D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam,

daß der freie Wille nichts sei (De servo arbitrio, 1525)


Anderer Theil dieses Buches: Vertheidigung der angezogenen Sprüche.

 

Endlich kommt die Diatribe zu den Stellen, welche Luther wider den freien Willen angeführt hat, und will auch diese widerlegen. Die erste derselben ist der Spruch 1 Mos. 6,3. (nach der Vulgata): „Mein Geist soll nicht unter den Menschen bleiben, denn sie sind Fleisch.“ Diese Stelle widerlegt sie auf verschiedene Weise. Erstlich, Fleisch bedeute hier nicht die gottlose Neigung, sondern eine Schwachheit; sodann setzt sie zu dem Text Mosis hinzu, daß sein Ausspruch sich nur auf die Menschen jener Zeit beziehe, nicht auf das ganze Menschengeschlecht, deshalb sei gesagt: in diesen Menschen; desgleichen auch nicht auf alle Menschen zu jener Zeit, denn Noah werde ausgenommen; endlich im Hebräischen laute dieser Ausspruch anders, nämlich von Güte, nicht von Strenge Gottes, nach Vorgang (autore) des Hieronymus, indem sie uns vielleicht einreden will, daß, da dieser Ausspruch sich nicht auf Noah, sondern auf die Gottlosen bezieht, dem Noah nicht die Güte, sondern die Strenge Gottes zukomme, den Gottlosen aber die Güte, nicht die Strenge zugehöre. Doch wir wollen diese Possen der Diatribe fahren lassen, welche überall kundgibt, daß sie die Schrift für Fabeln hält. Was Hieronymus hier narrt, daran liegt uns nichts; gewiß ist, daß er nichts beweist, und wir disputiren nicht von der Meinung des Hieronymus, sondern vom Verstand der Schrift. Der Schriftverdreher mag erdichten, „der Geist Gottes“ bezeichne „Unwillen“ (indignationem). Wir sagen, daß er zweierlei nicht beweisen kann; erstlich, daß er auch nicht Eine Stelle der Schrift beibringen kann, in welcher der Geist Gottes für Unwillen genommen werde, da im Gegentheil überall dem Geiste Gütigkeit und liebliches Wesen beigelegt wird, sodann, wenn er etwa beweisen könnte, daß er überall für Unwillen genommen würde, so kann er doch nicht sofort beweisen, daß mit Nothwendigkeit folge, es müsse auch an dieser Stelle so genommen werden. So mag er erdichten, daß „Fleisch“ für „Schwachheit“ genommen werde, doch beweist er gleicherweise nichts. Denn daß Paulus die Corinther „fleischlich“ nennt (1 Cor. 3,1.3.4.), damit bezeichnet er sicherlich nicht eine Schwachheit, sondern gottloses Wesen (vitium), da er sie straft, weil Secten und Rotten unter ihnen sind, was nicht eine Schwachheit ist oder ein Unvermögen für stärkere (Speise der) Lehre, sondern Bosheit und der alte Sauerteig, den er auszufegen gebietet. Nun wollen wir das Hebräische ansehen. „Mein Geist wird nicht immerdar richten unter den Menschen, denn sie sind Fleisch“; denn so steht von Wort zu Wort bei Moses. Und wenn wir unsere Träume fahren ließen, so sind die Worte dort (meine ich) deutlich und klar genug. Daß es aber Worte des erzürnten Gottes sind, zeigt das Vorhergehende und Nachfolgende zusammen mit der Wirkung, der Sündfluth, hinlänglich. Denn die Ursache, so zu reden, war, daß die Kinder (Gottes die Töchter) der Menschen zu Weibern nahmen aus bloßer Lust des Fleisches, dann auch mit Tyrannei das Land bedrückten, so daß sie den erzürnten Gott zwangen, die Sündfluth zu beschleunigen und nur noch einhundert und zwanzig Jahre aufzuschieben, während er sie sonst nie hätte kommen lassen. Lies Mosen mit Achtsamkeit, so wirst du klar sehen, daß dies seine Meinung sei. Was ist es aber zu verwundern, daß die heilige Schrift dunkel ist, oder daß du aus ihr nicht nur einen freien, sondern sogar einen göttlichen Willen aufrichtest, wenn man so mit ihr sein Spiel treiben darf, als ob du Fetzen aus Virgil in ihr suchtest? Nämlich das heißt Knoten lösen und durch Auslegung Fragen beseitigen. Aber Hieronymus und sein Origenes haben mit diesen Possen die ganze Welt erfüllt und sind die Urheber dieses verderblichen Beispiels gewesen, daß man sein Bemühen nicht auf einfache Behandlung (simplicitati) der Schrift richtete. Mir ist es genug gewesen, aus dieser Stelle zu beweisen, daß Gottes Wort die Menschen Fleisch nennt, und so sehr Fleisch, daß der Geist Gottes unter ihnen nicht bleiben konnte, sondern zur festgesetzten Zeit von ihnen genommen werden mußte. Denn, daß Gott sagt, sein Geist werde nicht immerdar unter den Menschen richten, das erklärt er bald darauf, indem er hundert und zwanzig Jahre festsetzt, in welchen er noch richten werde. Er setzt aber den Geist dem Fleische entgegen, daß die Menschen, da sie Fleisch sind, den Geist nicht zulassen, er aber, da er der Geist ist, das Fleisch sich nicht gefallen lassen kann; so komme es, daß er nach hundert und zwanzig Jahren von ihnen genommen werden müsse. Daher die Stelle in Moses so verstanden werden muß: Mein Geist, welcher in Noah und anderen heiligen Männern ist, straft jene Gottlosen durch das Wort der Predigt und das Leben der Gottseligen (denn „richten unter den Menschen“ heißt, durch das Amt des Wortes unter ihnen handeln, strafen, schelten, dringend bitten, zur Zeit oder zur Unzeit), aber vergebens. Denn jene, durch das Fleisch blind gemacht und verhärtet, werden um so ärger, je mehr sie gerichtet werden, wie das ja immer der Fall ist, so oft das Wort Gottes in die Welt kommt, daß sie nämlich desto ärger werden, je mehr sie unterwiesen werden. Und diese Ursache hat es bewirkt, daß der Zorn beschleunigt wurde, wie auch dort die Sündfluth beschleunigt worden ist, da nun nicht allein gesündigt, sondern auch die Gnade Gottes verachtet wird, und, wie Christus sagt (Joh. 3,19.): Da das Licht kam, haßten die Menschen das Licht. Da nun die Menschen Fleisch sind, wie Gott selbst bezeugt, so können sie nicht anders als fleischlich gesinnt sein, deshalb kann der freie Wille nur zum Sündigen ein Vermögen haben. Da sie auch, wenn der Geist Gottes unter ihnen ruft und lehrt, immer ärger werden, was sollten sie thun, wenn sie sich selbst überlassen sind, ohne den Geist Gottes? Und hier thut das nichts zur Sache, daß Moses mir von den Menschen zu jener Zeit redet. Dasselbe geht alle Menschen an, da alle Fleisch sind, wie Christus sagt, Joh. 3,6.: „Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch.“ Was das für ein schweres (sittliches) Gebrechen (vitium) sei, lehrt er selbst eben dort, da er sagt, daß niemand in Gottes Reich eingehen könne, wenn er nicht von neuem geboren sei. Ein Christ soll also wissen, daß Origenes und Hieronymus mit allen ihren Anhängern verderblich irren, da sie leugnen, daß unter Fleisch in diesen Stellen die gottlose Gesinnung (affectu) zu verstehen sei. Denn auch der Spruch 1 Cor. 3,3.: „Ihr seid noch fleischlich“, geht auf die Gottlosigkeit. Denn Pauli Meinung ist, es seien noch Gottlose unter ihnen, dann aber seien auch die Gottseligen, sofern sie fleischlich gesinnt sind, fleischlich, wiewohl sie vom Geiste gerechtfertigt sind. Kurz, darauf magst du in der Schrift achten, überall, wo vom Fleisch im Gegensatz zum Geist gehandelt wird, da kannst du unter Fleisch ungefähr alles verstehen, was dem Geiste zuwiderläuft, wie an der Stelle (Joh. 6,63.): „Das Fleisch ist kein nütze.“ Wo es aber allein für sich (absolute) gebraucht wird, da sollst du wissen, daß es Beschaffenheit und Natur des Leibes bedeute, wie (Matth. 19,5.): „Es werden die zwei Ein Fleisch sein“; (Joh. 6,55.:) „Mein Fleisch ist die rechte Speise“; (Joh. 1,14.:) „Das Wort ward Fleisch.“ In diesen Stellen könnte man, mit Aenderung der hebräischen Weise zu reden, Leib anstatt Fleisch sagen, denn die hebräische Sprache bezeichnet mit dem Worte Fleisch das, was wir durch die beiden Wörter Fleisch und Leib ausdrücken. Und ich wollte, daß es so mit unterschiedlichen Wörtern überall in dem ganzen Canon der Schrift übersetzt worden wäre. So glaube ich, daß meine Stelle aus 1 Mos. 6, (V. 3.) noch feststehen wird wider den freien Willen, wenn bewiesen wird, daß das Fleisch sei, wovon Paulus Röm. 8,7. sagt, daß es auch Gotte nicht unterthan sein könne, wie wir an jener Stelle sehen werden, und die Diatribe selbst sagt, daß es nichts Gutes wollen könne. Die zweite Stelle ist 1 Mos. 8,21.: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist geneigt zum Bösen von Jugend auf“; und Cap. 6,5.: „Alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist gerichtet aufs Böse immerdar.“ Diesem Spruch entwischt sie so: „Die Neigung zum Bösen, welche bei den meisten Menschen sich findet, hebt die Freiheit des Willens nicht gänzlich auf.“ Aber, ich bitte dich, redet denn Gott von den meisten Menschen und nicht vielmehr von allen? da er nach der Sündfluth, gleich als ob es ihm gereue, den übrigen und zukünftigen Menschen verspricht, er werde nicht wieder eine Sündfluth kommen lassen um des Menschen willen, und gibt die Ursache an, weil der Mensch geneigt sei zum Bösen, als wollte er sagen: Wenn auf die Bosheit der Menschen gesehen werden sollte, so dürfte mit der Sündfluth nie aufgehört werden; aber ich will fortan nicht ansehen, was sie verdienen etc. So siehst du, daß Gott sowohl vor der Sündfluth als auch nach der Sündfluth von den Menschen aussagt, daß sie böse seien, und es ist also nichts, daß die Diatribe nur von den meisten redet. Ferner scheint der Diatribe die Neigung oder der Hang zum Bösen eine Sache von geringem Belange zu sein, gleich als ob wir dieselbe durch unsere Kraft entweder in Gang bringen oder dämpfen könnten, während die Schrift mit dieser Neigung jenen beständigen Zug und Drang des Willens zum Bösen bezeichnen will. Oder warum hat sie nicht auch hier das Hebräische zu Rathe gezogen, da Moses nichts von der Neigung sagt, damit du nicht Ursache habest zu Spitzfindigkeiten? Denn so steht im sechsten Capitel (V. 5.): „Chol Jetzer Mahescheboth libbo rak ra chol haiom“, das heißt: „Alles Dichten der Gedanken seines Herzens ist nur böse allezeit.“ Er sagt nicht, gerichtet oder geneigt zum Bösen, sondern durchaus böse, und es werde von dem Menschen im ganzen Leben nichts Anderes gedichtet und getrachtet als Böses. Es wird das Wesen seiner Bosheit beschrieben, daß er nicht anders thut noch zu thun vermag, weil er böse ist. Denn, wie Christus bezeugt (Matth. 7,17.), ein böser Baum kann auch keine anderen als arge Früchte bringen. Daß aber die Diatribe klügelt: „Warum eine Frist zur Buße gegeben worden sei, wenn kein Theil der Sinnesänderung von unserem Willen abhängt, sondern alles durch Notwendigkeit regiert wird?“ so antworte ich: Dasselbe möchtest du auch bei allen Geboten Gottes sagen, warum er befehle, wenn durch Nothwendigkeit alles geschieht? Er gebietet, um zu unterrichten und zu erinnern, damit sie (die Menschen) durch die Erkenntniß ihrer Bosheit gedemüthigt, zur Gnade kommen möchten, wie überflüssig genug gesagt ist. Es steht also auch diese Stelle noch unbesiegt wider die Freiheit des Willens. Die dritte Stelle ist der Spruch Jes. 40,2.: „Sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn um alle ihre Sünde.