MATTHIAS CLAUDIUS: BRIEFE AN ANDRES
BRIEF AN ANDRES DIE ILLUMINATION BETREFFEND
Wir haben hier heint Nacht Illumination gehabt, mein lieber Andres. Sieht Er, da hangen denn Lampen in allen Hecken und Bäumen, und sind solche Bogen und Säulen mit Lampen, und so'n S. Michael, der nach dem Lindwurm stößt, und die Gartenhäuser sind voll Lampen über und über, und dicht am Wasser sind Lampen, dass man die Fische kann spielen sehen, und gehn so viel Leut' aus Hamburg im Garten hin und her, sieht Er, und das heißt denn Illumination und ist recht kurios zu sehen, und kosten viel Öl. Ja, Andres, wir beide hätten unser Lebelang daran zu brennen gehabt, aber damit wär' keine Illumination geworden, Andres, und wer'n Öl denn so hat, sieht Er, der lässt'n denn so brennen. Dergleichen Illuminations nun sind nur für große Herren und Potentaten; doch kann unser einer's auch sehen, und Er hätt's auch sehen können, wenn Er nicht immer am unrechten Ort wär'. Ich hätt' 's Ihm wohl vorher melden können, aber ich dachte, 's wäre auch noch Zeit, wenn Er's nur nachher erführe. 's ist hier ein Prinz gewesen und eine Prinzessin, sieht Er, und darum hat's der gnädige Herr auch so schön gemacht, und die Kanonen auch lösen lassen. Wollte doch, dass ich's Ihm vorher geschrieben hätte, so hätt' Er die Kanonen auch hören können. Doch, wenn Er leben soll, hat Er ja wohl noch Gelegenheit, Kanonen zu hören. Ich will's Ihm sonst auch schreiben, wenn wieder Illumination ist.
BRIEF AN ANDRES
Gott zum Gruß!
Mein lieber Andres, wenn Er sich noch wohl befindet, ist's mir lieb. Was mich anlangt, so befind' ich mich itzo in Wandsbeck. Er wird's auch wohl vom Herrn Rektor gehört haben, dass der Kalendermacher und Sterngucker Tychobrahe zu seiner Zeit in Wandsbeck den Sternenlauf betrachtet hat, und dass dieser Tycho-brahe eine Nase von Gold, Silber und Wachs hatte, weil ihm von ohngefähr 'n Edelmann zu nächtlicher Weile eine von Fleisch abduellierte; ich tu' Ihm zu wissen, dass ich keine Nase von Gold, Silber und Wachs hab', und dass ich folglich hier auch den Sternenlauf nicht betrachte. Übrigens ist mir in Ermange-lung eines Bessern zu Ohren gekommen, dass ihm seine Gertrud abgestorben ist. Da Er weiß, dass ich nicht ungerührt bleibe, wenn 'n Hund stirbt, den ich zum ersten Mal sehe, so kann er sich leicht vorstellen, wie mir bei der Nachricht von diesem Todesfall geworden sein mag. Die selige Gertrud hatt' ihre Nücken, aber 's reute sie doch gleich, und sie hatt' auch viel Gutes und hätte wohl länger leben mögen, doch sie ist nun caput, und Er muss sich zufrieden geben. Andres! unterm Mond ist viel Mühe des Lebens, Er muss sich zufrieden geben – ich sitze mit Tränen in den Augen und nag' an der Feder, dass unterm Mond so viel Mühe des Lebens ist, und dass einen jedweden seine eigne Nücken so unglücklich machen müssen!
ALLE WEGE, DIE ZU ETWAS ERNSTHAFTEM FÜHREN,
SIND NICHT GEBAHNT UND LUSTIG
Das ist auch meine Meinung: alle Wege, die zu etwas Ernsthaftem führen, sind nicht gebahnt und lustig; und so gehe ein jeder den Weg, der ihm am meisten frommt. Ein jeder ist sich selbst der Nächste, und muss selbst für sich antworten, was gehen ihn andere Leute an! Darum gehe ein jeder seinen Weg, und tue, was ihm am meisten frommt. Ich für meinen Teil finde meine Rechnung bei dem vorläufigen Planmachen, und der ängstlichen Geschäftigkeit nicht. Mir tut ein stiller gehaltener Wunsch die besten Dienste. Und darum mache ich über die Fälle, die kommen könnten, die Augen lieber zu, und hasse nur immer das Böse und entsage, nach Luthers kräftiger Taufformel, dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen, um so in mir dem Bösen überhaupt zu wehren und Abbruch zu tun. Wenn dem großen Strom sein Wasser geschmälert wird, so vertrocknen die kleinen Bäche, die aus ihm abfließen, von selbst. Und kommen denn die einzelnen Fälle, so bestehe ich sie, so gut ich kann. Und geht es denn, wie es nicht gehen sollte, so grämt mich das, aber ich zerreiße mich nicht, und lasse fünf grade sein. Dies ist nicht so gemeint, als ob man sich gehen lassen, und nicht streiten und widerstehen solle. Man soll freilich widerstehen „bis auf's Blut“, sagt die h. Schrift. Nur soll man von sich nichts erwarten, keinen Gefallen an der Stärke seines Rosses haben, nicht stark sein wollen, und lieber „stark sein, wenn man schwach ist.“ Wer sich vollkommen und ohne Sünde glaubt, der trotzt der Wahrheit, und „die Huren und Zöllner mögen eher ins Himmelreich kommen“. Wer aber „an seine Brust schlägt und auch die Augen nicht aufheben mag gen Himmel“, der gibt ihr die Ehre, und bereitet ihr den Weg. Demut ist der Grundstein alles Guten, und Gott bauet auf keinen andern. Wir haben gesündi-get, wir sind Fleisch und Blut: das müssen wir wissen, und nicht aus dem Auge verlieren. Unsre Untugenden scheiden uns und Gott von einander, und unser schwacher, toter Wille kann, sich selbst gelassen, die Kluft, die dadurch zwischen Gott und uns befestigt ist, nicht durchbrechen, und Bahn zu ihm machen. Er kann nur wünschen, nur wünschen und hoffen. Wenn Gott den Willen lebendig macht, der hats umsonst; wir andern müssen durch innerliche Tätigkeit Rat suchen, und unsern Willen stärken und üben. Denn nur im Willen ist Rat, und sonst nirgends.
Ein jedweder hat wohl seine Art, den Willen zu stärken und zu üben. Doch ist allen Ernst und Entschlossenheit not; denn die sinnliche Natur, die bei allen im Wege steht, ist schwer zu überwinden. Ihr wachsen für einen abgehauenen Kopf drei andere wieder; und der Mensch ist ihr Freund, und redet immer das Wort, und ist behende und schlau, Künste und Auswege zu finden, um sie zu retten. Zum Exempel, wenn eine Neigung in uns aufsteht, und man es fühlt und weiß, dass diese Neigung dem bessern Gesetz in uns Gewalt tut, und dass sie mit ihm unverträglich ist, so will man sich auf diese Unverträglichkeit nicht einlassen, und sucht beide Kräfte mit Entschuldigungen und guten Worten hinzuhalten, dass sie sich nicht unmittelbar berühren, und an einander kommen. Der Weichling fürchtet Entscheidung, und fliehet deswegen den Kampf. Man soll aber Entscheidung wollen, und in seiner Kammer oder Nachts auf dem Lager, die zwei feindlichen Kräfte an einander bringen, und sie in seinem Herzen gleichsam cohibieren, und sich so lange miteinander bewegen, und mit einander ringen lassen, bis man sich aufrichtig bewusst ist, dass das bessere Gesetz die Oberhand erhalten habe, und unsre wahre Meinung und unser wahrer Sinn sei. Mit diesem ersten Sieg ist vieles, aber nicht alles gewonnen. Dieser Sinn wankt wieder, und trübt sich wieder; aber er muss täglich und bei jedem Anlass wieder errungen und wieder gefasst werden, so oft und so lange, bis er in unsrem Inwendigen einheimisch geworden, und so fest und beständig ist, wie in dem Inwendigen einer Eiche der Trieb zu wachsen, den Wind und Wetter und andere äußerliche Zufälle und Umstände hindern, aber, so lange die Eiche steht, nicht vertilgen können. Wenn der Mensch das hat, wenn er mit Wahrheit sagen kann: „ich will mir selbst nicht leben; ich hätte gern das Hohe und Gute; wenn mir das aber nicht beschieden ist, das Niedrige und Böse will ich nicht: Knecht will ich nicht sein“ – wenn der Mensch das, zu jeder Zeit, mit Wahrheit sagen kann, so ist er dem guten Ge-wissen nahe, bis auf die im vorigen Leben begangenen Fehltritte und Vergehun-gen mit ihren Folgen, bis auf die geschehene Beleidigung Gottes, die nicht ungeschehen gemacht werden kann. Wenn wir nur einen rechtlichen Menschen beleidigt haben, so ist er beleidigt, und ein zartes Gemüt kann es nicht ver-gessen. Reue und Zeit heilen wohl die Wunde, aber die Narbe bleibt, und fordert noch immer etwas von uns. Was denn jene Beleidigung! „Für die Gesunden und Starken“ ist kein Rat, denn die Gerechtigkeit Gottes ist unerbittlich. Aber für die Kranken hat Gott hinter ihrem Rücken Gedanken des Friedens gehabt, und durch ein kündlich großes Geheimnis seine Gerechtigkeit in seine Liebe eingewickelt. Die Ehebrecherin ward nicht verdammt, und die große Sünderin durfte seine Füße küssen. In Summa, mit jenem Sinn im Herzen und im Glauben an den Stiller unsers Haders kann der Mensch, ohne hergestellt zu sein, ein gutes Ge-wissen haben, und ruhig abwarten, dass ihm vom Himmel gegeben werde, was sich der Mensch nicht nehmen kann.
DAS HEISST ANTWORTEN!
Also ich soll Dir zum Anfang die Geschichte vom Zinsgroschen erklären! Dass ich Dir etwas erklären soll, dünkt mich eben so, als wenn ich abends vom Lehnstuhl vor meinem seligen Vater predigen musste. Indes ich bin zu Deinem Dienst. Aber Andres, Du machst es mit Deinen Texten wie auf der Hochzeit zu Kana in Gali-läa, wo zuerst der geringere Wein gegeben ward. Die Pharisäer fahren hier freilich sehr übel; was ist da eben für große Freude daran? Im Grund müssen sie einen doch dauern. Und Christus und die Weltweisheit sind nicht Partie egal; man weiß vorher, dass sie immer den kürzeren ziehen muss. Die Art freilich, wie unser Herr Christus sie den kürzeren ziehen lässt, die ist überköstlich und macht alles gut; und so will ich nur gleich anfangen, und weil Du die Geschichte doch so lieb hast, etwas weitläufiger sein, als sonst wohl nötig wäre.
„Da gingen die Pharisäer hin und hielten einen Rat, wie sie ihn fingen in seiner Rede.“
In diesem Rat ward ein Projekt beliebt: ihn sagen zu machen, dass dem Kaiser der Zins nicht gebühre. Eigentlich waren die Pharisäer wider den Kaiser, hatten ihm auch keinen Eid schwören wollen; aber der König der Wahrheit war ihnen noch mehr zuwider, weil sie bei dem noch mehr zu verlieren hatten. Und so schickten sie sich in die Zeit und machten eine Allianz mit dem Kaiser, um sich durch den geringeren Feind den größeren vom Hals zu schaffen. Christus sollte sagen, es sei nicht recht, dass man dem Kaiser Zins gebe, und dann war er verloren, meinten sie, und scheinen sie auf die prompte Justiz in Kameralsachen gerechnet zu haben. Aber wie macht man ihn das sagen? Die schlauen Füchse kannten sich und wussten, dass eine Wanne mit Wasser eher überfließt, wenn sie in Bewegung gesetzt ist. Deswegen beschlossen sie weiter, ihm durch verstelltes Lob und Anerkennung seiner Kompetenz das Herz vorher groß zu machen, seine Wahrhaftigkeit, seinen geraden Sinn und sein Nichtachten der Person vor dem Volk zu loben, damit er geneigt würde, gleich davon eine Probe gegen den Kaiser zu geben.
Das alles war hier nun freilich nicht angebracht; aber sie verstanden das nicht besser, und so sandten sie denn ihre Jünger und sprachen: „Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrest den Weg Gottes recht, und du fragest nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Person. Darum sage uns, was dünket dich? Ists recht, dass man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?“ Und Hero-des Diener mussten gleich mitgehen, damit es bei dem Zeugenverhör desto weniger Weitläufigkeit gäbe, oder als gute Freunde, die den Sieg mit ansehen und ausbreiten helfen sollten. Ja! oder nein! – und in beiden Fällen siegten die Pharisäer. Denn sollte Christus den Zins gutheißen und also dem Hauptprojekt ausweichen, so verdarb ers beim Volk, das den Zins ungern bezahlte und von seinem Messias Befreiung von allem fremden Joch erwartete. Die Sache war sehr klug angelegt und wäre ceteris paribus gewiss zehn- gegen einmal durch-gegangen. Hier, wie gesagt, gings nicht.
„Da nun Jesus merkete ihre Schalkheit, sprach er: Ihr Heuchler, was versuchet ihr mich?“
Das war der freimütige, grade Sinn usw., den sie aus Schalkheit gelobt hatten, wahrhaftig; aber anders, als sie erwarteten. Mathematisch gewiss waren wohl die Pharisäer des guten Ausgangs nicht, denn sonst wären sie selbst gekommen und hätten nicht ihre Jünger geschickt; indes hatten sie doch ohne Zweifel gute Erwartungen, und sie haben ohne Zweifel den deputierten Jüngern in einem nicht geringen Ton von ihrer klugen Anlage und Erfindung gesprochen, und diese hatten gewiss ihre heimliche Freude, dass Christus von dem allen nichts wisse und ihrem ehrbaren Gesicht nicht ansehen werde, was hinter ihrer Frage stecke. Und du kannst denken, wie sie erschrocken sind, als unser Herr Christus anfing zu sprechen und, seiner Gewohnheit nach, nicht dem Gesicht, sondern dem Herzen antwortete.
„Da nun Jesus merkete ihre Schalkheit, sprach er: Ihr Heuchler, was versuchet ihr mich? Weiset mir die Zinsmünze. Und sie reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“
Andres, was ist doch für Sinn in allem, das aus seinem Munde kommt! Es ver-mahnt mich damit so wie mit den Schachteln, wo immer eine in der anderen steht. Seine Antwort kann wohl so ausgelegt werden: Ihr habt die Hoheit und den Schutz des Kaisers anerkannt, und sein Geld in euren Taschen, so müsst ihr auch tun, was das mit sich bringt! Und ich wüsste nicht, was der größte Staats-mann anders hätte sagen können. Aber Christus war mehr als Staatsmann.
