glaubensartikel angenommen hat? Woher hat sie es angenommen? Hat sie es denn nicht aus der Schrift? Und was thun die, welche noch heutiges Tages predigen, die Schrift auslegen und erklären? Aber wenn die Schrift, welche sie erklären, dunkel ist, wer macht uns gewiß, daß gerade ihre Erklärung zuverlässig ist? Eine andere, neue Erklärung. Wer wird nun diese erklären? So wird es ins Unendliche fortgehen. Kurz, wenn die Schrift dunkel oder zweideutig ist, was wäre es denn vonnöthen gewesen, daß Gott sie uns hätte geben lassen? Wären wir etwa nicht finster und zweifelhaft genug gewesen, wenn uns nicht vom Himmel herab die Dunkelheit und Zweideutigkeit und Finsterniß vermehrt worden wäre? Wo wird dann der Ausspruch des Apostels bleiben (2 Tim. 3,16.): „Alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Züchtigung“? Ja, lieber Paulus, es ist ganz unnütz: bei den Vätern, die von einer langen Reihe von Jahrhunderten angenommen sind, und bei dem römischen Stuhle muß man solches holen, was du der heiligen Schrift beilegst. Daher muß dein Ausspruch widerrufen werden, da du an den Titus(1,9.) schreibst: „Ein Bischof solle mächtig sein, zu ermahnen durch die heilsame Lehre und zu strafen die Widersprecher, und den unnützen Schwätzern und Verführern der Seelen das Maul zu stopfen.“ Wie kann er mächtig sein, wenn du ihm nur die dunkele Schrift lässest, das ist, Waffen aus Werg und statt eines Schwertes leichte Strohhalme? Dann müßte auch Christus nothwendiger Weise seinen Ausspruch widerrufen, der uns eine falsche Zusage gegeben hätte, indem er sagt (Luc. 21,15.): „Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widerstehen mögen alle eure Widersacher.“ Wie sollen sie uns nicht widerstehen können, da wir mit dunkeln und ungewissen Dingen gegen sie streiten? Und wie kannst auch du, Erasmus, uns eine Weise des christlichen Lebens vorschreiben, da dir die Schrift dunkel ist? Aber ich glaube, daß ich sogar Unverständigen hier beschwerlich falle, weil ich in einer so überaus klaren Sache so viele Worte verliere und so lange dabei verweile. Aber ich habe die unverschämte Rede, die heilige Schrift sei dunkel, so überschütten müssen, damit auch du sähest, lieber Erasmus, was du sagst, wenn du leugnest, daß die Schrift klar sei. Denn damit mußt du mir nothwendiger Weise auch zugleich behaupten, daß alle deine Heiligen, welche du anziehst, viel weniger klar sind. Denn wer macht uns ihres Lichtes gewiß, wenn du uns die Schrift dunkel gemacht hast? Darum machen uns diejenigen nichts als lauter Finsterniß, welche leugnen, daß die Schrift ganz hell und deutlich ist. Aber hier wirst du sagen: Das alles geht mich nicht an; ich sage nicht, daß die Schrift überall dunkel ist (denn wer sollte so unsinnig sein?), sondern nur in diesem Stücke und ähnlichen Dingen. Ich antworte: Ich rede auch nicht gegen dich allein, sondern gegen alle, welche dieselbe Meinung festhalten. Ferner sage ich gegen dich von der ganzen Schrift, daß ich keinen Theil derselben dunkel genannt wissen will, denn da steht, was wir aus Petrus angeführt haben (2 Ep. 2,19.): „daß uns das Wort Gottes ein helles Licht ist, das da scheinet in einem dunkeln Ort“. Wenn nun ein Theil dieses Lichtes nicht leuchtet, so wird es vielmehr ein Theil des dunkeln Ortes, als des Lichtes sein. Denn Christus hat uns nicht so erleuchtet, daß er gewollt hat, daß uns irgend ein Theil in seinem Worte dunkel gelassen sein sollte, da er uns befiehlt darauf zu achten; denn vergebens befiehlt er uns darauf zu achten, wenn es nicht leuchtet. Wenn demgemäß die Lehre vom freien Willen dunkel oder ungewiß ist, so geht sie die Christen und die Schrift nicht an, sondern ist ganz aufzugeben und durchaus unter die Fabeln zu rechnen, von denen Paulus verbietet, daß die Christen nicht darüber