“ „Hieronymus (sagt sie) legt dieses von den göttlichen Strafen aus, nicht von der Gnade, welche Gott für die Missethaten den Menschen widerfahren läßt.“ Ich höre, Hieronymus sagt so, also ist es wahr. Ich disputire über Jesajas, welcher mit den klarsten Worten redet, und mir wird Hieronymus entgegen gehalten, um nicht allzuhart zu sagen, ein Mensch ohne Urtheil und Sorgfalt. Wo bleibt jenes Versprechen, durch welches wir das Uebereinkommen getroffen haben, wir wollten mit der Schrift selbst handeln, nicht mit den Auslegungen von Menschen? Das ganze Capitel des Jesajas, nach dem Zeugniß der Evangelisten, redet von der Vergebung der Sünden, die durch das Evangelium verkündigt wird, da sie sagen, daß sich „die Stimme des Predigers“ (Jes. 40,3.) auf Johannes den Täufer (Matth. 3,3.) beziehe. Und wir sollen dulden, daß uns Hieronymus nach seiner Weise jüdische, aus Blindheit entsprossene Märlein als einen geschichtlichen Verstand, und seine Narrenspossen als eine geistliche Deutung aufdränge, so daß wir mit völliger Verkehrung der Sprachlehre die Stelle, welche von der Vergebung redet, von der Strafe verstehen sollen? Ich bitte dich, was ist das für eine Strafe, welche durch die Predigt von Christo erfüllt ist? Aber wir wollen die Worte selbst im Hebräischen sehen. Es heißt (Jes. 40,1.): Tröstet, tröstet, o mein Volk, oder tröstet, tröstet mein Volk (populum), spricht euer Gott. Ich glaube, daß der nicht auf Strafe dringe, welcher befiehlt zu trösten. Es folgt (Jes. 40,2.): „Redet Jerusalem ins Herz und prediget ihr.“ Es ist hebräische Redeweise „ins Herz reden“, das heißt, gute, liebliche Dinge, Liebkosungen reden, wie 1 Mos. 34,3. Sichem der Dina ins Herz redet, welche er geschändet hatte, das heißt, er gab der Traurigen den lindernden Balsam der Liebkosungen, wie unser Uebersetzer verdolmetscht hat. Was das aber für gute, liebliche Dinge seien, die auf Gottes Befehl zu ihrem Troste gepredigt werden sollen, erklärt er, indem er spricht: „Denn ihre Ritterschaft hat ein Ende dadurch, daß ihre Missethat vergeben ist, denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn, um alle ihre Sünde.“ Die „Ritterschaft“ (militia), wofür unsere Bücher verderbter Weise „Bosheit“ (malitia) haben, scheint den dummdreisten jüdischen Sprachlehrern die festgesetzte Zeit zu bezeichnen, denn so verstehen sie das Wort Hiob 7,1.: „Das Leben des Menschen auf der Erde ist eine Ritterschaft“, das heißt, die Zeit ist ihm bestimmt. Ich halte dafür, daß es einfach, wie die Grammatik lehrt, eine Ritterschaft genannt werde, so daß man Jesaias so zu verstehen hat, daß er redet von der Mühe und Arbeit des Volkes unter dem Gesetze, da es gleichsam in den Schranken kämpft. Denn so vergleicht Paulus gern sowohl die Prediger als auch die Hörer des Wortes „Streitern“ (militibus), wie da, wo er (2 Tim. 2,3.) dem Timotheus als einem guten Streiter (1 Tim. 6,12.) auch einen guten Kampf zu kämpfen befiehlt, und von den Corinthern redet er (1 Cor. 9,24.) als von solchen, die in den Schranken laufen; desgleichen (2 Tim. 2,5.): Niemand wird gekrönt, er kämpfe denn recht; die Epheser (6,13.f.) und Thessalonicher (1 Ep. 5,8.) rüstet er mit Waffen, und rühmt (2 Tim. 4,7.), er habe einen guten Kampf gekämpft, und ähnliche Dinge anderswo. So wird auch 1 Sam. 2,22. im Hebräischen geschrieben, daß die Söhne Eli schliefen bei den Weibern, die da Ritterschaft übten vor der Thür der Hütte des Stifts, deren Ritterschaft auch Moses im 2. Buche (Cap. 38,8.) gedenkt, und daher wird der Gott dieses Volks der Herr Zebaoth genannt, das heißt, der Herr des Kriegsdienstes oder der Heerschaaren. Jesajas kündigt also an, daß die Ritterschaft des Gesetzesvolks, weil sie unter dem Gesetze gleichsam mit einer unerträglichen Last geplagt wurden, wie Petrus in der Apostelgeschichte, Cap. 15,10., bezeugt, ein Ende haben soll, und daß die vom Gesetze Befreiten in die neue Ritterschaft des Geistes versetzt werden sollen. Ferner, dieses Ende der überaus harten Ritterschaft und die nachfolgende neue, ganz freie Ritterschaft wird ihnen nicht aus ihrem Verdienst gegeben werden, da sie jene auch nicht zu tragen vermochten, sondern vielmehr ihrem Unverdienst, weil ihre Ritterschaft auf solche Weise beendigt wird, daß ihnen umsonst ihre Missethat vergeben wird. Hier sind nicht dunkle oder zweifelhafte Worte. Ihre Ritterschaft soll ein Ende haben, sagt er, darum, weil die Missethat derselben vergeben wird, wodurch er deutlich anzeigt, daß die Streiter unter dem Gesetze das Gesetz nicht erfüllt haben, es auch nicht haben erfüllen können, sondern daß sie die Ritterschaft der Sünde ausgeübt haben und daß die Streiter Sünder gewesen sind; als wenn Gott sagen wollte: Ich werde gezwungen, ihnen die Sünden zu vergeben, wenn ich will, daß das Gesetz von ihnen erfüllt werde, ja, zugleich das Gesetz aufzuheben, weil ich sehe, daß sie nicht anders können als sündigen, besonders dann, wenn sie ihre Ritterschaft üben, das heißt, sich bemühen, das Gesetz aus ihren Kräften zu erfüllen. Denn das hebräische Wort „die Missethat ist vergeben“ bezeichnet, daß etwas aus (freiem) Wohlgefallen umsonst geschenkt ist. Und deshalb wird die Missethat ohne irgend ein Verdienst, ja, mit Unverdienst vergeben. Und dies ist, was er anfügt: „Denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des Herrn, um alle ihre Sünde.“ Dies ist, wie ich gesagt habe, nicht allein die Vergebung der Sünden, sondern auch das Ende der Ritterschaft. Das ist nichts Anderes, als, nachdem das Gesetz aufgehoben war, welches die Kraft der Sünde war, und die Sünde geschenkt, welche der Stachel des Todes war, sollten sie in zwiefacher Freiheit herrschen durch den Sieg Jesu Christi; das ist, was Jesaias sagt: „Von der Hand des Herrn.“ Denn nicht durch ihre Kräfte oder Verdienste haben sie dies erlangt, sondern durch den Sieger und Geber Christus haben sie es empfangen. „In allen Sünden“ ist nach hebräischer Weise geredet, was deutsch gesagt wird „für“, oder „um der Sünden willen“, wie Hosea 12,13.: Jakob diente in einem Weibe, das heißt, um ein Weib; und Psalm 17,9.: Sie haben mich umgeben in meiner Seele, das heißt, um meiner Seele willen. Also unsere Verdienste, durch welche wir jene zwiefältige Freiheit erlangen, daß sowohl die Ritterschaft des Gesetzes ein Ende hat als auch die Sünden geschenkt sind, malt Jesajas so ab, daß sie nichts als Sünden und alle Sünden gewesen sind. Sollten wir nun leiden, daß diese sehr schöne und unüberwindliche Stelle wider den freien Willen so besudelt werde durch den jüdischen Schmutz, der von Hieronymus und der Diatribe herzugebracht wird? Das sei ferne! Es steht aber mein lieber Jesajas als Sieger wider den freien Willen und stellt fest, daß die Gnade nicht den Verdiensten oder Bemühungen des freien Willens geschenkt werde, sondern den Sünden und Unverdiensten, und daß der freie Wille aus seinen Kräften nichts Anderes als die Ritterschaft der Sünde üben könne, so sehr, daß sogar das Gesetz, von dem man meint, es sei ihm zu Hülfe gegeben, ihm unerträglich gewesen ist und ihn nur noch mehr zum Sünder gemacht hat, während er unter demselben diente. Daß aber die Diatribe disputirt: „Wiewohl durch das Gesetz die Sünde mächtig geworden ist, und wo die Sünde mächtig geworden ist, da auch die Gnade mächtig wird, so folge doch daraus nicht, daß der Mensch, ehe er der angenehmmachenden Gnade theilhaftig werde, sich unter göttlichem Beistand nicht durch sittlich gute Werke zu der göttlichen Gnade zubereiten könne.“ Es wäre wunderbar, wenn die Diatribe das aus ihrem Kopfe redete, und es nicht aus irgend einem Zettel, der ihr anders woher geschickt worden ist, oder den sie anders woher empfangen hat, herausgeklaubt und ihrem Buche eingefügt hätte. Denn sie sieht und hört nicht. was ihre Worte besagen. Wenn durch das Gesetz die Sünde mächtig ist, wie ist es dann möglich, daß sich der Mensch durch sittliche Werke zur göttlichen Gnade zubereiten könnte? Wie können die Werke nützen, da das Gesetz nicht nützt? oder was ist das anders, daß durch das Gesetz die Sünde mächtig geworden ist, als daß die Werke, welche nach dem Gesetze gethan sind, Sünden sind? Was sagt sie aber, daß der Mensch unter göttlichem Beistande sich durch sittliche Werke zubereiten könne? Disputiren wir vom göttlichen Beistande oder von dem freien Willen? Denn was sollte durch göttlichen Beistand nicht möglich sein? Aber es ist das, was ich gesagt habe: die Diatribe verachtet die Sache, welche sie führt, darum schnarcht sie so und gähnt im Reden. Doch führt sie den Hauptmann Cornelius als Beispiel an, dessen Gebet und Almosen (Apost. 10,4.) wohlgefällig gewesen sei, ehe er noch getauft und mit dem Heiligen Geist erfüllt worden sei. Ich habe auch den Lucas in der Apostelgeschichte gelesen, habe aber doch nicht gefunden, daß nur mit einer Silbe angezeigt wird, daß die Werke des Cornelius sittlich gute gewesen seien ohne den Heiligen Geist, wie die Diatribe träumt, sondern ich finde das Gegentheil, daß er gerecht und gottesfürchtig war, denn so nennt ihn Lucas; daß er aber gerecht und gottesfürchtig ohne den Heiligen Geist genannt werde, ist dasselbe, als wenn Belial Christus genannt würde. Dann handelt die ganze Erörterung daselbst davon, daß Cornelius vor Gott rein sei, wie dies auch das Gesicht bezeugt, welches vom Himmel herab dem Petrus gesendet wurde, welches diesen strafte; ja, mit so großen Worten und Dingen wird die Gerechtigkeit und der Glaube des Cornelius von Lucas gepriesen. Nichtsdestoweniger ist die Diatribe mit ihren Sophisten bei offenen Augen im hellsten Lichte der Worte und in handgreiflich klaren Dingen blind, und sie sehen das Gegentheil; so wenig Mühe geben sie sich, die heilige Schrift zu lesen und darauf Acht zu haben, welche dann als dunkel und zweideutig geschändet werden muß. Zugegeben, er war noch nicht getauft und hatte das Wort von Christi Auferstehung noch nicht gehört, folgt denn etwa daraus, daß er ohne den Heiligen Geist gewesen sei? So könntest du auch sagen, daß Johannes der Täufer mit seinen Eltern, dann auch die Mutter Christi und Simeon ohne den Heiligen Geist gewesen seien. Aber weg mit einer so groben Finsterniß. Die vierte Stelle aus demselben Capitel des Jesajas (40,6.7.): „Alles Fleisch ist Heu, und alle seine Güte ist wie eine Blume des Grases. Das Heu ist verdorret, die Blume verwelket, denn des Herrn Geist bläset drein“ etc., „scheint“ meiner Diatribe „allzu gewaltsam auf die Gnade und den freien Willen gezogen zu werden.