XXI. KAPITEL: DAS HEILIGE ABENDMAHL DES HERRN

 

Das Abendmahl des Herrn, das auch Tisch des Herrn oder Eucharistie, das heißt Danksagung, genannt wird, heißt deshalb allgemein Abendmahl, weil es von Christus bei jener letzten Abendmahlzeit eingesetzt wurde und diese noch jetzt darstellt, auch weil die Gläubigen dabei auf geistliche Weise gespeist und getränkt werden. Denn der Stifter des Herrenmahles ist nicht ein Engel oder irgendein Mensch, sondern Gottes Sohn selbst, unser Herr Jesus Christus, der es zuerst für seine Kirche geheiligt hat. Diese Weihe oder Segnung dauert aber bis heute an bei all denen, die kein anderes als das Mahl feiern, das der Herr eingesetzt hat, und die dabei die Einsetzungsworte des Herrn vorlesen und in allem mit wahrem Glauben einzig auf Christus schauen, aus dessen Händen sie gleichsam empfangen, was sie durch den Dienst der kirchlichen Diener bekommen. Durch diese heilige Handlung will der Herr seine dem Menschen-geschlecht erwiesene herrliche Wohltat in frischer Erinnerung halten, nämlich dass er uns durch seinen dahingegebenen Leib und sein vergossenes Blut alle unsere Sünden erlassen und uns vom ewigen Tod und von der Gewalt des Teufels erlöst hat, und dass er uns jetzt speist mit seinem Fleisch und tränkt mit seinem Blut, die uns nähren zum ewigen Leben, wenn wir sie im wahren Glauben auf geistliche Weise empfangen. Und diese große Wohltat erneuert er so oft, als das Abendmahl des Herrn gefeiert wird. Denn der Herr hat gesagt: „Das tut zu meinem Gedächtnis!“ So wird durch dieses heilige Mahl die Tatsache versiegelt, dass der Leib des Herrn wirklich für uns dahingegeben und sein Blut zur Vergebung unserer Sünden vergossen worden ist, damit unser Glaube nicht wanke. Und zwar wird mit diesem Sakrament sichtbar und äußerlich durch den Diener dargestellt und sozusagen augenscheinlich gemacht, was inwendig in der Seele durch den Heiligen Geist selbst unsichtbar verliehen wird. Äußerlich wird vom Diener Brot angeboten, und man hört die Worte des Herrn: „Nehmet, esset, das ist mein Leib; nehmet und teilt das unter euch; trinket aus diesem alle; das ist mein Blut.“ Deshalb empfangen die Gläubigen, was ihnen vom Diener des Herrn gegeben wird, essen das Brot des Herrn und trinken aus dem Kelche des Herrn; inwendig jedoch empfangen sie durch den Dienst Christi Fleisch und Blut des Herrn durch den Heiligen Geist und werden damit gespeist zum ewigen Leben. Denn Fleisch und Blut Christi sind wirklich Speise und Trank zum ewigen Leben; und Christus selber ist, da er für uns dahingegeben und unser Heiland ist, Grund und Wesen des Abendmahls, und wir lassen nichts anderes an seine Stelle setzen. Damit man aber besser und deutlicher versteht, wieso Fleisch und Blut Christi Speise und Trank der Gläubigen sei und von ihnen zum ewigen Leben empfangen werde, wollen wir einiges Wenige beifügen. Es gibt nicht nur einerlei Art zu essen. Es gibt ein leibliches Essen, wobei man die Speise in den Mund nimmt, mit den Zähnen zerbeißt und hinunterschluckt. Auf diese Art haben einst die Kapernaiten das Fleisch des Herrn gemeint essen zu müssen, werden aber von ihm selbst widerlegt in Joh. 6,63. Denn wie das Fleisch Christi nicht leiblich gegessen werden kann ohne Frevel und greuliche Rohheit, so ist es auch nicht eine Speise für den Bauch. Das müssen doch alle eingestehen. Wir missbilligen deshalb in den Dekreten der Päpste den hierher gehörigen Kanon: „Ich Beren-gar...“ im Abschnitt 2 über „Die Weihen“. Denn weder die Frommen der alten Kirche noch wir glauben, dass der Leib Christi mit dem leiblichen Munde körperlich oder wirklich gegessen werde. Es gibt aber ein geistliches Essen des Leibes Christi, nicht so allerdings, dass wir annähmen, die Speise selber ver-wandle sich in Geist, sondern so, dass Leib und Blut des Herrn ihr Wesen und ihre Eigenart behalten und dass sie uns geistlich mitgeteilt werden, nämlich nicht auf leibliche, sondern auf geistliche Weise durch den Heiligen Geist, der uns eben das, was durch das für uns in den Tod dahin gegebene Fleisch und Blut des Herrn erworben wurde, nämlich die Vergebung der Sünden, die Erlösung und das ewige Leben, verschafft und zu eigen macht, so dass Christus in uns lebt und wir in ihm leben. Er bewirkt auch, dass wir ihn so selbst als unsere geistliche Speise und unseren geistlichen Trank, das heißt als unser Leben, im wahren Glauben empfangen. So wie nämlich die leibliche Speise und der leibliche Trank unseren Leib nicht bloß erquickt und stärkt, sondern ihn auch am Leben erhält, so erquickt und stärkt das für uns dahingegebene Fleisch und das für uns vergossene Blut Christi unsere Seele nicht bloß, sondern erhält sie auch am Leben, allerdings nicht, weil Brot und Wein leiblich gegessen und getrunken werden, sondern darum, weil sie uns auf geistliche Weise vom Geiste Gottes mitgeteilt werden. Denn der Herr spricht: „Das Brot, das ich geben werde, ist zugleich mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt“ (Joh. 6,51). Ebenso: „Das Fleisch natürlich leiblich genossen hilft nichts, der Geist ist es, der lebendig macht.“ Und: „Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind Leben“ (Joh. 6,63). Und wie wir die Speise durch das Essen in uns selbst aufnehmen müssen, damit sie in uns wirke und ihre Kraft entfalte, da es uns nichts nützt, wenn sie neben uns liegt, so ist es auch notwendig, dass wir Christus im Glauben aufnehmen, damit er unser werde, in uns lebe und wir in ihm. Denn er sagt: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird nimmermehr dürsten.“ Ebenso: „Wer mich isst, wird leben, weil ich lebe“, und: „...der bleibt in mir und ich in ihm.“ Aus alledem geht klar hervor, dass wir unter geistlicher Speise keineswegs weiß was für eine Scheinspeise verstehen, sondern den Leib des Herrn selbst, der für uns dahingegeben wurde, der aber immerhin von den Gläubigen nicht leiblich, sondern geistlich durch den Glauben genossen wird. Darin folgen wir durchaus der Lehre Christi, unseres Herrn und Heilandes selbst, nach Johannes im 6. Kapitel. Und dieses Essen des Fleisches und Trinken des Blutes des Herrn ist so nötig zum Heil, dass ohne dieses Essen und Trinken niemand selig werden kann. Dieses geistliche Essen und Trinken aber vollzieht sich auch außerhalb des Abendmahls, so oft und wo immer ein Mensch an Christus glaubt. Darauf bezieht sich vielleicht das Wort Augustinus „Was rüstest du Zahn und Bauch? Glaube, so hast du gegessen!