D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam,

daß der freie Wille nichts sei (De servo arbitrio, 1525)


Antwort auf die Zeugnisse aus dem Neuen Testament.

 

Nun geht man (die Diatribe) über zum Neuen Testamente. Da wird wiederum ein Heer von befehlenden Worten ins Feld gestellt für jene elende Knechtschaft des freien Willens, und die Hülfstruppen der fleischlichen Vernunft werden herbeigeholt, nämlich Folgerungen und Gleichnisse, gleich als wenn du gemalt sähest oder träumtest, wie die dicht gedrängte Kriegsschaar des Königs (stipatum regem) der Fliegen mit strohernen Lanzen und Schilden aus Heu wider eine wahre und wirkliche Schlachtordnung von menschlichen Kriegern (ausrückte). So kämpfen die menschlichen Träume der Diatribe wider die Heerschaaren der göttlichen Worte. An der Spitze geht das Wort Matth. 23,37., gleichsam der Achilles der Fliegen: „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, und du hast nicht gewollt.“ Wenn alles (so sagt sie) durch Nothwendigkeit geschieht, hätte Jerusalem nicht mit Recht dem Herrn antworten können: Was quälst du dich mit vergeblichen Thränen? Ist es dein Wille nicht gewesen, daß wir den Propheten haben Gehör geben sollen, warum hast du sie denn gesendet? Warum rechnest du uns dasjenige zu, was nach deinem Willen und aus Nothwendigkeit, die uns zwingt (nostra necessitate), geschehen ist?“ So redet jene (die Diatribe). Wir antworten aber: Wir wollen selbst einstweilen zugeben, diese Folgerung und Beweisführung der Diatribe sei wahr und gut, was, ich bitte dich, wird damit bewiesen? Etwa die annehmbare Meinung, welche sagt, der freie Wille könne nicht das Gute wollen? Vielmehr wird bewiesen, daß der Wille frei, gesund und völlig kräftig (potens) sei in Bezug auf alles, was die Propheten geredet haben. Aber einen solchen Willen zu beweisen, hat die Diatribe sich nicht vorgenommen. Ja, es möge die Diatribe hier selbst antworten: Wenn der freie Wille das Gute nicht wollen kann, was wird ihm denn das angerechnet, daß er die Propheten nicht gehört habe, welche er, wiewohl sie Gutes lehrten, aus seinen Kräften nicht hören konnte? Was klagt Christus mit vergeblichen Thränen, als wenn jene hätten wollen können, von denen er für gewiß wußte, daß sie nicht wollen konnten? Es möge, sage ich, die Diatribe Christum freisprechen von unsinnigem Verhalten (insania) zu Gunsten ihrer eigenen annehmbaren Meinung, dann ist auch sofort unsere Meinung befreit von diesem Fliegen-Achilles. Also beweist diese Stelle in Matthäus entweder den ganzen freien Willen, oder sie streitet ebenso stark wider die Diatribe selbst und vernichtet sie mit ihren eigenen Waffen. Wir sagen, wie wir schon vorher gesagt haben, über den geheimen Willen der (göttlichen) Majestät dürfe man nicht disputiren, und die menschliche Vermessenheit, welche, wie sie ja immer verkehrt ist und das Notwendige anstehen läßt, sich stets daran macht und zu erforschen strebt (tentat), müsse davon abgehalten und abgezogen werden, damit sie sich nicht mit der Erforschung jener Geheimnisse der Majestät beschäftige, welche zu erlangen unmöglich ist, da sie „wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann“, wie Paulus bezeugt (1 Tim. 6,16.). (Der Mensch) beschäftige sich aber mit dem menschgewordenen Gotte, oder (wie Paulus (Col. 2,3.) redet) mit Jesu, dem Gekreuzigten, „in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß sind“, aber „verborgen“; denn durch den hat er reichlich, was er wissen und nicht wissen soll. Der menschgewordene Gott also redet hier: Ich habe gewollt und du hast nicht gewollt. Der menschgewordene Gott, sage ich, ist dazu gesendet, daß er wolle, rede, thue, leide, allen alles anbiete, was zur Seligkeit nothwendig ist, wiewohl er den meisten Leuten Anstoß gibt, welche nach jenem geheimen Willen der Majestät entweder sich selbst überlassen worden sind (relicti), oder verstockt sind und den nicht aufnehmen, der da will, redet, thut, anbietet, wie Johannes (1,5.) sagt: „Das Licht scheinet in der Finsterniß, und die Finsterniß haben es nicht begriffen“; und wiederum (V. 11.): „Er kam in sein Eigenthum und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Bei diesem menschgewordenen Gotte findet es sich nun (hujus Dei etc. est), daß er weint, klagt, seufzt über das Verlorengehen der Gottlosen, obgleich der Wille der Majestät nach dem Vorsatz etliche fahren läßt und verwirft, so daß sie verloren gehen. Und wir haben nicht zu forschen, warum er so thue, sondern Gott ist zu verehren, der solches sowohl kann als auch will. Auch glaube ich nicht, daß jemand hier das anfechten wird (calumniabitur), daß jener Wille, von dem gesagt wird: „Wie oft habe ich wollen“ auch vor der Menschwerdung Gottes den Juden angeboten ist, weil sie ja beschuldigt werden, daß sie die Propheten vor Christo getödtet