“ Weshalb dies, ich bitte dich? „Weil Hieronymus (sagt sie) den Geist für den Unwillen (indignationem) nimmt, das Fleisch für die schwache Beschaffenheit des Menschen, welche nichts wider Gott vermag.“ Wiederum werden mir die Possen des Hieronymus anstatt des Jesajas vorgebracht. Ich muß stärker wider den Ekel kämpfen, durch den mich die Diatribe mit einem so großen Unfleiß (um nicht etwas Härteres zu sagen) abquält, als wider die Diatribe selbst. Aber wir haben kurz zuvor unser Urtheil über die Meinung des Hieronymus ausgesprochen. Doch, ich bitte dich, laßt uns die Diatribe mit sich selbst vergleichen: „das Fleisch (sagt sie) ist die schwache Beschaffenheit des Menschen, der Geist aber der göttliche Unwille.“ Der göttliche Unwille hat also nichts Anderes, was er verdorren könnte (exsiccet,) als jene elende und schwache Beschaffenheit des Menschen, welcher er vielmehr aufhelfen sollte? Aber dieses ist noch schöner: „die Blume des Grases ist der Ruhm, welcher aus Vorzügen in leiblichen Dingen entsteht. Die Juden rühmten sich ihres Tempels, ihrer Beschneidung, ihrer Opfer, die Griechen ihrer Weisheit.“ Also die Blume des Grases und der Ruhm des Fleisches ist die Gerechtigkeit der Werke und die Weisheit der Welt. Wie können nun Gerechtigkeit und Weisheit bei der Diatribe leibliche Dinge genannt werden? Wie reimt sich das dann zu Jesajas selbst, der sich mit seinen eigenen Worten auslegt, indem er sagt: „Wahrlich, das Volk ist das Heu“, er sagt nicht: Wahrlich, das Heu ist die schwache Beschaffenheit des Menschen, sondern das Volk, und behauptet das mit einem Eide. Was aber ist das Volk? Ist es etwa allein die schwache Beschaffenheit des Menschen? Ob nun Hieronymus unter der schwachen Beschaffenheit (conditionem) des Menschen die Natur des Menschen selbst (creationem), oder das elende Loos und den elenden Zustand des Menschen versteht, weiß ich nicht. Aber welches von diesen beiden es auch sei, so trägt der göttliche Unwille sicherlich ein treffliches Lob und eine reiche Beute davon, indem er das elende Geschöpf oder unglückselige Menschen verdorren macht, und nicht vielmehr (Luc. 1,51.ff.) die Hoffährtigen zerstreuet, und die Gewaltigen vom Stuhle stößt und die Reichen leer läßt, wie Maria singt. Aber wir wollen solche leeren Dinge (larvis) fahren lassen und dem Jesajas folgen. Das Volk (sagt er) ist Gras. Das Volk aber ist nicht das bloße Fleisch oder die schwache Beschaffenheit der menschlichen Natur, sondern umfaßt alles, was im Volke ist, nämlich Reiche, Weise, Gerechte, Heilige, es wollte denn jemand sagen, daß die Pharisäer, Aeltesten, Fürsten, vornehmen Leute, Reichen etc. nicht zum Volke der Juden gehörten. Die Blume des Grases wird ganz richtig der Ruhm genannt, nämlich, daß sie sich ihres Königreichs, ihres Regiments, besonders aber des Gesetzes, Gottes, ihrer Gerechtigkeit und Weisheit rühmten, wie Paulus das Röm. 2. 3. und 9. erörtert. Da also Jesajas sagt: alles Fleisch, was ist das anders, als alles Gras, oder alles Volk? Denn er sagt nicht einfach: Fleisch, sondern alles Fleisch. Zum Volke aber gehört Seele, Leib, Verstand, Vernunft, Urtheil und alles, was in einem Menschen nur als das Trefflichste genannt und gefunden werden kann. Denn der nimmt niemanden aus, der da sagt: alles Fleisch ist Gras, als den Geist, der verdorren macht. Der läßt auch nichts aus, der da sagt, das Gras ist das Volk. Gib also zu, daß der freie Wille, gib zu, daß alles, was bei dem Volke auch immer für das Höchste und für das Niedrigste gehalten werden kann, daß alles dies von Jesajas Fleisch und Gras genannt wird. Denn diese drei Namen, Fleisch, Gras (oder Heu) und Volk haben nach der eigenen Auslegung dessen, welcher der Verfasser des Buches ist, an dieser Stelle dieselbe Bedeutung. Ferner versicherst du selbst, daß die Weisheit der Griechen und die Gerechtigkeit der Juden, welche verdorrt sind durch das Evangelium, das Gras oder die Blume des Grases seien. Oder meinst du, daß die Weisheit bei den Griechen nicht das Herrlichste gewesen sei, was sie gehabt haben, und die Gerechtigkeit bei den Juden nicht das Herrlichste, was sie vermochten? Lehre du etwas Herrlicheres. Wo ist also deine Zuversicht, mit der du sogar (ich glaube, den Philippus) verhöhntest, indem du sagtest: „Wollte jemand behaupten, daß das, was an der menschlichen Natur das Vortrefflichste ist, nichts Anderes sei als Fleisch, das ist, daß es gottlos sei, so will ich ihm leicht beistimmen, wenn er das, was er behauptet, mit Zeugnissen der heiligen Schrift beweist“? Hier hast du den Jesaias, welcher das Volk, welches ohne den Geist des Herrn ist, mit lauter Stimme als Fleisch ausruft, wiewohl du es nicht so hörst. Du hast dein eigenes Bekenntniß, da du die Weisheit der Griechen (vielleicht unbedachtsam) Gras nennst oder die Herrlichkeit des Grases, was dasselbe ist, als wenn du sie Fleisch nenntest, wenn du nicht behaupten willst, die Weisheit der Griechen gehöre nicht zur Vernunft oder „hegemonikon“, wie du sagst, das heißt, zu dem hauptsächlichsten Theile des Menschen. Höre, ich bitte dich, wenn du uns verachtest, wenigstens dich selbst, wo du, von der Macht der Wahrheit gefangen, Richtiges redest. Du hast den Johannes (3,6.): Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, was vom Geist geboren ist, das ist Geist. An dieser Stelle, welche augenscheinlich überführt, daß das, was nicht vom Geist geboren ist, Fleisch sei, denn sonst hätte die Theilung Christi keinen Bestand, der alle Menschen in zwei Theile theilt, in Fleisch und Geist; an dieser Stelle also, als ob sie dich das nicht lehrte, was du begehrst, gehst du tapfer vorüber und begibst dich, nach deiner Weise, anderswohin, indem du inzwischen erörterst, Johannes sage, daß diejenigen, welche glauben, aus Gott geboren und Kinder Gottes würden, ja Götter und eine neue Creatur. Du kümmerst dich nicht darum, was die Theilung für eine Folgerung mit sich bringe, sondern belehrst uns mit müßigen Worten, wer die seien, welche zu dem einen Theile dieser Theilung gehören, indem du auf deine Redekunst vertraust, als ob niemand wäre, der dieses Uebergehen und ein so schlaues Verstellen, als ob du es nicht sähest, beachten würde. Es hält schwer, nicht zu glauben, daß du an dieser Stelle nicht hinterlistig und tückisch handelst, denn wer die Schrift mit solcher Verschmitztheit und Heuchelei behandelt, wie du sie behandelst, der kann sicher von sich aussagen, er sei noch nicht durch die Schrift überwiesen, wolle sich aber belehren lassen, während er nichts weniger will und dies nur schwatzt zur Schmach des überaus hellen Lichtes in der Schrift und um seine Hartnäckigkeit zu schmücken. So sagen die Juden bis auf den heutigen Tag, durch die Schrift werde nicht bewiesen, was Christus, die Apostel und die ganze Kirche gelehrt haben. Die Ketzer können in nichts durch die Schrift belehrt werden, die Papisten sind durch die Schrift noch nicht überwiesen, wiewohl auch die Steine die Wahrheit ausschreien. Vielleicht erwartest du, daß eine Stelle aus der Schrift vorgebracht werde, welche aus diesen Buchstaben und Silben bestehe: Der hauptsächliche Theil an dem Menschen ist Fleisch, oder das, was das Vortrefflichste am Menschen ist, ist Fleisch, sonst wirst du ein unüberwindlicher Sieger sein, gleich als wenn die Juden fordern, daß aus den Propheten ein Spruch beigebracht werde, welcher aus diesen Buchstaben besteht: Jesus, des Zimmermanns Sohn, der geboren ist von der Jungfrau Maria zu Bethlehem, ist der Messias und der Sohn Gottes. Hier, wo du durch den deutlichen Sinn (der Schrift) bezwungen wirst, schreibst du uns die Buchstaben und Silben vor, welche wir beibringen sollen; anderswo, wo du überwunden wirst sowohl durch die Buchstaben, als auch durch den Sinn, hast du bildliche Reden, Knoten und gesunde Auslegungen. Ueberall findest du etwas, was du wider die Schrift reden kannst und das ist nicht zu verwundern, weil du mit nichts Anderem umgehst, als daß du suchst, was du dawider sagen möchtest. Bald läufst du zu den Auslegungen der Alten, bald zu den Ungereimtheiten vor der Vernunft; wo keins von beiden dir Hülfe schafft, besprichst du Fern- und Naheliegendes, nur damit du durch die vorliegende Stelle der Schrift nicht festgehalten werden mögest. Was soll ich sagen? Proteus ist nicht Proteus, wenn er mit dir verglichen wird; dennoch kannst du auch so nicht entschlüpfen. Wie großer Siege rühmten sich die Arianer, weil diese Silben und Buchstaben „homoousios“ nicht in der Schrift enthalten wären, und kümmerten sich nicht darum, daß durch andere Worte dasselbe aufs kräftigste bewiesen wurde. Aber ob das die Art eines guten, ich will nicht sagen, eines gottseligen Herzens sei, darüber könnte wohl selbst die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit ein Urtheil abgeben. Habe daher den Sieg, wir bekennen als Besiegte, daß diese Zeichen und Silben „das Vortrefflichste am Menschen ist nichts als Fleisch“ in der heiligen Schrift sich nicht finden. Du aber siehe zu, von welcher Beschaffenheit dein Sieg sei, da wir beweisen, daß es sich in der Schrift überaus reichlich finde, daß nicht Ein Theil, sei es auch der vorzüglichste oder hauptsächliche Theil des Menschen, Fleisch sei, sondern daß der ganze Mensch Fleisch sei, und nicht allein das, sondern, daß das ganze Volk Fleisch sei, und selbst damit ist es noch nicht genug, sondern, daß das ganze menschliche Geschlecht Fleisch sei. Denn Christus sagt (Joh. 3,6.): „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Du löse Knoten, erdichte bildliche Reden, folge den Auslegungen der Alten, oder sonst sage Verse über den Trojanischen Krieg her, nur um die vorliegende Stelle nicht zu sehen und zu hören. Wir glauben nicht, sondern sehen und erfahren, daß das ganze menschliche Geschlecht vom Fleisch geboren ist. Deshalb werden wir gezwungen zu glauben, was wir nicht sehen, nämlich, daß das ganze menschliche Geschlecht Fleisch ist, da Christus es lehrt. Ob jetzt der hauptsächlichste Theil (hegemonica pars) im Menschen begriffen werde im ganzen Menschen, im ganzen Volke, im ganzen menschlichen Geschlechte, das überlassen wir den Sophisten, darüber zu zweifeln und zu disputiren; wir wissen, daß „in dem ganzen menschlichen Geschlechte“ Leib und Seele mit allen Kräften und Werken, mit allen Lastern und Tugenden, mit aller Weisheit und Thorheit, mit aller Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit begriffen wird. Dies alles ist Fleisch, weil in all diesem der Sinn auf das Fleisch gerichtet ist (sapiunt carnem), das heißt, auf das Ihre, und sie mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollen, und