VII.

Er ist geglaubt in der Welt.

 

1. Tim. 3,16. und ohne Widerspruch groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist geoffenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

 

M. Z. Du kennst ja wohl diese Bibelstelle, kennst sie von Deiner frühsten Kind-heit, Du kannst sie auswendig, Du hast oft und immer wieder sie anführen hören vielleicht selbst sie angeführt; wenn Jemand auf den Anfang dieser Schriftstelle hindeutet, kannst Du aus dem Gedächtnis den Rest hinzufügen; wenn einer ein einzelnes Glied anführt, erinnerst Du Dich gleich des Übrigen. So hat diese Schriftstelle für das Gedächtnis eine Geschlossenheit bekommen, so daß es beinahe unwillkürlich zusammenfügt, was für dasselbe nun einmal zusammen-gehört. Du kannst von hinten oder von vorn oder in der Mitte beginnen, aber wo Du auch beginnst, Dein Gedächtnis wird gleich im Stande sein, das Ganze zusammen zu fassen und Du führst es wohl ganz und gar an.

Doch ist da – aber das ist vielleicht Deiner Aufmerksamkeit entgangen, denn das Gedächtnis geht dies nicht an – da ist ein sehr merklicher Unterschied zwischen den einzelnen Aussagen. Oder richtiger, es ist eine

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darunter – wenn Du die ins Auge fassest, oder wenn sie gleichsam Dich ins Auge faßt, so verändert sich Alles; sie bemächtigt sich Deiner auf eine sonderbare Weise, so daß es Deinem Gedächtnis gar nicht einfällt, das Übrige hinzuzufügen, weil dieses Glied eine Macht über Dich bekommt, daß es Dir eher ist, als hättest Du, in diesem Augenblick wenigstens, all das Übrige vergessen. Denn sieh: „Gott ist geoffenbart im Fleisch“, das geht Dich nicht an, das geht Ihn an; „er ist gerechtfertigt im Geist“ das geht Dich auch nicht an, Er war es, der im Geist gerechtfertigt wurde; es war auch nicht für Dich, daß „Er ist erschienen den Engeln“, es war um seinetwillen, und es war um seinetwillen, daß „Er ist ge-predigt den Heiden“ und um seinetwillen, daß „Er ist aufgenommen in die Herrlichkeit“. Aber dies: „Er ist geglaubt in der Welt“! das geht Dich an, nicht wahr, das geht Dich an; nimm Dich wohl in Acht, werde Du recht aufmerksam darauf, daß es Dich allein angeht, oder daß es Dir wird, als ginge es Dich allein an, Dich allein in der ganzen Welt!

Davon wollen wir reden:

Er ist geglaubt in der Welt.

Es sieht also aus, als sagte der Apostel bloß etwas Historisches von Christus aus; und das tut er auch. Aber mitten in diesem Historischen hat er ein kleines Wort angebracht, das sich an Dich hinwendet. „Er ist geglaubt in der Welt“, das ist, hast Du da an ihn geglaubt? Es gibt vielleicht keine andre Weise so ein-dringend, so packend zu fragen, wie grade diese. Wenn man einem Menschen eine Gewissensfrage vorlegen will, aber grade so, daß es recht eine Gewissens-frage wird, also so, daß es nicht etwas

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wird worauf er dem Fragenden ja oder nein antworten soll (denn damit ist das Gewissensverhältnis bereits etwas gestört), sondern so, daß es eine Frage wird, die er sich selbst beantworten soll, so daß sich die Frage in seinem Innern festsetzt, ihm nicht Ruhe gönnt, bis er sie vor Gott sich selbst beantwortet: da kann man so verfahren. Man erzählt ihm eine Geschichte. Das macht ihn nun ganz sicher; denn er versteht schon, daß nicht von ihm die Rede ist, da es eine Geschichte ist. In dieser Geschichte wird ein Wort angebracht, das vielleicht nicht gleich seine Wirkung tut, aber welches sich dann einige Zeit danach plötzlich in eine Gewissensfrage verwandelt. Dadurch wird die Sache grade um so inner-licher. Paulus kommt nicht zu Dir und fragt Dich, ob Du geglaubt hast, mit der Forderung, Dein „ja“ oder Dein „nein“ zu hören; aber er sagt: „er ist geglaubt in der Welt“ – nun ist es Dir selbst, Deinem Gewissen überlassen Dir selbst zu antworten. Dies kann man nennen, einen auf sein Gewissen fragen; und auf wen es so wirkt, von dem kann man sagen, er versteht, daß er gefragt wird. Wunder-lich genug, da sind durch Jahrhunderte Erklärungen über Erklärungen zu dieser Stelle geschrieben worden, man hat Schwierigkeiten gemacht und Schwierig-keiten entfernt, jedes einzelne Glied ist weitläufig und ausführlich ausgelegt: das einzige Glied, welches soweit mir bekannt nicht zum Gegenstand für die Auslegung gemacht ist (– natürlich weil man fand, es sei so leicht zu verstehen, daß jedes Kind es verstehen könne) ist grade dieses „Er ist geglaubt in der Welt“. Es ist auch sehr leicht zu verstehen, aber passe doch wohl auf: dies Glied ist die Frage an „Dich.“

