MATTHIAS CLAUDIUS: VERMISCHTES

 

 

BEKEHRUNGSGESCHICHTE DES – – – –

 

Der Mensch ist freilich mehr als Tier, aber er ist auch Tier und hat tierische Zu-fälle. Das heißt, er hängt mehr oder weniger von seinem jedesmaligen Zustande ab, und an den sinnlichen Eindrücken, die ihm gegenwärtig sind, und urteilt also, wenn der Zustand verändert wird und er andere Eindrücke erhält, von den vori-gen anders, als er zuvor, wegen der Nähe, der Gewohnheit und dem Tumult seiner Sinne und Leidenschaften urteilen konnte; oder: seine Denkart kann von einem Punkt der Peripherie zu dem entgegengesetzten übergehen und wieder zurück zu dem vorigen Punkt, wenn die Umstände ihm den Bogen dahin vor-zeichnen. Und diese Veränderungen sind nicht eben etwas Großes und Interessantes beim Menschen; aber jene merkwürdige, katholische, transzen-dentale Veränderung, wo der ganze Zirkel unwiederbringlich zerrissen wird, und alle Gesetze der Psychologie eitel und leer werden, wo der Rock von Fellen ausgezogen wenigstens umgewandt wird, und es dem Menschen wie Schuppen von den Augen fällt, ist so etwas, dass ein jeder, der sich des Odems in seiner Nase einigermaßen bewusst ist, Vater und Mutter verlässt, wenn er darüber etwas Sicheres hören und erfahren kann. Fast alle Systeme, die Menschen sich von gut und böse machen, sind Ephemera, Kinder des gegenwärtigen Zustan-des, mit dem sie auch wieder dahinsterben; und der Fall ist äußerst selten, dass einer dem System, das er sich gemacht hat, unter entgegengesetzten Umstän-den treu bleibe. Man kann daher allemal sicher zehn gegen eins wetten, dass ein Delinquent, der auf den Tod sitzt, im Gefängnis andere Gesinnungen über gut und böse äußern werde, als er geäußert hat, eh’ er hineinkam und als er noch in offenem Meer schiffte; und es wäre also ein missliches Ding mit den Bekehrungs-geschichten, und ein recht gutes, dass die Religion zum Beweis ihrer Wahrheit der Delinquenten und ihrer Geschichten allenfalls entbehren kann. Überhaupt ist nicht zu begreifen, wozu man sich mit den Freigeistern und Zweiflern so weit-läufig in Demonstrations abgibt, und von ihrer Freigeisterei und Zweifelsucht so viel Aufhebens macht. Christus sagt ganz kurz: “Wer mein Wort hält, der wird inne werden, ob meine Lehre von Gott sei.” Wer diesen Versuch nicht machen kann oder nicht machen will, der sollte eigentlich, wenn er ein vernünftiger und billiger Mann wäre oder nur heißen wollte, kein Wort weder wider noch für das Christentum sagen; und ist er doch so schwach und eitel, dass er, wie Voltaire und Hume etc., ein bisschen Galanterieware zu Markt bringen muss, da könnte man ihn ungestört machen lassen und sich nach ihm nicht umsehen.

 

 

EINE KORRESPONDENZ ZWISCHEN MIR UND MEINEM VETTER, ANGEHEND DIE ORTHODOXIE UND RELIGIONSVERBESSERUNGEN

 

Hochgelahrter, hochzuehrender Herr Vetter!

Ich habe seit einiger Zeit soviel von biblischer und vernünftiger Religion, von orthodoxen und philosophischen Theologen etc. gehört, dass mir alles im Kopf rundum geht, und ich nicht mehr weiß wer recht und unrecht hat. Die Religion aus der Vernunft verbessern, kommt mir freilich ebenso vor, als wenn ich die Sonne nach meiner alten hölzernen Hausuhr stellen wollte; aber auf der andern Seite dünkt mir auch die Philosophie 'n gut Ding, und vieles wahr was den Ortho-doxen vorgeworfen wird. Der Herr Vetter tut mir einen wahren Gefallen, wenn er mir die Sach' auseinandersetzt. Sonderlich ob die Philosophie ein Besen sei, den Unrat aus dem Tempel auszukehren; und ob ich meinen Hut tiefer vor einem orthodoxen oder philosophischen Herrn Pastor abnehmen muss. Der ich die Ehre habe mit besonderem Estim zu verharren,

Meines Hochgelahrten

Hochzuehrenden Herrn Vetters

gehorsamer Diener und Vetter

Asmus.

 

ANTWORT

 

Lieber Vetter!

Die Philosophie ist gut, und die Leute haben unrecht die ihr sogar hohnsprechen; aber Offenbarung verhält sich nicht zu Philosophie wie viel und wenig, sondern wie Himmel und Erde, oben und unten! Ich kann's Ihm nicht besser begreiflich machen, als mit der Seekarte die Er von dem Teich hinter seines sel. Vaters Garten gemacht hatte. Er pflegte gern auf dem Teich zu schiffen, Vetter, und hatte sich deswegen auf seine eigne Hand eine Karte von allen Tiefen und Un-tiefen des Teichs gemacht, und danach schiffte er nun herum, und 's ging recht gut. Wenn nun aber ein Wirbelwind, oder die Königin von Otahite, oder eine Wasserhose Ihn mit seinem Kahn und mit seiner Karte aufgenommen und mitten auf dem Ozean wieder niedergesetzt hätte, Vetter, und Er wollte hier nun auch nach seiner Karte schiffen das ginge nicht. Der Fehler ist nicht an der Karte, für den Teich war sie gut; aber der Teich ist nicht der Ozean, sieht Er. Hier müsste Er sich eine andre Karte machen, die aber freilich ziemlich in blanco bleiben würde, weil die Sandbänke hier sehr tief liegen. Und Vetter, schifft hier nur immer grade zu; auf'n Meerwunder mögt Ihr stoßen, auf den Grund stoßt Ihr nicht. Hieraus mögt Ihr nun selbst urteilen, wieweit die Philosophie ein Besen sei die Spinnweben aus dem Tempel auszufegen. Sie kann auf gewisse Weise 'n solcher Besen sein, ja; mögt sie auch einen Hasenfuß nennen, den Staub von den heiligen Statuen damit abzukehren. Wer aber damit an den Statuen selbst bildhauen und schnitzen will, seht, der verlangt mehr von dem Hasenfuß als er kann, und das ist höchst lächerlich und ärgerlich anzusehen. Paulus, der vieles in der Welt versucht hatte, der auch 'n Sadduzäer und Fort Esprit gewesen und hernach eines andern war belehrt worden, bei allem seinen Enthusiasmus für das neue System, doch aber in seinem Brief an die Römer die Dialektik noch so gut treibt und versteht als einer: dieser alte erfahrne Mann sagt, und bringt darauf seine alten Tage in viel Arbeit und Fährlichkeit zu, und lässt sich fünfmal vierzig Streiche weniger eins darauf geben, „dass der Friede Gottes höher sei denn alle Vernunft!“ – und so 'n Gelbschnabel will räsonieren.