des Geistes Gottes, wie Paulus sagt, Röm. 3,23. Daß du daher sagst: „Nicht jede Neigung des Menschen ist Fleisch, sondern es gibt einen Theil, den man die Seele nennt, es gibt einen andern, welcher der Geist genannt wird, wodurch wir nach dem streben, was ehrbar ist, wie sich die Weltweisen bestrebt haben, die da lehrten, man müsse tausendmal lieber sterben wollen, als eine schändliche Handlung begehen, wenngleich wir wüßten, daß sie kein Mensch erführe, und daß Gott dieselbe vergeben würde“: So antworte ich: Demjenigen, der nichts für gewiß glaubt, ist es ein Leichtes, irgend etwas zu glauben und zu sagen. Nicht ich, sondern dein Lucian möge dich fragen, ob du in dem ganzen menschlichen Geschlechte auch nur Einen (sei er gleich zweimal oder siebenmal selbst ein Socrates) aufzeigen kannst, der dies geleistet habe, was du hier sagst und schreibst, daß sie es gelehrt haben? Was fabelst du denn mit leeren Worten? Die sollten sich der Ehrbarkeit bestreben, welche noch nicht einmal wußten, was ehrbar wäre? Du magst vielleicht das Ehrbarkeit nennen, wenn ich ein ganz vorzügliches Beispiel anführen soll, daß sie für das Vaterland, für Weiber und Kinder, für ihre Eltern in den Tod gingen, oder daß sie nicht Lügen redeten oder zu Verräthern wurden, ausgesuchte Martern ertrugen, wie Mucius Scävola, Marcus Regulus und Andere Leute solcher Art waren. Was kannst du aber an allen diesen Anderes aufzeigen, als nur den äußerlichen Schein der Werke? Hast du etwa ihr Herz gesehen? Ja, durch das äußerliche Ansehen des Werkes ist zugleich offenbar geworden, daß sie dies alles um ihrer Ehre willen gethan haben, so daß sie sich auch nicht geschämt haben, zu bekennen und zu rühmen, daß sie ihre eigene Ehre suchten. Denn nur aus glühendem Ehrgeiz haben die Römer, wie sie selbst bezeugen, das gethan, was sie an Tugend gethan haben, ebenso auch die Griechen, ebenso auch die Juden, ebenso auch das ganze Menschengeschlecht. Aber mag dies auch vor Menschen etwas Ehrbares sein, so gibt es doch vor Gott nichts Unehrbareres, ja, es ist das Allergottloseste und die höchste Gotteslästerung, nämlich, daß sie nicht um der Ehre Gottes willen gehandelt, ihn auch nicht als Gott gepriesen haben, sondern, indem sie durch den gottlosesten Raub Gotte seine Ehre genommen und sie sich beigelegt haben, sind sie nie unehrbarer und schändlicher gewesen, als während sie in ihren höchsten Tugenden glänzten. Wie aber hätten sie zu Gottes Ehre handeln können, da sie Gott und seine Ehre nicht kannten; nicht daß dieselbe nicht erschienen wäre, sondern, daß das Fleisch nicht zuließ, daß sie die Ehre Gottes sähen, weil sie toll und unsinnig waren auf ihre eigene Ehre. Hier hast du nun jenen herrschenden (hegemonicum) Geist, den hauptsächlichsten Theil des Menschen, der nach dem strebt, was ehrbar ist, das heißt, den Räuber der göttlichen Ehre und den, der da trachtet nach göttlicher Majestät, besonders dann, wenn die Leute am ehrbarsten sind und am meisten hervorleuchten durch ihre höchsten Tugenden. Nun leugne, daß diese Fleisch seien und verderbt durch ihre gottlose Neigung. Ich glaube nicht, daß die Diatribe sich so sehr an dieser Rede, daß der Mensch Fleisch oder Geist genannt wird, ärgern würde, wenn der Lateiner sagte: Der Mensch ist fleischlich oder geistlich. Denn es muß zugegeben werden, daß dies, wie auch vieles Andere in der hebräischen Sprache, z. B. wenn es heißt: Der Mensch ist Fleisch oder Geist, dasselbe bedeutet, als wenn wir sagen: Der Mensch ist fleischlich oder geistlich, wie die Lateiner sagen: Etwas Trauriges ist der Wolf für die Ställe; etwas Süßes ist den Saaten die Feuchtigkeit, oder wenn sie sagen: Dieser Mensch ist das Verbrechen und die Bosheit selbst. So nennt auch die heilige Schrift des Nachdrucks halber den Menschen „Fleisch“, gleichsam die Fleischlichkeit selbst, weil er allzusehr und in nichts Anderem lebt und webt (sapiat), als in dem, das des Fleisches ist; und „Geist“, weil er in nichts Anderem, als in dem, was des Geistes ist, lebt und webt, flicht, handelt und duldet. Es möchte vielleicht jemand hier noch fragen: Wenn gleich der ganze Mensch und das Vorzüglichste im Menschen Fleisch genannt wird, folgt denn etwa sofort daraus, daß auch alles das gottlos genannt werden muß, was Fleisch ist? Wir sagen, der ist gottlos, welcher ohne den Geist Gottes ist. Denn um deß willen sagt die Schrift, der Geist werde geschenkt, damit er die Gottlosen rechtfertige. Da aber Christus den Geist vom Fleisch unterscheidet, indem er sagt (Joh. 3,6.7.): Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, und hinzufügt, daß das, was vom Fleisch geboren ist, das Reich Gottes nicht sehen kann, so folgt augenscheinlich: Alles, was Fleisch ist, das ist auch gottlos und unter dem Zorne Gottes und gehört nicht zum Reiche Gottes, wenn es aber nicht zum Reiche Gottes gehört und den Geist Gottes nicht haben kann, so folgt mit Nothwendigkeit, daß es unter dem Reiche und Geiste des Teufels sei, da es kein Zwischenreich zwischen dem Reiche Gottes und dem Reiche des Teufels gibt, die sich beständig gegenseitig bekämpfen. Dies ist es, was da beweist, daß die höchsten Tugenden an den Heiden, das Beste an den Weltweisen, das Vorzüglichste an den Menschen, vor der Welt zwar ehrbar und gut genannt wird und auch so scheint, daß dies alles aber vor Gott Fleisch ist und dem Reiche des Teufels dient, das heißt, daß es gottlos und gottesschänderisch ist und in jeder Hinsicht böse. Doch, Lieber, wir wollen annehmen, die Meinung der Diatribe habe Bestand, daß nicht jede Neigung Fleisch sei, das heißt, gottlos, sondern eine solche, welche Geist genannt wird, ehrbar und gesund: siehe, wie viele Ungereimtheiten folgen daraus, zwar nicht vor der menschlichen Vernunft, sondern in der ganzen christlichen Religion und in den höchsten Artikeln des Glaubens! Denn wenn das Vorzüglichste am Menschen nicht gottlos ist, auch nicht verderbt oder verdammt, sondern nur Fleisch, das ist, gröbere und niedrigere Neigungen, ich bitte dich, was für einen Erlöser würden wir aus Christus machen? Wollen wir den Werth seines Blutes so gering machen, daß er nur das, was das Geringste ist am Menschen, erlöst habe, das Vortrefflichste am Menschen aber durch sich selbst etwas vermöge (valeat) und Christi Werk nicht nöthig habe? so daß wir Christum fortan predigen als einen Erlöser, nicht des ganzen Menschen, sondern seines schlechtesten Theiles, nämlich des Fleisches, der Mensch selbst aber sein eigener Erlöser sei nach seinem besseren Theile. Wähle, welches von beiden du willst, wenn der bessere Theil des Menschen gesund ist, so bedarf er des Erlösers Christus nicht. Wenn er Christi nicht bedarf, so hat er größere Ehre als Christus und triumphirt über ihn, weil er sich selbst, als den besseren Theil, versorgt, während Christus nur den schlechteren versorgt. Ferner wird auch das Reich des Teufels nichts sein, da es ja nur über den schlechteren Theil des Menschen regiert, vom besseren Theile aber beherrscht wird. So wird durch diesen Lehrsatz von dem hauptsächlichsten Theile des Menschen, der Mensch über Christum und den Teufel erhoben, das heißt, er wird ein Gott über Götter und ein Herr über Herren werden. Wo ist jetzt jene annehmbare Meinung, welche aussprach, der freie Wille könne nichts Gutes wollen, hier aber behauptet, es sei ein hauptsächlichster und zwar ein gesunder und ehrbarer Theil, der nicht einmal Christi bedürfe, sondern mehr vermöge als Gott selbst und als der Teufel? Dies sage ich, damit du wiederum sehen mögest, wie ein gar gefährliches Ding es sei, wenn man sich an heilige und göttliche Sachen macht ohne den Geist Gottes, mit Vermessenheit menschlicher Vernunft. Wenn nun Christus das Lamm Gottes ist, das die Sünden der Welt wegnimmt, so folgt, daß die ganze Welt unter der Sünde, der Verdammniß und dem Teufel ist, und es nützt die Unterscheidung der hauptsächlichen und der nicht hauptsächlichen Theile nichts, denn Welt bezeichnet die Menschen, welche in allen Stücken im Weltlichen leben und weben. „Wenn der ganze Mensch (sagt sie), auch der durch den Glauben wiedergeborene, nichts Anderes als Fleisch ist, wo bleibt dann der Geist, vom Geist geboren? wo das Kind Gottes? wo die neue Creatur? Hierüber möchte ich belehrt werden.“ So die Diatribe. Wohin? wohin, meine theuerste Diatribe, was träumst du? Du begehrst belehrt zu werden, wie der Geist vom Geiste geboren Fleisch sei? Ei! mit wie fröhlichem und sicherem Siege trotzest du uns Besiegten hier, als wenn es unmöglich wäre, daß wir hier bestehen könnten! Inzwischen willst du das Ansehen der Alten mißbrauchen, welche lehren, daß den Gemüthern der Menschen gewisse Keime (semina) des Ehrbaren eingepflanzt seien. Erstlich, wenn du so willst, steht es dir unserthalben frei, das Ansehen der Alten zu gebrauchen oder zu mißbrauchen; an dir wird erkannt, was du glaubst, da du Menschen glaubst, die das Ihre reden ohne das Wort Gottes. Und vielleicht quält dich in der Sorge um die Religion nicht viel, was jemand glaubt, da du so leicht Menschen glaubst, und dir nichts daran liegt, ob das, was sie sagen, gewiß oder ungewiß sei. Und wir möchten darüber belehrt werden, wann wir jemals das gelehrt haben, was du uns so frei und öffentlich aufbürdest? Wer sollte so unsinnig sein, daß er sagen sollte, der sei nichts als Fleisch, der aus dem Geiste geboren ist? Wir scheiden deutlich Fleisch und Geist, als mit einander streitende Dinge, und sagen mit der göttlichen Offenbarung, daß der Mensch, welcher durch den Glauben nicht wiedergeboren ist, Fleisch ist. Dann sagen wir, daß der Wiedergeborene nicht weiter Fleisch ist, als sofern Ueberbleibsel des Fleisches da sind, welche wider die Erstlinge des empfangenen Geistes streiten. Auch glaube ich nicht, daß du dies hast erdichten wollen, um Gehässigkeit wider uns zu erregen; was hättest du uns sonst wohl Schändlicheres aufbürden können? Sondern entweder verstehst du nichts von unseren Dingen, oder du scheinst der Größe der Angelegenheit nicht gewachsen zu sein, von der du vielleicht so bedrückt und verwirrt wirst, daß du dir nicht völlig bewußt bist, was du sowohl wider uns, als auch für dich sagst. Denn daß du nach dem Ansehen der Alten glaubst, daß den Gemüthern der Menschen gewisse Keime der Ehrbarkeit eingepflanzt seien, sagst du wiederum mit einer gewissen Vergeßlichkeit, da du oben behauptet hast, daß der freie Wille nichts Gutes wollen könne. Ich weiß aber nicht, wie „nichts Gutes wollen können“ gewisse Keime der Ehrbarkeit bei sich leiden kann. So werde ich beständig gezwungen, dich der Hauptsache, welche du auf dich genommen hast, zu erinnern, von der du in beständiger Vergeßlichkeit abschweifst und anderes handelst, als du dir vorgenommen hattest. Eine andere Stelle ist, Jer. 10,23.: „Ich weiß, Herr, daß des Menschen Thun stehet nicht in seiner Gewalt, und stehet in niemands Macht, wie er wandele oder seinen Gang richte.