“ Außer dem höheren geistlichen Genießen gibt es aber auch ein sakramentales Essen des Leibes des Herrn, durch das der Gläubige nicht bloß geistlich und innerlich teil hat am wahren Leib und Blut des Herrn, sondern er empfängt, wenn er zum Tische des Herrn tritt, auch äußerlich sichtbar das Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn. So hat der Gläubige zwar schon vorher, so lange er geglaubt hat, die lebenspendende Speise empfangen und genießt sie bis jetzt, empfängt aber doch etwas, wenn er nun noch das Sakra-ment nimmt. Denn durch die ständige Gemeinschaft des Leibes und Blutes des Herrn macht er Fortschritte, und sein Glaube wird so mehr und mehr entzündet, wächst und wird stark von dieser geistlichen Nahrung. Denn so lange wir leben, wächst der Glaube beständig. Und wer im wahren Glauben das Sakrament äußerlich empfängt, der empfängt nicht nur das Zeichen, sondern genießt, wie gesagt, die Sache selbst. Außerdem gehorcht er der Anordnung und dem Befehl des Herrn, dankt mit fröhlichem Herzen für seine und der ganzen Menschheit Erlösung, begeht das gläubige Gedächtnis vom Tode des Herrn und bezeugt vor der Gemeinde, welches Leibes Glied er sei. So wird denen, die das Sakrament empfangen, die Tatsache versiegelt, dass der Leib des Herrn dahingegeben und sein Blut vergossen worden sei nicht bloß im allgemeinen für die Menschen, sondern dass sie im besonderen Speise und Trank zum ewigen Leben seien für jeden einzelnen Gläubigen, der das Abendmahl genießt. Wer aber ohne Glauben zum heiligen Tisch des Herrn tritt, der genießt das Sakrament nur äußerlich, empfängt aber nicht das Wesentliche des Sakramentes, woraus das Leben und das Heil kommt. Solche Menschen essen unwürdig am Tische des Herrn. Die aber unwürdig vom Brote des Herrn essen und von seinem Kelche trinken, werden schuldig am Leib und Blut des Herrn und essen und trinken sich selbst zum Gericht. Denn wer nicht mit wahrem Glauben hinzutritt, der schmäht den Tod Christi, und deshalb isst und trinkt er sich selber zur Verdammnis. Wir bringen deshalb den Leib des Herrn und sein Blut mit Brot und Wein nicht so in Verbindung, dass wir sagten, das Brot sei selber der Leib Christi, außer im sakramentalen Sinn, oder: unter dem Brot sei der Leib Christi körperlich ver-borgen, so dass er in der Gestalt des Brotes angebetet werden müsse, oder: wer das Zeichen empfange, der empfange unbedingt die Sache selbst. Der Leib Christi ist im Himmel zur Rechten des Vaters. Darum muss man die Herzen emporheben und darf nicht am Brot hängen bleiben und den Herrn nicht im Brot anbeten. Und doch ist der Herr nicht abwesend, wenn seine Gemeinde das Abendmahl feiert. Die Sonne ist ja auch weit weg am Himmel und trotzdem ist sie mit ihrer Kraft bei uns. Wie viel mehr ist Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, obwohl dem Leibe nach abwesend im Himmel, doch bei uns, zwar nicht leiblich, sondern geistlich durch sein lebenspendendes Wirken, wie er selbst bei seinem letzten Mahl erklärt hat, dass er bei uns sein werde (Joh.14.15.16). Daraus folgt, dass wir nicht ohne Christus Abendmahl halten und doch ein „unblutiges und geheimnisvolles Mahl“ feiern, wie die ganze alte Kirche es nannte. Ferner werden wir durch die Feier des Herrenmahles ermahnt, daran zu denken, welches Leibes Glieder wir geworden sind und deshalb eines Sinnes mit allen Brüdern zu sein, damit wir heilig leben und uns nicht beflecken mit Lastern und fremden Religio-nen, sondern im wahren Glauben verharren bis ans Lebensende, und darnach trachten, mit einem heiligen Lebenswandel voranzuleuchten. Deshalb ziemt sich, dass wir uns vor dem Gang zum Abendmahl nach der Anweisung des Apostels selber prüfen, vor allem, mit was für einem Glauben wir ausgerüstet seien, ob wir glauben, dass Christus gekommen sei, Sünder selig zu machen und zur Buße zu rufen, und ob jeder für sich glaube, dass auch er zur Zahl derer gehöre, die durch Christus erlöst und selig gemacht werden, und ob er sich vorgenommen habe, sein verkehrtes Leben zu ändern und heilig zu leben, und unter dem Beistand des Herrn im wahren Glauben zu verharren und in Eintracht mit den Brüdern Gott für die Erlösung würdigen Dank darzubringen usw. Was die heilige Handlung, nämlich die Art und Weise oder die Form des Abendmahls betrifft, so halten wir dafür, dass die am einfachsten und besten sei, die der ersten Anordnung des Herrn und der Lehre der Apostel am nächsten kommt. Sie besteht nämlich in der Verkündigung des Wortes Gottes, in frommen Gebeten, in der Handlung des Herrn selbst und ihrer Wiederholung, im Essen des Leibes und im Trinken des Blutes des Herrn, im Gedenken an den heilbringenden Tod des Herrn, in der gläubigen Danksagung und in der heiligen Vereinigung mit allen Gliedern der christlichen Gemeinde. Wir missbilligen daher die Ansicht derer, die den Gläubi-gen die eine Gestalt des Sakramentes, nämlich den Kelch des Herrn, entzogen haben. Denn diese versündigen sich schwer gegen die Anordnung des Herrn, der sagt: „Trinket aus diesem alle!“, was er beim Brot nicht so ausdrücklich gesagt hat. Wie es mit der Messe bei den Alten gewesen ist, ob sie erlaubt war oder nicht, darüber streiten wir jetzt nicht. Nur das sagen wir frei heraus, dass die Messe, die heute in der ganzen römischen Kirche gebräuchlich ist, in unseren Kirchen aus zahlreichen und höchst triftigen Gründen abgeschafft ist, die wir jetzt der Kürze halber nicht einzeln erwähnen können. Keinesfalls konnten wir es billigen, dass aus der heilbringenden Handlung ein leeres Schauspiel und eine Verdienstquelle gemacht wurde, oder dass sie gegen Bezahlung gefeiert wird, ferner, dass man sagt, der Priester „mache“ dabei den wahren Leib Christi und opfere ihn wirklich zur Vergebung der Sünden, für Lebende und Tote, dazu etwa noch zur Ehre oder zur Feier oder zum Gedächtnis der Heiligen im Himmel und so weiter.