„Wes ist das Bild und die Überschrift?“
Er sprach hier zu Pharisäern, die auf Moses' Stuhl saßen, die zwar weder für sich noch für andere aufschließen konnten, aber doch die Schlüssel der Erkenntnis an einem großen Haken an der Seite trugen und sich mit dem Buchstaben des Ge-setzes, als die einzigen wahren Ausleger desselben, brüsteten. Christus verwies ihnen bei einer anderen Gelegenheit diesen ihren blinden Stolz, dass sie mein-ten, das ewige Leben in der Schrift zu haben, und nicht wüssten, wo sie es suchen sollten. Hier war ähnliches. So große Ausleger des Moses mussten ja die Lehre von dem Ebenbilde verstehen, und wo das hingehört, denn es war seine Hauptlehre. Wie konnten sie dann fragen, ob der Zinsgroschen dem Kaiser gehöre, da sein Bild darauf stand? Gott hatte den Menschen gemacht, ein Bild, das ihm gleich sei; der Kaiser hatte auch sein Bild machen lassen, und das war von Silber und stand auf der Zinsmünze. Moses und die Propheten hatten Israel den Weg gelehret, sich vor fremdem Joch und Zinsmünze zu bewahren, nämlich wenn sie an Gott, ihrem Urbilde, von ganzem Herzen hingen und keine anderen Götter hätten neben ihm, usw. „Wes ist das Bild und die Überschrift?“
Fühlst Du nicht den feinen Sinn? So war ein Zipfel ihnen vom Rock abge-schnitten, ein Pfeil aus ihrem eigenen Zeughaus ihnen gewiesen – aber auch nur gewiesen. Über das Ebenbild Gottes hatten die Eiferer für die Religion nichts zu fragen, wohl aber über das silberne Ebenbild des Kaisers. Die Zinsmünze und das Geben oder Nichtgeben derselben war im Grunde eine kleine und unbedeu-tende Angelegenheit, die über ihre Glückseligkeit nichts entschied. Überhaupt war die ganze Frage über das Recht und Unrecht der Zinsmünze eine sehr alberne Frage und gerade so viel, als wenn ein Ehebrecher fragen wollte, ob es recht sei, die auf den Ehebruch gesetzte Strafe zu bezahlen. Du siehst, wie die Pharisäer eigentlich standen, und was von allen Seiten für Anlass und Raum zu bitterer Antwort war, und Gott weiß, dass sie hier nicht unverdient gegeben wäre. Aber er war zu gut, bitter zu sein. Auch war er nicht gekommen, das letzte Wort zu behalten und über die Künste der Pharisäer und Weltweisen zu triumphieren, sondern die Künstler selig zu machen; und das treiben alle seine Handlungen und Reden. Er sagte: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“
Wie unser Herr Christus, so waren auch seine Handlungen und Reden. In sich Gnade und Wahrheit und ewiges Gut, und auswendig armes Fleisch und Blut und Knechtsgestalt. Wenn er des Jairus gestorbenes Töchterlein vom Tode auferwecken will, spricht er: „Das Mägdlein schläft“ und nimmt sie, als ob sie wirklich nur schliefe, bei der Hand und ruft: „Mägdlein, stehe auf“; und ihr Geist kam wieder usw. Wenn er von der über alle Maße hohen Seligkeit seiner wahren Nachfolger sprechen will, sagt er: „Wer mein Wort hält, der wird inne werden, ob meine Lehre von Gott sei.“ So auch hier: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Wie klein von außen! Und doch enthalten die Worte nichts Geringeres für sie als einen und den einzigen Rat, aus aller ihrer Not zu kommen; denn außer der Herstellung des Ebenbildes Gottes in ihnen war alles übrige löchrige Brunnen. Aber nun noch inniger und Mann an Mann.
So wenig die Pharisäer es auch glaubten und wussten, so waren sie doch blind und elend und brauchten Hilfe. Darum hofften sie auch, wiewohl mit Unverstand, auf einen Messias und lehrten das Volk auf ihn hoffen. Der vor ihnen stand und mit ihnen redete, war der große Heiland, der diese Hilfe brachte und sie und alle verirrten Schafe vom Hause Israel in seine Arme sammeln wollte! Ihn verkennen sie und wollen ihn mit Fragen über das Ebenbild des Kaisers überlisten und in Unglück bringen. Und er … vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun; und er weist sie hin auf Hilfe, die ihnen so nahe war, und öffnet die Arme.
„Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“
Das heißt antworten! Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast! Und wir haben noch unsere verkehrten Begriffe vom Golde, vom Menschen und dem Reiche Gottes. Was meinst Du, wenn wir das alles mit anderen Augen ansehen könnten? Da würden wir erst seine Antwort verstehen und die Fülle von Gnade und Wahrheit, die in ihr ist. Sieh, Andres, so geht er mit den Pharisäern um. Willst Du aber sehen, wie sie selbst mit sich umgehen, so lies unter anderem die Geschichte von dem Blindgeborenen, Johannes 9, vom 10. bis 34. Vers inklusive. Ich weiß wohl, die Bibel liegt immer nicht weit von Dir; sie könnte doch aber grade einmal in der anderen Kammer liegen, und so will ich herschreiben:
„Da sprachen sie zu ihm: Wie sind deine Augen aufgetan? Er antwortete und sprach: Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Kot und schmierte meine Augen und sprach: Gehe hin zu dem Teiche Siloah und wasche dich. Ich ging hin und wusch mich und ward sehend. Da sprachen sie zu ihm: Wo ist derselbige? Er sprach: Ich weiß nicht. Da führeten sie ihn zu den Pharisäern, der weiland blind war. Es war aber Sabbat, da Jesus den Kot machte und seine Augen öffnete. Da fragten sie ihn abermals, auch die Pharisäer, wie er wäre sehend geworden? Er aber sprach zu ihnen: Kot legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich und bin nun sehend. Da sprachen etliche der Pharisäer: Der Mensch ist nicht von Gott, dieweil er den Sabbat nicht hält. Die anderen aber sprachen: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? Und ward eine Zwietracht unter ihnen. Sie sprachen wieder zu dem Blinden: Was sagest du von ihm, dass er hat deine Augen aufgetan? Er aber sprach: Er ist ein Prophet. Die Juden glaubten nicht von ihm, dass er blind gewesen und sehend worden wäre, bis dass sie riefen die Eltern des, der sehend wurde, fragten sie und sprachen: Ist das euer Sohn, von welchem ihr saget, er sei blind geboren? Warum ist er denn nun sehend? Seine Eltern antworteten ihnen und sprachen: Wir wissen, dass dieser unser Sohn ist, und dass er blind geboren ist. Wie er aber nun sehend ist, wissen wir nicht; oder wer ihm seine Augen aufgetan hat, wissen wir auch nicht. Er ist alt genug, fraget ihn; lasset ihn selbst für sich reden. Solches sagten seine Eltern, denn sie fürchteten sich vor den Juden. Denn die Juden hatten sich schon vereiniget, so jemand ihn für Christum bekennete, dass derselbige in den Bann getan würde. Darum sprachen seine Eltern: Er ist alt genug, fraget ihn. Da riefen sie zum andernmal den Menschen, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: gib Gott die Ehre; wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist. Er antwortete und sprach: Ist er ein Sünder, das weiß ich nicht; eines weiß ich wohl, dass ich blind war und bin nun sehend. Da sprachen sie wieder zu ihm: Was tat er dir? Wie tat er deine Augen auf? Er antwortete ihnen: Ich habs euch jetzt gesaget; habt ihr es nicht gehöret? Was wollet ihr es abermal hören? Wollet ihr auch seine Jünger werden? Da fluchten sie ihm und sprachen: Du bist sein Jünger; wir aber sind Moses' Jünger. Wir wissen, dass Gott mit Mose geredet hat; diesen aber wissen wir nicht, von woher er ist. Der Mensch antwortete und sprach zu ihnen: Das ist ein wunderlich Ding, dass ihr nicht wisset, von woher er sei; und er hat meine Augen aufgetan. Wir wissen aber, dass Gott die Sünder nicht höret; son-dern so jemand gottesfürchtig ist und tut seinen Willen, den höret er. Von der Welt an ists nicht erhöret, dass jemand einem geborenen Blinden die Augen aufgetan habe. Wäre dieser nicht von Gott, er könnte nichts tun. Sie antworteten und sprachen zu ihm: Du bist ganz in Sünden geboren und lehrest uns? Und stießen ihn hinaus.“
Nicht wahr, ärger konnten sie doch sich nicht prostituieren? Und es fehlt nur noch, dass sie eine Kommission von Naturkundigen und Ärzten niedergesetzt hätten, das Faktum zu untersuchen und darüber ihre Bedenken einzugeben. Ich setze kein Wort zum Text hinzu; und, die Wahrheit zu sagen, es dünkt mir das als die beste Methode, wenn man nichts hinzusetzt, denn man verdirbt doch nur daran.
Dein usw.
DER JÜNGLING VON NAIN
„Und es begab sich darnach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging: und seiner Jünger gingen viel mit ihm, und viel Volks.“
„Als er aber nahe an das Stadttor kam: siehe, da trug man einen Toten heraus, der ein einiger Sohn war seiner Mutter; und sie war eine Witwe, und viel Volks ging mit ihr.“
„Und da sie der Herr sahe, jammerte ihn derselbigen, und sprach zu ihr: weine nicht.“
„Und trat hinzu, und rührete den Sarg an: und die Träger stunden. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, stehe auf.“
„Und der Tote richtete sich auf, und fing an zu reden. Und er gab ihn seiner Mutter.“
Man kann eine solche Geschichte nicht lesen, ohne die Mutter selig zu preisen und den Toten und die Träger und alle Menschen, die dabei waren; aber doch sonderlich die Mutter. Du weißt, Andres, wenn man ein Kind schwer krank hat, das man gerne behalten will, wie man da geht und die Hände ringt und immer hofft, auch wenn man nicht mehr kann und sollte. Man hofft noch immer und hört auch nicht auf, so lange die Kranke noch lebendig und im Bette ist. Wenn sie aber auf dem Brett liegt, wenn der Sarg kommt und die Träger, und die Tote herausgetragen wird, denn muss man wohl aufhören, und bleibt denn nichts übrig, als hinter dem Sarg herzugehen und zu weinen.
Die Witwe zu Nain scheint auch keinen andern Rat gewusst zu haben, und sie hoffte wohl auch nicht mehr, als sie, hinter der Leiche her, aus dem Stadttor ging. Und es würde ihr auch nicht anders als uns andern ergangen sein, ihr Kind wäre eingesenkt und mit Erde beschüttet worden, und sie hätte allein wieder zurück-gehen müssen, wenn nicht unser lieber Herr Christus grade des Wegs herge-kommen wäre, und sie ihm mit der Leiche begegnet wären. Und darum ist es eben so groß und erfreulich, dass er einmal auf Erden gewesen ist, und Men-schen das Glück haben konnten, ihm zu begegnen.
„Und als sie der Herr sahe, jammerte ihn derselbigen, und sprach zu ihr: weine nicht.“
Es ist immer etwas über alle Maßen zartes und großmütiges in dem Benehmen Christi. Wer nicht helfen kann, hat gewöhnlich Mitleiden, und wer Mitleiden hat, kann gewöhnlich nicht helfen. Auch ist mancher mitleidig, weil die Reihe auch an ihn kommen kann, weil er den andern braucht, oder ihm Verbindlichkeit hat usw. Hier ist das alles ganz anders. Auch, nach dem ersten Ansehen hatte die Witwe Recht, Mitleiden von Christus zu erwarten und zu fordern; nach der Wahrheit aber war ein anderes Verhältnis zwischen ihm und ihr. Vor ihm war sie, was wir alle sind: undankbare Kinder, eine ungeratene Tochter, die ihres Vaters Haus mutwillig verlassen und sich selbst unglücklich gemacht hatte; und Christus war der Vater, der ihr nachgegangen war, um das verlorne Kind aufzusuchen, und der sie nun hier in einer elenden Hütte mitten unter den bittern Folgen ihrer Ver-gehung antraf. Sie musste sich schämen, ihm vor die Augen zu kommen, und hatte nichts als Vorwürfe zu erwarten, und verdient. Aber, „als sie der Herr sahe, jammerte ihn derselbigen, und sprach zu ihr: weine nicht.“ Und das war ihm noch nicht genug. Er wollte nicht allein vergeben und vergessen, sondern auch in der gegenwärtigen Lage und Verlegenheit Rat schaffen. „Und er trat hinzu, und rührete den Sarg an, und die Träger stunden.“
Vermutlich kannte die Witwe den Herrn Christus nicht und wird also in ihrem Schmerz nach dem Rabbi und seinem „weine nicht!“ wohl nicht sonderlich hinge-hört haben. Sie hat gewiss den Sarg mit keinem Auge verlassen und von dem Rabbi nichts erwartet – noch nicht, als er hinzutrat und den Sarg anrührte und dem Jüngling aufzustehen gebot.
Als aber der Kopf aus dem Sarge empor kam, als der einzige Sohn sich auf-richtete und anfing zu reden und ihr wieder gegeben wurde … Andres, wie wird sie da den wunderbaren Rabbi angesehen, sich vor ihn auf die Erde hingeworfen und ihm Hände und Füße geküsst haben.
Und was meinst Du die Umstehende? Lukas sagt: „es kam sie alle eine Furcht an, und preiseten Gott etc.“; und das scheint mir sehr natürlich. Denn, so rührend die Scene auch immer sein möchte, so musste doch das höhere Interesse die Oberhand gewinnen. Man verliert die Witwe aus den Augen und zittert und prei-set Gott: dass es also wahr ist, dass im Tode nur das Gehäuse und die Hülse zerfällt; dass der Geist des Menschen nach dem Tode übrig bleibt, und man wahrhaftig auf Wiedersehen rechnen kann.
Andres! die in den Gräbern sind, werden die Stimme des Sohnes Gottes hören und herfürgehen… Aber auch die Toten, die nicht in den Gräbern sind, werden die Stimme des Sohnes Gottes hören und herfürgehen. Sein Reich war nicht von dieser Welt. Ob er gleich Herr und Meister der sichtbaren Natur war, und seine Lehre über alles wohltätig auch für dies Leben ist, und er selbst im Leiblichen immer und bei aller Gelegenheit half und diente, so war doch dies eigentlich sein Feld und Gebiet nicht. Er war gesetzt über das Unsichtbare und ein Pfleger der heiligen Güter. Und alle seine sichtbare Werke und Wunder waren nur seine kleinere und Neben-Werke, die er verrichtete und tat, um die Menschen über die größeren zu belehren, und ihnen durch das, was sie sahen, die Augen zu öffnen über das, was sie nicht sahen.
Als er dort zu dem Gichtbrüchigen sprach: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sün-den sind dir vergeben“; so wird der Gichtbrüchige selbst zwar wohl inne worden sein und gewusst haben, was das sei, wenn Christus einem Menschen seine Sünden vergibt; aber die Schriftgelehrten, die umher standen, wussten es nicht, und hatten deswegen ihre Bedenklichkeiten. Und Christus sagte: „Auf dass ihr wisset, dass des Menschen Sohn Macht habe, auf Erden die Sünden zu verge-ben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: stehe auf, hebe dein Bette auf und gehe heim. Und er stund auf und ging heim.“
So auch hier. Die Auferweckung eines Toten ist freilich ein großes Werk; aber es gibt noch ein größeres. Wie Geist und Willkür größer und edler ist, als Leib und Mechanismus, so ist auch die Auferweckung des geistlichen Jünglings zu Nain, oder die Herstellung unsers Geistes in seine ursprüngliche Herrlichkeit ein ander Werk. Aber dies hohe und eigentliche Werk Christi ist unsichtbar. Damit wir aber wüssten, dass er der von der Welt her erwartete und von allen guten Menschen begehrte Held und Helfer sei und Macht habe, den erstorbenen Geist des Men-schen zu wecken, so weckte er Leiblich-tote. Und die das hörten und um die Wahrheit bekümmert waren, die wussten, weil niemand die Werke tun kann, dass er sei ein Lehrer von Gott kommen, und gingen zu ihm, um bei ihm Rat und Trost für ihre Seele zu finden. Menschen können keinen geben, was sie auch sagen und versprechen. Sie können von der Leiche wohlreden, können sie kleiden und mit Blumen schmücken, ihr den Kopf und die Hände zurecht legen etc.; aber tot ist tot, und sie bleibt stille und stumm im Sarge liegen. Wenn aber Christus den Sarg anrühret, so richtet der Tote sich auf und fängt an zu reden. Durch Worte und Floskeln wird aus dürrem Winterholz kein grünes; wohl aber durch ein gleich-artiges Leben.
