XI. KAPITEL: JESUS CHRISTUS, WAHRER GOTT UND MENSCH UND EINZIGER HEILAND DER WELT

 

Wir glauben und lehren außerdem, dass der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, durch den Vater von Ewigkeit her vorausbestimmt und verordnet wurde zum Heiland der Welt. Wir glauben, dass er vom Vater gezeugt sei, nicht nur, da er von der Jungfrau Maria Fleisch und Blut annahm und nicht nur vor der Grund-legung der Welt, sondern vor aller Ewigkeit, und zwar auf unbeschreibliche Weise. Denn Jesaja sagt: „Wer will seine Geburt erzählen?“ (Jes. 53,8), und Micha: „Sein Ursprung ist in der Vorzeit, in unvordenklichen Tagen“ (Micha 5,2). Denn auch Johannes sagt in seinem Evangelium: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ (Joh. 1,1). Deshalb ist der Sohn dem Vater in der Gottheit ebenbürtig und wesensgleich, also wahrer Gott (Phil. 2,11), und zwar weder bloß dem Namen nach, noch durch Annahme an Kindes-statt, noch durch irgendeine Gnadenerweisung, sondern von Natur und Wesen (Phil. 2,6), wie der Apostel Johannes wiederum schreibt: „Dies ist der wahre Gott und ewiges Leben“ (1. Joh. 5,20). Paulus sagt: Er hat den Sohn „zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welten gemacht hat; dieser ist auch der Abglanz seiner Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens und trägt das Weltall durch sein machtvolles Wort“ (Hebr. 1,2-3). Denn auch im Evangelium hat der Herr selbst gesagt: „Und jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ (Joh. 17,5). So heißt es auch anderswo im Evangelium: Die Juden suchten Jesus zu töten, weil er „Gott seinen Vater genannt und sich selbst Gott gleichgemacht hatte“ (Joh. 5,18). Wir verab-scheuen deshalb auch die gottlose Lehre des Arius und aller Arianer, die Jesu Gottessohnschaft leugnen, besonders aber die Lästerungen des Spaniers Michael Servet und aller seiner Anhänger, die der Satan wider Gottes Sohn mittelst dieser Männer gleichsam aus der Hölle geschöpft hat und höchst frech und gottlos über den Erdkreis ausgießt. Wir glauben und lehren auch, dass des ewigen Gottes wahrer Mensch ewiger Sohn ein Menschensohn geworden sei aus dem Samen Abrahams und Davids, und zwar nicht durch die Zeugung eines Mannes, wie Ebion gesagt hat, sondern auf reinste Weise empfangen vom Heiligen Geist und geboren von Maria, die immer Jungfrau geblieben ist, wie uns die evangelische Geschichte gewissenhaft berichtet (Mt. 1). Auch Paulus sagt: „Denn er nimmt sich doch wohl nicht der Engel an, sondern der Nachkommen-schaft Abrahams nimmt er sich an“ (Hebr. 2,16); ebenso der Apostel Johannes: Wer nicht glaubt, dass Christus ins Fleisch gekommen sei, der ist nicht aus Gott (1. Joh. 4,3). Das Fleisch Christi war also nicht eine Scheinnatur, noch vom Himmel herabgebracht, wie Valentin und Marcion träumten. Außerdem hatte unser Herr Jesus nicht eine Seele ohne Empfindung und Vernunft, wie Apollinaris dachte, und nicht einen Leib ohne Seele, wie Eunomius lehrte, sondern er hatte eine Seele mit Vernunft und einen Leib mit Sinnesempfindungen, durch die er in seiner Leidenszeit wirkliche Schmerzen duldete, wie er selbst bezeugt hat: „Meine Seele ist zu Tode bekümmert“ (Mt. 26,38). Und auch: „Jetzt ist meine Seele erregt“ (Joh. 12,27). Darum erkennen wir in einem und demselben, unserem Herrn Jesus Christus, zwei Naturen oder Wesensarten, eine göttliche und eine menschliche (Hebr. 2); von diesen sagen wir, dass sie verbunden und vereinigt seien, jedoch so, dass sie einander weder verschlungen hätten, noch vermengt oder vermischt wären; vielmehr sind sie derart vereinigt und verbunden in einer Person, dass die Eigenschaften der beiden Naturen stets gewahrt bleiben, so dass wir auch nur einen Herrn Christus verehren und nicht zwei: Er ist in einer Person wahrer Gott und wahrer Mensch, nach der göttlichen Natur dem Vater, nach der menschlichen aber uns Menschen wesensgleich und in allem ähnlich, ausgenommen die Sünde (Hebr. 4,15). Wir verabscheuen deshalb die Lehre der Nestorianer, die aus dem einen Christus zwei machen und die Einheit der Person auseinanderreißen; ebenso verwerfen wir auch völlig den Unsinn des Eutyches und der Monotheliten oder Monophysiten, die die Eigenschaften der menschlichen Natur austilgen. So lehren wir auch nicht etwa, dass die göttliche Natur in Christus gelitten habe oder dass Christus nach seiner menschlichen Natur jetzt noch in dieser Welt oder allenthalben sei. Weder glauben noch lehren wir, dass der wirkliche Leib Christi nach der Verklärung aufgehört habe oder vergöttlicht worden sei, und zwar so vergöttlicht, dass er die Eigenschaften von Leib und Seele abgelegt hätte und derart in die göttliche Natur zurückgetreten wäre, dass er seither nur noch eine Natur hätte. Deshalb billigen wir auch keineswegs die geistlosen Spitzfindigkeiten, und die verworrenen und dunkeln, nie sich gleichbleibenden Darlegungen eines Schwenckfeld und ähnlicher Geistesakrobaten über diesen Punkt; denn wir sind keine Schwenckfeldianer. Wir glauben aber, dass unser Herr Jesus Christus wirklich nach dem Fleisch für uns gelitten hat und gestorben ist, wie Petrus sagt (1. Petr. 4,1). Wir verabscheuen die gottlose und unsinnige Ansicht der Jakobiten und alle Türken, die das Leiden Jesu leugnen und lästern. Indessen leugnen wir nicht, dass der Herr der Herr-lichkeit, nach den Worten des Paulus, für uns gekreuzigt worden sei (1. Kor. 2,8). Denn wir nehmen gläubig und ehrfurchtsvoll jene Lehre in Gebrauch, die auf Grund der Heiligen Schrift sagt, dass Eigenschaften, die der einen Natur Christi zukommen, bisweilen auch der andern zugeschrieben werden können. Diese Lehre wurde schon von alters her bei der Erklärung und Vergleichung von einander scheinbar widersprechenden Schriftstellen angewandt. Wir glauben und lehren, dass dieser unser Herr Jesus Christus mit dem wirklichen Leib, in dem er gekreuzigt wurde und gestorben ist, von den Toten auferstanden sei, und er habe sich keinen andern Leib an Stelle des begrabenen geschaffen, auch nicht einen Geist an Stelle des Leibes angenommen, sondern den wirklichen Leib behalten. Deshalb zeigt er seinen Jüngern, als sie glaubten, den Geist des Herrn zu sehen, seine Hände und Füße mit den Wundmalen der Nägel und spricht dazu: „Sehet meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin! Rühret mich an und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, dass ich es habe“ (Luk. 24,39). Wir glauben auch, dass unser Herr Jesus Christus in diesem seinem Leibe aufgefahren sei über alle sichtbaren Himmel in den obersten Himmel selbst, die Wohnung Gottes und der Seligen, zur Rechten des Vaters. Wenn dies auch zunächst eine gleiche Gemeinschaft an der Herrlichkeit und Majestät bedeutet, wird der Himmel doch auch als ein bestimmter Ort angenommen, von dem der Herr im Evangelium sagt: „Ich gehe hin, um euch eine Stätte zu berei-ten“ (Joh. 14,2). Aber auch der Apostel Petrus sagt: „Der Himmel muss Christus aufnehmen bis zu der Herstellung aller Dinge“ (Apg. 3,21). Vom Himmel her aber wird er wiederkommen zum Gericht, dann, wenn die Bosheit in der Welt aufs Höchste gestiegen ist und der Antichrist nach Zerstörung des wahren Glaubens alles mit Aberglauben und Gottlosigkeit erfüllt und die Kirche mit Blut und Feuer grausam verwüstet hat (Dan. 11). Christus aber wird wiederkommen, den Seinigen beistehen, bei seiner Wiederkunft den Antichrist vernichten und Lebendige und Tote richten (Apg. 17,31). Denn die Toten werden auferstehen (1. Thess. 4,14ff) und die Lebenden, die an jenem Tage – der allen Geschöpfen unbekannt ist (Mk. 13,32) – noch übrig sind, werden in einem Augenblick ver-wandelt und alle Gläubigen Christus in die Luft entgegengerückt werden, damit sie mit ihm eingehen zur Stätte der Seligkeit und leben in Ewigkeit (Apg. 17,31; 1. Thess. 4,15-17; Mk. 13,32; 1. Kor. 15,51-52). Die Ungläubigen aber und die Gottlosen werden mit den Teufeln zur Hölle fahren, wo sie ewig brennen und nie mehr aus ihrer Qual erlöst werden können (Mt. 25,41). Wir verwerfen deshalb die Lehren aller derjenigen, die eine wirkliche Auferstehung des Leibes leugnen (2. Tim. 2,18), oder die wie Johannes von Jerusalem – gegen den Hieronymus geschrieben hat – keine richtige Ansicht von den verklärten Leibern haben. Wir verwerfen ferner die Ansicht derjenigen, die geglaubt haben, auch die Teufel und alle Gottlosen müssten einst noch gerettet werden, und ihre Strafe werde ein Ende haben. Denn der Herr hat ganz einfach gesagt: „Ihr Wurm stirbt nicht und ihr Feuer verlischt nicht“ (Mk. 9,48). Wir verwerfen außerdem die jüdischen Träume, dass dem Gerichtstag ein goldenes Zeitalter auf Erden vorausgehe, wobei die Frommen nach Niederwerfung ihrer gottlosen Feinde die Reiche der Welt erlangen werden. Denn die Wahrheit nach den Evangelien und der aposto-lischen Lehre lautet ganz anders: Mt. 24.25; Luk. 18; sodann 2. Thess. 2 und 2. Tim. 3-4. Weiter: Durch sein Leiden und seinen Tod und alles das, was unser Herr von seiner Ankunft im Fleisch an um unsertwillen getan und erduldet hat, hat er den himmlischen Vater mit allen Gläubigen versöhnt, die Sünde getilgt, dem Tode die Macht genommen, Verdammnis und Hölle gebrochen und durch seine Auferstehung von den Toten Leben und Unsterblichkeit ans Licht gebracht und wiederhergestellt. Denn er ist unsere Gerechtigkeit, unser Leben und unsere Auferstehung, ja die Vollkommenheit und Erlösung aller Gläubigen, ihr Heil und ihr überfließender Reichtum (Röm. 4,25; 10,4; 1. Kor. 1,30; Joh. 6,33ff; 11,25ff.). Denn der Apostel sagt: „Denn in ihm beschloss Gott die ganze Fülle wohnen zu lassen“ (Kol. 1,19) „und ihr seid erfüllt in ihm“ (Kol. 2,9-10). Wir lehren und glauben nämlich, dass dieser Jesus Christus, unser Herr, der einzige und ewige Heiland des menschlichen Geschlechtes, ja der ganzen Welt sei, in dem durch den Glauben alle gerettet sind, die vor der Gesetzgebung, die unter dem Gesetz und die unter dem Evangelium das Heil erlangt haben oder es noch bis zum Ende dieser Zeit erlangen werden. Denn der Herr sagt selbst im Evangelium: „Wer nicht durch die Türe in den Schafstall hineingeht, sondern anderswo hineinsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber ... Ich bin die Türe zu den Schafen“ (Joh. 10,1.7). Ebenso sagt er an einer andern Stelle des Johannes-evangeliums: „Abraham sah meinen Tag und freute sich“ (Joh. 8,56). Aber auch der Apostel Petrus sagt: „Es ist in keinem andern das Heil“ – außer in Christus – „denn es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel für die Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg. 4,12; 10,43). „Vielmehr durch die Gnade des Herrn Jesus glauben wir gerettet zu werden wie auch jene, unsere Väter“ (Apg. 15,11). Ebenso schreibt Paulus: Unsere Väter „aßen alle dieselbe geistliche Speise und tranken denselben geistlichen Trank; denn sie tranken aus einem geistlichen Felsen, der nachfolgte, der Fels aber war Christus“ (1. Kor. 10,3-4). Desgleichen lesen wir, dass Johannes gesagt habe, Christus sei das Lamm, das geschlachtet ist von Grundlegung der Welt an (Offb. 13,8). Und Johannes der Täufer hat bezeugt: „Siehe (Christus), das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh. 1,29). Daher bekennen und predigen wir laut, Jesus Christus sei der alleinige Erlöser der Welt und Heiland, König und Hohepriester, der wahre und ersehnte und jener so heilige gesegnete Messias, den alle Vorbilder des Gesetzes und die Weissagungen der Propheten zum voraus dargestellt und verheißen haben. Ihn hat Gott uns selbst zum Herrn gegeben und gesandt, so dass wir keinen andern erwarten dürfen. So bleibt denn nichts anderes übrig, als dass wir alle jeglichen Ruhm Christus geben, an ihn glauben und in ihm allein zur Ruhe kommen und sonst alle andern Stützen des Lebens gering schätzen und verwerfen. Denn alle, die ihr Heil in irgend etwas anderem suchen, als allein in Christus, die sind aus der Gnade Gottes gefallen und machen, dass Christus ihnen nichts nützt (Gal. 5,4). Kurz gesagt: wir glauben mit aufrichtigem Herzen und bekennen frei und offen mit dem Munde, was in den Bekenntnissen der vier ersten und bedeutendsten Kirchensynoden von Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon, sowie im Bekenntnis des seligen Athanasius und allen ähnlichen Bekenntnissen über das Geheimnis der Menschwerdung unseres Herrn Jesus Christus nach der Heiligen Schrift festgestellt und enthalten ist, verwerfen dagegen alles, was diesen widerspricht. Auf diese Weise halten wir den unversehrten und reinen, rechtmäßigen und allgemeinen christlichen Glauben fest, weil wir wissen, dass in den genannten Bekenntnissen nichts enthalten ist, was dem Worte Gottes nicht entspräche oder nicht zur reinen Darlegung des Glaubens genügte.