zanken sollen. Wenn sie aber den Christen und der Schrift angehört, so muß sie klar, offenbar und deutlich sein und ganz ähnlich allen anderen völlig deutlichen Artikeln. Denn alle Artikel der Christen müssen der Art sein, daß sie nicht nur ihnen selbst ganz gewiß sind, sondern auch gegen andere mit so offenbaren und hellen Schriftstellen bekräftigt, daß sie allen das Maul stopfen können, daß sie nichts dawider zu reden vermögen, wie uns Christus verheißt, da er spricht (Luc. 21,15.): „Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher alle eure Widersacher nicht sollen widerstehen mögen.“ Wenn daher unser Mund in diesem Stücke schwach ist, so daß die Widersacher widerstehen können, so ist das falsch, was er sagt, daß kein Widersacher unserem Munde widerstehen könne. Also, entweder werden wir in der Lehre vom freien Willen keine Widersacher haben, was der Fall sein wird, wenn sie uns nichts angeht, oder wenn sie uns angehört, so werden wir zwar Widersacher haben, aber solche, die nicht widerstehen können. Daß aber die Widersacher nicht zu widerstehen vermögen (weil wir hier darauf gekommen sind), das verhält sich so, nicht, daß sie gezwungen werden, von ihrer Meinung abzutreten, oder daß sie sich überreden lassen (ihren Irrthum) zu bekennen und zu schweigen. Denn wer kann sie wider ihren Willen zwingen, zu glauben, ihren Irrthum zu bekennen oder zu schweigen? Denn was ist geschwätziger als der leere Wahn? sagt Augustinus. Sondern das Maul wird ihnen so gestopft, daß sie nichts dawider aufbringen können, und obwohl sie vieles dagegen sagen, urtheilt doch der gesunde Menschenverstand, daß sie nichts sagen. Dies wird besser mit Beispielen gezeigt. Als Christus Matth. 22,34. den Sadducäern das Maul gestopft hatte, indem er die Schrift anführte und die Auferstehung der Todten aus dem zweiten Buche Mose, Cap. 3,6. bewies: „Ich bin der Gott Abrahams“ etc. „Gott ist nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen“: da konnten sie nicht widerstehen, noch irgend etwas dawider vorbringen; aber haben sie denn etwa um deß willen ihre Meinung fahren lassen? Und wie oft hat er die Pharisäer überführt mit den deutlichsten Schriftstellen und Gründen, so daß das Volk öffentlich sah, sie seien überwunden, und sie selbst es fühlten! Nichtsdestoweniger blieben sie hartnäckige Gegner. Stephanus, Apost. 7,51.ff., redete so, wie Lucas bezeugt, daß sie der Weisheit und dem Geiste, der in ihm redete, nicht widerstehen konnten. Aber was thaten jene? Gaben sie etwa nach? Vielmehr, da sie sich schämten, überwunden zu sein, und nicht widerstehen konnten, so wurden sie unsinnig, hielten ihre Ohren und Augen zu und brachten falsche Zeugen wider ihn, Apost. 7,56. Desgleichen, als er vor dem Rathe stand, siehe, wie er die Gegner widerlegt, da er die Wohlthaten aufzählt, welche Gott von Anfang des Volkes denselben erwiesen hatte, und beweist, daß Gott nie befohlen habe, daß ihm ein Tempel solle gebaut werden (denn wegen der Frage war er angeklagt, und darum handelte sich die Sache). Endlich gibt er zu, daß unter Salomo zwar ein Tempel gebaut worden sei, aber daraus folgert er auf diese Weise (V. 48.): „Aber der Allerhöchste wohnet nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind“, und zu dessen Beweisung führt er den Propheten Jesajas an Cap. 66,1.: „Was ist das für ein Haus, welches ihr mir gebaut habt?“ Sprich, was konnten sie wider eine so offenbare Schriftstelle sagen? Doch ließen sie sich dadurch nicht bewegen und standen fest auf ihre Meinung. Darum greift er sie auch an und spricht (V. 51.): „Ihr Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, ihr widerstrebet allezeit dem heiligen Geist“ etc. Er sagt, sie hätten widerstrebt, da sie doch nicht widerstehen konnten. Aber wir wollen auf unsere Zeit kommen. Da Johannes Hus aus Matth. 