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Denn nicht wahr, Du lebst ja doch wohl in der Welt. Wenn da gesagt wird, Er ist geglaubt in der Welt, so ist Dir ja die Veranlassung so nahe wie möglich gelegt, Dich selbst zu fragen: habe ich denn an Ihn geglaubt? Aber wer ist es doch der fragt? Keiner, Keiner! Doch Du weißt es ja wohl, daß dies die fürchterlichste, die ernstlichste Frage ist, von der gesagt werden muß: da ist Keiner, der fragt, und doch ist es eine Frage – und eine Frage an „Dich“ persönlich. Denn wenn es so ist, dann fragt das Gewissen. Du hast wohl auch schon von jenem Schlauen erzählen hören, der für unmöglich hielt, daß ihn „Jemand“ mit einer Frage über-listen könnte, welche er nicht so zu beantworten vermöchte, daß der Fragende der Betrogene würde; Du hast wohl gehört, das Einzige, was er fürchtete, in der Gewißheit, dann zu kurz zu kommen, war, wenn es „Niemand“ wäre, der ihn fragte. Du hast wohl selbst das Feierliche empfunden, das in der Einsamkeit des Waldes sein kann, draußen im Freien, wenn man ganz allein ist, in der Stille der Nacht, wenn Alles schläft, das will sagen, wie feierlich es ist, wenn „Niemand“ da ist; sobald „Jemand“ da ist, ist die Feierlichkeit geringer. Da wo „Niemand“ ist, der fragt, und wo es doch eine persönliche Frage ist, da ist ein Unsichtbares das Fragende, da hast „Du“ es in tiefstem Sinn mit Dir selbst zu tun, und dies ist das Gewissensverhältnis. Deshalb hat diese Frage eine so fürchterliche Macht; denn wenn Dich Jemand fragt, so kannst Du suchen ihn zu täuschen, wenn es Dir nicht beliebt, ihm zu antworten, oder Du kannst zornig auf ihn werden, aufge-bracht ihn fragen, wer er sei, daß er Dich fragen dürfe, welches Recht er dazu habe; aber hier, hier ist es – Niemand!

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Er ist geglaubt in der Welt. Ja, das ist ganz gewiß; Du weißt, wie viel Tausende an Ihn geglaubt haben, in diesem Glauben gelebt haben, und in diesem Glauben gestorben sind. Und doch, nein, es ist nicht so. Wenn Du nicht selbst glaubst, so kannst Du nicht wissen, ob irgend ein einziger Mensch an Ihn geglaubt hat; doch wenn Du selbst glaubst, so weißt Du, daß er geglaubt ist in der Welt, daß Einer da ist, der an Ihn geglaubt hat. Der eine Mensch kann nicht in des andern Menschen Herz schauen, wo der Glaube wohnt, oder richtiger, wo man sieht ob der Glaube da ist oder nicht; das heißt: nur der Einzelne weiß bei sich selbst vor Gott in Bezug auf sich, ob er glaubt oder nicht. Jeder Andere muß sich mit der Versicherung begnügen. Also, Du kannst nicht wissen, daß so und so viel Tausende geglaubt haben, Du weißt nur (denn was man nicht wissen kann, das wirst Du doch wohl nicht beanspruchen, oder Dir den Schein geben, als wüßtest Du es), daß so und so Viele versichert haben, sie hätten geglaubt, daß so und so Viele für diesen Glauben gestorben sind – doch was sage ich, das weißt Du ja nicht, Du weißt bloß, daß sie für diesen Glauben umgebracht wurden (von denen – welche doch nicht wissen konnten, ob sie diesen Glauben hatten), und daß sie versichert haben, sie stürben für diesen Glauben. Mehr weißt Du nicht. Dies liegt nicht darin, daß Dein Wissen beschränkt sei, sondern es liegt in der Beschrän-kung, welche allem menschlichen Wissen gesetzt ist, daß es nämlich nicht die Allwissenheit des Herzenskenners ist. Es liegt nicht darin, daß Du nur wenig Menschen kennst, im Gegenteil, an je mehr Menschen Du dächtest, um so weniger könnte natürlich die

