Zwingli - Glaube

 

Zwingli in seinem "Kommentar" über Glaube als liebendes Vertrauen:

 

Wir müssen zur Religion zurückkehren, konnten das solange nicht, bis wir über Subjekt und Objekt der Religion sprachen, so viel der Herr uns gab. Über das Wort „Religion“ ist genug gesagt, wir kommen zur Sache. „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde und ihm ähnlich“ 1. Mos. 1,27, und umgab ihn mit Glück und unaussprechlicher Wonne, aber in seiner Torheit ließ er sich durch eitle Hoffnung in’s äußerste Unglück ziehen. Sobald es dazu kam, begann er etwas Missliebiges an sich zu sehen. Denn so steht geschrieben: „Da wurden ihrer beiden Augen geöffnet“ 1. Mos. 3,7. Wie, guter Gott, waren sie denn vorher blind? Keineswegs, aber ihr Geist wie ihre Augen wussten nichts vom Argen, solange sie dem Lebensbaum fernblieben; Trauer und Scham gab’s nicht. Aber nach dem Genuss des verhängnisvollen Apfels wurden die Augen geöffnet; denn er stammte ja vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen. Aber was sahen sie denn jetzt erstmalig, was sie früher nicht gesehen hatten? Etwa irgendwelche unbekannten Geheimnisse? Derartiges schien der Teufel zu versprechen – die Armen, die darauf hofften! Sie sehen, dass sie nackt sind. Sie waren schon vorher nackt gewesen, aber ihre Nacktheit wurde nicht als solche empfunden; die Sünde wurde nicht angerechnet, bevor das Gesetz kam Röm. 5,13. So wurde die Nacktheit nicht erkannt, bevor der Kleidermangel empfunden wurde. Diese Empfindung trat ein, als der Mensch seinen Schöpfer, den Quell alles Guten, verließ. Daraus sollen wir lernen, dass unser Geist immer nur auf Not, Unglück und Elend stößt, mag er sich wenden, wohin er will, Pläne fassen oder Hoffnun-gen hegen – das ist letztlich die Nacktheit, allen Übeln ausgesetzt, vom Schutze Gottes verlassen zu sein; unser Trost und unsere Ruhe aber stehen allein bei Gott. Und wenn wir etwas schärfer zusehen, so bemerken mir, dass diese Torheit unserer Art entspricht, dass wir ungewisse und schwierige Dinge unüberlegt anfangen, um das Ende uns aber sorglos nicht bekümmern; kommt es dann endlich, so werden wir zu unserem Schaden sehend, aber so, dass wir nur Übles sehen, in das wir durch unsere Verwegenheit gerannt sind. Der menschliche Geist ist immer zu Neuerungen geneigt ... , erst durch Schaden wird man klug. So bedeutet also Adams Nacktheit nichts Anderes als die Schuld und den Sündentod, über den wir oben ausführlicher sprachen. Denn man kann doch nicht glauben, dass Adam zu dem Schlusse nicht fähig gewesen wäre: „Was tut’s, dass Du nackt bist? Gott selbst hat Dich nackt geschaffen, so möge er Dich nackt sehen!“ Nein, um des bösen Gewissens willen schämte er sich, Gott vor die Augen zu treten. Hätte Adam irgendwie noch auf Erschmeichelung göttlicher Gunst gehofft, so hätte er sich nicht versteckt; aber er sah seine Sache so verfahren, dass er sich der Erzählung zufolge auch nicht auf’s Bitten verlegte. Weil sein Gewissen das aller Schlimmste erwartete, verbarg er sich und gab seine Nacktheit als Vorwand für seine Flucht und sein Zaudern an. Was können wir daraus anders schließen, als dass die Sache des Menschen so jammervoll und beklagenswert ist, dass er nicht wagt, vor Gott zu erscheinen, ja, ihn flieht, seinen Ruf fürchtet, ihm nicht unter die Augen kommen will? Zugleich aber lernen wir Gottes Güte kennen, der den Fahnenflüchtigen, nicht Bittenden, vielmehr eilend Davonlaufenden und sein Gewand Ändernden in Gnaden aufnimmt, ruft, schilt, und, so weit es