16,18. also gegen den Pabst disputirt: „Die Pforten der Hölle sollen meine Kirche nicht überwältigen“, ist denn darin irgend eine Dunkelheit oder Ungewißheit? Aber gegen den Pabst und die Seinen haben die Pforten der Hölle die Obergewalt, weil sie ja durch offenbare Gottlosigkeit und Verbrechen in der ganzen Welt berüchtigt (nobiles) sind. Ist dies auch dunkel? Also sind der Pabst und die Seinigen nicht die Kirche, von der Christus redet. Was hätten sie hier dawider sprechen können? oder wie hätten sie dem Munde widerstehen können, den Christus ihm gegeben hatte? Aber sie widerstanden dennoch und bestanden fest auf ihrer Meinung, so daß sie ihn auch verbrannten, so gänzlich wollten sie nicht von ihrer Meinung lassen. Und Christus verschweigt dies auch nicht, da er sagt: „Eure Widerwärtigen sollen nicht widerstehen können“; sie sind Widerwärtige (sagt er), also werden sie widerstehen, sonst wären sie nicht Widerwärtige, sondern würden Freunde, und doch sollen sie nicht widerstehen können. Was ist das anders, als sagen: wenn sie auch widerstehen, so sollen sie doch nicht widerstehen können? Wenn daher auch wir den freien Willen so widerlegen können, daß die Widersacher nicht zu widerstehen vermöchten, obgleich sie auf ihrer Meinung beharren, und widerstehen wider ihr Gewissen, so haben wir genug gethan. Denn ich habe hinlänglich erfahren, daß niemand den Namen haben will, er sei überwunden, und (wie Quintilian sagt) niemand ist, der nicht lieber dafür angesehen sein will, er wisse es, als daß er es lerne; obgleich bei uns alle dieses Sprüchwort im Munde führen, mehr gewohnheitsweise als von Herzen, ja, so daß sie es mißbrauchen: Ich wünsche zu lernen, ich bin bereit, mich belehren zu lassen, und wenn ich überwiesen werde, dem Besseren zu folgen; ich bin ein Mensch, ich kann irren. (Dies wird deshalb geredet,) damit man unter diesem Vorgeben, gleichsam unter einem schönen Scheine der Demuth, die Freiheit habe, zuversichtlich zu sprechen: Ich habe daran nicht genug; ich begreife das nicht; er thut der Schrift Gewalt an; er behauptet hartnäckig: natürlich sind sie davon überzeugt, daß niemand auf den Argwohn gerathen kann, daß ein Mensch von so großer Demuth hartnäckig widerstehe und selbst die erkannte Wahrheit heftig bekämpfe. So kommt es, daß man es auch nicht ihrer Böswilligkeit zuschreiben soll, daß sie von ihrer Meinung nicht abstehen, sondern der Dunkelheit und der Ungewißheit der Gründe. So haben es die Philosophen der Griechen auch gemacht; damit es nicht den Schein hätte, als sei einer dem anderen gewichen, wenn er auch offenbar überwunden war, fingen sie an, die Grundlagen (prima principia) zu leugnen, wie Aristoteles erzählt. Unterdessen überreden wir uns und andere in sanfter Weise, es gebe viele gute Leute auf der Erde, welche gern die Wahrheit annehmen würden, wenn nur einer da wäre, der sie klar lehrte, und es stände nicht zu vermuthen, daß so viele gelehrte Leute in einer so großen Reihe von Jahrhunderten geirrt hätten oder (die Wahrheit) nicht erkannt hätten, als ob wir nicht wüßten, daß die Welt des Teufels Reich ist, wo wir außer der natürlichen Blindheit, die uns vom Fleische angeboren ist, noch in dieser Blindheit verhärtet werden von den gottlosesten Geistern, die über uns herrschen, und wir von teuflischer, nicht mehr menschlicher Finsternis; festgehalten werden. Wenn nun die Schrift, wirst du sagen, hell ist, warum sind denn in diesem Stücke in so vielen Jahrhunderten die Männer, die durch hohen Verstand hervorgeragt haben, so blind gewesen? Ich antworte: Sie sind so blind gewesen zu Lob und Ehren des freien Willens, damit jene herrlich gerühmte Kraft dargethan würde, durch welche der Mensch sich zu dem bereiten kann, was da gehört zur ewigen Seligkeit, nämlich daß sie das Gesehene nicht sieht, das Gehörte nicht hört, viel weniger versteht oder begehrt. Denn hierher gehört, was Christus aus Jesajas (6,9.) und die Evangelisten (Matth. 