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Rede davon sein, in ihr Inneres zu dringen, desto notwendiger wäre es, sich mit der Versicherung zu begnügen. Aber selbst, wenn Du einen einzigen Menschen auserwähltest, welchen Du zum Gegenstand für Deine ganze Aufmerksamkeit machtest – ob er ein Gläubiger ist, kannst Du nicht wissen, Du kannst nur wissen, daß er es versichert. Wenn Du niemals selbst geliebt hast, so weißt Du auch nicht ob jemals in der Welt geliebt worden ist, obschon Du weißt, wie Viele versichert haben, sie hätten geliebt, versichert haben, sie hätten ihr Leben für die Liebe geopfert. Aber ob sie wirklich geliebt haben, das kannst Du nicht wissen; doch wenn Du selbst geliebt hast, dann weißt Du, daß Du geliebt hast. Der Blinde kann doch den Farben-Unterschied nicht wissen, er muß sich begnügen, daß Andere ihm versichert haben, er sei da und er sei so und so.

Sage nicht, dies heiße die Gedanken also hoch spannen, daß es Überspanntheit werde. O, weit entfernt, dies ist grade Ernst. Denn was ist doch ernstlicher als die Frage, ob „Du“ geglaubt hast oder nicht. Sieh, deshalb liegt es im Wesen des Glaubens, alle Neugierde abzuweisen, um den ganzen Sinn auf den Ernst zu sammeln; sieh, deshalb liegt es im Wesen des Glaubens, vor allem diese Verirrung hindern zu wollen, als könne man so aus zweiter Hand Glauben haben oder bekommen. Und deshalb ist es Dir dienlich recht zu verstehen, daß Du wirklich nicht wissen kannst ob ein anderer Mensch geglaubt hat, es ist Dir dienlich, damit alle Kraft und Aufmerksamkeit des Sinnes, der sonst zerstreut sich zersplittern könnte im Fragen und in der Neugierde hinsichtlich des Glau-bens Anderer, im Dienst des

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Ernstes könne gesammelt bleiben, damit Du, anstatt leichtsinnig mitzumachen – im Verfehlen des Glaubens, dahin kommst, das ganze Gewicht davon zu fühlen, daß Du es bist, von dem es gilt, daß Du allein auf Dich selbst angewiesen bist, nichts, gar nichts mit Andern zu tun hast, aber desto mehr, oder richtiger alles mit Dir selbst, da Du wirklich hinsichtlich des Glaubens nichts von Andern wissen kannst. Denn historisch gilt die Frage, wie Viele geglaubt haben – es ist die Frage, welche die Geschichte stellt; aber der Glaube ist ja doch wohl nicht die Geschichte. Die Frage des Glaubens dagegen richtet sich an „Dich“: hast „Du“ geglaubt? Diese Frage geht den Glauben an, die andere die Geschichte. Der Glaube steht in Beziehung zur Persönlichkeit; aber persönlich verstanden ist es, wenn ich geglaubt habe, das Gleichgültige, ob Viele und wie Viele auch geglaubt haben, und wenn ich nicht geglaubt habe, ist es gleichgültig, ob Viele und wie Viele geglaubt haben oder nicht geglaubt haben.

Historisch ist die Frage, wie Viele geglaubt haben. „Und da es nun so Viele, so Unzählige sind, die geglaubt haben, so ist da weiter kein Aufheben davon zu machen, ob ich Glauben habe oder nicht; ich habe ihn da wohl auch, da so Viele ihn haben. Nein, wäre der Glaube etwas, wobei man allein stünde, dann wäre es ein anderes Ding“. Aber beim Glauben bist Du grade allein – wenn Du ihn hast; wenn Du nicht allein darin bist, so hast Du ihn auch nicht. Ist dies unsinnige Eitelkeit, ist dies ein hoffärtiger Wahnwitz, der nur dahin führen kann, daß man den Verstand verliert? Nein, dies ist Ernst und das Einzige, das Dich zum Glau-ben führen kann, wenn Du ihn nicht hast; das