“ „Diese Stelle (sagt sie) betreffe mehr den Ausgang erfreulicher Umstände, als das Vermögen des freien Willens.“ Hier bringt die Diatribe wiederum zuversichtlich eine Deutung herbei, wie es ihr gedäucht hat, als ob die Schrift völlig unter ihrer Gewalt stände. Daß er aber den Sinn und das Absehen des Propheten betrachten sollte, wozu hatte das ein Mann von so großem Ansehen nöthig? Es ist genug, Erasmus sagt es, also ist es so. Wenn den Gegnern diese Willkür, Deutungen zu machen, zugelassen wird, was bleibt dann übrig, daß sie es nicht erlangen möchten? Er möge daher aus dem Zusammenhange ebenderselben Rede diese Deutung nachweisen, so wollen wir glauben. Wir aber lehren aus dem Zusammenhange selbst, daß der Prophet, da er sah, er lehre die Gottlosen vergeblich mit so großem Anhalten, zugleich zu verstehen gibt, sein Wort vermöge nichts, wenn nicht Gott inwendig lehre, und darum stehe es nicht in der Gewalt des Menschen, zu hören und Gutes zu wollen. Da er dies Urtheil Gottes wahrgenommen hat, bittet er ihn erschreckt, daß er ihn mit Maße züchtigen möge, wenn überhaupt gestraft werden soll, und daß er nicht mit den Gottlosen, welche Gott verhärtet werden und ungläubig bleiben läßt, unter den Zorn Gottes dahingegeben werden möge. Aber wir wollen uns dennoch vorstellen, daß diese Stelle von dem Ausgange erfreulicher und betrübter Umstände verstanden werde; wie nun, wenn gerade diese Deutung den freien Willen aufs stärkste umstieße? Es wird zwar diese neue Ausflucht erdichtet, damit ungelehrte und schläfrige (Leser), getäuscht, glauben sollen, es sei (der Sache) genug geschehen, gleichwie jene es machen mit der Ausflucht von der Nothwendigkeit der Folge. Denn sie sehen nicht, daß, wie sie durch diese Ausflüchte vielmehr verstrickt und gefangen werden, sie so auch durch diese neuen Wörter zum Weichen gebracht werden. Wenn nun der Ausgang dieser Dinge nicht in unserer Gewalt steht, welche zeitlich sind und über welche der Mensch, 1 Mos. 1., zum Herrn eingesetzt worden ist, ich bitte dich, wie kann dann jene himmlische Sache, die Gnade Gottes, in unserer Gewalt sein, welche allein auf dem Willen Gottes beruht? Kann denn das Bemühen des freien Willens die ewige Seligkeit erlangen, welches doch nicht einen Heller, ja, nicht einmal ein Haar auf dem Haupte festhalten kann? Wir haben nicht das Vermögen, das Geschaffene zu erlangen, und sollten das Vermögen haben, den Schöpfer zu erlangen? Was rasen wir denn? Es gehört nun das ganz besonders zu dem Ausgang (eventus), daß ein Mensch dem Guten oder dem Bösen nachstrebt, weil er sich da auf beiden Seiten mehr irrt und weniger Freiheit hat, als indem er sich bemüht um Geld, oder Ehre, oder Wohllust. Wie schön ist also diese Deutung (glossa) entwischt, welche die Freiheit des Menschen in Bezug darauf, zu welchem Ende ein Ding hinausgeht, in kleinen und erschaffenen Dingen leugnet, und dieselbe predigt in den höchsten und göttlichen Dingen, als wenn du sagen würdest: Codrus vermag nicht, einen Stater zu bezahlen, er kann aber unzählig viele tausend Goldgulden bezahlen. Und ich wundere mich, daß die Diatribe, welche den Ausspruch des Wiclef, alle Dinge geschähen nothwendiger Weise, bisher so stark verfolgt hat, jetzt selbst zugesteht, daß der Ausgang der Dinge für uns ein nothwendiger sei. Ferner sagt sie: „Will man dieses ja mit Gewalt auf den freien Willen ziehen, so muß doch jedermann bekennen, daß es in niemandes Macht stehe, ohne die Gnade Gottes richtig vor sich zu wandeln. Nichtsdestoweniger bemühen wir uns auch selbst nach unseren Kräften, denn wir beten täglich: Herr, mein Gott, richte meinen Weg vor dir her; wer um Hülfe bittet, läßt von seinem Bemühen nicht ab.“ Die Diatribe meint, es liege nichts daran, was sie antworte, wenn sie nur nicht schweige und irgend etwas sage. Dann will sie dafür angesehen sein, daß sie genug gethan habe; so sehr vertraut sie auf ihr Ansehen. Es hätte bewiesen werden sollen, ob wir aus unseren Kräften uns bestreben, und sie beweist, daß derjenige, welcher betet, sich um etwas bemühe. Ich bitte dich, spottet sie unser? oder treibt sie ihr Gespötte mit den Papisten? Wer betet, der betet durch den Geist, ja, der Geist selbst betet in uns, Röm. 8,15. Wie wird also durch das Bemühen des Heiligen Geistes das Vermögen des freien Willens bewiesen? Ist denn bei der Diatribe der freie Wille und der Heilige Geist ein und dasselbe? Disputiren wir denn jetzt, was der Geist vermöge? Die Diatribe läßt mir also die Stelle des Jeremias unberührt und unüberwunden und bringt allein aus ihrem Kopfe dieses Glößlein: Wir bestreben uns auch mit (unseren) Kräften. Und dem zu glauben soll Luther gezwungen werden, wenn er nur wollte! Desgleichen der Spruch, Sprüchw. 16,1: „Der Mensch setzet ihm wohl vor im Herzen; aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll“; davon sagt sie, daß er auch auf den Ausgang der Dinge sich beziehe. Als ob durch diesen ihren eigenen Ausspruch, ohne sonstigen Grund und Beweis, uns genug geschehen sei. Und sie macht es wahrlich übergenug, weil wir, indem wir die Meinung von dem Ausgange der Dinge zugaben, völlig gesiegt haben, nach dem, was wir so eben gesagt haben, daß, da die Freiheit des Willens in unseren Angelegenheiten und Werken nichts ist, vielmehr keine da ist in göttlichen Dingen und Werken. Doch siehe ihren Scharfsinn: „Wie steht es aber damit, daß ein Mensch sich im Herzen etwas vorsetze, da Luther behauptet, es werde alles durch Notwendigkeit geleitet?“ Ich antworte: Da der Ausgang der Dinge nicht in unserer Gewalt steht, wie du sagst, wie kann es einem Menschen zukommen, die Sachen zu leiten? Was du mir würdest geantwortet haben, das nimm nun als dir geantwortet an. Ja, deshalb besonders muß man wirken, weil uns alles Künftige ungewiß ist, wie der Prediger (11,6) sagt: „Frühe säe deinen Samen, und laß deine Hand Abends nicht ab; denn, du weißt nicht, ob dies oder das gerathen wird.“ Uns, sage ich, ist es ungewiß, nach unserem Wissen, aber nothwendig dem Ausgange (eventu) nach. Die Nothwendigkeit flößt uns die Furcht Gottes ein, damit wir nicht vermessen und sicher seien; die Ungewißheit aber gebiert die Zuversicht, damit wir nicht verzweifeln. Sie kehrt aber zu ihrem alten Liedlein zurück, daß im Buch der Sprüchwörter vieles für den freien Willen gesagt wird; der Art ist (Spr. 16,3.): „Befiehl dem Herrn deine Werke“; „hörst du“, sagt sie, „deine Werke“? Nämlich, weil in diesem Buche viele befehlende und verpflichtende Worte sind, auch Fürwörter der zweiten Person, denn durch diese Grundlagen wird die Freiheit des Willens bewiesen, wie: „Befiehl“, also kannst du deine Werke befehlen, also thust du sie. So das Wort: „Ich bin dein Gott“ (5 Mos. 5,6.) mußt du so verstehen: das heißt, du machst mich zu deinem Gott. „Dein Glaube hat dir geholfen“ (Matth. 9,22.): hörst du? „Dein“; das lege so aus: du machst den Glauben: dann hast du den freien Willen bewiesen. Hier treibe ich nicht Spott, sondern zeige der Diatribe, daß es ihr in dieser Sache nicht Ernst ist. Das Wort in demselben Capitel (Spr. 16,4.): „Der Herr macht alles um sein selbst willen, auch den Gottlosen zum bösen Tage“, modelt sie auch um durch ihre Worte, und entschuldigt Gott, daß er keine Creatur böse geschaffen habe. Als ob ich von der Schöpfung redete und nicht vielmehr von jener beständigen Wirkung Gottes in den geschaffenen Dingen. Durch diese Wirkung treibt Gott auch den Gottlosen, wie wir oben von Pharao gesagt haben. Auch das Wort aus dem 21. Capitel (V. 1.) scheint ihr nichts zu beweisen: „Des Königs Herz ist in der Hand des Herrn; er neigt es, wohin er will.“ „Der zwingt nicht sofort, der (etwas) neigt“, sagt sie. Als ob wir vom Zwange redeten und nicht vielmehr von der Nothwendigkeit der Unveränderlichkeit. Diese wird durch das Neigen Gottes bezeichnet, welches nicht eine so schläfrige und faule Sache ist, wie die Diatribe erdichtet, sondern es ist jenes überaus thätige Wirken Gottes, welches er (der Mensch) nicht vermeiden und nicht ändern kann, sondern durch welches er solches Wollen nothwendiger Weise hat, wie es ihm Gott gegeben hat, und wie er (Gott) ihn hinreißt durch seinen Trieb (motu); wie ich oben gesagt habe. Ferner, da Salomo von dem Herzen des Königs redet, so meint die Diatribe, „daß diese Stelle nicht mit Recht zu einem allgemein gültigen Satze gemacht werde, sondern dasselbe besagen wolle, was Hiob auf eine andere Art sagt (Hiob 34,30.): „Er läßt über sie regieren einen Heuchler um der Sünden des Volkes willen.“ Endlich gesteht sie zu, „daß ein König von Gotte auch zum Bösen gelenkt werde, aber in solcher Weise, daß er zulasse, daß der König durch böse Lüste getrieben werde, um das Volk zu züchtigen“. Ich antworte: Mag Gott zulassen oder lenken, so geschieht gerade dies Zulassen oder Lenken nicht ohne den Willen und die Wirkung Gottes, weil des Königs Wille dem Handeln des allmächtigen Gottes nicht entfliehen kann, weil der Wille aller dahin gerissen wird, daß er wolle und thue, mag er nun gut oder böse sein. Daß wir aber aus dem besonderen Willen des Königs einen allgemeinen Satz gemacht haben, das, meine ich, haben wir weder ungeschickter noch ungelehrter Weise gethan. Denn, wenn das Herz des Königs, welches doch, wie man sieht, am meisten frei ist und über andere herrscht, dennoch nicht anders wollen kann, als wohin Gott es neigt, wie viel weniger kann dies irgend ein anderer Mensch! Und diese Folgerung würde Geltung haben, nicht allein von dem Willen des Königs, sondern auch von dem irgend eines anderen Menschen. Denn wenn Ein Mensch, er sei auch in noch so geringer Stellung (quantumlibet privatus), vor Gott nichts anders wollen kann, als wohin ihn Gott neigt, so kann dies auch von allen Menschen gesagt werden. So ist dies, daß Bileam nicht reden konnte, was er wollte, in der Schrift die klarste Begründung dafür, daß ein Mensch weder die freie Wahl, noch das (freie) Thun in seiner Gewalt hat, sonst würden die Exempel in der Schrift keinen Bestand haben. Nachdem sie hierauf gesagt hatte, „daß solche Zeugnisse, wie sie Luther aus diesem Buche gesammelt hätte, in großer Anzahl zusammengebracht werden könnten, daß sie aber durch eine geschickte Auslegung sowohl für als auch wider den freien Willen statthaben könnten“, führt sie endlich „das Achilles-Schwert Luthers an, seine unwiderstehliche Waffe, Joh. 15,5.: „Ohne mich könnt ihr nichts thun“ etc. Auch