Dass das Christentum alle Höhen erniedrigen, alle eigne Gestalt und Schöne, nicht wie die Tugend mäßigen und ins Gleis bringen, sondern wie die Verwesung gar dahinnehmen soll, auf dass ein Neues daraus werde: das will freilich der Vernunft nicht ein; das soll es aber auch nicht, wenn's nur wahr ist. Wenn dem Abraham befohlen ward aus seinem Vaterlande und von seiner Freundschaft und aus seines Vaters Hause auszugehen in ein Land das ihm erst gezeigt werden sollte; meinst Du nicht, dass sich sein natürlich Gefühl dagegen gesträubt habe, und dass die Vernunft allerhand gegründete Bedenklichkeiten und stattliche Zweifel dagegen hätte vorzubringen gehabt. Abraham aber glaubte aufs Wort, und zog aus. Und es ist und war kein anderer Weg; denn aus Haran konnte er das gelobte Land nicht sehen, und Niebuhrs Reisebeschreibung war damals noch nicht heraus. Hätte sich Abraham mit seiner Vernunft in Wortwechsel abge-geben; so wäre er sicherlich in seinem Vaterlande und bei seiner Freundschaft geblieben, und hätte sich's wohl sein lassen. Das gelobte Land hätte nichts dabei verloren, aber er wäre nicht hineingekommen. Seht, Vetter, so ist's und so steht's in der Bibel.

Da also die heiligen Statuen durch die Vernunft nicht wiederhergestellt werden können; so ists patriotisch, in einem hohen Sinn des Worts, die alte Form unver-letzt zu erhalten, und sich für ein Tüttel des Gesetzes totschlagen zu lassen. Und wenn das ein orthodoxer Herr Pastor heißt; so könnt Ihr für so einen den Hut nicht tief genug abnehmen. Sie heißen aber noch sonst was orthodox.

Nun lebt wohl, lieber Vetter, und wünscht Frieden, lasst Euch übrigens aber den Streit und das Feldgeschrei kein Haar nicht krümmen, und braucht die Religion klüger als sie. – Da steht mir Potiphars Weib vor Augen! Du kennst doch die Potiphar? Diese sanguinische und rheumatische Person packte den Mantel, und Joseph flohe davon. Über das Point saillant, über den Geist der Religion kann nicht gestritten werden, weil den, nach der Schrift, niemand kennt als der ihn empfähet, und denn nicht mehr Zeit zu zweifeln und zu streiten ist. In summa Vetter, die Wahrheit ist ein Riese der am Wege liegt und schläft; die vorüber-gehen, sehn seine Riesengestalt wohl, aber ihn können sie nicht sehen, und legen den Finger ihrer Eitelkeit vergebens an die Nase ihrer Vernunft. Wenn er den Schleier wegtut wirst du sein Antlitz sehen. Bis dahin muss unser Trost sein, dass er unter dem Schleier ist, und gehe Du ehrerbietig und mit Zittern vorüber, und klügle nicht lieber Vetter etc.

 

 

VORREDE DES ÜBERSETZERS 1782

 

( ….. ) dies Buch sei, was es wolle; es lässt die Welt-Angelegenheiten und zeit-lich Ding unangerührt, und predigt Verleugnung eigenen Willens und Glauben an die Wahrheit, predigt die Nichtigkeit dieser Welt, die Blöde und Brechlichkeit der sinnlichen und körperlichen Natur im Menschen und die Hoheit seiner verständi-gen Natur oder seines Geistes, und leitet und treibt auf allen Blättern von dem Sichtbaren zu dem Unsichtbaren, von dem Vergänglichen zu dem Unvergäng-lichen! und das ist doch nichts Böses, und wer möchte das nicht gerne befördert haben? Und so habe ich dies Buch übersetzt, und wer es dazu braucht, der tut sicherlich wohl; und wer es zu eitler und törichter Absicht braucht, der tut nicht wohl, und mag sich besinnen und klug werden. Wir Menschen gehen doch wie im Dunkeln, sind doch verlegen in uns, und können uns nicht helfen, und die Versuche der Gelehrten, es zu tun, sind nur brotlose Künste. Auch ist das Gefühl eigener Hilflosigkeit zu allen Zeiten das Wahrzeichen wirklich großer Menschen gewesen, ist überdem ein feines Gefühl, und vielleicht der Hafen, aus dem man auslaufen muss, um die Nordwestpassage zu entdecken. Der Mensch hat einen Geist in sich, den diese Welt nicht befriedigt, der die Treber der Materie, die Dorn und Disteln am Wege mit Gram und Unwillen wiederkäut, und sich sehnet nach seiner Heimat. Auch hat er hier kein Bleiben und muss bald davon. So lässt es sich an den fünf Fingern abzählen, was ihm geholfen sein könne mit einer Weis-heit, die bloß in der sichtbaren und materiellen Natur zu Hause ist. Sie kann ihm hier auf mancherlei Weise lieb und wert sein, nachdem sie mehr oder weniger Stückwerk ist; aber sie kann ihm nicht genügen. Wie könnte sie das, da es die körperliche Natur selbst nicht kann und sie ihn auf halbem Wege verlässt, und, wenn er weggetragen wird, auf seiner Studierstube zurückbleibt, wie sein Globus und seine Elektrisier-Maschine? Was ihm genügen soll, muss in ihm, seiner Natur, und unsterblich wie er sein; muss ihn, weil er hienieden einhergeht, über das Wesen und den Gang dieser körperlichen Natur und über ihre Gebrechen und Striemen weisen und trösten und ihn in dem Lande der Verlegenheit und der Unterwerfung in Wahrheit unverlegen und herrlich machen; und wenn er von dannen zieht, mit ihm ziehen durch Tod und Verwesung, und ihn wie ein Freund zur Heimat begleiten. Solch eine Weisheit wird freilich in keinem Buch gefunden, wird nicht um Geld gekauft, noch mit Halbherzigkeit zwischen Gott und dem Mammon. Zeuch deine Schuhe aus, denn da du aufstehest, ist ein heilig Land! Aber sie ist, das wissen wir; und wer sich des Odems in einer Nase bewusst ist, nimmt das zu Herzen, und wenn er sie in der sichtbaren und materiellen Natur und in einem eigenen Dünkel nicht findet, lässt er sich guten Rat warnen und sucht sie auf einem andern Wege.