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Einzige, das Dich im Glauben bewahren kann, wenn Du ihn hast. Ist es auch unsinnige Eitelkeit, ist es auch hoffärtiger Wahnwitz, daß Du, wenn der Tod Dir die Geliebte raubte, nicht verstehen willst, nichts hören magst, sondern nur wie von einer Abscheulichkeit angewidert wirst von der Rede: daß, wenn mehrere tausend Millionen Menschen auf der Erde wohnen, sie ja jeden Tag zu Tausen-den sterben, und wahrscheinlich auch jeden Tag manche Geliebte? Ich glaubte, es wäre Wahnwitz, wenn die Seele eines Menschen so verflüchtigt, so ge-schwächt, so widerwärtig historisch ausschweifend geworden wäre, daß es ihm ganz entgehen könnte, daß es „seine“ Geliebte war, die starb; ich glaubte, das wäre der sicherste Beweis, daß er nie geliebt hätte. Dagegen glaubte ich, es wäre liebenswürdig, in Wahrheit menschlich, es wäre Ernst, soweit nur Ernst in solcher Liebe sein kann, wenn der Geliebte in seiner Trauer über den Verlust der Geliebten nur Eins versteht, daß es „seine“ Geliebte war, daß „er“ es war, der „seine“ Geliebte verloren hatte. Und so würde ich es auch für Wahnwitz ansehen, als Beweis einer solchen inneren Schwächung, daß von Ernst keine Rede mehr sein könnte, wenn Jemand Jahr aus Jahr ein diese Bibelstelle „Er ist geglaubt in der Welt, Er ist geglaubt in der Welt, Er ist geglaubt in der Welt“ hersagen könnte, ohne auf die Frage zu kommen: habe ich denn an Ihn geglaubt.

Er ist geglaubt in der Welt. Also, wer Paulus verstanden hat, der versteht, daß hier eine Frage ist. Aber wenn nun er, der es versteht, antworten wollte: „ja ganz gewiß ist Er in der Welt geglaubt, das kann man mit jedem Jahrhundert mit immer mehr Fug sagen, immer

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mehr sind gläubig geworden, überall ist das Christentum ausgebreitet worden und besonders seit der Entdeckung Amerikas“: würde da nicht Paulus zumute sein, wie einem ist, ach, wenn man mit einem Sinnesschwachen redet. Denn gewiß ist es Sinnesschwachheit, wie jener geschwätzige Mann beständig von sich selbst und seinem Bisschen Reisen zu reden; aber es ist auch Sinnes-schwachheit, wenn man, nach Glauben gefragt, von der ganzen Welt redet, nur nicht von sich selbst.

Aber der, welcher die Frage verstand und antwortete: „ich habe an Ihn geglaubt“, er verstand sich selbst. Und wenn er antwortete: „ich habe nicht an Ihn geglaubt“, da verstand er doch sich selbst. An Stelle des Historischen „Er ist geglaubt“, tritt das Persönliche „ich habe an Ihn geglaubt“, wenn der Einzelne sagt: Ich habe an Ihn geglaubt.

„Ich habe vieles in der Welt geglaubt, was glaubwürdige Männer mir von Dingen erzählt haben, die ich nicht selbst gehört oder gesehen habe; ich habe dem Zeugnis der Geschichte geglaubt; im täglichen Leben habe ich auf so mancherlei Art Anderen geglaubt. Unter dem, was ich geglaubt habe, war viel Unbedeuten-des, welches den Tag darauf vergessen war, vieles, was mich doch einige Zeit beschäftigt hat, vieles, was ich zum Eigentum meiner Seele gemacht habe und nur ungern aufgäbe; aber doch, laß das alles zusammen unwahr sein: diesen Verlust könnte ich noch verwinden. Aber ich habe an Ihn geglaubt, – bin ich auch hier betrogen, so bin ich nicht bloß der Elendeste von Allen, sondern dann ist mein Leben in seiner tiefsten Wurzel vernichtet, dann kann alles Andere weder