ich lobe den, der mit herrlicher Redekunst für den freien Willen eintritt, der da lehrt, die Zeugnisse der Schrift durch geschickte Auslegungen, wie es ihm gut dünkt, zu modeln, so daß sie wirklich für den freien Willen stehen, das heißt, beweisen, nicht was sie sollen, sondern, was uns beliebt. Darnach kann er wohl vorgeben, daß er das Eine Schwert des Achilles so sehr fürchte, damit ein unverständiger Leser, nachdem dieser (Hauptspruch) besiegt worden ist, die anderen für allzu verächtlich halte. Aber ich will der großprahlerischen und heldenmüthigen Diatribe zuschauen, um zu sehen, mit welcher Kraft sie meinen Achilles überwinden könne, da sie bisher noch keinen gemeinen Soldaten, nicht einmal einen Thersites geschlagen, sondern sich mit ihren eigenen Waffen ganz jämmerlich zugerichtet hat. Da greift sie nun dies Wörtlein „nichts“ auf, würgt es mit vielen Worten und vielen Exempeln und dehnt es dahin, daß „nichts“ dasselbe sein könne als ein Geringes und Unvollkommenes, indem sie nämlich mit anderen Worten das ausspricht, was die Sophisten bisher an dieser Stelle in folgender Weise gelehrt haben: Ohne mich könnt ihr nichts thun, nämlich in vollkommener Weise. Diese schon lange veraltete und verrostete Glosse macht sie uns durch Kraft der Redekunst zu einer neuen und besteht so darauf, als ob sie dieselbe zuerst vorbringe und sie zuvor noch nie gehört worden sei, als wollte sie uns dieselbe anstatt eines Wunders vorführen. Unterdessen ist sie aber ganz sicher und denkt gar nicht an den Text selbst, nicht an das, was vorhergeht oder nachfolgt, daraus doch das Verständniß genommen werden muß. Ich schweige davon, daß sie mit so vielen Worten und Beispielen beweist, dies Wort „nichts“ könne an dieser Stelle für ein Geringes und Unvollkommenes genommen werden, als ob wir von dem Genommenwerdenkönnen disputirten, während doch zu beweisen stand, ob es so genommen werden müsse, so daß diese ganze großartige Auslegung nichts ausrichtet, wenn sie überhaupt etwas ausrichtet, als daß diese ganze Stelle des Johannes ungewiß und zweideutig wird. Und dies ist nicht zu verwundern, da die Diatribe einzig und allein darauf hinaus will, daß die Schrift Gottes überall zweideutig sei, damit sie nicht gezwungen werde, dieselbe zu gebrauchen, die Aussprüche der Alten aber seien gewiß, damit es ihr freistehe, die Schrift zu mißbrauchen. Das ist wirklich eine wunderliche Gottesverehrung, daß die Worte Gottes unnütz sein sollen, aber die Worte der Menschen nützlich. Aber das ist sehr schön anzusehen, wie gut sie mit sich selber stimmt: „Nichts kann für ein Geringes genommen werden, und in diesem Verstände (sagt sie) ist es sehr wahr, daß wir ohne Christum nichts thun können, denn er redet von den evangelischen Früchten, deren andere nicht theilhaftig werden, als die, welche an dem Weinstock, das ist, an Christo bleiben“ etc. Hier bekennt sie selbst, daß die Früchte anderen nicht zu Theil werden, sondern nur denen, welche an dem Weinstock bleiben, und dies thut sie in der geschickten Auslegung, durch welche sie beweist, „nichts“ sei dasselbe als ein Geringes und Unvollkommenes. Aber vielleicht muß auch dies Nebenwort „nicht“ ebenso passend dahin ausgelegt werden, daß es anzeige, daß die evangelischen Früchte auch außer Christo etlichermaßen, oder eine geringe und unvollkommene Frucht jemandem zu Theil werden könne, so daß wir predigen mögen, auch die Gottlosen ohne Christus, welche, da der Satan in ihnen herrscht, auch wider Christum streiten, vermöchten etwas an Früchten zum Leben hervorzubringen, das heißt, daß die Feinde Christi für Christum wirkten; doch wir wollen dies fahren lassen. Hier möchte ich, daß mir eine Weise gelehrt würde, in welcher man den Ketzern Widerstand leisten könnte, welche überall in der Schrift dieses Gesetz anwenden und behaupten möchten, „nichts“ und „nicht“ sei für etwas Unvollkommenes zu nehmen, z. B. (Joh. 1,3.): „Ohne dasselbe ist nichts gemacht“, das heißt, ein Weniges. (Ps. 14,1.:) „Der Thor spricht in seinem Herzen, Gott ist nicht“, das heißt, Gott ist unvollkommen. (Ps. 100,3.:) „Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst“, das heißt, ein wenig haben wir uns gemacht. Und wer kann die Stellen in der Schrift zählen, wo „nichts“ und „nicht“ geschrieben steht? Sollen wir hier sagen, man müsse auf eine passende Auslegung sehen? Aber da ist kein Ketzer, dem seine Auslegung nicht passend wäre. Ja, heißt das Knoten lösen, wenn man verderbten Herzen und trügerischen Geistern für eine so große Willkür das Thor öffnet? Ich glaube, dir, der du die Gewißheit der Schrift für nichts achtest, würde solche willkürliche Auslegung ganz genehm sein, aber für uns, die wir uns bemühen, die Gewissen zu befestigen, kann es nichts Ungeschickteres, nichts Schädlicheres, nichts Verderblicheres geben, als diese geschickte Auslegung (commoditate). Höre daher, große Siegerin über den Luther'schen Achilles: Wenn du nicht beweisest, daß „nichts“ an dieser Stelle nicht allein für ein Geringes genommen werden könne, sondern daß es auch für ein Geringes genommen werden müsse, so hast du nichts ausgerichtet mit einer so großen Menge von Worten und Beispielen, als daß du mit dürren Stoppeln wider Flammen gekämpft hast. Was haben wir mit deinem „können“ zu schaffen, da von dir verlangt wird, daß du das „müssen“ beweisest? Wenn du das nicht zu Wege bringst, so bleiben wir bei der natürlichen und sprachgemäßen Bedeutung des Wortes und verlachen sowohl deine Heere als auch deine Triumphe. Wo bleibt nun deine annehmbare Meinung, welche aufstellte, der freie Wille könne nichts Gutes wollen? Aber vielleicht kommt hier endlich noch die geschickte Auslegung, daß „nichts Gutes“ bedeute „etwas Gutes“ nach einer völlig unerhörten Sprachlehre und Schlußkunst, daß „nichts“ dasselbe sei als „etwas“, was bei den Dialectikern unmöglich sein würde, da es widersprechende Dinge sind. Wo bleibt auch das, daß wir glauben, der Teufel sei der Fürst der Welt, der da herrscht, wie Christus (Joh. 14,30.) und Paulus (2 Tim. 2,26. Eph. 2, 2.) bezeugen, in dem Willen und Herzen der Menschen, die seine Gefangenen sind und ihm dienen? Jener, nämlich der brüllende Löwe, der unversöhnliche und rastlose Feind der Gnade Gottes und des Heiles der Menschheit, sollte es geschehen lassen, daß der Mensch, ein Knecht und Theil seines Reiches, sich mit irgend einer Bewegung oder Triebe um das Gute bemühen sollte, wodurch er seiner Tyrannei entgehen möchte, und sollte ihn nicht vielmehr reizen und drängen, daß er aus allen Kräften wolle und thue, was der Gnade entgegen ist? Dem können auch die Gerechten und die im Geiste Gottes wirken, kaum widerstehen, und (kaum) das Gute wollen und thun; so wüthet er wider sie. Du, der du erdichtest, der menschliche Wille sei etwas, das sich in einem freien Mittelzustande befinde und sich selbst überlassen sei, kannst gar leicht zugleich auch erdichten, es sei ein Bestreben des Willens nach beiden Seiten hin, weil du auch erdichtest, sowohl Gott, als auch der Teufel seien weit entfernt, gleichsam nur Zuschauer jenes veränderlichen und freien Willens; aber du glaubst nicht, daß sie den gefangenen (servae) Willen antreiben und bewegen, da sie mit einander im heftigsten Kampfe stehen. Wenn man allein dies glaubt, so steht unsere Meinung hinlänglich fest, und der freie Wille liegt niedergeworfen, wie wir auch oben gelehrt haben. Denn entweder kann das Reich des Teufels in den Menschen nichts sein, und dann würde Christus lügen; oder wenn dessen Reich solcher Art ist, wie es Christus beschreibt (Luc. 11,18.ff.), so ist der freie Wille nichts als ein gefangenes Lastthier des Teufels, welches nicht befreit werden kann, wenn nicht zuvor durch den Finger Gottes der Teufel ausgetrieben wird. Hieraus, glaube ich, verstehst du hinlänglich, liebe Diatribe, was das sei und wie viel das gelte, daß dein Verfasser, welcher die Beharrlichkeit der Luther'schen Behauptung verabscheut, zu sagen pflegt, nämlich, Luther dringe in der Sache sehr mit Schriftstellen, welche doch mit Einem Wörtlein aufgelöst werden könnten. Denn wer weiß das nicht, daß mit Einem Wörtlein alle Schrift aufgelöst werden kann? Wir wußten dieses ganz wohl, auch ehe wir den Namen des Erasmus gehört hatten. Aber das ist die Frage: ob dies genug sei, wenn mit einem Wörtlein die Schrift aufgelöst wird? Ob sie richtig aufgelöst werde, oder ob so aufgelöst werden müsse? Darüber wird disputirt. Hieher möge er schauen, und er wird sehen, wie leicht es sei, die Schrift aufzulösen, und wie verabscheuenswerth die Beharrlichkeit Luthers sei. Er wird aber nicht allein sehen, daß jene Wörtlein nichts ausrichten, sondern auch nicht alle Pforten der Hölle. Wir wollen daher, was die Diatribe für ihre bejahende Stellung (affirmativa) nicht vermag; obgleich wir unser „Nein“ (negativam) nicht zu beweisen schuldig sind, dies dennoch thun und ihr durch die Kraft der Beweisgründe abdringen, daß „nichts“ an dieser Stelle nicht allein genommen werden könne, sondern auch müsse, nicht für ein Geringes, sondern für das, was das Wort seiner Art nach (natura) bedeutet; wir wollen dies aber thun, und noch obenein zu jenem unüberwindlichen Grunde, durch den wir schon gesiegt haben, Folgendes hinzufügen, nämlich, daß die Wörter in dem natürlichen Gebrauch ihrer Bedeutung beibehalten werden müssen, wenn nicht das Gegentheil bewiesen worden ist, was die Diatribe weder gethan hat, noch thun kann. Wir wollen ihr dies aber zuerst durch die Natur der Sache selbst abdringen, daß nämlich durch Schriftstellen, die weder zweideutig noch dunkel sind, dargethan worden ist, daß der Teufel weitaus der mächtigste und listigste Fürst der Welt ist (wie wir gesagt haben), unter dessen Herrschaft der menschliche Wille, nun nicht frei, noch sein eigener Herr, sondern der Knecht der Sünde und des Teufels, nur das wollen kann, was jener sein Fürst will. Der wird aber nicht zulassen, daß der Wille irgend etwas Gutes wolle; wiewohl, wenn auch der Teufel nicht über ihn herrschte, selbst die Sünde, deren Knecht der Mensch ist, ihm Last genug machen würde, daß er das Gute nicht wollen könnte. Ferner dringt ihr der Zusammenhang der Rede, den die Diatribe tapfer verachtet, wiewohl ich denselben in meiner „Behauptung“ (Assertionibus) mit vielen Worten genugsam angezeigt hatte, ebendasselbe ab. Denn Christus fährt Joh. 15,6. so fort: „Wer nicht in mir bleibet, der wird weggeworfen, wie eine Rebe, und verdorret, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und muß brennen.