DIE GESTALT DES VORGÄNGERS DER WAHRHEIT
Guten Tag, lieber Andres, und fröhliche Ostern.
Es ist mir sehr lieb, dass Du mich über Johannes den Täufer zu Hilfe rufst. Nicht zwar, weil ich eben sonderlich helfen kann, sondern weil ich so gerne von ihm spreche und sprechen höre. Du schreibst, dass er Dir so groß vorkommt, und Du kannst Dir doch nicht recht sagen, warum. Das ist recht gut, Andres. Man weiß oft gerade dann am meisten, wenn man nicht recht sagen kann, warum.
Dass nun Johannes der Täufer uns groß vorkommt, ist kein Wunder. Seine ganze Geschichte von der Stunde des Räucherns an bis an das „Haupt auf einer Schüssel“ ist sehr sonderbar; und es ist uns im Sinn, was von sicherer Hand von ihm gesagt ist. Und die Stelle sonderlich, wo er stehet, trägt zu seiner Glorie bei. Denn je mehr Zusammenhang mit Christus und je näher um und an ihn, desto größer. Nun hängen freilich alle wahren Weisen und Männer Gottes seit der Welt Anfang mit Christus zusammen, wie die Ströme und Flüsse mit dem Meer. Petrus und Paulus sagen das mit klaren Worten, und die große Unterredung auf dem heiligen Berge „über den Ausgang zu Jerusalem“ gibt es wohl zu verstehen. Aber Johannes der Täufer steht in der sichtbaren Welt zunächst und unmittelbar vor ihm und zieht also zunächst den Blick auf sich. Also groß vorkommen muss er. Die Außen- und Um-Werke, wenn ich so sagen darf, fallen sehr in die Augen. Seine innerliche eigene Größe aber fällt nicht so sehr in die Augen, und deswe-gen will es mit dem Warum nicht fort. Sie ist aber darum nicht weniger groß.
Schon das mit dem König Herodes, dass er den nicht sich selbst von dem nahen Heil ausschließen und verkommen lassen wollte und lieber seinen Hals daran wagte, schon das spricht für ihn. Es ist eine leichte und schlechte Kunst, Andres, den Königen und Fürsten zu trotzen und ihrem verkehrten Willen, wenn sie einen haben, einen anderen verkehrten Willen entgegenzusetzen. Aber, wenn ein Mann, der sich besserer Dinge und des göttlichen Willens bewusst ist, wenn der nicht das Seine, sondern das des Königs sucht und ihn auf seinem Thron und mitten unter seinen Gewaltigen straft und schilt, wenn er so unglücklich ist, Übles zu tun – das ist ein anderes Ding.
Du weißt, was Johannes der Täufer für Vorteile davon gehabt und wie er sich nicht geweigert hat. Dies nun aber will ich ihm so hoch nicht anrechnen. Ich kann es nicht so groß und schwer finden, dass er und alle die Leute, die das Glück gehabt haben, Christus näher zu kennen, dass sie sich für Ihn haben köpfen und sengen und brennen lassen können. Das könnte man für Ihn wohl hinterm Berge tun, und wenn man nur die Evangelisten gelesen hat. Aber dass Johannes der Täufer auf ebenen Wege so treu sein, dass er so durch die Menschen hingehen und sich durch nichts als die gute Sache treiben lassen, dass er die Wahrheit immer so über alles achten und so fest im Auge behalten, dass er so demütig sein und unter allen Umständen bleiben konnte usw., kurz, dass er so klein war und dass die menschliche Natur sich in ihm gar nicht rührte – das ist schwer! Andres. Das ist groß! Und von dieser Seite kann man die Gestalt Johannes des Täufers nicht lange und andächtig genug ansehen, in allem, was die Schrift von ihm sagt.
Er sollte vor dem Herrn hergehen, dass er seinen Weg bereite. Mehr sollte und mehr konnte er freilich nicht. Wer Sonnenstrahlen machen will, der ist ein Quack-salber und kennt weder sich noch die Sonne; wer aber die Berge und Hügel, die ihr im Wege stehen, abträgt und erniedrigt, der treibt ein wahres Werk und ein sehr großes. Aber er fasst auch ein heißes Eisen an, denn er wird Vater und Mutter und seine eignen Hausgenossen wider sich erregen, wenn er Gott zum Freunde haben will. Es ist kein Heil außer dem Heil, und die Götzenbilder müssen umgestoßen und weggetan werden. Andres, schlage an Dein Herz! Da steckt das Geheimnis und da muss, das Nichts ist, Etwas werden und zunichte werden, was Etwas ist. Denn die Wahrheit hat alles und es fehlt ihr nichts als eine Herberge, als Platz und Raum für ihre Herrlichkeit.
Aber wir wollen die Gestalt des Vorgängers der Wahrheit ansehen. Als die Nach-richt von ihm als dem Boten des Heils aus der Wüsten nach Jerusalem und der Gegend umher gelangte, gingen sie hinaus: brillante Dinge, um einen Mann in weichen Kleidern zu sehen. Du kannst denken, dass Johannes wohl gewusst habe, wie sie ihn erwarteten und lieber gehabt hätten; aber er stand da in seinem Rock von Kamelhaaren und predigte Buße.
Das Volk war in dem Wahn und dachten alle in ihren Herzen von Johannes, ob er vielleicht Christus wäre; er war wirklich Elias und wohl mehr als ein Prophet. Und als die Deputierten von Jerusalem, Priester und Leviten, zu ihm kamen, und ihn fragen: wer bist du? „Bekannte und leugnete er nicht und er bekannte: ich bin nicht Christus“. Bist Du Elias? Und er sprach: „Ich bins nicht“. Bist Du ein Pro-phet? Und er antwortete: „Nein!“ usw.
Die Stadt Jerusalem ging zu ihm hinaus und das ganze jüdische Land und alle Länder am Jordan und ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden. Und nun kamen vollends die Lichter und Angesehenen im Volk, viele Pharisäer und Sadduzäer, öffentlich dazu. „Und als er sie kommen sah, sprach er zu ihnen: Ihr Otterngezücht, wer hat denn euch gewiesen, dass ihr dem zukünfti-gen Zorn entrinnen werdet? Sehet zu, tut rechtschaffene Früchte der Buße.“ usw.
Die um ihn standen, sahen ihn an und hielten ihn für einen Mann vom Himmel, der alles wisse und in Händen habe, hielten seine Predigt für lauter himmlische Gesichte und Offenbarung und seine Taufe für eine Geistes- und Wunder-Taufe. Und er sagte: „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Wer vom Himmel kommt, der ist über alle. Ich taufe mit Wasser; aber nach mir kommt einer, der wird euch mit Feuer und dem heiligen Geist taufen, das ich nicht wert bin, dass ich seine Schuhriemen auflöse.“
Lebe wohl, Du lieber Andres, usw.
ER WILL WOHL BLEIBEN, WAS ER IST
Es geht mir ebenso, Andres, wenn ich in der Bibel von einem alten und neuen Bunde, von einer Konnexion und einem Verkehr zwischen dem höchsten Wesen und unserm Geschlecht lese; ich mache auch oft das Buch zu und falte die Hän-de: dass die Menschen vor Gott so hoch geachtet und wert sind!
Es drückt einen das freilich nieder in den Staub; aber man kriegt zu gleicher Zeit Respekt vor sich selber und wittert Morgenluft – und man kann und kann den Mittler zwischen beiden nicht genug ansehen und lieben und möchte ihn für andere mit lieben, die es nicht besser wissen. Der Mensch kann die Wahrheit verkennen, verachten und aufhalten; aber wie umwegs oder verkehrt er es auch treibe, so irrt er sich nur, und mitten in solchem Treiben suchet und meinet er sie. Er kann ihr'r nicht entbehren; und es ist nicht möglich, wenn sie ihm erscheint, dass er sein Haupt nicht vor ihr beuge. Irren ist menschlich, Andres! Aber die Wahrheit ist unschuldig. Sie ist immer bereit und immer wert und wird auch wohl am Ende recht behalten.
Aber es macht Dir graue Haare, schreibst Du, unsern Herrn Christus verkannt und verachtet zu sehen. – Du liebe, gerechte Seele, mag es doch; wer sie um ihn trägt, der trägt mit Ehren graues Haar. Zwar seinetwegen brauchst Du Dir keine wachsen zu lassen. Er will wohl bleiben, was er ist. So viele ihrer die Wahrheit nicht erkennen und nutzen, die haben des freilich Schaden; aber was kann es ihr schaden, ob sie erkannt und genutzt wird oder nicht? Sie bedarf keines, und es ist die Größe und Herrlichkeit ihrer Natur, dass sie immer bereit ist, von Undank nicht ermüdet wird und wie die aufgehende Sonne mit den Wolken und Dünsten ringt, um sie zu reinigen und zu vergolden.
Lass sie denn ringen, Andres; und brich Dir auch, um was Du nicht ändern kannst, das Herz nicht. Wer nicht an Christus glauben will, der muss sehen, wie er ohne ihn raten kann. Ich und Du können das nicht. Wir brauchen jemand, der uns hebe und halte, weil wir leben, und uns die Hand unter den Kopf lege, wenn wir sterben sollen; und das kann er überschwenglich, nach dem, was von ihm geschrieben steht, und wir wissen keinen, von dem wir's lieber hätten.
Keiner hat je so geliebt, und so etwas in sich Gutes und in sich Großes, wie die Bibel von ihm saget und setzet, ist nie in eines Menschen Herz gekommen und über all sein Verdienst und Würdigkeit. Es ist eine heilige Gestalt, die dem armen Pilger wie ein Stern in der Nacht aufgehet und sein innerstes Bedürfnis, sein geheimstes Ahnden und Wünschen erfüllt. Wir wollen an ihn glauben, Andres, und wenn auch niemand mehr an ihn glaubte. Wer nicht um der andern willen an ihn geglaubt hat, wie kann der um der andern willen auch aufhören, an ihn zu glauben? Nur eine so zarte, überirdische Gestalt ist gar zu leicht verändert und verstellt, und sie kann von Menschenhänden sozusagen nicht berührt werden, ohne zu verlieren. Deswegen ist auch immer des Zankens und Streitens über ihn unter den Menschen kein Ende gewesen.
Von allen den Streitern sind die, welche die Bibel aufrecht halten und doch alles Übernatürliche natürlich machen und mit ihrer Philosophie belegen und reimen wollen, unstreitig die schwächsten; denn sie haben weder Verstand noch Mut und sind nicht Fisch noch Fleisch. Dazu sind sie immer in Not und kommen nicht zum Ziel, denn es ist viel schwerer, die Vernunft gegen die Offenbarung, als die Offenbarung gegen die Vernunft zu retten; und wenn sie zum Ziel kommen, so haben sie nichts. Wer menschliche Weisheit sein lässt, was sie ist, sich aber bescheidet, dass es eine größere gebe, und Gott Mittel und Wege haben könne, davon der Mensch nicht weiß, und dass eine Offenbarung über unsre Einsichten sein müsse, und das Unbegreifliche an ihr kein Flecken, sondern, wenn sie sonst das Gepräge göttlicher Liebe trägt, grade ihr Wahrzeichen und ihre Schöne sei; der ist besser daran und kann allen den Zänkereien unbekümmert zusehen und indes in seine Scheuern sammeln. Alles muss allerdings zusammenhängen und wird sich auch wohl reimen lassen, wenn die Data bekannt sind. Die Spekulanten lassen es sich nicht träumen, dass das brillanteste Feld der Spekulation hinter der Kirchmauer liege.
Doch dem sei, wie ihm wolle, Andres; wir glauben der Bibel aufs Wort und halten uns schlecht und recht an das, was die Apostel von Christus sagen und setzen. Die ihn selbst gesehen und gehört haben und an seiner Brust gelegen sind, die sind ihm doch näher gewesen als wir und die Glosse. Und was auch bisher unter den Gelehrten erfunden sein mag, und wie gut sie auch wissen und verstehen mögen; so scheint es doch, die Wahrheit zu sagen, dass die Apostel es besser wissen und verstehen müssten.
FREISEIN IST EIN ANDER DING ALS AN SEINER KETTE REISSEN UND RÜTTELN
Als die Leute in dem Markt der Samariter, bei denen unser Herr Christus Her-berge bestellen ließ, ihn nicht annehmen wollten, sprachen seine Jünger Jakobus und Johannes: Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elias tat. – Und das nimmst Du so übel und kannst es den beiden Jüngern nicht vergeben noch vergessen! Du freust einen, Andres! Aber ich kann auf meinen Jakobus und Johannes nichts kommen lassen, und ich muss ihnen bei Dir das Wort reden und ihre Ehre retten.
Vorläufig darf man über das „Feuer vom Himmel fallen lassen“ so ängstlich nicht sein, denn es hat damit gute Wege; und wer es kann fallen lassen, der wird schon wissen, was er zu tun und zu lassen hat. Über Handlungen höherer Ord-nung können wir nicht urteilen, und so müssen wir auch nicht darüber urteilen wollen. Die Sache, wovon hier geredet wird, ist bloß menschlich, und da will ich, wie gesagt, versuchen, die Donnerskinder mit Dir auszusöhnen. Erstlich hatten sie das Exempel des Elias vor sich, den sie noch kürzlich in sehr glorreichen Umständen gesehen hatten; und dann suchten sie ihres Meisters Einwilligung, und natürlich auch seine Kraft. Doch Du pflegst zu sagen: Schweige von einem andern oder setze Dich ganz an seine Stelle. Wir wollen uns denn hinsetzen. Es sitzt sich ohnedas an der Stelle so gut.
Christus war mit den Jüngern auf der Reise nach Jerusalem. Er reiste hier eigentlich in Angelegenheiten der Samariter und tat diese Reise wie alle das andre, um sie und alle Menschen sanft zu betten und ihnen eine ewige Herberge zu bereiten. Zwar das mochten die Jünger, ob er ihnen gleich verschiedentlich darüber gesprochen hatte, doch vielleicht noch so ganz nicht begriffen haben. Aber sie waren doch zwei, drei ganze Jahre mit ihm umhergezogen und hatten gesehen, dass er nicht seinetwegen umherzog und nicht gekommen war, sich dienen zu lassen; dass er nichts als Gutes lehrte und Gutes tat, links und rechts und ohne Ansehn der Person, und dass er sich nicht zweimal bitten ließ und jedem, der sein bedurfte, mit Liebe und Freundlichkeit zuvorkam. Dazu war es jetzt das letztemal, dass er ihre Herberge brauchte, denn die Zeit war erfüllet, dass er sollte von hinnen genommen werden, und er ging hier der Schmach und dem Tode entgegen. – Und nun wird ihm das Nachtlager versagt, und seine Boten werden abgewiesen … Andres, kannst Du es den Jüngern übelnehmen, wenn sie da unwillig wurden? Der ist kein schlechter Mann, dem die Galle über-läuft, wenn er so Gutes mit Undank belohnen und Recht und Billigkeit mit Füßen treten sieht!