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nützen noch schaden. Denn ich habe nicht Jahr um Jahr die Zeit hinausgescho-ben um auf immer neue Bürgschaft zu warten, ob ich glauben dürfe, nein, ich habe durch eine ewige Entscheidung mir mein Leben versichert, indem ich an Ihn glaube – ist Er ein Blendwerk, dann ist mein Leben verloren. Aber so ist es nicht, das glaube ich. Ich habe auch diese Anfechtung durchlitten, auf die Unsicherheit alles einzusetzen, was eben glauben heißt. Aber der Glaube hat gesiegt, ich glaube an Ihn. Will jemand zu mir sagen „aber wenn!“, das verstehe ich nicht mehr. Ich hab es einmal verstanden, im Augenblick der Entscheidung, nun verstehe ich es nicht mehr. Will Jemand für mich bange werden, weil ich auf ein „wenn“, oder trotz eines „wenn“ mich so hinaus gewagt habe: da beklage er nicht mich, sondern lieber sich selbst. Ich lebe nicht auf einem wenn. Ich habe grade gegen ein wenn, geängstet von diesem wenn, mich hinaus gewagt (das nennt man wagen), nun glaube ich. Aber dies Wort wenn, das erst verstanden werden muß, ehe man den Glauben ergreift, dies ist dann wieder das Wort und über-haupt das, was der Glaube am wenigsten versteht.“

So müßte wohl der Einzelne reden. Und laß ihn so weiter reden, damit er dies Glied in jener Schriftstelle erklären kann, dies Glied, welches sonst niemals erklärt wird. Es ist allerdings kein bestimmter Einzelner, der hier redet, weder Du noch ich, es ist gewissermaßen ein dichterischer Versuch; nur dies will die Rede, sie will es offenbar machen, wie man als Einzelner redet.

„Ich habe bewundert das Edle und Große und Herrliche, das unter den Menschen hervorgebracht ist. Ich meine

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nicht, daß ich es in seiner Gesamtheit kenne, aber ich weiß, daß in Bezug auf das, was ich davon kenne, mein Seele nicht unbekannt ist mit der Lust der Bewunderung, mit ihrer seligen Freude, mit ihrer zugleich niederdrückenden und erhebenden Freude, so daß ich weiß, was bewundern ist. Vielleicht habe ich nur wenig von dem Großen kennen gelernt, das tut hier nichts zur Sache; ja, wenn es so wäre, so würde es in diesem Zusammenhange (wo nicht davon gesprochen wird, wie vieles man bewundert habe, sondern wie sehr man das bewundert habe, was man bewunderte) eher dazu als davon tun, wenn es so wäre, daß ich mit ganzer Hingebung froh, begeistert das Wenige bewundert hätte, das ich kannte. Ich habe, um zu nennen, was wohl, menschlich gesprochen, einzig in der Welt steht, und was man ja auch dem Christentum am nächsten zu rücken pflegt, ich habe jenen edlen, einfältigen Weisen des Altertums bewundert. Wenn ich von ihm las, klopfte mein Herz heftig wie das jenes Jünglings, wenn er mit ihm redete; der Gedanke an ihn war die Begeisterung meiner Jugend und erfüllte meine Seele; ich habe ganz anders nach einem Gespräch mit ihm verlangt, als nach einer Unterredung mit irgend einem Menschen, mit dem ich jemals gesprochen habe; ich habe in der Gesellschaft dessen, der alles begriffen hatte und von allem Möglichen zu reden wußte, viel, viel Mal nach seiner Unwissenheit ge-seufzt, und danach, ihn zu hören, der stets dasselbe sagte – „und von dem-selben“. Ich habe seine Weisheit bewundert, daß er in der Weisheit einfältig blieb! Daß er in der Weisheit einfältig blieb, so daß er die Klugen fangen konnte! Daß er

in der Weisheit einfältig blieb, so daß er, ohne viele Ge-

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danken zu haben und viele Worte zu machen, sein Leben im Dienst der Wahrheit opfern konnte: o, rührende Einfalt! daß er mit dem Tode vor Augen von sich selbst redete, er der Verurteilte, grade so einfältig wie jemals auf dem Markte mit einem Vorübergehenden von den alltäglichsten Dingen; daß er, mit dem Gift-becher in der Hand die schöne Feierlichkeit bewahrte, ebenso einfältig sprach wie jemals beim Gastmahl: o, erhabene Einfalt! – Aber ich habe niemals an ihn geglaubt, das ist mir niemals eingefallen. Ich halte es auch nicht für Weisheit oder Tiefsinn eine Vergleichung zwischen ihm, dem einfältigen Weisen, und Ihm, an den ich glaube, anzustellen: Ich halte es für eine Verspottung Gottes. Sobald ich die Sache meiner Seligkeit bedenke, ist er, der einfältige Weise, mir eine höchst gleichgültige Person, eine reine Kleinigkeit, ein Nichts. Ich könnte es auch nicht in meinem Kopf oder in mein Herz fassen, auch nicht über meine Lippen bringen, zu antworten auf die – Gott spottende Frage, wem von diesen Beiden ich am meisten schulde: dem einfältigen Weisen, oder Ihm, an den ich glaube. Aber dagegen kann ich wahrlich auf die Frage antworten, wem ich am meisten schulde, am meisten von Allen, ohne Vergleich am meisten. Ihm nämlich, an den ich geglaubt habe, der auch für mich sein Leben eingesetzt hat; sein Leben eingesetzt hat, nicht wie es ein Mensch für den andern tun kann, um das Leben des Andern zu bewahren, nein, um mir das Leben zu geben. Denn ohne Ihn ist es gleichgültig, ob ich lebe oder sterbe, ist es eine leere Redensart, daß Einer mein Leben gerettet habe, wenn dieses Leben, das er mir rettete, doch ein Ster-ben ist. Aber Er ist das Leben,