13,14. Luc. 8,10.) so oft behaupten: „Mit hörenden Ohren werdet ihr nicht hören und werdet es nicht verstehen, und mit sehenden Augen werdet ihr nicht sehen.“ Was ist dies anders, als daß der freie Wille oder das menschliche Herz so durch des Satans Gewalt unterdrückt ist, daß, wenn es nicht durch den Geist Gottes wunderbarlicher Weise erweckt wird, es an sich selbst auch nicht einmal das sehen, noch hören kann, was offenbar in die Augen fällt und in die Ohren schallt, so daß es mit Händen gegriffen werden möchte? so groß ist das Elend und die Blindheit des menschlichen Geschlechtes. So haben sich auch die Evangelisten verwundert, wie es käme, daß die Juden den Werken und Worten Christi, die doch ganz unwiderleglich und unleugbar waren, nicht Statt gaben. Sie geben sich selbst Antwort mit jener Stelle der Schrift, daß nämlich der Mensch, wenn er sich selbst überlassen ist, mit sehenden Augen nicht sieht und mit hörenden Ohren nicht hört. Was ist seltsamer? „Das Licht“, spricht er (Joh. 1,5.), „scheinet in der Finsterniß, und die Finsterniß haben es nicht begriffen.“ Wer sollte das glauben? Wer hat dergleichen je gehört? Daß ein Licht in der Finsterniß leuchte und die Finsterniß gleichwohl Finsterniß bleibe und nicht erhellt werde? Demgemäß ist es in göttlichen Sachen nicht zu verwundern, daß in so vielen Jahrhunderten die durch hohen Verstand ausgezeichneten Leute blind gewesen sind. In menschlichen Dingen wäre es Wunder, in göttlichen Dingen wäre es viel mehr Wunder, wenn einer oder der andere nicht blind wäre, aber gar kein Wunder, wenn durchaus alle blind wären. Denn was ist das ganze menschliche Geschlecht ohne den Geist anders als das Reich des Teufels (wie ich gesagt habe), eine verwirrte Masse (chaos) von Finsterniß? Darum nennt Paulus (Eph. 6,12.) die bösen Geister die Herrscher in dieser Finsterniß. Und 1 Cor. 2,8. sagt er, „daß keiner der Obersten dieser Welt die Weisheit Gottes erkannt hat“. Was, meinst du wohl, wird er von den Uebrigen halten, da er behauptet, daß die Obersten der Welt Knechte der Finsterniß sind? Denn unter den Obersten versteht er die Ersten und Höchsten in der Welt, welche du Leute nennst, die ausgezeichnet sind durch hohe Begabung (excellentes ingenio). Warum sind alle Arianer blind gewesen? Sind denn nicht auch da Leute von hoher Begabung gewesen? Warum ist Christus den Heiden eine Thorheit? Sind unter den Heiden keine Leute von hoher Begabung gewesen? Warum ist er den Juden ein Aergerniß? Sind unter den Juden keine Leute von hoher Begabung gewesen? „Gott weiß (sagt Paulus (1 Cor. 3,20.)) der Weisen Gedanken, daß sie eitel sind“; er hat nicht sagen wollen „der Menschen“, wie es doch der Text (Ps 94,11.) hat, und bezeichnet die Ersten und Obersten unter den Menschen, damit wir nach ihnen die anderen Menschen abschätzen. Doch hierüber werden wir später vielleicht ausführlicher reden; es genüge, daß wir das zum Eingang vorausgeschickt haben, die Schrift sei ganz klar, so daß wir durch sie unsere Sache so zu vertheidigen vermögen, daß die Widersacher nicht widerstehen können. Was aber so nicht vertheidigt werden kann, das liegt fern und geht die Christen nichts an. Wenn es aber Leute gibt, welche diese Klarheit nicht sehen können, und in dem hellen Sonnenlichte blind sind und anstoßen: so thun sie dar, wenn sie gottlos sind, wie groß die Majestät und Macht des Teufels über die Menschenkinder ist, daß sie die ganz klaren Worte Gottes weder hören noch begreifen, gleich als wenn einer, durch einen Zauber getäuscht, meinte, die Sonne wäre eine kalte Kohle, oder einen Stein für Gold