Und nimm nun noch dazu die Anhänglichkeit und Liebe, womit die Jünger ihrem Herrn und Meister zugetan waren und anhingen. Wem alles gleichviel und einer-lei ist, der hat gut sprechen. Aber wem es an etwas gelegen und in der Brust nicht hohl ist, dem ist anders zumute als den Eiszapfen am Dache des Toleranz-tempels. Das Herz hat auch seine Rechte und lässt nicht mit sich spielen wie mit einem Vogel. Überhaupt ist es nicht unrecht: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Und schilt mir den Mann nicht, der für Recht und Billigkeit stehenbleibt und die Hand ans Schwert legt. Etwas von dem Drei-Männer-Trotz, der sich auf nichts in der Welt als auf sich selbst und seine gute Sache stützt, und doch vor der Gewalt und Menge nicht beugen will, ist nicht so übel. „Unser Gott“, sagten sie, „kann uns wohl erretten. Und wenn er es auch nicht tun will; so sollt ihr dennoch wissen, dass wir das Goldene Kalb nicht anbeten wollen.“ Kurz, wie es an den drei Männern edel war, dass sie an Feuer nicht dachten, so war es an den beiden Jüngern nicht unedel, dass sie daran dachten. Freilich Christus bedräuete sie; und wer das „Feuer vom Himmel“ in seiner Hand unter seinem durch und durch gewirkten Rock zurückhalten und verbergen und sich vor Freund und Feind wie ein Verbrecher hinführen lassen konnte, damit der Wille des Vaters im Himmel geschehe; der konnte dräuen, und vor dem hatten die Jünger sich zu schämen, dass sie nicht wussten, wes Geistes Kinder sie waren. Aber ich will auch wissen, dass sie vor einem jeden andern Geist sich nicht zu schämen hatten, und dass der Geist des Christentums nicht ohne Ursache ein Geist der Herrlichkeit genannt wird. Gut ist ein ander Ding als edel; und Freisein ein ander Ding als an seiner Ketten reißen und rütteln. Edle Menschen gibt es von Natur, aber gut ist niemand als der einige Gott, und wen der gut gemacht hat.
WAS EDEL IST
(Fortsetzung des Briefes „Freisein ist ein ander Ding als an seiner Kette reißen und rütteln“)
Ich soll Dir das weiter auseinandersetzen – .
Edel ist: Ahndung der Heimat; das Gute in Feindes Land; der König im Gefäng-nis. Wer Freude am Guten hat und gerne gut wäre, und mit sich kämpft und streitet, dass er's sei, der ist ein edler Mann. Was soll ich Dir viel auseinander-setzen? Du weißt ja, besser als ich, wie es geht. Man will gern immer – das Eitle nicht lieb haben, unparteiisch sein, nicht böse werden, wenn man beleidigt wird, geistlich gesinnt sein usw.; aber man kann es nicht. Wenn auch auswendig, so geht es doch inwendig nicht rein ab. Und, wenn auch das Feld behalten wird, so ist darum doch kein Friede. Der Feind bleibt im Lande, und man muss mit dem Gefangenen sich placken und plagen.
All' Fehd' ein Ende, und rein Haus machen: das ist die Weisheit Gottes, welche die Edeln gelüstet zu schauen, die Weisen wissen, und die Toren verachten. Edel ist also nicht gut; aber es ist darum edel und nichts gemeines, und ihm ge-bührt Ehre und Achtung von jedermann, wo es sich sehen lässt.
Von den Mund-Edeln, die nämlich nur von Edel und Gut sprechen und schreiben, tiefgelehrt oder ungelehrt, ist hier die Rede nicht. Die werden gar nicht mitge-zählt.
Ohne Kampf und Verleugnung gibt es keinen Adel und wahren Wert für den Menschen, und ohne Kampf kennet er die Kluft nicht, die in unserm Inwendigen zwischen Wollen und Sein, zwischen Edel und Gut, befestigt ist, und kann sie nicht kennen. „Die auf dem Meer fahren, die sagen von seiner Fährlichkeit – . Daselbst sind seltsame Wunder, mancherlei Tiere und Walfische: durch diesel-ben schiffet man hin.“
Erfahrung machet den Meister. Und nur die, welche sich in den Defileen und Labyrinthen jener großen Kluft versucht und mit den seltsamen Wundern und mancherlei Ungeheuern vor den Toren des Friedens gekämpft und sich selbst daran gewagt haben, nur die können wissen: ob es dort Mühe und Fährlichkeit hat, und ob man dort eines heiligen Zweiges bedarf oder nicht. Und es wäre sehr lustig zu sehen, wenn ein Stubenzeichner einen solchen edlen Ritter und Veteran, der unter den Waffen an Ort und Stelle grau geworden ist, aus seinen Landkarten zurechtweisen und eines bessern belehren wollte. Du siehest denn, welchen Leuten die Religion gleichgültig und entbehrlich bedünken kann, und welchen Leuten sie unentbehrlich und heilig ist; und dass diese, alle Kompli-mente bei Seite gesetzt, sich ihrer Anhänglichkeit und Achtung nicht zu schämen brauchen.
Leb wohl, Andres.
MEHR VON UNSEREM HERRN CHRISTUS
Du möchtest gern mehr von unserem Herrn Christus wissen – Andres, wer möchte das nicht? Aber bei mir bist Du an der falschen Adresse. Ich bin kein Freund von neuen Meinungen und halte fest am Wort. Ich hasse sogar das Kopfzerbrechen an Religionsgeheimnissen, denn ich denke, sie sind eben darum Geheimnisse, damit wir sie nicht wissen sollen, bis es an der Zeit ist. Wenn wir ihn nicht selbst sehen können, Andres, so müssen wir denen glauben, die ihn gesehen haben. Mir bleibt nichts anderes übrig.
Was in der Bibel von ihm steht, all die herrlichen Sachen und herrlichen Ge-schichten sind freilich nicht er, sondern nur Zeugnisse von ihm, nur Glöckchen am Leibrock, aber doch das Beste, was wir auf Erden haben, und so etwas, das einen wahrhaftig freut und tröstet, wenn man hört und sieht, dass der Mensch noch was anderes und Besseres werden kann, als er, sich selbst überlassen, ist.
Und was in der Bibel von ihm steht, das habe ich mehr als einmal gelesen und nehme es so, wie es da steht, ohne etwas dazuzutun und ohne etwas wegzu-nehmen. Willst Du also davon mit mir schreiben und sprechen, so gut ich es kann und salvo meliori judicio; von Herzen gern! Ich weiß für mich nichts Lieberes und Erfreulicheres als von Hilfe und Errettung, und wems anders ist, der muss nie in Not gewesen sein noch andere darin gesehen haben. Ruft doch ein Weib, das ihren verlorenen Groschen wiedergefunden hat, ihre Freundinnen und Nach-barinnen und spricht: „Freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte.“ Und was ist das für eine Not, aus der man mit Geld errettet werden kann!
Besinnst Du Dich noch unserer ersten Schiffahrt, als wir den neuen Kahn pro-bierten und ich mitten auf dem Wasser herausfiel? Ich hatte schon alles aufge-geben und dachte nur daran, wie mir der Tod schmecken und was meine arme Mutter sagen würde; da sah ich Deinen ausgestreckten Arm herkommen und hakte ein! Und ich seh ihn noch immer, Andres, wenn ich nur deinen Namen lese oder oft nur auf ein großes A stoße. Im Grunde war Deine Hilfe nur ein Palliativ, denn was damals ohne Dich das Wasser getan hätte, das werden nun die anderen Elemente noch tun, und Du wirst mich nicht retten. Aber ich kann doch den Arm nicht wieder vergessen, und ich glaube, dass er bei unserer innigen Freundschaft die Hand viel mit im Spiel habe. Das ist hier einmal mit uns nicht anders: Not lehrt beten, und Hilfe und Errettung erfreut!
Und nun ein Erretter aus aller Not, von allem Übel! Ein Erlöser vom Bösen. Und nun ein Helfer, wie die Bibel den Herrn Christus darstellt, der umherging und wohltat und selbst nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege; um den die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein werden, die Tauben hören, die Toten auferstehen und den Armen das Evangelium gepredigt wird; dem Wind und Meer gehorsam sind, und der die Kindlein zu sich kommen ließ und sie herzte und segnete; der bei Gott und Gott war und wohl Freude daran haben konnte, der aber an die Elenden im Gefängnis gedachte und verkleidet in die Uniform des Elends zu ihnen kam, um sie mit seinem Blut frei zu machen; der keine Mühe und keine Schmach achtete und geduldig war bis zum Tode am Kreuz, damit er sein Werk vollende; der in die Welt kam, um die Welt selig zu machen, und der darin ge-schlagen und gemartert wurde und mit einer Dornenkrone wieder hinausging!
Andres, hast Du je was Ähnliches gehört, und fallen Dir nicht die Hände am Leib nieder? Es ist freilich ein Geheimnis, und wir begreifen es nicht; aber die Sache kommt von Gott und aus dem Himmel, denn sie trägt das Siegel des Himmels und trieft von Barmherzigkeit Gottes…
Man könnte sich für die bloße Idee wohl brandmarken und rädern lassen, und wem es einfallen kann zu spotten und zu lachen, der muss verrückt sein. Wer das Herz auf der rechten Stelle hat, der liegt im Staube und jubelt und betet an. Sprich und schreibe also mir davon, Du mein herzlieber Andres, wie und was Du willst, und ich will Dir keine Antwort schuldig bleiben.
Dein usw.
POSTSKRIPT
Es gibt einige Leute, Andres, die alles bekehren wollen und mit der Bibel in der Hand hinter jedem hochfahrenden Geist und Taugenichts herlaufen. Das soll aber nicht sein und ist ärgerlich anzusehen; wo auch der Fehler stecke. Die Lehre Christi, die nicht einer wert ist zu hören, mag allerdings allen Menschen gepredigt werden, und wers nicht besser haben will, der mags bleiben lassen.
Unser Herr Christus spricht auch gar anders über die Jüngerschaft. „Wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und sitzet nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob ers habe hinauszuführen, auf dass nicht, wo er den Grund gelegt hat und kanns nicht hinausführen, alle, die es sehen, fangen an, seiner zu spotten, und sagen: dieser Mensch hub an zu bauen und kanns nicht hinausführen. Also auch ein jeglicher unter euch, der nicht absaget allem, das er hat, kann nicht mein Jünger sein.“ Und in seiner Instruktion an seine ausgehenden Apostel: „Wo ihr aber in eine Stadt oder Markt gehet, da erkundiget euch, ob jemand drinnen sei, der es wert ist, und bei denselben bleibet, bis ihr von dannen ziehet; und wo euch jemand nicht annehmen wird noch eure Rede hören, so gehet heraus von demselbigen Hause oder Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen.“
Und nun erwarte ich Deine weiteren Befehle.
OHNE IHN SIND WIR JA WIEDER UNS SELBST GELASSEN
Freilich gibt es Leute, Andres, die den Teufel leugnen; die, wie Doktor Luther sagt, „keine Sünde, kein Fleisch, keinen Teufel, keine Welt, keinen Tod, keine Gefahr, keine Hölle haben, das ist, an nichts davon glauben, ob sie wohl bis über die Ohren darin stecken.“
Die ganze Natur und Religion supponieren einen Teufel; Christus wird vom Teufel versucht, treibt Teufel aus, und seine Apostel sagen, dass er gekommen sei, die Werke des Teufels zu zerstören. Und nun tritt einer auf und meint, es sei kein Teufel! Das bedarf doch wohl keiner Antwort. Weiter sagst Du von den Wundergaben und dem Heiligen Geist, und dass die aufgehört hätten, weil sie, nachdem das Christentum gegründet sei, nicht mehr nötig wären!
Das von den Wundergaben versteh' ich nicht, und Du musst Dich an die Theolo-gen wenden. Aber in die Gründung des Christentums und die Unnötigkeit des Heiligen Geistes kann ich mich nicht finden. Mich dünkt, der Heilige Geist ist immer nötig, und wenn der fehlt, fehlt alles. In Summa, ich glaube einfältig mit der christlichen Kirche, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, dass der Heilige Geist zur Besserung jedes einzelnen Menschen unentbehrlich sei und dass es ohne ihn keine Besserung, kein Leben und keine Seligkeit gebe.
Ohne ihn, Andres, sind wir ja wieder uns selbst gelassen. Und von da gingen wir aus, dass wir, uns selbst überlassen, nichts können, wir mögen sein Juden oder Heiden oder wer wir wollen; denn in Christo gilt nicht „Beschneidung noch Vor-haut“, nicht Bischofsmütze noch Doktorhut, nicht Zwingli noch Luther, sondern eine „neue Kreatur“, wie St. Paulus sagt. Die Wiedergeburt ist, wie Johannes am 3. zu sehen ist, ein Geheimnis, und die Meister in Israel kannten sie nicht alle, auch nicht einmal vom Hörensagen.
Dein usw.
SIE SASSEN UM IHN UND SAHEN IHN AN UND SEHNTEN SICH NACH SEINEM LEIB UND BLUT
Es ist immer so, Andres, die Hauptpunkte einer Religion sind verhüllt und zuge-deckt; und so ist das heilige Abendmahl allerdings ein Geheimnis. Dafür haben es die Anhänger Christi von Anfang an genommen, und dafür nimmt es auch Luther. Auch pflegten die ersten Christen es gerne geheimzuhalten, und noch in den Zeiten des öffentlichen christlichen Gottesdienstes musste die übrige Ver-sammlung abtreten.
Wie es nun überhaupt mit Geheimnissen ist: wer sie nicht weiß, der erklärt sie, und wer sie erklärt, der weiß sie nicht. Erzwingen und mit Gewalt nehmen lassen sie sich nicht; wer sie aber zu verdienen sucht und sich den Besitzer zum Freunde zu machen weiß, der erfährt sie bisweilen. Darum wollen wir ehrerbietig und demütig vor der Tür dieses hochheiligen Geheimnisses stehenbleiben und die Außenseite ansehen, schlecht und recht, und wie die Bibel sie gibt. Sie liegt jedermann offen und ist, so wie der ganze letzte Abend und Abschied – wie in dieser Welt nichts anders; wie denn auch ein solcher Abend und Abschied in dieser Welt nur einmal gewesen ist. Wie Christus selbst sagt und die ganze Christenheit glaubt, bezieht das Alte Testament sich auf das Neue.
So hohe geistige Ideen wie die von himmlischen Gütern, von einer unsichtbaren Befleckung und einem geistlichen Fall, die geschehen waren, von unsichtbarer Reinigung und einem Wiederhersteller, die versprochen war und zu seiner Zeit kommen werde usw., konnten unter den ersten Menschen, die den großen Be-gebenheiten näher waren, wohl von Mann zu Mann fortgepflanzt werden; sie würden aber mit der Zeit für die Welt erloschen und verloren gewesen sein, wenn sie nicht von den alten Weisen und Propheten unter einer sinnlichen Hülle öffentlich vor die Augen gebracht und beständig gehalten worden wären. Moses war vor allen andern ein solcher Weiser und Prophet, und er knüpfte diese Hüllen, um ihnen desto mehr Interesse zu geben, an die politische Geschichte seines Volkes, damit es ihnen „ein Zeichen sei in ihrer Hand und ein Denkmal in ihren Augen, auf dass des Herrn Gesetz sei in ihrem Munde, dass der Herr sie mit mächtiger Hand aus Ägypten geführt habe“. – Und man kann den mosa-ischen Gottesdienst, außer dem, was er in sich war, als die allervollkommenste Prophezeiung ansehen, die wir von Christus haben. Die Schrift sagt auch, dass hinfort kein Prophet in Israel aufgestanden sei wie Mose; und Moses redete noch auf dem Berge mit Christus über den Ausgang, welchen er sollte erfüllen zu Jerusalem. Die heiligen Schriften des Neuen Testaments drücken sich sehr bestimmt darüber aus, dass der Leib und das Blut Christi das Reinigungs- und Erlösungsmittel für den gefallenen Menschen sei.
„Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, aber den Leib hast du mir zubereitet.“
„Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde.“
„Nun aber hat er euch versöhnet mit dem Leibe seines Fleisches durch den Tod.“
„Und wisset, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöset seid von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“
„Moses hat euch nicht Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das rechte Brot vom Himmel.“
„Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel kommen; wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt.“
„Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohns und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.“
Wir mögen nun verstehen oder nicht verstehen, was der Leib und das Blut Christi sei; nach der Bibel muss der Mensch sie genießen und ihrer teilhaftig werden, wenn er genesen will. Und so hatte Moses ein Osterlamm angeordnet, das ge-nossen werden musste, und mit dessen Blut „beide Pfosten an der Tür und die Oberschwelle bestrichen wurden, dass der Würgeengel vorübergehe“. So waren Opfer und ein Hohepriester, der am Versöhnungstage mit Blut ins Heilige ging usw. Diese Hüllen und Schatten der himmlischen Güter bestanden noch zu Christi Zeiten, und nun war die große Stunde gekommen, wo sie ausgedienet hatten, und das wesentliche Opfer, das durch jene bedeutet war, selbst geopfert werden sollte.
„Wir haben auch ein Osterlamm, Christus für uns geopfert.“
„Am Ende der Welt ist Christus einmal erschienen, durch sein eigen Opfer die Sünde aufzuheben.“
„Christus ist kommen, dass er sei ein Hohepriester der zukünftigen Güter, durch eine größere und vollkommenere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht also gebauet ist. Auch nicht durch der Böcke oder Kälber Blut, son-dern er ist durch sein eigen Blut einmal – in den Himmel selbst – eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden.“
Entweder, oder! Wir müssen die Bibel zerreißen oder festhalten an dem Be-kenntnis: „Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden“; wie es auch bisher beim Genuss gesagt und geglaubt wird. Dass die ganze Sache über unsre Einsicht ist und wir sie nicht verstehen, ist nicht wider sie. Denn sie soll nicht Menschenwitz und -werk sein und wird in unserer und in den Traditionen aller Völker, wo davon dunkler oder heller geredet wird, als höheren Gehalts und Ursprungs gegeben. Und wenn in dieser Sache ein Wille erscheint, der mit unbe-greiflicher Erbarmung will, so kann es nicht befremden, wenn kein Verstand ihm gewachsen ist. Übrigens genießen wir jeden Tag und Augenblick Wohltaten, die wir nicht verstehen. Wir werden geboren und gesäuget und holen Odem und verstehen nichts. Wir verstehen auch die leibliche Medizin nicht, die wir ein-nehmen, und doch hilft sie uns und rettet uns bisweilen das Leben. Der Kunstver-ständige versteht sie und weiß sie zuzurichten. Und darum ist ein Unterschied zwischen einem Weisen und einem Nichtweisen. Die Nichtweisen mögen unwahr und ohne Grund sein; aber die Sache kommt von guter Hand.
Aber ich komme wieder zu dem letzten Abend, wo er seinen Vertrauten über das, was bevorstand, und über das neue Gesetz und Testament die nötige Auskunft geben und Abschied von ihnen nehmen wollte. Andres, der Abschied des So-krates aus der Welt war sehr schön und rührend; auch als Sokrates mit seinen Jüngern ausgeredet hatte und den Giftbecher nun ansetzte und trank, weinten sie und warfen sich an die Erde. Aber hier ist mehr als Sokrates; hier ist die Herrlichkeit Gottes; und man will vergehen, so wie er, dem Tode geweiht und schon gesalbt zu seinem Begräbnis, in den großen gepflasterten Saal hineintritt und sich neben dem Osterlamm hinsetzet. „Mich hat herzlich verlangt“, sagte er zu den Zwölfen, „dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide.“
Wie er hatte geliebt die Seinen, so liebte er sie bis ans Ende. Man kann sich nicht satt daran lesen: wenn er, der solch ein Werk zu vollbringen und solch einen Kelch zu trinken vor sich hatte, noch bei der letzten Mahlzeit den Johannes an seiner Brust zu Tische sitzen lässt und den Jüngern Bissen eintaucht und gibt; wenn er so bekümmert von dem Jünger spricht, der ihn verraten werde, den Verräter aber nicht nennen will und nur ihn selbst fühlen lässt, dass er sein Geheimnis wisse; wenn er dem Petrus, der sich vermaß, von dem Hahn sagt, der nicht zweimal krähen werde; wenn er hingehen will, den Jüngern die Stätte zu bereiten; wenn er sie Freunde nennt; wenn sie ihn wiedersehen sollen, und ihr Herz sich freuen, und ihre Freude niemand von ihnen nehmen soll usw. usw.
Doch in diesem heiligen Kreise war nicht bloß von einem Abschied von Freun-den, sondern von größeren Dingen die Rede. Und er unterrichtete seine Boten und die künftigen Lehrer der Welt noch einmal von dem Geheimnis des Reiches Gottes: eins mit dem Vater, das ist das Ziel; er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben; und niemand komme zum Vater als durch ihn; wenn er nicht hingehe zum Vater, so komme der Tröster nicht zu ihnen; wenn er aber hingehe, wolle er ihn senden, den Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgehet und den die Welt nicht kennet und nicht empfangen kann; und der werde bei ihnen bleiben ewiglich und in ihnen sein, und sie würden dann alles wissen, und ihre Bitten würden ge-schehen.
Aber eine Lehre, die solche Verheißungen und Macht dem Menschen gibt, konnte missverstanden werden. Damit aber die Jünger wüssten, was sie meine und wes Geistes Kind sie sei; stand der Herr und Meister, als „er wusste, dass ihm der Vater alles hatte in seine Hände gegeben, und dass er von Gott kommen war und zu Gott ging“, auf, legte seine Kleider ab, nahm einen Schurz und um-gürtete sich, goss Wasser in ein Becken und wusch ihnen die Füße.
Wie wird Dir, Andres, wenn Du ihn Fußwaschen und mit dem Schurz und dem Becken in der Hand von einem Jünger zum andern gehen siehst? Und wenn man dann an die und jene denkt, die sich nach seinem Namen nennen! Aber sie sind auch nicht sein und können sich nennen, nach wem sie wollen. Keiner, und hätte er aller Sterne Lauf erfunden und trüge Kron' und Zepter und wär' ein Herr der ganzen Welt, wenn er nicht das alles und sein eigen Leben für ihn vergessen kann; der ist sein nicht wert. Seine Lehre war nicht für diese Welt, und ihre Haupt-Seiten sind darüber hinaus und unsichtbar. Weil sie aber doch in dieser Welt sein sollte, so musste sie eine sichtbare haben, und die Welt wissen, wes sie sich zu ihr zu versehen habe. Und der Stifter gab dies Beispiel der Demut und Entäußerung und setzte die Liebe als das Kenn- und Wahrzeichen seiner Jünger.
So groß und hehr nun auch alle diese Belehrungen und Eröffnungen waren, und so viel erfreuliches Licht auch daraus den Jüngern über das neue Gesetz und Testament aufgehen musste, so blieb doch der Stein auf ihrem Herzen, und es fehlte noch ein Aufschluss. Er hatte in der Schule zu Kapernaum, als er von den Kräften seines Leibes und Blutes redete, den Genuss derselben ausschließlich als das Mittel des Lebens und einer ewigen Vereinigung mit ihm gesetzet; und nun wollte er hingehen zum Vater, von ihnen weg, und wo sie ihm nicht folgen konnten.
Natürlich war ihr Herz, wie die Schrift sagt, voll Trauer worden, weil er solches zu ihnen geredet hatte. Und Du kannst denken, Andres, sie saßen um ihn und sahen ihn an und sehnten sich nach seinem Leib und Blut. Lege Deine Stirne auf die Erde. Und „er nahm das Brot, dankte und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden“.
Das sagte er, und mehr hat es ihm nicht gefallen zu sagen. Und darauf ging er hinaus, den Hass und die Verachtung der Welt zu verdienen und ihnen „das gute Werk zu erzeigen von seinem Vater, um welches sie ihn steinigen“.
ÜBER DAS GEBET
Es ist sonderbar, dass Du von mir eine Weisung über Gebet verlangst; und Du verstehst's gewiss viel besser als ich. Du kannst so in Dir sein, und auswendig so verstört und albern aussehen, dass der Priester Eli, wenn er Dein Pastor Loci wäre, Dich leicht in bösen Ruf bringen könnte. Und das sind gute Anzeichen, Andres. Denn wenn das Wasser sich in Staubregen zersplittert, kann es keine Mühle treiben, und wo Klang und Rumor an Tür und Fenstern ist, passiert im Haus nicht viel.
Dass einer beim Beten die Augen verdreht etc. finde ich eben nicht nötig, und halte es für besser, natürlich zu beten. Aber man muss einen deshalb nicht verlästern, wenn er nicht heuchelt; doch wenn einer groß und breit beim Gebet tut, darüber muss man lästern, scheint mir – es ist nicht auszustehen. Man darf Mut und Zuversicht haben, aber nicht eingebildet und selbstklug sein; denn weiß einer sich selbst zu raten und zu helfen, so ist es ja das kürzeste, dass er sich selbst hilft. Das Händefalten ist eine feine äußerliche Zucht und sieht so aus, als wenn sich einer auf Gnade und Ungnade ergibt und die Waffen streckt etc.. Aber das innerliche heimliche Hinhängen, Wellenschlagen und Wünschen des Her-zens, das ist nach meiner Meinung beim Gebet die Hauptsache, und darum kann ich nicht begreifen, was die Leute meinen, die nichts vom Beten wissen wollen. Das ist doch so, als wollten sie sagen, man solle nichts wünschen oder man solle keinen Bart und keine Ohren haben. Das müsste ja ein hölzerner Bube sein, der seinen Vater niemals etwas zu bitten hätte, und der erst einen halben Tag in den Büchern suchte, ob er es zu der Extremität kommen lassen wolle oder nicht. Wenn Dein Wunsch Dir innerlich nahe geht, Andres, und warmer Komplexion ist, so wird er nicht lange anfragen, er wird Dich übermannen wie ein starker, ge-wappneter Mann, wird sich kurz und gut mit einigen Lumpen von Worten beklei-den und am Himmel anklopfen.
Aber das ist eine andere Frage, was und wie wir beten sollen. Kennt jemand das Wesen dieser Welt, und trachtet er ungeheuchelt nach dem, was besser ist, dann hat es mit dem Gebet seine gewissen Wege. Aber des Menschen Herz ist eitel und töricht von Mutterleibe an. Wir wissen nicht, was gut für uns ist, Andres, unser liebster Wunsch hat uns oft betrogen! Und deshalb muss man nicht auf seinem Wunsch bestehen, sondern blöde und diskret sein und es dem lieber anheim stellen, der es besser weiß als wir. Ob nun das Gebet einer bewegten Seele etwas vermag und wirken kann oder ob der Nexus Rerum dergleichen nicht gestattet, wie einige Herren Gelehrte meinen, darüber lass ich mich in kei-nen Streit ein. Ich habe allen Respekt vor dem Nexus Rerum, kann aber doch nicht umhin, dabei an Simson zu denken, der den Nexus der Torflügel unbe-schädigt ließ und bekanntlich das ganze Tor auf den Berg trug. Und, Andres, ich glaube, dass der Regen wohl kommt, wenn es dürre ist, und dass der Hirsch nicht umsonst nach frischem Wasser schreit, wenn einer nur recht betet und recht gesinnt ist.
Das „Vater unser“ ist ein für allemal das beste Gebet, denn Du weißt, wer es gemacht hat. Aber kein Mensch auf Gottes Erdboden kann es so nachbeten wie er es gemeint hat; wir verkrüppeln es nur von ferne, einer noch immer armseliger als der andere. Das schadet aber nicht, Andres, wenn wir es nur gut meinen; der liebe Gott muss so immer das Beste tun, und der weiß, wie es sein soll. Weil Du es verlangst, will ich Dir aufrichtig sagen, wie ich es mit dem „Vater unser“ mache. Ich denke aber, es ist so nur sehr armselig gemacht, und ich möchte mich gerne eines Besseren belehren lassen.
Sieh, wenn ich beten will, so denke ich erst an meinen seligen Vater, wie der so gut war und mir so gerne geben mochte. und dann stell ich mir die ganze Welt als meines Vaters Haus vor; und alle Menschen in Europa, Asien, Afrika und Amerika sind dann in meinen Gedanken meine Brüder und Schwestern; und Gott sitzt im Himmel auf einem goldenen Stuhl und hat seine rechte Hand über das Meer und bis ans Ende der Welt ausgestreckt, und seine Linke ist voll Heil und Gutem, und die Bergspitzen umher rauchen – und dann fang ich an:
Vater Unser, der du bist im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Das verstehe ich nun schon nicht. Die Juden sollen besondere Heimlichkeiten von dem Namen Gottes gewusst haben. Das lasse ich aber gut sein und wün-sche nur, dass das Andenken an Gott und eine jede Spur, aus der wir ihn er-kennen können, mir und allen Menschen über alles groß und heilig sein möge.
Zu uns komme dein Reich.
Hierbei denke ich an mich selbst, wie es in mir hin und her treibt und bald dies bald das regiert, und dass das alles Herzquälen ist und ich dabei auf keinen grünen Zweig komme. Und dann denke ich, wie gut es für mich wäre, wenn doch Gott allem Streit ein Ende machen und mich selbst regieren wollte.
Dein Wille geschehe
wie im Himmel also auch auf der Erde.
Hierbei stelle ich mir den Himmel mit den heiligen Engeln vor, die mit Freuden seinen Willen tun, und keine Qual rührt sie an, und sie wissen sich vor Liebe und Seligkeit nicht zu retten und frohlocken Tag und Nacht; und dann denk ich: Wenn es doch auch auf Erden so wäre!
Unser täglich Brot gib uns heute.
Ein jeder weiß, was täglich Brot heißt und dass man essen muss, so lange man in der Welt ist und dass es auch gut schmeckt. Daran denke ich dann. Auch fallen mir wohl meine Kinder ein, wie die so gerne essen mögen und so flugs und fröhlich bei der Schüssel sind. Und dann bete ich, dass der liebe Gott uns doch etwas zu essen geben wolle.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Es tut weh, wenn man beleidigt wird, und die Rache ist dem Menschen süß. Das kommt mir auch so vor, und ich hätte wohl Lust dazu. Da tritt mir aber der Schalksknecht aus dem Evangelium unter die Augen; und mir entfällt das Herz, und ich nehme mir vor, dass ich meinem Mitknecht vergeben und ihm kein Wort von den hundert Groschen sagen will.
Und führe uns nicht in Versuchung.
Hier denke ich an allerhand Beispiele, wo Leute unter diesen und jenen Umstän-den vom Guten abgewichen und gefallen sind, und dass es mir nicht besser gehen würde.
Sondern erlöse uns von dem Übel.