 

XXII. KAPITEL: DIE GEMEINDEGOTTESDIENSTE UND DER KIRCHGANG

 

Obwohl es allen erlaubt ist, die Heiligen Schriften zu Hause für sich zu lesen und einander gegenseitig durch Belehrung im wahren Glauben zu erbauen, sind heilige Versammlungen oder kirchliche Zusammenkünfte dennoch durchaus nötig, um dem Volke das Wort Gottes ordnungsgemäß zu verkündigen, um öffentlich Bitte und Gebet zu tun, die Sakramente ordnungsgemäß zu feiern und für die Armen, für alle nötigen Aufwendungen der Kirche und zur Aufrechterhal-tung der gebräuchlichen kirchlichen Tätigkeit Beiträge zu sammeln. Denn es steht fest, dass in der apostolischen Urgemeinde Versammlungen dieser Art von allen Frommen häufig besucht wurden. So oft man diese gering schätzt und sich davon absondert, verachtet man den wahren Glauben. Solche Leute müssen von den Hirten (Pfarrern) und den gottesfürchtigen Behörden dringend ermahnt werden, dass sie nicht fortfahren, sich hartnäckig abzusondern und die heiligen Versammlungen zu verlassen. Die kirchlichen Versammlungen sollen aber nicht verborgen und heimlich, sondern öffentlich und regelmäßig abgehalten werden, sofern nicht eine Verfolgung durch die Feinde Christi und seiner Kirche es hindert, dass sie öffentlich stattfinden. Denn wir wissen, wie einst die Ver-sammlungen der ersten Gemeinden unter der Gewaltherrschaft der römischen Kaiser an verborgenen Orten stattfanden. Die Stätten, an denen die Gläubigen zusammenkommen, sollen aber würdig und der Kirche Gottes in jeder Hinsicht angemessen sein. Dafür sind geräumige Gebäude und Kirchen zu wählen. Sie sind jedoch rein zu halten von allen Dingen, die der Kirche nicht wohl anstehen. Es soll aber auch alles angeordnet werden, was zur Schicklichkeit, zum notwendigen Bedarf und zum frommen Anstand gehört, damit nichts fehle, was man für die gottesdienstlichen Handlungen und die kirchliche Tätigkeit überhaupt benötigt. Wie wir aber glauben, dass Gott nicht wohne „in Tempeln von Händen gemacht“ so wissen wir doch aus Gottes Wort und aus den heiligen Gebräuchen, dass die Gott und seiner Anbetung gewidmeten Stätten nicht gewöhnliche, sondern heilige Orte sind, und wer sich darin aufhält, soll sich ehrerbietig und geziemend benehmen, da er ja an heiligem Orte ist, vor Gottes und seiner heiligen Engel Angesicht. Daher ist von den Kirchen und Bethäusern der Christen jede Kleiderpracht, alle Hoffart und alles, was christliche Demut, Zucht und Bescheidenheit verletzt, durchaus fernzuhalten. Der wahre Schmuck der Kirchen besteht auch nicht in Elfenbein, Gold und Edelsteinen, sondern in der Einfach-heit, Frömmigkeit und den Tugenden derer, die im Gotteshaus weilen. Alles aber geschehe in der Kirche anständig und ordentlich, alles diene schließlich der Erbauung. Fort also mit den fremden Sprachen in den Gottesdiensten! Alles soll vorgetragen werden in der Volkssprache, die am Orte selbst von den Leuten in der Versammlung verstanden wird.

 

XXIII. KAPITEL: DIE KIRCHENGEBETE, DER GESANG UND DIE SIEBEN GEBETSZEITEN (DIE KANONISCHEN STUNDEN)

 