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Ihm schulde ich, ewig verstanden, das Leben, Ihm an den ich glaube“.

„Ich hänge mit dem Gefühl, in welchem ich ich selbst bin, mit kindlicher Hinge-bung fest an dem Menschen, dem ich das Leben schulde; aber ich bitte mich frei von der Beantwortung der Frage, wem von diesen ich am meisten schulde, ihm, dem Vater, oder Ihm, an den ich glaube. Falls es von mir gefordert würde, das will sagen, wenn Er es von mir forderte, dann würde ich mich nicht bedenken mich selbst so innerlich zu verwunden wie es kein Mensch vermöchte, die Kindesliebe fahren zu lassen – aus Liebe zu Ihm, an den ich glaube. Ich liebe meine Frau wie mein eignes Selbst; wenn es möglich wäre, daß sie mir untreu würde, ich würde trauern wie der, welcher in dieser Hinsicht auf die schwerste Weise sein Alles verloren hätte, weil ich nur Eine lieben könnte; wenn der Tod sie mir raubte, würde ich eingestehen, was ich stets gesagt habe, daß sie meine einzige Liebe war. Aber wenn Er, an den ich glaube, wenn es möglich wäre, daß Er es von mir verlangte: ich lasse diese Liebe fahren – aus Liebe zu Ihm, an den ich glaube. Ich trage geduldig meinen eignen Verlust und ich trage all ihren Zorn und Mißverstand, weil sie mich nicht verstehen kann, bis sie in der Ewigkeit mich verstehen wird – dafür wird Er sorgen, an den ich glaube. Ich liebe meine Kinder; ich will alles für sie tun, was in eines Menschen Macht steht, ich würde nicht wissen, wie ich dem genug danken könnte, der durch Rat und Tat mir in Wahrheit behilflich wäre, ihnen zu nützen; ich lasse mein Leben für sie: aber wenn Er, an den ich glaube, wenn es möglich wäre, daß Er es von mir verlangen könnte, 

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ich lasse diese Liebe fahren – aus Liebe zu Ihm, an den ich glaube. Ich nehme gläubig auf mich den Schmerz des Leidens und die Bürde der Verantwortung, ich trage geduldig jedes verdammende Urteil über mich, selbst das der Geliebten, bis sie einmal in der Ewigkeit mich verstehen werden – dafür wird Er sorgen, an den ich glaube. – Und so liebe ich vieles auf verschiedene Weise, in verschie-denem Grade; aber wenn Er, an den ich glaube, es von mir fordert, ich lasse all diese Liebe fahren – aus Liebe zu Ihm, an den ich glaube.“

„Und wollte Jemand zu mir sagen: „Das wäre doch ein schreckliches Wenn; wie ist es möglich mit einem solchen Wenn das Leben auszuhalten, das muß ja alle Lebenslust töten, daß ein solches Wenn in der Spinnwebe der Möglichkeit über deinem Haupte schwebt? Und ist es nicht dabei eine Art Treulosigkeit, in all diesen Lebensverhältnissen, in dem innerlichsten Verhältnis zu andern Men-schen zu leben, und dann jemals ein solches Wenn sich zu denken“, dann würde ich antworten: Ja gewiß ist dieses Wenn furchtbar, schreckeinjagend, das hab ich vernommen im Augenblick der Entscheidung, da ich gläubig wurde. In diesem Schrecken liegt das Wagstück des Glaubens. Aber wahrlich, man kann unter diesem Wenn leben und es nicht als ein angstvolles Gewicht, sondern als einen Segen über sich fühlen. Denn daß dies Wenn für mich dagewesen ist, gehört mit zu dem Bunde mit Ihm, und durch dieses Wenn segnet Er mir jedes Verhältnis zu dem, was zu lieben mir gewinnreich ist. Ohne dies Wenn ist es unmöglich zu glauben, denn soweit soll der Gehorsam des Glaubens gehen; aber daraus folgt nicht, daß Er dies von mir fordert. Und