 

 

PASSE-TEMS.

ZWISCHEN MIR UND MEINEM VETTER IN DER SCHNEIDERSTUNDE (TWILIGHT)

 

„Ich wollte, dass der Herr Vetter bei Kasse wäre; ich brauche ‘n Gulden Geld.”

„Etwa eine neue Kanone? Oder irgend eine schöne Erzstufe fürs Kabinet???"

„Nein! Ich wollte mir den Kulmus kaufen. Das von der Weisheit geht mir so im Kopf herum und von der Selbst-Erkenntnis, die dazu führen soll. Vetter, ich will und muss den Menschen, will und muss mich selbst erkennen lernen.”

„Und das denkst du mit dem Kulmus zu zwingen?”

„Ja, der soll's beschrieben und gekonterfeiet haben, wie der Mensch innerlich gestaltet ist.”

„Nun denn, da ist 'n Gulden. Nur sei fleißig, und merke wohl! wie der Zwölffinger-Darm und die Glans pinealis etc. etc. aussehen; denn du sollst uns diesen Winter, wenn die langen Abende kommen, ein Collegium anatomicum lesen, und unser Praesector und Kulmus werden. Aber höre, weil du's bist, muss ich dir eins sagen: nämlich dass der obgedachte Zwölffinger-Darm und die Glans pinealis etc. etc., ob sie gleich tief im Abdomine und Cerebro stecken, doch eben so äußerlich sind als deine Nase.”

„Denn gehen der Darm und die Glans mich auch nichts an.”

„Warum nicht? – Es ist doch nützlich und angenehm, das zu wissen, und wenn du gleich kein Doktor werden willst??”

„So glaubt der Herr Vetter in Ernst nicht, dass ich beim Kulmus das Innerliche sehen werde?”

„Du musst's versuchen. Nur wenn du etwa der Art nichts sehen solltest, dass du mir nicht kommst und sagest: es sei auch nichts Innerliches! Denn dazu sind mir mein Vetter und mein Gulden zu lieb. Um dich indessen vorläufig einigermaßen zu orientieren, so merke wie folget: Was du mit deinen zwei Augen sehen willst, das muss auch mit deinen zwei Augen können gesehen werden; was aber mit deinen zwei Augen gesehen werden kann, das ist äußerlich; und was äußerlich ist, das ist nicht innerlich.”

„So bin ich unrecht berichtet. Da hat der Herr Vetter den Gulden wieder.”

„Nicht doch, Vetter. Seht's an! Dazu habt Ihr ja Eure zwei Augen, dass Ihr damit ansehet, was Ihr damit sehen könnt. Auch möget Ihr aus dem Äußerlichen des Innerlichen wohl wahrnehmen, und vielleicht kluge Vermutungen machen. Ich sage nur davon, dass das Innerliche selbst nicht mit euren zwei Augen gesehen werden kann, und dass ihr sie, was das anlangt, sicher zumachen könnet, ohne etwas zu verlieren.”

„Ist der Herr Vetter 'n Freund von Schwärmerei?”

„Bist du toll?”

„Aber, wo die zwei Augen aufhören, geht da nicht die Schwärmerei an?”

„Da sei Gott für! Das wäre der Wahrheit das Terrain sehr klein zuschneiden, oder vielmehr ihr gar keins geben; denn ihr wisst, dass es Leute gibt, die da sagen: in dem, was vor Augen ist, sei keine Wahrheit! Nein Vetter, die Schwärmerei fängt da weder an, noch hört sie da auf; denn wenn Löwenhoeck oder Linneus Wunder-Tierchen und Würmer sehen, die nicht da sind; so sind sie auch Schwärmer. Nur auf dem andern Gebiet ist die Entscheidung nicht so leicht, weil es da mit dem Augenzeugnis und den Augenzeugen, in deren Mund bekanntlich die Wahrheit besteht, mehr Schwierigkeiten hat. Auch will ich dir zugeben, dass auf diesem Gebiet kein Mangel an Schwärmerei sei, und dass da vieles für Wahrheit ausgegeben werde, was Schwärmerei ist; und das taugt nicht, Vetter, und soll nicht sein. Aber du kannst auch glauben, dass vieles da für Schwärmerei gehalten wird, das Wahrheit ist; und das taugt noch weniger, und ist großer Verlust, nämlich für die, so es für Schwärmerei halten, denn die andern verlieren nichts dabei.”

„Wie weiß ich denn aber, was Wahrheit und was Schwärmerei ist?”