 

XII. KAPITEL: DAS GESETZ GOTTES

 

Wir lehren, dass uns durch das Gesetz Gottes der Wille Gottes dargelegt werde, nämlich, was wir tun oder lassen sollen, was gut und gerecht, oder was böse und ungerecht sei. Deshalb bekennen wir, dass das Gesetz gut und heilig sei. Dieses Gesetz ist einerseits durch den Finger Gottes in die Herzen der Menschen geschrieben (Röm. 2,15) und wird Gesetz der Natur genannt, andererseits aber ist es durch den Finger Gottes in die beiden Gesetzestafeln des Moses einge-graben worden und in den Büchern Mose ausführlicher erklärt (2. Mose 20,1ff.; 5. Mose 5,6ff.). Dieses teilen wir um der Klarheit willen ein in das Sittengesetz, das enthalten ist in den zehn Geboten oder in den beiden Tafeln und in den Büchern Mose erklärt wird, das Zeremonialgesetz, das die Zeremonien und den Gottes-dienst festsetzt, und das Rechtsgesetz, das sich mit den staatlichen und wirtschaftlichen Ordnungen befasst. Wir glauben, dass uns durch dieses Gesetz Gottes der ganze Wille Gottes und alle notwendigen Gebote für jeden Bereich des Lebens vollkommen gegeben seien. Sonst hätte der Herr wohl nicht ver-boten: „Ihr sollt nichts hinzutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun ...“. (5. Mose 4,2; 12,32). Er hätte dann nicht geboten, nach diesem Gesetz recht zu wandeln und nicht abzuweichen, weder zur Rechten noch zur Linken (Jes. 30,21). Wir lehren, dieses Gesetz sei den Menschen nicht gegeben, dass sie durch dessen Beobachtung gerecht gemacht würden, sondern dass wir durch seine Anklage vielmehr unsere Schwachheit, Sünde und Ver-dammnis erkennen, und verzweifelnd an der eigenen Kraft, uns im Glauben zu Christus wenden sollen. Deutlich sagt der Apostel: „Das Gesetz bewirkt Zorn“ (Röm. 3,20 und 4,15) und: „...durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“. Wenn uns ja das Gesetz gegeben wäre, damit es uns gerecht oder lebendig mache, käme die Gerechtigkeit wirklich aus dem Gesetz. Nun aber hat die Schrift – des Gesetzes nämlich – alles unter die Sünde beschlossen, damit die Verheißung den Gläubigen aus dem Glauben an Christus gegeben werde. Daher ist das Gesetz unser Erzieher auf Christus hin geworden, damit wir aus dem Glauben gerechtfertigt würden (Gal. 3,21ff.). Denn weder konnte noch kann irgendein Mensch dem Gesetz Gottes Genüge tun und es erfüllen, weil unserem Fleisch bis zum letzten Atemzug Schwachheit anhaftet und verbleibt. Wiederum sagt der Apostel: „Denn – um das zu erreichen – was dem Gesetz unmöglich war, weil seine Kraft gelähmt war durch das Fleisch, sandte Gott seinen Sohn in einer Gestalt, die dem sündlichen Fleisch ähnlich war“ (Röm. 8,3). Deshalb ist Christus die Erfüllung des Gesetzes und unsere Vollkommenheit (Röm. 10,4); so wie er den Fluch des Gesetzes aufhob, indem er an unserer Statt zur Schmähung oder zum Fluch wurde (Gal. 3,13), lässt er uns durch den Glauben teilhaben an seiner Erfüllung des Gesetzes, und es wird uns seine Gerechtigkeit und sein Gehorsam angerechnet. Insofern ist also das Gesetz Gottes abgetan, als es uns nicht mehr verdammt und nicht mehr den Zorn Gottes auf uns bringt; denn wir stehen unter der Gnade und nicht unter dem Gesetz. Außerdem hat Christus alle sinnbildlichen Ordnungen des Gesetzes erfüllt. Da nun die Sache selbst vorhanden ist und die Schatten gewichen sind, so haben wir in Christus die Wahrheit und alle Fülle des Lebens. Immerhin verwerfen wir deshalb nicht geringschätzig das Gesetz, indem wir der Worte des Herrn gedenken, da er spricht: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu er-füllen“ (Mt. 5,17). Wir wissen, dass uns durch das Gesetz die Gestalt von Tugend und Laster dargestellt wird. Wir wissen ferner, dass das geschriebene Gesetz, sofern es durch das Evangelium ausgelegt wird, der Kirche nützlich ist und man deshalb das Lesen des Gesetzes nicht aus der Kirche ausschließen darf. Denn war auch das Angesicht des Moses mit einer Decke verhüllt, so betont doch der Apostel, dass die Decke durch Christus weggenommen und beseitigt werde. Wir verwerfen demnach alles, was alte und neue Irrlehrer gegen das Gesetz gelehrt haben.

 

XIII. KAPITEL: DAS EVANGELIUM JESU CHRISTI; DIE VERHEISSUNGEN; GEIST UND BUCHSTABE

 

Dem Gesetz steht das Evangelium gegenüber. Denn während das Gesetz Zorn wirkt und den Fluch ankündigt, predigt das Evangelium Gnade und Segen. So sagt auch Johannes: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben worden, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus gekommen“ (Joh. 1,17). Indessen ist es nichtsdestoweniger sicher, dass auch diejenigen, die vor der Gesetzgebung und die unter dem Gesetz gelebt haben, nicht ganz ohne Evangelium waren. Sie besaßen nämlich schon herrliche evangelische Verheißungen, wie zum Beispiel: „Der Same des Weibes wird der Schlange den Kopf zertreten“ (1. Mose 3,15). „Mit dem Namen deines Stammes werden sich Segen wünschen alle Völker der Erde“ (1. Mose 22,18). „Nie weicht das Zepter von Juda ... bis dass der Herrscher kommt“ (1. Mose 49,10). „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, erstehen lassen aus der Mitte deiner Brüder – auf den sollt ihr hören!“ (5. Mose 18,15; Apg. 3,23). Und zwar erkennen wir, dass den Vätern zwei Arten von Verheißungen zuteil wurden, wie sie auch uns geoffenbart sind. Die einen betrafen die gegenwärtigen oder irdischen Dinge, zum Beispiel das Land Kanaan und die Siege, oder heute etwa das tägliche Brot. Die andern bezogen sich einst und beziehen sich noch jetzt auf die himmlischen und ewigen Dinge, nämlich die göttliche Gnade, die Vergebung der Sünden und das ewige Leben durch den Glauben an Jesus Christus. Die Alten hatten also nicht bloß äußerliche und irdische, sondern auch geistliche und himmlische Verheißungen in Christus. Denn Petrus sagt: „In Hinsicht auf diese Seligkeit suchten und forschten die Propheten, die von der für euch bestimmten Gnade weissagten“ (1. Pet. 1,10). Daher hat auch der Apostel Paulus gesagt: „Das Evangelium hat Gott vorher verheißen durch seine Propheten in den heiligen Schriften“ (Röm. 1,2). Daraus geht deutlich genug hervor, dass die Alten keineswegs ohne jegliches Evange-lium gewesen sind. Wenn nun auch unsere Väter auf diese Weise in den Schriften der Propheten Evangelium besaßen, durch das sie im Glauben das Heil in Christus erlangt haben, so nennt man doch im eigentlichen Sinn „Evangelium“ jene frohe und selige Botschaft, durch die uns, der Welt, zuerst durch Johannes den Täufer, dann durch den Herrn Christus selbst, später durch die Apostel und ihre Nachfolger gepredigt worden ist, dass Gott das nun ausgeführt habe, was er seit Beginn der Welt verheißen hat, indem er uns seinen einzigen Sohn geschickt, ja sogar geschenkt habe, und in ihm auch die Versöhnung mit dem Vater, die Vergebung der Sünden, alle Fülle und das ewige Leben. Deshalb wird mit Recht Evangelium genannt: die von den vier Evangelisten niedergeschrie-bene Geschichte, die ausführt, wie dies alles durch Christus geschehen und erfüllt worden sei, ferner, was Christus gelehrt und getan habe, und dass die, die an ihn glauben, alle Fülle des Lebens haben. Ebenso wird die Predigt und das Schrifttum der Apostel, worin sie uns erklären, wie uns der Sohn vom Vater gegeben worden sei und in ihm alles Heil und Leben, mit Recht evangelische Lehre genannt, so dass sie auch heute diesen herrlichen Namen nicht verliert, sofern sie rein verkündigt wird. Jene Predigt des Evangeliums selbst wird vom Apostel Paulus Geist und Dienst des Geistes genannt, darum, weil sie in den Ohren, mehr noch, in den Herzen der Gläubigen kraft des Glaubens, der sie durch den Heiligen Geist erleuchtet, wirksam und lebendig wird. Denn Buchstabe heißt im Gegensatz zum Geist jede äußere Sache, und zwar besonders die Lehre des Gesetzes, die ohne den Geist und den Glauben in den Herzen derer, die nicht im lebendigen Glauben stehen, Zorn wirkt und zur Sünde reizt. Darum wird sie auch vom Apostel Paulus „der Dienst des Todes“ genannt. Hierher nämlich gehört jenes Apostelwort: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2. Kor. 3,6). Falsche Apostel nun predigten das Evangelium, indem sie es mit dem Gesetz vermengten und so verfälschten, als ob Christus nicht ohne das Gesetz selig machen könnte. Solche sollen die Ebioniten gewesen sein, die Anhänger des Irrlehrers Ebion waren, und die Nazaräer, im Altertum auch genannt Minäer. Deren aller Ansichten verwerfen wir und lehren, indem wir das Evangelium rein predigen, d. h. lehren und glauben, dass wir durch den Geist allein und nicht durch das Gesetz gerechtfertigt werden. Darüber wird unter dem Titel „Die Rechtfertigung“ noch eine ausführlichere Erklärung folgen. Obwohl nun die Lehre des Evangeliums, wie sie von Christus zuerst verkündigt wurde, im Vergleich mit der Gesetzeslehre der Pharisäer eine neue Lehre zu sein schien, und obwohl auch Jeremia von einem neuen Bunde geweissagt hat, war sie nicht nur damals schon alt und ist bis heute eine alte Lehre, sondern sie ist überhaupt die älteste Lehre in der Welt – neu wird sie nämlich heute von den Papisten nur genannt, weil sie sie vergleichen mit der Lehre, die sie sich selber zurecht gemacht haben. Gott hat indessen von Ewigkeit her beschlossen, dass die Welt durch Christus selig werden solle, und diesen seinen Vorsatz und ewigen Ratschluss hat er der Welt durch das Evangelium offenbart (2. Tim. 1,9f.). Daraus geht klar hervor, dass die evangelische Religion und Lehre unter allen Lehren, die je gewesen sind, je sind und sein werden, die allerälteste ist. Daher sagen wir, dass alle diejenigen einem übeln Irrtum huldigen und unwürdig von Gottes ewigem Ratschluss reden, die die evangelische Lehre eine neumodische Religion nennen und einen Glauben, der kaum dreißig Jahre alt sei. Auf solche trifft das Wort des Propheten Jesaja zu: „Wehe denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die Finsternis zu Licht und Licht zu Finsternis machen, die bitter zu süß und süß zu bitter machen!“ (Jes. 5,20).

 

XIV. KAPITEL: DIE BUßE UND BEKEHRUNG DES MENSCHEN

 