und so seinem Willen widerstanden haben. Denn bei den Christen ist bekannt, daß von den Propheten alles ausgerichtet worden ist im Namen des künftigen Christus, welcher verheißen worden war, daß Gott Mensch werden sollte. Deshalb wird Christi Wille mit Recht alles genannt, was von Anbeginn der Welt durch die Diener des Wortes den Menschen angeboten worden ist. Aber hier wird die Vernunft sagen, wie sie denn naseweis und geschwätzig ist: diese Ausflucht ist schön erfunden, daß, so oft wir durch die Kraft der Gründe in die Enge getrieben werden, wir unsere Zuflucht nehmen zu jenem ehrfurchtsvoll zu meidenden (metuendam) Willen der Majestät, und den Widersacher, sobald er lästig geworden ist, zum Schweigen bringen, nicht anders als wie die Astrologen durch das Ausfindigmachen der Nebenkreise (epicyclis) allen Fragen über die Bewegung des ganzen Himmels ausweichen. Wir antworten: Das ist nicht unsere Erfindung, sondern ein durch die heilige Schrift bestätigtes Gebot. Denn so sagt Paulus Röm. 9,19-21.: „Warum hält uns denn Gott für schuldig? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst? Hat nicht ein Töpfer Macht?“ etc. Und vor ihm Jesajas, Cap. 58,2.: „Sie suchen mich einen Tag am andern und wollen meine Wege wissen, als ein Volk, das Gerechtigkeit schon gethan hätte. Sie fordern von mir gerechte Gerichte und wollen Gott nahe kommen.“ Ich meine, daß durch diese Worte hinlänglich angezeigt wird, daß die Menschen den Willen der Majestät nicht erforschen dürfen. Ferner, diese Sache ist derartig, daß vornehmlich in ihr die verkehrten Menschen jenem ehrfurchtsvoll zu meidenden Willen nachstreben, deshalb ist es ganz besonders am Orte, sie da zum Schweigen und zur Ehrfurcht zu ermahnen. In anderen Sachen, wo solche Dinge gehandelt werden, deren Grund angegeben werden kann, und wo Grund anzugeben uns befohlen ist, thun wir nicht so. Sollte nun jemand fortfahren, den Grund jenes Willens zu erforschen, und unserer Erinnerung nicht Raum geben, den lassen wir fahren und nach der Weise der Giganten mit Gott kämpfen und wollen sehen, was für Sieg ein solcher erlangen werde. Wir sind gewiß, daß er unserer Sache nichts abbrechen und die seinige nicht fördern werde. Denn das wird fest stehen bleiben: er wird entweder beweisen, der freie Wille vermöge alles, oder die angezogenen Schriftstellen werden wider ihn streiten. Welches von beiden aber auch geschehen mag, so liegt er besiegt da, und wir sind Sieger. Die zweite Stelle ist das Wort Matth. 19,17.: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“ Wie könnte zu dem, der keinen freien Willen hat, gesagt werden: „Willst du?“ So die Diatribe. Darauf antworten wir: Ist also nach diesem Worte Christi der Wille frei? Aber du wolltest beweisen, daß der freie Wille nichts Gutes wollen könne und mit Notwendigkeit der Sünde diene, wenn die Gnade nicht da ist. Wie erdreistest du dich nun, den Willen ganz frei zu machen? Dasselbe muß auch gesagt werden zu den Sprüchen: „Willst du vollkommen sein“; „Will mir jemand nachfolgen“; „Wer da will sein Leben erhalten“; „Liebet ihr mich“; „So ihr in mir bleibet.“ (Endlich, wie ich gesagt habe, können auch noch alle Bindewörter „Wenn“ und alle befehlenden Worte zusammengebracht werden, um der Diatribe wenigstens in der Anhäufung (numero) von Worten zu helfen.) „Alle diese Gebote (sagt sie) sind unkräftig, wenn dem menschlichen Willen nichts beigelegt wird. Wie übel reimt sich das Bindewort Wenn mit der bloßen Notwendigkeit.“ Wir antworten: Wenn sie unkräftig sind, so sind sie durch deine Schuld unkräftig, ja, sie sind nichts, da du behauptest, dem menschlichen Willen werde nichts beigelegt, indem du den freien Willen so darstellst, daß er das Gute nicht wollen könne; und wiederum stellst du ihn hier so dar, daß er alles Gute wollen könne. Doch vielleicht sind dieselben Worte bei dir zugleich heiß und kalt, da sie zugleich alles behaupten und alles leugnen. Und ich wundere mich, warum es den Verfasser ergötzt hat, dasselbe so oft zu wiederholen, wiewohl er beständig dessen uneingedenk ist, was er sich vorgenommen hat. Vielleicht hat er an der Sache verzagt und durch die Größe des Buches den Sieg gewinnen oder durch Ueberdruß und Beschwerlichkeit des Lesens den Gegner ermüden wollen. Durch welche Folgerung, ich bitte dich, kann es geschehen, daß alsbald der Wille und das Vermögen da sein müsse, so oft gesagt wird: Wenn du willst, Wenn jemand will, Willst du? Bezeichnen wir mit solchen Reden nicht sehr häufig vielmehr das Unvermögen und die Unmöglichkeit? Z. B.: Wenn du dem Virgil im Dichten (canendo) gleichkommen willst, lieber Mävius, so mußt du anders dichten; so du den Cicero übertreffen willst, Scotus, so mußt du anstatt deiner Spitzfindigkeiten die größte Beredsamkeit haben; wenn du mit David verglichen werden willst, so mußt du auch