Natürlich ist es erlaubt, für sich allein in jeder Sprache, die man versteht, zu beten; aber die öffentlichen Gebete im Gottesdienst sollen in der gewöhnlichen oder allen Leuten verständlichen Sprache gehalten werden. Jedes Gebet der Gläubigen soll sich aus Glauben und Liebe durch die alleinige Mittlerschaft Christi allein an Gott richten. Die Heiligen im Himmel anzurufen oder sie als Fürbitter in Anspruch zu nehmen, verbietet das Priestertum des Herrn Christus und der wahre Glaube. Man muss auch für die Obrigkeit, „für Könige und alle, die in obrigkeitlicher Stellung sind“, für die Diener der Kirche und alle Bedürfnisse der Gemeinden Fürbitte tun. Bei Heimsuchungen aber, und besonders bei solchen der Kirche, soll man ohne Unterlass zu Hause und öffentlich beten. Das Gebet geschehe freiwillig, nicht gezwungen, und ohne jedes Entgelt. Es gehört sich auch nicht, dass das Gebet abergläubisch an eine bestimmte Stätte gebunden wird, als ob man nicht auch anderswo als in der Kirche beten dürfte. Es ist nicht nötig, dass die öffentlichen Gebete nach Form und Zeit in allen Gemeinden gleich seien. Die Gemeinden mögen da nur alle von ihrer Freiheit Gebrauch machen. Sokrates sagt in seinem Kirchengeschichtswerk: „Man kann durchwegs in allen Gegenden nicht zwei Gemeinschaften finden, die im Beten genau übereinstimmen.“ Die Urheber dieser Verschiedenheit waren jeweilen, wie ich glaube, die derzeitigen Vorsteher der Gemeinden. Wenn sie aber einmal übereinstimmen, so erscheint uns das sehr empfehlenswert und nachahmens-wert für andere. Es schickt sich aber auch in den öffentlichen Gebeten, wie in jeder Sache, Maß zu halten, dass sie nicht zu lang und damit lästig werden. Den größten Teil der Zeit verwende man im Gottesdienst deshalb auf die Lehre des Evangeliums und hüte sich wohl, im Gottesdienst das Volk durch zu lange Gebete zu ermüden, so dass die Leute, wenn man dann die Predigt des Evangeliums anhören sollte, entweder wünschen, die Versammlung zu verlassen oder wegen Ermüdung überhaupt ihr Ende herbeisehnen. Solchen kommt dann in der Predigt auch das noch zu lang vor, was sonst kurz genug gefasst ist. Auch für die Prediger gehört es sich, dass sie Maß halten. So soll man auch den Gesang im Gottesdienst mit Maß gebrauchen, wo er üblich ist. Der sogenannte gregorianische Kirchengesang hat viel Ungereimtes an sich; deshalb ist er mit Grund von unseren und zahlreichen Gemeinden abgeschafft worden. Gibt es etwa Gemeinden, die das gläubige und ordnungsgemäße Gebet pflegen, aber keinen Gesang haben, so soll man ihnen daraus keinen Vorwurf machen. Denn nicht alle Gemeinden sind aufs Singen eingerichtet. Aus den Zeugnissen der alten Kirche geht übrigens bestimmt hervor, dass der Gesang, wie er ein uralter Brauch war in den morgenländischen Gemeinden, so später auch von den abendländischen übernommen wurde. Die kanonischen Stunden – die sieben Gebetszeiten – das heißt die auf bestimmte Stunden des Tages festgelegten, von den Päpstlichen gesungenen und gelesenen Gebete, hat die alte Kirche nicht gekannt. Dies kann aus den Stundengebeten selbst und mit zahlreichen Gründen bewiesen werden. Sie enthalten aber viel Abgeschmacktes – um es nicht schärfer auszudrücken–; deshalb unterlässt man sie mit Recht in den Gemeinden, die an ihre Stelle etwas setzen, was der ganzen Gemeinde Gottes heilsam ist.

 

XXIV. KAPITEL: DIE FEIERTAGE, DAS FASTEN UND DIE AUSWAHL DER SPEISEN

 