„Hör'! Wer dir darüber was Gescheites sagen soll, der muss klüger sein als ich bin. Sprechen und schreiben lässt sich viel von Schwärmerei; aber du weißt, wie das denn so mit dem Sprechen und Schreiben ist. Das Allgemeine der Sache ist nicht so schwer; und das hab' ich dir schon gesagt, und will's dir der Deutlichkeit wegen noch einmal an einem Exempel vorhalten. Du liesest Zeitungen, weiß ich, ohne eben ein großer Politikus zu sein. Da wirst du denn unter andern auch von deiner Lieblingsfestung Gibraltar gelesen haben, dass sie den vorigen Herbst sehr warm gehalten ward; und dass sie anfing, Mut und Tapferkeit ausge-nommen, an allem Mangel zu leiden, endlich dass Lord Howe den 11. September mit einer mächtigen Flotte von England absegelte, um dem klugen Gouverneur zu bringen, was er nicht hatte. Du kannst denken, dass die Soldaten zu Gibraltar, als sie die letzte Tonne Pulver und Zwieback angebrochen hatten, fleißig werden nach Westen geguckt haben, und dass ein jeder von ihnen sehr geneigt gewesen ist, eine in der Ferne kreuzende französische oder spanische Fregatte für das erste Schiff von Barringtons Division zu halten.

Wenn nun das der Fall gewesen wäre, oder wenn den 7. oder 8. Oktober, als Howe noch auf der Höhe von Lissabon mit den Stürmen kämpfte, ein Soldat zu Gibraltar sich von den Wällen die Augen blind geguckt, und sich endlich eingebil-det hätte, die hilfreiche Flotte zu sehen?”

„Der wäre ein Schwärmer gewesen.”

„Und wenn dieser Soldat seinen Kameraden alles genau und haarklein beschrie-ben hätte, Vorder- und Hinter-Treffen, Flaggschiffe und Transportschiffe, Kutters und Fregatten etc. etc. und darauf geschworen hätte, dass er das alles wirklich sehe???”

„Wäre ein Schwärmer gewesen.”

„Und wenn er so lange hinaus ins Meer gezeigt und gefingert hätte, dass er sich einen Anhang gemacht, und die nun, wie er, das alles auch gesehen hätten?”

„Wäre ein Schwärmer gewesen.”

„Und wenn er vor Überzeugung eine Rations und Portions auf drei Tage, flugs und auf einmal verzehrt und seiner Partei das nämliche geraten hätte, weil Howe vor der Tür sei und mehr bringe? etc.”

„Wäre ein Schwärmer gewesen.”

„Gut das! Umgekehrt: Howe ist wirklich im Anzuge, und eine Schildwache hat Augen, die eine halbe Meile weiter tragen, als die Augen der übrigen Garnison, wie das ja mit den Augen verschieden ist. Und nun soll diese Schildwache die englische Flotte in der halben Meile weiter wirklich daherkommen sehen???”

„Der wäre kein Schwärmer.”

„Und wenn die ganze Garnison, und alle berühmte Seher unter ihnen, und alle Ingenieurs und Konstabels, und die Magazin- und Proviant-Meister, und der Regiments-Feldscheer und der Bibliothekar von Gibraltar, und selbst der alte menschlich gesinnte Elliot nichts sahen?

„Wäre kein Schwärmer.”

„Die Garnison bestand etwa aus vier bis sechs tausend Mann; wenn ihrer hundert tausend gewesen wären, die alle nichts sahen???”

„Wäre kein Schwärmer.”

„Und wenn sie alle über die Schildwache gelacht und demonstriert hätten, dass sie toll und wahnsinnig sei? etc.”

„Wäre kein Schwärmer.”

„Also: nicht der mehr sieht als die andern, sondern der sich mehr einbildet zu sehen, als er wirklich sieht, der ist ein Schwärmer. Und merke noch an diesem Exempel, dass der Ingenieur und Feldscheer und Bibliothekar und alle die hunderttausend Lacher auf gewisse Weise bona fide agieren und Recht haben können: denn sie sahen wirklich nichts, und so weit ihr Auge reichte, war keine Flotte. Der Fehler ist nur der, dass sie auch über die halbe Meile weiter richten wollten, wo ihre Augen nicht mehr judices competentes waren.” (…..)

 

 

BRIEF VON MATTHIAS CLAUDIUS AN SEINEN SOHN JOHANNES

 

An meinen Sohn Johannes. (1799.)

 

Gold und Silber habe ich nicht; was ich aber habe, gebe ich dir.

 

Lieber Johannes!

Die Zeit kommt allgemach heran, dass ich den Weg gehen muss, den man nicht wieder kommt. Ich kann dich nicht mitnehmen, und lasse dich in einer Welt zu- rück, wo guter Rat nicht überflüssig ist. Niemand ist weise vom Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier, und fegen die Tenne. Ich habe die Welt länger gesehen, als du. Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzet, und ich habe manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich verließ, brechen sehen. Darum will ich dir einigen Rat geben, und dir sagen, was ich funden habe, und was die Zeit mich gelehret hat. Es ist nichts groß, was nicht gut ist; und ist nichts wahr, was nicht bestehet.

Der Mensch ist hier nicht zu Hause, und er geht hier nicht von ungefähr in dem schlechten Rock umher. Denn siehe nur, alle andre Dinge hier, mit und neben ihm, sind und gehen dahin, ohne es zu wissen; der Mensch ist sich bewusst, und wie eine hohe bleibende Wand, an der die Schatten vorüber gehen. Alle Dinge mit und neben ihm gehen dahin, einer fremden Willkür und Macht unterworfen; er ist sich selbst anvertraut, und trägt sein Leben in seiner Hand. Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts oder links gehe. Lass dir nicht weiß machen, dass er sich raten könne und selbst seinen Weg wisse. Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare siehet er nicht und kennet sie nicht. Spare dir denn vergeb-liche Mühe, und tue dir kein Leid, und besinne dich dein. Halte dich zu gut, Böses zu tun. Hänge dein Herz an kein vergänglich Ding. Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten. Was du sehen kannst, das siehe, und brauche deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halte dich an Gottes Wort. Bleibe der Religion deiner Väter getreu, und hasse die theologischen Kannengießer.