seine Gerechtigkeit erlaubt, die glückliche Lage in eine traurige umwandelt. Denn was hatte Adam anders als Verderben und Ver-nichtung verdient? Aber Gott nahm, soweit er konnte, Adams freches Vergehen in seinen Ratschluss auf, um von Anfang an sein künftiges Tun an Adams Nachkommen anzudeuten; obwohl der gerechte Zorn über den frisch began-genen Frevel noch rauchte, urteilte er gütiger, als es die Schuld verdiente. Ehe wir weiter gehen, will ich gewissen Theologen folgende Erwägung stellen: ... Wäre wohl Adam irgend wie aus eigenem Antrieb umgekehrt und hätte um Gnade gebeten? Ihr werdet doch zugeben müssen, dass ein so auf Flucht und Versteck ausgehender Mensch, dass man ihn kaum herauslocken kann, schwerlich umgekehrt wäre, wenn nicht der Herr den Flüchtigen eingeholt hätte. Warum wollt Ihr nicht anerkennen, dass der selbst erworbene Glaube, von dem Ihr so viel redet, eine Erdichtung ist – „denn Niemand kommt zu Christus, es sei denn, dass ihn der Vater gezogen hat“ Joh. 6,44 –, und dass es nicht an jemandes Wollen oder Laufen liegt, sondern an Gottes Erbarmen Röm. 9,16.? Wo Ihr doch sehet, dass unser Stammvater, dessen Sünde und Tod auf uns überging, so vor Gott zurückschreckte, dass er der Torheit, die ihm ein: „Versteck dich!“ zuflüsterte, folgte und sich versteckte, um nicht den Vorwurf der Flucht vor Gott hören zu müssen. Was bedarf’s da noch vieler Worte? Angenommen, Gott ließe Adam im Stich, – niemals wird er zu ihm zurückkehren, den er floh. Ange-nommen, er ließe den Menschen im Stich, – niemals wird er seinen Schöpfer suchen. Jeder ist sich selbst der eigene Gott; das zeigt schon der Kultus. Wer treibt nicht mit sich selbst Kultus, wer schätzt sich nicht irgendwie auf’s Höchste ein, fragt aber nicht nach Gottes Tun und Denken? Was heißt das anders, als sich über Gott erheben und sich zum Richter über seine Werke aufwerfen? Mit Absicht bin ich ausführlicher geworden; es sollte der Abstand des Menschen von Gott klar werden, falls Gott nicht, den wir fliehen, den Lauf hemmt; ebenso der Abstand jener Theologen vom rechten Wege, wenn sie vom selbst erworbenen Glauben und der Willensfreiheit kälter selbst als Heiden sprechen. Ganz offen-sichtlich hat also da die Religion ihren Ursprung gewonnen, als Gott den flüchtenden Menschen zu sich zurückrief, der ihn sonst dauernd verlassen hätte. Denn er sah seine Nacktheit, das heißt: er erkannte seine Schuld als so groß, dass er an der Rückkehr zur Gnade verzweifelte. Aber Gott war gnädiger; er erbarmte sich des hartnäckigen Flüchtlings und der niedergeschmetterten Seele, wie ein frommer Vater, der die Torheit oder Keckheit seines Kindes zwar hasst, das Kind selbst aber nicht hassen kann, und nun den Verlorenen und Ver-zweifelnden schmeichelnd ruft, ihn fragt, wie es um ihn stehe: „Adam, wo bist du?“ O wundervolle und unaussprechliche Freundlichkeit des himmlischen Vaters! Er, ohne dessen Anordnung ja überhaupt nichts existierte, fragt, wo Adam sei?! Aber er fragt um des unglücklichen Menschenkindes willen, um ihm seine Schuld klarer vorrücken zu können; denn es wusste nicht, wo es war. Voller Gewissensangst sah Adam, dass es für ihn mit der Heimat, der glücklichen Häuslichkeit, aus sei; er erkannte, dass sein Herr nur zu wahr gesprochen hatte: „an welchem Tage du davon issest, wirst du des Todes sterben“. Er fühlte, wie sein Herz zitterte, wie sich die Gedanken jagten, unglücklich, verräterisch, verworren, und fürchtete zugleich jeden Augenblick das Todesverhängnis. Daher fragt der himmlische Vater: „wo bist du?