Obwohl die Religion an keine Zeit gebunden ist, so kann sie doch nicht ohne rechte Einteilung oder Ordnung der Zeit gepflanzt und geübt werden. Deshalb wählte jede Gemeinde für sich eine bestimmte Zeit zum öffentlichen Gebet, zur Predigt des Evangeliums und zur Feier der Sakramente. Es ist aber nicht jedem erlaubt, nach Belieben diese Ordnung der Gemeinde umzustürzen. Und wenn keine rechte Muße zur Ausübung der äußeren Glaubenspflichten eingeräumt wird, lassen sich die Menschen bestimmt durch ihre Geschäfte davon abziehen. Daher sehen wir in den altchristlichen Gemeinden nicht nur, dass bestimmte Stunden in der Woche für die Versammlungen festgesetzt waren, sondern dass der Sonntag selbst von der apostolischen Zeit an jenen Versammlungen und der heiligen Ruhe geweiht war. Das wird auch jetzt noch um des Gottesdienstes und um der Liebe willen so gehalten von unseren Gemeinden. Doch lassen wir keine jüdische Gesetzlichkeit und abergläubische Sitten zu. Denn wir glauben nicht, dass ein Tag heiliger sei als der andere, und meinen nicht, dass das Nichtstun an sich Gott schon gefalle, sondern wir feiern und halten darum in freier Weise den Sonntag (Herrentag) und nicht den Sabbat. Wir sind außerdem auch sehr damit einverstanden, wenn die Gemeinden gemäß der christlichen Freiheit das Gedächtnis an die Geburt des Herrn, seine Beschneidung, sein Leiden und seine Auferstehung, seine Himmelfahrt und die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Jünger in frommer Weise feiern. Doch billigen wir nicht Feste zu Ehren von Menschen oder Heiligen. Natürlich gehören die Feiertage zu den Geboten der ersten Gesetzestafel und gebühren Gott allein. Die Heiligenfeste, die wir abgeschafft haben, enthalten ja zudem sehr viel Abgeschmacktes, Unnützes und völlig Unerträgliches. Indessen geben wir zu, dass es nicht unnütz ist, zu ge-gebener Zeit und am rechten Ort in frommen Predigten dem Volke das Geden-ken an die Heiligen zu empfehlen und ihm das fromme Vorbild der Heiligen vor Augen zu stellen. Je mehr aber die Kirche Christi zu klagen hat über Schwelgerei und Trunksucht, über allerlei Wollust und Unmäßigkeit, um so eifriger empfiehlt sie uns christliches Fasten. Fasten ist nämlich nichts anderes als die Enthalt-samkeit und Mäßigkeit der Frommen, die Zucht, Wachsamkeit und Bestrafung unseres Fleisches, der wir uns je nach der jeweiligen Notwendigkeit unterziehen und wodurch wir uns vor Gott demütigen und die entzündliche Gier des Fleisches mindern, damit es um so leichter und lieber dem Geist gehorche. Deshalb fasten diejenigen gar nicht, die dem nicht Rechnung tragen, sondern zu fasten meinen, wenn sie nur einmal am Tage den Bauch vollstopfen und sich dann zu be-stimmter und vorgeschriebener Zeit gewisser Speisen enthalten, in der Meinung, dass sie schon durch die Vollbringung dieses Werkes Gott gefielen und damit ein gutes Werk täten. Das Fasten ist vielmehr nur eine kleine Beihilfe zum Gebet der Heiligen (Gläubigen) und zu jeglicher Tugend. Jenes Fasten gefiel Gott nicht – wie man in den Büchern der Propheten sehen kann –, bei dem sich die Juden wohl der Speisen, nicht aber der Laster enthielten. Es gibt ein öffentliches und ein privates Fasten. Öffentliche Fastenzeiten feierte man einst in Zeiten der Heimsuchung und Anfechtung der Kirche. Da enthielt man sich überhaupt der Speise bis zum Abend. Diese ganze Zeit aber lag man heiligen Gebeten ob, sowie dem Gottesdienst und der Buße. Dies war nicht viel anderes als eine Äußerung der Trauer, und bei den Propheten wird solches häufig erwähnt, besonders bei Joel im Kapitel 2,12ff. Ein Fasten solcher Art soll auch heute in Notzeiten der Kirche gefeiert werden. Für sich selber aber kann jeder von uns ein Fasten auf sich nehmen, je nachdem er fühlt, dass sein Geist ermattet. Dann entzieht er eben seinem Fleisch die entzündliche Gier. Alles Fasten soll aus freiem, bereitwilligem und gedemütigtem Geiste hervorgehen und nicht auferlegt sein, um den Beifall oder die Gunst von Menschen zu erlangen, noch viel weniger dazu, dass der Mensch sich dadurch verdienstliche Gerechtigkeit erwerben will. Jeder faste aber zu dem Zweck, dass er seinem Fleisch die entzündliche Gier entziehe und Gott um so inbrünstiger diene. Das vierzigtägige Fasten vor Ostern ist wohl in der alten Kirche bezeugt, jedoch kein einziges Mal in den Schriften der Apostel; also soll und darf es den Gläubigen nicht auferlegt werden. Sicher ist, dass es einst verschiedene Formen und Bräuche dieses Fastens gab. Daher sagt schon der sehr alte Schriftsteller Irenäus: „Die einen glauben, das Fasten nur an einem Tage beobachten zu müssen, andere an zwei, wieder andere an mehreren, einige sogar an vierzig Tagen.“ Diese Verschieden-heit in der Beobachtung des Fastens hat also nicht erst in unseren Tagen angefangen, sondern lange vor uns bei jenen, die, wie ich glaube, nicht einfach festhielten, was von Anfang an überliefert war, sondern entweder infolge Nachlässigkeit oder Unkenntnis später in eine andere Sitte verfielen. Auch der Kirchengeschichtsschreiber Sokrates sagt: „Weil darüber keine einzige alte Nachricht zu finden ist, glaube ich, dass die Apostel dies der Entscheidung der einzelnen überließen, so dass jeder ohne Furcht und Zwang das tut, was gut ist.“ Was nun die Auswahl der Speisen betrifft, glauben wir, dass man beim Fasten dem Fleisch all das entziehen soll, wodurch es unbändiger wird, woran es sich allzu maßlos ergötzt und wovon eben die entzündliche Gier des Fleisches kommt, seien es Fische, Fleisch, Gewürze, Leckerbissen oder starke Weine. Sonst wissen wir, dass alle Geschöpfe Gottes geschaffen sind zum Gebrauch und Dienst der Menschen (1. Mose 2,15). Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut (1. Mose 1,31) und ohne Unterschied, jedoch in der Furcht Gottes und mit rechtem Maß zu gebrauchen. Denn der Apostel sagt: „Den Reinen ist alles rein“ (Tit. 1,15). Ebenso: „Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, esset, ohne um des Gewissens willen etwas zu untersuchen“ (1. Kor. 10,25). Derselbe Apostel nennt die Lehre derer, die „gebieten, sich von Speisen zu enthalten“ ... „eine Lehre von Dämonen“. Denn die Speisen habe Gott für die, welche gläubig sind und die Wahrheit erkannt haben, geschaffen, „damit sie mit Danksagung genossen werden. Denn alles von Gott Geschaffene ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung empfangen wird“ usw. (1. Tim. 4,1ff.). Ebenso tadelt er im Kolosserbrief diejenigen, die sich durch übertriebene Ent-haltsamkeit das Ansehen besonderer Heiligkeit geben wollen (Kol. 2,18ff.). Wir verwerfen daher gänzlich die Lehre der Tatianer und Enkratiten sowie aller Schüler des Eustachius, gegen die die Synode von Gangra einberufen wurde.

 

XXV. KAPITEL: DER JUGENDUNTERRICHT UND DIE KRANKEN-SEELSORGE

 

Der Herr hat seinem alten Bundesvolke auf die Seele gebunden, der rechten Unterweisung der Jugend von früher Kindheit an größte Sorgfalt zu widmen, und hat in seinem Gesetz verschiedentlich befohlen, die Kinder zu unterrichten und ihnen die Geheimnisse der Sakramente zu erklären. Da aber aus den evange-lischen und apostolischen Schriften bestimmt hervorgeht, dass Gott nicht weniger an die Jugend seines neuen Bundesvolkes denkt, da er öffentlich bezeugt und sagt: „Lasset die Kinder zu mir kommen ... denn solchen gehört das Reich Gottes“ (Mk. 10,14), tun die Hirten der Gemeinden sehr wohl daran, wenn sie die Jugend frühzeitig und fleißig unterweisen, indem sie die ersten Grundlagen des Glaubens legen und die Hauptstücke unserer Religion treulich lehren, nämlich durch Erklärung der Zehn Gebote Gottes, des Apostolischen Glaubensbe-kenntnisses, des Herrengebetes, der Bedeutung der Sakramente sowie anderer derartiger Anfangsgründe und wichtigster Hauptpunkte unserer Religion. Die Gemeinde beweise aber ihre Treue und Sorgfalt darin, dass sie die Kinder zur Unterweisung anhält, muss sie doch wünschen und sich darüber freuen, wenn die Kinder recht unterwiesen werden. Da aber die Menschen niemals schwereren Anfechtungen ausgesetzt sind, als wenn sie durch Schwäche geplagt oder krank sind, bedrückt an Seele und Leib, haben die Hirten der Gemeinden eigentlich nie sorgfältiger über das Heil ihrer Herde zu wachen, als bei derartigen Krankheiten und Schwächezuständen. Sie sollen deshalb die Kranken bald besuchen, sollen aber auch von den Kranken rechtzeitig gerufen werden sofern es ihr Zustand erfordert. Sie sollen jene trösten, im wahren Glauben stärken und sie wappnen gegen die verderblichen Einflüsterungen des Teufels. Sie sollen auch beim Kranken häusliche Gebete anordnen und, wenn‘s nötig ist, sollen sie für das Heil des Kranken auch öffentlich im Gottesdienst beten und sorgen, dass er selig aus dieser Welt abscheide. Doch den papistischen Krankenbesuch mit seiner letzten Ölung können wir, wie bereits gesagt, nicht gutheißen, weil er viel Abge-schmacktes an sich hat und von der Heiligen Schrift nicht gebilligt und uns nicht überliefert wird.