“ Dies, sage ich, hat die Diatribe mit schönster Redekunst übergangen, und hoffte, daß die so ungelehrten Lutheraner dieses Uebergehen nicht gewahr werden würden. Du siehst aber, daß hier Christus selbst, als der Ausleger seines Gleichnisses von der Rebe und dem Weinstock, deutlich genug erklärt, was er unter dem Worte „nichts“ verstanden wissen wolle, nämlich, daß der Mensch, der außer Christo ist, weggeworfen wird und verdorrt. Was kann aber weggeworfen werden und verdorren anders bedeuten, als dem Teufel überliefert werden und in einem fort ärger werden? Aber ärger werden ist nicht etwas können oder nach etwas streben. Die verdorrende Rebe wird mehr und mehr für das Feuer bereit, je mehr sie verdorrt. Wenn Christus dieses Gleichniß nicht selbst so erweitert und angewandt hätte, so hätte niemand gewagt, es so zu erweitern und anzuwenden. Daher steht es fest, daß „nichts“ an dieser Stelle eigentlich genommen werden muß, wie es das Wesen des Wortes mit sich bringt. Nun wollen wir auch die Beispiele besehen, durch welche sie beweist, daß „nichts“ irgendwo für ein Geringes genommen werde, damit wir auch in diesem Stücke beweisen, daß die Diatribe nichts sei und nichts ausrichte. Wenn sie hierin auch wirklich etwas darthäte, so würde sie doch nichts ausrichten, so gar ist die Diatribe in allen Dingen und auf jede Weise nichts. „Insgemein (sagt sie) pflegt man von dem zu sagen, er thue nichts, der nicht überkommt, was er begehrt, und doch ist derjenige, der sich bemüht, häufig um ein Bedeutendes weiter gekommen.“ Ich antworte: Ich habe nie gehört, daß man insgemein so rede: Du erdichtest das so, nach der Freiheit, die du dir nimmst. Die Worte müssen angesehen werden (wie man sagt) nach der Sache, um die es sich handelt (secundum materiam subjectam) und nach der Absicht des Redenden. Nun nennt niemand das „nichts“, wonach sich jemand mit seinem Thun bestrebt. Wer von „nichts“ redet, der redet auch nicht von dem Bemühen, sondern von der Wirkung; denn die hat der im Auge, der da sagt: Jener thut nichts, oder er richtet nichts aus, das heißt, er hat es nicht erreicht, er hat es nicht erlangt. Sodann, wenn auch das Beispiel Geltung hätte, welches doch nichts werth ist, so würde es mehr für uns dienen. Denn dies ist es, was wir behaupten und darthun wollen, daß der freie Wille vieles thut, was doch vor Gotte nichts ist. Was kann es ihm nützen, daß er sich bemüht, wenn er nicht erlangt, was er erstrebt? Darum, wohin die Diatribe sich auch wenden mag, läuft sie an und widerlegt sich selbst, wie es denen zu geschehen pflegt, welche eine schlechte Sache führen. So führt sie auch dieses Beispiel aus Paulus (1 Cor. 3,7.) übel an: „So ist nun weder, der da pflanzet, noch der da begießet, etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.“ „Das, woran wenig gelegen, und was an sich unnütz ist (sagt sie), das nennt er nichts.“ Wer? Du, o Diatribe, sagst, daß das Amt des Wortes an sich unnütz und von ganz geringer Bedeutung sei, während doch Paulus es überall mit so großen Lobeserhebungen preist und ganz besonders 2 Cor. 3,7., wo er es ein Amt des Lebens und der Klarheit nennt? Wiederum siehst du die Sache nicht an, um die es sich handelt, noch auch die Absicht des Redenden. Um das Gedeihen zu geben, dazu ist, der da pflanzt und der da begießt, nichts, aber zum Pflanzen und Begießen ist er etwas Bedeutendes, da Lehren und Ermahnen das höchste Werk des Geistes in der Kirche Gottes ist. Dies ist die Meinung des Paulus und die Worte bringen dies auch ganz offenbarlich mit sich. Doch zugegeben, es soll auch dieses ungeschickte Beispiel gelten, so wird dasselbe wiederum unserer Sache dienen. Denn damit gehen wir um, daß der freie Wille nichts sei, das heißt, unnütz, an sich, wie du es auslegst, vor Gotte, denn von dieser Art des Seins (essendi) reden wir, und wissen sehr wohl, daß ein gottloser Wille ein Etwas ist und nicht ein bloßes Nichts. Desgleichen das Wort 1 Cor. 13,2.: „Wenn ich die Liebe nicht hätte, so wäre ich nichts.“ Warum sie dieses Beispiel anführt, sehe ich nicht ein, wenn sie nicht etwa mir eine große Zahl und Menge gesucht hat, oder der Meinung gewesen ist, es fehle uns an Waffen, mit denen ihr von uns der Garaus gemacht werden könnte. Denn wirklich und eigentlich ist der vor Gotte nichts, welcher ohne die Liebe ist. So lehren wir auch vom freien Willen. Deshalb steht auch dieses Beispiel für uns, wider die Diatribe, es sei denn, die Diatribe wüßte vielleicht noch nicht, um was wir kämpfen. Denn wir reden nicht von dem Sein des natürlichen Wesens, sondern von dem Sein der Gnade (wie man es nennt) (non de esse naturae, sed de esse gratiae). Wir wissen, daß der freie Wille im natürlichen Wesen etwas thue, als essen, trinken, zeugen, regieren, damit sie uns nicht mit jenem Wahnwitz, gleich als ob es ein scharfsinniges Fündlein wäre, verlache, „daß man ohne Christus nicht einmal sündigen könnte, wenn wir auf das Wort „nichts“ so stark dringen wollten, da doch Luther zugegeben habe, der freie Wille vermöge nichts, außer zum Sündigen“; solche überaus ungereimte Dinge in dieser ernsten Sache vorzubringen, hat der Diatribe beliebt. Denn wir sagen, daß der Mensch außer der Gnade Gottes nichtsdestoweniger unter der allgemeinen Allmacht Gottes bleibt, der alles thut, bewegt, treibt, mit nothwendigem und unfehlbarem Laufe, aber daß das, was der so getriebene Mensch thut, nichts ist, das heißt, vor Gott nichts taugt und für nichts Anderes anzusehen ist als für Sünde. So ist der, welcher ohne Liebe ist, „nichts“ in der Gnade. Warum lenkt also die Diatribe, wiewohl sie selbst bekennt, daß wir an dieser Stelle von den evangelischen Früchten handeln, welcher man ohne Christus nicht theilhaftig werden kann, hier alsbald ganz von der Sache ab, beginnt ein anderes Liedlein und macht spitzfindige Reden von natürlichen Werken und menschlichen Früchten? Doch wie könnte es anders sein, als daß der nirgends mit sich selbst übereinstimmt, welcher der Wahrheit beraubt ist! So auch die Stelle Joh. 3,27.: „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel.“ Johannes redet von dem Menschen, welcher allerdings schon etwas war, und sagt, daß er nichts nehmen kann, nämlich, nicht den Geist mit seinen Gaben; denn von diesem redete er, nicht von dem natürlichen Wesen. Er bedurfte auch nicht der Diatribe als Lehrerin, damit diese ihn belehren möchte, der Mensch habe bereits Augen, Nase, Ohren, Mund, Hände, Verstand, Willen, Vernunft und alles, was an einem Menschen ist, wenn die Diatribe nicht etwa glaubt, der Täufer sei so toll gewesen, daß er, da er den Menschen nannte, an den Urstoff (chaos) des Plato, oder an das Leere des Leucippus, oder an das Unbegrenzte (infinitum) des Aristoteles, oder an irgend ein anderes Nichts gedacht habe, welches durch eine Gabe vom Himmel erst zu einem Etwas würde: ja, das heißt Beispiele aus der Schrift anführen, wenn man in solcher Weise geflissentlich in einer so großen Sache sein Spiel treibt. Wozu dient also diese große Menge (von Worten), daß sie uns lehrt, das Feuer, das Fliehen des Schädlichen, das Streben nach dem, was nützlich ist, und anderes komme vom Himmel, als ob irgend jemand dies nicht wüßte oder leugnete? Wir reden von der Gnade und, wie sie selbst gesagt hat, von Christo und den evangelischen Früchten; sie aber schwatzt derweile von dem natürlichen Wesen, verbringt die Zeit und zieht die Sache in die Länge, und macht dem unverständigen Leser einen Dunst vor. Inzwischen bringt sie aber nicht allein kein Beispiel vor, wo „nichts“ für ein Geringes genommen werde, wie sie sich vorgenommen hatte, sondern verräth auch deutlich, daß sie nichts davon versteht und sich nichts darum kümmert, was Christus oder die Gnade sei, oder wie die Gnade etwas Anderes sei als das natürliche Wesen, da doch auch die ungelehrtesten Sophisten dieses gewußt und durch überaus häufigen Gebrauch in ihren Schulen diesen Unterschied gang und gebe gemacht haben; und zugleich erkennt sie nicht, daß alle ihre Beispiele für uns und wider sie dienen. Denn das beweist das Wort des Täufers, daß der Mensch nichts nehmen kann, es werde ihm denn vom Himmel gegeben, damit der freie Wille nichts sei. So wird mein Achilles besiegt, indem ihm von der Diatribe die Waffen dargereicht werden, durch welche sie, die waffen- und wehrlos ist, abgethan wird. So werden mit Einem Wörtlein die Schriftstellen aufgelöst, mit welchen der beharrliche Behaupter, Luther, so stark ihr zusetzt. Darnach führt sie viele Gleichnisse an, durch welche sie nichts ausrichtet, als daß sie nach ihrer Gewohnheit einen thörichten Leser zu fernliegenden Sachen ablenkt und unterdeß die Hauptsache ganz vergessen hat: daß Gott zwar das Schiff erhält, aber doch bringt es der Schiffmann in den Hafen, deshalb thut der Schiffmann etwas. Dieses Gleichniß schreibt beiden ein verschiedenes Werk zu, nämlich Gotte das des Erhaltens, dem Schiffmanne das des Lenkens. Demnach, wenn es etwas beweist, so beweist es dies, daß das ganze Werk des Erhaltens Gotte zukomme, dem Schiffmanne das ganze Werk des Leitens, und doch ist es ein schönes und passendes Gleichniß. So fährt der Ackermann die Früchte ein, Gott hat sie gegeben. Hier sind wiederum verschiedene Werke Gotte und dem Menschen zugeschrieben, wenn sie nicht den Ackermann zugleich zum Schöpfer macht, der die Früchte gegeben habe. Aber wenn man auch zugibt, daß Gott und der Mensch dieselben Werke thaten, was würden diese Gleichnisse dann beweisen? Nichts Anderes, als daß die Creatur mitwirkte mit Gotte, der da wirkt. Aber disputiren wir denn jetzt etwa von der Mitwirkung und nicht vielmehr von der eigenen Kraft und Wirkung des freien Willens? Wohin flieht also jener Redekünstler, der von der Palme sprechen wollte und nun von nichts Anderem als von dem Kürbis redet? Man fing an ein Faß zu machen, warum ist jetzt ein Krug daraus geworden? Auch wir wissen, daß Paulus Gottes Mitarbeiter ist in der Belehrung der Corinther (1. Ep. 3,9.), indem er äußerlich predigt, und Gott innerlich lehrt, auch in einem verschiedenen Werke. Gleicherweise wirkt er auch mit Gotte, wenn er im Geiste Gottes redet, und zwar in demselben Werke. Denn das behaupten und verfechten wir, daß Gott, wenn er ohne die Gnade des Geistes wirkt, alles in allen wirkt, auch in den Gottlosen, da er alles, was er allein geschaffen hat, auch allein bewegt, treibt und fortreißt durch die Bewegung seiner Allmacht, welche jene (geschaffenen Dinge) weder vermeiden noch ändern können, sondern ihr nothwendiger Weise folgen und gehorchen, ein jegliches nach der Art seiner Begabung (virtutis), die ihm von Gott gegeben ist, und so wirkt alles, auch das Gottlose, mit ihm. Ferner, wenn er durch den Geist der Gnade in denen wirkt, die er gerechtfertigt hat, das heißt, in seinem Reiche, treibt und bewegt er sie