Scheue niemand so viel, als dich selbst. Inwendig in uns wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen Stimme uns mehr gelegen ist, als an dem Beifall der ganzen Welt und der Weisheit der Griechen und Ägypter. Nimm es dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme zu tun; und was du sinnest und vorhast, schlage zuvor an deine Stirne und frage ihn um Rat. Er spricht anfangs nur leise und stammelt wie ein unschuldiges Kind; doch, wenn du seine Unschuld ehrst, löset er gemach seine Zunge und wird dir vernehmlicher sprechen. Lerne gerne von andern, und wo von Weisheit, Menschenglück, Licht, Freiheit, Tugend etc. geredet wird, da höre fleißig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings, denn die Wolken haben nicht alle Wasser, und es gibt mancherlei Weise. Sie meinen auch, dass sie die Sache hätten, wenn sie davon reden können und davon reden. Das ist aber nicht, Sohn. Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behende dahin fahren, da sei auf deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schrittes. Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern; und wo Geräusch auf der Gasse ist, da gehe fürbass. Wenn dich jemand will Weisheit lehren, so siehe in sein Angesicht. Dünket er sich noch, und sei er noch so gelehrt und noch so berühmt, lass ihn und gehe seiner Kundschaft müßig. Was einer nicht hat, das kann er auch nicht geben. Und der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll. Und der ist nicht weise, der sich dünket, dass er wisse; sondern der ist weise, der seiner Unwissenheit inne geworden und durch die Sache des Dünkels genesen ist. Was im Hirn ist, das ist im Hirn, und Existenz ist die erste aller Eigenschaften.

Wenn es dir um Weisheit zu tun ist, so suche sie und nicht das deine, und brich deinen Willen, und erwarte geduldig die Folgen. Denke oft an heilige Dinge, und sei gewiss, dass es nicht ohne Vorteil für dich abgehe und der Sauerteig den ganzen Teig durchsäuere. Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist ge-meint, und du weißt nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne. Es ist leicht zu verachten, Sohn, und verstehen ist viel besser. Lehre nicht andre, bis du selbst gelehrt bist. Nimm dich der Wahrheit an, wenn du kannst, und lass dich gerne ihretwegen hassen; doch wisse, dass deine Sache nicht die Sache der Wahrheit ist, und hüte, dass sie nicht in einander fließen, sonst hast du deinen Lohn dahin. Tue das Gute vor dich hin, und bekümmre dich nicht, was daraus werden wird. Wolle nur einerlei, und das wolle von Herzen. Sorge für deinen Leib, doch nicht so, als wenn er deine Seele wäre. Gehorche der Obrig-keit, und lass die andern über sie streiten. Sei rechtschaffen gegen jedermann, doch vertraue dich schwerlich.

Mische dich nicht in fremde Dinge, aber die deinigen tue mit Fleiß. Schmeichle niemand, und lass dir nicht schmeicheln. Ehre einen jeden nach seinem Stande, und lass ihn sich schämen, wenn er's nicht verdient. Werde niemand nichts schuldig; doch sei zuvorkommend, als ob sie alle deine Gläubiger wären. Wolle nicht immer großmütig sein, aber gerecht sei immer. Mache niemand graue Haare, doch wenn du Recht tust, hast du um die Haare nicht zu sorgen. Misstraue der Gestikulation, und gebärde dich schlecht und recht. Hilf und gib gerne, wenn du hast, und dünke dir darum nicht mehr, und wenn du nicht hast, so habe den Trunk kalten Wassers zur Hand, und dünke dir darum nicht weniger. Tue keinem Mädchen Leides, und denke, dass deine Mutter auch ein Mädchen gewesen ist. Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagest. Hänge dich an keinen Großen. Sitze nicht, wo die Spötter sitzen, denn sie sind die elendesten unter allen Kreaturen. Nicht die frömmelnden, aber die frommen Menschen achte, und gehe ihnen nach. Ein Mensch, der wahre Gottesfurcht im Herzen hat, ist wie die Sonne, die da scheinet und wärmt, wenn sie auch nicht redet. Tue was des Lohnes wert ist, und begehre keinen. Wenn du Not hast, so klage sie dir und keinem andern. Habe immer etwas Gutes im Sinn.

Wenn ich gestorben bin, so drücke mir die Augen zu, und beweine mich nicht. Stehe deiner Mutter bei, und ehre sie, so lange sie lebt, und begrabe sie neben mir. Und sinne täglich nach über Tod und Leben, ob du es finden möchtest, und habe einen freudigen Mut; und gehe nicht aus der Welt, ohne deine Liebe und Ehrfurcht für den Stifter des Christentums durch irgend etwas öffentlich bezeuget zu haben.

Dein treuer Vater.

 

 

EINE PARABEL

 

Es war eine Zeit, wo die Menschen sich mit dem, was die Natur brachte, be-helfen, und von Eicheln und andrer harter und schlechter Kost leben mussten. Da kam ein Mann, mit Namen Osiris, von Ferne her, und sprach zu ihnen: Es gibt eine bessere Kost für den Menschen, und eine Kunst, sie immer reichlich zu schaffen; und ich komme, euch das Geheimnis zu lehren. Und er lehrte sie das Geheimnis, und richtete einen Acker vor ihren Augen zu, und sagte: „Seht, das müsst ihr tun! Und das Übrige tun die Einflüsse des Himmels!” Die Saat ging auf, und wuchs, und brachte Frucht, und die Menschen waren des sehr verwundert und erfreuet, und baueten den Acker fleißig und mit großem Nutzen.