 

XXVI. KAPITEL: DAS BEGRÄBNIS DER GLÄUBIGEN, DIE FÜRSORGE FÜR DIE TOTEN, DAS FEGFEUER UND DIE ERSCHEINUNG VON GEISTERN

 

Die Heilige Schrift befiehlt, die Leiber der Gläubigen. weil sie Tempel des Heiligen Geistes sind und man mit Recht an ihre Auferstehung am jüngsten Tage glaubt, schicklich und ohne Aberglauben der Erde zu übergeben, aber auch der Gläubigen ehrend zu gedenken, die im Herrn selig entschlafen sind, und ihren Hinterlassenen, wie Witwen und Waisen, alle Dienste christlicher Bruderliebe zu erweisen. Darüber hinaus gibt es nach unserer Lehre nichts für die Toten zu sorgen. Wir missbilligen deshalb aufs schärfste die Zyniker, die die Leiber der Toten vernachlässigen oder sie völlig gleichgültig und verächtlich in eine Grube werfen, oder die niemals ein gutes Wort über die Verstorbenen sagen oder sich um ihre Hinterlassenen nicht im geringsten bekümmern. Wir missbilligen aber andererseits auch die Leute, die sich in übertriebener und verkehrter Weise um ihre Toten sorgen und wie die Heiden ihre Toten beklagen – eine mäßige Trauer, wie sie der Apostel 1. Thess. 4,13 zulässt, tadeln wir nicht, indem wir es geradezu unmenschlich fänden, überhaupt nicht zu trauern –, die also für die Toten opfern, bestimmte Gebete, und zwar gegen Bezahlung, dahermurmeln, in der Absicht, ihre Angehörigen durch Dienste dieser Art aus den Qualen, in die sie durch den Tod hineingeraten sind, zu befreien, und meinen, sie könnten durch solche Totenklagen daraus tatsächlich befreit werden. Denn wir glauben, dass die Gläubigen nach dem Tode des Leibes geradewegs zu Christus gehen und deshalb weder der Unterstützung noch der Fürbitte der Lebenden, noch all ihrer Dienste irgendwie bedürfen. Ebenso glauben wir, dass die Ungläubigen geradewegs in die Hölle gestürzt werden, aus der man den Gottlosen durch keinerlei Dienste der Lebenden einen Ausgang schafft. Was aber gewisse Leute vom Fegfeuer berichten, widerspricht dem Artikel des christlichen Glaubens-bekenntnisses: „Ich glaube an die Vergebung der Sünden und an ein ewiges Leben“ und einer völligen Reinigung durch Christus, sowie den folgenden Aussprüchen des Herrn Christus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben, und in ein Gericht kommt er nicht, sondern er ist aus dem Tod ins Leben hinüberge-gangen“ (Joh. 5,24); ebenso: „Wer gebadet ist, hat nichts anderes nötig, als die Füße zu waschen, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein...“ (Joh. 13,10). Was man nun schon berichtet über Geister und Seelen von Verstorbenen, die gelegentlich den Lebenden erscheinen und von ihnen Dienste begehren zu ihrer Erlösung, so halten wir diese Erscheinungen für Spott, List und Betrug des Teufels, der, wie er sich in einen Engel des Lichts verwandeln kann, so sich auch alle Mühe gibt, den wahren Glauben zu zerstören oder in Zweifel zu ziehen. Der Herr hat schon im Alten Testament verboten, von den Toten die Wahrheit zu erforschen und irgendwelchen Verkehr mit den Geistern zu pflegen (5. Mose 18,11). Dem reichen Mann aber, da er in der Hölle Pein litt, wird die Rückkehr zu seinen Brüdern verweigert, wie das untrügliche Evangelium erzählt, indem die göttliche Stimme ausdrücklich verkündigt: „Sie haben Mose und die Propheten; sie sollen auf sie hören! ... Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht gewinnen lassen, wenn einer von den Toten aufer-steht“ (Luk. 16,29ff.).

 

XXVII. KAPITEL: DIE GEBRÄUCHE, DIE ZEREMONIEN UND DIE MITTEL-DINGE

 

Dem alten Bundesvolke wurden einst Zeremonien als eine Art Zuchtmittel ge-geben, denen, die unter dem Gesetze wie unter einem Erzieher und Vormund gehalten wurden; aber seit dem Erscheinen des Erlösers Christus und nach Aufhebung des Gesetzes und als Gläubige sind wir nicht mehr unter dem Gesetz (Röm. 6,14) und die Zeremonien sind verschwunden. Die Apostel wollten diese eben unter keinen Umständen in der Kirche Christi behalten oder erneuern, wie sie öffentlich bezeugt haben, dass sie der Kirche keinerlei Last auflegen wollten (Apg. 15,28.10). Deshalb würde es aussehen, als ob wir das Judentum wieder einführen und neuerdings aufrichten wollten, wenn wir in der Kirche Christi nach der Art der alten Kirche die Zeremonien und Gebräuche vermehrten. Und darum billigen wir keineswegs die Meinung derer, die finden, die Kirche Christi müsse durch mancherlei verschiedene Zeremonien gleichsam unter Kinderzucht gehal-ten werden. Denn wenn die Apostel dem christlichen Volke die Zeremonien und Gebräuche göttlichen Ursprungs nicht auferlegen wollten, wer mit gesundem Menschenverstand, bitte, wird ihm zufällige Fündlein von Menschen aufzwingen wollen? Je mehr Gebräuche sich in der Kirche anhäufen, desto mehr wird nicht nur der christlichen Freiheit, sondern auch Christus selbst und dem Glauben an ihn Abbruch getan, da das Volk dann das, was es durch den Glauben allein bei Gottes Sohn, Jesus Christus, suchen sollte, bei den Gebräuchen sucht. Es genügen darum den Frommen die wenigen bescheidenen, einfachen und dem Worte Gottes nicht widersprechenden Gebräuche. Finden sich nun in den Gemeinden unterschiedliche Gebräuche, so halte niemand die Gemeinden deshalb für uneins. Sokrates sagt: „Es wäre unmöglich gewesen, alle Gebräuche der Gemeinden in Städten und Ländern zu beschreiben. Keine Religion be-obachtet überall dieselben Gebräuche, mag sie auch darüber dasselbe lehren. Auch diejenigen also, die den gleichen Glauben haben, unterscheiden sich voneinander in den Gebräuchen.“ So weit Sokrates. Heute nun haben wir in unseren Kirchen verschiedene Gebräuche bei der Feier des Heiligen Abend-mahls und in einigen anderen Dingen; jedoch in der Lehre weichen wir deshalb nicht voneinander ab, und weder die Einheit noch die Gemeinschaft unserer Kirchen wird dadurch zerrissen. Immer aber haben sich die Kirchen bei der-artigen Gebräuchen, weil es Mitteldinge sind, der Freiheit bedient. Und so halten wir es auch heute. Wir warnen indessen davor, zu den Mitteldingen etwas zu rechnen, was in Wirklichkeit nicht zu den Mitteldingen gehört, wie einige die Messe und den Gebrauch von Bildern in der Kirche für Mitteldinge zu halten pflegen. „Gleichgültig“ – hat Hieronymus zu Augustin gesagt – „ist das, was weder gut noch böse ist, so dass man weder Gerechtigkeit übt, noch ein Unrecht begeht, ob man es tue oder nicht.“ Wenn deshalb Mitteldinge mit dem Glaubens-bekenntnis verquickt werden, so hören sie auf, frei zu sein. So zeigt Paulus, man dürfe Fleisch essen, wenn niemand daran erinnere, dass es den Götzen geweiht sei, sonst sei es unerlaubt, weil der, der es esse, schon durch dessen Genuss den Götzendienst zu billigen scheine (1. Kor. 8,9ff.; 10,25ff.).