eben solche Psalmen machen. Hier wird klärlich das ausgedrückt, was den eigenen Kräften unmöglich ist, wiewohl durch göttliche Kraft alles möglich ist. So verhält sich die Sache auch in der Schrift, daß durch solche Worte das angezeigt wird, was durch die Kraft Gottes in uns geschehen kann, was wir aber nicht vermögen. Ferner, wenn dergleichen von solchen Dingen gesagt würde, welche ganz unmöglich sind zu thun, so daß auch Gott sie niemals thun würde, dann würde mit Recht gesagt, daß sie (die Worte) entweder unkräftig oder lächerlich wären, weil sie vergeblich geredet würden. Nun aber werden sie so gesagt, daß nicht allein das Unvermögen des freien Willens gezeigt wird, um dessen willen nichts von dem geschieht, sondern auch ausgedrückt, es werde das alles einst statthaben und ausgerichtet werden, aber durch fremde Kraft, nämlich die göttliche Kraft, wenn wir überhaupt zulassen wollen, daß in solchen Worten irgendwie ausgedrückt sei, was gethan werden soll und was möglich sei. Und, wenn jemand so auslegt: Willst du die Gebote halten, das heißt, wenn du einmal den Willen haben solltest, die Gebote zu halten (du wirst ihn aber nicht aus dir haben, sondern aus Gotte, der ihn darreicht, welchem er will), so werden sie dich auch erhalten. Oder, um weitläuftiger davon zu reden, es scheinen jene Worte, besonders die verpflichtenden (conjunctiva), auch um der Versehung (praedestinationem) Gottes willen so gesetzt zu sein und dieselbe als eine uns unbekannte mit einzuschließen, als wenn sie so sagen wollten: Wenn du willst, Willst du, das heißt, wenn du bei Gott ein solcher Mensch bist, daß er dieses Willens, die Gebote zu halten, dich werth achten sollte, so wirst du erhalten werden. Durch diese Redeweise (tropo) wird beides zu verstehen gegeben, nämlich sowohl, daß wir nichts vermögen, als auch, daß, wenn wir etwas thun, Gott in uns wirkt. So würde ich zu denen reden, welche damit nicht zufrieden sein wollten, daß man sagt, durch jene Worte werde nur unser Unvermögen angezeigt, sondern behaupten wollten, es werde durch dieselben auch eine gewisse Kraft und das Vermögen bewiesen, das zu thun, was geboten wird. So würde es zugleich wahr, daß wir nichts von dem vermögen, was geboten wird, und daß wir zugleich alles vermögen; indem jenes unseren Kräften, dieses der Gnade Gottes zugeschrieben wird. Drittens ereifert sich die Diatribe auch darüber: „Wo so oftmals“, sagt sie, „der guten und bösen Werke Erwähnung geschieht, und wo des Lohnes gedacht wird, da sehe ich nicht ein, wie eine bloße Notwendigkeit stattfinden könne; weder die Natur“, sagt sie, „noch die Nothwendigkeit hat ein Verdienst.“ Wahrlich, das verstehe ich auch nicht, außer, daß jene annehmbare Meinung eine bloße Nothwendigkeit behauptet, indem sie sagt, der freie Wille könne nichts Gutes wollen, und doch ihm hier auch ein Verdienst beilegt. So sehr ist der freie Wille fortgeschritten zugleich mit dem Wachsen des Buches und der Erörterung der Diatribe, daß er jetzt nicht allein ein Bemühen und eigenes Bestreben, doch aus fremden Kräften, hat, ja, nicht allein in rechter Weise (bene) will und thut, sondern auch das ewige Leben verdient, da Christus sagt, Matth. 5,12.: „Seid fröhlich und getrost, weil euer Lohn im Himmel groß ist.“ „Euer“, das heißt, (der Lohn) des freien Willens, denn so versteht die Diatribe diese Stelle, so daß Christus und der Geist Gottes nichts sind. Denn wozu bedürften wir diese, wenn wir gute Werke und Verdienste durch den freien Willen haben? Dies sage ich, damit wir sehen, daß es nicht selten ist, daß vortreffliche Leute von hohem Verstande blind zu sein pflegen in einer Sache, welche sogar einem groben ungelehrten Kopfe offenbar ist, und wie schwach ein Beweisgrund ist in göttlichen Dingen, der sich auf menschliches Ansehen stützt, denn hierin gilt allein göttliches Ansehen. Hier muß zweierlei gesagt werden: erstlich, von den Geboten des Neuen Testaments, zweitens, von dem Verdienste. Beides wollen wir hier kurz abfertigen, weil wir anderswo weitläuftiger darüber geredet haben. Das Neue Testament besteht eigentlich aus Verheißungen und Ermahnungen, wie das Alte eigentlich aus Gesetzen und Drohungen besteht. Denn im Neuen Testamente wird das Evangelium gepredigt, was nichts Anderes ist, als die Predigt, durch welche uns der Geist und die Gnade angeboten wird zur Vergebung der Sünden, welche uns durch den für uns gekreuzigten Christus erworben worden ist, und zwar ganz umsonst und allein durch die Barmherzigkeit Gottes des Vaters, die uns zu Theil wird, wiewohl wir unwürdig sind und vielmehr die Verdammniß verdienen, als irgend etwas Anderes. Dann folgen die Ermahnungen, welche die reizen sollen, die schon gerechtfertigt sind und die Barmherzigkeit erlangt haben, daß sie wacker seien in Früchten der geschenkten Gerechtigkeit und des Geistes