In der Folge fanden einige von ihnen den Bau zu simpel, und sie mochten die Beschwerlichkeiten der freien Luft und Jahrzeiten nicht ertragen. Kommt, spra-chen sie, lasst uns den Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und Mauern einfassen, und ein Gewölbe darüber machen, und denn da drunter mit Anstand und mit aller Bequemlichkeit den Ackerbau treiben; die Einflüsse des Himmels werden so nötig nicht sein, und überdem sieht sie kein Mensch. Aber, sagten andere: Osiris ließ den Himmel offen, und sagte: „das müsst ihr tun! Und das Übrige tun die Einflüsse des Himmels!” Das tat er nur, antworteten sie, den Ackerbau in Gang zu bringen; auch kann man noch den Himmel an dem Gewöl-be malen.

Sie fassten darauf ihren Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und Mauern ein, machten ein Gewölbe darüber, und malten den Himmel daran. – Und die Saat wollte nicht wachsen! Und sie baueten, und pflügten, und düngten, und ackerten hin und her – Und die Saat wollte nicht wachsen! Und sie ackerten hin und her. Und viele von denen, die umher standen und ihnen zusahen, spotteten über sie! Und am Ende auch über den Osiris und sein Geheimnis.

 

 

PRÄNUMERATIONS-ANZEIGE

 

( ….. ) Der Mensch lebet nicht vom Brot allein, das die Gelehrten einbrocken; sondern ihn hungert noch nach etwas Andern und Bessern, nach einem Wort, das durch den Mund Gottes gehet. Und dieses Andre und Bessere, dies Wort, das uns auf der Zunge schwebt, und wir alle suchen, ein jeder auf seine Art, finde ich zu meiner großen Freude im Christentum, wie es die Apostel und unsere Väter gelehrt haben. – Sollte ich damit zurückhalten und hehlen, weil es hie und da nicht die öffentliche Meinung ist, und berühmte und unberühmte Leute es besser wissen wollen, und darüber spotten? Was kümmert mich berühmt und unberühmt, wo von ernsthaften Dingen die Rede ist? Und was gehen Meinungen mich an, in Dingen, die nicht Meinung sind, sondern Sache; frägt man auch den Nachbar, ob die Sonne scheint? Und die berühmten Leute, die sich klug dünken, wissen zwar manches besser; aber es könnte doch sein, dass sie nicht wüssten, was sie am Christentum haben, und wie gut und klug sie, und alle Menschen, daraus werden könnten, wenn der Schlösser so viel nutzte als das Schloss.

Es stehet nur wenigen an, dies große Thema zu dozieren; aber auf eine Art, und in allen Treuen aufmerksam darauf zu machen; durch Ernst und Scherz, durch gut und schlecht, schwach und stark und auf allerlei Weise, an das Bessere und Unsichtbare zu erinnern; mit gutem Exempel vorzugehen, und taliter qualiter durch's factum zu zeigen, dass man – nicht ganz und gar ein Ignorant, nicht ohne allen Menschenverstand – und ein rechtgläubiger Christ sein könne … das steht einem ehrlichen und bescheidnen Mann wohl an. Und das ist am Ende das Gewerbe, das ich als Bote den Menschen zu bestellen habe, und damit ich bisher treuherzig herumgehe, und allenthalben an Tür und Fenstern anklopfe. Ich werde auch im siebenten Teil das nämliche Gewerbe treiben, und fortfahren, meine ungeheuchelte und unbegrenzte Achtung für das alte apostolische Christentum zu bezeugen und an den Tag zu legen. Und, wahrlich, ich müsste nicht glauben, was ich glaube, und nicht wissen, was ich weiß, wenn ich das nicht tun sollte, sonderlich zu einer Zeit, wo der apostolische Christus, an mehr als einem Ort, den Menschen aus den Augen gerückt, und ein andrer unterge-schoben wird, aus dem man nicht klug werden kann, und der freilich keine Wunder tut und nichts ist; denn sie können ihn ja nicht mehr machen als sie sind, wenn sie ihn nach ihrer Vernunft modeln, und nicht lassen wollen, was er ist, und wie er uns von Gott gegeben worden. (…..)

 

 

VORREDE ZU DER ÜBERSETZUNG VON FENELONS WERKEN RELIGIÖSEN INHALTS

 

Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht, und sein innerstes Wesen sehnt sich nach dem Vollkommnen, Ewigen und Unendlichen, als seinem Ursprung und Ziel. Er ist hier aber an das Unvollkommne gebunden, an Zeit und Ort; und wird dadurch gehindert und gehalten, und von dem väterlichen Boden getrennt. Und darum hat er hier keine Ruhe, wendet und mühet sich hin und her, sinnet und sorgt, und ist in beständiger Bewegung zu suchen und zu haben, was ihm fehlt und ihm in dunkler Ahndung vorschwebt. Da er sich aber nicht anders, als in und mit seinem Hindernis bewegen kann; so ist sein Mühen umsonst und vergebens, was er auch tue und welchen Fleiß er auch anwende. Er kann, rundum in seinem Zirkel, Entdeckungen machen, viel und mancherlei finden, Schönes und Nützli-ches, Scharfsinniges und Tiefsinniges; aber zu dem Vollkommnen kann er, sich selbst gelassen, nicht kommen; denn er bringt, wie gesagt, gerade was ihm im Wege ist und hindert in alles mit, was er beginnet und tut, und kann nicht über sich selbst hinaus. Soll er zu seinem Ziel kommen; so muss für ihn ein Weg einer andern Art sein, wo das Alte vergeht und alles neu wird, wo das Hindernis, das ihm im Wege ist und hindert und das er selbst nicht abtun kann, durch eine fremde Hand abgetan; und er, nicht so wohl belehrt, als verwandelt und über sich und diese Welt gehoben und so der vollkommnen Natur teilhaftig wird. Und diesen Weg, der das Geheimnis des Christentums ist, lästern und verbessern die Menschen, und wollen lieber auf ihrem Bauch kriechen und Staub essen.