Das Evangelium steht in engem Zusammenhang mit der Lehre von der Buße. Der Herr sagt nämlich im Evangelium, „dass auf seinen Namen hin Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden solle unter allen Völkern“ (Luk. 24,47). Unter Buße nun verstehen wir die Sinneserneuerung des sündigen Menschen, die durch das Wort des Evangeliums und den Heiligen Geist geweckt und im wahren Glauben angenommen wird, so dass der sündige Mensch seine ange-borene Verderbnis und alle seine Sünden, deren ihn das Wort Gottes anklagt, fernerhin erkennt, darüber von Herzen Leid trägt, sie vor Gott nicht bloß beweint und voller Beschämung gründlich eingesteht, sondern sie auch mit Abscheu verdammt und, emsig auf Besserung bedacht, fortwährend nach Unschuld und Tugend trachtet, worin er sich alle übrigen Tage seines Lebens gewissenhaft übt. Und zwar ist dies die wahre Buße: völlig aufrichtige Hinwendung zu Gott und allem Guten und beharrliche Abwendung vom Teufel und allem Bösen. Wir erklären aber bestimmt, dass solche Buße reines Gottesgeschenk sei und nicht ein Werk unserer eigenen Kraft. Denn der Apostel befiehlt: „Ein Knecht des Herrn soll ... mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweisen, ob ihnen etwa Gott Sinnesänderung verleihe zur Erkenntnis der Wahrheit“ (2. Tim. 2,25). Schon jene Sünderin im Evangelium, die mit ihren Tränen die Füße des Herrn benetzte (Luk. 7,38), und Petrus, der bitterlich weinte und klagte über seine Verleugnung des Herrn (Luk. 22,62), zeigen deutlich, wie das Herz des Bußfertigen beschaffen sein muss, nämlich dass es die begangenen Sünden ernstlich beweint. Aber auch der reuige Sohn und der Zöllner im Gleichnis, mit dem Pharisäer verglichen, geben uns treffliche Vorbilder, wie wir unsere Sünden vor Gott bekennen sollen. Jener sagte: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert dein Sohn zu heißen; stelle mich wie einen deiner Tage-löhner“ (Luk. 15,18ff.). Der andere aber wagte nicht einmal, seine Augen gen Himmel zu erheben, schlug an seine Brust und sprach: „O Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Luk. 18,13). Wir zweifeln nicht daran, dass Gott beide zu Gnaden angenommen hat. Auch der Apostel Johannes sagt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, so dass er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt. Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“ (1. Joh. 1,9-10). Wir glauben aber, dass dieses offene Bekenntnis genüge, das vor Gott allein abgelegt wird sei es im Stillen zwischen Gott und dem Sünder, sei es öffentlich in der Kirche, wo das allgemeine Sündenbekenntnis gesprochen wird, und dass es zur Erlangung der Sündenvergebung nicht nötig sei, dass jemand seine Sünden dem Priester beichte, indem er sie ihm ins Ohr flüstert und umgekehrt von ihm unter priesterlicher Handauflegung die Lossprechung hört. Denn dafür gibt es in der Heiligen Schrift weder eine Anweisung noch ein Beispiel. Das bezeugt David mit den Worten: „Da bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verbarg ich nicht. Ich sprach: Bekennen will ich dem Herrn meine Übertretung. Du aber vergabst mir die Schuld meiner Sünde“ (Ps. 32,5). Aber auch der Herr lehrt uns beten und zugleich unsere Sünden bekennen: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln ... vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern“ (Mt. 6,12). Nötig ist also, dass wir Gott, unserem Vater, unsere Sünden bekennen und uns mit unserem Nächsten, wenn wir ihn beleidigt haben, wieder versöhnen. Über diese Art des Bekennens sagt der Apostel Jakobus: „So bekennet nun einander die Sünden“ (Jak. 5,16). Wenn aber jemand von der Last seiner Sünden und von verwirrenden Anfechtungen bedrückt, unter vier Augen bei einem Diener der Kirche oder bei einem andern Bruder, der im Wort Gottes wohlgegründet ist, Rat, Weisung und Trost holen will, so haben wir nichts dagegen einzuwenden. Ebenso billigen wir besonders das – bereits erwähnte – allgemeine und öffentliche schriftgemäße Sündenbekenntnis, wie es in der Kirche und in gottesdienstlichen Versammlungen gesprochen zu werden pflegt. Von den Schlüsseln des Reiches Gottes, die den Aposteln vom Herrn übergeben wurden, schwatzen viele wunderliche Dinge, und sie schmie-den daraus Schwerter, Spieße, Zepter und Kronen und dazu die Allgewalt über die größten Königreiche, sowie über Leib und Seele. Wir urteilen da einfach nach dem Worte des Herrn und sagen, dass alle rechtmäßig berufenen Diener der Kirche die Schlüssel des Himmelreiches besitzen und die Schlüsselgewalt ausüben, wenn sie das Evangelium verkündigen, das heißt, das ihrer Treue anvertraute Volk lehren, ermahnen, trösten und strafen, und die Leute in Zucht halten. So nämlich öffnen sie den Gehorsamen das Himmelreich und ver-schließen es den Ungehorsamen. Diese schließen Schlüssel hat der Herr den Aposteln verheißen (Mt. 16,19) und übergeben (Joh. 20,23; Mk. 16,15; Luk. 24,47ff.), da er die Jünger aussendet und ihnen befiehlt, das Evangelium der ganzen Welt zu verkündigen zur Vergebung der Sünden. Und der Apostel sagt im 2. Korintherbrief, dass der Herr seinen Dienern das Amt der Versöhnung gegeben habe (2. Kor. 5,18ff.), und gleichzeitig erklärt er, worin es bestehe, nämlich in der Predigt und Lehre von der Versöhnung. Um sein Wort noch näher zu erklären, fügt er hinzu, dass die Diener Christi gesandt seien, um im Namen Christi zu amten, indem Gott durch die Diener das Volk ermahne, sich mit Gott zu versöhnen – freilich durch gläubigen Gehorsam. Sie üben also die Schlüssel-gewalt aus, wenn sie ermahnen zu Glauben und Buße. So versöhnen sie die Menschen mit Gott. So vergeben sie die Sünden. So öffnen sie das Himmelreich und führen die Gläubigen hinein. Dabei sind sie weit entfernt von den Leuten, von denen der Herr im Evangelium gesagt hat: „Wehe euch Gesetzeskundigen, dass ihr den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen habt; ihr selbst seid nicht hineingekommen, und die, welche hinein wollten, habt ihr daran verhindert“ (Luk. 11,52). Die Diener der Kirche sprechen dann rechtmäßig und wirksam von Sünden frei, wenn sie das Evangelium Christi und in ihm die Sündenvergebung predigen, die jedem einzelnen Gläubigen verheißen wird, wie auch jeder einzelne getauft ist, und wenn sie bezeugen, dass sie sich auf jeden einzelnen erstrecke. Wir glauben nicht, dass die Lossprechung wirksamer sei, wenn sie jemandem ins Ohr geflüstert oder über jemandes Haupt einzeln gemurmelt wird. Doch halten wir dafür, dass die Vergebung der Sünden durch das Blut Jesu den Menschen eifrig verkündigt werden muss und die einzelnen ermahnt werden sollen, dass die Sündenvergebung sie selbst angehe. Übrigens lehren uns Beispiele aus dem Evangelium, wie die Bußfertigen wachsam und eifrig sein müssen im Trachten nach einem neuen Leben, in der Abtötung des alten und in der Erweckung des neuen Menschen. Der Herr sprach zu dem Lahmen, den er geheilt hatte: „Siehe, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, damit dir nicht Schlimmeres widerfährt“ (Joh. 5,14). Und zur Ehebrecherin, die er freisprach, sagte er: „Geh, sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh. 8,11). Mit diesen Worten hat er allerdings nicht gesagt, es könne dazu kommen, dass der Mensch überhaupt nicht mehr sündige, solange er in diesem Fleische lebe, sondern er empfiehlt Wachsamkeit und gewissenhaften Eifer, damit wir uns auf jede Art Mühe geben und es von Gott erbitten, dass wir nicht in die Sünden zurückgleiten möchten, aus denen wir gleichsam auferstanden sind, und damit wir nicht von Fleisch, Welt und Teufel überwunden werden. Da der Zöllner Zachäus vom Herrn zu Gnaden ange-nommen ist, ruft er, wie es im Evangelium heißt, aus: „Siehe, Herr, die Hälfte meines Besitzes gebe ich den Armen, und wenn ich von jemand etwas erpresst habe, gebe ich es vierfach zurück“ (Luk. 19,8). Mit dem gleichen Ziele predigen wir deshalb auch, dass die wirklich Bußfertigen zur Wiedergutmachung und zur Barmherzigkeit wie auch zum Almosengeben bereit sein müssen, und überhaupt ermahnen wir alle mit den Worten des Apostels Paulus: „Daher soll die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, so dass ihr seinen Begierden ge-horcht. Gebet auch eure Glieder nicht der Sünde zu Werkzeugen der Unge-rechtigkeit hin, sondern gebet euch selbst Gott hin als solche, die aus Toten lebendig geworden sind, und eure Glieder zu Werkzeugen der Gerechtig-keit!“ (Röm. 6,12-13). Demgemäß verwerfen wir die verderblichen Ansichten all der Leute, die unter Missbrauch der evangelischen Predigt behaupten: Die Rückkehr zu Gott ist leicht; denn Christus hat ja alle Sünden getilgt. Leicht ist auch die Vergebung der Sünden zu erlangen, was schadet also das Sündigen? Auch braucht man sich nicht mehr um die Buße zu kümmern usw. Indessen lehren wir immer, dass allen Sündern der Zugang zu Gott offen stehe, und dass er allen Gläubigen alle ihre Sünden vergebe, ausgenommen eine einzige Sünde, die Sünde wider den Heiligen Geist (Mk. 3,29). Desgleichen verwerfen wir die Ansichten der alten und neuen Novatianer, sowie der Katharer. Wir verwerfen vor allem die gewinnsüchtige Lehre des Papstes von der Buße, und auf seine Simonie und seinen simonistischen Ablaßhandel wenden wir jenes Urteil des Petrus an: „Dein Geld fahre mit dir ins Verderben, weil du gemeint hast, die Gabe Gottes durch Geld erkaufen zu können. Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache, denn dein Herz ist nicht aufrichtig vor Gott“ (Apg. 8,20-21). Wir missbilligen auch die Meinung jener, die glauben, durch eigene Sühnwerke für ihre begangenen Sünden Genugtuung leisten zu können. Denn wir lehren, dass Christus allein durch sein Leiden und Sterben die Genugtuung, Begnadigung und Bezahlung für alle Sünden sei (Jes. 53; 1. Kor. 1,30). Trotzdem hören wir nicht auf, wie wir vorher gesagt haben, auf die Abtötung des Fleisches zu dringen, doch fügen wir immerhin bei, man dürfe diese ja nicht Gott selbstbewusst als Sühne für die Sünde aufdrängen, sondern sie in aller Demut üben, wie es Kindern Gottes geziemt, als einen neuen Gehorsam aus Dankbarkeit für die Erlösung und vollkommene Genugtuung, die wir durch den Tod und die Sühnetat des Sohnes Gottes erlangt haben.

 

XV. KAPITEL: DIE WAHRE RECHTFERTIGUNG DER GLÄUBIGEN

 

„Rechtfertigen“ bedeutet für den Apostel in seiner Lehre von der Rechtfertigung: die Sünden vergeben, von Schuld und Strafe freisprechen, in Gnaden annehmen und für gerecht erklären. Denn an die Römer schreibt er: „Gott ist es, der sie gerechtspricht. Wer ist es, der verdammen will?“ (Röm. 8,33). Gerechtsprechen und verdammen sind einander entgegengesetzt. In der Apostelgeschichte sagt der Apostel: „Durch Christus wird euch Vergebung der Sünden verkündigt und von allem, wovon ihr durch das Gesetz des Mose nicht gerecht gesprochen werden konntet, wird durch diesen jeder, der glaubt, gerecht gesprochen“ (Apg. 13,38). Denn auch im Gesetz und in den Propheten lesen wir: „Wenn Männer miteinander einen Streit haben und sie treten vor Gericht, dann spricht man ihnen Recht und gibt demjenigen Recht, der im Rechte ist, und demjenigen Unrecht, der im Unrecht ist“ (5. Mose 25,1). Und Jesaja 5,23 steht: „Wehe denen..., die dem Schuldigen Recht geben um Bestechung!“ Nun ist ganz gewiss, dass wir alle von Natur Sünder und Gottlose sind und vor dem Richterstuhl Gottes der Ungerechtigkeit überwiesen und des Todes schuldig befunden werden, aber auch, dass wir von Gott, unserem Richter, durch Christi Gnade allein für gerecht erklärt, das heißt von Sünden und Tod freigesprochen werden, ohne irgendein eigenes Verdienst oder Ansehen der Person. Wie könnte man es noch deutlicher sagen als der Apostel Paulus: „Alle haben ja gesündigt und ermangeln der Ehre vor Gott und werden gerecht gesprochen ohne Verdienst durch seine Gnade mittelst der Erlösung, die in Christus Jesus ist“ (Röm. 3,23-24). Denn Christus hat die Sünden der Welt auf sich genommen und getilgt und so der göttlichen Gerechtigkeit Genüge getan. Gott sieht also einzig um Christi willen, der gelitten hat und auferstanden ist, gnädig auf unsere Sünden und rechnet sie uns nicht an; dagegen rechnet er uns Christi Gerechtigkeit an, als ob es unsere eigene wäre, so dass wir nicht nur von Sünden gesäubert und gereinigt oder heilig sind, sondern auch solche, die dazu noch die Gerechtigkeit Christi bekommen haben. So sind wir denn freigesprochen von Sünden, Tod und Verdammnis und sind Gerechte und Erben des ewigen Lebens. Also spricht uns eigentlich Gott allein gerecht, und zwar spricht er uns nämlich gerecht um Christi willen, indem er uns nicht die Sünden anrechnet, sondern seine Gerechtigkeit (2. Kor. 5,19ff.; Röm. 4,25). Weil wir nun diese Rechtfertigung nicht auf Grund irgendwelcher Werke, sondern allein durch den Glauben an Gottes Barmherzigkeit und an Christus empfangen, so lehren und glauben wir mit dem Apostel, der sündige Mensch werde allein durch den Glauben an Christus, nicht durch das Gesetz oder durch irgendwelche Werke gerechtfertigt. Denn der Apostel sagt: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch durch den Glauben gerecht gesprochen werde, ohne Werke des Gesetzes“ (Röm. 3,28). Ferner: „Wenn nämlich Abraham aus Werken gerechtgesprochen wurde, so hat er Ruhm. Aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.“ Dem dagegen, der keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen gerechtspricht, dem wird sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnete“ (Röm. 4,2ff.; 1. Mose 15,6). Und weiter: „Denn vermöge der Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es – nicht aus Werken, damit nicht jemand sich rühme“ (Eph. 2, 8-9). Darum, weil der Glaube Christus als unsere Gerechtigkeit annimmt und der Gnade Gottes in Christus alles zuschreibt, deshalb wird dem Glauben die Rechtfertigung zuteil, nur um Christi willen, und nicht deshalb, weil der Glaube unser Werk wäre. Denn er ist Gottes Gabe. Übrigens zeigt der Herr durch mancherlei, dass wir Christus im Glauben annehmen sollen, zum Beispiel Joh. 6, wo er für glauben essen und für essen glauben braucht. Denn wie wir mit dem Essen die Speise zu uns nehmen, so haben wir durch den Glauben teil an Christus. Daher zerteilen wir nicht die Wohltat der Rechtfertigung, als ob sie teils der Gnade Gottes, teils uns selbst, unserer Liebe, unseren Werken oder unserem Verdienst anzurechnen wäre, sondern wir schreiben sie durch den Glauben ganz der Gnade Gottes in Christus zu. Unsere Liebe und unsere Werke könnten ja auch Gott nicht gefallen, da sie doch von Ungerechten stammen; daher müssen wir zuerst gerecht sein, und dann können wir lieben und gerechte Werke tun. Wir werden aber gerecht durch den Glauben an Christus, wie wir gesagt haben, rein durch Gottes Gnade, die uns die Sünden nicht zurechnet, sondern im Gegenteil die Gerechtigkeit Christi und also den Glauben an Christus uns zur Gerechtigkeit rechnet. Außer-dem leitet der Apostel die Liebe ganz deutlich aus dem Glauben ab, wenn er sagt: „Das Endziel des Gebotes aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1. Tim. 1,5). Deshalb reden wir auch hier nicht vom erheuchelten, leeren, müßigen und toten Glauben, sondern vom lebendigen und Leben schaffenden Glauben. Dieser Glaube ist und heißt lebendig, weil er Christus erfasst, der das Leben ist und das Leben schafft, und sich in lebendigen Werken als lebendig erweist. In keiner Weise widerstreitet daher Jakobus unserer Lehre, da er von einem leeren und toten Glauben redet, mit dem sich gewisse Leute brüsteten, während sie doch nicht im Glauben den lebendigen Christus im Herzen trugen. Und wenn er gesagt hat, die Werke machten gerecht, so will er damit nicht dem Apostel Paulus widersprechen – sonst wäre er ja verwerflich! –, sondern zeigen, dass Abraham seinen leben-digen, rechtfertigenden Glauben durch Werke bewährt habe, wie es alle Frommen tun, die allein auf Christus und nicht auf ihre eigenen Werke vertrauen (Jak. 2,14ff.). Weiter sagt der Apostel Paulus: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Fleische lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat. Ich verwerfe die Gnade Gottes nicht; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, dann ist ja Christus umsonst gestorben!“ (Gal. 2,20-21).