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ich glaube, daß es sein Wille ist, daß der Sohn den Vater lieben soll, der Mann die Frau, der Vater die Kinder und so weiter – ich glaube das ist Sein Wille, wenn da nicht ein Glaubensunterschied unter ihnen ist. Dann ist es doch wohl keine Treulosigkeit, daß ich ein solches Wenn kenne – es ist doch wohl nur Treulosig-keit bei dem, der Ihn nicht kennt und nicht kennen will, Treulosigkeit bei dem, der nicht Glauben hat und nicht haben will. So ist es da wohl auch unmöglich, daß ich auf Grund dieses Wenn (meiner Seele Furcht und Zittern, aber auch meine Liebe, meine einzige, denn in ihr liebe ich Ihn, an den ich glaube) im Kreis meiner Lieben, mit denen ich den Glauben gemein habe, mich fremd fühlen sollte. Aber freilich fühle ich mich fremd in der Christenheit, insofern die ganze Christenheit lauter Christen sein soll, fremder als ob ich unter Heiden lebte. Denn ein Mensch kann sich nicht so fremd bei denen fühlen, die einen andern Glauben, einen andern Gott haben und gegen seinen Glauben gleichgültig sind, wie er sich bei denen fremd fühlen muß, die sagen, sie hätten denselben Glauben und – gegen denselben gleichgültig sind. Eins ist ja die Gleichgültigkeit gegen das, was mich beschäftigt, wenn man selbst etwas Anderes hat, das einen beschäftigt, ein Anderes, daß Zwei sich mit demselben beschäftigen, und dann der Eine so gleichgültig dagegen, der Andere so beschäftigt damit ist – und daß es dann dasselbe ist, das Beide beschäftigt! Ich fühle mich fremd in der Christenheit, fremd durch das, was mich früh und spät beschäftigt, wovon man in der Christen-heit meint, daß es so höchstens nur die beschäftigen könne, deren Lebensbrot es sei, aber daß es im übrigen sonderbar und überspannt sei, wenn sich

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Jemand so damit beschäftigen wollte. Ich schließe hieraus nichts darüber, wie weit alle, die in der Christenheit leben, Gläubige sind; ich weiß überhaupt nichts von Andern hinsichtlich des Glaubens. Aber das weiß ich, „Er ist geglaubt in der Welt“, und das weiß ich ganz einfach daher, daß ich an Ihn geglaubt habe und glaube.“

M. Z., dies ist doch wohl auch ein Glaubensbekenntnis oder doch ein Bekenntnis des Glaubens. Freilich wird gefordert, damit der Mensch ein Christ sein kann, daß es etwas Bestimmtes ist, was er glaubt; aber eben so gewiß wird auch gefordert, daß ganz bestimmt ist, daß „er“ glaubt. In demselben Grade, wie Du die Aufmerksamkeit ausschließlich auf das Bestimmte hinlenkst, das er glauben soll, in demselben Grade kommt „er“ vom Glauben ab. In demselben Grade wie man sich das Aussehn gibt, als wäre es so schwierig zu bestimmen, was ein Mensch glauben soll, in demselben Grade lenkt man die Menschen vom Glauben weg. Gott läßt nicht eine Fisch-Art in einem bestimmten See entstehen, ohne daß sich nicht auch dort ihre Nahrung findet. Man kann also auf zwei Arten schließen. Die Nahrung ist hier, also findet sich auch dieser Fisch hier; aber noch sicherer: dieser Fisch findet sich hier, also findet sich auch seine Nahrung hier. Aber wahrlich, so wenig Gott eine Fisch-Art in einem bestimmten See entstehen läßt, ohne daß sich nicht auch dort ihre Nahrung findet, so wenig läßt Gott den in Unwissenheit über das, was er glauben soll, den, der in Wahrheit bekümmert ist. Das will sagen, das Bedürfnis führt die Nahrung mit sich, das Gesuchte ist in dem Suchen, welches es sucht, der Glaube ist in der Bekümmerung darüber, daß