Mir sind die Versuchungen noch im Sinn und dass der Mensch so leicht verführt werden und von der geraden Bahn abweichen kann. Zugleich denke ich aber auch an alle Mühe des Lebens, an Schwindsucht und Alter, an Kindesnot, Kaltenbrand und Wahnsinn und das tausendfache Elend und Leid, das in der Welt ist und die armen Menschen martert und quält, und da ist niemand, der helfen kann. Und Du wirst finden, Andres, wenn die Tränen nicht vorher ge-kommen sind, hier kommen sie gewiss, und man kann sich so von Herzen heraussehnen und in sich so betrübt und niedergeschlagen werden, als ob gar keine Hilfe wäre. Dann muss man sich aber wieder Mut machen, die Hand auf den Mund legen und wie im Triumph fortfahren:
Denn dein ist das Reich, und die Kraft,
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
ÜBER DAS BÜCHERSCHREIBEN
Mein lieber Andres,
Ich habe das Leichdornpflaster erhalten, die Würzpillen aber nicht, arbeite auch itzo an einem Buch, das ich dem Druck übergeben will. Er glaubt nicht, Andres, wie einem so wohl ist, wenn man was schreibt, das gedruckt werden soll, und ich wollt' ihm die Freude auch 'nmal gönnen. Er könnte etwa das Rezept zu dem Pflaster herausgeben, etwas vom Ursprung der Leichdörner herräsonnieren und am Ende einige Errata hinzutun. Sieht Er, 's kommt bei einer Schrift auf den Inhalt eben nicht groß an, wenn nur Schwarz auf Weiß ist; einige loben's doch, und am Ende lässt sich von Leichdörnern und Pflaster schon was schreiben. Ich besinne mich, dass es Ihm in der Schule immer so schwer ward, die Commata und Puncta recht zu setzen. Sieht Er, Andres, wo der Verstand halb aus ist, setzt Er ein Comma; wo er ganz aus ist, ein Punctum, und wo gar keiner ist, kann Er setzen, was Er will, wie Er auch in vielen Schriften findet, die herauskommen. Was Er seinem Buch für einen Titel geben will, dass muss Er wissen; meins heißt: secum portans, und ich kann Ihm nichts weiter davon sagen, als dass es Anfang und Ende hat.
Sein Diener.
ÜBER DIE ASTRONOMIE
Mein lieber Andres,
Seine Astronomie hat Er wohl mit Haut und Haar wieder vergessen? Ich weiß noch, 's pflegt Ihm hart einzugehen, was Herr Ahrens uns von Triangeln und Zirkeln vormachte, und doch mocht ich Ihn damals schon lieber leiden. Herr Ahrens wusste wohl alles auf 'n Fingern, und Er konnte nichts begreifen; aber dagegen konnt' Er auch in seiner Einfalt so 'ne ganze halbe Stund' einen hellen Stern ansehn und sich so in sich darüber freuen, und das konnte Herr Ahrens nicht, und darum mocht' ich Ihn lieber leiden, sieht Er! und darum schreib' ich Ihm auch diesen Brief, weil übermorgen Abend recht was schön's am Himmel zu sehn ist. 's wird nämlich der Abendstern eine Stund' nach Sonnenuntergang – wenn reine Luft ist, versteht sich – groß und hell am Himmel dastehen, im Westen, und dicht unter ihm zur Linken der Jupiter und zur Rechten der Mond. Wie das zusammenhängt, dass die drei schönen Himmelslichter so dicht neben einander stehen, das mag Herr Ahrens demonstrieren; Er aber soll vor seine Tür heraustreten, und nach meinem lieben Mond und den beiden freundlichen Sternen hinsehn, und, was Ihm, wenn Er nun so vor seiner Tür steht und hin-sieht, Andres, was Ihm denn durch 'n Sinn fahren wird, sieht Er! das gönnt Ihm sein alter Schulkam'rad, und davon weiß Herr Ahrens Nichts. Leb' Er wohl, Andres, und vergess' Er nicht die Tür zu riegeln, wenn Er wieder h'reingeht.
Den 11ten Febr. 1774
ÜBER DIE NEUE THEOLOGIE
Du reibst Dir auch die Stirne, Andres, über den Unfug mit der Bibel, und dass die Menschen „sich so bald abwenden lassen auf ein ander Evangelium, so doch kein andres ist, ohne dass etliche sind, die uns verwirren und wollen das Evange-lium Christi verkehren.“
Im Anfang, als die etlichen hervorrückten, wollte ich meinen Augen nicht trauen und dachte, dass dabei irgend eine andre Absicht, die ich nicht absehen könne, hinter dem Berge halte. Man hat, unbesehen, Achtung für gelehrte Leute; und ich konnte nicht glauben, dass es möglich sei, so leichtsinnig und unverschämt zu sein, andern Leuten, die doch auch Menschenverstand haben, solche Sachen zu bieten und als Weisheit auszugeben; noch weniger, dass man einer bestehenden Religion so ins Angesicht Hohn sprechen dürfe. Wie gesagt, ich dachte, hinter dem Berge halte etwas, das ich nicht absehen könne.
Aber es hält nichts hinter dem Berge, es hält alles vor dem Berge und vor Augen, und ist, worauf ihrer so viele und von allen Parteien ausgehen, mehr oder weni-ger, nichts anders als ihre Vernunft in der Religion den Meister spielen zu lassen und alles, was sie nicht begreifen und darin allein die Religion und der Glaube besteht, heraus zu tun, um in den Zeiten der Vernunft auch ihres Orts nicht müßig zu sein und ihre Ehre in Sicherheit zu bringen.
Und da nehmen sie nun alles zu Hülfe, Gelehrsamkeit und Wohlredenheit, Alter-tümer und Sprachgebrauch, Akkommodation und babylonische Teufel, Volkssinn und Volksunsinn, um den offenbaren Verstand und die klaren Worte der heiligen Schrift unmündig und aus Weiß Schwarz zu machen. Und andere, die noch wohl lieber beim Weißen blieben, laufen mit, weil sie den Wert ihrer Sache nicht kennen, und es ihnen an Kraft und Mut fehlt, den Verdacht der alten Einfalt und des Zurückbleibens auf sich zu laden.
„O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorchet? - Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr's nun im Fleisch voll-enden?“
Aber Andres, Du bist der Meinung, es sei immer solcher Unfug gewesen; man solle schweigen und zusehen, bis auch dieser Schwindel wie der Revolutions-schwindel vorübergehe und sie aus Schaden klug werden.
Der Meinung bin ich aber nicht. Es ist wohl immer solcher Unfug gewesen, aber er ist doch mit mehr Zurückhaltung getrieben worden, und so nahe ist er uns noch nicht gekommen. Und schweigen ist freilich das sicherste und bequemste, auch die meiste Zeit das gescheuteste; aber ich denke, in einer Sache, die alle Menschen so nahe angeht, kann man nicht zu früh und zu viel widersprechen; ich denke, in einer solchen Sache darf kein ehrlicher Mann schweigen und die Pluralität scheuen, er muss unverhohlen seine Meinung sagen und vorlieb nehmen, was darauf folgt.
Wäre ein religiöses Parlament, so ließe man eine förmliche Protestation gegen die Ministerialpartei in die Parlamentsregister einrücken für Welt und Nachwelt; denn man muss sich schämen, ein Zeitgenosse gewesen zu sein, wo solche Acte passiert sind. Die Menschen sind doch einmal unwissend und blind über das Unsichtbare, sie kennen doch ihren unsterblichen Geist nicht und wissen ihm keinen Rat; Gott weiß einen und promulgiert eine Arzenei, die sich bei Tausen-den bewährt hat und sich bei allen bewährt, die sie nach Vorschrift gebrauchen – und da kommen sie und wollen Gott meistern und seine Arzenei nach ihrem Dispensatorio einrichten und ändern!… Kann es einen größern Unsinn geben? Und können sie es für die verantworten, die durch sie verführt werden, die Arzenei Gottes ungebraucht zu lassen und ihren Quacksalbereien nachzulaufen?
„Ich tue euch aber kund, lieben Brüder“, sagt der Apostel, „dass das Evangelium, das von mir geprediget ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.“
Wenn das Christentum weiter nichts wäre, als ein klares, allen einleuchtendes Gemächte der Vernunft, so wäre es ja keine Religion und kein Glaube; und warum wäre denn gesagt, dass die Welt den Geist des Christentums nicht sehe und nicht kenne, und wie hätte seine Einführung unter den Menschen so viel Widerspruch und Blut kosten können?
Und das, wozu tausend Jahre Zeit nötig gewesen sind, um es allgemein in Euro-pa einzuführen, wofür die Könige und Fürsten so viel gekämpft und gestritten und es als das Glück ihrer Länder angesehen, wofür unsere Väter und Vorfahren so viel gelitten und Leib und Leben gewagt und hingegeben haben, und was wir alle, ein jeder von uns, heilig zu halten und zu bewahren mit Mund und Hand gelobt und versprochen haben, was unsere Seelen selig machen kann, – das sollten wir uns ohne Schwertschlag, unter dem Schein der Aufklärung und einer bessern Einsicht, unvermerkt und unter der Hand nehmen und aus den Händen winden lassen … das sei ferne! das wolle Gott nicht! das werden unsere Könige und Fürsten nicht wollen; das wird keiner wollen, der sich und die Seinen lieb hat.
Was aber auch werden mag, Andres, Dir und mir soll es niemand nehmen, weder Schwachheit noch Klugheit, weder Süß noch Sauer. Wir wollen es, nach Mosis Rat, „in unsere Seelen fassen, und zum Zeichen auf unsere Hand binden, dass es ein Denkmal vor unsern Augen sei; wir wollen es unsere Kinder lehren und davon reden, wenn wir im Hause sitzen oder auf dem Wege gehen, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen“. Dabei bleibt's, Andres. Leb wohl.
VOM GEWISSEN UND GESETZ
An Andres.
Freilich gehört wohl das Wort Gewissen in die Klasse der Worte, von denen Pascal sagt, dass ein jeder ihre Bedeutung von Natur wisse, und durch Erklärung auch nicht mehr davon erfahren könne. Indes kann doch eins und andres zur Erklärung versucht werden. Alles Gewissen ist Bewusstsein, aber alles Bewusst-sein ist noch nicht Gewissen. Es gibt kein Gewissen ohne den Baum der Er-kenntnis Gutes und Böses. So kann man von einem Engel des Himmels nicht sagen, dass er Gewissen habe; denn er kennt nur ein Gesetz, das Gesetz des Guten. Selbst von Gott kann man es nicht sagen. Gott kennt zwar das Böse, aber es besteht nicht vor ihm, und er hat eine Wagenburg um sich her, dadurch es in Schranken gehalten, und alle Gemeinschaft mit ihm abgeschnitten wird. Nur der Mensch hat zwei Gesetze in sich, eins, wie Paulus sagt, im Gemüt und eins in den Gliedern: das eine, der inwendige Mensch oder das verständige Gesetz, das in sich unbeweglich ist, und Lust hat an dem Unbeweglichen, dem Unsichtbaren, dem Unvergänglichen, und das andere, das sinnliche Gesetz, das in sich beweg-lich ist, und dem Beweglichen, dem Sichtbaren, dem Vergänglichen anhangt, und nichts vernimmt vom Geiste Gottes. Wie Feuer und Wasser, so lange sie in ihrer Natur bleiben, unverträglich sind, so sind es diese zwei Gesetze im Menschen. Und darum ist der Mensch, vom Weib geboren, innerlich im Streit, und ist kein Friede in seinen Gebeinen, denn er soll Herr sein des sinnlichen Gesetzes, und nicht Knecht, und er weiß, wie ihm zu Mute ist. Das Bewusstsein dieser Knecht-schaft ist böses Gewissen überhaupt. Gutes Gewissen ist Bewusstsein dieser Nichtknechtschaft und liegt in der Mitte zwischen bösem Gewissen und der Freiheit oder der Herstellung des Menschen. Doch dies alles sind nur Worte, und der Mensch fühlt am besten, was Gewissen ist. Wenn er es nicht fühlt, desto schlimmer für ihn. Zu seiner Zeit hat das Gewissen notwendig in ihm gestammelt, und war es in seiner Gewalt, ihm die Zunge zu lösen oder zu lähmen. Denn wenn ein Mensch auf die Bewegungen seiner bessern Natur nicht achtet, oder wenn er der geringern die volle Gewalt lässt, so spricht das Gewissen nach und nach leiser und schweigt endlich gar. Doch schweigt es nur, und wacht einmal plötzlich und schrecklich wieder auf. Im Herbst ist die Witterung unruhig, im Winter ist sie ruhiger, wann nämlich und weil nun die Kälte einmal die Oberhand über die Wärme erhalten hat. Aber die Wärme ist keineswegs vernichtet; sie schläft nur, und stößt, wenn sie plötzlich von der Sonne geweckt wird, die Kälte desto gewalt-samer von sich. Der Bösewicht kann seinem Schicksal nicht entgehen. Das Gewissen hängt an seinem Wesen, und folgt ihm aus einer Welt in die andere. Und bis es erwacht, ahndet und nagt ihn immer was ihm bevorsteht. Cromwell und seine Gefährten schäkerten über den Königsmord, und machten einander beim Unterschreiben des Todesurteils schwarze Bärte. Aber ihm ahndete in der Folge doch nichts Gutes: er schlief zuletzt keine zwei Nächte hinter einander in demselben Bette und Zimmer; und wir sind nicht dabei gewesen, als ihm jenseits widerfuhr, was ihm diesseits ahndete. Die heilige Schrift lehrt und bestätigt auch das plötzliche und schreckliche Erwachen eines bösen Gewissens. Aber wie sie überhaupt unterrichtet, nicht sowohl durch Lehrsätze, als durch Geschichte und Tatsachen, die kräftiger wirken und mehr zu Herzen gehen, so auch hier. Nimm nur gleich, was sie von Judas, dem Verräter, erzählt, als ihm über das, was er getan hatte, die Augen aufgingen. Er lief in der Angst seines Herzens umher, suchte Trost im Tempel, gestand und bekannte den Hohenpriestern und Ältesten, dass er unschuldig Blut verraten habe, brachte ihnen die Silberlinge wieder, und warf sie, als die Buben sie nicht annehmen wollten, vor sich hin in den Tempel, um ihrer nur los zu sein, ob ihm das vielleicht Linderung schaffen könnte. Aber es schaffte ihm keine, und er verließ den Tempel eben so trostlos wieder, und ging wieder hin, wo er hergekommen war. Und als er nirgends Trost fand, und sich nicht länger ertragen konnte, griff er zum Strick, und erhenkte sich. Und er ist mitten entzwei geborsten, und alle seine Eingeweide ausgeschüttet; ob vielleicht die nun in ihm eingeschlossene Angst ihm den Leib gesprengt hat, oder eine andre und gewöhnliche Ursache. Denn die Evangelisten erzählen in ihrer Ge-schichte diesen Vorgang nicht, und Petrus führt ihn uns kurz und beiläufig an. –
VOM GLAUBEN
Der Mensch kann glauben; aber er kann nicht glauben, was er will. Sein Glauben hängt an Ursachen, die von seinem Wissen und Willen verschieden, und nicht allerdings in seiner Gewalt sind. Man kann, wie das kananäische Weib, wenig wissen und großen Glauben haben; und, wie die Pharisäer, viel wissen und doch nicht glauben usw.
Davon schrieb ich Dir, vor einiger Zeit, einen Brief und schloss ihn so: „Darum sehe ich die Geschichten, wo vom Glauben die Rede ist, fleißig an und merke auf den Sinn solcher Leute, um daraus zu lernen; nicht was ich noch wissen muss, um glauben zu können; sondern was ich noch vergessen, mir aus dem Sinn schlagen und von mir abtun muss, damit der Glaube recht an mich haften könne.“ – Und nun willst Du, dass ich Dir auch schreibe, wie ich die Geschichten angesehen, und was ich an dem Sinn solcher Leute gemerkt habe.