 

XVI. KAPITEL: DER GLAUBE; DIE GUTEN WERKE UND IHR LOHN; DAS „VERDIENST“ DES MENSCHEN

 

Der christliche Glaube ist nicht bloß eine Meinung oder menschliche Über-zeugung, sondern ein felsenfestes Vertrauen, eine offenbare und beständige Zustimmung des Herzens und ein ganz gewisses Erfassen der Wahrheit Gottes, die in der Heiligen Schrift und im Apostolischen Glaubensbekenntnis dargelegt ist, ja Gottes selbst als des höchsten Gutes und besonders der göttlichen Verheißung, und Christi, der der Inbegriff aller Verheißungen ist. Dieser Glaube aber ist ganz und gar Gottes Gabe, die Gott allein um seiner Gnade willen und nach seinem Ermessen seinen Erwählten schenkt, wann, wem und in welchem Maße er will, und zwar durch den Heiligen Geist mittelst der Predigt des Evangeliums und des gläubigen Gebetes. Dieser Glaube hat auch sein Wachs-tum, und wenn dieses nicht ebenfalls von Gott gegeben wäre, hätten die Apostel nicht gesagt: „Herr, mehre uns den Glauben!“ (Luk. 17,5). All das, was wir bis jetzt vom Glauben gesagt haben, haben die Apostel schon vor uns so gelehrt. Paulus sagt nämlich: „Es ist aber der Glaube eine Zuversicht auf das, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr. 11,1). Ferner sagt er: „So viele Verheißungen Gottes es gibt, in Christus ist das Ja, daher durch ihn auch das Amen“ (2. Kor. 1,20), und an die Philipper schreibt er: „Euch wurde verliehen .... an Christus zu glauben“ (Phil. 1,29). Sodann: „Gott hat jedem das Maß seines Glaubens zugeteilt“ (Röm. 12,3). Ferner sagt er: „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding“ (2. Thess. 3,2) und: „Nicht alle sind dem Evangelium gehorsam geworden“ (Röm. 10,16). Aber auch Lukas bezeugt: „Soviele zum ewigen Leben bestimmt waren, wurden gläubig“ (Apg. 13,48). Deshalb wiederum nennt Paulus den Glauben einen „Glauben der Auserwählten Gottes“ (Tit. 1,1). Und weiter: „Also kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi“ (Röm. 10,17). An anderen Stellen seiner Briefe fordert er oft auf, um den Glauben zu bitten. Der gleiche Apostel nennt den Glauben „durch Liebe wirksam“ (Gal. 5,6). Dieser Glaube bringt unserem Gewissen Frieden und eröffnet uns den freien Zugang zu Gott, so dass wir mit Vertrauen zu ihm selbst kommen und von ihm erlangen, was uns nützlich ist und wir nötig haben. Der Glaube hält uns auch in den Schranken der Pflicht, die wir Gott und dem Nächsten schulden, und stärkt unsere Geduld in der Trübsal, formt und schafft das wahre Bekenntnis und erzeugt, um mit einem Worte alles zu sagen, gute Früchte und gute Werke aller Art. Wir lehren daher, dass wirklich gute Werke nur aus dem lebendigen Glauben durch den Heiligen Geist entstehen und dass sie von den Gläubigen getan werden nach dem Willen und Gebot des Wortes Gottes. Denn der Apostel Petrus sagt: „So bringet nun aber auch allen Fleiß auf und erweiset in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend die Erkenntnis, in der Erkenntnis die Enthaltsamkeit“ (2. Pet. 1,5ff.). Wir haben früher gesagt, das Gesetz Gottes, das Gottes Wille ist, gebe uns die Richtlinien für die guten Werke. Und der Apostel Paulus sagt: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr euch der Unzucht enthaltet ... und dass niemand seinen Bruder im Handel übervorteilt“ (1. Thess. 4,3ff.). Denn Gott billigt nicht Werke und Gottesdienste nach eigenem Gutdünken, solche nennt Paulus „selbsterwählten Gottes-dienst“ (Kol. 2,23). Von diesen spricht auch der Herr im Evangelium: „Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie Lehren vortragen, welche Gebote von Menschen sind“ (Mt. 15,9). Wir verwerfen deshalb Werke dieser Art; solche dagegen billigen wir, die dem Willen und Gebot Gottes entsprechen, und dringen auch darauf. Diese sollen jedoch nicht getan werden mit der Absicht, damit das ewige Leben verdienen zu wollen. „Denn die Gnadengabe Gottes ist das ewige Leben“, wie der Apostel sagt (Röm. 6,23); auch nicht, damit wir von den Leuten gesehen werden, was der Herr (Mt. 6) verwirft, noch aus Gewinnsucht, was er ebenfalls verwirft (Mt. 23), sondern zur Ehre Gottes, zur Zierde unserer Berufung, und um Gott unsere Dankbarkeit zu beweisen und zum Nutzen unseres Nächsten. Ferner sagt unser Herr im Evangelium: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, preisen“ (Mt. 5,16). Aber auch der Apostel Paulus schreibt: „Ich ermahne euch ..., der Berufung würdig zu wandeln“ (Eph. 4,1) und: „Alles, was ihr tut mit Wort oder mit Werk, das tut alles im Namen des Herrn Jesus, indem ihr Gott, dem Vater, durch ihn dankt“ (Kol. 3,17), „ein jeder sehe nicht bloß auf das Seine, sondern auch auf das, was der andern ist“ (Phil. 2.4), und: „Auch die Unsrigen sollen lernen, sich guter Werke zu befleißigen für die notwendigen Bedürfnisse, damit sie nicht ohne Frucht seien“ (Tit. 3,14). Obwohl wir also mit dem Apostel Paulus lehren, dass der Mensch ganz umsonst durch den Glauben an Christus gerechtfertigt werde und nicht durch irgendwelche guten Werke, wollten wir deswegen doch gute Werke nicht gering schätzen oder verwerfen, da wir wissen, dass der Mensch weder dazu erschaffen noch durch den Glauben wiedergeboren sei, damit er müßig gehe, sondern vielmehr unaufhörlich tue, was gut und nützlich ist. Denn im Evangelium sagt der Herr: „So bringt jeder gute Baum gute Früchte“ (Mt. 7,17; 12,33); ferner: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der trägt viel Frucht“ (Joh. 15,5). Weiter sagt der Apostel: „Denn sein Gebilde sind wir, erschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, zu denen uns Gott zum voraus bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollten“ (Eph. 2,10), und abermals: „Er hat sich für uns dahingegeben, um uns von allem gesetzwidrigen Wesen zu erlösen und für sich selbst ein Volk zum Eigentum zu reinigen, das eifrig wäre in guten Werken“ (Tit. 2,14). Wir verwerfen daher alle, die gute Werke verachten und faseln, darum brauche man sich nicht zu kümmern, und sie seien unnütz. Indessen meinen wir ja nicht, wie schon früher gesagt wurde, durch gute Werke selig zu werden, oder jene seien zur Erlangung der Seligkeit unent-behrlich, als ob ohne sie nie jemand selig geworden sei. Denn durch die Gnade und durch die Wohltat von Christus allein werden wir selig. Die Werke aber müssen notwendig aus dem Glauben entstehen. So wird die Seligkeit nur im uneigentlichen Sinn mit ihnen in Verbindung gebracht; ganz eigentlich wird sie nur der Gnade zugeschrieben. Wohlbekannt ist ja jenes Apostelwort: „Wenn aber durch Gnade, dann nicht mehr aus Werken. Wenn aber aus Werken, dann ist es nicht mehr Gnade, weil sonst das Werk nicht mehr Werk ist“ (Röm. 11,6). Werke, die von uns aus dem Glauben getan werden, gefallen Gott, und diese billigt er, weil jene Menschen, die gute Werke tun, wegen ihres Glaubens an Christus Gott gefallen, und da diese Werke überdies durch den Heiligen Geist aus Gottes Gnade getan sind. Der heilige Petrus nämlich sagt: „...in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt, ist ihm willkommen“ (Apg. 10,35). Und Paulus sagt: „Deshalb hören wir ... nicht auf, für euch zu beten und zu bitten..., damit ihr des Herrn würdig wandelt zu allem Wohlgefallen, Frucht bringend in allem guten Werk“ (Kol. 1,9-10). Daher lehren wir eifrig wahre, und nicht falsche oder philosophische Tugenden, sondern wirklich gute Werke und die eigentlichen Christenpflichten, und schärfen sie allen mit großem Fleiß und Ernst ein; wir tadeln aber die Faulheit und Heuchelei all derer, die zwar mit dem Munde das Evangelium rühmen und bekennen, aber durch ein schändliches Leben verunehren, indem wir ihnen in diesem Stücke die schrecklichen Drohungen Gottes vor Augen stellen, doch auch die reichen Verheißungen Gottes und seine freigebigen Belohnungen, und sie so ermahnen, trösten und tadeln. Wir lehren nämlich auch, dass Gott denen, die Gutes tun, reichen Lohn gebe, nach dem Wort des Propheten: „Wehre deiner Stimme das Weinen, denn deine Mühe soll noch belohnt werden“ (Jer. 31,16; Jes. 4). Auch hat der Herr im Evangelium gesagt: „Freuet euch und frohlocket, weil euer Lohn groß ist in den Himmeln“ (Mt. 5,12), und: „Wer einem dieser Geringen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, wahrlich, ich sage euch: Ihm soll sein Lohn nicht mangeln“ (Mt. 10,42). Doch schreiben wir diesen Lohn, den der Herr gibt, nicht dem Verdienst des Empfangenden zu, sondern der Güte, Freigebigkeit und Wahrhaftigkeit Gottes, der ihn verheißt und gibt, da er ja niemandem etwas schuldig ist, und dennoch verheißen hat, dass er seinen treuen Dienern Lohn geben werde; und er gibt ihnen diesen auch, damit sie ihn ehren. Allerdings findet sich auch in den Werken der Heiligen noch vieles, was Gottes nicht würdig ist, und recht viel Unvollkommenes. Da aber Gott diejenigen, die Gutes tun, gnädig annimmt und die um Christi willen Tätigen herzlich liebt, so bezahlt er auch die verheißene Belohnung. Sonst wird nämlich unsere Gerechtigkeit verglichen mit einem „befleckten Gewand“ (Jes. 64,6). Aber auch der Herr sagt im Evangelium: „So sollt auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen war, sagen: wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren“ (Luk. 17,10). Wenn wir also auch lehren, dass Gott für unsere guten Werke eine Belohnung gebe, so lehren wir doch zugleich mit Augustin: Gott kröne an uns nicht unser Verdienst, sondern seine eigenen Gaben. Und was wir daher an Lohn empfan-gen, betrachten wir ebenfalls als Gnade, und zwar mehr als Gnade, denn als Lohn, weil wir ja, was wir Gutes tun, mehr durch Gottes Hilfe, als aus uns selbst tun, und weil Paulus sagt: „Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber doch empfangen, was rühmst du dich, als ob du es nicht empfangen hättest?“ (1. Kor. 4,7). Diesen Schluss zieht auch der selige Blut-zeuge Cyprian: „An keiner Hinsicht haben wir uns zu rühmen, denn nichts ist unser.“ So wenden wir uns gegen diejenigen, die menschliche Verdienste derart verteidigen, dass sie Gottes Gnade entleeren.

 

XVII. KAPITEL: DIE KATHOLISCHE (ALLGEMEINE) UND HEILIGE KIRCHE GOTTES UND DAS EINZIGE HAUPT DER KIRCHE

 