ansähe. Wenn sie aber gottselig sind, müssen sie unter die Auserwählten gerechnet werden, die eine Zeitlang in Irrthum verführt werden, damit Gottes Kraft in uns offenbar werde, ohne welche wir weder sehen können, noch überhaupt irgend etwas vermögen. Denn es ist nicht Schwerfälligkeit des Verstandes (wie du vorgibst), daß Gottes Wort nicht gefaßt wird, ja, niemand ist geschickter, Gottes Wort zu ergreifen, als die, welche einen schwachen Verstand haben; denn um der Schwachen willen und zu den Schwachen ist Christus gekommen und hat ihnen sein Wort gesandt. Aber es ist die Bosheit des Teufels, der in unserer Schwachheit sitzt, regiert und dem Worte Gottes widersteht; wenn der Teufel das nicht thäte, so würden durch Eine Predigt Gottes, wenn sie nur Ein Mal gehört würde, alle Menschen in der ganzen Welt bekehrt werden, und mehr wäre nicht vonnöthen. Doch was bedarf's vieler Worte? Warum machen wir zugleich mit diesem Eingange nicht der ganzen Sache ein Ende und fällen wider dich aus deinen eigenen Worten das Urtheil nach dem Worte Christi (Matth. 12,37.): „Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden und aus deinen Worten wirst du verdammt werden“? Denn du sagst, die Schrift sei hier nicht hell. Darnach läßt du die Sache unentschieden und disputirst nach beiden Seiten hin, was dafür und was dawider gesagt werden könne; etwas Anderes thust du nicht in deinem ganzen Buche, welches du um deß willen lieber eine Abhandlung (diatriben) als eine feste Erklärung (apophasin) oder etwas Anderes hast nennen wollen, weil du alles zusammentragen (collaturus), aber doch nichts so schreiben wolltest, daß du es als gewiß behauptetest. Wenn daher die Schrift nicht hell ist, warum sind denn hier jene Leute, welche du so hoch rühmst, nicht nur blind, sondern erklären und behaupten frevel und thöricht den freien Willen, als wenn dies aus der gewissen und hellen Schrift geschähe? Ich meine „die so zahlreiche Reihe der gelehrtesten Männer, deren Meinung man so viele hundert Jahre bis auf den heutigen Tag einstimmig gebilligt hat, von denen die meisten außer ihrer bewunderungswürdigen Einsicht in die heilige Schrift auch ein gottseliger Wandel empfiehlt. Einige haben die christliche Lehre, welche sie in ihren Schriften vertheidigt haben, mit ihrem Blute bestätigt.“ Wenn du dies von Herzen redest, so steht es bei dir fest, daß der freie Wille solche Leute zu seinen Verteidigern (assertores) gehabt habe, welche mit einer bewunderungswürdigen Erkenntniß in der heiligen Schrift begabt gewesen sind, so daß sie diese Lehre auch mit ihrem Blute bezeugt haben. Wenn dies wahr ist, so hielten sie die Schrift für klar. Denn was wäre sonst ihre bewunderungswürdige Einsicht in die heilige Schrift gewesen, ja, was für eine Leichtfertigkeit und freveles Gemüth, sein Blut zu vergießen für eine ungewisse und dunkele Sache? Denn das stände den Märtyrern Christi nicht an, sondern den Teufeln. Nun stelle auch du dir vor Augen und erwäge es bei dir, ob du urtheilest, daß man mehr auf das Urtheil geben müsse so vieler Gelehrten, so vieler Heiligen, so vieler Märtyrer, so vieler alten und neuen Theologen, so vieler hohen Schulen, so vieler Concilien, so vieler Bischöfe und Päbste, welche dafürgehalten haben, die heilige Schrift sei klar, und dies sowohl mit ihren Schriften, als auch mit ihrem Blute bestätigt haben, als auf dein, eines einzelnen Menschen, Privaturtheil, da du leugnest, daß die heilige Schrift klar sei, und vielleicht noch nie auch nur Eine Thräne oder einen Seufzer für die Lehre Christi verloren hast. Wenn du glaubst, daß jene recht geurtheilt haben, warum folgst du ihnen denn nicht? Wenn du es nicht glaubst, warum rühmst du mit vollen Backen, mit so großem Wortschwall, als ob du mich überschütten wolltest mit einem