Lieber Andres, Du hast gewiss schon selbst angesehen und gemerkt; und auf Deiner Einfalt ruhet ein Segen, der andern Orts fehlt. Indes wir schlagen uns einander nichts ab, und so will ich an ein paar Geschichten Probe geben. Zuerst von dem Hauptmann zu Kapernaum, der eigentlich ein Heide war, und „solchen Glauben hatte, als in Israel nicht funden worden.“
Dieser Hauptmann lag nun zwar in einer Gegend in Quartier, wo unser Herr Christus seine meisten Wunder getan hat; aber die Anhänger und Erzähler und Ausbreiter dieser Wunder waren aus dem geringen Volk. – „Glaubt auch irgend ein Oberster und Pharisäer an ihn? Sondern das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, ist verflucht.“ – Daraus dann abzunehmen ist, was die Honoratiores von Christus und von denen, die ihm nachliefen, dachten, oder wenigstens ihrer Ehre gemäß hielten, zu sagen.
Und er, der Hauptmann, war Offizier in einer Armee, welche alle großen Reiche in Afrika, Europa und Asien überwältigt und, was sich widersetzte und nicht beu-gen wollte, zu Boden geworfen hatte.
Nun kann dies freilich von verschiedenen Seiten angesehen werden; aber man weiß, von welcher Seite es der Mensch ansieht, und dass es sehr natürlich ist, sich des zu überheben, sonderlich bei und unter einem Volk, das sein Ansehen in der Welt verloren hatte und mit seiner alten väterlichen Sitte und Religion den aufgeklärten und hochfahrenden Römern, vom Landpfleger an bis zu dem ge-ringsten Trossbuben, zum Gespött und Gelächter diente.
Es war denn gar nicht in dem Charakter eines solchen Römers, bei einem Juden, dem Wundermann des geringen Volks, Hülfe und Rat zu suchen. Wenn seine Feldärzte keinen Rat wussten, so war kein Rat in der Welt, und der arme gicht-brüchige Knecht konnte verzagen und sterben. Er taugte so im Felde nicht mehr. Wäre nun der Hauptmann zu Kapernaum ein so gesinnter Hauptmann gewesen, so hätte er nicht geglaubt und nicht glauben können. Wie lauten denn bei ihm die Worte? „Ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit untertan.“ Er verachtete die Überwundenen nicht, er „hatte das Volk der Juden lieb“, hatte ihnen sogar, nach dem Lukas, ihre Schule erbauet. Und als sein Knecht zu Hause lag und gicht-brüchig war und „große Qual hatte“, konnte er ihn ohne Hülfe nicht lassen und schämte sich nicht, sie, wo sie war, zu suchen; ging selbst zu dem jüdischen Wundertäter in den Flecken vor allen Leuten und erkannte ihn an und bat ihn um Hülfe – und bekümmerte sich nicht darum, was die Honoratiores und die anderen Offiziers dazu sagen und denken würden: „Herr, mein Knecht lieget zu Hause, und ist gichtbrüchig und hat große Qual.“
Vermutlich dachte er, Christus würde, wie mehrmals geschehen war, durch ein Allmachtswort auf der Stelle helfen und ihm sagen: gehe hin, dein Knecht lebet. Und das war alles, was er dem Wundertäter zumuten und von ihm annehmen konnte. Als aber Christus zu ihm sprach: „ich will kommen und ihn gesund ma-chen“ – das verdiente er nicht, das war zu viel für einen Mann wie er: „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehest, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“
Man sieht hier keine Spur, dass dieser Hauptmann sondre Einsicht und Wissen-schaft hatte, mehr als andre; aber er hatte nicht, was andern im Wege ist. Stolz, Selbstsucht, Eigendünkel sind dem Glauben zuwider; er kann nicht hinein, weil das Fass schon voll ist. Wer sich selbst erhöhet, sagt die heilige Schrift, der wird erniedriget werden; wer aber sich selbst erniedriget, der wird erhöhet werden.
Dasselbe, wie nämlich ein demütiger, nach Gott dürstender Sinn dem Glauben offen stehe und ihn an sich ziehe, lehret und prediget noch handgreiflicher die schöne Geschichte, Act. 10, von dem Hauptmann Cornelius, die wir uns auf-sparen wollen, wenn ich zu Dir komme. Und dasselbe bestätiget auch die Ge-schichte des kananäischen Weibes. Ihre „Tochter war vom Teufel übel geplaget“, und als unser Herr Christus in die Gegend Tyri und Sidon kam, ging sie aus derselbigen Grenze, und schrie ihm nach und sprach: „Ach Herr, du Sohn David's, erbarme dich mein“, und hörte nicht auf, hinter ihm her zu schreien.
– „Und er antwortete ihr kein Wort.“ –
Schon das hätte ihr hart scheinen können. Sie hatte von Christus gehört, dass er helfen könne und oft geholfen hatte; sie war ihm voll Hoffnung und Vertrauen über die Grenze nachgegangen und hatte ihn herzlich gebeten – und was sie bat, war nichts unbilliges, etc. Manche Mutter wäre hier vielleicht irre und kalt ge-worden; aber das kananäische Weib wird nicht irre und kalt. Sie bleibt fest und unbeweglich in ihrem Glauben: er kann helfen, und er wird helfen. Bisher hatte sie ihm nur von ferne nachgeschrien; nun kam sie und fiel vor ihm nieder und sprach: „Herr, hilf mir!“
„Herr, hilf mir!“ – Man kann diesen Schrei eines zerrissenen Mutterherzens nicht ungerührt und ohne Teilnahme hören und erwartet aus dem holdseligen Munde Christi ein gütiges und erfreuliches Wort für sie. Aber er antwortete und sprach: „Es ist nicht fein, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es für die Hunde.“
Wer je in Not und Verlegenheit war und in der Angst an jemand, zu dem er Ver-trauen hatte, eine Bitte wagte und abschlägige Antwort erhielt, der weiß, wie eine solche Antwort tut, wenn sie auch mit Glimpf und guter Wendung gegeben wird. Wenn man aber bei der Gelegenheit noch Unangenehmes und Hartes hören muss, das schmerzt und verwundet tief und hört sich nicht gelassen an. Hält man auch äußerlich die Empfindlichkeit zurück, so fühlt man sich doch in sich unwillig, niedergeschlagen und beleidigt. Auch der natürlich gutgesinnte Mensch kann nicht anders. Die Natur nimmt übel. Bei dem kananäischen Weibe nichts von alle dem. Ihr Herz ist gediegen und fix, und die flüchtige Natur und Empfindlichkeit ist abe. Sie hört den Mann Gottes, den sie so herzlich gebeten hatte, die harten Worte aussprechen und wird nicht beleidigt. Sie hatte geglaubt, dass ein solcher Mann für alle Menschen sei, und dass alle, die in Not sind und Hülfe brauchen, gleiches Recht an und zu ihm hätten. Nun das aber nicht ist, nun sie hört, dass die Juden die Kinder sind, und ihnen das Brot gehört, tritt sie gleich zurück. Sie kann denn kein Brot verlangen, verlangt auch kein Brot.
„Aber doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen.“ –
Da antwortete Jesus und sprach: „O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willt.“ Und, Andres, es geschieht gewiss einem jedweden, wie er will, wenn er so gesinnt ist, und wenn er so glaubt. „Wer zweifelt“, sagt Jakobus, „der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und gewehet wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde.“ Ein solcher war Petrus. Der vertraute gleich den Worten Christi und glaubte und „ging auf dem Wasser, dass er zu Jesu käme.“ Als er aber den starken Wind sahe, erschrak er und hub an zu sinken. Jesus aber ergriff ihn, und sprach zu ihm: „O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?“
Du wunderst Dich, Andres, dass solche Erfahrungen so selten sind, und dass so wenig Glauben in der Welt ist! – Du besinnst Dich nicht, sonst würdest Du Dich nicht wundern. Christus sagte, was nicht oft genug wiederholet werden kann, zu den Pharisäern: „Wie könnet ihr glauben, die ihr Ehre von einander nehmet, und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht.“
Wenn man das bedenkt und dann aufrichtig in seinen eignen Busen greifet und um sich her das Wesen und Treiben unter Gelehrten und Ungelehrten ansieht; wenn man bedenkt, wie nach dem Beispiel der Hauptmänner von Kapernaum und Cäsarien und des kananäischen Weibes der Mensch gesinnt sein muss, um glauben zu können: so weiß man, woran man ist, und wundert sich nicht mehr. Auch kann hin und wieder etwas der Art geschehen, ohne dass es bekannt wird. Denn der Glaube ist nicht laut. Er spricht bei sich selbst: „möchte ich nur sein Kleid anrühren etc.“ und „tritt von hinten zu ihm“. Und, wenn er gesund worden ist, so ist ihm das heilig, und er mag es sich selbst kaum gestehen. –
Was Du über die ersten Christen, die von dem Nero um ihres Bekenntnisses willen gemartert und getötet wurden, und über uns, wenn wir in jenen Zeiten gelebt hätten usw., am Ende Deines Briefes schreibst, Andres, das hat mich recht gerühret. – Du lieber, herziger, bescheidener Andres! Aber Du irrst Dich über Dich selbst. Deine Ergebung, Dein Beten für den Nero und Deinen Wider-willen gegen alle Selbstgewalt, wenn sie auch in Deiner Macht wäre, gebe ich Dir gerne zu. Aber Deine Zaghaftigkeit, wenn die Reihe an Dich gekommen wäre, kann ich Dir nicht zugeben. Freilich man denkt nicht immer gleich, und ist einem an Ort und Stelle anders zu Mut als auf seiner Stuben; und darum muss man auch nicht in jenen Zeiten gelebt haben wollen. Aber, wenn wir damals gelebt hätten: Du wärest nicht gelaufen, das weiß ich; und Du hättest Dein Leben nicht teuer geachtet.
Wer über diese Welt hinaussieht und sich der andern bewusst ist, der vergilt nicht Böses mit Bösem und trotzt nicht; aber er fürchtet auch nicht und erschrickt nicht. – Können sie doch nur den Leib töten und mögen die Seele nicht töten! Und was ist denn der Leib und das Leben, wenn von Christus die Rede ist. Nein, Andres, Du wärest nicht gelaufen. Du hättest vor dem Nero das gute Bekenntnis unver-hohlen bezeuget und Deinen Kopf hingehalten. Und wenn ich den hätte fallen sehen – ich stehe für nichts; wer wird sich vermessen. Aber mich dünkt, ich hätte mein Halstuch gelöst und dem Nero gesagt: hast du denn nur einen Segen, Tyrann; segne mich doch auch.
Ade, lieber Andres, und schreibe bald wieder.
VON DER MYTHOLOGIE
Du möchtest gern den Sinn der unterirdischen Unternehmungen in der Mytho-logie der alten Völker wissen, und warum doch die großen heroischen Menschen, die feurigen Sucher und Liebhaber der Wahrheit, in die Unterwelt herunterge-stiegen sind. Ich denke, Andres, weil sie, was sie suchten, hier oben nicht haben finden können. Wer hier sein Genüge findet, der muss mit unvollkommener, sichtbarer, veränderlicher und vergänglicher Natur genug haben. Wenn also eine vollkommene, unsichtbare, unveränderliche und unvergängliche Natur der Freund war, den ihre Seele liebte, so mussten sie ihn anderswo suchen gehen. Seine Fußstapfen fanden sie in dem Sichtbaren und Vergänglichen wohl, aber ihn fanden sie da nicht. Doch, warum grade unter der Erde die Veredelung sein selbst suchen?
Wird doch nichts in der Luft gesäet! Samen und Tierarten legen in der Erde die Schale ab, ehe sie ihre neue Gestalt und Existenz erhalten. Gehen doch auch die Menschen leiblich in die Erde, ihren Staub abzuschütteln und der Wahrheit näher zu kommen. Vielleicht, dass daher ein Bild genommen ist; oder, weil das Weizen-korn, ehe es Frucht bringt, zuvor ersterben und also einen Schritt rückwärts, herunter, tun muss; oder, weil die Weisen sich fügen wollten in die Ideen der Welt, die dort Schätze vermutet und sucht; oder, weil der ihrige da gefunden wird, wo es Mühe kostet hinzukommen, und wo nicht ein jeder von Hause aus hin-sehen kann. Vielleicht ist's auch noch anders, Andres, ich weiß nicht; aber mich dünkt, wenn wir hätten erfinden sollen, wir hätten auch die Schwärmer in der Luft, und die wahren ernsthaften Liebhaber unter der Erde suchen lassen.
Offenbar muss man von Erde und Himmel und von allem, was sichtbar ist, die Augen wegwenden, wenn man das Unsichtbare finden will. Nicht, dass Himmel und Erde nicht schön und des Ansehens wert wären. Sie sind wohl schön und sind da, um angesehen zu werden. Sie sollen unsere Kräfte in Bewegung setzen, durch ihre Schöne an einen, der noch schöner ist, erinnern und uns das Herz nach ihm verwunden. Aber, wenn sie das getan haben, denn haben sie das ihrige getan, und weiter können sie uns nicht helfen.
Der Mensch ist reicher als sie, und hat, was sie nicht geben können. Alles, was er um sich her Leben haben sieht, stirbt; und er weiß von Unsterblichkeit. Er sieht in der sichtbaren Natur nichts als Zeitliches und Örtliches; und er weiß von einem Ewigen und Unendlichen. Er sieht nur Mannichfaltigkeit, lauter Zerstreutes und Zerstückeltes; und doch will er immer Einen, unter Eins fassen, aus Einem her-leiten usw. Wie und woher könnten ihm solche heterogene und bewunderns-würdige Dinge kommen, wenn sie nicht aus ihm selbst kämen und in ihm nicht etwas Heterogenes und Bewundernswürdiges wäre?
Selbst die Weisheit und Ordnung, die der Mensch in der sichtbaren Natur findet, legt er mehr in sie hinein, als er sie aus ihr herausnimmt. Denn er könnte ihrer ja nicht gewahr werden, wenn er sie nicht auf etwas, das er in ihm hat, beziehen könnte, sowie man ohne Maß nicht messen kann. Himmel und Erde sind für ihn nur eine Bestätigung von einem Wissen, deß er sich in sich bewusst ist, und das ihm die Kühnheit und den Mut gibt, alles zu meistern und aus sich zu rectifi-zieren. Und mitten in der Herrlichkeit der Schöpfung ist und fühlt er sich größer als alles, was ihn umgibt, und sehnt sich nach etwas anderm.
Andres, der Mensch trägt in seiner Brust den Keim der Vollkommenheit und findet außer ihr keine Ruhe. Und darum jagt er ihren Bildern und Conterfei's in dem sichtbaren und unsichtbaren Spiegel so rastlos nach und hängt sich so freudig und begierig an sie an, um durch sie zu genesen. Aber Bilder sind Bilder. Sie können, wenn sie getroffen sind, sehr angenehm überraschen und täuschen, aber nimmermehr befriedigen. Befriedigen kann nur das Wesen selbst, nur freies Licht und Leben – und das kann ihm niemand geben, als der es hat.
Gott befohlen, Andres.
Dein etc.
VON WEGEN EINER GEWISSEN VERMUTUNG
Es ist mir angenehm, aus Jost seinem Frachtzettel zu vermerken, dass Du willens bist, Dich wieder zu verheiraten. Glück zu! lieber Andres.
Das Heiraten kommt mir vor wie 'n Zuckerboltje oder -bohne; schmeckt anfangs süßlicht, und die Leute meinen denn, es werde ewig so fortgehen. Aber das bisgen Zucker ist bald abgeleckt, sieht Er, und denn kommt inwendig bei den meisten 'n Stück Assa foetida oder Rhabarber, und denn lassen sie 's Maul hängen. Bei Dir nun soll's nicht so sein! Du sollst, wenn Du mit dem Zucker fertig bist, eine wohlschmeckende kräftige Wurzel finden, die Dir Dein Lebelang wohl-tut! Wie ich Dich kenne, und Deine Wirtschaft mit der seligen Gertrud angesehen habe, bin ich auch überzeugt, es werde so gehen; Du müsstest denn gar an einen Höllbesen geraten sein, und der gibt es nicht viele. Die Weiber sind ge-schmeidige gute Geschöpfe, und wenn Du von einer hörst, die ihrem Manne krumme Sprünge macht, kannst Du allemal zehn gegen eins wetten, dass er sich gegen sie nicht betrage, wie's einem christlichen Ehemann wohl zusteht.