und die Liebe üben in guten Werken und das Kreuz und alle anderen Trübsale der Welt standhaft ertragen. Dies ist die Summe des ganzen Neuen Testamentes. Wie gar nichts die Diatribe hievon versteht, gibt sie genugsam dadurch an den Tag, daß sie zwischen dem Alten und dem Neuen Testamente keinen Unterschied zu machen weiß, denn sie sieht in beiden fast nichts als Gesetze und Gebote, durch welche die Menschen zu einem guten Leben herangebildet werden. Was aber die Wiedergeburt, die Erneuerung des Sinnes und Gemüthes und die ganze Wirksamkeit des Heiligen Geistes sei, davon sieht sie durchaus nichts, daß es mir ein Erstaunen und ein Wunder ist, daß ein Mann, der so lange Zeit mit solchem Fleiße darin gearbeitet hat, so gar nichts in der heiligen Schrift weiß. Also jenes Wort: „Seid fröhlich und getrost, weil euer Lohn im Himmel groß ist“, paßt so wohl zum freien Willen, wie sich das Licht zur Finsterniß reimt. Denn Christus ermahnt da nicht den freien Willen, sondern die Apostel, welche nicht allein über den freien Willen hinaus im Stande der Gnade und gerecht waren, sondern auch im Amte des Wortes, das heißt, auf der höchsten Stufe der Gnade befindlich, daß sie die Trübsale der Welt ertragen sollten. Aber wir disputiren besonders von dem freien Willen ohne die Gnade, daß er durch Gesetze und Drohungen oder durch das Alte Testament angeleitet wird zur Erkenntniß seiner selbst, damit er laufe zu den Verheißungen, welche durch das Neue Testament angeboten werden. Das Verdienst aber oder der vorgehaltene Lohn, was ist es anders als eine Verheißung? Aber durch diese wird nicht bewiesen, daß wir etwas vermögen, da durch dieselbe nichts Anderes angezeigt wird, als, wenn jemand dies oder jenes thut, dann soll er den Lohn haben. Unsere Frage aber ist, nicht, auf welche Weise oder was für ein Lohn gegeben werde, sondern: ob wir solches thun können, wofür der Lohn gegeben wird. Denn dies sollte bewiesen werden. Wäre das nicht eine lächerliche Folgerung: Allen, die in den Schranken laufen (1 Cor. 9,24.), wird das Kleinod vorgehalten, also können alle laufen und es erlangen? Wenn der Kaiser den Türken überwindet, so wird er sich des Reiches Syrien bemächtigen, also kann der Kaiser den Türken besiegen, und er überwindet ihn? Wenn der freie Wille die Sünde beherrscht, so wird er heilig sein vor dem Herrn, also ist der freie Wille heilig vor dem Herrn? Doch wir wollen diese ganz groben und handgreiflich ungereimten Dinge fahren lassen; nur ist es ganz passend, daß der freie Wille mit so schönen Gründen bewiesen werde. Vielmehr wollen wir davon reden, daß die Nothwendigkeit weder ein Verdienst noch einen Lohn hat. Wenn wir von der Nothwendigkeit des Zwanges reden, so ist es wahr; wenn wir von der Nothwendigkeit der Unveränderlichkeit reden, so ist es falsch. Denn wer würde einem, der wider seinen Willen arbeitet, eine Belohnung geben oder es ihm zum Verdienste anrechnen? Aber denen, welche mit Willen (volenter) Gutes oder Böses thun, selbst wenn sie diesen Willen aus ihren Kräften nicht ändern können, folgt natürlich und nothwendig die Belohnung oder die Strafe, wie geschrieben steht (Röm. 2,6.): „Du wirst einem jeglichen geben nach seinen Werken.“ Es folgt natürlicher Weise: Wenn du dich ins Wasser versenkst, so wirst du erstickt werden; wenn du herausschwimmst, so wirst du am Leben bleiben. Und, um kurz zu reden, bei dem Verdienste oder bei der Belohnung handelt es sich entweder um die Würdigkeit oder um die Folge. Wenn du die Würdigkeit ansiehst, so ist da kein Verdienst, keine Belohnung. Denn wenn der freie Wille an sich allein das Gute nicht wollen kann, aber allein durch die Gnade das Gute will (denn wir reden vom freien Willen mit Ausschluß der Gnade und fragen, was jedes von beiden eigentlich vermöge), wer sieht nicht, daß allein der Gnade jener gute Wille, das Verdienst und die Belohnung zukomme? Und hier ist die Diatribe wiederum mit sich selbst uneinig, indem sie aus dem Verdienste die Freiheit des Willens folgert, und sie ist mit mir, gegen den sie streitet, in derselben Verdammnis, nämlich, weil es gleicherweise wider sie selbst streitet, daß es ein Verdienst gebe, daß eine Belohnung da sei, daß Freiheit da sei, da sie doch weiter oben behauptete, der freie Wille wolle nichts Gutes, und es auf sich genommen hatte, dies zu beweisen. Wenn du die Folge ansiehst, so ist nichts da, weder Gutes noch Böses, was nicht seine Belohnung habe. Und der Irrthum kommt daher, daß wir bei Verdiensten und Belohnungen uns mit unnützen Gedanken und Fragen zu schaffen machen von der Würdigkeit, welche nicht vorhanden ist, da allein von der Folge disputirt werden sollte. Denn es steht den Gottlosen die Hölle und das Gericht Gottes aus nothwendiger Folge bevor, obgleich sie selbst eine solche Belohnung für ihre Sünden weder wünschen, noch darauf denken, ja, vielmehr sie heftig verabscheuen und, wie Petrus (2. Ep. 2,11.) sagt, lästern. So steht den Gottseligen das Reich bevor, wiewohl sie dasselbe weder suchen, noch darauf bedacht sind, weil es ihnen ja von ihrem Vater bereitet ist, nicht allein ehe sie selbst waren, sondern vor Anbeginn der Welt (Matth. 