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man nicht Glauben habe, die Liebe ist in der Selbstbekümmerung, daß man nicht liebt. Das Bedürfnis führt die Nahrung mit sich – o, so nahe ist sie, so nahe, wenn nur das Bedürfnis da ist. Das Bedürfnis führt die Nahrung mit sich, nicht durch sich selbst, als brächte das Bedürfnis die Nahrung hervor, aber durch eine Ordnung Gottes, die beides, Bedürfnis und Nahrung zusammenfügt, so daß man also, wenn man sagt: dies ist so, hinzufügen muß, so gewiß, wie ein Gott da ist; denn wäre Gott nicht da, so wäre dies auch nicht so. Laß Dich nicht vom Schein betrügen. Das tägliche Gespräch unter den Menschen enthält manche Täu-schung. Wenn so Einer sagt, „ich war völlig entschlossen, das und das für die und die Sache zu wagen, da brachte mich Der und Der von meinem Beschlusse ab:“ so lautet das sehr annehmbar. Aber wer das menschliche Herz kennt, sieht sehr gut den Zusammenhang: der Mann war nicht in tiefstem Sinn entschlossen; denn dann hätte er sich nicht an Den und Den gewendet, sondern hätte gehandelt. Der, welchen die Liebe nicht stumm macht, ist nicht verliebt, und ebenso mit dem wahren Entschluß. So auch wenn Einer der in der Christenheit lebt, sagt, er wolle gern glauben, wenn er bloß bestimmt erfahren könnte, was er glauben soll. Das klingt sehr annehmbar, und doch ist Trug darin; er will nicht in die Gefahren und Entscheidungen hinaus, wo der Glaube entsteht, er will nicht allein bleiben, allein in der Lebensgefahr des Geistes, deshalb redet er von dieser Schwierigkeit; er will nicht in Angst seiner Seele Alles aufs Spiel setzen, deshalb redet er anders. Denn Er, der des Glaubens Gegenstand ist, Er ist doch wohl einem Menschen anders

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nahe, als auf einen Abstand von achtzehnhundert Jahren durch die Taucher-verbindung der Tradition, oder wenn hier der mindeste Zweifel bliebe: anders nahe als durch die Stückwerke und möglichen Mißverständnisse von achtzehn Jahrhunderten. Der nächste Weg ist der der Lebensgefahr, der bequemste, welcher doch nicht zum Glauben führt, ist der, damit geschäftig zu tun, daß man es nicht historisch bestimmt bekommen kann, was man glauben soll. Die sicherste Nachricht bekommt man in der Lebensgefahr, wo man hört (was man im Grunde weiß) mit einer Deutlichkeit, welche nur die Lebensgefahr gibt; denn in der Lebensgefahr wird man unendlich feinhörig, und ist dem, was man hören soll, unendlich nahe. Jeder, der in der Christenheit lebt, hat, wofür ja sogar die Regierung sorgt, gewöhnlich mehr als genug Kenntnis vom Christentum bekommen; Manche haben vielleicht eher viel zu viel bekommen. Was mangelt, ist wahrlich etwas ganz anderes, ist die innerliche Umgestaltung des ganzen Sinnes, wodurch ein Mensch in der Lebensgefahr des Geistes dazu kommt, im Ernst, in wahrer Innerlichkeit doch etwas zu glauben – von dem vielen Christ-lichen, das er weiß. Jeder der in der Christenheit lebt, hat gewöhnlich unbedingt Kenntnis genug vom Christentum, um anrufen und anflehen zu können, um betend sich zu Christus hinwenden zu können. Tut er dies mit dem Drange der Innerlichkeit in Aufrichtigkeit des Herzens, so wird er wohl ein Gläubiger. Ist es nur für Gott ganz bestimmt, daß dieser Mensch Drang fühlt zu glauben, so bekommt er schon noch ganz bestimmt zu wissen, was er glauben soll. Das Umgekehrte ist: ohne Drang zum glauben, forschend, grübelnd, untersuchend, immer kleinlicher Jahr

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um Jahr seines Lebens und zuletzt seine Seligkeit verlieren, um es bis auf den Punkt über dem Buchstaben ganz bestimmt zu bekommen, was man glauben soll. Dieses Umgekehrte ist eine leere Spiegelfechterei, die bloß sich selbst mehr und mehr wichtig wird, oder ist ein wissenschaftliches, gelehrtes Wesen an unrechter Stelle, also ein wissenschaftliches gelehrtes Unwesen, oder es ist eine feige, unmenschliche und insofern auch unfromme Ängstlichkeit.

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