Es ist aber darum nicht weniger groß und heilig, und darum nicht weniger wert, dass wer sich des Odems in seiner Nasen bewusst ist alles für nichts achte und Vater und Mutter verlasse, um hineinzuschauen und sein teilhaftig zu werden. Wenn nun gleich hier mit „Weisheit“ und „Kunst“ nichts ausgerichtet ist, und die Gabe Gottes nicht um Geld und um keine zeitliche Gesinnung verkauft wird, und der Mensch nichts nehmen kann, es werde ihm denn vom Himmel gegeben; so kann er sich doch, durch eine gewisse fortgesetzte Behandlung und Richtung seiner selbst, empfänglicher machen, und der fremden Hand den Weg bereiten.

Von diesem Wegbereiten und Empfänglichmachen etc. handelt der Erzbischof Fenelon in den hier übersetzten Werken, und teilt darin, nicht als ein Klügling und Urteiler des Weges und als Menschen zu gefallen, sondern als einer, der die Sache versucht hat und dem an seiner und anderer Menschen Seligkeit gelegen ist, seine Erfahrungen und seinen Rat einfältig und unbefangen mit. Und es kann nicht fehlen, ob er wohl eigentlich für die Christen seiner Konfession geschrieben hat und die der andern, in einigen Punkten, verschiedener Meinung sind, dass nicht alle, denen ein Kampf verordnet ist und die eine Hoffnung und einen Jesum Christum haben, ihn gern und mit Nutzen lesen werden. Und vielleicht werden selbst von den Nicht-Christen und Un-Christen, einige durch die Milde und den Ernst dieses liebenswürdigen Schriftstellers veranlasst, ihren Weg noch einmal in Überlegung zu nehmen, so sehr sie auch glauben, desselben gewiss zu sein.

Die Geschichte des griechischen Jünglings ist bekannt: der kam, auch seines Weges und seines Glücks gewiss, das Haar nach dem Sinn der Zeit mit Rosen bekränzt in den Hörsaal eines Weisen, der von dem unsterblichen Geist, der im Menschen ist, und von seinem wahren Glück redete. Und als er ihm eine Zeitlang zugehöret hatte, riss er heimlich und verstohlen eine Rose nach der andern herunter, und warf sie an die Erde.

 

 

VALET AN MEINE LESER

Und somit will ich Feierabend machen, und von meinen Lesern Abschied nehmen, und zu guter Letzt noch einmal Hand geben. Ich entschuldige mich über meine Werke bei ihnen nicht. Ich bin kein Gelehrter, und habe mich nie für etwas ausgegeben. Und ich habe, als einfältiger Bote, nichts Großes bringen wollen, sondern nur etwas Kleines, das den Gelehrten zu wenig und zu geringe ist. Das aber habe ich nach meinem besten Gewissen gebracht; und ich sage in allen Treuen, dass ich nichts Bessers bringen konnte. Das Meiste ist Einfassung und Spielwerk, das als ein Blumen-Kranz um meinen „Becher kalten Wassers” ge-wunden ist, dass er desto freundlicher ins Auge falle. In diesem siebenten und letzten Teile habe ich des Ernstes etwas mehr getan, und die Fahne etwas höher aufgezogen, dass man am Ende sehe, von welcher Seite die Luft geht. Sollte ich nun damit unter den Herren Gelehrten und Wortführern wieder böse Leute gemacht haben, so wäre mir das leid. Aber ich konnte mich doch ihretwegen nicht genieren. Ich musste tun, was recht ist, und was ich gleich in der Dedication vor dem ersten Teile dem bewussten Freund versprochen habe; er soll nun bald kommen, und ich darf es mit ihm nicht verderben. Am Ende wird ja was wahr und nützlich ist, auch wohl wahr und nützlich bleiben, wenn es von den Gelehrten auch nicht gelobt wird.

Man ist nur einmal in der Welt, und ist nicht darin, ihr nach dem Sinne zu reden, und Heckerlinge zu schneiden. Es schafft nicht, dass der Mensch mit niederge-schlagenen Augen sitze, und sich räuspere und seufze; er soll die Augen frei aufschlagen und frisch und fröhlich um sich sehen. Aber man kleinmeistert und lacht sich nicht durch die Welt, und die sind übel berichtet, die da glauben und lehren, dass die Menschen hier nichts anderes zu tun hätten, und dass sie hier so recht à leur aise wären. Sehe doch einer nur an, wie sie in die Welt herein-kommen und wie sie wieder hinausgehen, wes Standes und Ehren sie sind! – Wer dazu lachen und sich das aus dem Sinne schlagen, oder sich darüber mit den Kategorien etc. trösten kann, der mag ein Philosoph sein; aber ein vernünf-tiger Mensch ist er nicht. Und auch zwischen dem Herein und Hinaus, selbst wenn es am besten geht, was ist denn der Mensch, und was hat er? – Er hat Himmel und Erde, Meer und Land, Berg und Tal, Sonne und Mond etc. und die sind groß und herrlich; aber, recht beim Licht besehen, ist alles, was man sieht, doch nur äußere Rinde und Kruste, schöne Kisten und Kasten mit Kleinodien, zwischen denen der Mensch herumgeht wie ein Knecht, vor dem der Herr sie verschlossen hat. Er fühlt wohl, dass es anders sein könnte; denn was sind seine kühnen Vermutungen und seine Träume über den inwendigen Zusammenhang und die verborgenen Triebfedern der Natur anders, als Zeichen und Beweise seines Anrechts an ihre Erkenntnis? – Aber ein Anrecht ist sequestriert, und er geht, neben dem Born des Lichts, hungrig und durstig nach Erkenntnis, und muss es sich kalt und warm um die Nase wehen lassen, und mit allen Elementen kämpfen, bis sie ihn wieder verschlungen haben. – Man tröstet sich mit der innerlichen Größe des Menschen, und gloriert über das Hohe und Göttliche seines Verstandes und seiner Vernunft. Ja wohl, ist der Mensch groß und gött-lich; aber grade hier ist es, wo einem das Glorieren vergeht und die Tränen in die Augen treten, wenn man sieht und gewahr wird, dass das Große und Göttliche wider seine Natur in uns gehemmt ist; und es sollte walten. Der Weg, den der Mensch in dem, was Künste und Wissenschaften heißt, dazu einschlägt, ist lobenswert und edel; aber sie sind höchstens, wofür sie auch in alten Zeiten nur gegolten haben, ein Weg und nicht das Ziel; und wer sie für das Ziel nimmt und darin hängen bleibt, der verkauft seine Erstgeburt um ein Linsengericht, der sattelt in der Wüste ab, um das Pferd zu bewundern und bewundern zu lassen, mit dem er weiter und ins gelobte Land reiten sollte, wo der Almosenpfleger wohnt. – Die Reinigung kann ja nicht in dem Gebrauche des Ungereinigten be-stehen, und wenn der Eimer von eigner Weisheit voll ist, kann ja keine andre hinein. Und darum muss, wenn was Gescheites werden soll, alle eigne Weisheit und aller Selbstdünkel zu Kreuze kriechen und der sokratischen Unwissenheit Platz machen.