 

XXVIII. KAPITEL: DAS KIRCHENGUT

 

Die Güter der Kirche haben ihren Ursprung in den Vergabungen von Fürsten und in der Freigebigkeit der Gläubigen, die ihr Vermögen der Kirche geschenkt haben. Denn die Kirche hat Mittel nötig und besaß von altersher Vermögen zur Befriedigung der kirchlichen Bedürfnisse. Der richtige Gebrauch der Kirchengüter bestand einst und besteht heute noch in der Erhaltung der Lehre in Schulen und heiligen Versammlungen sowie des Gottesdienstes, der kirchlichen Gebräuche und des Kirchengebäudes, ferner in der Erhaltung der Lehrer, Schüler und Diener sowie anderer notwendiger Dinge, vor allem in der Unterstützung und im Unterhalt der Armen. Darum soll man gottesfürchtige, weise und in der Vermögensverwaltung kundige Männer wählen, die das Kirchengut ordnungs-gemäß verwalten. Wenn aber die Kirchengüter wegen der Unbill der Zeit oder durch Gewalttat, Unwissenheit oder Habsucht gewisser Leute in Missbrauch geraten sind, sollen sie von frommen und weisen Männern wieder ihrem heiligen Gebrauch zugeführt werden. Denn gegen solch kirchenschänderischen Miss-brauch darf man nicht nachsichtig sein. Daher lehren wir, man müsse Schulen und Stifte, die in Lehre, Gottesdienst und Sitten ausgeartet sind, umgestalten und die Armenpflege gottesfürchtig, in guten Treuen und mit weiser Vorsicht hand-haben.

 

XXIX. KAPITEL: DER LEDIGE STAND, DIE EHE UND DER HAUSSTAND

 

Wer vom Himmel die Gabe der Ehelosigkeit hat, so dass er von Herzen und von ganzem Gemüt rein und enthaltsam ist und nicht von brennender Begierde geplagt wird, der möge in diesem Beruf Gott dienen, solange er sich mit diesem göttlichen Geschenk begabt fühlt, und er erhebe sich nicht über die andern, sondern diene dem Herrn ständig in Einfalt und Demut. Diese Leute aber eignen sich besser dazu, göttliche Dinge zu besorgen, als solche, die durch private Familienpflichten abgelenkt werden. Würde ihnen aber diese Gabe wieder entzogen und würden sie eine ständige Begierde verspüren, so mögen sie des Apostelwortes gedenken: „Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“ (1. Kor. 7,9). Die Ehe nämlich – ein Heilmittel für die Unenthaltsamkeit und selber Enthaltsamkeit – ist von Gott, dem Herrn, selber eingesetzt, der sie reichlich gesegnet hat und wollte, dass Mann und Weib einander gegenseitig unzertrennlich anhangen und in höchster Liebe und Eintracht zusammenleben (Mt. 19,4ff.). Wissen wir doch auch, dass der Apostel gesagt hat: „Die Ehe sei in Ehren bei allen und das Ehebett unbefleckt“ (Hebr. 13,4), und: „Wenn die Jung-frau heiratet, so sündigt sie nicht“ (1. Kor. 7,28). Wir verwerfen aber die Viel-weiberei und die Ansicht derjenigen, die die zweite Ehe verpönen. Wir lehren, die Ehe sei ordnungsgemäß zu schließen in der Furcht Gottes und nicht im Wider-spruch zu den Gesetzen, die einige Verwandtschaftsgrade verbieten, damit keine blutschänderische Ehe entstehe. Die Ehe soll geschlossen werden im Einver-ständnis mit den Eltern oder ihren Stellvertretern, und zwar hauptsächlich zu jenem Zweck, zu dem der Herr die Ehe gestiftet hat, und soll öffentlich in der Kirche mit Gebet und Einsegnung bestätigt werden. Endlich soll man sie heilig halten in unverbrüchlicher Gattentreue, Anhänglichkeit, Liebe und Reinheit. Man hüte sich vor Streit, Zwietracht, Lüsten und Ehebruch. Es sollen daher in der Kirche ordnungsgemäße Gerichte und fromme Richter bestellt werden, welche die Ehen schützen und jede Unkeuschheit und Schamlosigkeit abstellen, und von denen Ehestreitigkeiten zu schlichten sind. Die Kinder sollen von den Eltern in der Furcht des Herrn erzogen werden. Ebenso sollen die Eltern für die Kinder sorgen, eingedenk des Apostelwortes: „Wenn aber jemand für die Seinigen und besonders für die Hausgenossen nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger“ (1. Tim. 5,8). Besonders aber sollen sie ihre Kinder einen ehrbaren Beruf lernen lassen, mit dem sie ihr Brot verdienen können, sollen sie dem Müßiggang entziehen und ihnen in alledem wahres Gottvertrauen einpflanzen, damit sie weder durch Misstrauen noch durch Vertrauensseligkeit oder aus hässlicher Habgier auf Abwege kommen und keine rechten Früchte zeitigen. Und ganz gewiss sind jene Werke, die Eltern im wahren Glauben tun, in Erfüllung der ehelichen und häuslichen Pflichten, vor Gott heilig und wahrhaft gut und gefallen Gott nicht weniger als Gebete, Fasten und Almosen. So hat der Apostel Paulus auch in seinen Briefen, besonders im 1. Timotheus- und im Titusbrief gelehrt. Wir rechnen aber mit diesem Apostel zu den Lehren des Satans die Lehre jener, die die Ehe verbieten oder öffentlich tadeln oder heimlich verdächtigen, als ob sie nicht heilig und rein sei. Wir verabscheuen aber die unreine Ehelosigkeit, Gier und verborgene und offenbare Hurerei der Heuchler, die Enthaltsamkeit vortäuschen und doch am aller-wenigsten enthaltsam sind. Diese alle wird Gott richten. Reichtum und Reiche, sofern sie fromm sind und ihren Reichtum recht gebrauchen, verwerfen wir nicht. Dagegen verwerfen wir die Sekte der Apostoliker und ihresgleichen.