Weil Gott von Anfang an wollte, dass die Menschen selig würden und zur Er-kenntnis der Wahrheit kämen, muss es immer eine Kirche gegeben haben und muss es jetzt und bis ans Ende der Welt eine Kirche geben, das heißt: eine aus der Welt berufene oder gesammelte Schar der Gläubigen, eine Gemeinschaft aller Heiligen, nämlich derer, die den wahren Gott durch das Wort und den Heiligen Geist in Christus, dem Heiland, wahrhaft erkennen und recht anbeten und im Glauben an allen durch Christus umsonst angebotenen Gütern teilhaben. Alle diese Menschen sind Bürger eines Staates, leben unter dem gleichen Herrn, unter den gleichen Gesetzen und haben an allen Gütern gleichen Anteil. Denn so hat sie der Apostel genannt „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph. 2,19), indem er die Gläubigen auf Erden Heilige nennt, weil sie durch das Blut des Sohnes Gottes geheiligt sind (1. Kor. 6,11). Auf diese bezieht sich der Artikel des Glaubensbekenntnisses: Ich glaube eine heilige, katholische (allgemeine) Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen. Und da es immer nur einen einzigen Gott gibt, nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Messias Jesus, einen Hirten der ganzen Erde, ein Haupt dieses Leibes, schließlich einen Geist, ein Heil, einen Glauben und ein Testament oder einen Bund, so folgt daraus notwendig, dass es auch nur eine einzige Kirche gibt. Deshalb nennen wir sie die katholische christliche Kirche, weil sie allumfassend ist, sich über alle Teile der Welt und über alle Zeiten erstreckt und weder durch Ort noch Zeit eingeschränkt ist. Wir wenden uns deshalb gegen die Donatisten, die die Kirche auf weiß was für Winkel Afrikas beschränken wollten. Wir billigen auch nicht die Lehre des römischen Klerus, die bloß die römische Kirche für katholisch (allgemein christlich) ausgibt. Zwar teilt man die Kirche ein in verschiedene Teile oder Arten, nicht weil sie in sich selbst geteilt oder zerrissen wäre, sondern vielmehr, weil sie verschieden ist wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Glieder. Sie bilden einerseits die streitende, anderseits die triumphierende Kirche. Jene streitet bis heute auf der Erde und kämpft mit dem Fleische, der Welt und dem Fürsten dieser Welt, dem Teufel, mit der Sünde und dem Tode. Diese aber triumphiert, dem Kampfe enthoben, im Himmel, und freut sich, befreit von all diesen Dingen, vor Gott. Nichtsdestoweniger haben beide miteinander Gemeinschaft oder Verbindung. Auch hatte die auf Erden streitende Kirche stets sehr viele besondere Kirchen, die aber alle zur Einheit der katholischen christ-lichen Kirche gehören. Diese war anders eingerichtet vor dem Gesetz unter den Patriarchen, anders unter Moses durch das Gesetz und wieder anders seit Christus durch das Evangelium. Gewöhnlich unterscheidet man zweierlei Völker, altes und neues nämlich das Volk der Israeliten und das Volk der Heiden, oder derer, die aus den Juden und aus den Heiden in der Kirche vereinigt wurden, ebenso zwei Testamente, das alte und das neue. Doch bildeten und bilden jetzt noch alle diese Völker nur eine einzige Gemeinschaft, sie haben alle ein Heil in einem Messias, in dem sie als Glieder eines Leibes unter einem Haupte alle verbunden sind, und haben auch an derselben Speise und an demselben geistlichen Tranke teil. Immerhin anerkennen wir hier, dass es in verschiedenen Zeiten verschiedene Bekenntnisse im Blick auf den verheißenen und den erschienenen Messias gegeben hat, dass aber uns nach Aufhebung des Zeremonialgesetzes das Licht heller leuchtet und dass uns auch vermehrte Gaben und vollere Freiheit gegeben sind. Diese heilige Kirche Gottes wird das Haus des lebendigen Gottes genannt, erbaut aus lebendigen und geistlichen Steinen, und gegründet auf den unbeweglichen Felsen, auf den Grund, außer dem kein anderer gelegt werden kann. Deshalb heißt sie auch „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1. Tim. 3,15). Sie irrt nicht, solange sie sich auf den Felsen Christus und den Grund der Apostel und Propheten stützt. Es ist aber nicht zu verwundern, wenn sie irrt, so oft sie den verlässt, der allein die Wahrheit ist. Die Kirche wird auch genannt Jungfrau und Braut Christi, und zwar die einzige und geliebte. Der Apostel sagt nämlich: “Ich habe euch mit einem Manne verlobt, um euch als eine reine Jungfrau Christus zuzuführen“ (2. Kor. 11,2). Die Kirche wird ferner genannt Herde der Schafe unter dem einen Hirten Christus und zwar bei Ezechiel 34 und bei Johannes 10. Ebenso heißt sie Leib Christi, weil die Gläubigen lebendige Glieder Christi sind unter dem Haupte Christus. Das Haupt ist des Leibes wichtigster Teil; von ihm schöpft der Leib das Leben, durch seinen Geist wird er in allen Dingen regiert, von ihm hat er Gedeihen und Wachstum. Der Leib hat nur ein einziges Haupt, und es ist ihm angepaßt. Deshalb kann die Kirche kein anderes Haupt haben als Christus. Denn wie die Kirche der geistliche Leib ist, so muss sie auch ein entsprechendes geistliches Haupt haben. Und sie kann durch keinen anderen Geist regiert werden als durch Christi Geist. Auch Paulus sagt: „Er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Kirche, er, der der Anfang ist, der Erstgeborene von den Toten, damit in allem er den Vorrang hat“ (Kol. 1,18). Und wiederum sagt er: „Christus ist das Haupt der Kirche, er als Erlöser seines Leibes“ (Eph. 5,23). Ferner spricht er: „Er hat ihn zum Haupt über alles der Kirche gegeben, die sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles mit allem erfüllt“ (Eph. 1,22-23). Ebenso: „Wir sollen ... in allen Stücken hinanwachsen zu ihm, der das Haupt ist, Christus. Und von ihm aus vollbringt der ganze Leib, zusammengefügt und zusammengehalten, das Wachstum“ (Eph. 4,15-16). Wir billigen deshalb nicht die Lehre des römischen Klerus, der seinen römischen Papst zum allgemeinen Hirten und Oberhaupt, ja sogar zum Statt-halter Christi für die katholische streitende Kirche auf Erden macht, der die Fülle der Gewalt und die höchste Herrschaft in der Kirche habe, wie sie sagen. Wir lehren nämlich, dass Christus der Herr sei und der einzige Oberhirte Christus der der Welt bleibe; als Hoherpriester verrichte er vor Gott, dem Vater, und in der Kirche selber jegliches Priester- oder Hirtenamt bis ans Ende der Welt. Daher bedarf er keines Statthalters, den nur ein Abwesender nötig hat. Christus aber ist in der Kirche gegenwärtig und ihr lebendigmachendes Haupt. Er hat seinen Aposteln und ihren Nachfolgern aufs strengste verboten, Vorrang und Herrschaft in der Kirche aufzurichten. Die sich deshalb dieser hellen Wahrheit hartnäckig widersetzen und in der Kirche eine andere Regierung einführen – wer sähe nicht, dass sie jenen beigezählt werden müssen, von denen die Apostel Christi weissagen, nämlich Petrus in 2. Pet. 2,1ff., und Paulus Apg. 20,29f.; 2. Kor. 11,3ff.; 2. Thess. 2,3ff., und auch an anderen Stellen? Mit der Ablehnung des römischen Oberhauptes bringen wir jedoch keine Unordnung oder Verwirrung in die Kirche, da wir ja lehren, dass uns die von den Aposteln überlieferte Leitung der Kirche genüge, die Kirche in rechter Ordnung zu halten. Am Anfang, als noch kein römisches Haupt da war, das – wie man heute sagt – die Ordnung in der Kirche aufrecht erhielt, ist sie auch nicht ungeordnet und zuchtlos gewesen. Das römische Haupt will eben nur seine eigene Willkürherrschaft und die in der Kirche eingerissenen Missstände bewahren, hindert und bekämpft aber die rechte Reformation der Kirche und sucht sie mit allen Mitteln zu hintertreiben. Man wirft uns vor, es gebe in unseren Kirchen mancherlei Streit und Zwietracht, seit sie sich von der römischen Kirche getrennt hätten; deshalb seien sie nicht wahre Kirchen. Als ob es in der römischen Kirche keine Sekten und niemals Meinungs-verschiedenheiten und Streitigkeiten gegeben hätte, und zwar gerade in Glaubenssachen, die nicht etwa nur in Schulen, sondern auch auf den heiligen Kanzeln mitten im Volk ausgetragen wurden. Wir anerkennen wohl, dass der Apostel gesagt habe: „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (1. Kor. 14,33) und: „Wenn unter euch Eifersucht und Zank sind, seid ihr da nicht fleischlich?“ (1. Kor. 3,3). Indessen kann aber nicht geleugnet werden, dass Gott in der apostolischen Kirche gewesen sei, und dass diese die wahre Kirche gewesen sei, trotzdem in ihr auch Streit und Zwietracht vorkam. Denn der Apostel Paulus tadelt den Apostel Petrus (Gal. 2,11ff.); mit Paulus ist Barnabas uneins (Apg. 15). Schwerer Streit entsteht in der Gemeinde Antiochia unter Leuten, die doch den einen Christus predigten, wie uns Lukas in der Apostelgeschichte, Kapitel 15, erzählt. In der Kirche hat es immer schwere Kämpfe gegeben, und hervorragende Lehrer der Kirche waren, nicht etwa in untergeordneten Dingen, uneins, und doch hörte deswegen die Kirche nicht auf, das zu sein, was sie war. So gefällt es eben Gott, auch die kirchlichen Streitig-keiten zum Ruhme seines Namens dienen zu lassen, damit schließlich die Wahrheit leuchtend hervortrete und damit die Bewährten offenbar werden. Wie wir übrigens kein anderes Haupt der Kirche anerkennen als Christus, so anerkennen wir auch nicht jede beliebige Kirche, die sich für die wahre ausgibt, als wahre Kirche. Wir lehren aber, jene sei die wahre Kirche, bei der die Zeichen oder Merkmale der wahren Kirche zu finden sind: vor allem die rechtmäßige und reine Verkündigung des Wortes Gottes, wie sie uns in den Büchern der Pro-pheten und Apostel überliefert ist, die alle zu Christus hinführen, der im Evange-lium gesagt hat: „Meine Schafe hören auf meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir nach, und ich gebe ihnen ewiges Leben... Einem Fremden aber werden sie nicht nachfolgen, sondern vor ihm fliehen; denn sie kennen die Stimme des Fremden nicht“ (Joh. 10,27ff; 4,5). Wenn solche Leute in der Kirche sind, so haben sie einen Glauben, einen Geist und beten allein den einen Gott an, verehren nur ihn im Geist und in der Wahrheit; ihn allein lieben sie von ganzem Herzen und mit allen ihren Kräften, rufen ihn allein durch Christus, den einzigen Mittler und Fürsprecher, an und suchen außerhalb Christus und dem Glauben an ihn keine Gerechtigkeit und kein Leben. Weil sie Christus allein als Haupt und Fundament der Kirche anerkennen und auf diesem Grunde stehend sich täglich durch die Buße erneuern, tragen sie das ihnen auferlegte Kreuz mit Geduld, sind aber auch mit allen Gliedern Christi durch ungeheuchelte Liebe verbunden, und beweisen dadurch, dass sie Jünger Jesu sind, indem sie im Bande des Friedens und heiliger Einigkeit verharren. Zugleich nehmen sie auch teil an den von Christus eingesetzten und von den Aposteln überlieferten Sakramenten, und sie gebrauchen diese nicht anders, als wie sie es vom Herrn empfangen haben. Bekannt ist ja allen jenes Wort des Apostels: „Denn ich habe vom Herrn her empfangen, was ich euch überliefert habe“ (1. Kor. 11,23). Darum verwerfen wir jene Kirchen als der wahren Kirche Christi fremd, die nicht solcher Art sind, wie sie nach dem Gehörten sein sollen, mögen sie sich noch so sehr mit der ununterbrochenen Aufeinanderfolge ihrer Bischöfe, ihrer Einheit und ihrem hohen Alter brüsten. Die Apostel lehren uns ja deutlich genug, wir sollten den Götzendienst und Babylon fliehen und keine Gemeinschaft damit haben, wenn wir nicht auch der Züchtigung Gottes teilhaft werden wollen (1. Kor. 10,14; 1. Joh. 5,21; Offb. 18,4; 2. Kor. 6,14ff). Die Gemeinschaft mit der wahren Kirche schätzen wir aber so hoch, dass wir behaupten, niemand könne vor Gott leben, der mit der wahren Kirche Gottes keine Gemeinschaft pflege, sondern sich von ihr absondere. Denn wie außerhalb der Arche Noahs keine Rettung war, als die Menschheit in der Sintflut umkam, so glauben wir, dass außerhalb Christus, der sich den Erwählten in der Kirche zum Genusse darbietet, kein gewisses Heil vorhanden sei. Deshalb lehren wir, dass, wer leben will, sich von der wahren Kirche nicht absondern dürfe. Doch schränken wir die Kirche nicht so eng in die erwähnten Kennzeichen ein, dass wir lehrten, alle jene seien außerhalb der Kirche, die weder geflissentlich noch aus Verachtung nicht an den Sakramenten teilnehmen, sondern aus zwingenden und unvermeidlichen Gründen, also unfreiwillig, ihnen fernbleiben und sie entbehren. Wir schließen auch die nicht aus, bei denen der Glaube bisweilen abnimmt, sofern er nicht gänzlich aus-gelöscht wird oder später aufhört, auch solche nicht, bei denen sich Gebrechen, Mängel oder Irrtümer finden. Denn wir wissen, dass Gott außerhalb des Volkes Israel manche Freunde in der Welt gehabt hat. Wir wissen, wie es dem Volke Gottes in der babylonischen Gefangenschaft erging, da sie siebzig Jahre lang ihren Opferdienst entbehren mussten. Wir wissen, wie es dem heiligen Petrus bei seiner Verleugnung ging, und was täglich den auserwählten Gläubigen Gottes zu begegnen pflegt, wie sie irren und schwach sind. Wir wissen außerdem, wie zur Apostelzeit die Gemeinden der Galater und Korinther beschaffen gewesen sind, bei denen der Apostel Paulus über viele schwere Vergehen Klage führt und sie dennoch heilige Gemeinden Christi nennt. Ja, bisweilen geschieht es sogar, dass Gott in gerechtem Gericht die Wahrheit seines Wortes, den allgemeinen christlichen Glauben und die rechtmäßige Gottesverehrung derart verdunkeln und zerstören lässt, dass es beinahe scheint, als sei es aus mit der Kirche, und es sei nichts mehr von ihr übrig, so wie wir es zur Zeit des Elias und zu anderen Zeiten in der Tat sehen. Indessen hat Gott in dieser Welt und in diesen dunklen Zeiten doch noch seine wahren Anbeter, und zwar sind es nicht wenige, sondern siebentausend und mehr (1. Kön. 19,18; Offb. 7,3ff.). Denn auch der Apostel ruft aus: „Doch der feste Grund, der von Gott gelegt ist, bleibt bestehen und trägt dieses Siegel: Der Herr hat erkannt, die sein sind“ usw. (2. Tim. 2,19). Daher kann auch die Kirche unsichtbar genannt werden, nicht etwa, weil die Menschen unsichtbar wären, aus denen die Kirche gesammelt wird, sondern weil die Kirche für unsere Augen verborgen und Gott allein bekannt ist und das menschliche Urteil oft am Ziele vorbeischießt. Wiederum sind nicht alle, die der Kirche beigezählt werden, Heilige und lebendige, wahre Glieder der Kirche. Denn viele sind Heuchler, die zwar äußerlich Gottes Wort hören und vor den Augen der Leute die Sakramente empfangen; auch erwecken sie den Anschein, als ob sie Gott durch Christus allein anriefen und bekennten, Christus sei ihre einzige Gerechtigkeit, als ob sie Gott verehrten, ihre christlichen Liebespflichten erfüllten und im Unglück eine Zeitlang geduldig ausharrten; aber inwendig fehlt ihnen die wahre Erleuchtung des Geistes, der Glaube, die Aufrichtigkeit des Herzens und die Beharrlichkeit bis ans Ende. Schließlich werden aber solche Menschen in ihrem wahren Wesen doch entlarvt. Denn der Apostel Johannes sagt: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie gehörten nicht zu uns; denn wenn sie zu uns gehörten, wären sie bei uns geblieben“ (1. Joh. 2,19). So werden sie denn immerhin zur Kirche gezählt, so lange sie scheinbar fromm sind, mögen sie auch nicht wirklich zur Kirche gehören, gerade wie die Verräter im Staat, bevor sie entdeckt sind, selber auch unter die Bürger gerechnet werden, und wie sich der Lolch oder das Unkraut und die Spreu unter dem Weizen finden, oder wie man am gesunden Leib etwa Kröpfe und Geschwülste findet, obwohl sie in Wirk-lichkeit eher krankhafte Erscheinungen und Verunstaltungen sind, als wahre Glieder des Leibes. Deshalb wird die Kirche Gottes ganz richtig mit einem Netze verglichen, das Fische aller Art fängt, und mit einem Acker, in dem sich Unkraut und Weizen zugleich findet (Mt. 13,47ff.; 13,24ff.). Deshalb müssen wir uns sehr davor hüten zu versuchen, vor der Zeit zu richten, diejenigen auszuschließen und zu verwerfen oder auszustoßen, die der Herr nicht ausgeschlossen oder aus-gestoßen haben will, oder die wir ohne Schädigung der Kirche nicht aussondern können. Anderseits muss man darüber wachen, dass nicht die Gottlosen, während die Frommen schlafen, Fortschritte machen und der Kirche so Schaden zufügen. Außerdem lehren wir mit allem Fleiß, man solle darauf achten, worin am ehesten die Wahrheit und Einheit der Kirche liege, damit wir nicht leichtfertig Spaltungen erzeugen und in der Kirche begünstigen. Jene liegt nicht in den äußeren Zeremonien und gottesdienstlichen Gebräuchen, sondern vielmehr in der Wahrheit und Einheit des katholischen christlichen Glaubens. Der katholische christliche Glaube ist uns aber nicht durch menschliche Satzungen überliefert, sondern durch die göttliche Schrift, deren Zusammenfassung das Apostolische Glaubensbekenntnis ist. Daher lesen wir, dass bei den Alten zwar mannigfaltige Verschiedenheit in den gottesdienstlichen Gebräuchen bestanden habe, dass sie aber eine freie Mannigfaltigkeit gewesen sei und niemand gedacht habe, dass dadurch die Einheit der Kirche je aufgelöst werde. Deshalb sagen wir, die wahre Einheit der Kirche bestehe in den Glaubenslehren, in der wahren und einmütigen Verkündigung des Evangeliums Christi sowie in den vom Herrn selbst ausdrück-lich überlieferten gottesdienstlichen Gebräuchen. Deshalb dringen wir ganz besonders auf jenes Apostelwort: „Wir alle nun, die wir vollkommen sind, wollen diese Gesinnung hegen; und wenn ihr in etwas anderen Sinnes seid, wird euch Gott auch dies offenbaren. Doch wozu wir schon gelangt sind, eben darin lasset uns wandeln!“ (Phil. 3,15-16).