25,34.). Ja, so sie Gutes wirkten, um das Reich zu erlangen, so würden sie es nie bekommen und gehörten vielmehr zu den Gottlosen, weil sie mit schalkhaftem, lohnsüchtigem Auge auch in Gott das Ihre suchten. Die Kinder Gottes aber thun mit fröhlichem Willen umsonst das Gute, suchen keine Belohnung, sondern allein die Ehre und den Willen des Vaters, bereit, das Gute zu thun, auch wenn – um den unmöglichen Fall zu setzen – weder das Reich noch die Hölle wäre. Dies, glaube ich, ist hinlänglich bewiesen schon allein aus dem Einen Ausspruche Christi, den ich eben angeführt habe, Matth. 25,34.: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“ Wie sollten sie das verdienen, was schon ihr ist und ihnen bereitet, ehe sie wurden? so daß wir richtiger sagen könnten, das Reich Gottes verdient vielmehr uns, seine Besitzer, und wir müssen das Verdienst dahin setzen, wo jene die Belohnung, und die Belohnung dahin, wo jene das Verdienst setzen. Denn das Reich wird nicht bereitet, sondern es ist bereitet; die Kinder des Reichs aber werden bereitet, nicht sie bereiten das Reich, das heißt, das Reich verdient die Kinder, nicht die Kinder das Reich. So verdient und bereitet auch die Hölle vielmehr ihre Kinder, da Christus sagt (Matth. 25,41.): „Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, welches bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.“ Was wollen denn die Worte, welche das Reich verheißen, die Hölle drohen? Weshalb wird denn in der ganzen Schrift so oft das Wort „Lohn“ wiederholt? „Dein Werk (sagt sie (2 Chron. 15,7.)) hat seinen Lohn“; (1 Mos. 15,1.:) „Ich bin dein sehr großer Lohn“; desgleichen (Röm. 2,6.): „Welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken“; und Paulus, Röm. 2,7.: „Die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben“, und viele ähnliche Stellen. Darauf ist zu antworten: Durch dies alles wird nichts bewiesen, als die Folge des Lohnes und keineswegs die Würdigkeit des Verdienstes, nämlich, daß diejenigen, welche Gutes thun, es nicht aus knechtischer und lohnsüchtiger Gesinnung um des ewigen Lebens willen thun, aber das ewige Leben suchen, das heißt, sie sind auf dem Wege, auf dem sie zum ewigen Leben gelangen und es finden; so daß „suchen“ ist, mit Fleiß darnach trachten und mit unablässiger Anstrengung sich um das bemühen, was auf ein gutes Leben zu folgen pflegt. Es wird aber in der Schrift angekündigt, daß dies (Lohn oder Strafe) eintreten und folgen werde nach einem guten oder bösen Leben, damit die Menschen unterwiesen, aufgeweckt, gereizt und geschreckt werden. Denn wie durch das Gesetz Erkenntniß der Sünde kommt und die Erinnerung an unser Unvermögen, daraus aber nicht folgt, daß wir etwas vermögen: so geschieht auch durch diese Verheißungen und Drohungen eine Erinnerung, durch welche wir belehrt werden, was auf die Sünde und auf unser Unvermögen, das uns durch das Gesetz gezeigt worden ist, folge; nicht aber wird durch dieselben unserem Verdienste irgend eine Würdigkeit zugeschrieben. Darum, gleichwie die Worte des Gesetzes zur Unterweisung und Erleuchtung dienen, um uns zu lehren, was wir schuldig sind, dann auch, was wir nicht vermögen, so dienen die Worte des Lohnes, indem sie anzeigen, was geschehen wird, zur Ermahnung und Drohung, dadurch die Gottseligen gereizt, getröstet und aufgerichtet werden zum Fortfahren, Beharren und Ueberwinden im Thun des Guten und Ertragen des Bösen, damit sie nicht müde oder gebrochen werden, wie Paulus seine Corinther ermahnt, indem er spricht (1 Cor. 16,13. 15,58.): „Seid männlich“; „Wisset, daß eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“ So richtet Gott den Abraham auf, da er spricht (1 Mos. 15,1.): „Ich bin dein sehr großer Lohn.“ Nicht anders, als wenn du auf diese Weise jemanden tröstetest, daß du ihm anzeigtest, seine Werke gefielen sicherlich Gotte wohl. Dieser Art des Trostes bedient sich die Schrift nicht selten, und es ist nicht ein geringer Trost, zu wissen, daß man Gotte gefalle, wenn auch nichts Anderes darauf folgte; wiewohl das unmöglich ist. Hieher gehört alles, was von der Hoffnung und vom Warten gesagt wird, daß das gewiß eintreten wird, was wir hoffen, wiewohl die Gottseligen nicht um deß willen hoffen oder solches um ihretwillen suchen. So werden die Gottlosen durch die Worte der Drohung und des künftigen Gerichtes geschreckt und gedemüthigt, damit sie ablassen und abstehen vom Bösen, damit sie nicht aufgeblasen werden, sicher werden und sich erheben in ihren Sünden. Wenn hier