gleicherweise, und sie, wie sie eine neue Creatur sind, folgen und wirken mit, oder vielmehr, wie Paulus (Röm. 8,14.) sagt, sie werden getrieben. Aber hierfür war jetzt nicht der Ort; wir disputiren nicht darüber, was wir durch Wirkung Gottes vermögen, sondern was wir vermögen, nämlich, ob wir, die wir schon aus nichts geschaffen sind, uns zu etwas machen können, oder durch jene allgemeine Bewegung der Allmacht uns darum bemühen können, daß wir zu einer neuen Creatur des Geistes geboren werden; hier hätte die Diatribe Rede und Antwort stehen müssen, und nicht auf etwas Anderes ablenken. Denn hier antworten wir so: Gleichwie der Mensch, ehe er geschaffen wird, nichts thut, daß er ein Mensch werde, oder sich um etwas bemüht, wodurch er eine Creatur werde, so thut oder erstrebt er darnach als ein gewordener und geschaffener nichts, wodurch er eine Creatur bleibe, sondern beides geschieht allein durch den Willen der allmächtigen Kraft und Güte Gottes, der uns ohne uns schafft und erhält. Aber er wirkt in uns nicht ohne uns, da er uns dazu geschaffen und erhalten hat, damit er in uns wirken möchte und wir mit ihm wirken möchten, mag dies nun außerhalb seines Reiches geschehen durch die allgemeine Allmacht, oder innerhalb seines Reiches durch die sonderliche Kraft seines Geistes. So sagen wir ferner: Der Mensch, ehe er zu einer neuen Creatur im Reiche des Geistes erneuert wird, thut nichts, bestrebt sich um nichts, wodurch er zu dieser Erneuerung und diesem Reiche geboren werde, dann auch, wenn er wiedergeboren ist, thut er nichts, bemüht sich um nichts, wodurch er in diesem Reiche beharren könnte, sondern beides thut allein der Geist in uns, der uns ohne uns wiedergebiert und uns als Wiedergeborene erhält, wie auch Jacobus (1,18.) sagt: „Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort seiner Wahrheit, auf daß wir wären Erstlinge seiner Creaturen“; er redet da von der erneuerten Creatur. Aber er wirkt nicht ohne uns, da er uns ja gerade dazu wiedergeboren hat und erhält, damit er in uns wirke, und wir mit ihm wirken. So predigt er durch uns, erbarmt sich der Armen, tröstet die Betrübten; aber was wird dadurch dem freien Willen zugeschrieben? Ja, was wird ihm übrig gelassen als nur „nichts“ und wahrlich „nichts“. Lies daher hier die Diatribe durch fünf oder sechs Blätter, wo sie mit derartigen Gleichnissen, dann auch mit den schönsten Stellen und Parabeln, die aus dem Evangelium und Paulus angezogen sind, nichts Anderes thut, als daß sie uns belehrt, in der Schrift würden unzählige Stellen gefunden (wie sie sagt) die von der Mitwirkung und dem Beistand Gottes lehren. Wenn ich nun hieraus schließe: „Der Mensch vermag nichts ohne den Beistand der göttlichen Gnade, also ist kein Werk des Menschen gut“, so schließt sie dagegen mit rednerischer Wendung folgendermaßen: „Vielmehr, (sagt sie) der Mensch vermag alles mit dem Beistand der Gnade Gottes, also können alle Werke des Menschen gut sein. Demnach, so viele Stellen es in der heiligen Schrift gibt, welche des Beistandes gedenken, so viele Stellen gibt es auch, welche den freien Willen behaupten, aber die sind unzählig. Beurtheilt man also die Sache nach der Anzahl der Zeugnisse, so habe ich gewonnen.“ So jene. Glaubst du, die Diatribe sei ganz nüchtern oder bei gesundem Verstande gewesen, als sie dies schrieb? Denn ich möchte dies nicht ihrer Bosheit und Nichtswürdigkeit zuschreiben; vielleicht hat sie mich durch diese beständig bis zum Ueberdruß wiederholten Dinge (perpetuo taedio) halb zu Tode quälen wollen, indem sie, da sie sich überall gleich bleibt, immer andere Dinge behandelt, als die sie sich vorgesetzt hat. Aber wenn sie Gefallen daran gefunden hat, in einer so großen Sache ungereimt zu sein, so wollen auch wir Gefallen daran finden, ihre geflissentlichen Ungereimtheiten öffentlich durchzuziehen. Erstlich disputiren wir weder darüber, noch ist es uns unbekannt, daß alle Werke des Menschen gut sein können, wenn sie geschehen unter Beistand der göttlichen Gnade, dann auch, daß der Mensch alles vermag durch den Beistand der Gnade Gottes. Wir können uns aber über deine Nachlässigkeit nicht genug wundern, daß du, da du dir vorgesetzt hattest, über die Kraft des freien Willens zu schreiben, über die Kraft der Gnade Gottes schreibst, dann auch, als ob alle Menschen Klötze und Steine wären, öffentlich zu sagen wagst, der freie Wille werde durch Stellen der Schrift behauptet, welche den Beistand der Gnade Gottes preisen. Und nicht allein erdreistest du dich dessen, sondern singst auch ein Siegeslied als ein gar aufgeblasener Sieger und Triumphator. Jetzt aber weiß ich, gerade aus diesem deinem Sagen und Thun, was der freie Wille ist und vermag, nämlich, unsinnig zu sein. Ich bitte dich, was kann in dir sein, das in solcher Weise redet, wenn es nicht der freie Wille selbst ist? Doch höre deine Folgerungen: Die Schrift preist die Gnade Gottes, also beweist sie den freien Willen; sie preist den Beistand der Gnade Gottes, also lehrt sie den freien Willen. Warum nicht das Gegentheil: Die Gnade wird gepriesen, also wird der freie Wille aufgehoben; der Beistand der Gnade wird gepriesen, also wird der freie Wille vernichtet? Denn wozu wird die Gnade verliehen? Etwa dazu, daß der Stolz des freien Willens, der durch sich selbst stark genug ist, mit der Gnade, gleichsam als mit einem überflüssigen Zierrathe, an Tagen ausgelassener Lust seinen Muthwillen und Spiel treibe? Deshalb werde auch ich deine Folgerung umkehren, wiewohl ich kein Redekünstler bin, doch mit einer zuverlässigeren Redekunst als du: So viele Stellen es in der heiligen Schrift gibt, die des Beistandes gedenken, so viele gibt es, die den freien Willen aufheben. Und die sind unzählig. Daher habe ich gewonnen, wenn die Sache nach der Anzahl der Zeugnisse abgeschätzt wird. Denn darum ist die Gnade nöthig, darum wird der Beistand der Gnade verliehen, weil der freie Wille aus sich selbst nichts vermag, und, wie sie selbst gesagt hat, nach jener annehmbaren Meinung, das Gute nicht wollen kann. Dadurch also, daß die Gnade gepriesen und der Beistand der Gnade gepredigt wird, wird zugleich das Unvermögen des freien Willens gepredigt. Dies ist ein gesunder Schluß und eine feststehende Folgerung, welche auch die Pforten der Hölle nicht umstoßen können. Hier wollen wir aufhören, das unsere gegen die Widerlegungen der Diatribe zu vertheidigen, damit das Buch nicht übermäßig groß werde; das andere, was dessen etwa werth ist, wird bei der Behauptung des Unsrigen behandelt werden. Denn was Erasmus in seiner Schlußrede (Epilogo) wiederholt, wenn unsere Meinung feststände, so wären so viele Gebote, so viele Drohungen, so viele Verheißungen vergeblich, weder Verdiensten, noch Unverdiensten, noch Belohnungen, noch Strafen werde Raum gelassen; dann sei es auch schwierig, die Barmherzigkeit, ja, die Gerechtigkeit Gottes zu vertheidigen, wenn Gott die mit Notwendigkeit Sündigenden verdammte, und auch andere ungeschickte Dinge folgten daraus, woran sich die größten Männer so gestoßen hätten, daß sie auch darüber gestürzt wären. Ueber dies alles haben wir oben Rechenschaft gegeben. Wir dulden weder jene Mittelstellung noch nehmen wir sie an, die er uns aus guter Meinung, wie ich glaube, anräth, nämlich, daß wir dem freien Willen ein ganz Weniges zugestehen möchten, damit desto leichter die widerstreitenden Stellen der Schrift und die vorgenannten ungeschickten Dinge gehoben würden, denn durch diese Mittelstellung wird der Sache nichts geholfen, noch irgend etwas bewiesen. Denn wenn du dem freien Willen nicht das Ganze und alles zuschreiben willst, wie die Pelagianer thun, so bleibt nichtsdestoweniger der Widerstreit der Schrift, Verdienst und Belohnung wird aufgehoben, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes wird aufgehoben und alle verdrießlichen Dinge bleiben, die wir vermeiden wollen, indem wir ein ganz kleines und unwirksames Vermögen des freien Willens annehmen, wie wir hinlänglich gezeigt haben. Deshalb muß man zu dem Aeußersten schreiten, daß man den freien Willen ganz leugne und Gotte alles zuschreibe. So wird die Schrift nicht mit sich streiten und die unbequemen Dinge werden, wenn auch nicht aufgehoben, doch getragen werden können. Das aber erbitte ich von dir, lieber Erasmus, du wollest nicht glauben, daß ich diese Sache mehr in blindem Eifer als mit rechter Ueberlegung führe. Ich leide es nicht, daß man mich einer solchen Heuchelei beschuldige, als hätte ich eine andere Meinung, als wie ich schriebe, und ich bin nicht erst durch die Hitze der Verteidigung (wie du über mich schreibst) dahin fortgerissen worden, daß ich erst jetzt den freien Willen ganz und gar aufhebe, während ich ihm vorher einiges Vermögen eingeräumt hätte. Dies wirst du mir auch nirgends in meinen Büchern nachweisen können, das weiß ich. Es sind meine Sätze (themata) und Thesen (problemata) noch vorhanden, in welchen ich beständig behauptet habe bis auf diese Stunde, der freie Wille sei nichts und eine Sache (dies Wort habe ich damals gebraucht) nur dem Namen nach. Durch die Wahrheit besiegt und durch den Streit herausgefordert und gezwungen, habe ich so gehalten und geschrieben. Daß ich aber gar heftig gehandelt habe, darin bekenne ich meine Schuld, wenn es eine Schuld ist, ja, ich freue mich von Herzen, daß mir in der Sache Gottes dieses Zeugniß in der Welt gegeben wird. Und wollte doch Gott, daß auch Gott selbst am jüngsten Tage ein solches Zeugniß bestätigte. Denn wer wäre dann seliger als Luther, der durch ein so gewaltiges Zeugniß seiner Zeitgenossen (sui seculi) gepriesen wird, daß er die Sache der Wahrheit nicht träge noch betrügerisch, sondern gar heftig, oder vielmehr allzu heftig getrieben habe? Dann werde ich seliglich dem Worte des Jeremias (48,10.) entgehen: „Verflucht sei, der des Herrn Werk lässig thut.“ Wenn es aber den Schein hat, als wäre ich zu scharf gegen deine Diatribe, so wirst du mir verzeihen, denn ich thue dies nicht aus böswilliger Gesinnung, sondern das hat mich bewegt, daß du durch dein Ansehen diese Sache Christi sehr in Nachtheil gebracht hast, wiewohl du durch Gelehrsamkeit und in der Sache selbst nichts leistetest. Denn wer kann auch überall seine Feder so im Zaume halten, daß sie nicht einmal warm werde? Wiewohl du aus Bestreben nach Zurückhaltung in diesem Buche fast kalt bist, so schleuderst du doch bisweilen feurige und bittere Pfeile, so daß du giftig zu sein scheinst, wenn der Leser nicht sehr geduldig und gütig ist. Doch das gehört nicht zur Sache. Dergleichen müssen wir uns gegenseitig gern zugute halten, da wir Menschen sind, und alles an uns menschlich ist.

 

- FORTSETZUNG -