 

XVIII. KAPITEL: DIE DIENER DER KIRCHE; IHRE EINSETZUNG UND IHRE PFLICHTEN

 

Um sich seine Kirche zu sammeln und zu gründen, sie zu leiten und zu erhalten, hat Gott immer Diener verwendet, bedient sich solcher auch heute noch und solange es eine Kirche auf Erden gibt. Deshalb ist Ursprung, Einsetzung und Amt der Diener von höchstem Alter und rührt von Gott selbst her, ist also nicht eine neue oder bloß menschliche Ordnung. Gott hätte sich ja wohl aus eigener Macht unmittelbar eine Gemeinde schaffen können, aber er wollte lieber durch den Dienst von Menschen mit den Menschen verkehren. Deshalb sind die Diener nicht bloß als Diener, sondern als Gottes Diener zu betrachten, weil Gott durch sie das Heil der Menschen schafft. Wir werden deshalb davor gewarnt, nicht das, was zu unserer Bekehrung und Belehrung gehört, einer dunkeln Kraft des Heiligen Geistes zuzuerkennen, so dass man das kirchliche Amt seines Inhaltes beraubt. Denn wir müssen uns stets der Worte des Apostels erinnern: „Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie sollen sie aber hören, ohne einen, der predigt? ... Also kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi“ (Röm. 10,14.17). Und der Herr hat im Evangelium gesagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer einen aufnimmt, wenn ich ihn sende, nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Joh. 13,20). Und der Mazedonier, der dem Paulus während seines Aufenthaltes in Kleinasien in einem Gesicht erschien, ermahnte ihn und sagte: „Komm herüber ... und hilf uns“ (Apg. 16,9). An einer anderen Stelle hat der Apostel gesagt: “Gottes Mitarbeiter sind wir; Gottes Ackerfeld, Gottes Bau seid ihr.“ (1. Kor. 3,9). Doch müssen wir uns auch davor hüten, dass wir nicht dem Diener und dem Amt zu viel zuschreiben, auch hier eingedenk der Worte des Herrn, der im Evangelium sagt: “Niemand kann zu mir kommen, es ziehe ihn denn der Vater“ (Joh. 6,44), und des Apostelwortes: „Was ist nun Apollos? Was aber Paulus? Diener, durch die ihr gläubig geworden seid, und zwar so, wie es der Herr einem jeden verliehen hat. Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat das Gedeihen gegeben. Somit ist weder der etwas, welcher pflanzt, noch der, welcher begießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“ (1. Kor. 3,5-7). Wir sollen also dem Worte Gottes glauben, dass Gott uns äußerlich durch seine Diener lehre, inwendig aber die Herzen seiner Erwählten durch den Heiligen Geist zum Glauben bewege, und dass man alle Ehre für diese ganze Wohltat Gott geben müsse. Davon ist bereits im ersten Kapitel dieser Darlegung die Rede gewesen. Und zwar hat sich Gott von Anfang der Welt an der allerhervor-ragendsten Menschen in der Welt bedient – waren die meisten auch einfältig, was die weltliche Weisheit oder Philosophie anbetrifft, so zeichneten sie sich doch in der wahren Gottesgelehrtheit aus – , nämlich der Patriarchen, mit denen er oft durch Engel geredet hat. Denn die Patriarchen sind die Propheten und Lehrer ihrer Zeit gewesen, die Gott dazu bestimmte, zu diesem Zweck etliche hundert Jahre zu leben, damit sie gleichsam Väter und Lichter der Welt seien. Auf sie folgte Moses mit den Propheten, die in der ganzen Welt berühmt waren. Nach ihnen sandte der himmlische Vater seinen eingeborenen Sohn als vollkommensten Lehrer der ganzen Welt, in dem jene göttliche Weisheit verborgen ist, die auch bis auf uns kam durch die heiligste, einfachste und allervollkommenste Lehre. Er aber hat sich Jünger erwählt, die er dann zu Aposteln machte. Diese aber sind ausgegangen in die ganze Welt und haben durch die Predigt des Evangeliums überall Gemeinden gesammelt, dann aber haben sie in allen Gemeinden Hirten und Lehrer eingesetzt nach dem Befehl Christi, durch deren Nachfolger er bis heute die Kirche lehrte und leitete. Wie also Gott dem alten Bundesvolk die Patriarchen samt Moses und den Propheten gegeben hat, so hat er dem Volk des neuen Bundes seinen eingeborenen Sohn gesandt samt den Aposteln und Lehrern der Kirche. Nun werden die Diener des neuen Bundesvolkes weiterhin mit verschiedenen Namen bezeichnet; sie heißen: Apostel, Propheten, Evangelisten, Aufseher (Bischöfe), Älteste (Presbyter), Hirten (Pastoren, Pfarrer) und Lehrer (Doktoren) (1. Kor. 12,28; Eph. 4,11). Die Apostel hatten keinen festen Wohnsitz, sondern zogen durch die Welt und sammelten die verschiedenen Gemeinden. Wo aber schon Gemeinden ge-gründet waren, da gab es keine Apostel mehr, sondern an ihre Stelle traten in jeder Gemeinde die Hirten oder Pfarrer. Die Propheten wussten als Seher einst das Zukünftige, aber sie erklärten auch die Schrift. Solche finden sich auch heute noch. Evangelisten nannte man die Verfasser der evangelischen Geschichte, aber auch die Prediger des Evangeliums Christi. So wie etwa auch Paulus dem Timotheus befiehlt, das Werk eines Evangelisten zu verrichten. Die Bischöfe aber sind die Aufseher und Wächter der Kirche, die auch die zum Leben notwendigen Güter der Kirche verwalten. Die Presbyter sind Älteste, sozusagen Kirchenräte oder Kirchenpfleger. Die mit heilsamem Rat die Gemeinde leiten. Die Hirten oder Pfarrer bewachen den Schafstall des Herrn und versorgen ihn mit allem Nötigen. Die Lehrer unterrichten und lehren den wahren Glauben und die rechte Frömmigkeit. So kann man also heute als Diener der Kirche nennen: Aufseher (Bischöfe), Älteste (Presbyter), Hirten (Pastoren, Pfarrer) und Lehrer (Doktoren). In der Folgezeit sind dann allerdings noch weit mehr Amtstitel in die Kirche Gottes eingeführt worden. Die einen wurden eingesetzt als Patriarchen, andere als Erzbischöfe und Weihbischöfe, ferner als Metropoliten, Erzpriester, Diakone und Subdiakone, Akoluthen, Exorzisten, Kantoren, Janitoren und alle möglichen anderen: wie Kardinäle, Pröpste, Prioren, hohe und niedere Ordensväter, hohe und niedere Orden. Doch haben wir uns nicht darum bekümmert, was diese alle früher waren oder heute noch seien. Uns genügt die apostolische Lehre von den Dienern. Da wir nun sicher wissen, dass die Mönche und ihre Orden oder Sekten weder von Christus noch von den Aposteln eingesetzt worden sind, so lehren wir, dass sie der Kirche nichts nützen, sondern ihr eher verderblich sind. Sind sie auch früher einst erträglich gewesen – da sie noch Einsiedler waren, sich mit ihrer Hände Arbeit ihren Unterhalt beschafften und niemandem zur Last fielen, sondern sich den Pfarrern ihrer Gemeinde überall unterzogen, wie die Leute aus dem Volk –, so sieht und merkt doch die ganze Welt, wie es heute um sie steht. Unter dem Vorwand irgendwelcher Gelübde leben sie doch diesen ihren Gelübden stracks zuwider, so dass sogar die besten unter ihnen den Leuten beigezählt zu werden verdienen, von denen der Apostel gesagt hat: „Wir hören, dass etliche unter euch unordentlich wandeln, indem sie nichts arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben“ (2. Thess. 3,11). Darum haben wir für solche keinen Raum in unseren Kirchen und lehren auch, es dürfe solche in den Kirchen Christi nicht geben. Niemand soll sich auch die Ehre eines kirchlichen Amtes anmaßen, das heißt durch Geschenke oder irgendwelche Schliche oder in eigener Willkür an sich reißen. Die Diener der Kirche sollen vielmehr berufen und gewählt werden durch eine kirchliche und rechtmäßige Wahl; das heißt, ihre Wahl soll auf gottesfürchtige Weise erfolgen, und zwar nach rechter Ordnung, entweder von der Gemeinde oder von ihren dazu Abgeordneten, ohne Aufruhr, Zwiespalt und Streit. Man wähle aber auch nicht beliebige Leute, sondern zum Amt geeignete Männer mit guter und heiliger Bildung, mit frommer Beredsamkeit und einfältiger Klugheit, die auch bekannt sind als bescheidene und ehrbare Menschen, nach der apostolischen Regel, die vom Apostel aufgestellt wird in 1. Tim. 3,2ff., und Tit. 1,7ff. Und die Gewählten sollen von den Älteren eingesetzt werden unter öffentlicher Fürbitte und unter Handauflegung. Wir verurteilen hier alle, die auf eigene Faust Ämtern nachlaufen, während sie doch nicht gewählt, gesandt und eingesetzt sind (Jer. 23). Wir verwerfen ungeeignete und mit den für einen Pfarrer notwendigen Gaben nicht ausgerüstete Diener. Wir bekennen allerdings, dass die unschädliche Einfalt mancher Hirten in der alten Kirche einst der Kirche mehr genützt hat als die vielseitige, auserlesene und feine, aber ein wenig zu stolze Bildung manch' anderer. Daher, wenn die Leute nicht ganz unwissend sind, verwerfen wir auch heute nicht ihre fromme Einfalt. Die Apostel Christi nennen nun freilich alle, die an Christus glauben, Priester, nicht im Sinne eines Amtes, sondern weil wir, da wir Gläubigen alle zu Königen und Priestern gemacht sind, durch Christus Gott geistliche Opfer darbringen können (2. Mose 19,6; 1. Pet. 2,9; Offb. 1,6). Ganz verschiedene Dinge sind also dieses allgemeine Priestertum und das Dieneramt. Während jenes allen Christen gemeinsam ist, wie wir eben gesagt haben, ist das bei diesem nicht der Fall. Das Dieneramt der Kirche haben wir damals nicht aus der Kirche entfernt, als wir das päpstliche Priestertum in der Kirche Christi abgeschafft haben. Allerdings gibt es im Neuen Bunde Christi kein derartiges Priestertum mehr wie im alten Bundesvolk, das die äußere Salbung, heilige Gewänder und eine Menge Zeremonien gehabt hat; diese sind auf Christus hinweisende Bilder gewesen, der bei seiner Ankunft dies alles erfüllt und aufgehoben hat. Er selber aber bleibt Priester in Ewigkeit (Hebr. 7). Um ihm nichts zu benehmen, geben wir keinem unter den Dienern der Kirche den Namen „Priester“. Denn der Herr selbst hat in der Kirche des Neuen Bundes keine Priester eingesetzt, die vom Weihbischof die Vollmacht empfangen, täglich das Messopfer, nämlich Leib und Blut des Herrn selbst, für Lebendige und Tote darzubringen, sondern bloß solche Diener, die lehren und die Sakramente verwalten sollen. So erklärt Paulus einfach und kurz, was wir von den Dienern des Neuen Bundes oder der christlichen Kirche denken und was wir ihnen zuschreiben sollen: „So soll man uns ansehen: als Diener Christi und Haushalter über Geheimnisse Gottes“ (1. Kor. 4,1). Der Apostel will also, dass wir Diener wirklich für Diener halten. Diener aber hat sie der Apostel genannt, das heißt eigentlich „Ruderknechte“, die einzig auf den Willen des Schiffsherrn sehen, also Menschen, die nicht für sich oder nach eigenem Gutdünken leben, sondern für andere, nämlich für ihre Herren, von deren Befehlen sie völlig abhangen. Denn ein Diener der Kirche soll ganz und in allen seinen Pflichten nicht seinem eigenen Gutdünken folgen, sondern stets das ausführen, wozu ihn die Befehle seines Herrn anhalten. In diesem Spruch wird auch deutlich gesagt, wer der Herr sei, nämlich Christus, dem die Diener in allen Geschäften des Amtes wie Leibeigene verpflichtet sind. Außerdem fügt er zur näheren Erläuterung des Dienstes hinzu, dass die Diener der Kirche Haushalter oder Verwalter der Geheimnisse Gottes seien. Als Geheimnisse Gottes bezeichnet Paulus aber an