Schreib's mir ja vorher, wenn die Hochzeit ist; denn wir wollen selbst kommen, und ich will Dir auch einen Hochzeitbrief schreiben und Dir darin eins auf meiner Harfe singen und spielen. Heißt so viel, ich will Dir aus alter Liebe 'n Carmen machen, denn das begreifst Du wohl, dass man in einem Briefe nicht singen, noch auf der Harfe spielen kann, und pflegt man dergleichen poetische Redens-arten zu nennen, die in Prosa immer am unrechten Orte stehen.
Leb wohl, lieber Andres, und grüße Deine Braut von meinentwegen, und schick mir ihren Schattenriss, wenn's auch nur mit einer Kohle gemacht ist, ich will's Dir zulieb aufhängen, und Du kannst Dich dadurch insinuieren; denn sie haben's gerne, dass man ihren Schatten nehme. Noch einmal, leb wohl, Herr Bräutigam, Gott gebe Dir eine gute Frau, und schreibe bald, oder ich verharre etc.
WELCHE GESCHICHTEN MIR DIE HERRLICHSTEN DÜNKEN
Du fragst, welche Geschichten mir die herrlichsten dünken? Alle, Andres, alle! … ein jedes Wort, das aus seinem Munde gegangen ist, eine jede Bewegung seiner Hand … seine Schuhriemen sind mir heilig. Und wer kann sich was wollen dün-ken lassen? Wenn er sagt: „Friede sei mit euch“, so haben wir unser ganzes Leben zu tun und werden es wohl im Himmel erst verstehen lernen, was das einzige Wort Friede in seinem Munde heißt. Andres, Du kannst denken, dass alles, was ihn angeht und was er gesagt und getan hat, viel Sinn und Bedeutung habe; und dass wir zu klein sind, über die Herrlichkeit der Geschichten zu richten. Indes machen sie doch, wie sie da stehen, auf unser Herz verschiedenen Ein-druck; und da, muss ich sagen, freuen mich die am meisten, wo er vom ewigen Leben spricht und von einem Tröster, den er senden will; wo er den Blinden die Augen auftut; wo er die Seinen liebt bis ans Ende und mit ihnen das Abendmahl hält, und wo er Tod und Teufel meistert.
Denk einmal, Andres, wenn der Teufel, der so mächtig ist, und der nur Freude daran hat, zu quälen und alles um sich her elend zu machen, wenn der freie Hand und niemand über sich hätte; was würde aus der Welt und uns armen Menschen werden! Muss es einen denn nicht freuen, wenn man sieht, dass er einen Übermann hat, und dass gerade der sein Übermann ist, der da half und gesund und selig machte alle, die zu ihm kamen, und des Barmherzigkeit kein Ende hat? Und der Tod? Er ist doch schrecklich, Andres, und der Wurm am Zaum krümmt sich vor ihm, denn er nimmt uns alles. Wenn Du nun siehst, dass unser Herr Christus zu Nain einen Toten erweckt, den sie zu Grabe trugen, und zu Bethanien einen, der schon vier Tage im Grabe gelegen war usw., wenn Du ihn nun von Hütten des Friedens sprechen hörest, wo wir unseren Anselm wiedersehen sollen, und wo die guten und frommen Menschen aller Zeiten und Völker sollen versammelt werden; wenn Du ihn nun sagen hörst, dass, wer an ihn glaubt, nicht sterben soll, ob er gleich stürbe; – freut Dich das nicht, Andres? Und wünscht Du nicht von Herzen, an ihn zu glauben? Aber „der Glaube ist nicht jedermanns Ding“, und er steht nicht so zu Gebot, Andres. Die Apostel selbst, die um ihn waren, und die gesehen und gehört hatten, „sprachen zu dem Herrn: stärke uns den Glauben“. Ich sehe an dem kananäischen Weiblein und anderen Exempeln, dass man wenig wissen kann und großen Glauben haben; und an der Pharisäern usw., dass man viel wissen kann und doch nicht glauben. Christus sagte zu den Pharisäern: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmet“, und Paulus spricht von „Menschen von zerrütteten Sinnen, untüchtig zum Glauben“ usw.
Daher sehe ich die Geschichten, wo vom Glauben die Rede ist, fleißig an und merke auf den Sinn solcher Leute, um daraus zu lernen: nicht was ich noch wissen muss, um glauben zu können, sondern was ich noch vergessen, mir aus dem Sinn schlagen und von mir abtun muss, damit der Glaube recht an mir haf-ten könne.
Dein usw.
WO ER IST, IST DAS GELOBTE LAND
Sein Reich ist nicht von dieser Welt – darum hassten ihn die Juden und verfolg-ten und töteten ihn. … Lass uns nicht verdammen, Andres! Es ist himmel-schreiend, was sie getan haben, und davon ist nicht die Rede. Aber unser Herr Christus gibt keinem das Recht, den ersten Stein aufzuheben, als der rein ist. Und wer ist rein? Wir sollen nicht liebhaben die Welt und was in der Welt ist; wir sollen unser eigenes Leben hassen und verlieren, und es soll geistlich bei uns gerichtet sein. Nicht verdammen, Andres!
Es ist sehr recht und wahr von Dir geschrieben, Andres, dass man ihn so innig lieben und so mit ganzem Herzen an ihm hangen kann, weil er so durchaus und über alles gut ist; auch ist das sehr recht und wahr, dass einen die Menschenge-stalt an ihm so wunderbar freuet. Aber, dass Du so gerne im Gelobten Land sein möchtest!
Es dünkt einem freilich so, Andres, als wäre von den Wegen, die er gewandelt, von den Bergen, auf denen er mit seinen Jüngern gesessen ist, noch der Segen nicht wieder genommen; als werde man auf dem Ölberge noch Spuren seines Nachtlagers, auf dem Tabor noch Strahlen seiner Verklärung finden; als stehe, wo er die Stadt ansah und über sie weinte, wo er niederkniete und betete, wo er das heilige Abendmahl einsetzte, wo er gekreuzigt und gestorben ist, noch immer ein Kreis Engel und gelüste, in das Geheimnis hineinzuschauen, und bewache den Ort; kurz, als sei er uns im Gelobten Land näher. Wir wissen aber, dass er einmal auf Erden erschienen ist, sichtbar, damit alle Menschen wüssten, dass er sei und wes sie sich zu ihm zu versehen haben; und dass er unsichtbar allent-halben ist. Und wo er ist, Andres, ist das Gelobte Land.
Wie gesagt, solche Empfindungen, so lieblich und lobenswert sie sind, können zu weit führen, und sie sind nicht die Sache. Uns und unserem verdorbenen Willen aufrichtig entsagen und seinen Willen tun, das ist die Sache; und es ist in keinem anderen Heil. Gott sei mit Dir, mein lieber Andres, und besuche mich bald.
ES WARD IHNEN GESAGT, DER SCHLÜSSEL SEI ZUM AUFSCHLIESSEN UND DIE ZEIT SEI KURZ
Es war einmal ein Edler, des Freunde und Angehörige durch ihren Leichtsinn um ihre Freiheit gekommen und in fremdem Lande in eine harte Gefangenschaft geraten waren. Er konnte sie in solcher Not nicht wissen und beschloss, sie zu befreien. Das Gefängnis war fest verwahrt und von inwendig verschlossen, und niemand hatte den Schlüssel. Als der Edle sich ihn nach vieler Zeit und Mühe zu verschaffen gewusst hatte, band er dem Kerkermeister Hände und Füße und reichte den Gefangenen den Schlüssel durchs Gitter, dass sie aufschlössen und mit ihm heimkehrten. Die aber setzten sich hin, den Schlüssel zu besehen und darüber zu ratschlagen. Es ward ihnen gesagt, der Schlüssel sei zum Auf-schließen, und die Zeit sei kurz. Sie aber blieben dabei, zu besehen und zu ratschlagen; und einige fingen an, an dem Schlüssel zu meistern und daran ab- und zuzutun. Und als er so nun nicht mehr passen wollte, waren sie verlegen und wussten nicht, wie sie ihm tun sollten. Die andern aber hatten's ihren Spott und sagten, der Schlüssel sei kein Schlüssel, und man brauche auch keinen.
DIE WAHRE FURCHT GOTTES MUSS EMPFINDUNG, MUSS WAHRHEIT IN UNS SEIN
„Lasset uns die Hauptsumma aller Lehre hören; fürchte Gott und halte seine Ge-bote, denn das gehöret allen Menschen zu.“
Dieser Spruch steht in Salomos Büchlein zu Ende aller andern Sprüche, wie der Morgenstern der zuletzt aufgeht und schöner und herrlicher ist als alle Sterne die vor ihm hergehen. Die Hauptsumma pflegt gewöhnlich am Ende zu stehen, und also ist diese Stellung des Spruchs natürlich. Vielleicht kann sie aber auch noch eine Nebenabsicht haben. Salomo macht anderswo die Bemerkung, dass einem ein Narr nicht glaube wenn man ihm nicht auch sagt was in seinem Herzen ist. Nun gibt es aber Leute die alles lästern was sie nicht begreifen, die sich zu klug dünken zu glauben, und zu dumm sind zu wissen; arme Leute, welche die Vorteile beider Parteien entbehren und für sich keinen andern haben, als dass sie ihr Lebelang diskutieren, und von Leuten die noch dümmer sind als sie für große Geister gehalten werden. Diese Klasse von Menschen ist von jeher in der Welt gewesen und wird bis je und je darin bleiben. Vielleicht nahm Salomo Rück-sicht auf sie, wollte auch ihnen gern die große Lehre zu Herzen bringen, dass Gottesfurcht die Quelle alles Guten sei. Er wusste aber, dass er unvorbereitet damit bei ihnen wenig Glauben finden würde. Daher schickt er verschiedene Sprüche mit Lehre die mehr in ihren Kram gehöret voran, und nachdem er sich als Meister in ihrer eignen Kunst gezeigt und sich solchergestalt ihr Vertrauen erworben hatte, rückt er mit der Hauptsumma aller Lehre hervor:
Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen zu. Es gibt manches Ding, will er sagen, manche Lehre zwischen Himmel und Erde, die sehr dankenswert ist und ihre Interessenten in mehr als Einer Hinsicht zu großen Leuten macht; aber das Alles und Eins, das eigentliche Ding, die Hauptsumma aller Lehre ist Furcht Gottes, und die gehöret allen Menschen zu, ist des Men-schen sein Element, sein Beruf, sein Natur und Wesen.
Lieben Herren Subskribenten! Ich bin nicht was Salomo war, bin nicht König über Israel, und ich bescheide mich gerne dass mir seine Weisheit noch mehr als seine Krone fehlet; aber überzeugt bin ich lebendig, dass die Furcht Gottes die Quelle alles Guten sei, dass es da anfangen und sich da wieder endigen müsse, und dass alles was sich darauf nicht gründet und nicht damit besteht, wie groß es auch scheine, doch nichts als Täuschung und Trug sei und unser Wohl nicht fördern möge. Aber Furcht Gottes und Furcht Gottes ist zweierlei; und hier liegt der Knoten, dadurch diese Lehre zweideutig und rätselhaft wird. Wir fürchten alle Gott, sprechen mit Ehrerbietung von ihm, hören mit Ehrerbietung von ihm spre-chen etc., wollen ihn fürchten und tun uns wohl auch bei der und jener Gelegen-heit mit seiner Furcht einigen Zwang an, und übrigens bleibt's beim Alten. Solch eine Furcht Gottes mag als eine feine äußerliche Zucht gelten, sonst aber ist sie der leibhafte Bediente hinten auf der Kutsche. Der steht da auch als ein Schild dass honette Leute im Wagen sind, gibt ein Zeichen dass die Wachen heraus-treten, macht die Kutschentür auf und zu etc., und übrigens gehen die Bestien vor dem Wagen ihren ehrbaren Trab oder wilden Galopp wohin sie wollen, und der Herr dahinten muss immer mit fort und wird nicht gefragt. Wenn die Herr-schaft recht gnädig ist, nimmt sie ihn wohl bei einfallendem Regenwetter zu sich in den Wagen. Was soll solch eine Furcht Gottes? Was kann die für Wirkungen haben, und wie wäre sie die Hauptsumma aller Lehre?
Das war aber auch nicht die Furcht Gottes der Altväter, die uns in der Schrift zum Muster dargestellet werden. Denn bei denen war die Gottesfurcht nicht Bedienter hinten auf dem Wagen, sondern Herrschaft und Kutscher zugleich. Ihnen war nichts so innig und heilig als sie; nichts so sauer das sie ihretwegen nicht getan, nichts so süß das sie ihretwegen nicht gelassen hätten. Joseph reißt sich aus den Armen eines schönen Weibes los und lässt einen Mantel im Stich, weil er ein so groß Übel nicht tun kann und wider Gott sündigen. Abraham schlachtet, als Gott zu ihm sprach, seinen einzigen Sohn, und bekümmert sich nicht um sein Vaterherz und seine Vernunft; – und so muss es sein wenn was draus werden soll. Und du, der du Gottesfurcht schmähen willst, könne das; und denn komm und schmähe, so wollen wir dir glauben. Sonst aber bist du nur ein Faselhans der nicht weiß wovon er spricht, du magst lästern oder loben.
Die wahre Furcht Gottes muss Empfindung, muss Wahrheit in uns sein; denn ist sie wohltätig mir ihren Einflüssen und wunderbar in ihren Wirkungen, mehr und anders, als wir meinen oder verstehen. Wenn wir den Begriff von Gott nur bloß mit der Imagination denken, dass er, wie die heilige Schrift uns lehret, der Schöpfer und Erhalter der sichtbaren und unsichtbaren Welt sei, der erste und der letzte, sein Stuhl der Himmel und die Erde seiner Füße Schemel, dass er in allem und durch alles sei, von der Tiefe des Meeres bis an die Zinne des Himmels allein Wesen gegenwärtig und nahe, dass seine gewaltige Hand alles hält und seine Augen Tag und Nacht über alle seine Geschöpfe und sonderlich über alle seine Menschen, auch hier über und um uns, unsichtbar offen stehen – wenn wir den Begriff nur bloß mit der Imagination denken, so fährt er uns kalt durch und macht uns Gott lieben und fürchten; was wird er tun, wenn er Empfin-dung und Wahrheit in uns ist? Denn werden wir Gott nicht fürchten wollen, sondern wir werden ihn wahrhaftig fürchten, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und aus allen Kräften, in allem unserm Tun und Lassen, wenn wir aufstehen und wenn wir zu Bett gehen, um Mittag und um Mitternacht, wir schlafen oder wachen; wir werden das Bild des Allerbesten, des Allerweisesten, des Allergerechtesten, des Allerwahrhaftigsten, des Allerbarm-herzigsten beständig wie unser Leben in uns tragen und werden verwandelt werden in dasselbige Bild von einer Klarheit zu der andern. – Und das Halten der Gebote Gottes wird unsre Freude sein und unser Glück zugleich; denn was sind seine Gebote anders als eine Hand am Wege, als schwarze und weiße Tonnen, die vor Verderben warnen und die sicherste Fahrt in das Land des Heils weisen.