nun die Vernunft die Nase rümpfen sollte und sagen: Warum sollte doch Gott wollen, daß dies durch Worte geschehe, da durch Worte nichts ausgerichtet wird, der Wille sich auch nicht nach beiden Seiten hin wenden kann; warum thut er nicht, was er thut, ohne das Wort zu reden (tacito verbo), da er alles ohne das Wort thun könnte? und der Wille vermag oder thut doch aus eigener Kraft nicht mehr, nachdem er das Wort gehört hat, wenn der Geist fehlt, welcher innerlich treibt, würde auch nicht weniger vermögen oder thun, obwohl das Wort verschwiegen worden wäre, wenn der Geist da ist, da alles abhängt von der Kraft und dem Wirken des Heiligen Geistes: so werden wir sagen: So hat es Gotte gefallen, daß er den Geist nicht geben will ohne das Wort, sondern durch das Wort, damit er uns habe als seine Mitarbeiter, indem wir nach außen laut werden lassen, was er allein inwendig eingibt (spirat), wo er immer will. Dies könnte er dennoch ohne das Wort thun, aber er will es nicht. Wer sind nun wir, daß wir nach der Ursache des göttlichen Willens forschen sollten? Es ist genug zu wissen, daß Gott es so will, und es gebührt uns, diesen Willen zu verehren, zu lieben und anzubeten und die Vermessenheit der Vernunft zu zügeln. So könnte er uns ohne Brod nähren und gibt in der That die Kraft der Ernährung ohne Brod, wie er Matth. 4,4. sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern durch das Wort Gottes.“ Es hat ihm aber wohlgefallen, uns durch das Brod und mit dem äußerlich angewandten Brode innerlich durch das Wort zu nähren. Es steht also fest, daß aus dem Lohne ein Verdienst nicht bewiesen wird, wenigstens in der Schrift; ferner, daß aus dem Verdienste der freie Wille nicht bewiesen wird, viel weniger ein solcher freier Wille, wie ihn die Diatribe zu beweisen unternommen hat, nämlich, der aus sich allein nichts Gutes wollen kann. Denn wenn du auch das Verdienst zuließest, so würdest du, wie gewöhnlich, diese Gleichnisse und Folgerungen der Vernunft hinzufügen, nämlich, es werde vergebens geboten, vergebens der Lohn verheißen, vergebens die Drohungen gebraucht, wenn der Wille nicht frei wäre. Wenn hierdurch, sage ich, etwas bewiesen wird, so wird das bewiesen, daß der freie Wille aus sich allein alles vermöge. Denn wenn er aus sich allein nicht alles vermag, so bleibt jene Folgerung der Vernunft: Also wird vergeblich geboten, vergeblich verheißen, vergeblich werden die Drohungen gebraucht. So disputirt die Diatribe beständig wider sich selbst, während sie wider uns disputirt. Gott aber allein wirkt in uns durch seinen Geist sowohl das Verdienst als auch die Belohnung, beides aber thut er durch sein äußerliches Wort der ganzen Welt kund und zu wissen, damit auch bei den Gottlosen und Ungläubigen und Unwissenden seine Macht und Ehre und unser Unvermögen und Schande verkündigt werde, wiewohl allein die Gottseligen es zu Herzen nehmen, und die Gläubigen es festhalten, die anderen es aber verachten. Es würbe nun aber allzu verdrießlich sein, alle einzelnen befehlenden Worte zu wiederholen, welche die Diatribe aus dem Neuen Testamente aufzählt und dabei immer ihre Folgerungen anhängt und geltend macht, es sei das, was gesagt wird, vergeblich, überflüssig, kraftlos, lächerlich, nichts, wenn der Wille nicht frei wäre. Denn wir haben schon bis zum größten Ueberdruß wieder und immer wieder gesagt, wie durch solche Worte nichts ausgerichtet werde, und wenn irgend etwas bewiesen werde, so werde der ganze freie Wille bewiesen. Das wäre aber nichts Anderes, als die ganze Diatribe umstoßen, da sie es ja auf sich genommen hat, einen solchen freien Willen zu beweisen, der nichts Gutes vermöge und der Sünde diene, statt dessen aber einen solchen beweist, welcher alles vermag, indem sie beständig nichts von sich weiß und ihrer selbst vergißt. Es sind bloße Spitzfindigkeiten, da sie so redet: „Aus ihren Früchten, spricht der Herr, werdet ihr sie erkennen. Die Früchte heißt er Werke und diese nennt er unsere Werke: wie können es aber unsere Werke sein, wenn alles durch Nothwendigkeit geschieht?“ Ich bitte dich, nennen wir denn nicht mit vollem Recht auch das unser eigen, was wir zwar nicht selbst gemacht, aber von anderen empfangen haben? Warum sollten also die Werke nicht die unsrigen genannt werden, welche Gott uns durch den Geist geschenkt hat? Oder sollen wir Christum nicht unser nennen, weil wir ihn nicht gemacht, sondern nur empfangen haben? Wiederum, wenn wir das machen, was unser genannt wird, so haben wir uns die Augen selbst gemacht, die Hände haben wir uns selbst gemacht und die Füße haben wir uns selbst gemacht, oder sie dürften nicht unsere Augen, Hände und Füße heißen. Ja (1 Cor. 4,7.), was haben wir, das wir nicht empfangen haben? sagt Paulus. Sollen wir also sagen, es sei entweder nicht unser, oder es sei von uns selbst gemacht? Stelle dir nun vor, die Früchte würden unser genannt, weil wir sie gethan haben; wo bleibt dann die Gnade und der Geist? Denn er sagt nicht: Aus den Früchten, welche nach einem ganz kleinen Theile die ihrigen sind, werdet ihr sie erkennen. Dieses sind vielmehr lächerliche, überflüssige, vergebliche, kraftlose, ja thörichte und hassenswerthe Spitzfindigkeiten, durch welche die heiligen Worte Gottes befleckt und entheiligt werden. So wird auch mit jenem Worte Christi am Kreuze Spott getrieben (Luc. 23,34.): „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.