Sturme und mit einer Art Sündfluth der Rede, welche aber doch viel stärker über dein eigenes Haupt daherfluthet, aber meine Arche schwimmt oben in Sicherheit. Denn du legst so vielen und so großen Männern zugleich die größte Thorheit und den größten Frevel bei, da du schreibst, sie hätten große Erkenntniß in der heiligen Schrift gehabt, und hätten dieselbe mit der Feder, mit ihrem Leben, mit ihrem Tode fest bezeugt, und behauptest doch, sie sei dunkel und ungewiß. Das ist nichts Anderes, als jene Männer so darstellen, als wären sie ganz unerfahren in der Erkenntniß und ganz thöricht in ihrem festen Zeugniß. So hätte ich sie nicht geehrt, der ich sie für meine Person verachte, wie du es thust, ihr öffentlicher Lobredner. Ich halte dich also hier, wie man sagt, mit einem Vernunftschluß, der Hörner hat (cornuto syllogismo); denn eins von beiden muß falsch sein: entweder das, was du sagst, daß jene bewunderungswürdig gewesen seien wegen ihrer Erkenntniß in der heiligen Schrift, wegen ihres Lebens und Märtyrerthums; oder das, was du sagst, die Schrift sei nicht hell. Aber weil du dich vielmehr dahin fortreißen läßt, daß du glaubst, die Schrift sei nicht hell (denn das treibst du in dem ganzen Buche), so bleibt nichts Anderes übrig, als daß du, entweder im Scherz oder aus Schmeichelei, aber keineswegs im Ernste gesagt hast, daß sie sehr große Erkenntniß in der Schrift gehabt haben und Märtyrer Christi gewesen seien, um dem unwissenden Volke einen Schein vor Augen zu machen, dem Luther aber zu schaffen zu geben, damit du seine Sache durch solche nichtigen Worte mit Haß und Verachtung beschwertest. Ich aber sage, daß keins von beiden wahr ist, sondern, daß beides falsch ist; (ich behaupte) zuerst, daß die heilige Schrift ganz licht ist, ferner, daß jene Leute, sofern sie den freien Willen behaupten, gar keine Erkenntniß in der heiligen Schrift haben, und endlich, daß sie diese Lehre weder durch ihr Leben noch durch ihren Tod, sondern nur mit der Feder bestätigt haben, aber so, daß ihr Geist darin gestrauchelt hat.

 

Beschluß der Antwort auf die einleitenden Bemerkungen der Diatribe.

 

Deshalb schließe ich diese kleine Erörterung so: Durch die Schrift, als (in diesem Stück) dunkel, ist bisher nichts Gewisses über den freien Willen festgestellt und konnte auch nichts festgestellt werden, wie du selbst bezeugst; aber durch das Leben aller Menschen von Anbeginn der Welt ist auch nichts für den freien Willen dargethan, wie oben gesagt worden ist. Daher etwas zu lehren, was in der Schrift mit keinem Worte angezeigt ist, und was außerhalb der Schrift durch keine Thatsache erwiesen ist, das geht die Lehren der Christen nicht an, sondern das gehört zu den wahrhaftigen Erzählungen (d. i. Fabeln) des Lucian. Allein daß Lucian im Scherz und einsichtsvoll mit kurzweiligen Dingen spielt und niemanden betrügt, noch schädigt, diese Leute aber, mit denen wir es zu thun haben, unsinnig handeln in einer ernsten Sache, welche noch dazu die ewige Seligkeit anbetrifft, zum Verderben unzähliger Seelen.

 

Theilung dieses Buchs.

 

So könnte ich hier nun die ganze Frage vom freien Willen schließen, da auch das Zeugniß der Gegner für mich spricht und wider sie selbst streitet, da es keine stärkere Beweisung gibt, als das eigene Bekenntniß und Zeugniß dessen, der angeklagt ist, gegen sich selbst. Da aber Paulus befiehlt, den unnützen Schwätzern das Maul zu stopfen, so wollen wir zur Sache selbst schreiten und sie in der Ordnung behandeln, welche die Diatribe innehält. Zuerst wollen wir die Gründe, welche für den freien Willen beigebracht sind, widerlegen. Darnach wollen wir das vertheidigen, was von unseren Gründen widerlegt sein soll. Endlich wollen wir streiten wider den freien Willen für die Gnade Gottes.


 - FORTSETZUNG -