Nur in der Niedre sammelt sich das Wasser, und dem Almosen gebührt ein Mann in Lumpen, wie auch Ulysses erfahren hat; denn nicht als Held und Feldherr, sondern in Bettlers Gestalt fand er seine Penelope wieder. So ist das Denken und die Denkkraft ja auch nur die Hälfte des Menschen, und noch dazu die unrechte Hälfte, mit ihr die Veränderung und Besserung des Ganzen anzufan-gen, weil sie an und in sich selbst fest steht. So wenig es von mir abhängt, Schwarz als Schwarz zu sehen, eben so wenig hängt es von mir ab, den pythagorischen Lehrsatz z. E. wahr oder nicht wahr zu finden. Aber der Wille, der kann wollen und sich ändern und so auf die Denkkraft influieren. Und wer wie Gott wollen kann, der wird auch wie Gott denken lernen, er sei gelehrt oder ungelehrt, ein Polyhistor oder ein Schuster. Also auf eine gewisse Gestalt des inwendigen Menschen kommt es an, auf eine gewisse innerliche Denkart, Fassung, Haltung etc., die man sich vorsetzen und darnach man streben muss. Und da ist es, dünkt mich, von allem Übrigen abgesehen und wes Glaubens man sonst auch sei, ein vernünftiger Rat: dass man sich eine Gestalt vorsetze, die Stand hält und die man unter allen Umständen fest halten kann. Was vorüber-geht, ist ohne Zweifel nicht so gut, als was währt; und es schickt sich für den Menschen nicht, andern und andern Sinnes zu werden, und wie ein Chamäleon die Farbe zu ändern, je nachdem die Lichtstrahlen auf ihn fallen. Aber über eine Gestalt, die Stand halte, und sich unter allen Umständen fest halten lasse, sind die Meinungen sehr verschieden, und ein jeder denkt sie sich auf seine Art; der Weltbiedermann so, und der Gymnosophist anders; und a priori und ohne Erfahrung hat wohl noch niemals ein Mensch die rechte getroffen. Man stimmt immer zu hoch oder zu tief, und muss denn, wenn die Erfahrung eintritt, um-stimmen, und das gibt viel Sorge und Mühe. Doch es ist ein köstlich Ding, dass das Herz, oder diese Gestalt, fest sei; und man kann sich um eine solche nicht zuviel Mühe geben. Die Leser werden aber finden, dass sie desto unfester ist, je mehr Sinnlichkeit in ihr obwaltet, und dass man sich also sauer werden lassen und manches versagen und aus dem Sinne schlagen muss, um sie nach und nach davon zu säubern und fest zu machen. Diese Welt und die Dinge, die darin sind und zu ihr gehören, liegen uns nahe, und die Natur hängt sich gerne an und sammelt sie; aber sie sind nur ein luftig Wesen und ein trüglicher Schatz. Auch das Zeitliche und Sichtbare an uns selbst hat nicht Bestand und Wert, ist nur ein brechlicher Verschlag, und inwendig wohnen wir.

Was unsichtbar und geistig ist, das nur ist fest und ewig. Und der Art sind auch die rechten Schätze, die der Rost nicht frisst, und die jene Gestalt unbeweglich und feuerfest machen. Und die sammelt der Glaube. Aber Glaube ist in der gelehrten Welt ein unbekannt Ding. Er existiert nicht in abstracto, und wo er in die Hand genommen wird, um besehen zu werden, da gebiert er nichts als Hader und Zank; wo er aber in einem natürlichen Acker, in einem Menschen-Herzen, wohnet und wurzelt, da zeigt er wohl, was er ist und was er kann, und wie er hier dem Menschen conveniere. Sehen wir's doch im Kleinen und in Dingen dieser Welt, wie ein Mensch, der Glauben und Vertrauen zu sich und seiner Sache hat, mit Vollherzigkeit und Sicherheit fährt, wie ihm alles von der Hand geht, und es mit ihm, gegen den dürren, hagern, unschlüssigen Klügler, gar ein ander Leben und Wesen ist. Was wird es denn sein mit einem, der ewigen unvergänglichen Dingen vertraut, der an einen allgegenwärtigen souveränen Tröster, einen Stiller alles Haders, glaubt, und eines neuen Himmels und einer neuen Erde wartet? – Der wird, auf dieser Erde, den Fuß in Ungewittern und das Haupt in Sonnen-strahlen haben, wird hier unverlegen und immer größer sein als was ihm be-gegnet, der hat immer genug, vergibt und vergisst, liebt seine Feinde und segnet, die ihm fluchen; denn er trägt in diesem Glauben die bessre Welt, die ihn über alles tröstet, und wo solche Gesinnungen gelten, verborgen in seinem Herzen, bis die rechten Schätze zum Vorschein kommen. – Wir sind nicht umsonst in diese Welt gesetzt; wir sollen hier reif für eine andre werden, und man kann unsern Körper als ein Gradierhaus ansehen, wo das wilde Wasser von dem guten geschieden werden soll. Es ist nur einer, der dazu helfen kann, und dem sei Ehre in Ewigkeit. Gehabt euch wohl.