 

XXX. KAPITEL: DIE OBRIGKEIT

 

Jede Art von Obrigkeit ist von Gott selbst eingesetzt zu Frieden und Ruhe des menschlichen Geschlechtes, und zwar so, dass sie in der Welt die oberste Stellung inne hat. Ist sie der Kirche feindlich gesinnt, so kann sie diese schwer hindern und stören. Ist sie ihr aber freundlich gesinnt und sogar ein Glied der Kirche, so ist sie ein höchst nützliches und hervorragendes Glied der Kirche, weil sie ihr sehr viele Vorteile bieten und ihr schließlich auch aufs allerbeste helfen kann. Vornehmste Aufgabe der Obrigkeit ist es, für den Frieden und die öffent-liche Ruhe zu sorgen und sie zu erhalten. Das kann sie natürlich niemals auf glücklichere Weise tun, als wenn sie wahrhaft gottesfürchtig und fromm ist, das heißt nach dem Vorbild der allerheiligsten Könige und Fürsten des Gottesvolkes die Predigt der Wahrheit und den reiner Glauben fördert, Lügen und jeden Aberglauben, samt aller Gottlosigkeit und allem Götzendienst, ausrottet und die Kirche schützt. Also lehren wir, dass einer christlichen Obrigkeit die Sorge für die Religion in erster Linie obliege. Sie soll selbst Gottes Wort zur Hand haben und dafür sorgen, dass nichts ihm Widersprechendes gelehrt werde. Sie regiere ferner das Volk, das ihr von Gott anvertraut ist, mit guten, dem Worte Gottes entsprechenden Gesetzen, und halte es in Zucht, Pflicht und Gehorsam. Die Rechtsprechung übe sie gerecht aus, sehe nicht die Person an und nehme keine Geschenke entgegen; Witwen, Waisen und Bedrängten stehe sie bei; Unge-rechte, Betrüger und Gewalttätige halte sie in Schranken und rotte sie sogar aus. Denn nicht umsonst hat sie von Gott das Schwert empfangen (Röm. 13,4). Sie ziehe deshalb dieses Schwert Gottes gegen alle Verbrecher, Aufrührer, Räuber und Mörder, Bedrücker, Gotteslästerer, Meineidigen und gegen alle die, die Gott zu bestrafen und sogar zu töten befohlen hat. Sie halte in Schranken auch die unbelehrbaren Irrgläubigen – die wirklich Irrgläubige sind! –, wenn sie nicht aufhören, Gottes Majestät zu lästern und die Kirche Gottes zu verwirren, ja zugrunde zu richten. Und falls es nötig ist, sogar durch einen Krieg das Wohl des Volkes wahrzunehmen, so unternehme sie in Gottes Namen den Krieg, sofern sie vorher auf jede Weise den Frieden gesucht hat und nicht anders als durch einen Krieg ihr Volk retten kann. Und wenn die Obrigkeit dies im Glauben tut, dient sie Gott mit alledem als mit wahrhaft guten Werken und empfängt Segen vom Herrn. Wir verwerfen die Lehre der Wiedertäufer, die behaupten, ein Christ dürfe kein obrigkeitliches Amt bekleiden und niemand dürfe von der Obrigkeit mit Recht hingerichtet werden, oder die Obrigkeit dürfe keinen Krieg führen, oder man dürfe der Obrigkeit keinen Eid leisten und dergleichen mehr. Wie also Gott will, dass das Wohl seines Volkes durch die Obrigkeit gewahrt werde, die er der Welt gleichsam wie einen Vater gegeben hat, so ist auch allen Untertanen befohlen, die in der Obrigkeit liegende Guttat Gottes anzuerkennen. Man soll die Obrigkeit deshalb achten und ehren als Dienerin Gottes; man soll sie lieben, ihr ergeben sein, auch für sie wie für einen Vater beten; man soll all ihren gerechten und billigen Befehlen gehorchen und Steuern, Abgaben und was derartige Schuldigkeiten sind, treulich und willig bezahlen. Und wenn es das öffentliche Wohl des Vaterlandes oder die Gerechtigkeit erfordert, und die Obrigkeit not-gedrungen einen Krieg unternimmt, soll man auch das Leben dahingeben und sein Blut für das gemeine Wohl und die Obrigkeit vergießen, und zwar in Gottes Namen, willig, tapfer und frohgemut. Wer sich aber der Obrigkeit widersetzt, der fordert Gottes schweren Zorn gegen sich heraus. Wir verwerfen deshalb alle Verächter der Obrigkeit: Rebellen, Staatsfeinde, aufrührerische Taugenichtse und alle, die sich je und je offen oder auf Umwegen weigern, ihren schuldigen Pflichten zu genügen.

 

WIR BITTEN GOTT, unseren gütigsten Vater im Himmel. dass er die Häupter des Volkes, auch uns und sein ganzes Volk segne durch Jesus Christus, unseren einzigen Herrn und Heiland; ihm sei Lob und Ehre und Dank von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Amen.