“ Während man da einen Ausspruch erwarten sollte, der den freien Willen begründen möchte, so begibt sie (die Diatribe) sich wieder zu Folgerungen: „Mit wie viel besserem Rechte“, sagt sie, „hätte er sie entschuldigt, weil sie keinen freien Willen haben, noch anders handeln können, wenn sie auch wollten.“ Doch auch durch diese Folgerung wird jener freie Wille nicht bewiesen, der nichts Gutes wollen kann, um den es sich handelt, sondern der, welcher alles vermag, von dem niemand handelt, und den alle leugnen, mit Ausnahme der Pelagianer. Ja, da Christus öffentlich sagt, daß sie nicht wissen, was sie thun, bezeugt er dadurch nicht auch zugleich, daß sie das Gute nicht wollen können? Denn wie kannst du das wollen, was du nicht weißt? Sicherlich begehrt niemand nach dem, was unbekannt ist. Was kann Stärkeres wider den freien Willen gesagt werden, als daß er so gar nichts sei, daß er nicht nur das Gute nicht wolle, sondern nicht einmal wisse, wie großes Uebel er thue, und was gut sei? Oder ist hier eine Dunkelheit in irgend einem Worte: Sie wissen nicht, was sie thun? Was bleibt noch in der Schrift übrig, was nicht durch Zuthun der Diatribe den freien Willen bestätigen könnte, da das überaus klare und ihr gänzlich entgegenstehende Wort Christi ihr denselben bestätigt? Ebenso leicht möchte jemand sagen, daß auch durch jene Stelle der freie Wille bestätigt werde: „Aber die Erde war wüste und leer“, oder durch die: „Gott ruhete am siebenten Tage“, oder eine ähnliche. Dann aber wird die Schrift zweifelhaft und dunkel werden, ja, zugleich alles und nichts sein. Aber so kühn sein und so die göttlichen Worte behandeln, zeigt einen Geist an, der Gott und Menschen schmählich verachtet, der durchaus keine Geduld verdient. Und jenes Wort Joh. 1,12: „Er hat ihnen Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden“, faßt sie so: „Wie wird denen die Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden, wenn unser Wille keine Freiheit hat?“ Und diese Stelle ist ein Hammer wider den freien Willen, wie auch fast das ganze Evangelium Johannis; doch wird sie für den freien Willen angezogen. Laß uns doch zusehen, ich bitte dich. Johannes redet nicht von irgend einem Werke des Menschen, weder von einem großen noch von einem kleinen, sondern gerade von der Erneuerung und Veränderung des alten Menschen, der ein Kind des Teufels ist, zu einem neuen Menschen, der ein Kind Gottes ist. Hier verhält sich der Mensch rein leidend (passive, wie man sagt), thut auch nicht irgend etwas, sondern „wird“ ganz und gar. Denn von dem Werden redet Johannes, er sagt, daß sie Gottes Kinder werden, durch die Kraft, die uns von Gott geschenkt ist, nicht durch die Kraft des freien Willens, die in uns liegt. Aber unsere Diatribe leitet hieraus ab, daß der freie Wille so viel vermöge, daß er Kinder Gottes mache, oder ist bereit zu erklären, daß das Wort des Johannes lächerlich und kraftlos sei. Wer hat aber jemals den freien Willen so erhoben, daß er ihm die Kraft beigelegt hätte, Gottes Kinder zu machen, besonders einen solchen, der das Gute nicht wollen kann, wie ihn die Diatribe angenommen hat? Aber das mag Hingehen mit den anderen Folgerungen, die so oft wiederholt sind, durch welche nichts bewiesen wird, wenn überhaupt etwas bewiesen wird, als das, was die Diatribe leugnet, nämlich, daß der freie Wille alles vermöge. Johannes will dies: Da Christus durch das Evangelium in die Welt gekommen ist, durch welches die Gnade angeboten, nicht aber ein Werk erfordert wird, so werde allen Menschen Gelegenheit gegeben und zwar eine herrliche, Gottes Kinder zu sein, wenn sie glauben wollten. Uebrigens, gleichwie der freie Wille zuvor niemals etwas von diesem Wollen, diesem Glauben an seinen Namen gewußt noch daran gedacht hat, so kann er es viel weniger aus seinen Kräften. Denn wie sollte die Vernunft denken, daß der Glaube an Jesum, den Sohn Gottes und des Menschen, nothwendig sei, da sie auch heutiges Tages noch nicht fassen oder glauben kann, wenngleich alle Creaturen es ausriefen, daß eine Person sei, welche zugleich Gott und Mensch sei? Sondern vielmehr ärgert sie sich an solcher Rede, wie Paulus sagt 1 Cor. 1,23. So viel fehlt daran, daß sie glauben wollte oder könnte. Deshalb preist Johannes den Reichthum