vielen Stellen, besonders Eph. 3,3.9, das Evangelium Christi. Die Alte Kirche nannte auch die Sakramente Christi Geheimnisse. So sind die Diener der Kirche also dazu berufen, den Gläubigen das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu verwalten. Denn wir lesen auch anderswo im Evangelium (Luk. 12,42) von dem treuen und klugen Knecht, dass der Herr ihn über sein ganzes Haus gesetzt habe, den Hausgenossen zur rechten Zeit ihre Speise zu geben. Wiederum an einer anderen Stelle des Evangeliums „zieht ein Mann außer Landes“, verlässt sein Haus und gibt seinen Knechten Vollmacht darüber, oder gar über sein Vermögen, und einem jeden weist er seine Arbeit zu. Hier ist nun die rechte Gelegenheit, noch etwas zu sagen über die Gewalt und das Amt der Diener in der Kirche. Über diese Gewalt haben gewisse Leute den Mund allzu voll genommen und haben ihrer Gewalt auch alles Höchste auf Erden untergeordnet, und das gegen den Befehl des Herrn, der den Seinen zu herrschen verboten, ihnen vielmehr Demut anbefohlen hat (Luk. 22,24ff.; Mt. 18,3f.; 20,25ff.). Wahrhaft anderer Art ist die volle und uneingeschränkte Gewalt, welche auch von Rechts wegen so genannt wird. Nach solcher Gewalt sind dem Herrn Christus alle Dinge der Welt unterworfen, wie er selbst bezeugt und gesagt hat: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“ (Mt. 28,18). Ferner: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot, und siehe, ich bin lebendig in alle Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und des Toten-reiches“ (Offb. 1,18). Ebenso: „...er hat den Schlüssel Davids, er, der öffnet, so dass niemand schließt, und schließt, dass niemand öffnet“ (Offb. 3,7). Diese Gewalt behält sich der Herr vor und überträgt sie auf keinen andern, um etwa selber als müßiger Zuschauer nur beim Wirken seiner Diener dabeizustehen. Denn Jesaja sagt: Ich will ihm auch den Schlüssel des Hauses Davids auf die Schultern legen“ (Jes. 22,22), und wiederum: „...Die Herrschaft kommt auf seine Schulter“ (Jes. 9,6). Denn er legt seine Herrschaft nicht andern auf ihre Schultern, sondern behält und gebraucht seine Macht bis jetzt, indem er alles regiert. Etwas anderes ist es um die Amtsgewalt oder die dienstliche Bevoll-mächtigung; sie ist umgrenzt von dem, der der Inhaber der vollen Gewalt ist. Diese Amtsgewalt ist mehr ein Dienen als ein Herrschen. Denn ein Herr räumt seinem Hausverwalter die Macht über sein Haus ein; daher gibt er ihm auch die Schlüssel mit der Befugnis, ins Haus einzulassen oder auszuschließen, wen der Herr einlassen oder ausschließen will. Kraft dieser Vollmacht tut der Diener pflichtgemäß das, was ihm vom Herrn befohlen ist, und der Herr bestätigt, was er tut, und will, dass man die Handlung seines Dieners wie seine eigene betrachte und anerkenne. Darauf beziehen sich nämlich die Sprüche des Evangeliums: „Ich will dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was du auf Erden binden wirst, das wird in den Himmeln gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird in den Himmeln gelöst sein“ (Mt. 16,19); ebenso: „Wenn ihr jemandem die Sünden vergebt, sind sie ihm vergeben; wenn ihr sie jemandem nicht vergebt, sind sie ihm nicht vergeben“ (Joh. 20,23). Sollte aber der Diener nicht alle Dinge so ausführen, wie ihm vom Herrn befohlen ist, sondern die Grenzen der Treue überschreiten, so erklärt der Herr natürlich für ungültig, was er getan hat. So ist also die Kirchengewalt der Diener in der Kirche jenes Amt, durch das sie zwar die Kirche Gottes regieren, jedoch alles in der Kirche so tun, wie es der Herr durch sein Wort vorgeschrieben hat; ist es aber so getan, so nehmen es die Gläubigen so an, als sei es vom Herrn selbst getan. Von der Schlüsselgewalt ist übrigens bereits früher die Rede gewesen. Nun ist aber allen Dienern in der Kirche ein und dieselbe gleiche Gewalt oder Amtsbefugnis gegeben. Sicherlich leiteten am Anfang die Aufseher (Bischöfe) oder Ältesten in gemeinsamer Arbeit die Gemeinde; keiner erhob sich über den andern oder maßte sich höhere Gewalt oder Herrschaft über die Mitarbeiter an. Denn eingedenk der Worte des Herrn: „Der Hochstehende soll werden wie der Dienende“ (Luk. 22,26), blieben sie in der Demut und halfen einander gegen-seitig, die Gemeinde zu leiten und zu bewahren. Indessen rief wohl einer oder ein besonders Bezeichneter von den Dienern um der Ordnung willen die Gemeinde-versammlung zusammen und legte ihr die Verhandlungsgegenstände vor, sammelte die Ansichten der andern und sorgte nach Mannesart dafür, dass keinerlei Unordnung entstand. So habe, liest man in der Apostelgeschichte, der heilige Petrus getan, der immerhin deshalb nicht den andern übergeordnet oder mit größerer Gewalt über die andern ausgestattet war. Sehr richtig bemerkt der Blutzeuge Cyprian in seiner Schrift „Die Schlichtheit der Kleriker“: „Was Petrus gewesen ist, das waren auch die andern Apostel; sie hatten Ehre und Vollmacht gewissermaßen in Gütergemeinschaft; das aber kam unmittelbar aus der Einheit der Kirche, damit die Kirche als Eine erwiesen werde.“ Ähnliche Ausführungen macht der heilige Hieronymus in seiner Auslegung zum Titusbrief des Paulus, wo er sagt: „Bevor durch Antrieb des Teufels Glaubensstreitigkeiten entstanden, wurden die Gemeinden durch den gemeinschaftlichen Rat der Ältesten geleitet; als aber jeder diejenigen, die er getauft hatte, als „seine“ Leute betrachtete, statt als Eigentum Christi, wurde beschlossen, dass ein aus den Ältesten Gewählter den andern übergeordnet werden solle, dem die ganze Sorge für die Gemeinde obliege, um so die Keime zu Spaltungen zu beseitigen.“ Diesen Beschluss gibt jedoch Hieronymus nicht als göttlich aus. Sofort fügt er nämlich hinzu: „Wie die Priester wissen, dass sie nach der Gewohnheit der Kirche ihrem Vorgesetzten unterworfen sind, so mögen auch die Bischöfe daran denken, dass sie eben mehr durch Gewohnheit als in Wahrheit durch göttliche Anordnung höher stehen als die Priester und die Kirche mit ihnen gemeinschaftlich regieren sollen.“ So weit Hieronymus. Deshalb kann niemand mit irgendwelchem Rechtsanspruch verbieten, zur alten Ordnung der Kirche Gottes zurückzukehren und jene der menschlichen Gewohnheit vorzuziehen. Die Amtspflichten der Diener sind verschiedenartig, können aber immerhin auf zwei Dinge zurückgeführt werden, die alles andere umfassen: nämlich die Lehre des Evangeliums Christi und die rechtmäßige Verwaltung der Sakramente. Den Dienern liegt es ob, die Gemeinde zum Gottesdienst zu versammeln, darin das Wort Gottes auszulegen und die ganze Lehre dem Bedürfnis und dem Nutzen der Gemeinde entsprechend anzuwenden, damit das, was gelehrt wird, allen Hörern nützlich sei und die Gläubigen erbaue. Den Dienern liegt es also ob, die Unwissenden zu lehren, jene zu ermahnen und vorwärts zu drängen, die auf dem Wege des Herrn stille stehen oder allzu langsam vorwärts schreiten, die Ängstlichen zu trösten und zu stärken und sie zu schützen gegen die mannigfaltigen Anfechtungen des Teufels, die Sünder zu bestrafen, die Irrenden auf den rechten Weg zurückzubringen, die Gefallenen aufzurichten, die Widersprechenden zu überweisen und endlich die Wölfe vom Schafstall des Herrn zu verjagen. Laster und Lasterhafte sollen sie mit Klugheit und mit Nachdruck tadeln und gegen Schandtaten weder nachsichtig sein noch schweigen. Ferner sollen sie auch die Sakramente verwalten und zu ihrem rechten Gebrauch ermahnen und alle zu ihrem Empfang durch die reine Lehre vorbereiten, die Gläubigen auch in heiliger Einheit bewahren, Spaltungen verbieten, die Kinder unterweisen, die Notdurft der Armen der Gemeinde ans Herz legen, die Kranken und von mancherlei Anfechtungen Bedrückten be-suchen, unterweisen und auf dem Weg des Lebens erhalten; außerdem sollen sie in Zeiten der Not öffentliche Bet- und Bußtage, verbunden mit Fasten, das heißt heiliger Enthaltsamkeit, anordnen und alles, was zur Ruhe, zum Frieden und zum Heil der Gemeinden dient, mit größter Sorgfalt besorgen. Damit aber der Diener dies alles besser und leichter zu tun vermöge, muss man von ihm in erster Linie verlangen, dass er gottesfürchtig sei, im Gebet verharre, fleißig die Heilige Schrift lese, in allen Dingen und immer wachsam sei und allen durch ein reines Leben voranleuchte. Und weil überhaupt in der Kirche Zucht sein muss und bei den Alten einst der Ausschluss vom Abendmahl gebräuchlich war und im Volke Gottes Kirchengerichte bestellt wurden, in denen weise und fromme Männer diese Zucht handhabten, wäre es Pflicht der Diener, sich nötigenfalls je nach den Umständen von Zeit und öffentlichem Leben zur Erbauung der Gemeinde dieser Zucht zu bedienen. Dabei ist immer die Regel zu befolgen, dass alles geschehen soll zur Erbauung, anständig, ehrbar, ohne Herrschsucht und Zwietracht. Denn der Apostel bezeugt, dass ihm von Gott seine Machtbe-fugnis gegeben sei zur Auferbauung und nicht zur Zerstörung (2. Kor. 10,8). Auch hat ja der Herr selber verboten, das Unkraut auf dem Acker Gottes auszuraufen, weil sonst die Gefahr bestehe, dass auch Weizen mit ausgerissen werde (Mt. 13,29f.). Wir verfluchen hiermit den Irrtum der Donatisten, die die Lehre und Verwaltung der Sakramente je nach dem schlechten oder guten Lebenswandel der Diener für wirksam oder unwirksam halten. Denn wir wissen, dass das Wort Christi gehört werden muss, auch wenn es vom Munde schlechter Diener ausgeht. Denn der Herr hat selbst gesagt: „Alles nun, was sie euch sagen, tut und befolget; aber nach ihren Werken tut nicht“ (Mt. 23,3). Wir wissen, dass die Sakramente durch ihre Einsetzung und das Wort Christi geheiligt und für die Gläubigen wirksam sind, auch wenn sie von unwürdigen Dienern dargeboten werden. Deshalb hat der selige Diener Gottes, Augustin, auf Grund der Heiligen Schrift viel gegen die Donatisten gestritten. Indessen soll auch unter den Dienern rechte Zucht herrschen. Man hat deshalb auf den Synoden fleißig Lehre und Lebenswandel der Diener zu prüfen. Die Fehlbaren sollen von den Älteren angeklagt und auf den rechten Weg zurückgeführt werden, wenn noch Hoffnung auf Besserung ist; oder wenn sie unverbesserlich sind, soll man sie absetzen und sie als Wölfe durch wahre Hirten von der Herde des Herrn verjagen. Denn wenn sie Irrlehrer sind, so darf man sie auf keinen Fall dulden. Wir missbilligen auch nicht jene Kirchenversammlungen (Konzilien), die nach dem Beispiel der Apostel feierlich zusammentreten zum Heil und nicht zum Verderben der Kirche. Es sind auch alle treuen Diener als gute Arbeiter ihres Lohnes wert, und sie sündigen nicht, wenn sie einen Gehalt und alles, was für sie und ihre Familie zum Leben derweilen nötig ist, annehmen. Denn der Apostel beweist, dass von Rechts wegen dieser Unterhalt von der Gemeinde geleistet und von den Dienern ange-nommen werde (1. Kor. 9,7f. und 1. Tim. 5,18 und auch anderswo). Durch diese apostolische Lehre sind auch die Wiedertäufer widerlegt, die die Diener, weil sie von ihrem Dienste leben, verwerfen und schmählich beschimpfen.