“, damit der Mensch immer daran gedächte, wo und wann Gott ihn gnädig gerufen hätte. Hier, sage ich, nahm die Religion oder besser: das liebende Vertrauen – denn das besteht zwischen Eltern und Kindern, zwischen Gott und Mensch – seinen Anfang. Der unglück-liche Mensch sah: ich habe nur Zorn verdient; er verzweifelt also und flieht vor Gott. Schau doch da des Vaters liebendes Vertrauen gegen das gottlose Kind! Er eilt herbei und lässt den Störrigen unter seinen verwegenen Gedanken nicht hochkommen. Was ist das anders als liebendes Vertrauen gegen den Sohn? So geht also bis zum heutigen Tage das liebende Vertrauen von Gott aus, aber zu unserem Besten. Was hätte es wohl Gott ausgemacht, wenn Adam plötzlich vom Todesverhängnis ereilt worden wäre? Dann aber ist das liebende Vertrauen vollendet, wenn wir uns von uns selbst und unseren Gedanken bekehren zu dem, der uns ruft. Wie unglücklich ist ein Vater, wenn er seinem Kinde in anhaltender Güte nachgeht, dieses aber noch anhaltender widerstrebt und ihn zurückweist – die Liebe zum Kinde ist vergeblich! Aber solches Unglück kann Gott nicht begegnen; wen er ruft, der muss antworten, er mag wollen oder nicht. (Beispiel: 2. Sam. 11,1-5, 6-17, Apg. 8,1-3.) Liebendes Vertrauen oder Religion ist also dieses: Gott bringt den Menschen dazu, seinen Ungehorsam, seinen Verrat, sein Elend anzuerkennen wie Adam. Daraufhin verzweifelt der Mensch ganz an sich; zugleich öffnet ihm Gott weit das Herz seiner Güte; er, der schon ganz ver-zweifelt hatte, sieht, dass sein Schöpfer und Vater noch Gnade und Gunst für ihn übrig hat, so sicher und fest, dass ihn nichts trennen kann von dem, nach dessen Gnade er strebt. Dieses Hangen an Gott ist liebendes Vertrauen, ist Religion. Kraft dessen vertraut man auf Gott als das einzige Gut, das allein unsere Nöte stillen, alles Übel abwenden oder zu seiner Ehre und der Seinen Besten zu wenden weiß und wenden kann, unerschütterlich, und hat ihn zum Vater. Die so empfindenden, in Gott den Vater sehenden Menschen sinnen ihrerseits eifrig und unaufhörlich darauf, wie sie Gott gefallen und ihm Freude machen können. Da also ist sicher das religiöse Vertrauensverhältnis vorhanden, wo man nach Gottes Willen zu leben sich bemüht; denn auch das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern verlangt, dass das Kind dem Vater folgen will, wie der Vater dem Kinde nützen möchte. Ferner: echte Frömmigkeit entsteht nur da, wo der Mensch nicht nur glaubt, dass ihm viel fehlt, er vielmehr sieht, dass er nichts besitzt, um Gott zu gefallen, sein Schöpfer und Vater hingegen so über-reich an allem ist, dass Niemand irgendwie einen Mangel bei ihm spüren kann; dabei ist seine Güte und Liebe zum Menschengeschlecht so groß, dass er Niemand etwas abschlagen kann. Das lässt sich mit Schriftzeugnissen beweisen; alle Lehre, alte wie neue, alle Frommen preisen nur das Eine: wir haben nichts, Gott fehlt nichts, er schlägt nichts ab. Denn beim Herrn ist Barmherzigkeit, und die ist sehr reich ... Daraus kann man leicht den Unterschied zwischen wahrer und falscher Religion feststellen. Die wahre Religion oder Frömmigkeit hängt einzig und allein an Gott. Die Frommen hören nur auf ihren Herrn, der sie vom Fleische losriss und mit sich verknüpfte, sodass sie nur seine Stimme hören wollen ... Die wahre Frömmigkeit bedingt also ein Hängen am Munde des Herrn, ein ausschließliches Hören oder Annehmen des Wortes des himmlischen Bräutigams. Um uns dieses Vertrauensverhältnis recht klar zu machen, vergleicht