des Reiches Gottes, der durch das Evangelium der Welt angetragen worden ist, nicht aber die Kräfte des freien Willens, und gibt zugleich zu verstehen, wie wenige es sind, welche ihn annehmen, indem nämlich der freie Wille dawider streitet, der keine andere Kraft hat, als daß er, da der Teufel über ihn herrscht, auch die Gnade und den Geist zurückweise, welcher das Gesetz erfüllen könnte. So schönes Vermögen hat sein Bemühen und Bestreben, das Gesetz zu erfüllen. Aber nachher werden wir weitläuftiger sagen, was für ein Donnerschlag diese Stelle des Johannes wider den freien Willen sei. Es bewegt mich aber nicht wenig, daß so deutliche Stellen, die so kräftig sind gegen den freien Willen, von der Diatribe für den freien Willen angezogen werden, deren Stumpfsinn so groß ist, daß sie durchaus keinen Unterschied macht zwischen den Worten der Verheißung und denen des Gesetzes; denn nachdem sie in ganz läppischer Weise den freien Willen durch die Worte des Gesetzes aufgerichtet hat, sucht sie ihn darnach in der allerungereimtesten Weise durch die Worte des Evangeliums zu bestätigen. Doch diese Ungereimtheit wird leicht nach ihrem Grunde erkannt, wenn man betrachtet, wie wenig die Diatribe mit ihrem Herzen bei der Erörterung dieser Sache ist und wie sie dieselbe verachtet; denn es liegt ihr nichts daran, ob die Gnade stehe oder falle, ob der freie Wille liege oder sitze, nur (darum ist ihr zu thun), daß durch vergebliche Worte Haß auf die Sache geworfen und den Tyrannen gedient werde. Hierauf kommt man auch zum Paulus, dem hartnäckigsten Feinde des freien Willens, und auch dieser wird gezwungen, den freien Willen aufzurichten, Röm. 2,4.: „Verachtest du den Reichthum der Güte, Geduld und Langmuth? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ „Wie“, sagt sie, „kann die Verachtung des Gebots zugerechnet werden, wo kein freier Wille ist? Wie kann Gott zur Buße locken, da er der Urheber der Unbußfertigkeit ist? Wie kann die Verdammniß gerecht sein, wo der Richter zur Uebelthat zwingt?“ Ich antworte: In Bezug auf diese Fragen möge die Diatribe zusehen. Was gehen sie uns an? Denn sie sagte nach der annehmbaren Meinung, der freie Wille könne das Gute nicht wollen und werde mit Nothwendigkeit zum Dienst der Sünde gezwungen. Wie kann ihm also die Verachtung des Gebotes zugerechnet werden, wenn er das Gute nicht wollen kann und auch nicht Freiheit hat, sondern nothwendiger Weise der Sünde dienen muß? Wie kann Gott zur Buße locken, da er der Urheber ist, daß derselbe nicht Buße thut, indem er ihn verläßt oder ihm nicht Gnade verleiht, da er aus sich allein das Gute nicht wollen kann? Wie kann die Verdammniß gerecht sein, wo der Richter durch Entziehung seiner Hülfe den Gottlosen zwingt, in der Uebelthat belassen zu bleiben, da er durch seine Kraft nicht anders kann? Alles fällt auf das Haupt der Diatribe zurück, oder wenn es etwas beweist (wie ich gesagt habe), so beweist es, daß der freie Wille alles vermöge, was doch von ihr und von allen geleugnet worden ist. Jene Folgerungen der Vernunft plagen die Diatribe bei allen Ausbrüchen der Schrift, daß es lächerlich und unnütz scheine, die Menschen mit so heftigen Worten zu dringen und zu treiben, wo keiner da ist, der es leisten könnte, während doch der Apostel darauf ausgeht, durch jene Drohungen die Gottlosen und Stolzen zur Erkenntniß ihrer selbst und ihres Unvermögens zu bringen, damit er die durch die Erkenntniß der Sünde Gedemüthigten zur Gnade bereite. Und wozu ist es nöthig, alles einzeln anzuführen, was aus Paulus angezogen wird, da sie nichts als befehlende oder verpflichtende Worte sammelt, oder solche, durch welche Paulus, die Christen zur Frucht des Glaubens ermahnt? Die Diatribe aber, durch ihre hinzugefügten Folgerungen, entnimmt daraus, daß die Kraft des freien Willens eine solche und so groß sei, daß sie ohne die Gnade alles vermöge, was Paulus in seinen Ermahnungen vorschreibt. Die Christen aber werden nicht durch den freien Willen, sondern durch den Geist Gottes getrieben, Röm. 8,14. Getrieben werden ist aber nicht wirken, sondern hingerissen werden, wie eine Säge oder ein Beil von einem Zimmermann getrieben wird. Und damit hier ja niemand zweifele, daß Luther so ungereimte Dinge sage, so führt die Diatribe seine Worte an. Diese erkenne ich wahrlich an, denn ich bekenne, daß jener Artikel des Wiclef (daß alles durch Nothwendigkeit geschehe) von dem elenden Concil zu Constanz fälschlich verdammt worden ist, oder vielmehr durch Verschwörung und Aufruhr. Ja, die Diatribe selbst vertheidigt denselben mit mir, indem sie behauptet, daß der freie Wille aus seinen Kräften nichts Gutes wollen könne und mit Nothwendigkeit der Sünde Knecht sei, wiewohl sie unter dem Beweisen durchaus das Gegentheil aufstellt.

 

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