 

XIX. KAPITEL: DIE SAKRAMENTE DER KIRCHE CHRISTI

 

Gleich am Anfang verband Gott in seiner Kirche mit der Predigt des Wortes seine Sakramente oder heiligen Bundeszeichen. So bezeugt deutlich die ganze Heilige Schrift. Sakramente sind aber geheimnisvolle Wahrzeichen oder heilige Ge-bräuche oder geweihte Handlungen, die von Gott selbst eingesetzt sind, und die bestehen in seinem Worte, in Zeichen und in bezeichneten Dingen, durch die er in der Kirche die Erinnerung an seine höchsten, dem Menschen erwiesenen Wohltaten festhält und stets erneuert, durch die er ferner seine Verheißungen besiegelt und das, was er innerlich gibt, äußerlich darstellt und gleichsam augenscheinlich macht und so unseren Glauben durch die Wirkung des Geistes Gottes in unseren Herzen stärkt und mehrt. Durch die Sakramente scheidet er uns endlich von allen andern Völkern und Religionen und heiligt und verpflichtet uns ihm allein, und zeigt uns, was er von uns fordere. Es gibt nun einerseits Sakramente des alten Bundesvolkes und andererseits Sakramente des neuen Bundesvolkes. Die Sakramente des alten Bundesvolkes waren die Beschneidung und das Passahlamm, das geopfert wurde; deshalb wird es zu den Opfern gerechnet, die von Anfang der Welt gebracht wurden. Die Sakramente des neuen Bundesvolkes sind die Taufe und das Abendmahl des Herrn. Es gibt nun Leute, die sieben Sakramente des neuen Bundesvolkes aufzählen. Von diesen anerkennen wir die Buße, die Einsetzung der Diener – allerdings nicht die päpstliche, sondern die apostolische – und die Ehe wohl als nützliche An-ordnungen Gottes, aber nicht als Sakramente. Die Firmung und die letzte Ölung sind Erfindungen von Menschen, die die Kirche ohne jeden Schaden entbehren kann. Wir haben sie darum auch nicht in unseren Kirchen. Denn es ist allerlei dabei, das wir keineswegs billigen können. So verabscheuen wir jede Krämerei, die die Römischen bei der Austeilung der Sakramente betreiben. Denn der Stifter aller Sakramente ist nicht irgendein Mensch, sondern Gott allein. Menschen können keine Sakramente einsetzen. Denn sie gehören zum Gottesdienst. Doch haben die Menschen nicht das Recht, über Einrichtung und Gestalt des Gottes-dienstes zu verfügen, sondern sie haben das von Gott Gegebene anzunehmen und festzuhalten. Außerdem sind den gegebenen Sakramenten Verheißungen beigefügt, die Glauben erfordern; der Glaube aber stützt sich allein auf Gottes Wort. Das Wort Gottes können wir ansehen als eine Art Gesetzestafel oder Brief, die Sakramente aber als die Siegel, die Gott allein dem Brief anhängt. Und wie Gott der Stifter der Sakramente ist, so wirkt er beständig in der Kirche, in der die Sakramente richtig gehandhabt werden, so dass die Gläubigen, wenn sie von den Dienern die Sakramente empfangen, erkennen, dass Gott in seiner Stiftung wirke. Deshalb nehmen sie auch die Sakramente aus Gottes Hand selbst, und es kann ihnen die persönliche Mangelhaftigkeit des Dieners – so groß sie auch sei – nichts schaden, weil sie wissen, dass die Vollkommenheit der Sakramente nur von der Einsetzung durch den Herrn abhängt. Daher unterscheiden sie bei der Verwaltung der Sakramente deutlich zwischen dem Herrn selbst und dem Diener des Herrn, indem sie bekennen, dass das eigentliche Wesen der Sakramente vom Herrn, die Zeichen aber von den Dienern gespendet werden. Die Haupt-sache aber, die in allen Sakramenten von Gott dargeboten und von allen Frommen aller Zeiten erwartet wird – andere nennen es die „Substanz“ und den „Stoff“ der Sakramente –, ist der Heiland Christus, jenes einzige Opfer, jenes Lamm Gottes, das geschlachtet ist von der Grundlegung der Welt an, jener Felsen, aus dem alle unsere Vorfahren getrunken haben, durch den alle Auser-wählten beschnitten sind mit der Beschneidung, die nicht mit Händen geschieht, sondern durch den Heiligen Geist, durch den sie von allen ihren Sünden reinge-waschen werden und vom wahren Leib und Blut Christi zum ewigen Leben genährt werden. Im Blick darauf, was die Hauptsache bei den Sakramenten und ihr eigentliches Wesen ist, sind die Sakramente beider Bundesvölker gleich. Denn der einzige Mittler und Heiland, Christus, ist in beiden Fällen die Haupt-sache und das eigentliche Wesen der Sakramente. Denn es ist ein Gott, und er ist in beiden Fällen ihr Stifter. Hier wie dort sind die Sakramente gegeben als Zeichen und Pfänder der Gnade und der Verheißungen Gottes, die die herrlichen Wohltaten Gottes in Erinnerung rufen und erneuern, damit die Gläubigen durch sie von allen anderen Religionen des Erdkreises geschieden würden. Sie sollen sie auf geistliche Weise durch den Glauben empfangen, und die Empfänger sollen dadurch an die Kirche gebunden werden und sich selbst ihrer Pflicht erinnern. Darin also und in ähnlichen Dingen sind die Sakramente beider Bundesvölker einander nicht ungleich, während sie sich allerdings in den Zeichen unterscheiden. Zwar stellen wir auch hierin einen großen Unterschied fest. Denn unsere Sakramente haben festeren Bestand und sind von längerer Dauer, wie sie denn auch bis ans Ende der Welt niemals werden geändert werden, sondern sie bezeugen, das Wesen und die Verheißung der Sakramente sei in Christus erfüllt und vollendet, wogegen jene nur bedeuteten, dass diese erfüllt werden solle. So sind unsere Sakramente auch einfacher, mit weniger Mühe und Aufwand verbunden und mit weniger Zeremonien belastet. Außerdem erstrecken sie sich auf ein größeres Volk, das auf dem ganzen Erdkreis verstreut ist, und da sie auch herrlicher sind und – durch den Heiligen Geist – auch einen größeren Glauben wirken, folgt daraus auch eine größere Fülle des Geistes. Ja, da uns der wahre Messias, Christus, gegeben und die Fülle der Gnade auf das Volk des Neuen Bundes ausgegossen ist, sind die Sakramente des alten Bundesvolkes durchaus aufgehoben und haben aufgehört, und an ihrer Stelle sind eingeführt die Zeichen des Neuen Bundes, statt der Beschneidung die Taufe, statt des Passahlammes und der Opfer das Abendmahl des Herrn. Wie aber einst die Sakramente aus dem Wort, dem Zeichen und der bezeichneten Sache bestan-den, so erschöpfen sie sich heute noch in sozusagen den selben „Teilen“. Denn durch Gottes Wort wird etwas zum Sakrament, was es vorher nicht gewesen ist. Durch das Wort nämlich werden die Sakramente geweiht und als geheiligt erwiesen von dem, der sie eingesetzt hat. Heiligen und weihen heißt, ein Ding Gott widmen und es vom gewöhnlichen und weltlichen absondern und zum heiligen Gebrauch bestimmen. Die Zeichen beiden Sakramenten sind nämlich dem gewöhnlichen Gebrauch entnommen; es sind äußere und sichtbare Dinge. Denn bei der Taufe ist das Zeichen Wasser und jene sichtbare Abwaschung, die durch den Diener geschieht. Die bezeichnete Sache aber ist die Wiedergeburt oder Abwaschung der Sünden. Im Abendmahl des Herrn aber ist das Zeichen Brot und Wein, der dem gewöhnlichen Leben entnommene Gebrauch von Speise und Trank. Die bezeichnete Sache aber ist der dahin gegebene Leib des Herrn selbst und sein für uns vergossenes Blut oder die Gemeinschaft mit Leib und Blut des Herrn. Deshalb sind Wasser, Brot und Wein ihrer Natur nach und außerhalb der göttlichen Einsetzung und dem heiligen Gebrauch immer das, was ihr Name besagt und als was wir sie gewöhnlich empfinden. Wenn aber das Wort des Herrn dazukommt, unter Anrufung des Namens Gottes, mit der Wiederholung der ersten Einsetzung und der ersten Weihe, so werden diese Zeichen geweiht und als von Christus geheiligt erwiesen. Denn in der Kirche Gottes bleibt die erste Einsetzung und Weihe der Sakramente dauernd wirksam, so dass diejenigen, die sie nicht anders feiern, als der Herr sie am Anfang selber eingesetzt hat, auch jetzt jene herrlichste erste Weihe genießen. Deshalb werden auch bei der Feier der Sakramente die eigenen Worte Christi gesprochen. Weil wir nun aus dem Worte Gottes lernen, dass diese Zeichen vom Herrn zu einem anderen Zwecke eingesetzt seien, als wozu sie gewöhnlich dienen, so lehren wir, dass die Zeichen jetzt bei ihrem heiligen Gebrauch auch den Namen der bezeichneten Dinge annehmen, also nicht mehr bloß Wasser, Brot und Wein genannt werden, sondern auch Wiedergeburt oder Bad der Erneuerung, ferner Leib und Blut des Herrn, oder Zeichen oder Sakramente des Leibes und Blutes des Herrn. Nicht dass die Zeichen verwandelt würden in die bezeichneten Dinge, oder aufhörten, das zu sein, was sie von Natur sind. Sonst wären sie ja nicht Sakramente; träten sie an Stelle der bezeichneten Sache, so wären sie eben nicht mehr Zeichen. Dagegen nehmen die Zeichen den Namen der Dinge an, weil sie geheimnisvolle Zeichen der heiligen Dinge sind und weil die Zeichen und die bezeichneten Dinge in heiliger Handlung miteinander verbunden werden, und zwar sind sie verbun-den und vereinigt durch ihre geheimnisvolle Bedeutung und den Willen oder Ratschluss dessen, der die Sakramente gestiftet hat. Denn Wasser, Brot und Wein sind nicht gewöhnliche, sondern heilige Zeichen. Und der Stifter der Wassertaufe hat sie nicht in der Absicht und Meinung eingesetzt, dass die Gläubigen nur mit Taufwasser begossen werden sollten; und der befohlen hat, beim Abendmahl Brot zu essen und Wein zu trinken, wollte nicht, dass die Gläubigen nur Brot und Wein empfingen, ohne Geheimnis, wie sie zu Hause Brot essen, sondern dass sie in geistlicher Weise teil hätten an den bezeichneten Dingen und wirklich im Glauben von ihren Sünden rein gewaschen würden und an Christus Anteil bekämen. Deshalb billigen wir keineswegs die Ansicht derer, die die Weihe der Sakramente weiß welchen Eigenschaften oder dem Hersagen oder der Kraft der von einem geweihten Priester ausgesprochenen Worte oder seiner Absicht zu weihen oder anderen zufälligen Dingen zuschreiben, die uns weder durch Christi noch der Apostel Wort und Beispiel überliefert sind. Wir billigen auch nicht die Lehre derer, die von den Sakramenten ebenso reden wie von gewöhnlichen und nicht heiligen oder wirksamen Zeichen. Ebenso wenig stimmen wir denen zu, die wegen des Unsichtbaren das Sichtbare in den Sakramenten verachten und glauben, die Zeichen seien für sie überflüssig, weil sie meinen, bereits im Genuss der Sache zu sein, wie es die Messalianer gehalten haben sollen. Auch die Lehre derer billigen wir nicht, die lehren, die Gnade und die bezeichneten Dinge würden so an die Zeichen gebunden und in sie eingeschlossen, dass, wer immer an den Sakramenten äußerlich teilnehme, auch innerlich an der Gnade und an den bezeichneten Dingen teilhabe, wer und welcher Art er auch sein möge. Wie wir übrigens die Vollkommenheit der Sakramente nicht nach der Würdigkeit oder Unwürdigkeit der Diener ein-schätzen, so auch nicht nach der Haltung der Genießenden. Denn wir erkennen, dass die Vollkommenheit der Sakramente von der Treue oder Wahrhaftigkeit und von der einen Güte Gottes abhängt. So wie Gottes Wort wahres Wort Gottes bleibt, kraft dessen nicht bloß leere Worte hergesagt werden, wenn man predigt, sondern zugleich die von Gott mit den Worten bezeichneten oder verkündigten Dinge angeboten werden – sofern aber Gottlose und Ungläubige die Worte hören und verstehen, genießen sie doch die bezeichneten Dinge nicht, weil sie sie nicht im Glauben annehmen –, so bleiben die Sakramente, durch Wort, Zeichen und bezeichnete Dinge unwandelbar, wirkliche und vollkommene Sakramente, die nicht nur heilige Dinge bedeuten, sondern sie sind auch durch Gottes Angebot wirklich die bezeichneten Dinge selbst, auch wenn Ungläubige die angebotenen Dinge nicht empfangen. Das ist aber nicht der Fehler Gottes, der geben und anbieten will, sondern die Schuld derjenigen Menschen, die ungläubige und darum unberechtigte Empfänger sind; doch hebt ihr Unglaube Gottes Treue nicht auf (Röm. 3,3f.). Da gleich am Anfang bei der Erklärung vom Wesen der Sakramente nebenbei auch erläutert wurde, wozu sie eingesetzt worden seien, ist es nicht nötig, den Leser mit der Wiederholung des schon einmal Gesagten zu ermüden. Folglich werden wir also nur noch von den Sakramenten des neuen Bundesvolkes einzeln reden.

 

XX. KAPITEL: DIE HEILIGE TAUFE

 

Die Taufe ist von Gott eingesetzt und geweiht, und als erster hat Johannes getauft, der Christus am Jordan ins Wasser eintauchte. Von ihm ging sie auf die Apostel über, die auch selbst mit Wasser getauft haben. Klar und deutlich hat ihnen der Herr befohlen, das Evangelium zu predigen und zu taufen „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt. 28,19). Und Petrus antwortete auf die Frage der Juden, was sie tun sollten: „Jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg. 2,37f.). Daher wurde von einigen die Taufe das Einweihungszeichen des Volkes Gottes genannt, weil sie dadurch Gott geweiht werden als Auserwählte Gottes. Daher gibt es nur eine Taufe in der Kirche Gottes, und es genügt, einmal getauft oder Gott geweiht zu werden. Denn die einmal empfangene Taufe dauert das ganze Leben hindurch an und ist das ewige Unterpfand unserer Annahme zu Kindern Gottes. Denn im Namen Christi getauft werden heißt: eingeschrieben, eingeweiht und aufge-nommen werden in den Bund und in die Familie und somit zum Erbe der Kinder Gottes; ja es heißt jetzt schon nach dem Namen Gottes, das heißt Kind Gottes, genannt werden, desgleichen von den Befleckungen der Sünde gereinigt und durch die mannigfache Gnade Gottes beschenkt werden, damit wir ein neues und unschuldiges Leben führen. Deshalb hält die Taufe die Erinnerung an die unermessliche Wohltat Gottes, die er dem Geschlecht der Sterblichen erwiesen hat, fest und erneuert sie. Denn wir alle werden in den Befleckungen der Sünde geboren und sind Kinder des Zorns. Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, reinigt uns aus Gnade von den Sünden durch das Blut seines Sohnes, nimmt uns in ihm als Kinder an, verbindet uns mit sich durch seinen heiligen Bund und beschenkt uns mit mannigfaltigen Gaben, damit wir ein neues Leben führen können. Das alles wird durch die Taufe versiegelt. Denn inwendig werden wir wiedergeboren, gereinigt und von Gott erneuert durch den Heiligen Geist; äußerlich aber empfangen wir die Bekräftigung der herrlichen Gaben durch das Wasser, in dem auch jene herrlichen Gaben dargestellt und uns gleichsam augenscheinlich dargeboten werden. Deshalb werden wir getauft, das heißt abgewaschen oder mit sichtbarem Wasser besprengt. Denn das Wasser reinigt von Unsauberkeit, erquickt den matten und erhitzten Leib und erfrischt ihn. Die Gnade Gottes aber erweist diese Wohltat den Seelen, und zwar unsichtbar oder auf geistliche Weise. Gott unterscheidet uns nun auch durch das Zeichen der Taufe von allen fremden Religionen und Völkern und heiligt uns ihm zum Eigentum. Wenn wir also getauft werden, bekennen wir unsern Glauben, verpflichten uns Gott zum Gehorsam, zur Abtötung des Fleisches und zu einem neuen Leben und werden so in die heilige Streiterschar Christi eingeschrieben, dass wir während unseres ganzen Lebenslaufes wider Welt, Teufel und eigenes Fleisch streiten. Wir werden außerdem zu einem Leibe der Kirche getauft, damit wir mit allen Gliedern der Kirche in einem und demselben Glauben und in gegenseitiger Hilfeleistung wohl übereinstimmen. Wir glauben, dass das die vollkommenste Form der Taufe sei, mit der Christus selbst getauft wurde und mit der die Apostel getauft haben. Wir halten deshalb zur Vollkommenheit der Taufe nicht für nötig, was durch menschliche Erfindung später hinzugefügt wurde oder was sich die Kirche angemaßt hat, zum Beispiel die Teufelsaustreibung, die Verwendung eines brennenden Lichtes, den Gebrauch von Öl, Salz, Speichel und ähnlichen Dingen, wie auch, dass die Taufe alle Jahre unter mancherlei Zeremonien zweimal gefeiert wird. Denn wir glauben, nur eine Taufe sei in der Kirche bei der ersten Einsetzung Gottes geheiligt und durch das Wort geweiht worden und sei noch jetzt wirksam wegen der ersten göttlichen Segnung. Wir lehren, die Taufe solle in der Kirche nicht durch Frauen oder Hebammen voll-zogen werden. Denn Paulus schließt die Frauen von kirchlichen Ämtern aus. Die Taufe aber gehört zu den kirchlichen Amtshandlungen. Wir wenden uns gegen die Wiedertäufer, die nicht zugeben, dass die neugeborenen Kindlein der Gläubigen getauft werden sollen. Denn nach der Lehre des Evangeliums ist „ihrer das Himmelreich“, und sie sind im Bunde Gottes. Warum also soll ihnen das Zeichen des Bundes Gottes nicht gegeben werden? Warum sollen sie nicht durch die heilige Taufe eingeweiht werden, wenn sie doch Eigentum und in der Kirche Gottes sind? Wir verwerfen auch alle anderen Lehren der Wiedertäufer, die entgegen Gottes Wort eigene Fündlein enthalten. Wir sind also nicht Wiedertäufer und haben mit ihnen rein nichts gemein.

 

- Fortsetzung -