es der Herr in der Schrift oft mit einer treuen Ehe und schreckt wie ein treuer Ehemann uns von Ehebruch und Hurerei ab, nur darauf bedacht, wie in der Ehe vorab Treu und Glauben erfordert wird – die Ehe ist ja nichts anderes als ge-leistete und empfangene Treue –, so sollte auch die Frömmigkeit nur dann Frömmigkeit sein, wenn Du von ganzem Herzen auf den Herrn, den Seelen-bräutigam, vertraust, auf ihn allein das Auge richtest und außer ihm Niemand Dein Ohr leihst ... Nur die sind wirklich fromm, die nur an Gottes Worten hängen. Wie notwendig das zur wahren Frömmigkeit ist, wird aus Gottes Wort selbst klar. (Beweis: 5. Mos. 4,1 f., 12,32 f.) Glaube oder Frömmigkeit bedingt also zuerst, dass wir von Gott lernen, wie wir ihm gefallen, wie ihm dienen können; sodann, dass wir dem von ihm Gelernten nichts hinzusetzen und nichts nehmen. Im ersteren Falle beschuldigt man Gott der Unweisheit und setzt sich über Gott, wie wenn man – wie gescheit! – aus eigener Weisheit das von Gott nicht einsichtig genug Offenbarte ergänzen könnte! Im zweiten Falle macht man Gott grausam, wie wenn er als Despot Gebote erlassen hätte, die man mit eigener Menschlich-keit und Milde zu lindern wüsste. Das ist eine gewichtige Stelle, (nämlich 5. Mos. 12,32;) an ihr hängt das Wesen der wahren und falschen Religion; aber wie gewichtig sie auch ist, sie besitzt überreichlich Kraft zur Wahrung der echten und Abweisung der falschen Religion ... Fromm ist nur, wen Gottes Wort speist, erquickt, stärkt. Umgekehrt kann der Fromme nur durch das göttliche Wort erquickt werden. Denn wie er auf Gott allein vertraut, so wird er durch sein Wort allein gewiss gemacht; und wie er durch Gottes Wort allein gewiss gemacht wird, so nimmt er nur Gottes Wort auf. Daraus wird auch nicht nur aus der heiligen Schrift, sondern auch aus der Natur des Glaubens selbst klar, dass kein Krea-turenwort für Gotteswort gelten kann; denn im Kreaturenwort wird das Gewissen nicht ruhig und still. Wir dürfen also zum Worte Gottes nichts aus Eigenem hinzutun und auch nichts aus eigener Vermessenheit vom Worte Gottes davon-tun. Hier könnte man freilich einwerfen: Es haben aber doch viele auch im Menschenwort Ruhe gefunden, ja, finden sie noch; denn heutzutage sind manche Gewissen fest überzeugt, das Heil für sich zu gewinnen, wenn der römische Papst sie absolviert, ihnen Ablass schenkt und sie dem Himmel verschreibt; wenn Nonnen und Mönche für sie eine bestimmte Zahl von Gebeten sprechen, für sie das Brevier und Messe lesen und dergleichen für sie tun. Auf diesen Einwand antworte ich: diese Menschen sind entweder Dummköpfe oder Heuchler. Es kann nur Dummheit oder Unwissenheit sein, wenn man sich etwas einbildet, was man gar nicht ist. Wer seine Frömmigkeit an dem Glauben an die Erdichtungen des römischen Papstes bemisst, hat nie etwas von Gott ge-schmeckt, noch nicht einmal mit der Zungenspitze hat er Gottes Lieblichkeit gekostet, weiß nichts von der Seligkeit dessen, der auf Gott vertraut. Ist er nicht dumm oder unwissend, so kann er dem Makel der Heuchelei nicht entgehen. Ziemlich viele nämlich schätzen den römischen Papst und die kalten Zeremonien deshalb hoch, weil sie sehen, dass ihnen mancherlei entgeht, wenn seiner Herrschaft irgendwie Abbruch geschieht; so sind sie, wie kluge Hunde, beizeiten auf der Hut. Es bleibt dabei: das fromme Gemüt findet seine Ruhe nur in Gottes Wort, nimmt nur Gottes Wort an. (Dasselbe beweisen Stellen des Neuen Testa-mentes, wie: Mat. 15,8, Joh. 1,13, 8,47, 10,4 f., 15,4.)